Hagen (sich vertraulich zu Gutrune hinneigend):
Gedenk des Trankes im Schrein: (heimlicher)
vertraue mir, der ihn gewann:
den Helden, des du verlangst,
bindet er liebend an dich.
(Gunther ist wieder an den Tisch getreten und hört, auf ihn ge-
lehnt, jetzt aufmerksam zu.)
Träte nun Siegfried ein,
genöss’ er des würzigen Tranks,
daß vor dir ein Weib er ersah,
daß je ein Weib ihm genaht,
vergessen müßt’ er dess’ ganz.
Nun redet,
wie dünkt euch Hagens Rat?
Gunther (lebhaft auffahrend):
Gepriesen sei Grimhild’,
die uns den Bruder gab!
Gutrune: Möcht’ ich Siegfried je ersehn!
Gunther: Wie fänden ihn wir auf?1
(Ein Horn klingt aus dem Hintergrunde von links her. Hagen
lauscht.)
Hagen (wendet sich zu Gunther):
Jagt er auf Taten
wonnig umher,
zum engen Tann
wird ihm die Welt:
wohl stürmt er in rastloser Jagd
auch zu Gibichs Strand an den Rhein.
Gunther:
Willkommen hieß’ ich ihn gern.
(Horn näher, aber immer noch fern. Beide lauschen.)
Vom Rhein her tönt das Horn.
Hagen (späht den Fluß hinab und ruft zurück):
In einem Nachen Held und Roß!
Der bläst so munter das Horn!
(Gunther bleibt auf halbem Wege lauschend zurück.)
1. AUFZUG/1. SZENE
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TV: Dieser Vers lautet auch: »Wie suchten wir ihn auf?«