Als Italienerin hat Michela Murgia dieses Buch in Anbetracht der italienischen Verhältnisse geschrieben. Der Blick auf Europa und auf den deutschsprachigen Raum lehrt, dass Italien kein Sonderfall, in seiner politischen Entwicklung vielleicht aber wieder einmal Vorreiter ist. Für die deutsche Ausgabe wurden daher italienische Spezifika, insbesondere im Faschistometer, belassen.
Michela Murgia, 1972 in Cabras (Sardinien) geboren, gehört zu den bekanntesten und streitbarsten Schriftstellerinnen Italiens. Neben ihrem Erfolgsroman Accabadora, der auf Deutsch bereits über 150 000 Mal verkauft wurde, sind bei Wagenbach Elf Wege über eine Insel, Camilla im Callcenterland, Murmelbrüder und Chirú erschienen. Seit Jahren ist die überzeugte Sardin in der italienischen Politik aktiv. Nach der Veröffentlichung von Faschist werden in Italien ließ sich Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega in den sozialen Medien über sie aus. Neben viel Anerkennung erhielt Murgia auch zahlreiche Drohungen.
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini
Die italienische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Istruzioni per diventare fascisti bei Giulio Einaudi editore in Turin.
E-Book-Ausgabe 2019
© 2018 Giulio Einaudi editore s. p. a., Torino
© 2019 für die deutsche Ausgabe:
Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
Covergestaltung: Julie August
Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
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ISBN: 9783803142597
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3686 2
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Für Francesco und Angelica
Und es ist bereits fünf nach zwölf
Ich schreibe gegen die Demokratie an, weil sie ein seit ihren Anfängen heillos fehlerhaftes Regierungssystem ist. Es stimmt nicht, was Winston Churchill gesagt hat: Die Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. In Wahrheit ist sie schlicht und ergreifend die schlechteste und nichts weiter, aber es ist immer schwierig, das offen zu sagen, obwohl die alltägliche Erfahrung es doch eindeutig beweist.
Das Buch, das ihr in Händen haltet, ist nicht nur entstanden, um zu zeigen, dass die Demokratie völlig unbrauchbar ist, ja sogar schädlich für die Gemeinschaft, sondern auch, um nachzuweisen, dass ihre bewährteste Alternative – der Faschismus – eine wesentlich bessere, kostensparendere und effizientere Art staatlicher Organisation darstellt. Dieser Text soll vor allem eine Verständnishilfe für die gebildete Schicht sein, die der Demokratie überdrüssig geworden ist, denn der breiten Masse musste man schließlich noch nie erklären, dass der Faschismus die überlegenere Alternative ist. Mit der verborgenen Weisheit der einfachen Leute kehrt man im Volk, enttäuscht vom Unvermögen des demokratischen Systems, die Probleme der Menschen zu lösen, regelmäßig auf beinahe natürliche Weise zum Faschismus zurück.
Ich sage bewusst »beinahe«, denn zuweilen muss der Faschismus ein wenig nachhelfen, um sich durchzusetzen; historisch gesehen neigen Demokratien zu Anfang ihres allmählichen Niedergangs dazu, dem Faschismus gegenüber sehr feindselig zu sein und ihre Ablehnung auf jede noch so schamlose Weise zu organisieren, zum Beispiel durch Gesetze, die ihn verbieten sollen. Zum Glück ist der Faschismus geduldig. Er ist wie Herpes – wie immer sind die primitiven organischen Strukturen diejenigen, von denen man am meisten lernen kann –, der ganze Jahrzehnte in den Nervenwurzeln der Demokratie überdauern kann, als wäre er gänzlich verschwunden, um dann bei der ersten vorhersehbaren Schwäche des Immunsystems vernichtender denn je hervorzubrechen.
Eine junge Demokratie, besonders eine, die aus einem Krieg oder einem Bürgerkrieg hervorgegangen ist, wird auf den Faschismus sehr abwehrend reagieren, doch einer, sagen wir, etwa siebzig Jahre alten Demokratie ist ein Großteil ihres kollektiven Gedächtnisses abhandengekommen, und sie hat die Augenzeugen begraben, die mit ihren immergleichen Geschichten das staatstragende Gerede bestimmten. Darüber hinaus wird sie ausreichend ausgezehrt und korrumpiert sein, um nach und nach immer gewichtigere prinzipielle Kompromisse mit anderen Regierungsformen einzugehen. Wenn der Faschismus es dann klug anstellt und seine Chance nutzt, kann er es schaffen, ganze Staaten zu regieren, ohne eine Waffe in die Hand zu nehmen. Es werden vielmehr die Werkzeuge der Demokratie selbst sein, die es ihm erlauben, sich zu behaupten und sich schließlich ganz durchzusetzen.
Im Augenblick steht uns eine solche Überfülle an Möglichkeiten zur Kontrolle der Massen zur Verfügung, wie sie kein Faschismus des vergangenen Jahrhunderts besessen hat, und das erlaubt es uns, etwas nie Dagewesenes zu versuchen: mitten im Herzen eines jahrzehntealten demokratischen Systems aufzusteigen und die Herrschaft zu übernehmen, ohne je auf eine innere oder äußere militärische Aktion zurückgreifen zu müssen. Durch die Manipulation der demokratischen Instrumente kann es gelingen, ein ganzes Land zum Faschismus zu bekehren, ohne das Wort »Faschismus« in den Mund zu nehmen – das selbst in einer kraftlosen Demokratie zumindest ein wenig Feindseligkeit hervorrufen könnte –, und der faschistischen Sprache gleichwohl in allen Debatten zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen, sie für alle Anlässe hoffähig zu machen: so als wäre sie eine Schachtel ohne Etikett – weder rechts noch links –, die bequem von einer Hand zur anderen wandert, ohne dass jemand unmittelbar mit ihrem Inhalt zu tun hätte.
Der Inhalt. Der ist das entscheidende Problem. Ich kann nicht verhehlen, dass er wirklich problematisch ist, und in dieser Hinsicht ist es wenigstens in der Anfangsphase nicht leicht, den Kampf mit der Demokratie zu gewinnen. Wir leben nicht mehr in Zeiten, in denen man einfach die Überlegenheit einer Rasse über eine andere erklären oder offen sagen kann, dass nicht alle Meinungen ein Recht darauf haben, geäußert zu werden, vor allem dann nicht, wenn sie den Interessen des Staates zuwiderlaufen. Man kann das natürlich denken und bei einigen Gelegenheiten sogar sagen, aber sich als System anzubieten, das genau dies zu seinen politischen Grundsätzen erhoben hat, dürfte anfangs schwierig sein. Darum werdet ihr auf diesen Seiten nichts finden, was als »faschistische Idee« bezeichnet werden könnte. Der Versuch, den Faschismus auf der Ebene der politischen Ideen durchzusetzen, ist ein so langer, komplizierter, konfliktreicher Prozess, dass er sich schließlich als nutzlos erweist. Zu viele Jahre demokratischer Phrasendrescherei. Zu viele Gedenktage. Zu viel ideologisches Geschwätz über die Resistenza, das nur dazu geführt hat, dass sich alle an den Partisanen-Opa erinnern, aber niemand an den faschistischen. Das Verdienst der faschistischen Ideen hervorkehren zu wollen ist wenig produktiv. Konzentriert man sich dagegen auf die Methode, kommt alles ganz von selbst.
Da Methode und Inhalt einander in der Politik tatsächlich entsprechen, hat die faschistische Methode das Zeug zur alchemistischen Transmutation. Wendet man sie an, ohne sich ideologisch selbst im Weg zu stehen, verwandelt sie jeden in einen Faschisten, denn – wie Forrest Gump sagen würde: Faschist ist der, der Faschistisches tut. Was nun folgt, ist also eine methodische Anleitung, vor allem zur Sprache, der am leichtesten manipulierbaren kulturellen Infrastruktur, die wir haben. Warum sollte jemand die Institutionen stürzen, wenn sich die Kontrolle über sie schon dadurch übernehmen lässt, dass man das Vorzeichen eines Wortes ändert und es allen in den Mund legt? Worte provozieren Taten, und wer Kontrolle über die Worte erlangt, besitzt die Kontrolle über die Taten. Von hier ausgehend, ausgehend von den Namen, die wir den Dingen geben, davon, wie wir von ihnen erzählen, kann der Faschismus die Herausforderung meistern, die Gegenwart zurückzuerobern. Wenn es uns gelingt, täglich einen Demokraten davon zu überzeugen, ein Wort zu benutzen, das wir ihm eingegeben haben, können wir gewinnen. Und wir werden gewinnen.
Getreu seinem bescheidenen didaktischen Ziel enthält das Buch am Ende einen kleinen Test, um den Lernerfolg und den Fortschritt auf dem Weg zum Faschisten zu messen.
Der erste Schritt, um Faschist zu werden, ist die Abschaffung des Wortes leader, wie es demokratische Systeme interpretieren. Keine Demokratie, all ihrem utopischen Streben nach Gleichheit zum Trotz, hat es je geschafft, den Widerspruch auszuräumen, diese Gleichheit auf hierarchische Weise zu organisieren. Auch die Demokraten wissen, dass ein übergeordneter Führer unabdingbar ist, doch sie maßen sich an, ihn zu wählen und mit so vielen Hindernissen und Einschränkungen zu kontrollieren, dass die Person, die sie führen sollte, am Ende die machtloseste von allen ist. Die Demokratie hat sich des vernünftigen Führungskonzepts bemächtigt, das sich hinter dem Wort leader – Führer – verbirgt, und hat es so entstellt, dass es kaum noch erkennbar ist. Und so wurde aus dem, was ursprünglich ein charismatischer Herrscher war, ein läppischer Volksvertreter auf Zeit, ein Fähnchen im wechselhaften Wind des Wählerwillens, der Schande ausgesetzt, sich wählen lassen zu müssen, nicht nur vom Volk, sondern sogar innerhalb der eigenen politischen Gemeinschaft. In Italien heißen diese schwachsinnigen Vorwahlen primarie, aber Spitzenpersonal geht daraus nie hervor, nur zweitrangige Leute, denn die Macht aus Basisabstimmungen ist viel zu unbeständig: Heute hast du die Zustimmung, morgen nicht mehr. Das macht alles instabil, und die Instabilität der Regierung ist das größte Defizit der Demokratie.
Welche sprachliche Alternative hat der Faschismus zum verworrenen und unscharfen Konzept des leader zu bieten? Ganz einfach: den Chef. Es geht nicht darum, das Wort zu ersetzen, nein, wir können auch einfach alle weiterhin leader sagen, aber der Unterschied zwischen den beiden Rollen muss klar sein. Der leader inspiriert, gibt Anregungen, weist eine Richtung, doch er muss mit dem nicht unerheblichen Nachteil rechnen, dass sich die Menschen in einer Demokratie entscheiden können, ihm dennoch nicht zu folgen. Und sind sie erst mal auf die Idee gekommen, dass es möglich ist, ihm nicht zu folgen, kann man sicher sein, dass sie es auch nicht tun. Ein leader, dem man sich widersetzen kann, besitzt de facto keinerlei Macht. Der echte Chef hingegen verhandelt nicht. Er schreibt die Richtung vor, schlägt sie als Erster ein und beweist so seine Fähigkeit, etwas zu erobern, das sich immer einen Meter außerhalb des Blickfeldes desjenigen befindet, der ihm nachfolgt. Inspiration ist etwas Schönes, keine Frage, aber sie ist was für Dichter, nicht für Politiker. Zum Regieren braucht es jemanden, der entschieden handelt, der ohne jedes Zögern die Seinen mit sich reißt und dabei jedes Hindernis mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus dem Weg räumt.
Das Problem des demokratischen leader ist, dass er sich auf Diskussionen mit Andersdenkenden einlässt und sie damit als gleichwertig anerkennt, und so untergraben die Dissidenten seine Autorität – gerade dann, wenn er eine Entscheidung treffen muss. Der Chef dagegen ist aufrichtig, ehrlich, er tut nicht so, als würde er die tausend verschiedenen Meinungen in Betracht ziehen, die um jede Führungsperson herum aus dem Boden schießen. Deshalb sind seine Entscheidungen nicht verhandelbar. Er befiehlt, und darum kann er siegen oder untergehen. Doch so oder so schuldet man dem Chef unbedingten Gehorsam, weil die, die den Gehorsam verweigern, die Basis eines möglichen Sieges zerstören. Das ist der Unterschied zwischen dem verweichlichten Demokraten und dem faschistischen Chef: Der Chef steht nicht zur Diskussion, denn wenn er seine Zeit damit verlöre, in einem Land, in dem sich alle für den geeignetsten Trainer der Nationalmannschaft halten, mit allen zu diskutieren, die es ein bisschen anders sehen – wann sollte er je die wirklich wichtigen Entscheidungen treffen?