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Das Buch

Der Alptraum aller Eltern – der Beginn der Schulferien. Statt in der Sonne zu liegen und ein Buch zu lesen – neben sich ein schönes kühles Glas Pinot Grigio –, muss Mami ihre zwei gelangweilten Lieblinge bei Laune halten. Panisch meldet sie die Kinder bei Sportfreizeiten und anderen Betreuungsangeboten an und muss sich trotzdem andauernd bei der Arbeit abmelden. Mami ist erschöpft. Aber das ist erst der Anfang …

Nachdem eine unangenehm hilfsbereite Nachbarin Mami überredet hat, sich doch auch im Elternbeirat zu engagieren, muss sie die Schulweihnachtsfeier organisieren und es dabei allen anderen Eltern recht machen – ein Ding der Unmöglichkeit. Als dann auch noch ihr Vater mit seiner neuen (deutlich jüngeren) Flamme anrückt und ihre egozentrische Mutter die Aufmerksamkeit ihrer Tochter einfordert, hat Mami gar keine Verschnaufpause mehr. Kann es noch schlimmer kommen?

Die Autorin

GILL SIMS ist die Autorin des Überraschungsbestsellers Mami braucht ’nen Drink, der ganz Großbritannien im Sturm eroberte und anschließend auch Deutschland mit dem Mami-Fieber infizierte. Sie ist ebenfalls Betreiberin des Kult-Facebook-Blogs Peter and Jane, in dem sie die weniger beglückenden, dafür aber hochkomischen Seiten des Familienlebens beleuchtet. Mit ihrem Mann, zwei Kindern und einem schwer erziehbaren Border Terrier lebt sie in Schottland. Mami muss mal raus ist ihr zweiter Roman, der in Großbritannien direkt nach Erscheinen die Bestsellerliste anführte.

GILL SIMS

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Tagebuch einer gestressten Mutter

ROMAN

Aus dem Englischen von Ursula C. Sturm

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Besuchen Sie uns im Internet:
www.eisele-verlag.de

ISBN 978-3-96161-064-8

Die Originalausgabe »Why mummy swears.
The struggles of an exasperated mum«
erschien 2018 bei HarperCollins Publishers Ltd, London.

© 2018 Gill Sims
© Coverillustration: Tom Gauld / Heart Agency
© Coverdesign: HarperCollins Publishers Ltd 2018
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
© 2019 der deutschsprachigen Ausgabe
Julia Eisele Verlags GmbH, München
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten

INHALT

Über das Buch und die Autorin

Titelseite

Impressum

JULI

Montag, 18. Juli

Freitag, 22. Juli

Montag, 25. Juli

AUGUST

Donnerstag, 4. August

Mittwoch, 10. August

Sonntag, 20. August

Freitag, 26. August

SEPTEMBER

Montag, 5. September

Dienstag, 6. September

Mittwoch, 7. September

Donnerstag, 8. September

Freitag, 9. September

Samstag, 10. September

Montag, 12. September

Dienstag, 13. September

Mittwoch, 14. September

Montag, 19. September

Donnerstag, 22. September

Freitag, 30. September

OKTOBER

Samstag, 1. Oktober

Freitag, 7. Oktober

Sonntag, 9. Oktober

Montag, 10. Oktober

Dienstag, 11. Oktober

Donnerstag, 13. Oktober

Freitag, 14. Oktober

Samstag, 15. Oktober

Samstag, 29. Oktober

Montag, 31. Oktober

NOVEMBER

Freitag, 4. November

Montag, 7. November

Dienstag, 8. November

Mittwoch, 9. November

Donnerstag, 10. November

Freitag, 11. November

Dienstag, 22. November

Mittwoch, 23. November

Samstag, 26. November

DEZEMBER

Freitag, 2. Dezember

Sonntag, 4. Dezember

Donnerstag, 8. Dezember

Freitag, 9. Dezember

Montag, 12. Dezember

Mittwoch, 14. Dezember

Freitag, 16. Dezember

Montag, 19. Dezember

Freitag, 23. Dezember

Samstag, 24. Dezember

Sonntag, 25. Dezember

Dienstag, 27. Dezember

Freitag, 30. Dezember

Samstag, 31. Dezember / Sonntag, 1. Januar

JANUAR

Sonntag, 1. Januar

Freitag, 13. Januar

Donnerstag, 19. Januar

FEBRUAR

Mittwoch, 1. Februar

Freitag, 10. Februar

Samstag, 11. Februar

Samstag, 18. Februar

Mittwoch, 22. Februar

MÄRZ

Mittwoch, 1. März

Freitag, 3. März

Samstag, 11. März

Donnerstag, 16. März

Montag, 27. März

APRIL

Mittwoch, 5. April

Donnerstag, 6. April

Sonntag, 9. April

Mittwoch, 12. April

Donnerstag, 13. April

Donnerstag, 20. April

MAI

Montag, 1. Mai

Samstag, 13. Mai

Dienstag, 23. Mai

Samstag, 2. Mai

JUNI

Donnerstag, 1. Juni

Freitag, 2. Juni – Schulsportfest

Samstag, 10. Juni

Freitag, 16. Juni

Montag, 19. Juni

JULI

Samstag, 1. Juli

Donnerstag, 20. Juli

DANKSAGUNG

Empfehlungen

JULI

Montag, 18. Juli

Noch eine Woche, bis die Ferien anfangen. Ich kann nicht umhin, neidvoll an die Fünf Freunde zu denken, besser gesagt an ihre Eltern, die Julian, Dick und Anne bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ihrer Cousine George schicken. Dort wiederum werden sie ja von Tante Fanny mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Haus gescheucht, damit Onkel Quentin in Ruhe über seinen Erfindungen tüfteln kann, während die Kinder gemeinsam mit Timmy dem Hund allerlei Inseln, Moore und Höhlen erkunden, in denen es von Kriminellen und Strandräubern und Schmugglern wimmelt.

Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich nicht ähnlich verfahren könnte, schließlich habe ich vor einer Weile eine sagenhafte App erfunden, die ein erkleckliches Sümmchen in unsere Haushaltskasse gespült hat. Leider ist die Welt der Apps unbeständig; was heute noch top ist, kann morgen schon ein Flop sein. Ich wette, ich könnte noch einmal einen derartigen Coup landen, wenn es mir erlaubt wäre, Peter und Jane den Sommer über irgendwo in der freien Natur auszusetzen, damit sie sich mal so richtig austoben können, statt immer bloß zu Hause rumzuhängen und sich mit Keksen vollzustopfen. Wirklich ein Jammer, dass es mittlerweile so verpönt ist, seine Kinder am ersten Ferientag mit ein paar Sandwiches ausgestattet auf ein Fahrrad zu setzen und ihnen zum Abschied zu sagen, sie sollen sich bis zum Schulstart nicht mehr blicken lassen. Jane ist inzwischen elf und im idealen Alter, um ein paar Abenteuer im Stil der Fünf Freunde zu erleben. Als ich einmal eine entsprechende Bemerkung fallen ließ, mitten in einer unserer häufigen Auseinandersetzungen zum Thema Du-bist-zu-jung-für-einen-Instagram-Account, wies sie mich auf die zahlreichen Gründe hin, aus denen dieser Plan gegen das Gesetz verstößt, und drohte mit einem Anruf beim Kinderschutzbund.

Gut, rein theoretisch sollte dieser Sommer nicht ganz so stressig für mich werden wie die bisherigen, weil ich nämlich vor drei Monaten die möglicherweise nicht besonders kluge Entscheidung getroffen habe, meinen alten Job an den Nagel zu hängen. Ich hatte große Pläne: Ich wollte professionelle Spiele-Entwicklerin und App-Designerin werden und hoffte, an den Erfolg meiner App Mami braucht ’nen Drink anknüpfen zu können, die ich etwa zwei Jahre zuvor entwickelt hatte. Also reichte ich die Kündigung ein. Die Gelegenheit war günstig: Ich hatte ein kleines finanzielles Sicherheitspolster, um die Zeit bis zur Entstehung des nächsten Online-Spiels zu überbrücken, und Unmengen brillanter Ideen, die sich garantiert in weitere lukrative Apps umsetzen ließen. Als ich mich jedoch ans Entwickeln machte, entpuppte sich jede einzelne davon als totaler Reinfall. Meine mangelnde Produktivität mag auch daher rühren, dass ich nicht über die nötige Selbstdisziplin verfüge, um von zu Hause zu arbeiten, und mein Zeitmanagement ist die reinste Katastrophe. Außerdem fühle ich mich, nachdem ich jahrelang von der Selbständigkeit geträumt habe, jetzt doch etwas einsam so ganz ohne Kolleginnen und Kollegen, mit denen man zwischendurch ein Schwätzchen halten kann. Mir fehlt sogar Jean von der Poststelle, die immer sehr plastisch und ausführlich von ihrer Gallenblase erzählt hat. Dazu kommt, dass man ganz erstaunliche Mengen an Schokoladenkeksen verdrückt, wenn man den lieben langen Tag allein zu Hause hockt. Nicht genug damit also, dass ich bislang keinerlei große Errungenschaften vorweisen kann, ich habe zu allem Überfluss auch noch sechs Kilo zugenommen und bekomme jedes Mal einen Riesenschreck, wenn ich meinen fetten Allerwertesten in einem Spiegel erblicke.

Na, jedenfalls nahen die Ferien mit Riesenschritten, und ich habe bereits Plätze in diversen Sommersportcamps gebucht und mit diversen befreundeten Eltern einen hochkomplizierten Betreuungsplan ausgearbeitet, um sicherzustellen, dass unsere Sprösslinge beaufsichtigt sind und wir trotzdem einigermaßen ungestört unserer Arbeit nachgehen können, ohne Unsummen für ihre Bespaßung ausgeben zu müssen. Natürlich werden wir trotzdem Unsummen dafür ausgeben müssen, weil Kinder nun mal allerhand Entertainment einfordern und zudem in alarmierend kurzen Zeitabständen etwas essen wollen. Ich frage mich bisweilen, wie sie es eigentlich in der Schule aushalten – da können sie sich ja schließlich auch nicht benehmen wie Vogelküken, die pausenlos mit weit aufgerissenem Schnabel nach Futter krächzen.

Freitag, 22. Juli

Der letzte Schultag! Die Kinder haben schon die ganze Woche über stapelweise zerfledderte Übungsbücher und eselsohrige Zeichnungen nach Hause geschleppt. Letztere sind allesamt mit reichlich Glitzer bestreut, der nun über unser gesamtes Haus verteilt ist, und selbstredend muss jede einzelne davon unbedingt für die Nachwelt aufbewahrt werden, da sie laut Jane ein Vermögen wert sein könnten, wenn sie erst einmal eine berühmte Influencerin ist. Ich kann mir zwar nur sehr schwer vorstellen, dass es außer mir noch Menschen geben könnte, für die ihre lieblose Reproduktion von Van Goghs Sonnenblumen (die sich durch nichts von der ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler unterscheidet) von Wert sein könnte, aber wie es scheint, zeugt es von mangelndem Respekt vor ihren Träumen und ihren kindlichen Fähigkeiten, sie nicht aufzuheben. Dennoch wird nachts diskret das eine oder andere Werk in der Mülltonne vor dem Haus entsorgt, während ich offiziell alles sorgfältig auf dem Dachboden eingelagert habe.

Peter hat zudem eine Hausarbeit bekommen – er soll sich um eine kleine Pflanze kümmern, und zwar nicht nur über die Ferien, sondern auch während des gesamten kommenden Schuljahrs. Großartig. Ich bin nicht gerade für meinen grünen Daumen bekannt. Selbst Kakteen verkümmern unter meiner Betreuung und gehen ein. Ich habe Peter gefragt, ob er weiß, um was für eine Pflanze es sich handelt, für den Fall, dass ich einen Ersatz besorgen muss, und seine wenig hilfreiche Antwort lautete: »Eine grüne, Mami.« Ich schätze, das wird mir nicht viel nützen, wenn ich in absehbarer Zukunft mit einem verdorrten Etwas als Muster landauf, landab durch die Gartencenter ziehe. Vielleicht ist das jetzt die Retourkutsche dafür, dass ich, als ich neun Jahre alt war, unseren Klassenhamster Hannibal ausbüxen ließ, als ich ihn mal übers Wochenende mit nach Hause nehmen durfte. Da er nicht mehr auftauchte, musste meine Mutter damals auf der Suche nach einem passenden Ersatz sämtliche Tierhandlungen der Stadt abklappern. Mum behauptete noch Jahre später, sie könne ihn nachts durch das Haus trippeln hören, aber ich glaube, das hat sie nur gesagt, damit ich aufhörte zu heulen, nachdem ich eines Tages gesehen hatte, wie sich ihr hinterhältiger Siamkater Alphonso mit hochzufriedener Miene etwas von den Pfoten leckte, das verdächtig nach Hamsterfell aussah.

Montag, 25. Juli

Der erste Ferientag. Ich schätze, es hätte schlimmer sein können. Als Kind hatte ich ein Buch mit dem Titel Der erste Ferientag, in dem zwei kriminell veranlagte Pinguine ein Motorrad klauten und damit einen Unfall bauten, und heute gab es zumindest weder Diebstähle noch Unfälle, aber dafür unheimlich viel Gequengel und Genöle.

Ich hatte einen Tag Urlaub genommen, weil ich dachte, es wäre schön für die Kinder, wenn wir am ersten Ferientag etwas zusammen unternehmen. Jane wollte ins Kino, Peter ins Laserdrom. Ich schmetterte beide Vorschläge ab und argumentierte, ein gemeinsamer Museumsbesuch sei doch viel lustiger und lehrreicher.

Mit von der Partie waren auch Sophie und Toby, ihre besten Freunde, deren durchgängige Betreuung während der schulfreien Zeit sich besonders kompliziert gestaltet, weil ihr Vater Sam alleinerziehend ist.

»Laaaaangweilig!«, maulten meine lieben Kleinen, und Sophie und Toby dachten ganz offensichtlich dasselbe, waren aber zu wohlerzogen, um es offen auszusprechen.

»Wieso müssen wir unbedingt ins Museum? Museen sind kacke«, tat Jane verächtlich kund.

»Können wir wenigstens unsere iPads mitnehmen?«, fragte Peter mit Quengel-Stimme.

»ES WIRD TOTAL LUSTIG UND INTERESSANT UND AUFSCHLUSSREICH!«, bellte ich. »AN SOLCHEN TAGEN ENTSTEHEN GLÜCKLICHE ERINNERUNGEN! Und außerdem macht sich auf diese Weise endlich meine Mitgliedschaft beim National Trust bezahlt, nachdem euer Vater die ganze Zeit rummeckert, ich hätte mir das Geld dafür getrost sparen können.«

Kaum hatten wir das Museum betreten, fiel mir wieder ein, warum meine National-Trust-Mitgliedskarte so selten zum Einsatz kommt: Museen sind tendenziell mit sehr kostbaren, zerbrechlichen Gegenständen vollgestellt, die mit Kindern wenig bis gar nicht kompatibel sind, schon gar nicht mit kleinen Jungs. Ich hatte mir ausgemalt, dass sich meine vier Schützlinge mit glänzenden Augen an den Ausstellungsstücken ergötzen würden, die die erhabene Geschichte unseres Landes illustrieren, stattdessen zischte ich in einer Tour: »Finger weg! NICHT ANFASSEN, NICHT ANFASSEN, HAB ICH GESAGT! UND BLEIB GEFÄLLIGST HINTER DEM SEIL! STEH AUF, HERRGOTT NOCH MAL! DA DARF MAN SICH NICHT HINSETZEN!«, während solide gekleidete Rentner mit der Zunge schnalzten und im Geiste bereits einen Leserbrief an die Daily Mail verfassten. Vielleicht sollte ich eine App entwickeln, die Alarm schlägt, wenn sich ein Kind einem teuren, zerbrechlichen Gegenstand nähert. Eine, die anfängt zu piepsen und zu vibrieren und anstelle der Eltern NICHT ANFASSEN! zetert. So was könnte sich nicht bloß bei Museumsbesuchen als hilfreich erweisen, sondern beispielsweise auch, wenn man mit seinen Kindern die Geschirrabteilung von John Lewis betritt. Wobei es Eltern, die dämlich genug sind, sich in Begleitung ihrer Blagen in eine Geschirrabteilung zu wagen, vermutlich verdient haben, wenn ihnen unweigerlich alles um die Ohren fliegt.

Die liebevoll zubereitete Jause hatten die Kinder bereits auf dem Weg zum Museum verzehrt, weil sie, sobald wir das Haus verlassen hatten, schon »einen Bärenhunger« hatten, also musste ich wohl oder übel mit ihnen in die Museums-Cafeteria. Mit vier Kindern im Schlepptau ein Selbstbedienungs-Restaurant aufzusuchen kann ich nicht empfehlen. Rein theoretisch müssten sie mit ihren elf beziehungsweise neun Jahren ja bereits einigermaßen selbständig sein, doch in der Praxis waren sie heillos überfordert, als sie sich mit einem Tablett in die Schlange stellen und sich für einen Saft entscheiden sollten. Sind ja auch äußerst komplexe Aufgaben. Bis wir endlich an unserem Tisch saßen, hasste uns das halbe Land. Der Nudelauflauf, den Jane unbedingt hatte haben müssen (»Ich werde ihn auch ganz bestimmt essen, versprochen!«), wurde auf der Stelle als ungenießbar erklärt, weil Jane glaubte, ein Fitzelchen rote Paprika darin zu erspähen (»Du weißt doch, dass ich rote Paprika nicht mag, Mami!«), und Sophie verbrannte sich den Mund an ihrer Suppe, obwohl ich sie ermahnt hatte, zu warten, bis sie etwas abgekühlt war. Ich kippte Sophie kaltes Wasser in die Kehle, kratzte mit dem Messer die Mayonnaise von meinem Sandwich, damit Jane es essen konnte, fauchte: »Nein, ihr kriegt keine Cola!«, versprach Peter und Toby, die den Inhalt ihrer Kinder-Lunchboxen in drei Bissen hinuntergeschlungen hatten und sich erwartungsvoll nach Nachschub umsahen, sie würden zu Hause Chips bekommen, und widerstand dem Drang, einfach aus der Cafeteria zu marschieren und draußen ein paar Mal den Kopf in die malerische Backsteinmauer zu rammen. Wahrscheinlich hätte ich dann Ärger bekommen, wegen Beschädigung von Eigentum des National Trust.

Ich provozierte weitere entrüstete Blicke, als ich die Kinder zum Gehen aufforderte, indem ich »Okay, Abmarsch, ihr vermaledeiten Satansbraten« rief. Ich weiß nicht, ob die Leute angesichts meiner Anrede so geschockt waren oder eher, weil die Kinder tatsächlich darauf reagiert haben.

Wie lange dauern die Ferien noch gleich?

AUGUST

Donnerstag, 4. August

Diese Woche sind die Kinder in einem Sportcamp. Eine prima Einrichtung, so ein Camp. Ausgedacht hat sich das alles irgendein gehässiger Bastard, der ahnungslosen Eltern die Idee als »bezahlbare Kinderbetreuung für die Ferien« verkauft. Von wegen »bezahlbar« – man blättert eine absolut unverschämte Summe dafür hin, dass die Kinder mit allerlei Aktivitäten auf Trab gehalten werden, für die sie sich fünf Mal täglich umziehen müssen und unter anderem Schwimmklamotten benötigen, die ich Abend für Abend aus ihren Taschen fischen, waschen und zum Trocknen aufhängen muss, weil sie sonst darin verschimmeln würden.

Jedes Mal, wenn ich die Kinder für eine dieser Sportwochen anmelde, hege ich insgeheim die Hoffnung, dass sie irgendwelche verborgenen Talente offenbaren und Tennis- / Fußball- / Gymnastik-Nachwuchssuperstars werden. Bis jetzt ist nichts dergleichen geschehen, teils deshalb, weil sie den Großteil des Tages nur herumhängen und Chips essen, und vor dem Nachhausegehen betteln sie mich dann um Geld an, damit sie sich etwas aus einem Automaten ziehen können. Man möchte meinen, sie wären nach so einem Tag beim Sport total ausgepumpt. Tja, falsch gedacht – sie sind vollkommen überdreht von den Energy-Drinks, die sie sich verbotenerweise gekauft haben, obwohl ich ihnen vernehmlich »Aber nur eine Packung Hula Hoops, ja, Schätzchen? Nein! Hula Hoops hab ich gesagt! Nein, diese Dose bleibt zu, hörst du? DU SOLLTEST SIE DOCH ZULASSEN, VERFLUCHT NOCH MAL!« nachgebrüllt hatte.

Simon ist übrigens beruflich in Madrid. Keine Ahnung, was er auf seinen superwichtigen Geschäftsreisen so treibt, aber ich vermute mal, es ist nicht halb so anstrengend, wie er behauptet, zumal er immer in schönen Hotels absteigt (meine Freude war groß, als ich neulich eine SMS mit dem Wortlaut »Ha, Upgrade! Hab diesmal ’ne Suite!« erhielt). Außerdem darf er andauernd in schicken Restaurants, in denen es keine Pommes gibt, essen gehen, und es bleibt ihm erspart, dem Kellner einschärfen zu müssen, dass jedwede Soßen von den Gerichten der Kinder fernzuhalten sind, denn ihre Burger könnten ja vergiftet werden, wenn sie mit Mayonnaise oder Relish in Berührung kommen. Dabei ertränken Peter und Jane ihr Essen für gewöhnlich in Ketchup und können ohnehin keinen anderen Geschmack wahrnehmen. Ich träume ja davon, auch mal in einem Hotel zu übernachten. Bei meinem alten Job durfte ich keine Geschäftsreisen unternehmen, aber ich hatte die vage Vorstellung, dass ich mit meiner neuen Tätigkeit als App-Designerin ein bisschen rumkomme – Konferenzen, vielleicht sogar die eine oder andere Convention … Las Vegas scheint für derlei eine begehrte Location zu sein, und ich hatte schon die Vision, Simon von dort ein paar SMS zu schicken, womöglich sogar aus einer Suite, um ihm vorzuschwärmen, wie toll es doch ist, mal wieder ein Essen mit Soße zu genießen. Stattdessen sitze ich hier zu Hause, mutterseelenallein mit meinen Keksen, und stiere mutlos auf einen leeren Bildschirm, während ich mich frage, was zum Geier ich hier eigentlich mache, und versuche, den Gedanken an meine Abfindung zu verdrängen, die inzwischen fast vollkommen für Kekse draufgegangen ist.

Ehrlich gesagt hatte ich die Kinder für das Sportcamp angemeldet, damit ich mich ungestört meiner neuen Berufung widmen kann, aber das hat leider nicht funktioniert. Geht es nur mir so, oder haben auch andere Leute das Problem, dass sie rein gar nichts auf die Reihe kriegen, wenn sie von zu Hause arbeiten? Heute habe ich mal wieder die meiste Zeit aus dem Fenster geschaut oder den Online-Auftritt der Daily Mail nach Artikeln über B- und C-Promis durchforstet, die »frische Luft schnappen gehen« (sprich: shoppen), »ihre Kurven präsentieren« (ebenfalls shoppen, aber in einem etwas engeren Oberteil) oder »eine Fehde anzetteln«, deren Opfer ein anderer B- oder C-Promi ist (soll heißen, sie posten auf Twitter einen fragwürdigen Kommentar, um ihn eine Stunde später wieder zu löschen, nachdem die Daily Mail davon Notiz genommen hat). Abgesehen davon habe ich ziemlich viel Solitaire gespielt und um Viertel vor drei noch rasch ein paar Mails verschickt, ehe ich aufbrach, um die Kinder abzuholen. Dämlicherweise war eine davon an Simon, meinen geliebten und stets hilfsbereiten Ehemann gerichtet. Er antwortete auf meine Nachricht, in der ich über meine mangelnde Produktivität geklagt hatte, ja, es gehe nur mir so, er selbst habe kein Aufschieberitis-Problem. Das ist eine fette Lüge. Ich weiß genau, wie es aussieht, wenn er mal Home-Office macht: Er verbringt genauso viel Zeit mit dem Lesen der Daily Mail wie ich, und ansonsten guckt er sich auf Autocar Sportflitzer an, die er sich nicht leisten kann, oder er geht in die Küche, stiert in die Schränke, in denen sich BIS OBENHIN LEBENSMITTEL ALLER ART STAPELN (außer Keksen vielleicht, denn die wandern ja alle in meinen Bauch), und beschwert sich mit kläglicher Miene, wir hätten ja mal wieder gar nichts zu essen im Haus.

Meine einzige Interaktion mit einem erwachsenen Menschen bestand heute in der kurzen Unterhaltung mit einer forschen »Betreuerin« im Sportcamp, die mir mitteilte, dass Peter aus Gründen, die nur ihm allein bekannt sind, mal wieder den Boden geküsst hat. Mit solchen Problemen musste sich Enid Blytons Tante Fanny nie rumschlagen.

Vorhin kam ich dann nach zwei Gläsern Weißwein und einem unerfreulichen Online-Banking-Vorstoß, bei dem sich all meine Befürchtungen in Bezug auf meinen Kontostand bestätigten, zu dem Schluss, dass sich etwas ändern muss. Also habe ich mich bei einer Personalvermittlung registriert in der Hoffnung auf einen Teilzeitjob, der ein bisschen Geld einbringt, mir aber noch reichlich Zeit lässt, um mir eine brillante Idee für eine neue App auszudenken. Und der Geschäftsreisen an allerlei exotische Orte erfordert. Das stand unter »meine Vorstellungen« zwar nicht zur Auswahl, aber ich finde, es sollte in die Kriterienliste aufgenommen werden.

Mittwoch, 10. August

Da mir heute partout keine Beschäftigung für meine herzallerliebsten Kinderlein einfallen wollte, sind wir einfach in den Park gegangen. Ich hasse den Park. Der Park ist eine Zufluchtsstätte für Mamis, die von ihren lieben Kleinen derart in den Wahnsinn getrieben wurden, dass sie sich mit Zeugen umgeben müssen, damit sie nicht in Versuchung geraten, etwas zu tun, das sie später bereuen könnten. Bisweilen frage ich mich, wie viel Zeit meines Lebens ich seit Janes und Peters Geburt wohl schon damit zugebracht habe, frierend in Parks herumzusitzen. Ich will es mir gar nicht ausrechnen; es wäre zu deprimierend. Interessanterweise reden immer alle davon, dass Frauen während der Schwangerschaft Hämorrhoiden bekommen können, aber kein Schwein erwähnt je, dass das Hämorrhoiden-Risiko viel höher ist, wenn die Kinder erst einmal auf der Welt sind, weil man nämlich stundenlang auf kalten, feuchten Parkbänken herumhockt. Wenigstens ist jetzt im Sommer die Gefahr, dass ich mir Hämorrhoiden oder Frostbeulen zuziehe, vergleichsweise gering.

Da ich heute den Hund dabei habe, darf ich das allerheiligste Areal des Kinderspielplatzes nicht betreten, also lungere ich mit ihm vor dem Eingang herum, während uns die Mamis etlicher Kleinkinder immer wieder mit schmalen Augen mustern, nur für den Fall, dass Mister Wuffington auf die Idee kommt, sich loszureißen, um in den Sandkasten zu kacken. Mir ist selbstverständlich klar, dass Hundescheiße gefährlich sein kann, und natürlich heiße ich es nicht gut, wenn Hundebesitzer ihre Viecher nicht davon abhalten, einen Haufen im Sandkasten eines Spielplatzes zu deponieren, trotzdem nervt es mich tierisch, wie diese Helikoptermütter sofort Panik verbreiten, wann immer sich ein Hund auch nur in die Nähe des Eingangs zum Spielplatz wagt. Zum Glück sind Peter und Jane inzwischen alt genug und müssen nicht mehr ständig beaufsichtigt werden. Peter schafft es auch ganz allein, sich beim Klettern auf den Turngeräten etwaige Gliedmaßen zu brechen, und Jane ist ohnehin damit beschäftigt, mit dem alten iPhone, das sie mir abgeschwatzt hat, Selfies von sich und Sophie zu machen. Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie es im Park nun wirklich nicht benötigt, aber sie besteht darauf, es überallhin mitzunehmen.

Während die Kinder spielten, warf ich einen kurzen Blick in meine Inbox. Es waren keine wichtigen E-Mails eingegangen. Ein nigerianischer General, der seine Millionen auf meinem Konto zwischenparken wollte, interessierte sich für meine Bankdaten (Ich müsste eigentlich eine App entwickeln, die solche Spammer zuspamt!), und bei Gap gab es mal wieder alles Mögliche im Ausverkauf (Ganz was Neues. Gibt es überhaupt Leute, die schon mal den vollen Preis für ein Kleidungsstück von Gap bezahlt haben?). Die Personalvermittlung hatte mir auch eine Nachricht geschickt. Ich wollte sie schon löschen (Die Angebote, die mir die Firma bisher unterbreitet hatte, waren allesamt unbrauchbar gewesen – mal gab es keinerlei Übereinstimmung zwischen den Anforderungen und meinen Qualifikationen, mal war das betreffende Unternehmen 800 Kilometer weit weg, mal hätte ich nur ein Drittel dessen verdient, was mir mein alter Arbeitgeber bezahlt hatte. Wozu hatte ich eigentlich die Formulare so sorgfältig ausgefüllt und so ausführliche Angaben zu meiner Ausbildung, meinen Interessen und zum gewünschten Salär und Aufgabenbereich gemacht?), dann öffnete ich die E-Mail aber doch, in erster Linie deshalb, weil ich den Anschein erwecken wollte, ich hätte etwas Wichtiges zu tun, und auch, um Blickkontakt mit anderen Eltern zu vermeiden, damit ich mich nicht mit ihnen unterhalten musste, und siehe da, MAN BOT MIR DOCH GLATT MEINEN TRAUMJOB AN!

Es war die perfekte Stelle – in einem der angesagtesten Start-up-Unternehmen der vergangenen fünf Jahre, das sich nicht wie meine bisherige Firma in einem grauen Betonklotz in einer grauen Industriezone befand, sondern in einem dieser sexy, topmodernen Bürokomplexe mit glänzenden verglasten Fassaden.

Das betreffende Gebäude war nur zwanzig Minuten mit dem Auto von uns entfernt; ich war oft daran vorbeigefahren und hatte mir im Geiste die Nase an den verspiegelten Fensterscheiben plattgedrückt. Innen ist es genauso cool, wie es von außen aussieht (Ja, ich geb’s zu, ich hab’s gegoogelt. Mehrfach.), und die Büros sind hell und geräumig und mit riesigen weißen Schreibtischen ausgestattet, an denen lauter schöne Menschen arbeiten. Okay, das mit den schönen Menschen ist bloß eine Vermutung, aber ich bin ziemlich sicher, dass alle Angestellten supercool und trendy sind und Hipster-Brillen und ethisch vertretbare Hosen tragen. Ich wette, sie haben Whats-App-Gruppen, in denen all das diskutiert wird, was anderenorts ein zweistündiges Meeting erfordert (und was sich im Grunde mit einer E-Mail abklären ließe). Und wenn doch mal ein Meeting anberaumt wird, dann lümmeln sie garantiert auf Sitzsäcken rum oder so. Hm. Will ich für ein Unternehmen arbeiten, in dem Sitzsäcke im Konferenzraum rumliegen? Ich bin fast zweiundvierzig. Käme ich noch einigermaßen würdevoll von so einem Ding hoch? Ach, egal, wahrscheinlich haben sie gar keine Sitzsäcke.

Jedenfalls könnte es durchaus sein, dass ich dort zur Abwechslung mal eine spannende, kreative Tätigkeit ausübe, die mich geistig fordert. In meiner alten Firma war es ja schon das höchste der Gefühle, wenn ich dem windigen Ed aus der Buchhaltung weiszumachen versuchte, es sei unmöglich, sämtliche Beweise dafür zu vernichten, dass er mit dem Laptop »unabsichtlich« diverse Hardcore-Pornos runtergeladen hatte. In einem Anfall von Arglist habe ich damals sogar behauptet, das Internet würde sich einfach alles merken, selbst wenn er einen neuen Laptop besorgt und den alten in einem Fluss versenkt.

Die Bezahlung ist auch echt gut, was schön wäre, denn die Abfindung ist wie gesagt inzwischen beinahe aufgebraucht, und bei der Vorstellung, kein eigenes Einkommen zu haben, ist mir äußerst unwohl. Mein Gehalt würde zwar ohnehin auf das Gemeinschaftskonto wandern, aber ich habe immer meinen Beitrag geleistet, und es widerstrebt mir ganz entschieden, finanziell von Simon abhängig zu sein. Der einzige Nachteil des Jobs ist, dass es eine Vollzeitstelle wäre.

Schon deshalb hätte ich die ganze Angelegenheit wohl erst einmal mit Simon besprechen sollen, aber ich war so aufgekratzt, zumal sich mein perfekter neuer Arbeitgeber quasi vor der Haustür befand (und außerdem war ich im Geiste bereits damit beschäftigt, mein tolles neues Gehalt mit beiden Händen auszugeben), dass ich die Agentur einfach bat, mich für die Stelle zu empfehlen. Hach, wär das klasse, wenn es klappen würde! Peter und Jane sind mittlerweile ja fast den ganzen Tag in der Schule, und da ich mehr verdienen würde als bisher, stünde uns künftig ein deutlich größeres Budget für die Kinderbetreuung zur Verfügung. Es mag übertrieben optimistisch sein, aber ich drücke mir selbst die Daumen.

Sonntag, 20. August

Ich bin herrlich ausgeruht, entspannt und voller Tatendrang nach meinem wunderbar erholsamen Urlaub mit meinen süßen Kindern und meinem geliebten Ehemann. Was war das doch wieder für eine fabelhafte Woche, erfüllt von ausgiebigem Herumtollen und fröhlichem Geplänkel! Eines Tages werden Jane und Peter versonnen lächelnd an diese goldenen, sonnendurchströmten Stunden zurückdenken, daran, wie sie sich kichernd und johlend an den Sandstränden Cornwalls austoben durften, in geschmackvollen Strickwaren, mit dem Wind im Haar und ihrer gesamten Jugend vor sich! #happymemories fürwahr. Ähem. Man könnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass es so war, wenn man sich die Bilder ansieht, die ich auf Instagram gepostet habe – Bilder, die illustrieren, welche Art Urlaub ich mir gewünscht habe, im Gegensatz zu dem, den ich tatsächlich hatte. Der bestand nämlich, einmal abgesehen von endlosem Wäschewaschen und dem Versuch, mit einem Spieleset, bei dem die Hälfte der Teile fehlte, Mausefalle zu spielen, in erster Linie daraus, in der Küche unseres Feriendomizils zu kochen und dabei zu fluchen wie ein Kesselflicker, weil die Messer allesamt stumpf waren. Apropos, wie kommt es eigentlich, dass die Küchen von Ferienwohnungen ausnahmslos immer mit stumpfen Messern ausgestattet sind? Fürchten die Besitzer, ihre Gäste könnten dem Druck, sich andauernd blendend amüsieren zu müssen und jede Menge #happymemories einzufahren, nicht standhalten und ihre Familie abschlachten? Vielleicht, weil sie es wie ich satt haben, in einer Tour gefragt zu werden, warum wir unbedingt nach Cornwall fahren mussten (Weil wir nun mal der Mittelschicht angehören, Liebes, und weil wir ein bisschen snobistisch veranlagt sind.) und ob wir nicht nächstes Mal wie alle anderen einen Center-Parcs-Urlaub machen könnten (Nein, Schätzchen, du weißt doch, dein Vater hasst Menschen.). Dann wäre da noch das ständige Gejammer, weil es kein W-Lan gibt (Wir sind ja nicht hier, um andauernd auf ein Tablet zu glotzen, sondern um uns zu unterhalten, Liebes, und ja, ich war vorhin kurz draußen auf der Suche nach einer Stelle mit 4G-Empfang, aber doch nur, weil ich meine Fotos bei Instagram hochladen will, denn wie sollen die anderen sonst erfahren, wie schön wir es hier haben? UND OB wir es schön haben! OH, DOCH, WIR HABEN ES SCHÖN, WEIL ICH DAS VERDAMMT NOCH MAL SAGE! Nein, du kannst dir nicht mein Handy borgen, um Pokémon Go zu spielen. Weil es in Cornwall keine Pokémon gibt. Nein, natürlich lüge ich dich nicht an, warum sollte ich?).

Wäre ich nicht ebenso versiert wie alle anderen, was das Pimpen von Fakten auf diversen sozialen Plattformen angeht, dann wäre ich überzeugt, dass alle übrigen Kinder des Landes tatsächlich die gesamten Sommerferien in einer von goldenem Sonnenschein durchfluteten Enid-Blyton-Welt zubringen und in Begleitung ihrer Eltern lachend über Blumenwiesen und Strände tollen, Sandburgen bauen und ihre Drachen steigen lassen, genau wie meine Kinder es laut Facebook und Instagram getan haben. Es lebe der Fotofilter!

Wie dem auch sei, inzwischen sind wir wieder zu Hause und vollkommen erschöpft von der langen, anstrengenden Fahrt. Es hat den Anschein, als hätten wir den gesamten Sand Cornwalls in unseren Wagen verfrachtet, und ich muss tonnenweise Wäsche waschen und habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wozu wir eigentlich in Urlaub fahren, wenn wir hinterher einen weiteren Urlaub brauchen, um uns davon zu erholen. Aber zumindest sind mir ein paar schöne Schnappschüsse gelungen. Die Kinder haben sich zwar ständig beschwert, weil ich so viele Fotos von ihnen gemacht habe, aber ich brauche die Fotos für meinen Lebensabend, denn wenn ich einmal alt und grau und senil bin und sie erwachsen sind und mich verlassen haben, dann kann ich mich wenigstens anhand dieser Bilder an ihre Kindheit erinnern. Auf einer der Aufnahmen ist sogar Simon ziemlich gut getroffen, was ein Wunder ist, denn normalerweise schneidet er dämliche Grimassen, wann immer ich den Sucher einer Kamera auf ihn richte. Tja, ich schätze, es ist klar, woher die Kinder es haben.

Aber wie dem auch sei, auf dem Rückweg rief jemand von der Personalagentur an und teilte mir mit, ich sei zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen! Simon seufzte und sagte, das allein habe noch nicht viel zu bedeuten, und er warnte mich davor, mir allzu große Hoffnungen zu machen, aber scheiß drauf. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn mir Simon mal wieder in die Suppe spucken musste. Es wäre schön, wenn er zur Abwechslung ein bisschen positiv denken und mir Mut zusprechen würde, statt immer nur die Nachteile zu sehen und katastrophale Folgen zu prophezeien. Ein kleines bisschen Zuversicht ist doch verdammt noch mal nicht zu viel verlangt, oder? Na, egal, viel wichtiger als die Meinung meines Muffels von Ehemann ist doch wohl die Frage, was ich zum Vorstellungsgespräch anziehen soll.

Wie durch ein Wunder ist Peters Pflanze noch am Leben, obwohl sich eine Woche lang niemand um sie gekümmert hat.

Freitag, 26. August

Wie viele Wochen dauern die Ferien jetzt schon? Eine gefühlte Ewigkeit jedenfalls. Der einzige Lichtblick ist die Aussicht auf das Vorstellungsgespräch und die mögliche Rückkehr in die Welt der erfolgreichen, ernstzunehmenden Erwachsenen. Ich werde eine Powerfrau sein, statt den ganzen Tag nur Snacks zu verteilen und Streit zu schlichten.

Da die Sonne schien, wollten die Kinder eine Wasserschlacht im Garten veranstalten, und ich willigte ein – wider besseres Wissen, ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass so eine Wasserschlacht gerne mal direkt in die Notaufnahme führt, und wenn sie nicht mit gebrochenen Gliedmaßen endet, dann zumindest mit Blutvergießen und blauen Flecken, aber ich hatte nicht die Kraft, ihnen ihren Wunsch abzuschlagen.

Also bespritzten sie sich gut zehn Minuten lauthals kreischend mit dem Gartenschlauch, dann wurde ihnen langweilig und kalt, und sie kamen zu dem Schluss, es wäre doch viel lustiger, klatschnass und voller Gras und Schlamm durchs Haus zu trampeln, sich mit unzähligen sauberen Frotteetüchern abzutrocknen und frische Klamotten anzuziehen, und kaum hatte ich die Spuren, die sie dabei auf dem Küchenboden hinterlassen hatten, aufgewischt, verkündeten sie, sie wollten als Nächstes mit der Plastikwasserrutsche, die hierzulande unter dem Namen Slip’N Slide vertrieben wird, spielen.

Ich untersagte es ihnen, war ich doch heilfroh, dass sie die Wasserschlacht unbeschadet überstanden hatten, und nicht gewillt, das Schicksal erneut auf die Probe zu stellen, indem ich die schmale Plastikplane des Verderbens hervorkramte, die eigentlich in »Slip’N Break Your Neck« umbenannt werden sollte. Stattdessen zählte ich die zahlreichen ungefährlichen Aktivitäten auf, denen sie im Garten frönen konnten: Sie konnten Swingball spielen, sie konnten auf dem hässlichen blaugelben Trampolin rumhüpfen, das jegliche geschmackvolle Zen-Vibes in meinem Garten zunichtemachte, oder sich unter einen Baum setzen und verdammt noch mal ein Buch lesen. Und nein, sie würden diesen herrlichen Sommertag auf gar keinen Fall drinnen vor der Glotze oder dem Computer verbringen, und ich würde den Teufel tun und mit ihnen irgendwohin fahren oder auch nur einen einzigen Penny für ihre Unterhaltung ausgeben.

»Heute spielt ihr mal im Garten, und damit basta.« Mit diesen Worten verzog ich mich ins Haus und setzte mich an den Computer, um zu »arbeiten«. In Wahrheit googelte ich »coole Outfits für Bewerbungsgespräche« (ausnahmslos alle wurden präsentiert von extrem dünnen Frauen in alarmierend hohen Stöckelschuhen und superschicken Blazern, die ich mit meiner Oberweite vermutlich zum Platzen bringen würde). Ich war auf der Suche nach etwas, in dem ich rücksichtslos professionell und zugleich jugendlich wirken würde. Ein wenig beunruhigend fand ich die Tatsache, dass die Frauen auf den Fotos allesamt Papp-Kaffeebecher in der Hand hielten. Ist das heutzutage ein unverzichtbares Accessoire? Laufe ich Gefahr, nicht ernst genommen zu werden, wenn ich ohne einen großen Latte Macchiato mit Sojamilch to go aufkreuze? Außerdem hatte ich angenommen, alle großen Kaffeeketten seien inzwischen als skrupellose Steuerhinterzieher verschrien. Womöglich komme ich gar nicht erst in die engere Auswahl, sondern werde aussortiert, noch ehe ich den Mund aufgemacht habe, nur weil ich mit der falschen Sorte Kaffee aufgetaucht bin. Über all das und noch viel mehr zerbrach ich mir gerade den Kopf, als nach einer guten halben Stunde ein furchteinflößendes Geräusch in mein Bewusstsein drang: Stille. Wenn meine süßen Kleinen in der Nähe sind, ist es niemals still, es sei denn, etwas ganz und gar Grauenhaftes ist gerade im Gange. Ich riss die Hintertür auf und spähte in den Garten, wo Jane gerade mit resignierter Miene versuchte, die hoffnungslos verhedderte Schnur ihres Jo-jos zu entwirren. 

»Wo ist Peter?«, fragte ich. 

Sie zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«

»Vorhin war er doch noch hier draußen, nicht? Wo ist er hin?«

Jane zuckte erneut die Schultern und brummte: »Ich schätze mal, er ist drinnen und daddelt auf seinem iPad rum. Was übrigens total unfair wäre. Zum Ausgleich dafür müsstest du mir dann auf jeden Fall erlauben, doppelt so lang mit dem iPad zu spielen, zur Belohnung dafür, dass ich brav im Garten geblieben bin, wie du es von uns verlangt hast …« Ich ließ sie labern und eilte ins Haus, um Peter zu suchen. Ich bellte und rief seinen Namen, doch er antwortete nicht. Er war weder in seinem Zimmer, noch war er im Wohnzimmer oder auf dem Klo, und er war auch nicht damit beschäftigt, etwas aus Janes Zimmer zu entwenden, um sie zu ärgern.

»JANE!«, schrie ich. »Bist du SICHER, dass du nicht gesehen hast, wo er hin ist?«

Jane betonte erneut, sie habe keine Ahnung, und fügte hastig hinzu, falls ihm etwas passiert sein sollte, dann sei das definitiv nicht ihre Schuld.

Mir wurde heiß und kalt. Der rationale Teil meines Gehirns ratterte Statistiken runter, um mich daran zu erinnern, dass es meinem Sohn mit großer Wahrscheinlichkeit gut ging, aber der Rest von mir war ein nervliches Wrack, denn MEIN KLEINER JUNGE WAR VERSCHWUNDEN, und ich konnte der Polizei noch nicht einmal sagen, was er anhatte, weil er sich nach der verfluchten Wasserschlacht vorhin umgezogen hatte.

Warum hatte ich die beiden nicht einfach mit der Wasserrutsche spielen lassen? Ein Nachmittag in der Notaufnahme wegen etwaiger lädierter Arme oder Beine wäre hundertmal besser als die Horrorszenarios, die mir jetzt durch den Kopf gingen: ein verhängnisvoller Gartenteich; ein Laster, der mit kreischenden Bremsen zum Stehen kam und wieder Gas gab; ein jugendlicher Proll, der in seiner aufgemotzten Rostlaube durch Vorortstraßen raste, viel zu schnell, um der kleinen Gestalt auszuweichen, die hinter einem Ball her auf die Straße lief. Ich fragte mich flüchtig, ob es in der Nähe einen Minen- oder Grubenschacht gab, in den Peter hätte fallen können, und ob unser Hund wohl in der Lage wäre, seine Spur aufzunehmen. Vermutlich nicht. Mister Wuffington hegt eine tiefsitzende Abneigung gegen Peter, die auf Gegenseitigkeit beruht.

Während mir all diese Gedanken durch den Kopf schwirrten, rannte ich auf die Straße und rief ein ums andere Mal den Namen meines Sohnes, darum bemüht, nicht allzu hysterisch zu klingen. Er konnte allerhöchstens seit einer Viertelstunde weg sein, es war also noch zu früh, um die Polizei zu alarmieren, sagte ich mir. Katie, meine Nachbarin von gegenüber und Schwester im Geiste, hörte das Geschrei und kam heraus, und ich berichtete ihr atemlos, was Sache war.

»Du liebe Zeit!«, sagte sie. »Ich helfe dir suchen. Ich hole nur schnell die Mädels. Am besten teilen wir uns auf: Du gehst in die Richtung, wir in die andere. Falls wir ihn nicht sehen, klingeln wir eben an jeder einzelnen Tür. Er taucht schon wieder auf, Ellen, keine Sorge.«

Ich nickte, ohne zu antworten, aus Angst, in Tränen auszubrechen, und machte mich auf den Weg – wohlweislich mit Jane im Schlepptau; ich dachte nicht daran, sie aus den Augen zu lassen. Es war schon schlimm genug, dass mir ein Kind abhandengekommen war.

Noch immer aus vollem Halse Peters Namen schreiend und mit Mühe und Not meine Panik im Zaum haltend gelangte ich bis ans Ende der Straße und wollte gerade umkehren, als die Tür von Haus Nummer 47 aufging und Karen Davison erstaunt kundtat: »Peter ist bei uns! Wusstest du das nicht?«

»Nein!«, keuchte ich, den Tränen nah. »Ich dachte, er wäre hinten im Garten, und auf einmal war er weg.«

»Er tobt mit meinen Enkeln auf dieser vermaledeiten Wasserrutsche rum«, sagte Karen. »Er hat in eurem Vorgarten gespielt, als wir vorhin auf dem Nachhauseweg vom Einkaufen bei euch vorbeigekommen sind. Die Jungs haben ihn gefragt, ob er rüberkommen will, aber ich habe ihm aufgetragen, erst dich zu fragen, und da er ein paar Minuten später mit der Badehose erschien und sagte, es könne losgehen, dachte ich, er hätte dich um Erlaubnis gefragt.«

Ich war zu erleichtert darüber, dass Peter noch heil war und nicht in einem Minenschaft feststeckte, um ihm eine Standpauke zu halten. Ich umarmte ihn und drückte ihn an mich (was im Nachhinein betrachtet keine gute Idee war, denn er war pitschnass), und dann brach ich peinlicherweise in Tränen aus und schluchzte: »Tu das NIE, NIE, NIE wieder, okay? Ich hatte solche Angst um dich!«

»Tut mir leid, Mami«, murmelte Peter. »Das wollte ich nicht. Ich dachte, du hast bestimmt nichts dagegen, ich war ja nicht weit weg.«

»Ich hatte nur Angst, weil ich dich lieb habe«, schniefte ich.

»Ich hab dich auch lieb, Mami, und ich tu’s bestimmt nicht wieder, versprochen.«

Oh, Mann. Ich hätte beinahe meinen Sohn verloren, weil ich vollauf mit der Frage beschäftigt war, welche Art Kaffee ich zu meinem Bewerbungsgespräch mitbringen soll! Was bin ich nur für eine Mutter? Vielleicht sollte ich den Plan, wieder Vollzeit ins Berufsleben einzusteigen, auf der Stelle verwerfen und eine dieser Öko-Mamis werden, die bei den Kindern zu Hause bleiben. Ich würde mit ihnen allerlei handwerklichen Kleinkram basteln (obwohl ich so was eigentlich hasse) und ihnen jede Minute meines Lebens widmen, als Entschädigung für meine zahlreichen vergangenen Versäumnisse, in der Hoffnung, ihnen mit meinem Egoismus nicht allzu viele seelische Wunden zugefügt zu haben. Sie wirken zwar nicht, als hätten sie größere Schäden davongetragen – der einzige Mensch, der nach den Ereignissen dieses Nachmittags traumatisiert ist, bin ich, wie es aussieht, aber womöglich treten die seelischen Wunden ja erst später zutage. Was, wenn sie mit Mitte dreißig eine Therapie machen, und es stellt sich heraus, dass alles, was in ihrem Leben schiefläuft, auf meine zweifelhaften Fähigkeiten als Mutter zurückzuführen ist?

Übrigens waren weder Jane noch der Hund sonderlich erfreut über Peters Rückkehr.