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www.frieling.de
ISBN 978-3-946467-64-9
1. Auflage 2019
Umschlaggestaltung: Michael Reichmuth
Bildnachweis U1: ©peterschreiber.media – stock.adobe.com
Sämtliche Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Dieses Buch kann doch nur ein Schwuler geschrieben haben, so könnte man(n) meinen, wenn er sich den Titel dieses Buches zu Gemüte führt. (PS: Frauen denken da garantiert anders.)
Leider oder Gott sei Dank (das dürfen Sie sich aussuchen) ist es aber nicht so. Das kann und darf ich Ihnen versprechen. Ich liebe die Frauen, auch wenn viele von ihnen mich derzeit gefühlt wenig zur Kenntnis nehmen. Diese Tatsache ändert aber nichts daran, dass ich schon von jeher ein großer Fan des weiblichen Geschlechts war und bin.
Und ich finde, dass genau dieser unstrittige Sachverhalt mir die „Berechtigung“ gibt, mit diesem Buch jetzt für die schwule Welt eine Lanze zu brechen.
Mein erster Kontakt mit der schwulen Welt trat im zarten Alter von Anfang 20 (mittlerweile ist das über 25 Jahre her) in mein Leben. Ich traf einen alten Schulfreund wieder. Er war und ist ein sehr angesagter Künstler, der mittlerweile seine Heimat in Düsseldorf gefunden hatte. (Die Kölner mögen es ihm verzeihen.) Die Marktpreise seiner Werke waren damals schon so hoch, dass er gut bis sehr gut von seiner Kunst leben konnte, und er war und ist schwul! Aus seiner sexuellen Orientierung hatte er niemals einen Hehl gemacht. Und warum sollte er das eigentlich auch tun?
Na, jedenfalls hatte er mir erfolgreich ein Bild verkauft. Der Titel des Bildes passte damals auch irgendwie sehr gut zu meinem Leben und meiner neuen Wohnung. „Schaffe Neues …!“ lautete der Titel und nachdem wir die geschäftlichen Rahmenbedingungen (Lieferung, Anzahlung; immerhin handelte es sich um ein Drei-Meter-Bild) und den Preis verhandelt hatten, fing er leidenschaftlich an zu erzählen, wie der Titel dieses Bildes eigentlich zustandegekommen war. Und so viel darf ich Ihnen verraten, es hatte eine Menge mit den Erlebnissen aus seiner Vergangenheit zu tun. Ich merkte früh, dass ich die schwule Welt, in der er lebte, als überaus spannend empfand, und so stellte ich ihm viele Fragen. Um nicht zu sagen, ich habe den armen Kerl regelrecht mit meinen Fragen gelöchert, förmlich durchbohrt!
Da er, wie gesagt, recht locker und hemmungslos mit diesem Thema umging, erfuhr ich allerlei pikante Details und zwar nicht ausschließlich über irgendwelche sexuellen Praktiken, sondern vor allem über das Gefühlsleben von schwulen Männern und lesbischen Frauen. Und ich sage Ihnen, ich war und bin nach wie vor schwer beeindruckt. (Warum ich so beeindruckt war und bin, verrate ich Ihnen gerne später.)
Mein alter Schulfreund freute sich sehr über mein ehrliches und aufrichtiges Interesse, und so lud er mich zu seiner alljährlichen Weihnachtsfeier nach Düsseldorf ein. Jetzt wurde es für mich so richtig spannend. Es wartete eine fremde und bis dahin völlig unbekannte Welt auf mich – und ich gebe es ganz ehrlich zu:
Ich bin mit etwas gemischten Gefühlen dorthin gefahren
und war …
überrascht.
Und zwar äußerst positiv!
Es war für mich tatsächlich, als hätte man mich an Bord eines Raumschiffes gesetzt und zu einem anderen Planten in ein neues Universum geschossen. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.
Es traf sich, ohne zu übertreiben, die wirtschaftliche, kulturelle und geistige Elite von Düsseldorf in seinen heimischen vier Wänden. Das ganz besonders Spannende daran war, dass natürlich nicht alle anwesenden Menschen schwul bzw. lesbisch waren.
Wichtige Anmerkung des Autors:
In der englischen Sprache verwendet man gerne das Wort „gay“ sowohl für die homosexuell orientierten Männer, als auch für die homosexuell orientierten Frauen. Nun kenne ich sehr viele homosexuell orientierte Frauen, die vorsichtig ausgedrückt das Wort „lesbisch“ überhaupt gar nicht mögen und sich selber viel lieber als „gay“ bzw. als „schwul“ bezeichnen. Sie empfinden das Wort „schwul“ als ehrliches Wort, das ohne Umschweife ihre sexuelle Orientierung widerspiegelt. Daher verstehe ich es, wenn sie sich selber viel lieber als schwul bezeichnen, anstatt den Begriff lesbisch zu verwenden.
Ich nehme mir daher die Freiheit heraus und verwende ab sofort ausschließlich das Wort schwul und meine damit sowohl die homosexuell orientierten Männer als auch die homosexuell orientierten Frauen. Ich hoffe, das ist okay für Sie.
Sollte es Sie dennoch extrem stören, so bitte ich Sie höflich darum, einfach den Begriff schwul gedanklich durch den Begriff lesbisch zu ersetzen … vielen lieben Dank.
Die Mischung (ich erkundigte mich bei dem Gastgeber) lag bei etwa 80 : 20.
80 Prozent schwul
20 Prozent hetero
(oder vielleicht latent schwul, wer weiß das schon …)
Aber jetzt kommt’s:
Was mich besonders faszinierte, war die unglaublich sensible und vor allem liebevolle Art, auf die alle Beteiligten miteinander umgingen. Auf einer reinen „Hetero-Party“ hatte ich so etwas bis dahin noch nie erleben dürfen.
Niemand auf dieser Weihnachtsfeier in Düsseldorf hatte irgendwelches Imponiergehabe an den Tag gelegt nach dem Motto: „Wer bist du überhaupt? Was machst du beruflich? Was hast du? Schau mal hier, was ich alles habe, was kostet die Welt?“ Null Komma null!
Die Menschen unterhielten sich über Kunstausstellungen, die neusten Theater- und Ballettaufführungen der Stadt. Natürlich kam auch die Politik nicht zu kurz und last, but not least, die „best places to go …“ Es war einfach toll und atemberaubend und faszinierend für mich. Ich hatte bis dahin noch nie in meinem Leben so tolle und interessante Gespräche geführt wie an diesem Abend. Ohne zu übertreiben. Es war einfach nur grandios.
Hinzu kam, dass ich es als überaus spannend empfand herauszufinden, wer von den Anwesenden wohl schwul und wer hetero war. Und das war viel schwieriger, als ich mir das vorher so gedacht hatte. Gut, der ein oder andere war dabei, der vielleicht eventuell für einen Mann drei Oktaven zu hoch sprach …
Aber bei der überwiegenden Mehrheit konnte ich das nicht ausmachen. Beim allerbesten Willen nicht. Es waren einfach von beiden Lagern (Männer sowie auch Frauen) hochsensible, intelligente und kultivierte Menschen anwesend. Und das in dieser Geballtheit. Das imponierte mir sehr. Und das Allerbeste war, es war nicht ein einziger Prolet dabei, der unaufgefordert herumgrabschenderweise durch die Räume gelaufen wäre. Nein!
Diese typische Hetero-Männer-Angst nach dem Motto „Immer schön mit dem Hintern an der Wand entlang, wenn du mal den Raum verlassen möchtest“ war über (also totaler Quatsch). Niemand auf dieser Party wäre im Leben je auf die Idee gekommen, unaufgefordert irgendwelche obszönen Aktionen zu starten. Never ever!
Als Dankeschön für diesen tollen Abend schickte ich meinem lieben alten Schulfreund erst einmal einen hochwertigen „Schmause-Korb“ von einer bekannten Münchener Feinkostmanufaktur. Spätestens mit der Ankunft dieses Korbes war auch ihm eines sonnenklar: Der Marki will auf jeden Fall bei der nächsten Weihnachtsfeier wieder mit an Bord dieses tollen Raumschiffes sein!
Als ich von der Party alleine (ich war zu diesem Zeitpunkt mal wieder Single) nach Hause fuhr, hing ich den positiven Gedanken noch lange nach und war wie beseelt von diesem schönen Abend. Und was macht man, wenn man von einer Sache begeistert ist? Richtig! Man erzählt es seinen „besten Freunden“.
Das hätte ich besser bleiben lassen!
Zumindest meinen damaligen männlichen „Freunden“ hätte ich die Anwesenheit meiner Person auf dieser Party besser vorenthalten. Was ich mir nicht alles anhören musste.
Ich erntete leider nur Hohn und Spott, was ich als überaus befremdlich empfand. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir klar, wie schwer es schwule Menschen in unserer Welt oft haben. Ich meine, ein großes Grundbedürfnis eines jeden Menschen ist doch der tiefliegende Wunsch nach Respekt und Anerkennung.
Kein schwuler Mensch würde jemals im Leben auf die Idee kommen, einen Hetero-Menschen (ja, auch wir sind „nur“ Menschen) aufgrund seiner Sexualität respektlos zu belächeln oder gar auf offener Straße zu beschimpfen. Von Gewalt mal ganz zu schweigen.
Und wie läuft es umgekehrt?
Und wer bitteschön ist denn jetzt „verkehrt herum“?
Denken Sie bitte mal darüber nach …
Schließlich reden wir hier im Grunde genommen über nichts anderes als die LIEBE!
Die Liebe in all ihren Formen ist einfach nur großartig und wundervoll.
Ich denke, das ist unstrittig.
Und die Liebe tut uns ALLEN sehr, sehr gut. Gerade in dieser hasserfüllten und zunehmend von Bedrohung, Krieg und Terror regierten Welt ist doch die Liebe das einzig wahre Mittel, um all diese schlimmen Dinge aus unserer Welt zu verbannen. Und ist es dabei nicht völlig egal, ob eine Frau und ein Mann sich lieben, ein Mann einen anderen Mann liebt, der gerne diese Liebe erwidert, oder eine Frau eine andere Frau liebt und die beiden ihre innige Liebesbeziehung gemeinsam genießen?
Vor allem sollte man sich selber lieben und jede Andere und jeden Anderen so respektieren, so akzeptieren und vor allem so sein lassen, wie er oder sie ist. (Für den sehr aufmerksamen Leser: die Reihenfolge habe ich ganz bewusst so gewählt.)
Die entscheidende Frage ist doch die folgende: Ist es denn nicht völlig egal, wen Ihre Nachbarin, Ihr Arbeitskollege, Ihr/-e 11-Freunde-sollt-ihr-sein-Sportsfreund/-in, Ihr bester Freund, Ihr Papa, Ihr/-e Trainingspartner/-in, Ihre Mama, Ihre beste Freundin (bei mir ist das meine Mama), Ihre Friseurin, Ihre Schwester, Ihr Friseur, Ihr Bruder, die Frau oder der Mann neben Ihnen an der Kasse von Ihrem Lieblingssupermarkt
… liebt?
Schlussendlich sind wir doch ALLE nur Menschen.
Und wenn wir Menschen uns mehr lieben und gegenseitig respektieren und akzeptieren würden, gäbe es viel weniger von all diesen schlimmen Dingen, die uns beinahe jeden Tag über die Nachrichtensender erreichen und damit auch jeden Einzelnen von uns heimsuchen!
Aus den Erlebnissen dieser überaus schönen Weihnachtsfeier und deren Folgen (der Hohn und Spott meiner männlichen „Freunde“) ergaben sich für mich zwei Fragen, die mich noch einige Zeit beschäftigen sollten.
und
PS: Die Frauen, denen ich von dieser Party erzählt hatte, wollten alle auf jeden Fall beim nächsten Mal mit dabei sein.
Die Reaktionen fielen also geschlechterspezifisch höchst unterschiedlich aus. Das führte dazu, dass ich tiefer in diese „Materie“ eindringen wollte. (Nicht das, was Sie jetzt schon wieder meinen.)
Zunächst einmal beschäftigte ich mich mit der Harmonie. Ist auch viel schöner. Ich stellte mir also wieder und wieder diese eine Frage:
Woher kam diese Harmonie? Wieso war es schwulen Menschen (zu 80 %) auf dieser Feier möglich, eine so unglaublich harmonische und liebevolle Weihnachtsstimmung zu verbreiten, wie ich es zuvor noch nie erlebt habe? Zumindest nicht in dieser extremen Intensität. Ganz offen gesagt, ich konnte es mir nicht erklären.
Und was macht man, wenn man auf die entscheidenden Fragen dieser Welt keine Antwort weiß?
Genau richtig!
Man fragt seinen (hoffentlich) schwulen Friseur! (Glauben Sie mir, die können es einfach besser!)
Mein Schatz Carsten (viele Grüße an dieser Stelle) hatte auch tatsächlich direkt die, wie ich finde, passende und vor allem richtige Antwort parat. Er stellte mir eine einzige Frage:
„Wie alt war das Publikum dieser Weihnachtsfeier im Durchschnitt?“
Ich antwortete: „So ca. 30 bis 60 Jahre, schätze ich. Leon und ich waren mit Abstand die Jüngsten!“
Dann nickte er und sagte weise lächelnd zu mir: „Schau mal, Mark, das ist doch eigentlich ganz einfach. Die Menschen, die du dort getroffen hast, waren mit sich und ihrer Welt im Einklang und vor allem im Reinen. Sie akzeptieren und lieben sich selbst so, wie sie sind. Und glaube mir, das ist gerade als schwuler Mensch nicht selten ein sehr schwieriger und oft langwieriger Prozess. Zu erkennen, dass man als Mann auf andere Männer steht, oder als Frau zu erkennen, dass man andere Frauen viel erotischer findet als Männer, ist am Anfang für viele Männer und Frauen alles andere als leicht. Sie tun sich sehr schwer mit ihren Gefühlen. Da spielt der gesellschaftliche Druck, sogar heute noch, eine entscheidende Rolle.
Die Menschen, die du dort getroffen hast, haben diesen Prozess schon lange hinter sich gebracht. Sie sind daher befreit und glücklich und leben genau so, wie sie es möchten. Und dieses Glück und diese Zufriedenheit strahlen sie aus. Und ganz oft ist es im Leben ja auch so, dass man diejenigen Menschen in sein eigenes Leben zieht, die eine ähnliche „Vibration“ bzw. Ausstrahlung und Einstellung zum Leben haben. Und da an diesem Abend offenbar viele gleichgesinnte Menschen mit einer ähnlichen Einstellung und Ausstrahlung zusammenkamen, konntest du diese innere Harmonie, die jeder einzelne von ihnen für sich gefunden hatte, ebenfalls spüren. Das ist das ganze Geheimnis.“
Ich saß in meinem Friseurstuhl, starrte fassungslos in den Spiegel und staunte Bauklötze. Carsten hatte Recht. Den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Frage, die mich seit über drei Wochen gefühlt rund um die Uhr beschäftigt hatte – er beantwortete sie mir, nachdem er mir nur eine einzige Frage gestellt hatte, in weniger als 90 Sekunden!
Dann riss er mich plötzlich aus meinen Gedanken und meinte zu mir: „Du kannst jetzt deinen Mund übrigens wieder schließen. Ich bin ja schließlich kein Zahnarzt!“
Wir mussten beide laut lachen und erfüllten damit den Friseursalon wieder mit Leben. Zwischenzeitig war es dort bei Carstens Ausführungen nämlich mucksmäuschenstill geworden.
(PS: Und es waren nicht nur Frauen anwesend …)
Wie fühlen sich eigentlich schwule Menschen in der heterodominierten Öffentlichkeit?
Wie jetzt? Woher möchte der Herr Hetero das denn bitteschön wissen und vor allem einschätzen können?
Sofern Sie sich nun genau diese Frage gestellt haben sollten, so darf ich Ihnen zurufen:
„Sie ist berechtigt, wie ich finde!“
Und meine Antwort daraufhin ist ganz einfach: durch eine spontane Begebenheit!
Aber eines nach dem anderen.
Denn zunächst einmal behaupte ich, dass bisher nur sehr, sehr wenige heterosexuell orientierte Menschen sich überhaupt die Mühe gegeben haben werden, sich mit dieser, wie ich finde, sehr wichtigen und interessanten Frage einmal auseinanderzusetzen, einverstanden?
Und warum ist das eigentlich so?
Denn schließlich hat es doch noch nie geschadet, wenn man sich hin und wieder mal die Zeit dafür nimmt, um sich „einfach“ mal ernsthaft in die Situation seiner Mitmenschen zu versetzen. Auch wenn das oft gar nicht so einfach ist.
Jetzt will ich mich hier gar nicht groß hervortun, denn auch bei mir war es mehr Zufall als Absicht, dass ich mich mit dieser Frage wahrhaftig auseinandergesetzt habe.
Aber wie kam es denn jetzt eigentlich dazu?
Das erkläre ich Ihnen gerne.
Es gab da so eine Zeit in meinem Leben, da habe ich vorübergehend in einem Büro in Essen gearbeitet und mich dort mit einem anderen, ebenfalls heterosexuell orientierten Mann angefreundet. Da wir beide recht nah beieinander wohnten, beschlossen wir eines schönen Tages, unsere doch recht flexiblen Arbeitszeiten zu „synchronisieren“, sodass wir eine Fahrgemeinschaft von Dortmund nach Essen gründen konnten.
Das hatte nicht nur den großen Vorteil, dass wir damit Benzin sparten und dabei auch noch die Umwelt ein wenig schonen konnten, nein, nicht nur das, Dirk war und ist zudem auch noch ein äußerst lebensfroher, humorvoller und geselliger Vertreter der Hetero-Zunft.
Damit bekamen also die ansonsten recht langweiligen und tristen Stop-and-go-Fahrten in Richtung Essen-City und zurück eine ganz, ganz andere und insbesondere viel schönere und vor allem lustigere Dimension. Denn Dirk ist nicht nur, wie bereits erwähnt, ein sehr humorvoller Mensch, sondern er hatte auch immer die wundervollsten kulinarischen Ideen auf Lager, da er die besten geheimen Good-and-low-price-Restaurants in der Umgebung kannte (Restaurantführer lesen kann schließlich jeder). Das liegt im Wesentlichen daran, dass er in Essen aufgewachsen war. Meiner Meinung nach also eine sehr gelungene Fahrgemeinschaft. Und ich glaube, ja ich hoffe, dass er das genauso sah.
„Dirk wäre auch ein richtig guter schwuler Typ geworden!“, dachte ich eines Tages, als er am Steuer seines Pkws saß und ich ihn vom Beifahrersitz aus „heimlich“ beobachtete.
Wie ich darauf kam?
Ganz einfach, so viel Humor, Einfühlungsvermögen, Geschmack, Kultur und Wissen über Kunst findet man meiner Erfahrung nach eher sehr selten im Hetero-Männer-Lager. Eben genau diese Attribute, die in der schwulen Welt zumeist völlig alltäglich und normal sind. Oh mein Gott, ich fürchte, der Herr Hetero macht sich hier mit diesem Buch keine weiteren neuen Hetero-Männer-Freunde …
Aber was soll ich machen, das sind nun mal schlichtweg meine Lebenserfahrungen!
Na, jedenfalls genossen Dirk und ich es, zusammen nach Essen zu fahren, und ganz besonders natürlich die Fahrten zurück in Richtung „Heimat“. Nebenbei gesagt lagen unsere „synchronisierten“ Arbeitszeiten in aller Regel bei 10 bis 20 Uhr.
Und jetzt kommt’s:
Natürlich mussten wir dann hin und wieder auch mal ein paar Dinge des täglichen Lebens einkaufen gehen, insbesondere Lebensmittel. Und es kam der Tag bzw. der Abend, wo wir am Supermarkt unseres Vertrauens ankamen und ich kein Kleingeld zur Hand und Dirk nur seinen Einkaufswagen-Chip dabeihatte, sodass wir uns kurzerhand einen Einkaufswagen teilten.
Jetzt kam auch noch erschwerend hinzu, dass wir nach getaner Arbeit immer ein wenig euphorisiert in den Feierabend starteten und an genau diesem besagten Abend in den o. g. Supermarkt gingen und lachten und einfach Spaß und Freude hatten. Sehr ungewöhnlich also für zwei Männer in den besten Jahren.
Für den/die Hetero-Außenbetrachter/-in müssen wir beide also wohl ausgesehen haben wie zwei herumturtelnde schwule Nachtfalter, die sich frisch verliebt und „flatternderweise“ auf die gemeinsame Futtersuche begeben haben, um danach aber schnell und geschwind wieder ins warme Nestchen zurückzufliegen.
Ich dachte mir zunächst einmal gar nichts dabei, als ich mit Dirk und unserem gemeinsamen Einkaufswagen scherzender- und breit grinsenderweise den Supermarkt betrat. Ich wunderte mich allerdings recht schnell über die merkwürdigen Blicke der anderen Supermarktbesucher, die uns teilweise kopfschüttelnd, argwöhnisch und vor allem skeptisch beobachteten.
Irgendwie musste ich plötzlich an einen guten Freund aus Hessen denken, der sich bei dieser Gelegenheit in der hessischen Sprache wohl gedacht hätte:
„Aldahhh, was hasse jehhmacht, dass die so guhhhgge, hasse dir in die Hose geschisseee oder wasss?“ (So oder so ähnlich, die wahren Hessen und alle anderen mögen mir bitte verzeihen.)
Ein wenig später fiel es mir dann allerdings wie Schuppen von den Augen und zwar genau in dem Augenblick, wo Dirk und ich und unser gemeinsamer Einkaufswagen zufällig an einem großen Spiegel vorbeigingen bzw. -fuhren und wir gerade mal wieder gemeinsam herzlich lachten und ich zu allem Überfluss Dirk dabei auch noch freundschaftlich in den Arm nahm und drückte. Ich weiß es noch, als wenn es gestern gewesen wäre. Ich meinte plötzlich zu Dirk:
„STOPP mal, Dirki, und lass uns bitte noch mal drei Schritte zurückgehen.“
Das taten wir dann auch und ich riskierte einen Blick in diesen besagten Spiegel.
„Uhhhhhhh!“, dachte ich.
Und dann wurde mir so einiges klar …
„Die anderen Menschen, die sich hier so tummeln, denken, wir sind ein schwules Pärchen! Das ist ja genial!!!“
Wie sich später herausstellen sollte, war ich allerdings der absolute Spätzünder, denn mein sensibler Hetero-Freund Dirk hatte schon viel früher realisiert, was unsere „Mitmenschen“ so über uns dachten. Nämlich dass wir ein frisch verliebtes Männerpärchen waren!
Jaja, ich war halt schon immer ein bisschen langsamer. Allerdings gab es von diesem Moment an für mich kein Halten mehr.
„Jetzt kriegen es diese dummäugigen und blöd anguckenden Hetero-Einkaufsbummler mal so richtig von mir!“, dachte ich und legte direkt los: „Was meinst du, Spatzi, was schmeckt denn wohl besser zu deinem phänomenalen Hühnersüppchen, ein Weißer oder ein Roter?“
Dirki-Spatzi strahlte mich daraufhin zuckersüß an.
„Ein Roséééhhhh, mein Schatz, ein Roséééhhh! Jahhhh, was denn sonst???“
Die Frau neben mir wäre beinahe ohnmächtig in die Gefrierkühltruhe gefallen, als sie gerade dabei war, sich ihr eingefrorenes Hühnerfrikassee dort herauszufischen. Einfach nur herrlich.
Und das ging dann in einer Tour so weiter.
„Was hältst du denn von dieser Milch hier, Dirki-Schatzi?“
Und Dirki-Schatzi: „3,5 Prozent Fehhhtt? Willst du mich määhhhsten? Und dann schleppst du mich wieder zu diesem heißen Personal Trainer! Jahhhjahhh, das keeeehhhnn ich schon!“
Ungelogen, diese Blicke der anderen und offensichtlich heterosexuell orientierten Menschen waren so unglaublich neu für mich, dass ich mir tatsächlich beinahe in die Hosen gemacht hätte. Und Dirki-Spatzi genoss es ebenfalls. Immer wichtig, dass es beiden Partnern gefällt.
Irgendwann konterte Dirki mit den Worten „Du, Marki-Hasiiii, ich hätte heute Abend nicht nur Lust auf dich, sondern auch auf Sushi“ und hielt mir eine entsprechende Sushi-Box unter die Nase. Ich schnüffelte sanft daran und sah ihn dann allerdings vorwurfsvoll an und antwortete strafend:
„Suuuuushi aus dem Suuuhhhhhpermarkt? Na, schönen Dank auch! Die kannst du alle schön alleine essen!“
Dirki-Spatzi kommentierte meine Sushi-Abfuhr mit einem einfachen „Phhhhhh!“.
Auf die Spitze trieben wir es dann an der Kasse, wo die meisten Leute uns schon teilweise strafend und verkrampft ignorierten. Ich dachte mir nur:
„Aha! So fühlt es sich also in der ‚Öffentlichkeit‘ an, wenn man zur schwulen Welt gehört.“ Ich blickte mich um, sah die anderen Leute an, die daraufhin größtenteils ihre Blickrichtung änderten, und sah Dirk erneut ganz verliebt an und fragte ihn:
„Liebling“ (nicht mehr nur Schatz, denn unsere Liebe war mittlerweile durch diese heterokritische Erfahrung gereift und gewachsen), „haaaaben wir denn jetzt auch wirklich alles? Nicht dass du mich nachher wieder mal rausjagst, um dir doch noch etwas zu ‚besorgen‘.“
Und ich schwöre Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, nichts davon hatten wir vorher in irgendeiner Form abgesprochen, ehrlich nicht!
Dirki sah mich erneut zuckersüß an und meinte ganz trocken zu mir: „Kondome, Liebling, Kondome!“
Die Reaktionen daraufhin hätten unterschiedlicher gar nicht ausfallen können. Eine Frau, die direkt hinter uns stand, meinte daraufhin zu uns: