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DR. DANIEL CROSBY

DIE GESETZE DES REICHTUMS

PSYCHOLOGIE UND
DAS GEHEIMNIS DES
ANLAGEERFOLGS

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Dr. Daniel Crosby, The Laws of Wealth − Psychology and the Secret to Investing Success

ISBN 978-0-85719-524-1

Copyright der Originalausgabe 2016:

Copyright © Daniel Crosby

All rights reserved.

Originally published in the UK by Harriman House Ltd in 2016,

www.harriman-house.com.

Copyright 2019:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Egbert Neumüller

Gestaltung Cover: Julia Reinel

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Bildquelle: Shutterstock

Lektorat: Claus Rosenkranz

Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978-3-86470-620-2

eISBN 978-3-86470-621-9

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Für Katrina, Charlotte, Liam, Nelle
und die drei Engel – alles, was wichtig ist

INHALT

Danksagungen

Vorwort von Chuck Widger

Vorrede oder: Wie ich gelernt habe, keine Angst mehr zu haben, und dieses Buch gelesen habe

Einführung: Von Würmern und Wohlstand

Teil 1Die Regeln des verhaltensorientierten Selbstmanagements

Das Paradox von Primaten und formeller Kleidung

REGEL 1Man kontrolliert, worauf es am meisten ankommt

REGEL 2Man schafft das nicht allein

REGEL 3Schwierigkeiten sind Chancen

REGEL 4Wenn man begeistert ist, ist es eine schlechte Idee

REGEL 5Sie sind nichts Besonderes

REGEL 6Der beste Maßstab ist Ihr Leben

REGEL 7Vorhersagen sind etwas für Meteorologen

REGEL 8Überfluss dauert niemals an

REGEL 9Diversifizierung bedeutet, dass man immer etwas zu bedauern hat

REGEL 10Risiko ist kein Paragraf

Die Anwendung der Regeln für verhaltensorientiertes Selbstmanagement

Teil 2Verhaltensorientierte Vermögensverwaltung

Der Status der Vermögensverwaltung

Das verhaltensbedingte Risiko managen

Die vier Cs des regelbasierten Behavioral Investings

Die fünf Ps der Aktienanlage

Epilog: Behavioral Investing in einer verrückt gewordenen Welt

Bibliografie

Endnoten

DANKSAGUNGEN

Es wurde einmal treffend gesagt, dass man ein Dorf braucht, um ein Kind aufzuziehen, und das Gleiche lässt sich über das Schreiben eines Buches sagen. Dieses Buch existiert dank dieser Menschen und ihrer Beiträge zu meinem Leben:

Alison Crosby – Leben und die Liebe zum Schreiben

Philip Crosby – unerreichter Karriereberater

Nana – für Kürbisauflauf, Süßkartoffeln und Rübstiel

Karl Farnsworth – der größte Fan meiner Bücher

Hege Farnsworth – dafür, dass sie eine unglaubliche Tochter aufgezogen hat

Ali McCarthy – dafür, dass sie „billig gekauft“ und mir zu einer Karriere verholfen hat

Chuck Widger – Beratung, Geduld und ein Fahrplan

Craig Pearce – für die Gelegenheit

Jim Lake – Motivation, Energie und Zielrichtung

Stephanie Giaramita – Humor, Esprit und Hip-Hop

Brinker Capital – weil es mir eine Arbeitsfamilie bietet

Steve Wruble – Träumen, Pläne schmieden und Backtests

Edmond Walters – Mentorschaft, Chance und Aufrichtigkeit

Tim McCabe – Ermunterung und Südstaaten-Gastfreundschaft

Meredith Jones – unermüdliche Anleitung und Geduld mit meinen Macken

Brian Portnoy – weil er keine Dummköpfe erträgt

Maddie Quinlan – für das Korrekturlesen, Mensch!

John Nolan – Weisheit, Humor und Bagels

Peter Kalianotis – weil er mir gesagt hat, dass ich nicht genug verlange

Jordan Hutchison – weil er an The Dynasty glaubt

Corey Hoffstein – weil er erklärt, wie die Welt funktioniert

Noreen Beaman – weil sie eine Führungspersönlichkeit ist

Leslie Hadad und Rachel Barrow – für die frühe Unterstützung

Die Tausenden Menschen, die mich reden gehört haben, meine Bücher gekauft haben oder mir aufmunternde Worte geschenkt haben – eure Unterstützung ist ein Segen für mein Leben.

VORWORT VON CHUCK WIDGER

Dr. Daniel Crosby ist eine der prominentesten aufstrebenden Stimmen im Bereich der Behavioral Finance. Nachdem er kürzlich von Investment News unter die „Top 40 Thinkers Under 40“ in der Anlageverwaltungsbranche gewählt wurde, hebt er nun mit „Die Gesetze des Reichtums“ seine Reputation auf eine neue Ebene. Dieses Buch erklärt klar, ausgefeilt und humorvoll, wie und warum man die grundlegenden Prinzipien der Behavioral Finance erfolgreich im Rahmen des Vermögensverwaltungsprozesses umsetzen kann. Dieses Buch sollten sowohl Neulinge als auch erfahrene Anleger und Anlageberater lesen.

Alle wundervollen und fesselnden Bücher stellen überzeugend das Drama unseres Innenlebens dar. Als Leser fesselnder Bücher werden wir in das menschliche Drama hineingeworfen, das aus Angst und Gier geboren wird, aus Paradoxie, Ironie, Triumph und Tragödie, Krankheit, Liebe und den Beschränkungen der Conditio humana. Autoren, die den Vorhang wegziehen und unser Innenleben bloßlegen, haben unser Lob verdient. Ein Autor wie Dr. Crosby, der das menschliche Drama derart effektiv in den Prozess der Anlageverwaltung einbringt, hat auf jeden Fall Lob dafür verdient, dass er etwas, das allzu oft trocken und abstrakt ist, lebendig, fesselnd, relevant und bedeutungsvoll macht.

Dr. Crosby tut dies, indem er sich an die essenzielle Weisheit von Leonardo da Vinci, Nassim Nicholas Taleb, Daniel Kahneman und Ben Carson hält. Diese brillanten Köpfe raten uns, komplexe Probleme durch die unentwegte Anwendung weniger einfacher Regeln zu lösen. Es ist ja tatsächlich paradox zu glauben, dass die besten Lösungen für Probleme, die sich aufgrund komplexer Umstände stellen, einfache Lösungen seien. Diese Wahrheit wird in „Die Gesetze des Reichtums“ gleich am Anfang mithilfe der Story der unheilbaren durch den Medinawurm hervorgerufenen Erkrankung herausgestrichen. Diese Geißel des afrikanischen Kontinents lässt sich zwar nicht heilen, aber ihre Ausbreitung und beinahe ihre Existenz wurde durch eine einfache Verhaltensmaßnahme gestoppt, nachdem erkannt worden war, dass die Erkrankten in denselben Gewässern wie nicht Erkrankte gebadet hatten. Die Lösung: Die Erkrankten mussten es vermeiden, in denselben Gewässern zu baden. Diese einfache, elegante Lösung funktionierte, weil die Menschen ihr Verhalten managten. Das lässt Sie aufhorchen, oder?

Nachdem Dr. Crosby unsere Aufmerksamkeit geweckt hat, wendet er sich einem weiteren Paradoxon zu, das von zentraler Bedeutung ist und das sowohl Privatanleger als auch institutionelle Anleger begreifen müssen, um erfolgreich zu sein. Damit wir überleben und genug Kaufkraft bewahren können, um unseren jeweiligen Lebensstil aufrechtzuerhalten, müssen wir in risikobehaftete Vermögenswerte investieren. Indes sind wir alle – jeder Einzelne von uns – psychologisch schlecht für die Investition in Risikoanlagen gerüstet. Allgemein gesprochen machen wir aufgrund der „Angst-und-Gier-Krankheit“ bei der Auswahl sowie bei den Kauf- und Verkaufszeitpunkten von Kapitalanlagen Fehler, obwohl wir sie zum Überleben brauchen. Dies ist ein komplexes Problem.

Dr. Crosbys Lösung dieses komplexen Problems ist einfach und elegant. Er bezeichnet sie als „Rules Based Investing“ (RBI), zu Deutsch „regelbasierte Geldanlage“. RBI ist ein Investmentmodell, das im Wesentlichen aus zwei Teilen besteht – aus Wissen und einem Rahmenprozess für die Umsetzung oder Anwendung des unentbehrlichen Wissens. Diese gut recherchierten und dokumentierten zeitlosen Prinzipien werden mittels Anekdoten und Zitaten der großen Investoren unserer Zeit sowie früherer Generationen lebendig. Regel Nummer 1: Kontrollieren Sie Ihr Verhalten. Studien belegen eindeutig, dass Anleger aufgrund ihrer Verhaltenstendenzen allzu oft zu den falschen Zeitpunkten kaufen und verkaufen und dass ihre Anlageportfolios deshalb nicht schnell genug wachsen.

Regel Nummer 2: Wir brauchen Berater, die uns bezüglich unserer Verhaltenstendenzen betreuen. Die Vanguard-Studie „Putting Value on Your Value“ und der Morningstar-Bericht „Alpha, Beta, and Now … Gamma“ dokumentieren, dass Anlageberater als Verhaltensbetreuer die Jahresrendite um zwei bis drei Prozent steigern. Während der Autor die acht anderen Regeln vorstellt, beweist er seine meisterliche Kompetenz auf dem Gebiet der Behavioral Finance. Diese Regeln sind die Werkzeuge, die wir benötigen, um die 117 Verhaltenstendenzen zu kontrollieren, die unser Leben bei allen unseren Unternehmungen bestimmen, vor allem bei der Geldanlage.

Das Wissen darum reicht jedoch nicht. In der Lage zu sein, eine Regel oder ein Prinzip zu formulieren, reicht nicht. Um das angestrebte Ergebnis zu erzielen, müssen wir in der Lage sein, die Prinzipien regelmäßig anzuwenden oder umzusetzen. Wir wissen, dass wir den Schmerz eines Verlusts doppelt so stark empfinden wie die Freude über einen Gewinn. Wie bekommen wir diese Tendenz am besten in den Griff, sodass wir nicht an Tiefpunkten des Marktes verkaufen? Die Antwort besteht im Wesentlichen darin, dass man die Diversifizierung zu einem wesentlichen Bestandteil des Investmentprozesses machen sollte. Es reicht nicht, zu verstehen, dass diese Tendenz in uns vorhanden ist. Wir müssen wissen, wie man sie mithilfe angemessener Diversifizierung managt. Und der Wissenschaftsphilosoph Karl Polanyi macht uns klar – und das ist wichtig –, dass wir nur dann persönliches Wissen über das Management der Risikoaversion mittels Diversifizierung besitzen können, wenn wir sie erfolgreich praktizieren.

Im zweiten Teil des Buches liefert Dr. Crosby den Rahmen für einen Prozess, der, wenn man ihn anwendet, zu Erfolg und persönlichem Wissen führt, oder zu der Meisterschaft, die man benötigt, um erfolgreich in Risikoanlagen zu investieren und gleichzeitig die Verhaltenstendenzen zu managen, die unsere Anlagebemühungen oft zum Entgleisen bringen. Indem Dr. Crosby auf seine außerordentliche Forschungskompetenz und -disziplin als höchst renommierter Sozialwissenschaftler zurückgreift, schafft er den Rahmen für einen aktiven Managementprozess, der – wenn man ihn diszipliniert umsetzt – das Potenzial bietet, sowohl verhaltensbedingte Fehlpreisungen auszunutzen als auch Anleger dank eines ausgeprägten Verständnisses der Anlegerpsychologie vor katastrophalen Verlusten zu bewahren.

Dieser aktive Managementprozess – die regelbasierte Geldanlage (RBI) – richtet die Konzentration des Anlegers auf etwas, das erwiesenermaßen zu den wesentlichen Grundlagen der Vermögensverwaltung gehört: Diversifizierung, geringer Umschlag und niedrige Gebühren. Dabei ist entscheidend, dass der RBI-Prozess auch Bestandteile enthält, die der Autor als Konsistenz, Klarheit, Mut und Überzeugung bezeichnet. Er argumentiert überzeugend, dass diese vier Komponenten die fünf gängigen psychologischen Pfeiler unserer schlecht angepassten Verhaltensweisen managen – Ego, Emotion, Informationen, Aufmerksamkeit und Bewahrung. Es ist nicht zu leugnen, dass wir uns in der Erklärung dieser Verhaltensweisen durch den Autor wiedererkennen.

Und darin liegt die große Lehre dieser wunderbaren, fesselnden, durchdachten und wirkungsvollen Argumentation dafür, die Behavioral Finance und die Vermögensverwaltung miteinander zu kombinieren. Dies zeichnet nicht nur den Weg zu attraktiven Renditen vor, sondern auch ein Bild unseres Verhaltens, durch das wir uns unserer selbst mehr bewusst werden.

Von Dr. Crosby lerne ich immer etwas Bedeutendes. Ich bin zuversichtlich, dass es anderen Anlegern und Beratern genauso gehen wird. Viel Spaß!

Chuck Widger im Juli 2016

VORREDE ODER: WIE ICH GELERNT HABE, KEINE ANGST MEHR ZU HABEN, UND DIESES BUCH GELESEN HABE

Geneigter Leser, dieses Buch wurde in der einzigen Absicht verfasst, Sie wohlhabender zu machen. Wird dieser Wohlstand Wirklichkeit, wird er hart erarbeitet sein. Er wird erfordern, dass Sie sich in Geduld üben, Ihre eigenen Fehler eingestehen und sich die Idee zu eigen machen, dass Ihre größte Chance, sich selbst und Ihr Vermögen zu managen, darauf beruht, ein paar einfache Regeln zu befolgen. Angesichts der Tatsache, dass Sie als Angehöriger der menschlichen Spezies zu Ungeduld und Arroganz neigen sowie die Komplexität wie einen Fetisch verehren, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie daran scheitern. Trotzdem bleibt die Absicht dieses Buches bestehen. Meine Bemühungen, Sie vor sich selbst zu schützen, sind in zwei Teile aufgeteilt:

image Teil 1 – Eine Erklärung der Regeln, die notwendig sind, um sich selbst auf dem Weg zur Anhäufung von Wohlstand zu managen. Ich stelle zehn Gebote vor, die auf Hunderten Jahren Börsengeschichte beruhen und in der Binsenweisheit wurzeln, dass Sie jederzeit das kontrollieren sollten, worauf es am meisten ankommt (also Ihr Verhalten).

image Teil 2 – Legt einen regelbasierten Ansatz des Behavioral Investings (im Folgenden RBI) vor. Teil 2 kann man sich als Trichter denken, der vom Allgemeinen zum Besonderen und vom Risikomanagement zur Generierung von Erträgen übergeht. Er fängt mit der Andeutung eines Universums des verhaltensbedingten Risikos an, die direkt in eine Konversation über einen regelbasierten Investmentansatz mündet, der dieses Risiko abmildert. Er endet mit einer Diskussion der fünf spezifischen Faktoren, die ich im Rahmen meines RBI-Ansatzes berücksichtige, die als Beispiel für mögliche Anwendungen dient.

Um Ihnen zu helfen, sich auf die praktische Anwendung des behandelten Stoffes zu konzentrieren, bringe ich am Ende jedes Kapitels eine Zusammenfassung mit der Überschrift „Und jetzt?“. Diese Zusammenfassungen verweisen Sie darauf, was Sie denken und fragen sollten, um aus den gelernten Lektionen Nutzen zu ziehen und sie in die Praxis umzusetzen, damit Sie Ihren Geldanlageprozess verbessern können.

Ich behaupte, dass sich die Regeln, die für die Welt eines Geldanlegers gelten, sehr von denen unterscheiden, die in anderen Lebensbereichen vorherrschen. Unser Erfolg am Markt hängt davon ab, dass wir uns an den Regeln des Marktes orientieren, und dies wiederum hängt davon ab, dass wir uns selbst kennen. Ich hoffe, wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wird es Ihnen finanziell besser gehen und Sie werden ein reichhaltigeres Ich-Bewusstsein entwickelt haben.

EINFÜHRUNG: VON WÜRMERN UND WOHLSTAND

„Hinter allen Arten und Weisen,

die möglicherweise Börsenrenditen verbessern,

scheint Psychologie zu stecken.“

– BEN STEIN UND PHIL DEMUTH,
„THE LITTLE BOOK OF
ALTERNATIVE INVESTMENTS“

ÜBER MEDINAWÜRMER …

Der amerikanische Süden ist eine stolze und manchmal im Aufruhr befindliche Region, die sich durch ihre einzigartigen Essgewohnheiten, ihren unverkennbaren Akzent und ihren Ruf der sowohl menschlichen als auch klimatischen Wärme auszeichnet. Ich bin ein Kind dieser seltsamen und wundervollen Gegend, in Alabama geboren, Jetzt lebe ich in Atlanta, das de facto die Hauptstadt des Südens ist.

Atlanta ist vieles: die Heimat zweier Friedensnobelpreisträger (Martin Luther King, Jr. und Jimmy Carter), die einzige amerikanische Stadt, die zweimal bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, und es war 1996 Gastgeber der olympischen Sommerspiele. Was jedoch vielleicht am beeindruckendsten ist: Atlanta ist das weltweite Epizentrum der epidemiologischen Forschung, und zwar dank der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und des Carter Centers.

Das CDC kann mit mehr als 14.000 Beschäftigten in über 50 Ländern aufwarten und ist die Speerspitze im Kampf gegen Infektionserkrankungen im In- und Ausland. Das Carter Center, das philanthropische Vermächtnis des früheren amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, führt in seinem Motto das ehrgeizige Ziel „Frieden wagen. Krankheiten bekämpfen. Hoffnung erzeugen.“

Zwar sind beide Organisationen allezeit fleißig, jedoch rückt ihre Arbeit meist nur im Zusammenhang mit prägnanten gesundheitsbezogenen Ereignissen ins öffentliche Bewusstsein, zum Beispiel anlässlich der HIV-/AIDS-Epidemie, SARS, der Vogelgrippe oder in jüngster Zeit des Ebola-Virus. Da schlagzeilenträchtige Krankheiten mit dramatischen Namen (Rinderwahn zum Beispiel) einen überdurchschnittlichen Teil des Rampenlichts ergattern, bleiben einige der wirkungsvollsten Programme dieser Organisationen weitgehend unbemerkt. Eine solche Kampagne ist das Bemühen, den Medinawurm auszurotten, unter der Leitung von Dr. Donald Hopkins.

Um die ganze Bedeutsamkeit der Arbeit von Dr. Hopkins und seinem Team im Carter Center zu verstehen, müssen wir zunächst die (etwas unangenehme) Anstrengung unternehmen, die krankhaften Auswirkungen zu verstehen, die der Parasit Dracunculus medinensis – allgemein als Medinawurm bekannt – hervorruft. Der Medinawurm ist der größte Gewebeparasit, der den Menschen befällt, und er kann etwa einen Meter lang werden. Medinawürmer sind außerdem Fortpflanzungsexperten – adulte Weibchen tragen unglaubliche drei Millionen Larven. Die Weltgesundheitsorganisation vermerkt, dass „der Parasit durch das Unterhautgewebe des Betroffenen wandert und große Schmerzen verursacht, vor allem wenn dies in Gelenken geschieht. Irgendwann tritt der Wurm aus (in den meisten Fällen aus den Füßen) und verursacht ein höchst schmerzhaftes Ödem, eine Blase und ein Geschwür, das mit Fieber, Übelkeit und Erbrechen einhergeht.“ Aua!

Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass gerade das Mittel, durch das man den schrecklichen Schmerz lindern kann, die Übertragung des Parasiten noch fördert. Auf der Suche nach Erleichterung von den Schmerzen eilen die Leidenden zu ihrer örtlichen Wasserstelle und tauchen ihre wurmgeplagten Glieder verzweifelt ins Wasser. Das unmittelbare Ergebnis für das Opfer ist positiv – der betroffene Bereich wird etwas gekühlt und kurzzeitig flauen die Symptome ab. Die Hilfe für eine Person geht jedoch auf Kosten vieler Personen, denn nun befindet sich der Medinawurm im Wasser, das sein bevorzugtes Fortpflanzungsmilieu ist. Wie Sie sich inzwischen wohl schon denken können, vermehren sich die Parasiten im Wasser, dieses wird dann an durstige Dorfbewohner verteilt, die schließlich infiziert werden, auf der Suche nach Erleichterung an die Wasserstelle zurückkehren und so den Zyklus endlos fortsetzen.

Jedoch gehen die negativen Folgeschäden weit über den physischen Schmerz hinaus (ich habe natürlich leicht reden). Das Buch „Influencer: The Power to Change Anything“ beschreibt die Nachwirkungen folgendermaßen:

„Die Leidenden können viele Wochen lang nicht auf dem Feld arbeiten. Wenn Eltern betroffen sind, gehen die Kinder womöglich nicht mehr in die Schule und helfen bei den häuslichen Arbeiten. Es können keine Feldfrüchte angebaut werden. Die Ernte ist verloren. Daraus folgt Hunger. Der Zyklus aus Analphabetismus und Armut verzehrt die nächste Generation. Die von dem Wurm hervorgerufenen Sekundärinfektionen können tödlich sein. Infolge dessen ist der Medinawurm seit über 3.500 Jahren in Dutzenden Ländern eine bedeutende Hürde für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt.“1

Nun sollte mehr als klar sein, dass Dr. Hopkins und sein Team, als sie 1986 dem Medinawurm den Krieg erklärten, gegen einen furchterregenden Feind in die Schlacht zogen. Aber ihr Schlachtplan war nicht das, was die meisten erwartet hatten. Anstatt ihre Bemühungen auf eine medizinische Heilung der Krankheit zu richten, versuchten sie, das menschliche Verhalten zu ändern, das ihre Ausbreitung fördert. Damit taten sie etwas, das viele für unmöglich gehalten hatten – sie rotteten eine Krankheit annähernd aus, für die es keine Heilung gibt.

Sie erzielten diesen unwahrscheinlichen Erfolg, indem sie etwas überaus Intuitives taten: Sie untersuchten die nicht infizierten Dörfer, identifizierten einige wenige wichtige Verhaltensweisen und machten ihre Ergebnisse allgemein bekannt. Konkret handelte es sich bei den entscheidenden Verhaltensweisen (für den Fall, dass Sie jemals in ein Entwicklungsland kommen) um folgende:

1. Die Bewohner gesunder Dörfer waren bereit, sich für befallene Freunde, Verwandte oder Nachbarn einzusetzen.

2. Die befallenen Personen wurden auf dem Höhepunkt ihres Schmerzes (das heißt wenn die Würmer aus der Haut austraten) von den gemeinschaftlichen Wasserquellen ferngehalten.

Indem sie diese entscheidenden Handlungsweisen kodifizierten und andere von deren Wirkung informierten, beeinflussten Dr. Hopkins und sein Team das körperliche, geistige und wirtschaftliche Wohlbefinden von Millionen Menschen. Die gewaltige Reichweite ihrer Arbeit täuscht über die Einfachheit der Lösung hinweg. Nichts, was sie getan hatten, um die Welt von dieser Geißel zu befreien, war besonders bahnbrechend. Dr. Hopkins verstand schlicht die Macht einiger weniger Verhaltensweisen, wenn sie auf breiter Front und konsequent angewandt werden.

… UND HOHE RENDITEN

Parallelen zwischen Ihrem Vermögen und einem tropischen Parasiten mögen weit hergeholt (oder zu widerlich) erscheinen, aber tatsächlich können wir aus der Ausrottung des Medinawurms viel lernen. Als Erstes müssen wir uns eingestehen, dass wir als Anleger von einer Krankheit befallen sind, für die es weder Heilung gibt noch jemals eine geben wird. Diese Krankheit ist Ihre eigene Angst und Gier. Ich hege die Hoffnung, dass Sie, wenn Sie das Buch zu Ende gelesen haben, ebenso wie ich überzeugt sein werden, dass die Psychologie das größte Hindernis für zufriedenstellende Anlagerenditen sowie die größte Quelle eines möglichen Vorteils gegenüber anderen, weniger disziplinierten Anlegern darstellt.

Als Zweites müssen Sie akzeptieren, dass die einzige Möglichkeit, die Krankheit von Angst und Gier auszurotten, darin besteht, sich diszipliniert an eine Reihe entscheidender Verhaltensweisen zu halten. Ebenso wie die Verhaltensweisen, die die Dorfbewohner befreit haben, sind die hier dargelegten Verhaltensweisen einfach und intuitiv zu erfassen, aber außerordentlich schmerzhaft umzusetzen. Es ist verstandesmäßig einfach zu begreifen, dass man sich nicht der Wasserstelle nähern sollte, wenn man von einem Parasiten befallen ist? Natürlich. Es ist leicht, dies zu tun, wenn der Körper vor Schmerzen lichterloh brennt? Auf keinen Fall.

Ebenso lösen die Ideen, denen Sie in diesem Buch begegnen werden, in einem Augenblick kühler Berechnung wahrscheinlich heftiges Kopfnicken aus. Aber entscheidend für ihre Wirksamkeit wird Ihre Fähigkeit sein, sie unter allen Marktbedingungen diszipliniert umzusetzen. Ein Dorfbewohner, der weiß, dass er seinen Fuß nicht ins Wasser halten soll, es aber trotzdem tut, ist nicht besser dran als ein ahnungsloser Dorfbewohner – und das Gleiche gilt für Anleger. Ebenso wie die Dorfbewohner werden wir nur dann zu wirklich fachmännischen Anlegern, wenn wir lernen, um der Verheißung eines besseren Morgens willen ein schmerzhaftes Heute zu ertragen.

TENDENZEN ÜBERWINDEN

Es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, dass einen Pathologie fasziniert. Sigmund Freud begann seine Untersuchung der menschlichen Psyche damit, dass er darstellte, wie sie gebrochen wird (ein Tipp: Ihre Mutter), und länger als ein Jahrhundert beschritt das Fachgebiet der Psychoanalyse weiterhin diesen Weg. Es dauerte circa 150 Jahre, bevor die Untersuchung der klinischen Psychologie in der Erforschung dessen, was man inzwischen als positive Psychologie bezeichnet – die Erforschung dessen, was uns glücklich, stark und außergewöhnlich macht –, einen Ausgleich fand.

Daher überrascht es wohl nicht, dass auch die Behavioral Finance mit der Untersuchung des Anomalen begann und sich erst jetzt einem eher lösungsorientierten Ideal zuwendet. Wir sind zwar nicht wegen eines gründlichen Überblicks über den Übergang von effizienzorientierten zu verhaltensorientierten Ansätzen hier, aber es lohnt sich, die Grundlagen dieser Ideen und die Möglichkeiten zu betrachten, wie wir uns mit ihrer Hilfe verbessern können.

Jahrzehntelang machten sich die vorherrschenden Wirtschaftstheorien die Sichtweise des Homo oeconomicus als rational, nutzenmaximierend und eigennützig zu eigen. Auf diesen einfachen (wenn auch unrealistischen) Annahmen bauten die Volkswirte mathematische Modelle auf, die zwar überaus elegant waren, sich aber für die wirkliche Welt nur eingeschränkt eigneten. Das funktionierte so lange gut, bis es eben nicht mehr funktionierte. Von dem Glauben an die Berechenbarkeit des Homo oeconomicus angespornt, lasen die Neunmalklugen Pfennige vor rollenden Dampfwalzen auf – bis sie plattgemacht wurden.

Unter dem starken Eindruck implodierender Hedgefonds, zahlreicher Manien samt damit einhergehender Crashs und zunehmender Belege für die Irrationalität begann der Homo oeconomicus dem irrationalen Menschen zu weichen. Die Vertreter der Verhaltensökonomie beginnen, mit dem gleichen Eifer, mit dem sich die Vertreter der Markteffizienz zuvor darangemacht hatten, die gemeinschaftliche Klugheit der Masse zu verteidigen, nun die Schwachstellen der Anleger zu dokumentieren. Bei meiner letzten Zählung hatten Psychologen und Ökonomen 117 Verhaltenstendenzen dokumentiert, die geeignet sind, eine klarsichtige Entscheidungsfindung zu trüben. Einhundertsiebzehn verschiedene Arten, etwas falsch zu machen.

Das Problem an all diesem Philosophieren im Elfenbeinturm ist, dass nichts davon den Anlegern wirklich etwas bringt. Für einen klinischen Psychologen ist eine Diagnose ein notwendiger, aber bei Weitem nicht hinreichender Teil eines Behandlungsplans. Kein Seelenklempner, der seine 200 Dollar die Stunde wert ist, würde einen als pathologisch abstempeln und einem die Tür weisen, aber in weiten Teilen hat die Behavioral Finance der Anlegeröffentlichkeit genau das geboten: ein Übermaß an Pathologie und einen Mangel an Lösungen.

Um ins Auge zu fassen, wie nutzlos es ist, wenn einem nur gesagt wird, was man nicht tun soll, probieren wir es mit einer einfachen Übung:

„Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!“

Was ist passiert, als Sie den oben stehenden Satz gelesen haben? Die Chancen stehen gut, dass Sie genau das getan haben, was ich Sie gebeten hatte, nicht zu tun: Sie haben sich einen rosa Elefanten vorgestellt. Wie enttäuschend! Sie hätten sich unzählige Dinge vorstellen können – Sie hatten unendlich minus eine Möglichkeiten – und doch haben Sie meine einfache Aufforderung ignoriert. Aber gut, ich habe Sie noch nicht aufgegeben. Probieren wir es noch einmal.

„Stellen Sie sich, was immer Sie auch tun, keinen großen lilafarbenen Elefanten mit einem Sonnenschirm vor, der anmutig auf Zehenspitzen über ein Hochseil balanciert, das zwischen zwei Hochhäusern in einer Großstadt gespannt ist.“

Sie haben es schon wieder getan, oder?

Was Sie gerade erlebt haben, ist die ganz natürliche Neigung, sich etwas vorzustellen und sogar darüber nachzugrübeln, obwohl Sie wissen, dass Sie es nicht tun sollten. Denken Sie an jemanden auf Diät, der eine lange Liste verbotener Lebensmittel erstellt hat. Er wiederholt zum Beispiel jedes Mal, wenn er auch nur die leichteste Versuchung verspürt, das Mantra „Ich werde keinen Keks essen, ich werde keinen Keks essen, ich werde keinen Keks essen“.

Aber was kommt am Ende bei dieser selbstgeißelnden Grübelei heraus? Im Endeffekt denkt er den ganzen Tag an Kekse und knickt wahrscheinlich beim ersten Anblick eines Oreos ein. Die Forschung besagt eindeutig, dass ein weitaus wirksamerer Ansatz darin besteht, dieses Verhalten auf etwas Wünschenswertes auszurichten, anstatt Botschaften der Selbstverleugnung zu wiederholen, die den bösen Gegenstand ironischerweise im Vordergrund des Denkens halten.

Zum Leidwesen der Anleger gibt es bislang weitaus mehr theatralische Botschaften nach dem Motto „Tu dies nicht!“ als konstruktive nach dem Motto „Tu stattdessen das!“ Mein Ziel ist es, das Gleichgewicht wiederherzustellen und Sie mit konkreten Vorschlägen zu versorgen, mit denen Sie sowohl Ihr Verhalten als auch Ihr Geld managen können.

JENSEITS VON „SAG EINFACH NEIN“

Negativität und Selbstbeschuldigung bringen nicht nur nicht das gewünschte Verhalten hervor. Manchmal blockieren sie auch vollständig die Eigeninitiative. Die leitenden Manager von VitalSmarts – Innovatoren auf dem Gebiet der Unternehmensschulung und Führungsentwicklung – erzählen genau eine solche Geschichte in ihrem Buch „Influencer: The Power to Change Anything“. Und zwar die Geschichte von König Rama IX. von Thailand, der anlässlich seines 60. Geburtstags beschloss, eine historische Demonstration seiner Freigebigkeit zu verfügen. Sein Geschenk? Er entschied sich, 30.000 Gefängnisinsassen eine Amnestie zu gewähren.

Das war im Jahr 1988 und bis dahin war das AIDS/HIV-Virus weitgehend auf die Gefängnisse beschränkt gewesen. Aber mit der Freilassung von Zehntausenden Gefangenen in einem Land mit einer florierenden Sexindustrie änderte sich das schnell. Innerhalb von 365 Tagen wurden in manchen Provinzen bis zu einem Drittel der Sex-Arbeiterinnen positiv auf HIV getestet. Mit trauriger Vorhersagbarkeit steckten sich bald verheiratete Männer bei Prostituierten an und brachten die Krankheit in die Vorstädte sowie zu ihren arglosen Partnerinnen. Mehr als eine Million Thais waren bereits infiziert und fast ein Prozent der Bevölkerung arbeitete in der Sexindustrie, daher waren die Prognosen für die künftigen Infektionsraten furchterregend.

Als Reaktion bildete die Regierung eine Task Force unter der Leitung eines Dr. Wiwat. Er wurde damit beauftragt, die Menschen abzuschrecken. Er und sein Team entwiceklten dramatische Kampagnen mit Schlagzeilen wie: „Die gefürchtete Seuche kommt!“ Als die Fortschritte ein paar Jahre später überprüft wurden, ergab sich, dass die „Scared Straight“-Kampagne in Wirklichkeit einen negativen Nutzwert hatte. Das Problem verschlimmerte sich und man beschloss, es anders anzupacken.

Dr. Wiwat und sein Team ermittelten zunächst die Wurzel des Problems: 97 Prozent der neuen HIV-Infektionen waren auf Sex mit Prostituierten zurückzuführen. Mit dieser Information konzentrierte sich Wiwat auf die Quelle – er musste die thailändischen Sexarbeiterinnen dazu bringen, dass sie auf der Benutzung von Kondomen beharrten. Wo einst Furcht geherrscht hatte, fasste nun Bildung Fuß. Die schwammige Abschreckungstaktik wurde durch nützliche Tipps ersetzt, wie man sich Prophylaxen beschafft, sie einsetzt und entsorgt. Ende der 1990er-Jahre hatten fünf Millionen Thais, die eigentlich AIDS hätten haben müssen, kein AIDS, weil Dr. Wiwat von Angstkampagnen auf ergebnisorientierte Informationen umgeschwenkt war. Ob man nun über rosa Elefanten oder thailändische Prostituierte diskutiert, das Ergebnis ist das gleiche: Scham und Angst sind schlechte Motivationen für gutes Verhalten und können sogar zu paradoxen Reaktionen führen.

Als weiteren Beleg dafür, wie wirksam es ist, dem Verhalten Vorrang zu geben, zeigt Dan Ariely in „Denken hilft zwar, nützt aber nichts“, dass die Ergebnisse eines Mathematiktests unterschiedlich ausfielen, je nachdem ob Frauen daran erinnert wurden, dass sie Asiatinnen waren (die stereotypisch als gut in Mathe gelten), oder daran, dass sie Frauen waren (die stereotypisch als schlecht in Mathe gelten). Wie Sie sicherlich schon erraten haben, haben diejenigen, die veranlasst wurden, sich als Asiatinnen zu betrachten, besser abschnitten als diejenigen, die veranlasst wurden, sich ihrer Weiblichkeit zu besinnen.

In ähnlicher Weise stellt Meir Statman in seinem Buch „What Investors Really Want“ Forschungen über sozioökonomische Etiketten und Ausgabeverhalten vor. Teilnehmer, die angehalten wurden, sich selbst als arm zu betrachten, gaben mit weit größerer Wahrscheinlichkeit ihr Geld für auffällige Luxusartikel als Signal von Wohlstand an die Außenwelt aus. In beiden Fällen wurde das Verhalten der Teilnehmer durch eine Erinnerung an die Schublade manipuliert, in die sie gehörten. Ihnen wurde gesagt, wo sie hingehören, und sie verhielten sich entsprechend.

Findet diese sogenannte geistige Vorbereitung in der Welt der Geldanlage statt, ist sie gefährlich. Dadurch, dass die Behavioral Finance die Arten des Fehlverhaltens betont, von denen Anleger befallen werden – ohne konstruktive Alternativansätze anzubieten –, richtet sie die Anleger darauf aus, diesen Tendenzen zu erliegen und Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die das Problem noch verschlimmern.

Die Anleger sind weder die eigennützigen, nutzenmaximierenden Drohnen, für die sie die Brigade der Markteffizienz einst hielt, noch sind sie die Tölpel im Stil von Homer Simpson, als die sie in jüngerer Zeit dargestellt werden.

Statt immer längerer Listen, in welcher Hinsicht sie unvollkommen sind, brauchen Anleger ein realistisches Verständnis ihrer Stärken und Schwächen sowie konkrete Ratschläge, um Letztere zu umgehen und Erstere auszubauen. Wie der kluge thailändische Doktor hoffe ich, dass Sie dieses Buch ausreichend abschrecken wird, damit Sie aufmerksam werden, Ihnen aber auch positive Leitlinien vermittelt, um die gefürchtete Seuche des Fehlverhaltens von Anlegern zu vermeiden.

Michel de Montaigne hat das noch viel eleganter ausgedrückt:

„Ich bin dem Frauenzimmer aus Milet dankbar, das dem Philosophen Thales zugesehen hatte, wie er seine Zeit in stetiger Betrachtung des Himmelsgewölbes verbrachte und seine Augen stets nach oben gerichtet hatte, und das ihm etwas in den Weg legte, um ihn zum Stolpern zu bringen, um ihn zu warnen, dass es erst dann an der Zeit wäre, seine Gedanken mit den Dingen in den Wolken zu erfreuen, wenn er die Dinge zu seinen Füßen gesehen hätte. Dadurch gab sie ihm in der Tat den guten Rat, lieber auf sich selbst als auf den Himmel zu schauen.“

Die Behavioral Finance verbringt einen Großteil ihrer Zeit damit, das Himmelsgewölbe zu betrachten, und ist manchmal schmerzlich unwissend, was die eher praktischen Überlegungen zu ihren Füßen angeht. Ich verfolge hier das Ziel, Ihnen ausreichend Theorien, Anekdoten und Forschungen vorzulegen, um Ihren Verstand zu überzeugen, dies aber jederzeit auf den praktischen Zweck gerichtet, Sie zu einem besseren Anleger zu machen.

Lesen Sie also weiter, aber lesen Sie nicht bloß, denn die Prinzipien, die Sie in diesem Buch lernen werden, werden nur so nützlich sein wie Ihre Bereitschaft, damit zu experimentieren. Die Reise des verhaltensorientierten Anlegers erfordert zwar ein Stückchen Kopf, aber noch viel mehr Herz und Bauch.

Teil 1

DIE REGELN DES VERHALTENSORIENTIERTEN SELBSTMANAGEMENTS

DAS PARADOX VON PRIMATEN UND FORMELLER KLEIDUNG

Haben Sie jemals einen Affen im Smoking gesehen? Das hoffe ich natürlich, aber in dem unwahrscheinlichen Fall, dass dem nicht so ist, legen Sie das Buch kurz beiseite und sorgen Sie mithilfe Ihrer bevorzugten Suchmaschine dafür, dass Sie umgehend Abhilfe schaffen.

Haben Sie jetzt einen gesehen? Umso besser!

Als Sie Zeuge der transzendenten Pracht eines Affen im Smoking wurden, erlebten Sie wahrscheinlich eine Reihe unterschiedlicher Reaktionen. Ihre erste Reaktion war vermutlich ein Lachen oder Lächeln, aber als Sie länger hinschauten, überkam Sie vielleicht ein leichtes Unbehagen. Denn so lustig ein Affe im Smoking (im Folgenden ein AIS) sein mag, irgendetwas ist nicht ganz richtig daran, dass ein wildes Tier einen Kummerbund trägt.

So fremdartig ein Primat im Abendanzug auch aussehen mag, Sie sind genauso deplatziert, wenn Sie in Aktien investieren. Das traurige Paradoxon sieht so aus:

1. Wenn Sie überleben wollen, müssen Sie in riskante Anlagen investieren.

2. Sie sind psychologisch schlecht für die Investition in riskante Anlagen gerüstet.

Untersuchen wir als Erstes die Gründe, weshalb man in riskante Anlagen investieren muss, wenn man in seinen goldenen Jahren etwas anderes als Katzenfutter essen will. Während ich dieses Buch schreibe, beträgt das mediane Jahresgehalt in den Vereinigten Staaten 26.695 Dollar und das mediane Haushaltseinkommen 50.500 Dollar.

Nehmen wir jedoch zum Zweck der Veranschaulichung an, Sie wären viermal so schlau wie der Durchschnitt und hätten es geschafft, sich ein komfortables Jahresgehalt von 100.000 Dollar zu verschaffen. Nehmen wir des Weiteren an, Sie wären ein Anhänger des Anti-Schulden-Gurus Dave Ramsey und würden mit religiösem Eifer jedes Jahr zehn Prozent Ihres Einkommens in ein Sparschwein werfen, dessen Innereien erst am ersten Tag Ihres Ruhestands das Tageslicht erblicken werden. Unter der Annahme, dass Sie im Alter von 25 Jahren mit dem Sparen anfangen und sich mit 65 Jahren zur Ruhe setzen, werden Ihre Bemühungen der Selbstverleugnung einen Sparstrumpf von insgesamt 400.000 Dollar abgeworfen haben.

Zwar mögen 400.000 Dollar nach einem hübschen Sümmchen aussehen, aber es versorgt wohl kaum jemanden, der im Ruhestand locker noch 30 Jahre lang leben könnte. Mit 13.333 Dollar im Jahr würden Sie nach der heutigen Berechnung an der Armutsgrenze leben, ganz zu schweigen davon, wie dramatisch die Inflation die Kaufkraft dieses Betrags nach 40 Jahren aufgezehrt hätte.

Wenn wir die Uhr vom jetzigen Zeitpunkt aus 40 Jahre zurückdrehen, sehen wir, dass einem ungefähr 90.000 Dollar des Jahres 1975 die Kaufkraft von heutigen 400.000 Dollar bringen würden. Eine weitere Berechnung auf der Rückseite der Serviette sagt uns, dass die 400.000 Dollar vielleicht heute in Ordnung zu sein scheinen, dass wir aber in 40 Jahren eher um die 1,5 Millionen Dollar brauchen werden, um über die gleiche Kaufkraft zu verfügen.

Bedenken Sie dabei, dass das durchschnittliche amerikanische Ehepaar derzeit im Ruhestand fast 250.000 Dollar, die über seine monatlichen Beiträge hinausgehen, im Zusammenhang mit Gesundheit ausgibt. Rechnet man für die nächsten 40 Jahre auch nur eine mäßige Inflation ein, geht allein das Geld für medizinische Rechnungen weit über die Ersparnisse des Modells hinaus, vom sehr guten Verdienst immer etwas zu sparen.

Man könnte die Annahmen noch weiter verkomplizieren, indem man die Lebenswirklichkeit des durchschnittlichen Arbeitnehmers berücksichtigt (die meisten Menschen verdienen nicht gleich nach dem College 100.000 Dollar, die meisten bekommen im Laufe ihres Berufslebens Gehaltserhöhungen und die meisten sparen keine zehn Prozent ihres Einkommens), aber im Grunde ergäbe die Berechnung das Gleiche. Man schafft es ohne ein bisschen Hilfe von Risikoanlagen, deren Renditen über die heimtückische, korrodierende Kraft der Inflation hinausgehen, einfach nicht, bis zum Alter von 65 Jahren die nötigen Ersparnisse zusammenzubekommen.

Burton Malkiel hat es noch viel prägnanter ausgedrückt: „Selbst wenn man nur eine geringe Inflation einkalkulieren muss, ist klar, dass man sich Anlagestrategien aneignen muss, die die tatsächliche Kaufkraft aufrechterhalten; andernfalls ist man zu einem stetig sinkenden Lebensstandard verurteilt.“ Deshalb müssen wir Geld anlegen, wenn wir überleben wollen.

Was aber das zweite oben angesprochene Problem angeht: Sind wir in Sachen Geldanlage irgendwie gut?

Lewis Carrolls Geschichten über Alice im Wunderland sind vielleicht das beste Musterbeispiel für die Gattung, die man als literarischen Nonsens bezeichnet. Wie man es von einer unsinnigen Geschichte erwarten kann, findet sich Alice in einer seltsamen Welt wieder, in der oben unten ist, falsch richtig ist und „es nicht sehr darauf ankommt, welchen Weg man geht“. Die wunderliche Zirkularität wird sehr gut durch Alices Interaktionen mit der Grinsekatze veranschaulicht, unter anderem:

„Ich will aber nicht zu verrückten Menschen gehen“, bemerkte Alice.

„Ach, das lässt sich gar nicht vermeiden“, sagte die Katze.

„Wir sind hier alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.“

„Woher weißt du, dass ich verrückt bin?“, fragte Alice.

„Das musst du sein“, sagte die Katze, „sonst wärest du nicht hergekommen.“

Ebenso wie Alice im Reich der Grinsekatze finden sich Anleger in einer Welt wieder, die viele Gesetze des Alltagslebens infrage stellt. In der Welt des Anlegers ist die Zukunft gewisser als die Gegenwart, weniger zu tun ist besser als mehr zu tun und das Kollektiv weiß weniger als der einzelne Teilnehmer. Untersuchen wir jede dieser Realitäten in dieser kopfstehenden Welt etwas genauer.

EINE ZUKUNFT, DIE GEWISSER IST ALS DIE GEGENWART?

Nehmen wir an, ich frage Sie, was Sie in fünf Minuten tun werden. Diese Frage können Sie wahrscheinlich mit einem hohen Maß an Gewissheit beantworten. Denn schließlich wird es ja wohl in etwa so aussehen wie das, was Sie zu dem Zeitpunkt tun, zu dem Sie gefragt werden.

Legen wir nun die Messlatte etwas höher und stellen uns vor, ich würde Sie fragen, was Sie in fünf Wochen tun werden. Das wird sicherlich exponentiell schwerer vorherzusagen sein, aber vielleicht gibt Ihnen Ihr Kalender Anhaltspunkte dafür, womit Sie in dieser Zeit beschäftigt sein werden. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie würden gebeten, Ihre Handlungen in fünf Monaten, in fünf Jahren oder gar in 50 Jahren vorherzusagen. So gut wie unmöglich, oder? Selbstverständlich, denn im Alltagsleben kennt man die Gegenwart sehr viel besser als die ferne Zukunft.

Die Geldanlage wird dadurch verkompliziert, dass hier das exakte Gegenteil gilt. Wir haben keine Ahnung, was heute passieren wird, kaum einen Begriff davon, was die nächste Woche bereithält, und nur einen schwachen Schimmer von den potenziellen Renditen in einem Jahr. Aber für einen Zeitpunkt in 25 Jahren könnten wir eine viel zutreffendere Schätzung abgeben. Sehen Sie sich die in der folgenden Tabelle dargestellte langfristige Aktienperformance nach Haltezeiten an:

TABELLE 1Renditespanne von Aktien 1926 bis 19972

Haltezeit

Beste Rendite in %

Schlechteste Rendite in %

1 Jahr

53,9

-43,3

5 Jahre

23,9

-12,5

10 Jahre

20,1

-0,9

15 Jahre

18,2

0,6

20 Jahre

16,9

3,1

25 Jahre

14,7

5,9

Über kurze Zeiträume kann man die Renditen so gut wie nicht wissen. Über ein einziges Jahr ist das Renditespektrum sehr breit, von 54 Prozent Gewinn bis 43 Prozent Verlust. Über 25 Jahre – einen Zeitraum, der einem langfristigen Anlagehorizont besser entspricht – wird die Zukunft weitaus gewisser, weil das Renditespektrum dann enger ist. Die Renditen variieren in diesem längeren Zeitraum von 15 Prozent Gewinn im Jahr bis zum schlechtesten Fall mit sechs Prozent im Jahr.

Dass die Renditespanne auf lange Sicht nicht so erschreckend aussieht, deutet darauf hin, dass man Aktien für lange Zeit halten sollte. Für die Menschen bedeutet das, dass sie die Realität von Grund auf neu denken müssen, was aber offenbar nicht geschieht. Der Ausnahmestatistiker Nate Silver schreibt in „Die Berechnung der Zukunft“:

„In den 1950er-Jahren wurde die durchschnittliche amerikanische Stammaktie etwa sechs Jahre lang gehalten, bevor sie wieder gehandelt wurde – entsprechend der Vorstellung, dass Aktien eine langfristige Investition sind. In den 2000er-Jahren war die Handelsgeschwindigkeit etwa auf das Zwölffache gestiegen. Anstatt sechs Jahre lang gehalten zu werden, wurde dieselbe Aktie nach nur sechs Monaten wieder gehandelt. Der Trend zeigt kaum Anzeichen des Abflauens: Die Handelsvolumina an den Börsen verdoppeln sich alle vier oder fünf Jahre.“3

Die Intuition sagt uns, dass man das Jetzt besser kennt als das Morgen, aber die Bizarro-Welt der Wall Street (BWDWS) sagt etwas anderes. Wie Silver aufzeigt, verstärken mehr Zugang zu Daten und der Disintermediationseffekt der Technologie unsere menschliche Tendenz zur Kurzfristigkeit.

Dadurch ergibt sich eine Chance für diejenigen, die diese Tendenz in den Griff bekommen können: Die zunehmende Ungeduld der Masse kommt dem klugen Anleger zugute. Wie Ben Carlson in „A Wealth of Common Sense“ schreibt: „Die Menschen müssen sich darüber klar sein, dass unabhängig von den Innovationen, die wir in der Finanzindustrie sehen, die Geduld an den Finanzmärkten immer der große Gleichmacher bleiben wird. Es gibt keine Möglichkeit, förderliches Verhalten über einen langen Zeithorizont auszugleichen. Tatsächlich ist es einer der größten Vorteile der Privatanleger gegenüber den Profis, dass sie geduldig sein können.“4

TUN SIE WENIGER, ALS SIE MEINEN, DASS SIE TUN MÜSSTEN

„Unterschätze nie die Macht des Nichtstuns.“

– WINNIE PUH

„Müßiggang ist keineswegs die Wurzel allen Übels, sondern vielmehr das einzige wahre Gute.“

– SØREN KIERKEGAARD

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie mehr Wissen erwerben könnten, indem Sie weniger Bücher lesen, in der Sie mehr von der Welt sehen könnten, indem Sie möglichst wenig reisen, und in der Sie durch weniger Training fitter würden. Natürlich passt eine Welt, in der einem weniger Tun mehr bringt, überhaupt nicht zu einem Großteil unserer Erfahrung, aber genau auf diese Art funktioniert die Bizarro-Welt der Wall Street. Wenn wir lernen wollen, in der BWDWS zu leben (und das müssen wir), dann besteht eine der ersten Lektionen, die wir lernen müssen, darin, dass wir weniger tun, als wir glauben, tun zu müssen.

Der psychologische Fachbegriff für die Tendenz zu dramatischen Anstrengungen im Angesicht hoher Einsätze ist „Action Bias“. Einige der interessantesten Forschungen zum Action Bias stammen aus der wilden Welt des Sports – vor allem aus dem Fußball. Eine Gruppe von Forschern untersuchte das Verhalten von Torhütern, wenn sie einen Elfmeter halten sollen. Sie untersuchen 311 Elfmeterschüsse und fanden heraus, dass sich die Torhüter in 94 Prozent der Fälle dramatisch nach rechts oder nach links warfen. Die Schüsse an sich waren jedoch ungefähr gleichmäßig verteilt: ein Drittel nach links, ein Drittel nach rechts und ein Drittel in die Mitte. Daraus ergab sich, dass Torwarte, die in der Mitte blieben, eine 60-prozentige Chance hatten, den Ball zu halten, und damit eine weitaus höhere, als wenn sie sich nach links oder rechts warfen.

Wie kommt es nun, dass Torhüter zur Dramatik neigen, wenn doch relative Faulheit die solideste Strategie wäre? Die Antwort wird klarer, wenn wir uns in den Geist des Torwarts hineinversetzen (vor allem von solchen, die in Ländern leben, in denen auf Versagen die Todesstrafe steht). Wenn das Spiel und die Integrität des Landes auf dem Spiel stehen, will man so aussehen, als würde man sich heldenhaft bemühen, und dann haben die Wahrscheinlichkeiten verloren. Man will dann alles geben und wenn man in der Mitte stehen bleibt, hinterlässt dies entschieden den optischen Eindruck teilnahmsloser Gleichgültigkeit. Anlegern, die vor der Aufgabe stehen, ihr hart verdientes Vermögen zu bewahren und zu mehren, geht es ähnlich und sie wollen in schwierigen Zeiten nicht untätig dasitzen, auch wenn Forschungen zeigen, dass dies normalerweise die beste Handlungsweise wäre.

Ähnlich wie die in der Einführung erwähnten Erforscher des Medinawurms machte sich ein Team von Fidelity auf, die Verhaltensweisen der besten Depots zu untersuchen, um die Verhaltensweisen wirklich außerordentlicher Anleger zu isolieren. Was es herausfand, schockiert Sie möglicherweise. Als es Kontakt mit den Eigentümern der Depots mit der besten Performance aufnahm, ergab sich als roter Faden, dass sie oft das Depot vollkommen vergessen hatten. So viel also zur Isolierung der komplexen Verhaltenstendenzen geschickter Investoren! Man könnte meinen, Vergesslichkeit sei die größte Gabe, die einem Anleger zur Verfügung steht.

Ein anderer Fonds-Gigant, Vanguard, untersuchte ebenfalls die Performance von Depots ohne Änderungen im Vergleich zu solchen, an denen herumgeschraubt worden war. Und natürlich fand auch Vanguard heraus, dass der unveränderte Zustand die Pfuscher locker überflügelte. Außerdem zitiert Meir Statman schwedische Forschungen, die zeigen, dass diejenigen, die am meisten handeln, jährlich vier Prozent ihres Depotwerts durch Handelskosten und schlechtes Timing verlieren. Diese Ergebnisse gelten für den ganzen Planeten: An 19 großen Börsen lagen Anleger, die häufig Änderungen vornahmen, um 1,5 Prozentpunkte jährlich hinter den Buy-and-hold-Anlegern zurück.5