Michael Wedekind
Die Besetzung der Vergangenheit
Archäologie, Frühgeschichte
und NS-Herrschaftslegitimation
im Alpen-Adria-Raum (1939–1945)
Vorwort von Josef Ehmer (Wien)
Vorwort von Daniel Modl (Graz)
1. Die Neuordnung des Gegenwärtigen und die Wissenschaft vom Vergangenen
2. ›Dem Führer nicht vorgreifen‹: Archäologie und NS-Herrschaftslegitimation 17 in Oberkrain (Gorenjska)
3. Grabungen und Vertreibungen in der Untersteiermark (Štajerska)
4. Der Griff nach den Kulturgütern
5. Vom Brenner bis zum Gardasee: ›eindeutig nordgermanisch‹
6. 1945: Umbruch ohne Aufbruch
7. Anhang
7.1. Kartenanhang
7.2. Dokumentenanhang
7.3. Quellennachweis
7.4. Schrifttumsnachweis
7.5. Abbildungsnachweis
7.6. Abkürzungsverzeichnis
Ortsnamenindex mit deutsch-italienischer und italienisch-deutscher sowie deutsch-slowenischer und slowenisch-deutscher Ortsnamenkonkordanz
von Josef Ehmer
Die Archäologie befindet sich international in einer Phase raschen methodischen Wandels. Er beruht auf der zunehmenden Integration von naturwissenschaftlichen Methoden in die archäologische Forschung und neuerdings auf der dynamischen Entwicklung der Genetik. Vor allem in der vor- und frühgeschichtlichen und in der mittelalterbezogenen Migrationsforschung werden zusätzlich zu bereits etablierten Isotopenanalysen in den letzten Jahren auch genetische, insbesondere DNA-Analysen eingesetzt. Sie ermöglichen neue Interpretationen auch von alten Grabungsfunden; sie haben deshalb die Diskussion über zentrale Begriffe und Konzepte der historischen und archäologischen Forschung – wie zum Beispiel ›Ethnie‹ – neu belebt. In dieser Zeit des methodischen Umbruchs, der Infragestellung etablierter Gewissheiten und der Entstehung neuer Unsicherheiten scheint es besonders nützlich zu sein, die Geschichte der Archäologie als wissenschaftliche Disziplin verstärkt in den Blick zu nehmen, vor allem ihre Einbettung in Weltanschauungen und Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts, ihre Verfügbarkeit und Instrumentalisierung für ethnozentrische, nationalistische und rassistische Politik, wie auch die aktive Mitwirkung von Archäologen bei der Planung und Durchführung entsprechender Politiken.
Die vorliegende Studie von Michael Wedekind leistet in vielfacher Hinsicht einen bedeutenden und innovativen Beitrag in diese Richtung. Drei Dimensionen der Studie möchte ich besonders hervorheben, nämlich ihren zeitlichen, räumlichen und methodischen Rahmen. Zum Ersten: Die Jahre zwischen 1939 und 1945, die – wie Michael Wedekind schreibt – den »Scheitelpunkt« der Konfliktgeschichte der Alpen-Adria-Region bilden, stehen im Zentrum der Arbeit. Aber dieses Zentrum ist eingebettet in eine längere historische Perspektive, die weit in das 19. Jahrhundert zurückgreift. So gelingt es, die spezifische Ausformung der Archäologie im mitteleuropäischen Raum verständlich zu machen, wissenschaftsinterne Entwicklungen durchaus ernst zu nehmen, sie aber auch in die politischen und ideologischen Kontexte der jeweiligen Perioden zu stellen. Diese Tiefenschärfe macht die Einbettung der Archäologie in das interdisziplinäre Konglomerat der ›Volks-‹ und ›Volkstumsforschung‹ wie auch der ›Rassenkunde‹ sichtbar. Die Studie geht aber auch über die Epochenschwelle des Zweiten Weltkriegs hinaus und verfolgt die Karrieren jener Protagonisten der ›völkischen Wissenschaft‹, die auch nach 1945 akademischen Einfluss behielten. Der Verfasser dieses Vorworts erinnert sich – nur als Beispiel für einen der von Wedekind behandelten Wissenschaftler – gut an die Vorlesungen des Mundartkundlers Eberhard Kranzmayer an der Universität Wien in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren.
Besonders bedeutend ist, zweitens, der räumliche Rahmen. Michael Wedekind geht über die 1918/19 und 1945 gezogenen staatlichen Grenzen hinaus, nimmt die gesamte Alpen-Adria-Region in den Blick, unter Einschluss von Tirol und Friaul. Die politische und auch die Wissenschaftsgeschichte dieses Raums erscheint hier als eng verknüpfte – wenn auch spannungsgeladene und konfliktreiche – Gemengelage. Diese analysiert der Autor auf multiperspektivische Weise: Er rekonstruiert die Positionen und die Aktivitäten nicht nur österreichischer und deutscher, sondern auch slowenischer und italienischer Archäologen, und er analysiert nationale und regionale Wissenschaftsmilieus in ihrem aufeinander Bezogensein, in ihren Kooperationen und noch mehr in ihren Konflikten. Dieser multiperspektivische Zugang wird auf Primärquellen aus internationalen Archivrecherchen gestützt. Die Konzentration auf diesen Raum ist aber auch ein wichtiger Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, steht er doch bisher im Schatten wesentlich früherer und zahlreicherer Studien über das nationalsozialistische Ausgreifen nach Ost- und Westeuropa. Und für die österreichische Forschung ist besonders relevant, dass hier die südlichen Bundesländer bzw. die – zwischen 1938 und 1945 – südlichen Grenzgaue in den Vordergrund treten, mit ihren eigenständigen Forschungseinrichtungen auf Landesebene, aber auch mit deren Verbindung zu den Universitäten in Graz, Wien und Innsbruck – und im Deutschen Reich. Nicht zuletzt handelt es sich bei der Alpen-Adria-Region um einen bevorzugten Untersuchungsraum der traditionellen Frühmittelalterforschung und -archäologie wie auch der neuesten genetic history.
In methodischer Hinsicht verkörpert der Beitrag – zum Dritten – eine gelungene Verbindung von Struktur- und Institutionengeschichte einerseits und einzel- bzw. kollektivbiografischen Ansätzen andererseits. Leitthema ist – nach dem berühmten Diktum von Mitchell Ash – das Verhältnis von »Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander«. Aber Michael Wedekind konkretisiert dieses Leitthema mit einer akteursbezogenen Perspektive; er lenkt den Blick auf einzelne und auf Gruppen von Protagonisten, auf ihr konkretes Handeln unter wechselnden politischen Bedingungen, auf ihre gemeinsamen wie ihre konkurrierenden Interessen. Da es sich um eine kleine Region mit einer überschaubaren Zahl von Akteuren handelt, gewinnt man am Ende der Lektüre den – durchaus befriedigenden – Eindruck, über alle relevanten Institutionen und Wissenschaftler/innen fundiert informiert worden zu sein.
Diese drei Dimensionen zusammen ergeben eine dichte Beschreibung der Geschichte der Archäologie in der Alpen-Adria-Region vor, während und nach der nationalsozialistischen Herrschaft und zugleich eine modellhafte Analyse der Beziehungen von Wissenschaft und Politik in einer – aus der Sicht der Zentren – abgelegenen, aber trotzdem heftig umkämpften Grenzregion.
Wien, im Dezember 2018
Josef Ehmer
Professor emeritus für
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,
Universität Wien
von Daniel Modl
Vom 27. bis 29. April 2015 veranstaltete die Abteilung ›Archäologie und Münzkabinett‹ des Grazer Universalmuseums Joanneum in Kooperation mit der Abteilung für Archäologie des österreichischen Bundesdenkmalamtes in der steirischen Landeshauptstadt das internationale Symposium »Archäologie in Österreich 1938–1945«. Als bislang größte einschlägige Tagung dieser Art in Österreich brachte sie zahlreiche Archäologinnen und Archäologen sowie Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker aus dem In- und Ausland zusammen. In 31 Vorträgen versuchten diese herauszuarbeiten, in welchem Umfang Politik und Ideologie des NS-Regimes die archäologische Forschung und Denkmalpflege beeinflussten und welche Rolle hierbei Museen, nationale Forschungseinrichtungen und insbesondere die großen NS-Wissenschaftsorganisationen ›Ahnenerbe‹ und ›Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte‹ sowie die dort tätigen Archäologinnen und Archäologen spielten. Nachgespürt wurde dabei stets auch methodischen, personellen und strukturellen Auswirkungen bis in die Nachkriegszeit sowie den Aktivitäten von österreichischen Prähistorikern bzw. Archäologen im besetzten Europa im Zusammenhang mit Herrschaftslegitimierung und Kulturgüterraub. Diese zeitliche wie räumliche Ausweitung des Analyserahmens ergab sich folgerichtig aus der Themenstellung der Veranstaltung: Eine kritische Geschichtsschreibung zur Wissenschaft unter dem Nationalsozialismus hat nach Kontinuitäten in den Nachkriegsgesellschaften, aber auch – so im vorliegenden Untersuchungszusammenhang – nach der Rückführung der deutschsprachigen Altertumswissenschaften in die internationale scientific community nach 1945 zu fragen.
Als Veranstaltungsort des Symposiums, das vom Verfasser dieses Vorwortes zusammen mit Bernhard Hebert, Karl Peitler und Marianne Pollak organisiert wurde, diente das im Jahr 2009 eröffnete Archäologiemuseum im Park von Schloss Eggenberg, das neben Objekten aus dem Mittelmeerraum vor allem archäologische Fundstücke aus dem Gebiet der heutigen Steiermark und des nordöstlichen Sloweniens (Štajerska) präsentiert – eine Region, die bis 1918 Teil des Herzogtums Steiermark war, während des Zweiten Weltkriegs von deutschen Truppen besetzt und als ›Untersteiermark‹ durch den steirischen Gauleiter und Reichsstatthalter als Chef der Zivilverwaltung geführt wurde. Im Zuge der Vorbereitung zur Neuaufstellung der Schausammlung des Grazer Archäologiemuseums zeigte sich, dass sich in dessen Bestand noch zahlreiche Kleinfunde und Münzen aus slowenischen Fundorten befanden, die vom damaligen steirischen Landesarchäologen, dem aus Krain stammenden Walter Schmid (Šmid), zwischen 1941 und 1945 im Besatzungsgebiet geborgen, aber trotz Rückforderungen durch Jugoslawien nach dem Krieg nicht restituiert worden waren – ein Umstand, der das Verhältnis zwischen steirischen und jugoslawischen/slowenischen Archäologen bis weit in die Nachkriegszeit belastet hat.
Das von der Europäischen Union geförderte und vom Universalmuseum Joanneum als lead partner geleitete Projekt »InterArch-Steiermark«i bot schließlich eine passende Gelegenheit, um diese Kulturgüter in einem Katalog zu erfassenii und in der Wanderausstellung »V novi luči – Ans Licht gebracht« einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, bevor sie im Jahr 2014 der Republik Slowenien restituiert wurden. Die Rückgabeinitiative und die vielfältigen Projektaktivitäten des Universalmuseums Joanneum führten in den letzten Jahren im archäologischen Bereich zu einer Vertiefung der grenzüberschreitenden fachlichen Zusammenarbeit zwischen der Steiermark und Slowenien, die mittlerweile ihre erfolgreiche Fortsetzung in drei weiteren EU-Projekteniii fand. Vor diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund besaß der Tagungsort, das Archäologiemuseum in Graz, auch symbolische Bedeutung.
Im Programm des Symposiums fanden sich ebenfalls zahlreiche Vorträge, die über die altertumswissenschaftliche und archäologische Grabungs- und Forschungspraxis in der Steiermark und der slowenischen Štajerska während des ›Dritten Reichs‹ informierten oder biografische Abrisse der in diesem Raum tätigen Wissenschaftler lieferten. Darunter war der Vortrag von Michael Wedekind mit dem Titel »Eine ›verlässliche Waffe im Volkstumskampf‹: Archäologie und Frühgeschichte als Legitimationswissenschaften nationalsozialistischer Raum- und Bevölkerungsordnung im Alpen-Adria-Raum (1939–1945)«.iv Darin spürte er den nationalsozialistischen Aktivitäten in der Untersteiermark, in Oberkrain sowie in den norditalienischen Operationszonen Adriatisches Küstenland und Alpenvorland nach, die über archäologische und historische Untersuchungen die deutsche Besatzung dieser halbannektierten Gebiete und in weiterer Folge auch die ›Sicherung‹ von Kulturgut und den Bevölkerungsumbau legitimieren sollten. Indem er sich auf die Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik bzw. Verwaltung konzentrierte, gelang es ihm, ein für das NS-Regime und die archäologische und historische Forschung nutzbringendes Beziehungsgeflecht nachzuzeichnen.
Mit der Detailkenntnis aus vorangegangenen Publikationen und Forschungsprojektenv erreichte sein schriftlicher Tagungsbeitrag schließlich den Umfang einer kleinen Monografie, weshalb vom Verfasser des vorliegenden Bandes der Plan gefasst wurde, die Studie losgelöst von den gerade in Vorbereitung befindlichen Tagungsaktenvi erscheinen zu lassen. Es ist dem Autor und dem Studienverlag in Innsbruck zu danken, dass diese für die archäologische Wissenschaftsgeschichte der Steiermarkvii so wichtige Arbeit nun zeitnah erscheinen konnte.
Graz, im Dezember 2018
Daniel Modl
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Abteilung ›Archäologie und Münzkabinett‹ am
Universalmuseum Joanneum, Graz
____________________
i »Interaktives archäologisches Erbe der österreichischen und slowenischen Steiermark / Interaktivna arheološka dediščina avstrijske in slovenske Štajerske« (2011–2014).
ii LEHRER - MODL - PEITLER 2013.
iii »Register von archäologischen Fundstellen entlang der österreichisch-slowenischen Grenze / Register arheoloških najdišč ob avstrijsko-slovenski mejni črti« (»BorderArch-Steiermark«, 2014/15); »Paläolandschaft der Steiermark und ihre Biodiversität von der Urgeschichte bis zur Entdeckung der Neuen Welt / Paleokrajina Štajerske in njena biodiverziteta od prazgodovine do odkritja Novega sveta« (»PalaeoDiversiStyria«, 2016–2019); »Monumentalized Early Iron Age Landscapes in the Danube River Basin« (»Iron-Age-Danube«, 2017–2019).
iv INTERNATIONALES SYMPOSIUM ARCHÄOLOGIE 2015, 54f.
v So z.B. WEDEKIND 2003 oder das Projekt »Scholarship and Politics: Reshaping South-Central Europe, 1939–1945« (P22895-G17) des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.
vi MODL - PEITLER 2019.
vii Zum Forschungsstand siehe: Karl - MODL 2015, hier 91–131.
Der ›Alpen-Adria-Raum‹ ist ein Konstrukt. Seine naturräumliche Konturierung ist unscharf, die landschaftliche Gliederung vielgestaltig. Doch nicht die Geografie und die ihr folgenden Verkehrs- und Wirtschaftsvernetzungen bilden den Unterbau dieses jungen Raumkonstrukts am sprachlichen Schnittstellenbereich Germanisch – Romanisch – Slawisch. Bestimmend sind vielmehr übergreifende historische Erfahrungen, zivilisatorische Überwölbungen und kollektive Prägungen in einer Region großer Heterogenität und intensiver Kulturraumverdichtung. Dies héritage commun verbindet sich zum Teil mit der vormaligen Adria-Großmacht Venedig, räumlich umspannender und nachdrücklicher jedoch mit der zumeist säkularen Raumbindung an das Haus Österreich. Mit nostalgischen Ausdeutungen des Gewesenen äußert sie sich posthum – und bis in die Gegenwart – in einem nicht selten verklärenden Habsburg-Mythos. Vor diesem Hintergrund kann der Alpen-Adria-Raum als jener kulturelle Übergangsbereich im Gebiet der Ostalpen und in deren südlichem Vorland gelten, der grosso modo die vormals habsburgischen Kronländer Steiermark, Krain, Küstenland (Görz und Gradisca, Triest, Istrien) und Kärnten umfasst, wobei hier der Untersuchungsrahmen auf das angrenzende Friaul und das historische Tirol ausgeweitet wird.
Seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts präsentierte sich dieser Raum zwischen Ostalpen und Adria als politische Konfliktlandschaft. Die aufkommenden sozioökonomischen Antagonismen der Zeit – vor allem die Auseinandersetzungen um Zugänge zu politischen Entscheidungsgremien, zu Ressourcen und Revenuen – hatten in der multiethnischen Habsburgermonarchie rasch ihren Niederschlag in alternativen, ethnozentrischen Identitätsund auseinanderstrebenden Raumentwürfen gefunden. Wachsende Intoleranz, verwehrte Autonomieansprüche, sezessionistische Neugliederungsbegehren oder gar irredentistische Forderungen nach territorialer Neuordnung spalteten die Region im Inneren, noch ehe der Erste Weltkrieg und der Vertrag von Saint-Germain sie von außen her zerteilten. Der verlustreiche, doch kaum Geländegewinne erbringende Stellungskrieg zwischen Ortler und Isonzo radikalisierte bestehende Feindbilder ebenso wie die aufflackernden Grenzlandkämpfe der frühesten Nachkriegsjahre. Die neue Ordnung, in deren Folge alle südlichen Kronländer Österreichs ganz, gebiets- oder zumindest strichweise unter die Herrschaft Italiens oder Jugoslawiens wechselten, desillusionierte Weltkriegsverlierer wie Gewinner gleichermaßen: Erhebliche Territorialverluste hier standen gegen ein Zurückbleiben hinter erwartetem Gebietszuwachs dort. Damit wurde der Alpen-Adria-Raum in der Zwischenkriegszeit Projektionsfläche wechselseitiger Revisionismen vonseiten aller Anrainer. Auf die Grenzverschiebungen und Herrschaftswechsel folgten bald schmerzliche sozio-ökonomische und bevölkerungspolitische Maßnahmen zum Nachteil der ethnischen Minderheiten – speziell in den italienischen und jugoslawischen Annexionsgebieten, aber auch (nicht erst seit 1938) in Österreich (Kärnten). Hinzu kam die Schwäche der Demokratien und der rasche, die gesamte Region ergreifende Übergang zur Diktatur. Der ›Anschluss‹ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland markierte den Beginn einer abermaligen Neuordnung von Raum und Bevölkerung. Neben dem Deutschen Reich trat dabei während des Zweiten Weltkrieges zunächst auch das nun verbündete Italien als Interventions- und Besatzungsmacht im Alpen-Adria-Raum in Erscheinung. Seit dem unausweichlichen Bündnisaustritt des Landes im September 1943 jedoch standen mit der nachfolgenden deutschen Okkupation der Apenninenhalbinsel und der weitgehenden Übernahme der italienischen Positionen im besetzten Jugoslawien schließlich alle vormaligen österreichischen Abtretungsgebiete im Süden unter – regional unterschiedlich stark widerstrittenen – nationalsozialistischen Besatzungsverwaltungen. Im Schatten des Krieges machte die Region in der Folge teils mehrfacher Herrschaftswechsel die tragische Erfahrung von erzwungenen Umsiedlungen und Vertreibungen, von ideologisch motivierter Verfolgung, Vernichtung und Ausplünderung politischer und ›rassischer‹ Gegner. Das Epochenjahr 1945, mit dem sich der Eiserne Vorhang trennend, wenn auch nicht hermetisch über den oberen Adriaraum senkte, bedeutete dabei mit Blick auf das nunmehr sozialistische Jugoslawien keineswegs das Ende von Umsiedlungen und Vertreibungen, von ethnischer und politischer Gewalt.
Die Jahre zwischen 1939 und 1945 markieren den Scheitelpunkt dieser Konfliktgeschichte der Alpen-Adria-Region. Er verbindet sich unmittelbar mit der aggressiven Neuordnung von Raum- und sozio-ethnischer Bevölkerungsstruktur, die das nationalsozialistische Deutschland dort in verschiedenen Phasen des Zweiten Weltkrieges – teils eher beiläufig, teils casu et fortuito, stets jedoch primär infolge Urgierens österreichischer Exponenten des NS-Regimes – in Angriff nahm. Diese Interventionen werfen die Frage nach Entwicklung, Bereitstellung und Einsatz sozial- und kulturwissenschaftlich gestützten Herrschaftswissens auf, so wie es für den expansionspolitischen Planungs- und Realisierungszusammenhang unerlässlich wurde.
Unter dieser allgemeinen Perspektive haben Geschichts- und Sozialwissenschaftler seit den späten 1990er Jahren verstärkt die Rolle und Verstrickung ihrer Disziplinen während der Zeit des Nationalsozialismus beforscht. Insonderheit ist der Blick dabei auf die Schnittstellenbereiche von (politikberatenden) Expertennetzwerken der Wissenschaft, von Funktionseliten der Verwaltung und politischen Entscheidungsträgern gerichtet und auf die wechselseitigen Interessen der Akteure gewandt. Wissenschaftlich orientierte Politikberatung sei dabei nicht lediglich »als Teil an exekutivem oder administrativem Handeln [verstanden], sondern [als] die geistige Vorarbeit dafür, vorhandene politische und gesellschaftliche Strukturen sichtbar zu machen, alternativ ein Modell für künftige, noch zu schaffende Sozial- und Bevölkerungsordnungen vorzuführen«1 oder gar auf mögliche Umstrukturierungsverfahren zu verweisen und diese zu legitimieren.
Später und schleppender als in den übrigen historischen Teildisziplinen setzte die fachgeschichtliche Historisierung der Archäologie und die Problematisierung ihrer Stellung im Herrschaftssystem des Nationalsozialismus ein. Dabei hatten Entwürfe von ethnisch-nationaler Identität und Tradition, der Nachweis von Primogenitur und ancienneté des Eigenen sowie darüber abgeleitete Territorialansprüche seit dem 19. Jahrhundert gerade auf die Archäologie rekurriert – auf eine Wissenschaft, die seinerzeit eines ihrer Hauptanliegen in der ethnischen Zuschreibung von Bodenfunden und – im Anschluss daran (so etwa bei Gustav Kossinna) – in der Identifizierung archäologischer Kulturgruppen und Kulturräume sah. Nach frühen, ganz auf die Person Hans Reinerths (1900–1990) konzentrierten Verantwortungszuweisungen, welche zugleich implizit auf die Pauschalentlastung anderer Fachvertreter hinausliefen, hat die spätere Auseinandersetzung mit der Archäologie unter dem ›Dritten Reich‹ nicht selten Züge einer rein beschreibenden Disziplin- und Forschungsgeschichte getragen. Hinzu treten bis heute zahlreiche Forscherportraits, die – oft ohne weitergespannte wissenschaftsgeschichtliche Analysekonzepte heranzuziehen – sich vielfach in der Bemessung weltanschaulicher Nähe des Biografierten zum Nationalsozialismus und in der Ergründung individueller Motivationslagen erschöpfen. Die dem Regime zu- oder gar vorarbeitende archäologische Wissensproduktion wird oftmals nur unzureichend in übergeordneten Gesamtkontexten verortet und kaum nach ihren politischen Anwendungszusammenhängen, nach Konsequenzen und moralischer Verantwortung wissenschaftlicher Herrschaftslegitimation befragt. Indes gilt es wiederum auch, die untersuchten Wissenschaftsmilieus differenziert zu bewerten, pointiert verallgemeinernde Eindimensionalitäten zu vermeiden und unstrittige Verdienste nicht unter der Kritik an politischer Instrumentalisierung erbrachter Forschungen zu verschütten.
Zum Einsatz deutscher Archäologen im besetzten Europa liegen inzwischen Spezialstudien für die meisten okkupierten Länder vor.2 Die hier zu behandelnden halbannektierten Besatzungszonen im Alpen-Adria-Raum haben indes in dieser Hinsicht bisher keine systematische Aufarbeitung, allenfalls knappe sporadische Beachtung gefunden.3 Insofern unterscheidet sich die Forschungslage zu den von Umsiedlungspolitiken und neuen Identitätszuschreibungen gekennzeichneten Okkupationsgebieten zwischen Südtirol und der Untersteiermark deutlich von den besatzungspolitisch weitgehend analog verfassten Zivilverwaltungsterritorien im Westen (Elsass, Lothringen und Luxemburg).4 Auch die rückwärtigen Reichsgaue im Süden als Träger von Ziviladministration und Kulturpolitik in den grenznahen Okkupationszonen sind in Hinblick auf archäologische Forschungen während des ›Dritten Reichs‹ bisher nur zum Teil zufriedenstellend untersucht worden.5
____________________
1 HAAR 1999, 219.
2 Zur Rolle der Archäologie und zum Einsatz deutscher Prä- und Frühhistoriker im besetzten Europa zwischen 1939 und 1945 siehe etwa: HAGEN 1986; HILLER VON GAERTRINGEN 1995; BLAŽEK 2000; LEUBE 2001; LEUBE - HEGEWISCH 2001 (darin Beiträge über das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, die Slowakei, Polen, das Baltikum, die Ukraine, die Niederlande sowie Frankreich und Norwegen); OLIVIER 2002; EICKHOFF 2003; LEUBE 2004; LEGENDRE - OLIVIER - SCHNITZLER 2007 (darin Beiträge über Frankreich, Belgien, die Niederlande und Dänemark); EICKHOFF 2010; BEYEN 2013.
3 Zum Raum des heutigen Sloweniens (insbesondere in Hinblick auf Kulturguttransfers): Ferenc 1968, 742–744; zu Südtirol und Trentino: WEDEKIND 1996. Von der vorstehend geäußerten Kritik an der Historisierung der Archäologie im vorliegenden Untersuchungs(zeit)raum ist auch die italienische Forschung nicht auszunehmen: Siehe exemplarisch den wiederum rein biografisch ausgerichteten Sammelband von CASARI - MAGNANI 2015b, der die beiden Weltkriege als historische Schlüsselereignisse des 20. Jahrhunderts, aber auch die Zwischenkriegszeit bestenfalls streift. Allzu optimistisch wird darin (CASARI - MAGNANI 2015a, 9) auch die Kohäsion der späthabsburgischen Wissenschaftslandschaft eingeschätzt, deren nationalistischen Zersetzungserscheinungen übersehen werden.
4 Zu den Zivilverwaltungsgebieten im Elsass und in Lothringen, wo bereits 1940 in Straßburg ein Landesamt für Ur- und Frühgeschichte gegründet und in Metz eine Abteilung für Ur- und Frühgeschichte im Landesdenkmalamt bestand, siehe: PETRY 1993; SCHNITZLER 1997; LEGENDRE 1999; ADAM - SCHNAPP 2001; BARDIÈS - LEGENDRE - SCHNITZLER 2001; LEGENDRE 2002; SCHNITZLER 2002; SCHNITZLER - LEGENDRE 2002; LEGENDRE 2006; LEGENDRE 2008a; LEGENDRE 2008b; FREUND 2009.
5 Während für Kärnten die Analysen von JERNEJ 2007 und JERNEJ 2014 vorliegen, fehlen kritische Gesamtdarstellungen zur Steiermark und zu Tirol; zur Geschichte der Archäologie in der Steiermark allgemein siehe: KARL - MODL 2015, zur Archäologie an der Universität Graz u.a. MINDLER 2011. Zur Archäologie in Österreich während der NS-Zeit siehe nun den Tagungsband von MODL - PEITLER 2019, der die Beiträge eines im April 2015 in Graz abgehaltenen internationalen Symposiums vereint.
Wie später im Falle der deutschen Besetzung Italiens, so war schon 1941 im Zuge der Okkupation Jugoslawiens in die besatzungs- und raumpolitische Konzeption der Berliner Reichsleitung eine annexionistische Variante einbezogen worden. Sie ging auf das konzertierte Urgieren der politischen Führung der südlichen österreichischen Grenzgaue zurück. Es gelang diesen Kräften weitgehend, ihre Zielentwürfe – nämlich den Reichsanschluss von Teilen des überwiegend slowenischsprachigen Draubanats (Dravska banovina) – bei der Reichsführung durchzusetzen1 : Am 14. April 1941 konnten in der Untersteiermark (Spodnja oder Slovenska Štajerska) sowie in Oberkrain (Gorenjska) – einschließlich des vormaligen Südkärntens (Slovenska Koroška)2 – die Gauleiter von Steiermark, Siegfried Uiberreither (1908–1984), bzw. von Kärnten, Franz Kutschera (1904–1944), die deutsche Zivilverwaltung übernehmen. Trotz zunächst weiterreichender Planungen und ungeachtet der eingeleiteten vielschichtigen Anpassungs-, Gleichschaltungs- und Eindeutschungsmaßnahmen unterblieb jedoch die for-male staatsrechtliche Eingliederung der beiden deutschen Okkupationsgebiete. Sie wurden gleichwohl in komplexe ›Umvolkungs-‹ und Umsiedlungsprogramme einbezogen.
In Oberkrain führte deren rasches Scheitern schon Ende August 1941 zu einem besatzungspolitischen Kurswechsel und zum Übergang zu einer kulturpolitisch flankierten Entnationalisierungs- und Eindeutschungsstrategie. Sie orientierte sich am Entwurf einer spezifischen ›Oberkrainer Identität‹, wie sie analog von Kärntner Wissenschaftlern insbesondere seit den 1920er Jahren bereits für das sogenannte ›schwebende Volkstum‹ der präsumtiv deutschfreundlichen Kärntner Slowenen (›Windische‹) zum Zwecke ihrer Assimilierung und politischen Führung durch das ›Deutschtum‹ entwickelt worden war.3 Die NS-Volkstumspolitik in Oberkrain, das nun als integraler Teil des deutschen ›Volks- und Kulturbodens‹ ausgewiesen werden sollte, machte die verstärkte Einbeziehung eines wissenschaftlichen Expertenstabes und damit die Mobilisierung und Umstrukturierung des Kärntner Wissenschaftsbetriebes erforderlich.
Die ›Oberkrainer Angelegenheit‹ erwies sich gleichwohl auch in einer weiteren Hinsicht als ›verfahren‹. Gerade im Anschluss an das ›Windischen‹-Konzept mit seinem Entwurf einer geografisch-historisch-kulturellen und zugleich ›volklichen‹ Landeseinheit, worüber zudem jugoslawische Territorialansprüche abgewiesen werden sollten, hatte man noch in den 1930er Jahren den Gebirgszug der Karawanken als geradezu objektive, ›Volkstum‹ und Volkskultur schroff trennende Strukturgrenze zwischen Drau- und Save-Raum dargestellt. In diesen Deutungskontext war zunächst auch die 1939 durchgeführte SS-Ausgrabung an der Symbolstätte Karnburg bei Maria Saal nördlich Klagenfurt gestellt worden, die eine slawische Präsenz auf dem Zollfeld widerlegen und daran geknüpfte Gebietsforderungen Jugoslawiens abweisen sollte.4
Im Moment des annexionistischen Ausgreifens nach Süden jedoch stand die Kärntner ›Volkstumswissenschaft‹ mit ihren bisherigen scharfen Abgrenzungsbemühungen gegenüber den slowenischen Siedlungsgebieten südlich der Karawanken vor argumentativen Altlasten. Man darf bezweifeln, dass Wolfram Sievers (1905–1948), Reichsgeschäftsführer des SS-›Ahnenerbes‹, sich dieser regionalen Problemlage bewusst war; vielmehr dürfte er das Streben der SS nach prähistorischem Forschungsprimat im Sinn gehabt haben, als er schon bald nach der deutschen Herrschaftsübernahme in Oberkrain feststellte, dass »die Belange der Vorgeschichte im Grenzland Kärnten von so hoher kultureller, ja kulturpolitischer Bedeutung [… sind], dass es dringend notwendig ist, sie nicht im Argen liegen zu lassen«.5 Sicher jedoch war, dass die nationalsozialistische Vorgeschichtsforschung (wenn auch keineswegs sie allein) in diesem legitimationswissenschaftlichen Dilemma auszuhelfen wusste und sich bereits mit expansiven ›langobardisch-frühdeutschen‹6 Vereinnahmungskonstrukten für eine deutsche Neuordnung von Raum und Bevölkerung zur Verfügung hielt.
Der bestehende organisatorisch-institutionelle Rahmen des Kärntner Wissenschaftsbetriebes war aus Sicht der Klagenfurter Verantwortlichen dagegen den anstehenden Aufgaben in Oberkrain vorerst nicht gewachsen. Ihrem Dafürhalten nach machte die ›äußere‹ Neuordnung auch die Neuausrichtung der Kärntner Wissenschaft und deren Führung und Einsatz durch die politische Spitze des Gaues erforderlich. Diese Absicht konkretisierte sich mit der – schließlich erst am 10. Oktober 1942, dem Jahrestag der Volksabstimmung von 1920 – erfolgten Gründung des Instituts für Kärntner Landesforschung der Universität Graz in Klagenfurt.7 Das Institut hatte im Wesentlichen »die Ideologie des deutschen Anspruches« auf das präsumtiv »uralte germanische Siedlungsland Oberkrain unumstößlich zu begründen«.8 Die Einrichtung wurde faktisch der ebenfalls im Oktober 1942 gegründeten Kärntner Wissenschaftlichen Gesellschaft e.V. nachgeordnet, die wiederum ihrerseits satzungsgemäß an die Weisungen des Gauleiters – seit 18. November 1941: Friedrich Alois Rainer (1903–1947) – gebunden war. Verstärkt durch personelle Verflechtungen, ermöglichte dieses Lenkungsorgan der politischen Führung künftig direkte Interventionen in alle wissenschaftlichen Institutionen des Landes.
Aus Reichsmitteln finanziert und vom Gau Kärnten bzw. vom Chef der Zivilverwaltung (CdZ) in den Besetzten Gebieten Kärntens und Krains bezuschusst, gliederte sich das Klagenfurter Institut unter dem Germanisten und Volkskundler Eberhard Kranzmayer (1897–1975) fachlich in lediglich vier wissenschaftliche Abteilungen, obschon zunächst eine disziplinär breiter gefächerte Bearbeitung des Kärntner und Oberkrainer Untersuchungsraumes vorgesehen war. Dabei richtete sich auch die Abteilung für Vor- und Frühgeschichte9 unter dem streng nationalsozialistisch orientierten Karl Dinklage10 an der allgemeinen Vorgabe aus, den ›germanisch-deutschen Charakter‹ des Besatzungsgebiets südlich der Karawanken nachzuweisen. Im Sinne siedlungsarchäologischer Vorstellungen Gustav Kossinnas (1858–1931) verfolgte sie primär die Absicht, die zumeist aus Schmuck- und Kleidungsgegenständen bestehenden archäologischen Funde aus dem 7. bis 10. Jahrhundert (slawisches Fürstentum Karantanien, etwa 650–817/828) ethnisch-national zuzuweisen, ihnen eine slawische Herkunft abzusprechen und somit »das Märchen von einer eigenen frühmittelalterlichen Kultur der Slawen in den Ostalpenländern zu beseitigen«.11
Der aus Dresden stammende Dinklage, seit dem Jahr der ›Machtergreifung‹ Mitglied der NSDAP, hatte nach seiner Promotion in München 1935 zunächst am dortigen Südost-Institut (Institut zur Erforschung des deutschen Volkstums im Süden und Südosten) gearbeitet. Teilweise unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), befasste er sich dort insbesondere mit der Siedlungsgeschichte Ostfrankens und Nordbayerns einschließlich Südböhmens. Für den »Atlas Bayerische Ostmark« der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung verkartete er mit finanzieller Beihilfe des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches frühgeschichtliche Funde zur bairisch-fränkischen Landnahme. Seine Untersuchungen »zur Lösung des Slawenproblems im deutschen Sinne«, welche zumal nach der Annexion der Sudetengebiete als ›volkswissenschaftlich‹ besonders relevant galten, führten ihn 1938 zu der Überzeugung, dass auch »die bisher allgemein den Slaven zugewiesenen Funde des sog. Karantanischen Kreises (in Kärnten und Umgebung) aus karolingischer Zeit einwandfrei als deutsches Kulturgut« zu gelten hätten.12
Am Münchner Südost-Institut begegnete Dinklage dem in Graz promovierten Günter Glauert (1905–1982), der zwischen November 1937 und April 1940 mit Unterstützung der DFG an einer als »staatswichtig«13 geltenden Siedlungsgeschichte und -geografie von Krain arbeitete und 1942 als Mitarbeiter der Geografischen Abteilung am Institut für Kärntner Landesforschung eingestellt wurde. Zugleich ergaben sich in München engere Kontakte zu dem um zehn Jahre älteren Privatdozenten Eberhard Kranzmayer, der – gebürtiger Kärntner – 1937 von der Universität Wien herübergewechselt war. Beide – Weltkriegsteilnehmer Kranzmayer, ›Abwehrkämpfer‹ in Kärnten und Oberschlesien, der sprachwissenschaftlich »den Einfluß deutschen Wesens auf die Nachbarvölker klarzustellen«14 bemüht war, und der stark ambitionierte Dinklage, der in seinen Münchner siedlungsgeschichtlichen Untersuchungen einen wichtigen Beitrag für die Siedlungsplanung sah15 – verstanden ihre Forschungen nichtzuletzt als zweckwissenschaftliche Zuarbeit im Dienste nationalsozialistischer Expansionspolitik. Im Zuge des Überfalls auf Jugoslawien übermittelten sie gleich Anfang April 1941 dem Reichsaußenministerium ihre noch ungedruckten Beiträge für das von Hans Reinerth herausgegebene »Germanen-Erbe«. Darin führten sie den Nachweis, »dass Krain und Untersteiermark seit 12 Jahrhunderten deutscher Kultur- und Siedlungsboden sind«.16 Dinklage, der bei inhaltlich-methodischer Kontinuität seine Arbeiten vom deutsch-tschechischen17 unterdessen auf den deutsch-slowenischen Übergangsraum ausgerichtet hatte und 1941 mit weiteren Arbeiten zur dortigen ›frühdeutschen Volkskultur‹ und ›germanisch-deutschen‹ Kontinuität hervortrat, und Kranzmayer, inzwischen außerplanmäßiger Professor für Mundartkunde und Grenzlandforschung an der Universität Graz, brachten sich somit im Außenamt als Experten ins Spiel, die bereit waren, die territoriale und sozioethnische Neuordnung aus historisch-wissenschaftlicher Perspektive mit bereits vorliegenden Forschungsergebnissen legitimatorisch zu begleiten. Ja, sie tendierten dazu, mit ihren Deutungen den Entscheidungen der Reichsführung vorzugreifen.18
Offenkundig hatte man zunächst auch übersehen, dass die Entscheidungs- und Verantwortungsträger dieses Prozesses der Hauptsache nach nicht in den Amtsräumen der Berliner Wilhelmstraße saßen, sondern Exponenten der neuen Herrschaftssäulen aus Partei und SS waren und in Klagenfurt und Graz agierten. Dinklage versuchte daher Anfang Mai, über Hans Dolenz19, Kustos der Archäologischen Abteilung des Museums des Kärntner Ge schichtsvereins, die bereits dem Außenamt übermittelten Beiträge nunmehr auch dem seinerzeitigen Kärntner Gauleiter-Stellvertreter Franz Kutschera vorlegen zu lassen.20 Wenn dabei – abgeleitet von archäologischen Funden – implizit zugleich eine Revision der eben erfolgten Grenzziehung gegenüber Italien angeregt und insbesondere die Unterstellung von Ljubljana (Laibach) unter deutsche Herrschaft nahegelegt wurde, ging es Kranzmayer und Dinklage um direkte politische Einflussnahme auf die Gauleitung in Hinblick auf die künftige Raumund Bevölkerungsordnung.21 Ihr Urgieren im Mai 194122 dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass Kranzmayer im Oktober des Folgejahres (parallel zu seiner Berufung zum außerordentlichen Professor in Graz) mit der Leitung, Dinklage hingegen mit der stellvertretenden Leitung des Instituts für Kärntner Landesforschung beauftragt wurde.
In Bezug auf Methoden- und Deutungsansätze ist Dinklage in jener hier von der Volksund Kulturboden-These unterfütterten »Archäologie der Identität«23242526272829303132