Richard Wagner
Das Rheingold
Das Rheingold ist der 1. Teil (Vorabend) der Tetralogie Der Ring des Nibelungen. In diesem Musikdrama Wagners kommen noch keine menschlichen Gestalten auf die Bühne. Das Drama spielt sich unter Göttern, Riesen, Zwergen (den „Nibelungen“) und nixenähnlichen Wasserwesen ab. Dazu die „Urwala“ Erda, eine übernatürliche Seherin und Künderin. Das Rheingold stellt zwar, wie jeder der drei folgenden Teile auch, ein Drama für sich dar, aber es enthüllt seinen ganzen Sinn nur als Einführung in das Gesamtwerk. Wagner verwendet im Ring des Nibelungen eigene Sprachschöpfungen, deren Hauptkennzeichen wirkungsvolle Alliterationen sind. Erstmals tauchen in diesem ersten Teil des Rings auch die „Erinnerungsmotive“ auf (erst Hans von Wolzogen erfindet nach Wagners Tod den Ausdruck „Leitmotiv“, wie er uns heute geläufig ist).
Richard Wagner
Das Rheingold
Der Ring des Nibelungen
Textbuch
Einführung und Kommentar
von Kurt Pahlen
unter Mitarbeit von Rosmarie König
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bestellnummer SDP 66
ISBN 978-3-7957-8614-4

Originalausgabe November 1982
© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
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Inhalt
7     Zur Aufführung
9     Textbuch mit Erläuterungen zu Musik und Handlung
182     Inhalt
214     Zur Geschichte des Rheingold
233     Sprachliche Erläuterungen zu Wagners Ausdrücken
im Rheingold
263     Feststellungen und Gedanken zu Das Rheingold
273     Leitmotiv-Tafel
280     Biographische Daten Richard Wagners
303     Die Bühnenwerke Wagners
Richard Wagner
Nach einer Zeichnung von Ernst Benedikt Kietz, Paris (1850)
Zur Aufführung
TITEL
Der Ring des Nibelungen
Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend
Im Vertrauen auf den deutschen Geist entworfen und zum
Ruhme seines erhabenen Wohltäters, des König Ludwig II.
von Bayern vollendet von Richard Wagner
Vorabend:
Das Rheingold
URAUFFÜHRUNG
22. September 1869, München
Kein Chor. Statisten in den Nibelungen-Szenen.
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ZUR AUFFÜHRUNG
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SCHAUPLÄTZE
(bei pausenlosen Verwandlungen):
1. Bild: In der Tiefe des Rheins
2. Bild: Freie Gegend auf Bergeshöhen, nahe dem Rhein, im
Hintergrund Walhall
3. Bild: Nibelheim, das in Klüften des Erdinneren gelegene Reich
der Zwerge oder Nibelungen
4. Bild: Wie 2. Bild
ZEIT
Mythische Vergangenheit.
ORCHESTERBESETZUNG
4 Flöten (große und kleine), 4 Oboen, eine davon auch Englischhorn, 3 Klarinetten, Baßklarinette, 4 Fagotte, eines eventuell durch Kontrafagott ersetzt; 8 Hörner, von denen 4 sogenannte Wagner-Tuben blasen (2 Tenor-, 2 Baß-Tuben), 3 Trompeten, Baß-Trompete, 4 Posaunen (verschiedener Stimmungen), Kontrabaß-Tuba; 2 Paare Pauken, Triangel, 1 Paar Becken, große Trommel, Tamtam, auf der Bühne 16 Ambosse verschiedener Größe; 7 Harfen (1 auf der Bühne); Streicher, wenn möglich 16 erste, 16 zweite Geigen, 12 Bratschen, 12 Violoncelli, 8 Kontrabässe.
SPIELDAUER
etwa 2 Stunden und 20 Minuten.
9
Textbuch mit Erläuterungen
zu Musik und Handlung
ERLÄUTERUNGEN
Wie aus Urtiefen steigt der kaum vernehmbare Beginn dieses seltsamen Vorspiels empor. Wagner schöpfte es aus einer Klangvision (siehe »Geschichte«). Die Kontrabässe verharren auf einem langen, tiefen Ton (wozu bei fünfsaitigen Instrumenten das Herabstimmen der tiefsten Saite um einen Halbton nötig ist), nach
vier Takten treten die Fagotte hinzu:
Es gleicht einer matten Dämmerung in der Wassertiefe.
Nach endlos scheinenden 16 Takten einer ruhig verharrenden, auf Es basierenden Harmonie – die »Endlosigkeit« ist voll beabsichtigt
– bläst ein Horn das erste Motiv:
(1)
Sucht man nach den Definitionen der Leitmotive in Worten, dann wäre dies »der Rhein« im Urzustand, im Naturzustand, das ewige Ziehen des Wassers, sein Kreislauf zwischen Himmel und Erde, von der Quelle zur Mündung. Mit dem gleichen, nur aus aufsteigenden Dreiklangsnoten bestehenden Motiv setzen die weiteren Hörner ein, langsam entsteht ein verstärktes Fließen und Wogen. Die Streicher treten in gleitender Bewegung hinzu, allmählich auch die Holzbläser, immer majestätischer scheint das Wasser
dahinzuströmen:
10
(2)
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VORSPIEL / ERSTE SZENE
VORSPIEL
ERSTE SZENE
In der Tiefe des Rheines
Grünliche Dämmerung, nach oben zu lichter, nach unten zu dunkler. Die Höhe ist von wogendem Gewässer erfüllt, das rastlos von rechts nach links zu strömt. Nach der Tiefe zu lösen sich die Fluten in einem immer feineren feuchten Nebel auf, so daß der Raum in Manneshöhe vom Boden auf gänzlich frei von Wasser zu sein scheint, welches wie in Wolkenzügen über den nächtlichen Grund dahinfließt. Überall ragen schroffe Felsenriffe aus der Tiefe auf und grenzen den Raum der Bühne ab; der ganze Boden ist in wildes Zackengewirr zerspalten, so daß er nirgends vollkommen eben ist und nach allen Seiten hin in dichtester Finsternis tiefere
Schlüfte annehmen läßt.
ERLÄUTERUNGEN
Wagner setzt hier eine sehr kühne Idee in die klingende Tat um: nicht weniger als 136 Takte lang – das bedeutet eine Zeitdauer von ungefähr viereinhalb Minuten – wird an der Es-Dur-Harmonie nichts verändert, ein Klangbild ersteht vor dem Hörer, das lediglich durch wachsende Intensität (»Beleuchtung« könnte man es beinahe nennen) Leben gewinnt: Ein Fluß zieht durch unendliche Zeiträume dahin, Tag und Nacht, Sonne und Mond spiegeln sich in ihm, lange bevor ein menschliches Auge da ist, ihn zu beobachten. Alles ist Harmonie, sozusagen Urwelt-Harmonie; die Dreiklangsnoten sind als vollkommene, im Weltall verankerte
physikalisch-mathematische Konsonanz aufgefaßt.
In der strömenden Bewegung werden Lebewesen sichtbar: die »Rheintöchter«. Ihr einsetzender Gesang verwebt sich nahtlos, fast ohne harmonische Veränderung (der tiefe Grundton Es bleibt, nun
als Teil einer As-Dur-Harmonie, immer noch präsent):
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 14)
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ERSTE SZENE
(Volles Wogen der Wassertiefe.)
(Woglinde kreist in anmutig schwimmender Bewegung um das mittlere Riff.)
Woglinde:
Weia! Waga!
Woge, du Welle!
Walle zur Wiege!
Wagalaweia!
ERLÄUTERUNGEN
(3)
Wagner dichtet hier in Anlehnung an mittelhochdeutsche Worte, die
er mit Neuerem und viel Eigenem verschmilzt.
Ein liebliches Klangbild entspricht dem Bühnenspiel der drei Nixen, die einander neckend und fangend sorglos im Wasser schwimmen. Wieder vergeht viel Zeit: Wagner deutet den ungestörten Urzustand an, der sich über unmeßbare Räume
erstreckt.
In das Wogen und Ziehen des Flusses, in das frohe Auf- und Hinabtauchen der Rheintöchter mischt sich plötzlich ein fremder Laut (in Baßklarinette und Fagotten), als störe ein Ungewohntes das liebliche Spiel. Es klingt nicht böse, aber doch warnend,
zugleich neugierig und ein wenig grotesk.
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15
Wallala weiala weia!
Wellgunde (Stimme von oben):
Woglinde, wachst du allein?
Woglinde:
Mit Wellgunde wär’ ich zu zwei.
Wellgunde (taucht aus der Flut zum Riff herab):
Laß sehn, wie du wachst.
Woglinde (entweicht ihr schwimmend):
Sicher vor dir.
(Sie necken sich und suchen sich spielend zu fangen.)
Floßhilde (Stimme von oben):
Heiala weia!
Wildes Geschwister!
Wellgunde:
Floßhilde, schwimm!
Woglinde flieht:
hilf mir die Fließende1 fangen!
Floßhilde (taucht herab und fährt zwischen die Spielenden):
Des Goldes Schlaf
hütet ihr schlecht;
besser bewacht
des Schlummernden Bett,
sonst büßt ihr beide das Spiel!
(Mit muntrem Gekreisch fahren die beiden auseinander: Floßhilde sucht bald die eine, bald die andere zu erhaschen; sie entschlüpfen ihr und vereinigen sich endlich, um gemeinsam auf
ERSTE SZENE
1
TV (Textvariante): Hier auch »Fliehende«
ERLÄUTERUNGEN
Alberich ist aufgetaucht, erstaunt blickt der häßliche Zwerg auf die unweit vorbeischwebenden Frauengestalten aus einer anderen,
begehrenswerten Welt.
Aus dem »fremden Laut« entwickelt Wagner Alberichs erste Worte an die Rheintöchter. Sie sind durchaus freundlich, ja werbend, aber die Harmonien bleiben nicht mehr so »wasserklar« wie zuvor, und
das ruhige Dahingleiten stockt ein wenig.
Woglindes und Wellgundes erste Reaktion ist die instinktiver Ablehnung, ja Ekels. Floßhilde, die Ernsteste der drei, mahnt zur Aufmerksamkeit. Das Gespräch setzt sich in der fließenden Bewegung fort, aber läßt im Orchester immer wieder Alberichs Klänge ertönen: Kurze Vorschläge (die etwas Hinkendes, gleichsam Unbeholfenes andeuten), Chromatik, also kleinste
Intervalle, die ebenfalls auf »Irdisches« hinzudeuten scheinen.
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ERSTE SZENE
Floßhilde Jagd zu machen; so schnellen sie gleich Fischen von Riff
zu Riff, scherzend und lachend.
Aus einer finsteren Schlucht ist währenddessen Alberich, an einem Riffe klimmend, dem Abgrunde entstiegen. Er hält, noch vom Dunkel umgeben, an und schaut dem Spiele der Rheintöchter mit
steigendem Wohlgefallen zu.)
Alberich:
He he! Ihr Nicker!
Wie seid ihr niedlich,
neidliches Volk!
Aus Nibelheims Nacht
naht’ ich mich gern,
neigtet ihr euch zu mir.
(Die Mädchen halten, sobald sie Alberichs Stimme hören, mit dem
Spiele ein.)
Woglinde:
Hei! wer ist dort?
Floßhilde:
Es dämmert und ruft.
Wellgunde:
Lugt, wer uns belauscht!
(Sie tauchen tiefer herab und erkennen den Nibelung.)
Woglinde und Wellgunde:
Pfui! der Garstige!
Floßhilde (schnell auftauchend):
Hütet das Gold!
Vater warnte
vor solchem Feind.
(Die beiden andern folgen ihr, und alle drei versammeln sich
schnell um das mittlere Riff.)
Alberich:
Ihr, da oben!
Die Drei:
Was willst du dort unten?
Alberich:
Stör ich eu’r Spiel,
wenn staunend ich still hier steh?
Tauchtet ihr nieder,
ERLÄUTERUNGEN
Hier nimmt die Musik, nach allmählicher Überleitung, einen neuen Charakter an: Alberichs verzweifeltes Klettern auf den rutschigen Steinen und Felsen ist tonmalerisch nachgebildet; seine Anstrengung, sein immer erneutes Abgleiten drückt sich in seiner
Stimme wie im Orchester deutlich aus.
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ERSTE SZENE
mit euch tollte
und neckte der Niblung sich gern!
Woglinde:
Mit uns will er spielen?
Wellgunde:
Ist ihm das Spott?
Alberich:
Wie scheint im Schimmer
ihr hell und schön!
Wie gern umschlänge
der Schlanken eine mein Arm,
schlüpfte hold sie herab!
Floßhilde:
Nun lach ich der Furcht:
der Feind ist verliebt1.
Wellgunde:
Der lüsterne Kauz!
Woglinde:
Laßt ihn uns kennen!
(Sie läßt sich auf die Spitze des Riffes hinab, an dessen Fuße
Alberich angelangt ist.)
Alberich:
Die neigt sich herab.
Woglinde:
Nun nahe dich mir!
Alberich (klettert mit koboldartiger Behendigkeit, doch wiederholt
aufgehalten, der Spitze des Riffes zu):
Garstig glatter
glitschriger Glimmer!
Wie gleit ich aus!
Mit Händen und Füßen
nicht fasse noch halt ich
das schlecke Geschlüpfer!
Feuchtes Naß
füllt mir die Nase.
verfluchtes Niesen!
1
Im Textbuch Regieanweisung eingeschoben: (Sie lachen.)
ERLÄUTERUNGEN
Dazwischen wird immer wieder das behende Schwimmen der Rheintöchter lautmalerisch dargestellt. Das grausame Spiel der Nixen mit dem plumpen und abstoßenden, aber hier in steigender Verliebtheit durchaus nicht unsympathischen Alberich wird mit
allen tonmalerischen Mitteln höchst realistisch geschildert.
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ERSTE. SZENE
(Er ist in Woglindes Nähe angelangt.)
Woglinde (lachend):
Prustend naht
meines Freiers Pracht!
Alberich:
Mein Friedel sei,
du fräuliches Kind!
(Er sucht sie zu umfassen.)
Woglinde (sich ihm entwindend):
Willst du mich frein,
so freie mich hier!
(Sie taucht zu einem andern Riff auf.)
Alberich (kratzt sich den Kopf):
O weh; du entweichst?
Komm doch wieder!
Schwer ward mir,
was so leicht du erschwingst.
Woglinde (schwingt sich auf ein drittes Riff in größerer Tiefe):
Steig nur zu Grund:
da greifst du mich sicher!
Alberich (klettert hastig hinab):
Wohl besser da unten!
Woglinde (schnellt sich rasch aufwärts nach einem höheren Riff
zur Seite):
Nun aber nach oben!
Wellgunde und Floßhilde (lachend):
Hahahahahaha!
Alberich:
Wie fang ich im Sprung
den spröden Fisch?
Warte, du Falsche!
(Er will ihr eilig nachklettern.)
Wellgunde (hat sich auf ein tieferes Riff auf der andern Seite
gesenkt):
Heia! Du Holder!
Hörst du mich nicht?
Alberich (sich umwendend):
Rufst du nach mir?
ERLÄUTERUNGEN
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ERSTE SZENE
Wellgunde:
Ich rate dir wohl:
zu mir wende dich,
Woglinde meide!
Alberich (klettert hastig über den Bodengrund zu Wellgunde):
Viel schöner bist du
als jene Scheue,
die minder gleißend
und gar zu glatt.
Nur tiefer tauche,
willst du mir taugen!
Wellgunde (noch etwas mehr sich herabsenkend):
Bin nun ich dir nah?
Alberich:
Noch nicht genug!
Die schlanken Arme
schlinge um mich,
daß ich den Nacken
dir neckend betaste,
mit schmeichelnder Brunst
an die schwellende Brust mich dir schmiege.
Wellgunde:
Bist du verliebt
und lüstern nach Minne,
laß sehn, du Schöner,
wie bist du zu schaun?
Pfui, du haariger,
höckriger Geck!
Schwarzes, schwieliges
Schwefelgezwerg!
Such dir ein Friedel,
dem du gefällst!
Alberich (sucht sie mit Gewalt zu halten):
Gefall ich dir nicht,
dich faß ich doch fest!
Wellgunde (schnell zum mittleren Riffe auftauchend):
Nur fest, sonst fließ ich dir fort!
Woglinde und Floßhilde (lachend):
Hahahahahaha!
ERLÄUTERUNGEN
Zweimal hat Alberich gehofft, zweimal ist er höhnisch zurückgestoßen worden. Nun ersehnt er sich noch einmal das Glück, da die dritte der Rheintöchter ihn mit verführerischen Worten anlockt, die in eine ebensolche Melodie gekleidet werden. Doch ist eines verwunderlich (und spricht für Wagners tiefe Psychologie): Bei der ersten Werbung (um Woglinde) stieg Alberichs Stimme – wie in überströmendem Optimismus – bis zum hohen Fis aufwärts, einem Spitzenton der Baritonstimme. Bei der zweiten Werbung (um Wellgunde) erreicht seine Stimme nur noch den Ton Es, und nun, bei der dritten Werbung (um Floßhilde), erklimmt er nur noch das D. Ist seine Zuversicht, seine Hoffnung
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ERSTE SZENE
Alberich (Wellgunde erbost nachzankend):
Falsches Kind!
Kalter, grätiger Fisch!
Schein ich nicht schön dir,
niedlich und neckisch,
glatt und glau –
hei! so buhle mit Aalen,
ist dir eklig mein Balg!
Floßhilde:
Was zankst du, Alb?
Schon so verzagt?
Du freitest um zwei!
Frügst du die dritte,
süßen Trost
schüfe die Traute dir!
Alberich:
Holder Sang
singt zu mir her.
Wie gut, daß ihr
eine nicht seid!
Von vielen gefall ich wohl einer:
bei einer kieste mich keine!
Soll ich dir glauben,
so gleite herab!
Floßhilde (taucht zu Alberich hinab):
Wie törig seid ihr,
dumme Schwestern,
dünkt euch dieser nicht schön?
Alberich (hastig ihr nahend):
Für dumm und häßlich
darf ich sie halten,
seit ich dich Holdeste seh.
Floßhilde:
O singe fort
so süß und fein:
wie hehr verführt es mein Ohr!
ERLÄUTERUNGEN
so stark gesunken, drückt sich die körperliche Erschöpfung des für
Alberich atemberaubenden Spiels aus?
    Und doch scheint ihm dieses Mal das Liebesglück zu winken,
Floßhilde lässt sich berühren.
Die schwimmende Bewegung im Orchester setzt aus, als harre Floßhilde seiner, aber ihre zärtlichen Worte werden von harten Orchesterschlägen Lügen gestraft oder mit übertriebenem Pathos
ins Groteske gezogen.
Bitter erklingt das Hohngelächter der Rheintöchter in den Ohren
Alberichs.
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ERSTE SZENE
Alberich (zutraulich sie berührend):
Mir zagt, zuckt und zehrt sich das Herz,
lacht mir so zierliches Lob.
Floßhilde (ihn sanft abwehrend):
Wie deine Anmut
mein Aug erfreut,
deines Lächelns Milde
den Mut mir labt!
(Sie zieht ihn zärtlich an sich.)
Seligster Mann!
Alberich:
Süßeste Maid!
Floßhilde:
Wärst du mir hold!
Alberich:
Hielt’ ich dich immer!
Floßhilde:
Deinen stechenden Blick,
deinen struppigen Bart,
o säh’ ich ihn, faßt’ ich ihn stets!
Deines stachlichen Haares
strammes Gelock,
umflöss’ es Floßhilde ewig!
Deine Krötengestalt,
deiner Stimme Gekrächz,
o dürft’ ich staunend und stumm
sie nur hören und sehn!
(Woglinde und Wellgunde sind nahe herabgetaucht.)
Woglinde und Wellgunde (lachend):
Hahahahahaha!
Alberich (erschreckt auffahrend):
Lacht ihr Bösen mich aus?
Floßhilde (sich plötzlich ihm entreißend):
Wie billig am Ende vom Lied.
(Sie taucht mit den Schwestern schnell auf.)
ERLÄUTERUNGEN
Sein Schmerz ist echt und geht sehr tief: Seine Stimme und das
Orchester drücken es klar aus.
Doch das leichte Spiel, das die Nixen mit den Gefühlen Alberichs treiben, ist noch nicht zu Ende. Zur Rheintöchter-Melodie (Notenbeispiel 3) drücken nun alle drei in wohlklingenden As-Dur-
Harmonien nochmals ihren Spott aus.
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ERSTE SZENE
Woglinde und Wellgunde (lachend):
Hahahahahaha!
Alberich (mit kreischender Stimme):
Wehe! ach wehe!
O Schmerz! O Schmerz!
Die dritte, so traut,
betrog sie mich auch?
Ihr schmählich schlaues,
lüderlich1 schlechtes Gelichter!
Nährt ihr nur Trug,
ihr treuloses Nickergezücht?
Die drei Rheintöchter:
Wallala! Wallala! Lalaleia! Leialalei!
Heia! Heia! Haha!
Schäme dich, Albe!
Schilt nicht dort unten!
Höre, was wir dich heißen!
Warum, du Banger,
bandest du nicht
das Mädchen, das du minnst?
Treu sind wir
und ohne Trug
dem Freier, der uns fängt.
Greife nur zu,
und grause dich nicht!
In der Flut entfliehn wir nicht leicht.
Wallala! Lalaleia! Leialalei!
Heia! Heia! Hahei!
(Sie schwimmen auseinander, hierher und dorthin, bald tiefer,
bald höher, um Alberich zur Jagd auf sie zu reizen.)
Alberich:
Wie in den Gliedern
brünstige Glut
mir brennt und glüht!
Wut und Minne
wild und mächtig
wühlt mir den Mut auf!
1
TV: Hier auch „liederlich“
ERLÄUTERUNGEN
Noch einmal versucht Alberich, sie zu erjagen, das Orchester schildert seine wachsende Erregung und Bitterkeit, mit denen er ihnen nachklettert auf den Felsenriffen, die vom Grund des
Flusses her aufragen.
Das Orchester gaukelt ihm noch einige Male vor (Beginn des Notenbeispiels 3), daß die Rheintöchter ihm doch erreichbar
seien.
Völlig erschöpft fällt er schließlich auf einer Steinplatte nieder.
Das grausame Spiel ist zu Ende.
Mit letzter Kraft droht er ihnen, die Pausen zwischen den jagenden Holzbläserfiguren werden länger, das langsame Ziehen des Stromes (in den Violinen dargestellt) scheint die Szene zu
beenden.
Da durchbricht ein sehr klares Hornmotiv leise das Dahinziehen
des Wassers:
(4)
Zum ersten Mal ist das Motiv des Rheingoldes aufgetaucht, ein aufsteigendes, unproblematisches Dreiklangsmotiv: das Gold als Teil der Natur, noch nicht als Machtmittel und Verderben der Menschheit. Das Motiv nimmt, je stärker sein Glanz aus den Wogen sichtbar wird, auch musikalisch reichere Formen an: Aus Einstimmigkeit wird Zwei-, dann Dreistimmigkeit. Zugleich
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ERSTE SZENE
Wie ihr auch lacht und lügt,
lüstern lechz ich nach euch,
und eine muß mir erliegen!
(Er macht sich mit verzweifelter Anstrengung zur Jagd auf: mit grauenhafter Behendigkeit erklimmt er Riff für Riff, springt von einem zum andern, sucht bald dieses, bald jenes der Mädchen zu erhaschen, die mit lustigem Gekreisch stets ihm ausweichen; er strauchelt, stürzt in den Abgrund und klettert dann hastig wieder in die Höhe zu neuer Jagd. Sie neigen sich etwas herab. Fast erreicht
er sie, stürzt abermals zurück und versucht es nochmals.
Alberich hält endlich, vor Wut schäumend, atemlos an und streckt
die geballte Faust nach den Mädchen hinauf.)
Alberich:
Fing’ eine diese Faust!
(Er verbleibt in sprachloser Wut, den Blick aufwärts gerichtet, wo er dann plötzlich von dem folgenden Schauspiel angezogen und gefesselt wird. –
Durch die Flut ist von oben her ein immer lichterer Schein gedrungen, der sich an einer hohen Stelle des mittelsten Riffes allmählich zu einem blendend hellstrahlenden Goldglanze entzündet; ein zauberisch goldenes Licht bricht von hier durch das
Wasser.)
Woglinde:
Lugt, Schwestern!
Die Weckerin lacht in den Grund.
Wellgunde:
Durch den grünen Schwall
den wonnigen Schläfer sie grüßt.
Floßhilde:
Jetzt küßt sie sein Auge,
daß er es öffne.
ERLÄUTERUNGEN
nimmt das Wogen des Stromes zu; es treten Harfen zu den vielfach
geteilten Streichern…
und schließlich die fließend-wiegenden Stimmen der Rheintöchter,
die in einem neuen Motiv gipfeln:
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(5)
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ERSTE SZENE
Wellgunde:
Schaut, er1 lächelt
in lichtem Schein.
Woglinde:
Durch die Fluten hin
fließt sein strahlender Stern.
Die drei Rheintöchter (zusammen das Riff anmutig umschwim-
mend):
Heiajaheia!
Heiajaheia!
Wallalallalala leiajahei!
Rheingold!
Rheingold!
Leuchtende Lust,
wie lachst du so hell und hehr!
Glühender Glanz
entgleißet dir weihlich im Wag!
Heiajahei
Heiajaheia!
Wache, Freund,
wache froh!
Wonnige Spiele
spenden wir dir:
flimmert der Fluß,
flammet die Flut,
umfließen wir tauchend,
tanzend und singend,
im seligen Bade dein Bett.
1
TV: Anstelle von »er« auch »es«.
ERLÄUTERUNGEN
Wer meint, jedem der Wagnerschen Leitmotive einen kurzen und prägnanten Namen geben zu müssen, gerät hier in Verlegenheit: Auch dies ist, wie Notenbeispiel 4, ein »Rheingold«-Motiv. Es symbolisiert aber neben dem Gold selbst seine Hüterinnen, die Rheintöchter. Am ehesten also: das im tiefen Rhein von den Rheintöchtern behütete Gold – »ein Tand ist’s in der Wasser Tiefe,
lachenden Kindern zur Lust«, wie Loge es definiert.
Immer froher, immer ausgelassener umschwimmen die Nixen den goldenen Schimmer, der aus dem Felsen bricht. Die Stimmen jauchzen – die Woglindes bis zum hohen C! –, Alberich ist vergessen in der Freude des Spiels, zu dem aus der Höhe eine
leuchtende Sonne in die Wassertiefe scheint.
Und ebenso leuchtend schmettert eine Trompete das Notenbeispiel
4 in den Glanz des wogenden Wassers.
Aber Alberich ist nicht wieder in die dunklen Klüfte Nibelheims hinabgetaucht. Er hat sich aus der Niedergeschlagenheit aufgerafft und blickt nun gebannt auf den goldenen Schimmer. Ratlos fragt er die Rheintöchter nach dessen Ursprung. Verwundert erkennen diese, daß Alberich von der Bedeutung dieses schlummernden Goldes keine Ahnung hat. Wie herrlich es sich in seinem Glanze
dahingleiten läßt!
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ERSTE SZENE
Rheingold!
Rheingold!
Heiajaheia!
Heiajaheia!
Wallalalalala heiajahei!
(Mit immer ausgelassenerer Lust umschwimmen die Mädchen das
Riff. Die ganze Flut flimmert in hellem Goldglanze.)
Alberich (dessen Augen, mächtig vom Glanze angezogen, starr auf
dem Golde haften):
Was ist’s, ihr Glatten,
das dort so glänzt und gleißt?
Die drei Mädchen:
Wo bist du Rauher denn heim,
daß vom Rheingold nicht du gehört?
Wellgunde:
Nicht weiß der Alb1
von des Goldes Auge,
das wechselnd wacht und schläft?
Woglinde:
Von der Wassertiefe
wonnigem Stern,
der hehr die Wogen durchhellt?
Die drei Mädchen:
Sieh, wie selig
im Glanze wir gleiten!
Willst du Banger
in ihm dich baden,
so schwimm und schwelge mit uns!
1
Von Wagner persönlich gegebene Anweisung: Hier »nichts« für »nicht«.
ERLÄUTERUNGEN
Alberich will mehr wissen.
Woglinde zögert…
aber Wellgunde enthüllt das Geheimnis. Oboe, Englischhorn, Fagott unterstreichen mit mystischem Klang ihre Stimme, die das Ring-Motiv, eines der wichtigsten der gesamten Tetralogie, zum
ersten Mal anstimmt:
(6)
Diesem Motiv, aus kleinen und großen Terzen zusammengesetzt, kommt – in verschiedenen Varianten gebracht – höchste Bedeutung zu. Hier ist vom schicksalbedeutenden Ring die Rede, den es noch gar nicht gibt und der mit seinem Fluch später das
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ERSTE SZENE
Wallala lalaleia lalei!
Wallala lalaleia jahei!
Alberich:
Eurem Taucherspiele
nur taugte das Gold?
Mir gält’ es dann wenig!
Woglinde:
Des Goldes Schmuck
schmähte er nicht,
wüßte er all seine Wunder!
Wellgunde:
Der Welt Erbe
gewänne zu eigen,
wer aus dem Rheingold
schüfe den Ring,
der maßlose Macht ihm verlieh’.
ERLÄUTERUNGEN
Geschehen des vier Abende dauernden Dramas bestimmen wird.
Floßhilde schilt Wellgunde, die das Geheimnis preisgab.
Aber Wellgunde und Woglinde lachen aller Gefahr; denn, so sagt Woglinde, den Ring könne, laut der Weissagung, nur einer schmieden, der auf die Liebe für immer verzichtet habe – also kaum
Alberich, der sich so verliebt gezeigt:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 40)
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ERSTE SZENE
Floßhilde:
Der Vater sagt’ es,
und uns befahl er,
klug zu hüten
den klaren Hort,
daß kein Falscher der Flut ihn entführe:
drum schweigt, ihr schwatzendes Heer!
Wellgunde:
Du klügste Schwester,
verklagst du uns wohl?
Weißt du denn nicht,
wem nur allein
das Gold zu schmieden vergönnt?
Woglinde:
Nur wer der Minne
Macht entsagt1,
nur wer der Liebe
Lust verjagt,
nur der erzielt sich den Zauber,
zum Reif zu zwingen das Gold.
1
Von Wagner persönlich gegebene Anweisung: Anstelle von »entsagt« hier »ver-
sagt«.
ERLÄUTERUNGEN
Auch dieses Liebesverzichts-Motiv (es erklingt zu lastenden Blechbläser-Akkorden) wird das gesamte Werk bedeutungsvoll durchziehen und an entscheidenden Stellen auftauchen. Es weist in seinem letzten Teil eine deutliche Verwandtschaft mit dem Ring-
Motiv (Notenbeispiel 6) auf.
Die Rheintöchter einigen sich lachend auf die Ungefährlichkeit Alberichs, singend setzen sie ihre Spiele fort, arglos, unbekümmert,
jauchzend (Woglinde abermals bis zum hohen C).
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(7)
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ERSTE SZENE
Wellgunde:
Wohl sicher sind wir
und sorgenfrei:
denn was nur lebt, will lieben;
meiden will keiner die Minne.
Woglinde:
Am wenigsten er,
der lüsterne Alb:
vor Liebesgier
möcht er vergehn!
Floßhilde:
Nicht fürcht ich den,
wie ich ihn erfand:
seiner Minne Brunst
brannte fast mich.
Wellgunde:
Ein Schwefelbrand
in der Wogen Schwall:
vor Zorn der Liebe
zischt er laut.
Die drei Mädchen:
Wallala! Wallaleialala!
Lieblichster Albe,
ERLÄUTERUNGEN
In das leuchtende Gold-Motiv (Notenbeispiel 5) mischt sich immer deutlicher und bedrohender das Ring-Motiv (Notenbeispiel 6). Alberich faßt den großen, schweren Entschluß: Seinem Nachdenken liegt das Ring-Motiv (Notenbeispiel 6) zugrunde… es geht in das entscheidende Liebesverzichts-Motiv (Notenbeispiel 7) über, das hier – wie sehr oft im Verlauf des Werkes – nur mit seiner Kopfphrase zitiert wird (die den Worten »Nur wer der Minne
Macht entsagt« entspricht).
Und wild entschlossen beginnt Alberich von neuem, den Fels unter
Wasser emporzuklettern.
Kreischend fahren die Rheintöchter auseinander, die Tonfolge des ruhigen Strömens (Notenbeispiel 2) ist nun aufgewühlt, mit dissonanten Intervallen durchsetzt. Aber noch immer nehmen die Nixen den neuen Angriff nicht ernst, den sie als ihnen selbst geltend verstehen. Mit Hohngelächter (nun im verminderten Dreiklang,
Woglinde nochmals bis ins hohe C) fahren sie auseinander.
Doch da steht Alberich schon vor dem leuchtenden Felsen und
streckt die Hände nach dem Gold aus (Notenbeispiel 4).
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ERSTE SZENE
lachst du nicht auch?
In des Goldes Scheine
wie leuchtest du schön!
O komm, Lieblicher, lache mit uns!
Heiajaheia! Heiajaheia!
Wallalalalala leiajahei!
(Sie schwimmen lachend im Glanze auf und ab.)
Alberich (die Augen starr auf das Gold gerichtet, hat dem
Geplauder der Schwestern wohl gelauscht):
Der Welt Erbe
gewänn’ ich zu eigen durch dich?
Erzwäng’ ich nicht Liebe,
doch listig erzwäng’ ich mir Lust?
(Furchtbar laut.)
Spottet nur zu!
Der Niblung naht eurem Spiel!
(Wütend springt er nach dem mittleren Riff hinüber und klettert
nach dessen Spitze hinauf.
Die Mädchen fahren kreischend auseinander und tauchen nach
verschiedenen Seiten hinauf.)
Die drei Rheintöchter:
Heia! Heia! Heiajahei!
Rettet euch!
Es raset der Alb!
In den Wassern sprüht’s,
wohin er springt –
die Minne macht ihn verrückt!
Hahahahahahaha!
Alberich (gelangt mit einem letzten Satze zur Spitze):
Bangt euch noch nicht?
So buhlt nun im Finstern,
feuchtes Gezücht!
(Er streckt die Hand nach dem Gold aus.)
Das Licht lösch ich euch aus;
entreiße dem Riff das Gold,
schmiede den rächenden Ring;
denn hör es die Flut:
ERLÄUTERUNGEN
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Mit letzter und wahrhaft verzweifelter Kraft verflucht er die
Liebe:
(8)
(Die Verwandtschaft dieser Stelle mit dem Liebesverzichts-Motiv,
Notenbeispiel 7, ist deutlich hörbar.)
Rasende Bewegung bemächtigt sich des Orchesters, während
Alberich das Rheingold raubt.
Der Nibelung ist mit seiner Beute verschwunden, der goldene Glanz erloschen, die durch das Wasser scheinende Sonne verblaßt. Die Erregung des Orchesters verebbt, sehr ausdrucksvoll steigt das
Liebesverzichts-Motiv (Notenbeispiel 7) in Englisch-
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ERSTE SZENE
so verfluch ich die Liebe!
(Er reißt mit furchtbarer Gewalt das Gold aus dem Riffe und stürzt damit hastig in die Tiefe, wo er schnell verschwindet. Dichte Nacht bricht plötzlich überall herein. Die Mädchen tauchen jach dem
Räuber in die Tiefe nach.)
Floßhilde:
Haltet den Räuber!
Wellgunde:
Rettet das Gold!
Woglinde und Wellgunde:
Hilfe! Hilfe!
Die drei Rheintöchter:
Weh! Weh!

Zeitlang immer nach abwärts zu sinken scheint.)