Holger Teschke

Mein Cape Cod

Eine transatlantische Liebeserklärung

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2015 by mareverlag, Hamburg

Covergestaltung Nadja Zobel / Petra Koßmann, mareverlag Hamburg

Abbildung NOAA Photo Library

Karte Peter Palm, Berlin

Typografie (Hardcover) Farnschläder & Mahlstedt, Hamburg

Datenkonvertierung E-Book Bookwire

ISBN E-Book: 978-3-86648-359-0

ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-217-3

www.mare.de

A man may stand there and put all America behind him.

Henry David Thoreau, Cape Cod

For Karen, come hell or high water

Inhalt

Ein Kap auf der Weltkarte

Von Chequesset zu Cape Cod

Provincetown

Truro

Wellfleet

Eastham

Chatham

Yarmouth Port

Hyannis und Nantucket

Barnstable

Mashpee

Falmouth und Woods Hole

Martha’s Vineyard

Sandwich

Cape Cod Canal

Dank

Quellenverzeichnis

Ein Kap auf der Weltkarte

»Water and meditation are wedded for ever.«

Herman Melville, Moby-Dick (1851)

Das einzige Buch, das mein Vater mir je in die Hand drückte, war Moby-Dick. Er fuhr als Kapitän auf dem Kutter SAS Narwal des Fischkombinats Sassnitz auf Rügen zum Fischen in die Nord- und Ostsee und manchmal auch bis in den Nordatlantik auf die Georges Bank, wo er seinen ersten Wal gesehen hatte. Ich muss zehn oder zwölf Jahre alt gewesen sein, als er mir das Buch gab mit der Bemerkung: »Damit du schon mal weißt, was auf See los ist.« Für ihn war es eine ausgemachte Sache, dass ich später zur See fahren würde.

Bei dem Buch handelte es sich um eine gekürzte Ausgabe in schwermütiger Übersetzung und voll düsterer Lithografien. Ich las die Geschichte von Ahabs Jagd auf den weißen Wal nachts beim Schein meiner Taschenlampe unter der Bettdecke, wie in einer engen Koje im dunklen Vorschiff, über mir Sterne und Gischt und in der Tiefe Herden ziehender Wale. Draußen heulte der Sturm und sang in unserem Schornstein. Wenn nachts der Regen vom Meer gegen mein Fenster schlug, kam ich mir vor wie einer aus der Mannschaft der Pequod, die sich durch Orkane und Gewitter hindurch dem Pazifik entgegenkämpfte. Es waren unvergessliche Nächte, und nachdem Moby Dick den Walfänger gerammt hatte und das Schiff samt seiner Besatzung in der Tiefe versunken war, wollte ich unbedingt wissen, wo diese Orte Nantucket und Cape Cod eigentlich lagen, von denen im Buch so oft die Rede war. Ich schlug in meinem Schulatlas nach und fand unterhalb von Boston eine kleine Landspitze, die den Namen Cape Cod trug. Sie schien mir nicht weniger fern und exotisch als Samoa oder die Osterinsel.

Ein paar Jahre später schenkte mir meine Mutter zum Geburtstag Coopers Letzten Mohikaner, und so führte es mich ein weiteres Mal nach Neuengland, wenn auch diesmal weiter landeinwärts, in die Wälder zwischen Hudson und Lake Champlain. Auch Coopers Bücher erwiesen sich als Glücksfall, erfuhr ich in ihnen doch mehr über die Geschichte der Indianer Nordamerikas als bei Karl May, der zu dieser Zeit in der DDR ohnehin noch verpönt war. Erneut half mir auch mein Schulatlas weiter, in dem ich all die magischen Orte und Flüsse mit so klangvollen Namen wie Canajoharie, Oneonta und Susquehanna fand. Dass Cooper keineswegs nur Indianerbücher, sondern auch Seeromane geschrieben und eine Zeit lang selbst ein Walfangschiff besessen hatte, ahnte ich damals noch nicht. Immerhin wusste ich nun jedoch etwas mehr über die Herkunft des indianischen Harpuniers Tashtego aus Moby-Dick und begann, alles von Cooper und Melville zu lesen, was in der Bibliothek des Sassnitzer Seemannsheims zu finden war. Die Zukunftsvisionen meines Vaters erschienen mir mit einem Mal erstaunlich verlockend: Als Seemann hätte ich tatsächlich die Chance, eines Tages mit eigenen Augen die amerikanische Ostküste zu sehen. Weitere dreizehn Jahre später, lange nachdem ich von Bord der SAS Vikingbank abgemustert hatte, ohne je den Nordatlantik befahren zu haben, packte ich erneut Melvilles Moby-Dick und Coopers Conanchet in meine Reisetasche und konnte kaum glauben, dass mein Traum nun doch noch wahr werden sollte. Ich war von Professorin Ute Brandes eingeladen worden, ein Semester als Copeland Fellow am Amherst College in Massachusetts zu verbringen. Dort sollte ich, bis auf einige Vorträge über das deutsche Theater der Gegenwart, keinerlei Verpflichtungen haben – außer natürlich zu schreiben. Persönlich wollte ich vor allem endlich Melville im Original lesen und all die Orte besuchen, über die ich in Moby-Dick und Israel Potter gelesen hatte. Während meiner Zeit als Regieassistent hatte ich auch Coopers Lotsen und seine Littlepage-Trilogie studiert. So war mein Wissen über die Nachkommen jener Pilger gewachsen, die im November 1620 auf Cape Cod zum ersten Mal nordamerikanischen Boden betraten.

Nach meiner Fahrenszeit hatte ich auf Umwegen beim Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm angeheuert und durfte in der Bibliothek des Theaterverbands, der legendären »Möwe«, auch Westliteratur ausleihen. So hatte ich die Stücke von Eugene O’Neill und Arthur Miller kennengelernt, die Romane von John Dos Passos und Norman Mailer und auch die Gedichte von Edna St. Vincent Millay und W. H. Auden. Ich fand einen Band mit Bildern von Edward Hopper, sogar eine kurze Geschichte der Vereinigten Staaten. Und immer wieder tauchte in all diesen Büchern der Name jenes Kaps auf, das mir seit Moby-Dick so vertraut war.

Im Frühjahr 1993 wollte ich über Melvilles berühmten Roman und seine Hintergründe schreiben, auch weil ich einen Vortrag über die Situation der Theater in Ostdeutschland halten sollte und dafür einen kühnen Zusammenhang zwischen der Jagd Ahabs auf den weißen Wal und dem Untergang der DDR herzustellen versuchte. Wie sich herausstellte, hätte ich dafür keinen besseren Ort finden können als die Bibliothek des Amherst College.

Nachdem die bitterkalten Wintermonate vorüber waren, in denen ich mich jeden Morgen durch Schnee und Eis zu meinem kleinen Büro in der Robert Frost Library durchgekämpft hatte, saß ich vor Stapeln von Notizen und Kopien, ein fertiger Aufsatz in weiter Ferne. Dann kam Ostern, und ich verliebte mich, ganz gegen die Regularien und meinen persönlichen Arbeitsplan, in eine junge Professorin vom nahe gelegenen Mount Holyoke College.

Wir waren uns zum ersten Mal 1989 bei einer Konferenz in Kentucky begegnet und hatten damals nur ein paar Worte gewechselt. Später war sie auf der Party erschienen, die meine Gastgeberin vom German Department anlässlich meiner Ankunft gab. Sie trug eine lederne Pilotenkappe, mit der sie aussah wie Tamara de Lempicka auf ihrem Selbstbildnis im grünen Bugatti. Wir unterhielten uns den ganzen Abend lang über Brecht, Walter Benjamin und Heiner Müller, und ich versuchte, sie mit weit hergeholten Zitaten und steilen Thesen zu beeindrucken. Am Wochenende fuhren wir gemeinsam auf den Mount Holyoke, dessen grandiose Aussicht auf das Connecticut Valley Thomas Cole in seinem Gemälde The Oxbow von 1836 festgehalten hat. Von hier aus kann man an klaren Tagen bis zum Mount Greylock blicken, dem höchsten Berg von Massachusetts. Den Greylock sah auch Herman Melville von seinem Arbeitszimmer auf der Farm »Arrowhead« in den Berkshires, während er im Winter 1850 an Moby-Dick schrieb. Er nannte den schneebedeckten Berg »seinen weißen Wal«, und tatsächlich erinnert dessen Silhouette an einen Pottwal. Auf unserem Ausflug erfuhr ich, dass auch Karen am Meer aufgewachsen war, auf Long Island, direkt am Atlantik. Man sagt, dass Insulaner auf der ganzen Welt sich schnell verstehen. So saßen wir am Abend in ihrer Wohnung in South Hadley, und ich erzählte ihr von meiner amerikanischen Kindheitslektüre.

»Moby-Dick haben wir in der High School gelesen«, sagte Karen. »Wir hatten einen Englischlehrer, der aussah wie Hemingway. Mr. Vickery war ein großer Bewunderer von Melville. Zum Abschied haben wir gesammelt und ihm eine Harpüne geschenkt. Es heißt doch Harpüne, oder?«

»Harpune«, berichtigte ich.

»Oh well«, seufzte sie. »Mein Problem sind die Ümläute. Hast du schon mal einen Wal gesehen?«

»Nein«, gestand ich. »Im Sommer 1989 hatte sich ein Buckelwal in die Ostsee vor Rügen verirrt, aber den habe ich verpasst. Und du?«

Sie schüttelte den Kopf. Am nächsten Morgen beschlossen wir, zum Spring Break nach Cape Cod zu fahren.

Die Frühlingsferien fielen auf Mitte Mai, und so hatten wir Zeit, uns bei Freunden nach einer passenden Unterkunft zu erkundigen. Jemand hatte gehört, dass die schönsten Cottages auf dem Cape auf Corn Hill in Truro stehen sollten. Karen fand das Maklerbüro, das diese Hütten vermietete. Neben dem Vertrag schickte der Makler auch eine Karte, und tatsächlich schienen die Hütten direkt über dem Atlantik zu stehen. Als ich einem Kollegen am College von unseren Reiseplänen erzählte, überlegte er einen Moment und sagte dann: »Corn Hill – ich glaube, da gibt es ein Gemälde von Hopper.« Er holte einen Band aus den Regalen der Kunstbibliothek und fand darin das Bild, das sieben Strandhütten auf einem Dünenhügel in einem Licht wie aus Goldstaub zeigte. Wenn es dort in Wirklichkeit nur halb so idyllisch war, dachte ich, musste der Ort ein Stück vom Gelobten Land sein, wie ich es auf den Bildern von Edward Hicks im Kunstmuseum von Amherst gesehen hatte. Doch selbst wenn er inzwischen zugebaut und zersiedelt sein sollte, wäre es immer noch Frühling auf Cape Cod. Es würde das Meer und die Wale geben – und uns.

Karen packte drei Kartons mit Büchern in ihr Auto, um »ein bisschen zu arbeiten«. Ich nahm Moby-Dick und Cape Cod von Henry C. Kittredge mit, ein historisches Werk, das ich in Lord Jeffrey’s Bookstore in Amherst gefunden hatte. Wir fuhren auf dem Massachusetts Turnpike in Richtung Boston bis zu einer Abfahrt, die »Cape Cod & The Islands« ankündigte. Im Radio hörten wir Suzanne Vega, die Sonne schien, und dass ich in einem Monat nach Berlin und an den Schiffbauerdamm zurückkehren sollte, schien mir ein vollkommen absurder Gedanke. Ich hatte ja noch nicht einmal angefangen, meinen Vortrag zu schreiben. Und wie sollte ich mich von einer Insulanerin trennen, die Melville und Benjamin las, mit einer Pilotenkappe hier neben mir saß und ihr Auto singend über die schwindelerregend hohe Sagamore Bridge nach Cape Cod steuerte? »In my book of dreams«, sang Suzanne Vega, »Pages made of days of open hand.«

Ich sollte meinen Vortrag auch in den kommenden Tagen nicht schreiben, und das lag nicht nur an den Nächten von Corn Hill und den Stränden von Long Nook und Great Hollow. Es lag auch daran, dass wir in dieser Maiwoche in jedem Ort und in jedem Buchladen neue Geschichten entdeckten, die zu den Indianern, Pilgern und den alten Walfängern von Cape Cod führten, zu Ishmael und Queequeg, Starbuck und Stubb, Tashtego und Daggoo und zu Ahab und Moby Dick. Langsam begriff ich, dass die Geschichte, die Melville in diesem Buch erzählt hatte, weit über die fanatische Jagd eines rachsüchtigen Kapitäns auf einen alten Wal hinausging. Und doch begriff ich auch da noch nicht, was dieser ehemalige Walfänger, der auf seiner Farm in den Berkshires den größten Roman der amerikanischen Literatur geschrieben hatte, wirklich erzählte. Ich ahnte jedoch, dass ich die Geschichte dieser Küste und ihrer Bewohner besser kennenlernen musste, um das Buch zu verstehen. Und ich spürte, dass das, was mich nach meiner Fahrenszeit zu Shakespeare und Brecht ans Theater gezogen hatte, auch bei Melville eine entscheidende Rolle spielte. Dass in seinen Büchern ein Schreiben gegen das organisierte Vergessen zu finden war, von dem ich mehr lernen konnte, als das Theater mir damals zu bieten schien. So ließ ich das Berliner Ensemble, meine Heimatinsel Rügen, meine Familie und die gerade erst begonnene Theaterkarriere hinter mir, um dieser Spur zu folgen.

Fast zehn Jahre lang habe ich dann am Mount Holyoke College und an anderen Colleges im ganzen Land inszeniert und unterrichtet. Doch in meinen freien Stunden durchstreifte ich die Bibliotheken und Antiquariate auf der Suche nach Büchern über Melville, den amerikanischen Walfang, den Völkermord an den Indianern und die Geschichte der Sklaverei. Zusammen mit Karen besuchte ich Melvilles Farm »Arrowhead« bei Pittsfield, bestieg den Mount Greylock und den Monument Mountain, wo Melville einst Nathaniel Hawthorne kennengelernt hatte. Wir lasen die Bücher von Jay Leyda, Hershel Parker und Nathaniel Philbrick und fuhren Sommer für Sommer aufs Cape. Wir lernten die Wale von der Stellwagen Bank samt ihren Spitznamen und den besonderen Merkmalen kennen, anhand deren die Wissenschaftler vom Center for Coastal Studies in Provincetown sie unterscheiden konnten. Von ihnen erfuhren wir auch über die Walwanderungen durch die Weltmeere und warum die Tiere in jedem Frühjahr zurückkehrten, wenn sie nicht von einer Harpune getötet wurden oder sich in den tödlichen Fallen der treibenden Netze verfingen. Nicht zuletzt lasen wir die vielen Bücher und Stücke, die auf dem Cape entstanden waren: von Eugene O’Neill und Kurt Vonnegut, von Mary Heaton Vorse und Rachel Carson, von Norman Mailer und Linda Greenlaw. Wir besuchten die alten Kapitänshäuser der Walfänger und die Kirchen der Quäker, die Landschaften, die Edward Hopper gemalt hatte, und natürlich die Leuchttürme, die noch immer ihr Licht über den Atlantik schicken.

2010 kehrte ich nach Berlin zurück, um ein Buch über meine Heimatinsel zu schreiben. »Das Leben ist eine Reise, die heimwärts führt«, soll Melville am Ende seines Lebens gesagt haben, als er wieder nach New York zurückgekehrt war und jeden Morgen als Zollinspektor im Hafen antreten musste, weil er von seinen Büchern und seiner Farm nicht leben konnte. In diesen Jahren, in denen er seinen Glauben an Gott und Gerechtigkeit endgültig verlor, fand Melville etwas anderes, das ihm die Kraft gab, trotz der Verachtung und des Vergessens, die er als Autor erfahren musste, weiterzuschreiben und sein zweites Meisterwerk, den Roman Billy Budd, sowie die Erzählung Bartleby, der Schreiber zu beenden. Als seine Frau nach seinem Tod den Schreibtisch aufräumte, fand sie in dessen Aufsatz einen vergilbten Zettel mit dem Satz: »Keep true to the dreams of thy youth.«

Vielleicht nehme ich Moby-Dick auch deshalb immer wieder mit nach Rügen und denke an die erste Lektüre zurück und an jene Welt meiner Kindheit, in der es noch eine klare Linie zwischen Gut und Böse zu geben schien. Cape Cod ist ein zweites Zuhause geworden, die Linie zwischen Gut und Böse jedoch unschärfer. Die Faszination der alten Geschichten ist geblieben, genauso wie der Wunsch, von den Entdeckungen zu erzählen, die ich bei meiner Suche auf den Spuren von Melville und Moby Dick gemacht habe. Deshalb werden auf den folgenden Seiten jene Indianer und Pilger, Walfänger und Seefahrer aus meiner Kindheit wiederauftauchen, aber auch die Künstlerinnen und Künstler Cape Cods, deren Weg ich in den letzten zwanzig Jahren verfolgt habe. Sogar die verlorene Liebe zum Theater ist zurückgekehrt, dank der Erinnerung an Ishmaels letzte Worte: »Das Drama ist zu Ende. Warum tritt jetzt noch einer vor den Vorhang? Weil einer den Schiffbruch überlebte.«

Von Chequesset zu Cape Cod

Cape Cod ist der nackte und gebogene Arm von Massachusetts – seine Schulter ist an Buzzards Bay, der Ellbogen oder Musikantenknochen bei Cape Mallebare, das Handgelenk bei Truro und die Sandfaust bei Provincetown.« So beschreibt Henry David Thoreau die Topografie der Halbinsel, die das Kap war, ehe 1914 der Cape Cod Canal gegraben wurde und sie zur Insel machte. Obwohl die meisten Besucher heute vom Festland über die Brücken von Bourne und Sagamore aufs Kap kommen, soll unsere Reise an seiner Spitze, dem Outer Cape, losgehen: Hier beginnt die offizielle Geschichtsschreibung der Vereinigten Staaten, und hier begann auch unsere persönliche Entdeckung von Cape Cod.

Auf den Straßenschildern des Massachusetts Turnpike findet man den schwarzen Hut der Pilgerväter: Wer von Boston Richtung Cape fährt, kommt an Plymouth vorbei, wo unter einem Säulentempel der Plymouth Rock liegt, auf dem die Siedler angeblich zum ersten Mal amerikanischen Boden betraten. Jeder, der sich mit Geschichte auskennt, weiß jedoch, dass das eine Legende ist, denn noch bevor die Pilger »Plimoth Plantation« gründeten, waren sie im November 1620 mit der Mayflower in der Cape Cod Bay vor Anker gegangen und hatten mehr als eine Woche auf dem Kap verbracht, ehe sie schließlich weitersegelten.

Vor ihnen hatten schon andere Europäer diese Küste entdeckt. Dass die Wikinger mit ihren Drachenbooten je so weit nach Süden gesegelt und ob Thorvald und Thorfinn hier tatsächlich an Land gegangen sind, wird heute von den Historikern bezweifelt. Doch gibt es die Logbücher und Karten von Bartholomew Gosnold, Samuel de Champlain und John Smith, die zwischen 1602 und 1614 das Kap beschrieben und kartografierten. Schon damals lebten hier seit Tausenden von Jahren Indianer aus dem Stamm der Wampanoag, die zur Sprachfamilie der Algonquin gehörten und sich »die Leute des ersten Lichts« nannten. Einige der indianischen Namen ihrer Dörfer finden sich noch heute auf dem Kap: Cotuit, Mashpee, Nauset und Saquatucket. Jedes dieser Dörfer wurde von einem Sachem, einem Häuptling, geführt und gründete seine Existenz auf Jagd, Fischfang und Ackerbau. Die meisten Siedlungen kamen friedlich miteinander aus, auch wenn es mitunter Streit um Jagdgründe oder gestrandete Wale gab. Doch sobald Gefahr von den Indianerstämmen aus dem Norden drohte, schlossen sich die Wampanoag zusammen, und die Pamet, die Mattakeese, die Cummaquid und die Nauset zogen gemeinsam auf den Kriegspfad. Von all diesen stolzen Stämmen sind lediglich die Wampanoag von Mashpee geblieben, dem einzigen Ort des Kaps, in dem die indianischen Bewohner noch heute leben und ihre Kultur vor dem Vergessen bewahren.

»Chequesset«, das »schmale Land«, das die indianischen Siedler hier bei ihrer Ankunft an der Atlantikküste vorfanden, wurde durch die Gletscher der letzten Eiszeit geformt, die sich von Kanada herunterkommend bis zum heutigen New Jersey vorgeschoben hatten. Aus ihrem Schmelzwasser entstanden Seen und Marschlandschaften, und der Meeresspiegel begann zu steigen. Die Gletscher ließen gewaltige Sand- und Geröllmassen zurück, aus denen sich Dünen- und Küstenlandschaften erhoben. Der Atlantik wusch aus den versteinerten Wäldern in der Bucht von Truro einen Strand, die Gezeiten trugen den Sand weiter nach Norden und formten so schließlich die Spitze des Kaps. Gleichzeitig schwemmten sie auf dessen Nordostseite die Dünen fort und spülten ihren Sand zwischen Nauset und Monomoy wieder an. Schon bei den Seefahrern des 17. Jahrhunderts war diese Küste wegen ihrer Stürme und Untiefen gefürchtet und als »Grab des Atlantiks« bekannt. Bartholomew Gosnold musste im Frühjahr 1602 all seine Navigationskünste aufbieten, um in die sichere Bucht an der Bayside einlaufen zu können. Sein Chronist an Bord der Concord, Gabriel Archer, schrieb in das Logbuch: »Wir sahen eine weite Bucht und nannten sie Shoal Hope. In der Nähe dieses Kaps ankerten wir in einer Tiefe von fünfzehn Faden und fingen große Mengen Kabeljau, weswegen wir den Namen in Cape Cod änderten.« Im Lauf der Jahrhunderte sollte er noch viele Male geändert werden. Der französische Entdecker Samuel de Champlain, der diese Gewässer von 1601 bis 1603 als königlicher Geograf befuhr, hatte schon von den Fischern in La Rochelle viel über die gefährliche, aber fischreiche Küste zwischen Neufundland und Nantucket gehört. Er taufte das Kap nach seiner Ankunft im Jahr 1606 »Cape Mallebare«. Das lag nicht nur an den heimtückischen Sandbänken, sondern auch an der blutigen Begegnung mit den Indianern von Monomoy Island. Nachdem die Franzosen im Zuge deren zwei Männer verloren und die Monomoy das aufgerichtete Kreuz gestürzt hatten, ließ de Champlain eilends Segel setzen. Die Indianer kamen aus ihren Verstecken und zeigten den Fliehenden, wie der Kapitän in seinem Logbuch vermerkte, »ihre nackten Hinterteile, wobei sie mit beiden Händen Sand auf ihren Rücken häuften und höhnisch durch ihre Arschbacken laufen ließen und heulten wie die Wölfe«.

Derartige Zusammenstöße sollte es immer wieder geben. Nachdem der von Kapitän Ferdinando Gorges gekidnappte Häuptling Epenow seinen Entführern in London weisgemacht hatte, dass auf Martha’s Vineyard Gold zu finden sei, brachten sie ihn über den Atlantik zurück vor die Küste seiner Heimatinsel. In einem unbewachten Augenblick sprang Epenow über Bord und schwamm an Land, wo er seinen Stamm vor der Gier und Gnadenlosigkeit der weißen Männer warnte und zum Kampf gegen sie aufrief. Mit Champlain und Gorges begann somit die Blutspur der Eroberung, die bis ins 20. Jahrhundert führen sollte.

Auch Henry Hudson kreuzte mit seinem holländischen Flaggschiff Halbmond im August 1609 vor dem Kap auf, entschied sich aber, weiterzusegeln, und fuhr den später nach ihm benannten Fluss bis zum heutigen Albany hinauf. Diese Fahrt begründete den Anspruch der Holländer auf die Küstenregion von Manahatta – dem späteren Nieuw Amsterdam – bis hinauf zu den Adirondacks.

Auf Hudson folgte 1614 der englische Kapitän John Smith, der schon 1607 mit Bartholomew Gosnold nach Jamestown gefahren war und dort allerlei Wunderdinge über das Kap gehört hatte, das fischreicher und gesünder sein sollte als die fieberbrütende Küste von Virginia. Vor allem sollte es dort Unmengen an Sassafras-Pflanzen geben, die damals als Wundermittel gegen Pest und Syphilis galten und mit Gold aufgewogen wurden. Nachdem die Kolonisten von Jamestown Smith infolge von Meinungsverschiedenheiten aus der Ansiedlung gejagt hatten, machte er sich auf, die Küste östlich des Hudson zu erkunden. Dabei soll er auch der legendären Häuptlingstochter Pocahontas begegnet sein, die ihn vor dem Marterpfahl rettete, indem sie ihn kurzerhand zum Mann nahm. Ein Flugblatt aus dem Jahr 1610 illustriert seine Abenteuer unter den Indianern und zeigt eine erste Karte von Virginia. Die zweite und erstaunlich präzise Karte von Neuengland, die er 1616 in London drucken ließ, widmete er Prinz Charles, dem Sohn von König James I. Der akzeptierte die Widmung, benannte jedoch Cape Cod in Cape James um, was zu historischen Verwirrungen in der Literatur führte. Smith beschrieb das Cape in seinem Logbuch, das heute im Archiv des National Maritime Museum in Greenwich liegt, als »eine Landspitze aus hohen Sanddünen, überwachsen mit Kieferngesträuch, Dornengebüsch und ähnlichem Unterholz, aber ein ausgezeichneter Hafen für jedes Wetter. Dieses Kap ist umgeben von der See auf der einen und von einer großen Bucht auf der anderen Seite und hat die Form einer Sichel. Auf ihm leben die Pawmet und am unteren Ende der Bucht die Chawum.« Mit den Pawmet meinte Smith wahrscheinlich die Pamet von Truro oder die Patuxet des späteren Plymouth, die beide zu den Wampanoag gehörten. Ein Mann aus ihrem Stamm mit dem Namen Squanto sollte wenig später eine entscheidende Rolle in der Geschichte Neuenglands spielen.

Squanto – oder Tisquantum, wie ihn andere Quellen nennen – soll um das Jahr 1585 in der Gegend um Plymouth geboren worden sein. 1605 wurde er von Kapitän George Weymouth entführt und zusammen mit vier weiteren Männern seines Stammes zu Ferdinando Gorges nach London gebracht. Dieser war inzwischen von James I. zum Ritter geschlagen worden und zum Eigner der Plymouth Company aufgestiegen, die in der Neuen Welt Geschäfte machen wollte. Gorges erkannte das Sprachtalent von Squanto, der das Englische schnell lernte, und ließ ihn zum Übersetzer ausbilden. 1614 kehrte Squanto zusammen mit John Smith nach Neuengland zurück, wurde jedoch auf seinem Weg zu den Patuxet von einem Glücksritter namens Thomas Hunt entführt. Hunt wusste um den Wert des Dolmetschers und verkaufte ihn für zwanzig Pfund an die Spanier in Malaga.

Dort gelang es Squanto, aus der Gefangenschaft nach London zu entkommen, bei dem Schiffbauer John Slany Arbeit und Unterkunft zu finden und sein Englisch weiter zu verbessern. 1617 segelte Slany dann selbst nach Neufundland und nahm Squanto mit, dem es jedoch nicht gelang, zu fliehen und in seine Heimat zurückzukehren. Erst 1619 konnte er mit der Expedition von Kapitän Thomas Dermer von Maine aus wieder nach Patuxet gelangen. Was ihn dort erwartete, war eine Geistersiedlung: Die meisten Indianer seines Dorfes und viele weitere Stämme entlang der Küste waren einer tödlichen Krankheit zum Opfer gefallen, die die Europäer eingeschleppt hatten: den Pocken. Wir wissen nicht, ob Squanto schon damals die Zusammenhänge erkannte oder das Sterben für einen mächtigen Zauber des weißen Mannes hielt, wie er den Sachem Massasoit später glauben machte. Zu diesem Häuptling führte er Kapitän Dermer und vermittelte einen freundlichen Empfang.

Von Massasoit erfuhr Sqanto, dass tatsächlich nicht alle Mitglieder seines Stammes gestorben waren. Vielleicht reifte damals in ihm der Plan, selbst Sachem der Patuxet zu werden und seine Sprachkenntnisse zu ihrem Vorteil zu nutzen. Unseligerweise wollte Kapitän Dermer im Sommer 1620 aber unbedingt die angebliche »Goldinsel« Martha’s Vineyard erkunden. Dort wartete der Sachem Epenow nur darauf, endlich Rache an den Weißen nehmen zu können. Er tötete bei Dermers Landung alle Männer von dessen Besatzung. Nur der Kapitän und ein Matrose entkamen schwerverletzt. Squanto geriet in Gefangenschaft. Epenow wusste um dessen Fähigkeiten und die damit verbundenen Gefahren. Ein Indianer, der neben der eigenen die Sprache des weißen Mannes beherrschte, konnte schnell zu einer Gefahr für die Häuptlinge werden. Dennoch tötete er den Dolmetscher nicht, sondern schickte ihn zurück zu Massasoit. Vielleicht lag es an dem Namen, den Squanto sich selbst gegeben hatte und der so viel bedeutete wie »der Zorn des Großen Geistes«. Solche Namen durften eigentlich nur die spirituellen Führer der Stämme, die Medizinmänner oder Powwows, also Schamanen, tragen, die in Kontakt mit der Welt der Geister und der Toten standen. Womöglich hielt Massasoit Squanto wegen seiner Eloquenz und Erfahrungen für einen Powwow der Patuxet – jedenfalls ließ er ihn am Leben. Als im November 1620 die Pilger von der Mayflower den Boden Neuenglands betraten, war Squantos Stunde gekommen. Er wurde zu ihrem Vertrauten und Retter.

Von all diesen Indianern, Entdeckern und Pilgern wusste ich nur wenig, als wir im Mai 1993 zum ersten Mal nach Corn Hill kamen. Es war schon spät, und wir fuhren auf dem Weg zu unserem Cottage an einem umzäunten Findling vorbei, über dem eine große amerikanische Flagge im Abendlicht wehte. Wir beachteten sie nicht weiter und waren froh, unsere Hütte vor Einbruch der Dunkelheit gefunden zu haben. Also luden wir unser Gepäck aus und beobachteten von der Veranda aus den Sonnenuntergang, der die Bucht von Provincetown in ein Flammenmeer verwandelte. Dann liefen wir den steilen Sandweg zum Strand hinunter und wanderten bis zur Mündung des Pamet River.

Am nächsten Morgen inspizierten wir nach dem Frühstück die umfängliche Bibliothek, in der sich unter anderem die Bücher von William Bradford, Elizabeth Reynard, Shebnah Rich und Josef Berger befanden. »Wusstest du, dass diese Sandbank die Wiege der Vereinigten Staaten ist?«, fragte ich, nachdem ich in den Büchern geblättert hatte. »Nö«, sagte Karen. »Aber das können wir ja jetzt nachlesen.«

Diesem guten Vorsatz standen allerdings das Frühlingswetter und die Landschaften zwischen Corn Hill und Long Point entgegen. Statt zu lesen, erkundeten wir die Strände von Ballston und Long Nook, besuchten das Highland Light und die Dünen von Pilgrim Heights, verbrachten einen Nachmittag in den Buchläden und Galerien von Provincetown und wanderten durch das Marschland von Wellfleet und Eastham. Die Walbeobachter hatten ihre Saison noch nicht begonnen. Dafür lernten wir die örtlichen Möwen- und Muschelarten kennen, entdeckten Pfeilschwanzkrebse und Geisterkrabben und sammelten Seeschnecken und Treibholz. Am Abend spielte Karen Klarinette, während das alte Cottage im Wind ächzte und schwankte.

Unsere erste Woche auf Corn Hill verging so schnell wie unsere Spuren im Ufersand. Als wir am letzten Abend bei Hummer und Chardonnay aus den Truro Vineyards saßen, hatten wir kein einziges der Bücher aus der Bibliothek gelesen. Aber wir wussten, dass wir wiederkommen würden, denn wir hatten Sand in unseren Schuhen – und wer Sand von Cape Cod mit nach Hause nimmt, so heißt es, der kommt wieder.

Provincetown

»Und am 11. November 1620 ankerten wir in jener Bucht, die ein guter Hafen ist, beinahe rund, bis auf die Einfahrt, welche an die vier Meilen weit ist von Land zu Land, bis an die See umstanden von Eichen, Pinien, Wacholder und Sassafras und anderem Gehölz. Es ist ein Hafen, in den wohl an die tausend Schiffe sicher hineinsegeln könnten.«

Mourt’s Relation (1622)

Von den Eichen und Pinien aus Mourt’s Relation, einem der frühesten Berichte über die Ankunft der Pilger auf Cape Cod, finden sich heute kaum noch Nachkommen. Sie wurden von den englischen Siedlern zu Blockhäusern, Palisaden und Booten verarbeitet oder als Feuerholz verbrannt. Übrig blieben die weißen Sanddünen, »the white shores of the Cape«.

Die Wälder, die in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts angepflanzt wurden, bestehen aus niedrigen Kiefern und weißen Fichten, allesamt Windflüchter vor der steten Nordostbrise, die sich dem kargen Boden der Dünen angepasst haben. Hier an der Spitze des Kaps wehen die Stürme besonders heftig und entwurzeln alles, was in den Himmel zu wachsen versucht.

Wenn man auf Route 6 von der Sagamore Bridge über den Cape Cod Canal und vorbei an Barnstable, Eastham und Wellfleet nach Provincetown fährt, sieht man kurz vor der Stadt am Pilgrim’s Lake die Dünenlandschaft der National Seashore. Während der Herbst- und Winterstürme wandern die Dünen mitunter bis an die Straße und verwehen den Asphalt. Dann sieht es für ein paar Tage wieder so aus wie zu Zeiten des indianischen Giganten Moshup, der die Küste des Kaps geformt haben soll. Die Legenden der Wampanoag berichten, dass es sich bei Moshup um einen freundlichen Riesen handelte, der als erstes Geschöpf des Großen Geistes auf das »schmale Land« zwischen Atlantik und Bayside kam und unter den Sternen schlafen musste, weil kein Wigwam groß genug für ihn war. Nachts wickelte er sich in einen Mantel aus Hunderten von Bärenfellen ein, und wenn er im Winter vor Kälte wach wurde, sprang er von einem Ende des Kaps zum anderen, um sich aufzuwärmen. So entstanden die Niederungen und Buchten zwischen Provincetown und Sandwich. Im Sommer schlief Moshup am liebsten auf den Dünen am Meer, und wenn es ihm zu warm wurde, wälzte er sich von einer Seite auf die andere und formte dabei die Strände zwischen Long Nook und Herring Cove. Eines Sommerabends verlor er seine Mokassins und fand sie erst am nächsten Morgen wieder. Als er den Sand ins Meer ausschüttelte, entstanden Martha’s Vineyard und Nantucket.

Moshup hatte mit seiner Squaw Quaunt fünf Söhne, die ebenfalls gutherzige Giganten waren. Aber ihre Friedfertigkeit wurde immer wieder von den Pukwudgies gestört, einem kleinen boshaften Volk, das das Kap für sich beanspruchte und der Legende nach über beachtliche Zauberkräfte verfügte. Während Moshup und seine Söhne Wale aus dem Meer zogen und an den Strand warfen, damit die Wampanoag genug zu essen hatten, sannen die Pukwudgies darüber nach, wie sie den großen Beschützer der Indianer vertreiben könnten. Sie verwandelten sich daraufhin in Irrlichter, lockten die Indianer in die Sümpfe des Marschlands und zerstörten als Bären und Wildkatzen ihre Felder. Schließlich riss dem Giganten der Geduldsfaden. Er zog mit seinen Söhnen auf den Kriegspfad und legte sich bei Popponesset auf die Lauer. Die Pukwudgies jedoch krochen lautlos durch das Schilfgras, bis sie nahe genug waren, um Moshups Söhnen eine böse Medizin in die Augen zu träufeln. Anschließend schossen sie auf die herumirrenden Gigantenkinder mit vergifteten Pfeilen. Als Moshup ihnen zu Hilfe kommen wollte, war es bereits zu spät – weder er noch die Medizinmänner der Wampanoag konnten die geblendeten Söhne heilen. Sie starben auf dem Marschland von Popponesset Bay. Moshup trug ihre toten Körper ins Wasser von Succonesset, wo er sie zur Ruhe legte und Sand auf sie häufte, bis fünf Inseln entstanden, die er mit Bäumen und Gräsern bepflanzte. Man kennt sie heute als Elizabeth Islands südwestlich von Woods Hole, einst von Bartholomew Gosnold nach seiner Königin benannt. Nach dem Tod von Moshups Söhnen kam ein großes Kanu mit weißen Segeln über das Meer gefahren, und auf ihm verschwand der Gigant für immer vom Kap.

Es ist nicht schwer, in dieser Legende historische Spuren und in den Pukwudgies die Puritaner zu erkennen, die Pulver, Pocken und ihren zornigen Gott mitbrachten. Elizabeth Reynard, die die Legenden der Wampanoag gesammelt hat, erzählt in ihrem Buch Das Schmale Land von 1934 auch die Geschichte von Gosnolds Schiffskameraden John Brereton, der nach seiner Rückkehr nach London im Juli 1602 dem Earl von Southampton von den wunderbaren Inseln berichtete, die er auf seiner Reise in die Neue Welt besucht hatte. An Southamptons Tisch saß ein Dramatiker, der auf der Suche nach einem Stoff für sein nächstes Theaterstück war. Brereton berichtete ihm von sturmumtosten Küsten und Geistergeheul vom Ufer her, von Seeungeheuern und dunklen Eingeborenen, die nur mit Lendenschurz und Federn im Haar herumliefen und grausige Götzen anbeteten. Stundenlang fragte der Theatermann den Seemann aus und schrieb schließlich das Stück Der Sturm, in dem einer der ersten Eingeborenen auf einer europäischen Bühne auftreten sollte und seinem weißen Herrn Prospero sowie dem erschrockenen Publikum entgegenschleudert: »Du hast mir deine Sprache beigebracht, und alles, was ich damit kann, ist: fluchen.«

Ich habe mich, als ich auf Cape Cod den Sturm übersetzte, oft gefragt, ob Shakespeare wohl auch Squanto und seinen Gefährten in London begegnet war. Sie könnten ihn angeregt haben, das Schicksal von Caliban auf die Bühne des Globe zu bringen und die ganze Tragik von Eroberung und Sklaverei zum Gegenstand des elisabethanischen Theaters zu machen:

Als du hier ankamst, hast du mich gestreichelt,
Viel hergemacht um mich, hast mir gegeben
Wasser mit Beeren drin, wolltest mich lehren,
Wie man das große und das kleine Licht benennt,
Die brennen Tag und Nacht. Ich liebte dich dafür,
Zeigte dir alle Herrlichkeiten meiner Insel,
Die frischen Quellen, Salzlöcher, das Marschland –
Verflucht bin ich dafür!

Die Pilger um William Bradford und Miles Standish hatten von der Reise von Gosnold und Brereton gehört, bei der auch John Smith mitgesegelt war. Sie waren aus England nach Leyden in Holland ausgewandert, um ihren Glauben praktizieren zu können, und mussten nun einen Einmarsch der Spanier in die Generalstaaten befürchten. Zudem begannen ihre Kinder die tolerante Lebensweise der Holländer zu schätzen und stellten den strengen Glauben ihrer Väter immer häufiger infrage. Also kehrte die Gruppe nach England zurück, um Geldgeber für eine Überfahrt und ein Siedlungspatent des Königs vom Council for New England zu beschaffen. Nach langen Verhandlungen einigte man sich schließlich auf die Konditionen: Der Council würde zwei Schiffe ausrüsten, im Gegenzug sollten die Pilger sieben Jahre für die Kredite arbeiten. Danach durften sie ihre Schulden abbezahlen oder mussten sich andernfalls weiter der Direktion des Rates fügen. Nun fehlte ihnen nur noch ein zuverlässiger Kapitän.

John Smith suchte 1620 noch immer nach einer Gelegenheit, wieder in die Neue Welt zu gelangen. Es hatte über die Finanzierung und die Geschäfte mit den neuen Besitzungen Streitigkeiten zwischen Sir Walter Raleigh und dem Earl of Southampton gegeben: Die adventure merchants