1 In: Literatura, Zeitschrift für Literatur, Jg. XXX, Nr. 321, S. 105.
2 a. a. O., S. 109.
Jana Putrle Srdić
Diese Nacht kommen Käfer aus der Erde gekrochen
Originaltitel: To noč bodo hrošči prilezli iz zemlje
Original: © Jana Putrle Srdić und Aleph
Übersetzung: © Slowenischer Schriftstellerverband (DSP), 2018
Übersetzung
Daniela Kocmut
Nachwort
Tina Kozin
Sprachliche Korrektur
Maike Nedo
Redaktion von Litteræ Slovenicæ
Tina Kozin, Tanja Petrič, Agata Šimenc
Redaktionelle Bearbeitung dieser Ausgabe
Tina Kozin
Titelfoto
Nada Žgank
Herausgegeben und verlegt vom
Slowenischen Schriftstellerverband (DSP), Ljubljana
Vertreten durch seine Präsidentin Aksinja Kermauner
Erste elektronische Ausgabe, Ljubljana 2018
https://litteraeslovenicae.si/
Kataložni zapis o publikaciji (CIP) pripravili v Narodni in univerzitetni knjižnici v Ljubljani
COBISS.SI-ID=297746944
ISBN 978-961-6995-46-7 (epub)
Jana Putrle Srdić
Diese Nacht kommen Käfer
aus der Erde gekrochen
Aus dem Slowenischen
von Daniela Kocmut
Mit einem Nachwort
von Tina Kozin
Društvo slovenskih pisateljev
Slovene Writers’ Association
Ljubljana 2018
I. Lieben
Ich, du, sie
wir sitzen am meer, betrachten die lichter der schiffe
und autos, die sich am horizont bewegen,
als wir zwei stunden lang schweigen, denke ich,
dass dies alles sei, was da ist
und all unser geflüstere, wie lieb wir uns hätten,
einer totalen einsamkeit entspringt.
die bandmitglieder von repetitor schlagen auf schlagzeuge und bässe, schreien,
ich brauche niemanden, der mir sagt, dass er mich liebt.
ich lege meine dunkelheit an, auf jeden tanker ein wenig,
wie in einem computerspiel, ich ordne das gewicht an.
die abendsonne leckt über unsere gesichter
wie über blinde, soeben geworfene hunde,
der wind aus dem hafen wäscht uns
Es kann alles passieren
Schwer nachvollziehbare Dinge
geschehen vor unserer Nase:
dieser Junge, der mit einem Schlagholz
seinem Hund Bälle zuspielt, hat soeben ein
Eichhörnchen vom Baum geschlagen.
Der Nachbarin wächst der Bauch und sie erträgt es nicht,
es eilig zu haben. Die Vorstellung, ein anderes Wesen
dringe in ihre Langsamkeit ein, ist für sie anstrengend.
Der Gedanke, mein Hund, geschweige denn ich,
könnte etwas in der Luft fangen, scheint beinahe unmöglich,
unvorstellbare Dinge passieren jedoch unentwegt.
Menschen tauchen auf, dann verschwinden sie
im Nu wie Tennisbälle und Jahre später noch sucht
man im Gebüsch nach den Handgelenken mit den langen
Fingern, die hellen Blicke, die Stimme, die sagte:
Nimm einen Schal mit. Komm bald zurück. Fahr vorsichtig.
Cut & Go
zwei junge lesben sitzen beim frisör, grün,
gelb angezogen, mit piercings, kaugummis, weicher haut
sitzen sie auf barhockern, fotografieren einander,
lachen und unterhalten sich, die sonne scheint
durch die schaufenster auf die drachenbrücke
und wir alle sind im zentrum und wir alle sind entspannt
-------inmitten des aufblitzens nackter
unterarme und hälse, schneller scheren-
bewegungen, die uns eine form geben, entspannt
inmitten der menge, die uns jedes mal umschließt,
wenn 4,3,2,1,0 das rote männchen ins grüne
marschiert und ich denke über maya
deren nach, die bei einer gelegenheit schachpielerinnen
beobachtete, bei einem feierlichen dinner nackt
auf dem tisch herumkroch, absurd----------
wie unser festsitzen inmitten einer flut von menschen,
auf der straße sozusagen, hinter einem glänzenden schaufenster;
wie das blitzen eines fotoapparats----die brüder quay
würden zu unserer entspanntheit anmerken
nothing can ever reach a definite conclusion
Die Maus vom Mond
Als du die Autos betrachtetest, die in die eine Richtung fahren,
und die Kolonne in der entgegengesetzten und sagtest, die Welt sei geordnet,
die Lichter der Stadt seien auf Benjamin’sche Weise schön,
sah ich, dass deine Schulter mit ihrer durchsichtigen Haut über
den blauen Venen kosmisch wird
und nun,
da deine Augen im Dunkeln leuchten, da du
nicht schläfst und dich fragst, ob du vielleicht im Koma liegst
und die Welt um dich so programmiert ist, dass du
abgelenkt bist, kann ich dir nun nichts Anderes sagen als:
ja, du bist nicht da,
all das ist eine Täuschung, die Maus vom Mond ebenso wie
Laika, eingeschlossen in der Kammer, der Wind zwischen den Blättern, den man nicht
sieht und die Blätter, die man sieht,
und die Ratten nachts, wenn
sie aus den Kellerfenstern herausschleichen wie Gespenster,
die es beinahe nicht gibt, dein handgestrickter Pullover
mit violetten Quadraten
und der lange Augenblick in der Kindheit,
als du vom Schlitten gefallen warst und das niemand bemerkt hatte,
du lagst im Schnee, starrtest in den Himmel, rührtest dich nicht,
riefst nicht, warst schon damals verschwunden
– nichts Dramatisches,
ein leeres Polaroidfoto, wo Schatten auftauchen sollten,
ist die Welt für dich erfunden?
Wenn du da bist, tankst du vielleicht gleichzeitig Diesel
an einer heruntergekommenen, verstaubten Tanke in Arizona
oder hast du einfach bei diesem Film Regie geführt
und spielst nun darin. Bleibt dir etwas Anderes übrig?
Wie steigt man aus, wenn alles vorgesehen ist, auch der Ausstieg?
Und wo bist du, zerstreuter du,
sublimiert in Wolkentropfen,
ein Zehntel an Kilometern über dem Festland, über dem Meer,
bleibst du am Metall eines Flugzeugs kleben oder
regnest du auf uns?
Vielleicht fällst du auf die heiße Haut eines unachtsamen alten Indianers,
in den Tanz vertieft, vielleicht dampfst du daraus
und bist der Regen und der Indianer und der Tanz
dort weit weit weg in Arizona
Das Ende einer Liebe
Saras gelbe Kürbisse – die, die man an Schweine verfüttert, mit
buttrigem Geschmack – bestreue ich mit schwarzem Sesam
und Cayennepfeffer, dazwischen denke ich über eine Übersetzung
sibirischer Poesie nach, doch meine Gedanken laufen in der hitzigen
Sommerküche heiß, alles wird mir egal, die Sprache, die Beziehungen,
dieser Augenblick ist ein duftender afrikanischer Kaffee mit dichtem
und dunklem Teer aus Zucker,
dieser Augenblick ist Unterholz, das die Waden peitscht,
als Zoran durch den Wald läuft, Lili breitet am anderen Ende
des Rožnik-Hügels ihre Liegematte aus
und macht sich bereit für Yoga (die Stechmücken surren),
in diesem Augenblick sind wir mit der warmen Abendluft verbunden,
die sich um unsere Knöchel schlängelt,
ein lauwarmer Bach,
wir waten durch das Sommerglimmen,
durch den reifen Schweinekürbis,
während die fast ausgewachsenen Vögel bereits fliegen
und bald die Zeit für den Zug nach Süden anbrechen wird,
anziehen, packen, der Wind unter den Flügeln,
bald werden wir uns einsperren, einheizen, die Reißverschlüsse hochziehen
und was sterben wird müssen, wird in den Tonnen landen
(ausgelatschte Sandalen, Gras, lange Tage, Vögel mit verletzten
Flügeln), was abreisen wird, wird im Süden landen
mit kalten Füßen in Holzkisten oder
mit Brummen in den Ohren und einem hinterhältigen Heimweh,
dann werden wir unsere Trauer teilen, wir hier,
der winterlichen Infrastruktur der Städte zugewandt,
und jene im Süden, in Kontakt mit Luft und Sonne,
in der Erde modernd,
auf dem Müllplatz deponiert,
mit der Schwere eines weiteren Sommers im Untergang
wie mit einem großen weißen Kater
(mit einem Vogel im Magen),
der einem auf der Brust schläft.
Plötzlich in einem leeren Haus
Vielleicht ist es Zeit, aber ich gehe noch nicht.
Ich lausche dem gleichmäßigen Motorbrummen
in Snyders Gedichten, von Zeit zu Zeit starre ich
in die verschneite Landschaft, ich weiß, dass ich irgendwohin gegangen war, gearbeitet
hatte, irgendwo war, damit ich dann zurückkehren konnte und das Wasser zum Duschen
ist stets gewärmt. Ich starre die Tropfen auf meiner Haut an,
die Tropfen auf ihrer Haut, ihre Lippen sind leicht geöffnet, wenn sie kommt,
aber kein Laut. Der Stand der Dinge. Das süße Jenseits.
Übergieße die Pfannkuchen mit heißer Vanillecreme. Lass die Kälte
nicht herein, schließ die Tür. Wenn ich nicht enorm aufpasse,
verwischen die Fußspuren im Schnee, verliert sich
der Geruch ihres Schrittes, ich vergesse die routinehafte Abfolge
des Aufschließens, des Schuheausziehens, des Aufhängens, des Heimkehrens.
Deshalb stehe ich nun am Fenster und warte.
Es ist spät.
Das letzte gelbe Quadrat draußen ist ausgegangen.
Die Kristalle im Schnee funkeln im Mondlicht,
aber ich bin zu weit weg,
um sie zu sehen.
Schschschschschsch
Meine Gedanken sind voller Worte anderer Leute.
Badeschwamm.
Ich schreibe auf Englisch, lese auf Russisch.
Unterwäsche verstehe ich immer noch nicht.
Am liebsten habe ich Wälder, Luft und Baumwolle.
Männer, die einen auf ironisch machen,
Häschen, mit knusprigen
Schenkeln zum Anbeißen.
Eine alte Frau sitzt auf einem Baumstumpf
und sieht mich
mit strengen Augen an.
Wenn nur nicht so schmerzte,
alles, was mich berührt.
Ist der Frühling etwa keine harte, schwere Zeit?
Befruchtung überall.
Und dann das Pfeifen auf all die Idioten,
die so ignorant um dein Nest herumstolzieren.
Das Leben ist kein Spaziergang, wenn man ein Schwan ist.
Ich betrachte die Baumwolle, wie sie an der Sonne glänzt.
Beruhigt mich das?
Weiße Wäsche. Luft.
II. Ein Geräusch aus der Zukunft
Luftkäfig
Alle Kinder auf Rädern erhielten Helme und um die Schienen
wurden Gräben ausgehoben, damit wir nicht dorthin konnten.
Damit wurde die kollektive Erinnerung daran ausgelöscht, wie man auf Schienen geht.
An der Tafel stand mit gelber Kreide