Vor langer Zeit ...
1. Kapitel: Grünland und Eisland
2. Kapitel: Ein Drachenbaby kommt zur Welt
3. Kapitel: Die Reise nach Eisland
4. Kapitel: Polaris, Arktos’ Palast
5. Kapitel: Das magische Drachenfeuer
6. Kapitel: Flucht nach Grünland
7. Kapitel: Pläne werden geschmiedet
8. Kapitel: Nessajas Rat
9. Kapitel: Der Kampf gegen Arktos
… lebten die Bewohner von Grünland und von Eisland in Frieden und Harmonie zusammen. Dieser Friede wurde von mächtigen Drachen beschützt, die von allen verehrt wurden. Doch nach und nach verschwanden die Drachen auf geheimnisvolle Weise …
Und eines Tages lebten nur noch zwei Drachen in Grünland: Tyrion und Mythia. Doch bald würde es einen dritten Drachen geben, denn Tyrion und Mythia waren stolze Eltern eines wunderschönen grünen Dracheneis!
In Eisland aber wütete der finstere Arktos. Er wurde immer stärker und mächtiger. Es fiel Tyrion und Mythia zunehmend schwerer, den bösen Herrscher in Schach zu halten, der auch Grünland in seinen Besitz bringen wollte …
Der Rabe Kolk seufzt behaglich. Nirgends auf der Welt kann ein Sommertag schöner sein als in Grünland. Die Bienen summen in der Luft, die Hasen hoppeln durch das grüne Gras – und Kolk greift zu seinem Korb. Er will heute Kräuter sammeln.
Fröhlich summend streift er durch die Wiese.
Nur eine große, dunkle Wolke steht am sonst klaren blauen Himmel. Diese Wolke trennt Grünland von Eisland, seit der böse Herrscher Arktos dort die Macht an sich gerissen hat. Kolk schaut besorgt hinauf. Er weiß, dass er sich nicht fürchten muss, denn Tyrion und Mythia beschützen die grüne Insel. Doch er sorgt sich um seine beiden Freunde …
In der dunklen Wolke tobt ein schreckliches Unwetter. Schlimmer noch: Es tobt ein Kampf! Mythia und Tyrion versuchen von zwei Seiten, Arktos mit Drachenfeuer zurückzudrängen.
Doch Arktos lacht nur böse! Tyrion schreit Mythia zu:
„Flieg weg! Bring dich und unser Ei in Sicherheit!“
„Aber …“, will Mythia einwenden. Doch sie sieht, wie ernst es Tyrion ist. Er würde es sich nie verzeihen, wenn ihr oder dem Ei etwas passieren würde.
„Flieg weg, ich gebe dir Deckung!“
Mit einem letzten hoffnungsvollen Blick auf ihren tapferen Drachenmann dreht sie ab – und wird hinterrücks von einem Eisstrahl von Arktos getroffen.
„Mythia!“, schreit Tyrion entsetzt – und Arktos lacht gehässig.
Das hätte er nicht tun sollen! Mit vor Wut blitzenden Augen holt Tyrion tief Luft. Er wird es diesem Arktos zeigen. Er wird ihn mit seinem mächtigen Drachenfeuer grillen wie ein Brathähnchen. Er wird – oh nein! Außer einer winzigen Aschewolke spuckt Tyrion gar nichts auf den Angreifer!
Arktos lacht dröhnend vor Schadenfreude – und schießt auch auf Tyrion einen Eisstrahl …
Köstliche Rabenwurz! Und wunderbares Schmetterlingskraut! Rabe Kolk ist sehr zufrieden mit seiner Kräutersuche. Und dort hinten, hinter dem großen Hinkelstein, wächst Vogelmiere! Eifrig pflückt er einen Stängel nach dem anderen.
Da hört er ein Kratzen.
Unheimlich! Kolk stellen sich die Federn auf.
Da ist es wieder! Krrrrzzz, krrrrzzzz.
Was mag das sein? Und woher kommt es?
Vorsichtig lugt Kolk um den Felsen herum. Da fällt ihm plötzlich Mythia, mit dem Kopf voran, vor die Füße.
„Aaah!“ Kolk erschrickt. Mythia ist über und über mit Eis bedeckt!
Mit letzter Kraft kratzt sie eine Nachricht in den Felsen:
Tabaluga, finde dein Feuer, Vorsicht vor Eisland.
„Mythia!“, ruft Kolk und eilt auf sie zu. „Was ist passiert? Wo ist Tyrion?“
Mythia stöhnt. „Er ist …“ Sie schließt die Augen.
Kolk begreift. „Nein“, stammelt er.
Mythia hebt den Flügel. Das Ei! Sie schiebt es Kolk behutsam zu.
„Du musst dich um unseren Sohn kümmern“, flüstert Mythia kraftlos. „Er ist der Letzte seiner Art.“
Kolk betrachtet verwirrt das Ei. Es ist fast so groß wie er selbst. „Was? Nein, das kann ich doch ni–“
„Nur er kann Grünland vor Arktos beschützen“, haucht Mythia. „Sein Name ist … Tabaluga.“ Sie schließt die Augen.
Kolks Augen weiten sich vor Entsetzen.
„Mythia!“, schreit er. „Nein! Du darfst nicht sterben!“
Doch Mythia rührt sich nicht mehr.
Kolk ist ein weiser und erfahrener Rabe. In seinen jungen Jahren hat er Generationen von kleinen Raben großgezogen.
Aber einen Drachen?
„Tabaluga“, sagt er vorsichtig. Und noch einmal: „Tabaluga!“ Das klingt wunderschön!
„Dann wollen wir mal“, sagt Kolk mehr zu sich als zu dem Ei. Er nimmt es huckepack und trägt es ächzend bis zu dem Baum, in dem er sein Nest hat.
Zweifelnd schaut er von dem riesigen Ei zum dem Nest hinauf.
Nein, das würde er niemals da hinauf bekommen!
Also würde er es hier unten, im Gras, ausbrüten müssen.
Und Kolk brütet.
Den ganzen Tag.
Und die ganze Nacht.
Und am nächsten Morgen zerspringt – krack! – die Schale und eine kleine grüne Hand erscheint! Dann eine zweite! Ein kleiner grüner Fuß, ein zweiter … und plötzlich marschiert das Ei auf allen Vieren – direkt auf einen Abhang zu!
„Warte!“, ruft Kolk. Doch da kullert das Ei schon den Hügel hinab. KRACK!, zerspringt die Schale an einem querliegenden Baumstamm und ein kleiner grüner Drache blinzelt ins Sonnenlicht.
Verzaubert bleibt Kolk, der dem Ei nachgerannt ist, stehen. Ein Drachen-Baby! Ein richtiges, echtes Drachen-Baby! Wie süß es ist!
„Hallo Tabaluga!“, sagt er sanft. „Ich bin Kolk und ich werde gut auf dich aufpassen.“
Schon bald ist das Drachen-Baby einen guten Kopf größer als sein Rabenvater Kolk. Aber das ändert nichts daran, dass sich Kolk und Tabaluga sehr lieb haben. Kolk bringt Tabaluga alles bei, was er weiß.
Nur das Feuerspeien kann er ihm nicht zeigen.
Und mit dem Fliegen klappt es auch nicht so richtig. Immer wieder versucht es Tabaluga. Auch sein kleiner Freund, der Marienkäfer Bully, hilft ihm und fliegt ihm voraus. Doch so sehr Tabaluga mit den winzigen Flügeln schlägt, mehr als ein paar Meter schafft er nicht.
Aber Tabaluga gibt nicht auf. Vielleicht müssen seine Flügel einfach noch ein bisschen größer werden. Also trainiert er das Feuerspucken.
Er probiert, sich von einer Pusteblume kitzeln zu lassen, bis er niesen muss … Nichts außer einer winzigen Rauchwolke.
„Ich habe gehört, Brennnesseln sollen helfen“, sagt Emra, das Wiesel, hinterlistig. Emra und seine Freunde lassen keine Gelegenheit aus, Tabaluga zu ärgern.
„Hör nicht auf ihn!“, sagt Bully.
Aber da hat Tabaluga schon in die Brennnesseln gebissen. Au! Das tut weh! Und nützen tut es auch nichts.
Dafür lachen nun alle Tiere über den kleinen Drachen. Aber sie hören schnell wieder auf, als sie Tabalugas trauriges Gesicht sehen. Sie lieben ihren Drachen, der sie eines Tages vor Arktos beschützen soll.
Niedergeschlagen geht Tabaluga nach Hause. Kolk schüttelt väterlich den Kopf.
„Was ist denn nun wieder passiert?“
„Emra hat Tabaluga weisgemacht, dass er Feuer spucken kann, wenn er Nesseln isst“, erklärt Bully.
„Und das hast du geglaubt?“, fragt Kolk. „Ach, Tabaluga, du wirst dein Feuer finden … eines Tages.“
„Eines Tages! Das sagst du jetzt schon seit Jahren“, ruft Tabaluga ungehalten. „Das dauert mir zu lang.“ Er läuft davon.
„Wohin gehst du?“, ruft ihm Kolk nach.
„Zum Hinkelstein“, ruft Tabaluga. „Um deine blöden Kräuter zu holen.“
Bully und Kolk sehen sich schulterzuckend an. Dann folgt Bully seinem Freund.
„Emra hat recht“, schnaubt Tabaluga. „Ich werde nie ein richtiger Drache sein.“
„Emra ist ein Blödmann. Für mich bist du ein richtiger Drache“, sagt Bully fest. „Mit oder ohne Feuer.“
„Danke, Bully“, sagt Tabaluga schwach. „Ich wünschte nur, ich könnte das auch so sehen …“ Doch mit einem Mal stutzt er. Sie sind vor dem Hinkelstein angekommen – dem Ort, wo seine Mutter starb. Tabaluga ist schon öfters hier gewesen. Doch es war ihm nie aufgefallen, dass im Felsen etwas eingeritzt war.