Giuseppe Verdi
Aida
Verdi ließ sich lange bitten, bevor er eine Oper »für ein sehr fernes Land« zu schreiben bereit war: Der Gedanke an Aida erwuchs im Zusammenhang mit dem Bau des Suez-Kanals, zu dessen Eröffnungsfeierlichkeiten das Italienische Theater in Kairo eine Festoper wünschte. Mit einem geradezu unglaublichen Erfolg fand am 24. Dezember 1871 die wegen des deutsch-französischen Krieges verspätete Uraufführung statt, und auf allen Bühnen der Welt folgten weitere Aufführungen in rascher Folge.
Giuseppe Verdi
Aida
Textbuch (Italienisch – Deutsch)
Einführung und Kommentar
von Kurt Pahlen
unter Mitarbeit von Rosmarie König
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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Bestellnummer SDP 46
ISBN 978-3-7957-9192-6

Originalausgabe Juli 1979
© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
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Inhalt
    7    Zur Aufführung
    9    Textbuch (Italienisch – Deutsch)
           mit Erläuterungen zu Musik
           und Handlung
126    Geschichte der Oper »Aida«
186    Inhaltsangabe nach Szenen
195    Die Opern Verdis
197    »Aida« in Schlagworten
202    Kurze Biographie Verdis
Giuseppe Verdi (1813–1901).
Zur Aufführung
TITEL
»Aida«
BEZEICHNUNG
Oper in vier Akten. Text: Antonio Ghislanzoni, nach Vorarbeiten von Auguste Edouard Mariette-Bey und Camille du Locle. Musik: Giuseppe Verdi. Uraufführung: am 24. Dezember 1871 in Kairo (Ägypten).
PERSONENVERZEICHNIS
Der König (Pharao) von Ägypten
…………………………………..
Baß
Amneris, seine Tochter
…………………………………………………
Mezzosopran
Radames, Hauptmann, dann Feldherr
Ägyptens
………………………………………………………………..
Tenor
Ramphis, Oberpriester
…………………………………………………
Baß
Aida, äthiopische Sklavin am
Pharaonenhof
………………………………………………………….
Sopran
Amonasro, ihr Vater, König der
Äthiopier
……………………………………………………………….
Bariton
Ein Bote, eine Priesterin, Minister, Soldaten, Priester, Gefangene usw.
SCHAUPLATZ UND ZEIT
Die Handlung spielt in Memphis und Theben, ägyptischen Städten, zur Zeit der Pharaonen.
ORCHESTERBESETZUNG
3 große Flöten, deren dritte auch Piccolo spielt
2 Oboen, 1 Englischhorn, 2 Klarinetten, 1 Baßklarinette, 2 Fagotte.
7
ZUR AUFFÜHRUNG
4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, 1 Baßtuba.
1 Paar Pauken, Große Trommel, Becken, Triangel, Tamtam.
1 Harfe.
Streicher (1. und 2. Violinen, Bratschen, Violoncelli, Kontrabässe).
Bühnenmusik: 1 Harfe, 6 »ägyptische« oder »Aida«-Trompeten, Blasorchester aus Trompeten, Posaunen und Trommeln. Chöre: Großer Männerchor, großer Frauenchor, Gesamtchor.
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Textbuch (Italienisch – Deutsch)
mit Erläuterungen
zu Musik und Handlung
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Mit einem unendlich zarten Motiv beginnt die Oper. Da es sich inderen Verlauf noch oft wiederholen wird, hat man es ein »Leitmotiv« genannt: Es symbolisiert die Liebe, die reine, die zu jeder Opfertat, auch zum
Tod bereite Liebe Aidas:
Motiv Nr. 1
Die Geigen im Pianissimo, und noch dazu mit Dämpfer, singen es süß und zart. Es besteht aus 4 Takten und beginnt mit einem chromatisch aufsteigenden Gang (a, ais, h), der dann um eine Stufe absinkt (cis–h), wie ein leiser Seufzer. Es wird sofort, ein wenig niedriger, wiederholt (fis, g, gis). Erst dann tritt, in den zweiten Geigen, eine Gegenstimme dazu. Bei aller weltweiten Verschiedenheit könnte man bei diesem Beginn an den von Wagners »Tristan und Isolde« denken, der ähnlich strukturiert ist. Mit dem Auftreten eines zweiten Motivs, das in der Oper
den ägyptischen Priestern zugeordnet wird:
Motiv Nr. 2
steigert die Musik sich unter Einschluß aller Instrumente zum ersten Höhepunkt, auf dem beide Motive miteinander kontrapunktiert werden, gleichzeitig erklingen. Dann ebbt die Erregung ab,
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VORSPIEL
VORSPIEL
PRELUDIO
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
das Liebesmotiv singt noch einmal in den Geigen, über einemzarten Streicherfundament. Noch einmal eine blechunterstützte Steigerung, und dann geht dieses kurze, aber sehr ausdrucksstarke Vorspiel zur Ruhe: Die Geigen steigen langsam in höchste Höhen aufwärts, _ in den Himmel gleichsam, in den sie zuletzt, am Ende der Oper, zwei liebende Seelen
geleiten werden …
Diese Szene ist in ausdrucksvollem Rezitativ gehalten. Sie dient vor allem der Exposition der dramatischen Handlung. Geteilte Violoncelli unterstreichen den Ernst von Stimmung und Situation, geben einen
dunklen, die Oper weitgehend beherrschenden Grundton.
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1. AKT / 1. BILD
ERSTER AKT
INTRODUKTION UND SZENE
Erstes Bild
Saal im Königspalast zu Memphis. Rechts und links Säulengänge mit Statuen und blühenden Sträuchern. Im Hintergrund ein großes Tor, durch das man die Tempel und Paläste von Memphis und die
Pyramiden sieht.
Radames und Ramphis im Ge-
spräch

Ramphis: Ja, das Gerücht geht,
der Äthiopier wage,
uns noch zu trotzen und das
fruchtbare Niltal,
und Theben zu bedroh’n. Ich
harr’ des Boten,
der es mir bestätigt.
Radames: Hast du befragt schon
die heilige Isis?
Ramphis: Die Göttin nannte
schon den Namen des
Feldherrn
für Ägyptens Krieger.
Radames: O, wäre ich es!
Ramphis (Radames bedeutungs-
voll anschauend): Jung ist er
und ist auch tapfer. Ägyptens
König
künd’ ich der Göttin Spruch.
(ab)
ATTO PRIMO
INTRODUZIONE – SCENA
Seena I
Sala nel palazzo del Re a Menfi. A destra e a sinistra, una colonnata con statue e arbusti in fiore. Grande porta nel fondo, da cui si scorgono i tempii, i palazzi di
Menfi e le Piramidi.
Radamès e Ramfis in scena, con-
versando fra loro.
Ramfis: Sì, corre voce che l’Etiope
ardisca sfidarci ancora, e del
Nilo la valle e Tebe minacciar.
Fra breve un messo recherà il
ver.


Radamès: La sacra
Iside consultasti?
Ramfis: Ella ha nomato
delle Egizie falangi
il condottier supremo.

Radamès: Oh, lui felice!
Ramfis (con intenzione, fissando
Radamès): Giovane e prode è
desso. Ora del Nume
reco i decreti al Re.

(esce.)
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Radames setzt mit seinen ersten Sätzen noch den rezitativen Stil fort. Aber seine kühn fliegenden Gedanken werden nun von schmetternden Trompeten- und Posaunenfanfaren untermalt, sie steigern auch seine Stimme zu immer melodiöserem Singen. Dann löst Streicherklang – mit vereinzelten Solobläsern (Flöte, Fagott, später Oboe) – das
martialische Blech ab.
Radames beginnt seine große (und gefürchtete) Arie, die beträchtliche stimmliche Anforderungen an den Tenor stellt. Das Hauptmotiv ist sehr
prägnant und melodisch:
Motiv Nr. 3
Das Stück steigert sich durch Hinzutreten neuer Instrumente und wachsende Dynamik, parallel zur Singstimme, die auf dem hohen B ihren Höhepunkt erreicht (Trono bzw. Thron), bevor sie in die ruhige Anfangsmelodie zurückkehrt. Der Schluß sollte ins Pianissimo verhauchen, – aber das überfordert die Mehrzahl der Sänger und …
ihren Applaushunger …
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1. AKT / 1. BILD
Romanze
Radames (allein):
O wäre ich erkoren!
Wenn mein Traum sich so er-
füllte!
Eine Heerschar tapf’rer Män-
ner,
von mir befehligt … Wir wer-
den siegen … und jubelnd
empfängt uns Memphis!
Dann komm’ ich zu Aida,
die Stirn bekränzt mit Lor-
beer …,
sage: »Für dich mein Kämp-
fen, für dich mein Siegen!
Holde Aida, Göttin vom
Himmel,
von gold’nen Strahlen zaub’-
risch verklärt;
du bist die Königin meiner
Gedanken,
du machst allein mir das
Dasein wert.
Möcht in die Heimat wieder
dich bringen,
wo ohne Wolken der Himmel
strahlt,
möcht eine Krone ins Haar
dir schlingen
und einen Thron an der
Sonne dir baun!«
(bei den letzten Takten tritt
Amneris auf.)
Romanza
Radamès (solo): Se quel guerrier
io fossi! Se il mio sogno
si avverasse! … Un esercito di
prodi
da me guidato … e la vittoria e
il plauso
di Menfi tutta! E a te, mia dolce
Aida,
tornar di lauri cinto …
dirti: per te ho pugnato, per te
ho vinto!



Celeste Aida, forma divina,
mistico serto di luce e fior,
del mio pensiero tu sei regina,
tu di mia vita sei lo splendor.
Il tuo bei cielo vorrei ridarti,
le dolci brezze del patrio suol,
un regal serto sul crin posarti,
ergerti un trono vicino al sol.








(sulle ultime battute entra in
scena Amneris.)
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Auf einem neuen Motiv:
Motiv Nr. 4
ist das Duett zwischen Amneris und Radames aufgebaut. Es drückt das zärtliche Gefühl der Pharaonentochter zum jungen Offizier aus. Darum
geht es auch zu Ende, als Radames das Wort ergreift.
Wieder tritt, mit Amneris’ Worten, die Zärtlichkeit in den Vordergrund:
Motiv Nr. 5
In Radames erwacht die Sorge, Amneris könne etwas von seiner Liebe zu Aida ahnen: Die Musik wird plötzlich erregt; in gewissem Sinne könnte das Allegro agitato e presto, das seine Gedanken unterstreicht, als Variation von Amneris’ vorhergehender ruhiger Phrase angesehen werden. Die Erregung teilt sich Amneris’ Gesangsphrasen mit und drückt ihre Angst, hinter der Unruhe des Offiziers ein Liebesgeheimnis
zu entdecken, überzeugend aus:
(Notenbeispiel S. 18)
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1. AKT / 1. BILD
Duetto
Amneris e Radamès
Terzetto
Aida, Amneris e Radamès
Duett
Amneris und Radames
Terzett
Aida, Amneris und Radames
Amneris: In unendlicher Freude
strahlt dein Auge!
Von edlem Stolze erfüllt
erscheint dein ganzes Wesen!
Und wahrhaft zu beneiden
wird immer die Frau sein,
die schon durch ihren Anblick
solche Flammen der Freude
in dir entzündet!
Radames: Ein wunderbarer
Traum erfüllt das Herz mir
mit Hoffnung.
Heut wird nach Isis’
Gebot der Feldherr auser-
wählt, der im Kampfe
Ägyptens Heere führt zum
Sieg. Ach, wär ich doch
zu diesem Rang erkoren! …
Amneris: Ein andrer Traum hat
niemals,
schöner noch, dir die Seele
mit Hoffnungsglanz erfüllt?
Hast du in Memphis
nichts zu wünschen … zu
hoffen? …

Radames: Ich? (für sich)
Welche Frage!
Sollte Amneris wissen,
was mir ihm Herzen glühet?
Amneris: Quale insolita gioia*
nel tuo sguardo! Di quale
nobil fierezza ti balena il volto!
Degnad’ invidia, oh! quanto
saria la donna il cui bramato
aspetto
tanta luce di gaudio in te
destasse!

Radamès: D’un sogno avven-
turoso si beava il mio cuore.
Oggi la Diva profferse il nome
del guerrier che al campo
le schiere egizie condurrà…
Ah, s’io fossi a tal onor
prescelto …


Amneris: Nè un altro sogno mai
più gentil … più soave …
al core ti parlò! … Non hai tu
in Menfi
desideri … speranze? …



Radamès: Io! (da sè) … Quale
inchiesta!
Forse … l’arcano amore
scoprì che m’arde in core …
* In anderer Version steht für »gioia« auch
   »fiamma«.
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Motiv Nr. 6
Mit »ihrem« Motiv, das von der Klarinette in seiner ganzen Süße geblasen wird, tritt Aida hinzu Amneris ahnt die Wahrheit, und das Orchester bringt nochmals ihre mühsam unterdrückte Bewegung zum
Ausdruck.
Sie beherrscht sich, zwingt sich zu einer einfachen, ruhigen, fast
zärtlichen Melodie:
Motiv Nr. 7
mit der sie das Geheimnis von Aidas mühsam versteckter innerer
Bewegung zu enthüllen hofft.
Aida weicht aus, schiebt ihre Unruhe auf die neuerlichen Kriegsgerüchte, die sie Schlimmes für ihr äthiopisches Heimatland befürchten lassen.
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1. AKT / 1. BILD
Amneris (für sich): O wehe!
Wenn einer andern
in Liebe er verbunden!
Radames: Wenn sie Aidas Na-
men
im Auge mir gelesen!
Amneris: Wehe, wenn mein
Blick entdecken müß-
te ein Geheimnis hier!


(Aida tritt auf)
Radames: Aida!
Amneris (für sich, Radames be-
obachtend):
Er beherrscht sich … doch
seine
Blicke verraten ihn!
Aida! … Wohl als Rivalin
stände sie hier vor mir?
(sich an Aida wendend)
Komm, liebes Mädchen,
nahe dich,
fühle dich nicht als Sklavin,
du, die in trautem Zwie-
gespräch
ich oftmals Schwester
nannte …
Weinst du?
Enthülle mir doch den
Grund deiner Tränen,
was insgeheim dich quält.


Aida: Weh’ mir, ein wildes
Kriegsgeschrei
vernehme ich voll Schauder …
Ich fürchte für mein Heimat-
land,
für mich, für euch nur Trauer.
Amneris (da sè): Oh! guai se un
altro amore
ardesse a lui nel core! …
Radamès: Della sua schiava il
nome mi lesse nel pensier!

Amneris: Guai se il mio
sguardo penetra
questo fatal mister!


(Entra in scena Aida)
Radamès: Dessa!
Amneris (da sè, osservando
Radamès):
Ei si turba … e quale
sguardo rivolse a lei!
Aida! … a me rivale …
forse saria costei?

(volgendosi ad Aida)
Vieni, o diletta, appressati …
schiava non sei nè ancella
qui dove in dolce fascino
io ti chiamai sorella …
piangi? delle tue lacrime
svela il segreto a me.







Aida: Ohimè di guerra fremere
l’atroce grido sento …
per l’infelice patria,
per me … per voi pavento.
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Amneris, noch beherrscht, forscht nach dem wahren Grund. Dann kehrt das erregte Thema wieder und bildet die Grundlage für das musikalisch wie psychologisch glänzend gestaltete Terzett, in dem jede der Personen den eigenen Gefühlen Ausdruck verleiht, jede also »für sich« singt und
doch eine volle Einheit entsteht.
Trompeten erklingen, unterbrechen das dramatische Selbstgespräch der drei Hauptpersonen. Hörner und Posaunen treten hinzu, schaffen die feierliche Stimmung, in die Verdi die Ansprache des Königs bettet. Um sie textlich gut verständlich zu halten, begleitet er sie nur mit dem dumpfen Pizzicato von Celli und Bässen. Unter allgemeiner Spannung der Versammelten wird der Bote hereingeführt und beginnt seine anschauliche Erzählung der kriegerischen Vorfälle. Mit deren
wachsender Erregung steigert sich auch die des Orchesters.
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1. AKT / 1. BILD
Amneris: Ist das auch wahr? Kein
andrer Grund,
der dich so tief berührt?
(Aida schlägt die Augen nieder
und sucht ihre innere Unruhe zu
verbergen.)
(für sich, Aida anblickend)
Bebe, o Sklavin, bebe!
Radames (für sich, Amneris an-
blickend):
Ich las in ihrem Auge
nur Argwohn und Empö-
rung …
Amneris: Daß die Wahrheit ich
erfahre!
Radames: Wehe, wenn ihre
Blicke
die Seelen uns durchforsch-
ten!
Amneris: Bebe, daß mir die
Wahrheit
wird dennoch offenbar!
Aida (fürsich):
Ach nein, nicht um die Heimat,
nicht um mein Land vergieß’
ich Tränen:
mein Leid, das mich so macht
weinen,
ist Qual der Liebe ohne Glück.

Szene und Ensemble
Der König erscheint unter Vorantritt seiner Leibwache, hinter ihm Ramphis, Minister, Priester, Hauptleute. Ein Palastoffizier,
später ein Bote.
Der König: Ernst ist der Grund,
der heute
Amneris: Favelli il ver? nè s’agita
più grave cura in te?

(Aida abbassa gli occhi e cerca
dissimulare il proprio
turbamento.)
(Fra sè guardando Aida)
Trema! O rea schiava!
Radamès (fra sè, guardando
Amneris):
Nel volto a lei balena lo sdegno
ed il sospetto …

Amneris: Ch’io nel tuo cor
discenda! …
Radamès: Guai se l’arcano affet-
to a noi leggesse in core!


Amneris: Trema che il ver M’ap-
prenda quel pianto e quel
rossor!
Aida (da sè):
Ah! no, sulla mia patria*
non gerne il cor soltanto;
quello ch’io verso e pianto
di sventurato amor.



Scena e pezzo d’assieme
Il Re, preceduto dalle sue guardie e seguito da Ramfis, dai Ministri, Sacerdoti, Capitani, ecc., ecc. Un Uffiziale di Palazzo, indi un
Messaggero.
Il Re: Alta cagion v’aduna,
o fidi Egizii, al vostro Re
*  In anderer Version steht für »sulla mia patria«
    auch »sull’afflitta patria«.
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Das leise begonnene Tremolo der Streicher nimmt an Intensität zu, schrille Einwürfe der Holzbläser malen – immer noch mit meisterlich sparsamen Mitteln – die Schrecken der feindlichen Invasion und entfachen die kriegerische Stimmung. Immer entschlossener werden die dramatischen Einwürfe des Chores, die zu unerbittlichem Krieg aufrufen.
Unter erregter Spannung – die Streicher im Tremolo, die Stimme rezitativisch ausdrucksvoll – verkündet der König, daß die Göttin den Feldherrn erwählt habe, der Ägyptens Truppen in den Kampf führen soll:
Radames.
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1. AKT / 1. BILD
euch versammelt um Ägyptens
König.
Von Äthiopiens Grenzen wird
ein Krieger vor uns erscheinen.
Er bringt uns ernste Kunde.
Ihr sollt sie hören!
(zu einem Offizier)
Nun laßt den Boten kommen!
Bote: Es ist bedroht Ägyptens
hei’ger Boden
vom Volk der Äthiopier … all
unsere Felder
wurden verwüstet, öd’ liegt
die Ernte.
Die Feinde jubeln
ob ihrer Siege und ziehen
plündernd
und mordend her gegen
Theben.
Alle: O welche Kühnheit!
Bote: Und bis heute ist unbesiegt
der Feldherr,
der sie anführt: Amonasro!
Alle: Ihr Herr!
Aida (für sich): Mein Vater!
Bote: Es wehrt sich Theben, aus
seinen hundert Toren*
stürzt es auf die Barbaren
sich kühn hervor, bringt ihnen
Tod und Rache!

Der König: Ja, Tod und Rache
sei der Schlachtruf aller!
Alle: Rache! Rache!
Ja, furchtbar, ohne Erbarmen!
Der König (auf Radames zuge-
hend): Schon hat die heil’ge
Isis erkoren einen Feldherrn,
der unsre Scharen führen soll
d’intorno.
Dai confin d’Etiopia un
Messaggero
dianzi giungea; gravi novelle
ei reca …
vi piaccia udirlo …
(ad un Uffiziale)
Il Messagger s’avanzi!
Messaggero: Il sacro suolo
dell’Egitto è invaso
dai barbari Etiopi … i nostri
campi
für devastati … arse le messi
… e baldi
della facil vittoria i predatori
già marciano su Tebe …



Tutti: Ed osan tanto!
Messaggero: Un guerriero indo-
mabile, feroce,
li conduce, Amonasro.
Tutti: Il Re!
Aida (a parte): Mio padre!
Messaggero: Già Tebe è in armi
e dalle cento
porte*
sul barbaro invasore
proromperà, guerra recando
e morte.
Il Re: Sì: guerra e morte il nostro
grido sia!
Tutti: Guerra! Guerra!
Tremenda, inesorata!
Il Re (accostandosi a Radamès):
Iside venerata
di nostre schiere invitte
già designava il condottier
*  Das ägyptische Theben wird »hunderttorig« genannt im Gegensatz zum »siebentorigen« Theben in
    Griechenland.
23
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Der Chor ruft jubelnd diesen Namen und wird noch, bei vollem Orchesterausbruch, von der Stimme Radames’ übertönt: Sein Traum ist
in Erfüllung gegangen.
Aus der allgemeinen, langsam abebbenden Erregung löst sich die Stimme des Königs, der Radames auffordert, ihm in den Tempel zu folgen, wo er ihm das heilige Schwert überreichen werde. Ein großartiges Ensemble beginnt. Der König führt die Stimmen an, der Oberpriester Ramphis setzt seine melodische Phrase fort, der Männerchor übernimmt – mit den
Kontrapunkten der Solisten – den eindrucksvollen Marsch:
Motiv Nr. 8
Bei einem schmerzlichen Einwurf Aidas wird das hier schon voll eingesetzte Orchester gedämpft, wächst aber bei Amneris’ sieges-
24
1. AKT / 1. BILD
zum Siege:
Radames.
Alle: Radames!
Radames: Dank euch, o ihr
Götter,
mein Traum hat sich erfüllt!
Amneris: Er Feldherr!
Aida: Ich zitt’re!
Der König: Nun zu des Gottes
Tempel
lenke den Schritt, nimm das
heilige Schwert und stürm’
dahin zum Siege!
Zu des Niles heil’gem Ufer
eilt dahin, Ägyptens Helden,
jedes Herz erbeb’ vom Rufe:
Tod und Verderben und
Rache dem fremden Heer!
Ramphis: Dankt der Gottheit,
die weise führet,
die das Weltgeschick regieret,
denn der Gottheit mächtig
Walten
bringt den Waffen Glück und
Ehr!
Gedenket ihrer!
In der Gottheit Händen
ruht der Waffen Glück und
Ehr!
Minister und Hauptleute:
Ja, des Niles heil’ges Ufer
schützen wir mit
unser’m Blute;
alles jauchzt in einem Rufe:
Tod und Verderben und Rache
dem fremden Heer!


Aida: Für wen wein’ ich, für
wen bet’ ich,
supremo:
Radamès.
Tutti: Radamès!
Radamès: Ah! sien grazie ai
Numi!
son paghi i voti miei!
Amneris: Ei duce!
Aida: Io tremo!
Il Re: Or, di Vulcano al tempio
muovi, o guerrier. Le sacre
armi ti cingi e alla vittoria vola.
Su! del Nilo al sacro lido
accorrete, Egizii eroi,
da ogni cor prorompa il grido:
Guerra e morte allo stranier!



Ramfis: Gloria ai Numi! ognun
rammenti
ch’essi reggono gli eventi,
che in poter de’Numi solo
stan le sorti del guerrier.






Ministrie Capitani: Su! del Nilo al
sacro lido
sien barriera i nostri petti;
non echeggi che un sol grido:
Guerra e morte allo stranier!




Aida: Per chi piango? per chi
prego? …
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
bewußten Worten wieder zu ganzer Wucht. In fortwährender, zuletzt nicht nur dynamischer, sondern auch tempomäßiger Steigerung türmt Verdi Höhepunkt auf Höhepunkt. Das jubelnd gesungene »Ritorna vincitor!« (Als Sieger kehre heim!) ist bereits eine Ahnung des ungeheuren Triumphgesanges, der das Finale des nächsten Aktes bilden
wird.
Mit allen, von Begeisterung Entflammten, ist Aida in den Ruf ausgebrochen, der für sie ein unlösbares Dilemma ankündigt. Nun, allein geblieben, wird ihr die unausweichliche Tragik ihres Schicksals bewußt. Die Arie – die erste der beiden großen, die Verdi seiner Aida in ihr Bühnenleben mitgab – ist eine aus vielen Teilen zusammengesetzte
musikalische Charakterstudie.
26
1. AKT / 1. BILD
welche Macht zieht mich zu
ihm?
Muß ihn lieben, ach, und er
ist ein Fremdling, ist ein
Feind!
Radames: Heilger Ruhmes-
drang durchzittert
bebend meine ganze Seele.
Auf! Laßt eilen uns zum
Siege:
Tod und Verderben und
Rache dem fremden Heer!
Amneris: (Radames ein Feld-
zeichen überreichend):
Nimm aus meiner Hand dies
Zeichen,
nimm es hin als Pfand des
Sieges,
als dein Leitstern soll es
leuchten,
der den Pfad des Ruhms dich
führt.
Alle (außer Aida): Rache!
Rache! Auf zum Kampfe, ja,
auf zum Sieg!
Allen Feinden den Untergang!
Amneris (zu Radames):
Als Sieger kehre heim!
Alle (außer Radames):
Als Sieger kehre heim!
(alle ab, bis auf Aida)


Szene
Aida: Als Sieger kehre heim!
Ja, selbst mein eigner
Mund sprach diese Worte!
Ja, besiege meinen Vater,
der nur für mich
die Waffen ergriff,
qual poter m’avvince a lui!
Deggio amarlo … ed è costui
un nemico, uno stranier!


Radamès: Sacro fremito di gloria
tutta l’anima m’investe.
Su! corriamo alla vittoria!
Guerra e morte allo stranier!



Amneris (consegnando una
bandiera a Radamès):
Di mia man ricevi, o duce,
il vessillo glorioso;
ti sia guida, ti sia luce
della gloria sul sentier.




Tutti (eccetto Aida): Guerra!
Guerra! sterminio all’invasor


Amneris (a Radamès): Ritorna
vincitor!
Tutti (eccetto Radamès):
Ritorna vincitor!

(escono tutti, meno Aida)


Scena
Aida: Ritorna vincitor! …
E dal mio labbro
uscì Pempia parola! Vincitor
del padre mio … di lui che
impugna l’armi
per me … per ridonarmi
27
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Aus den Angstvorstellungen vom Untergang ihres Vaterlandes und ihrer Familie, über Siegeshoffnungen für ihr Volk, über das Entsetzen eines solchen Wunsches, dessen Erfüllung Untergang und Tod für den geliebten Radames bedeuten müßte, über die Verzweiflung führt sie hin
bis zur letzten Hoffnung auf die Götter:
Motiv Nr. 9
Sie geht nicht effektvoll zu Ende, sondern unendlich innig und still, mit einem kurzen, ergreifenden Orchesternachspiel, einem wehmütigen Abgesang des Fagotts, danach des ersterbenden und doch hoffnungsvoll
aufwärts weisenden Cellos.
28
1. AKT / 1. BILD
neu mir zu geben
die Heimat, Macht und Stel-
lung und jene Ehre,
die hier mir nie zuteil wird.
Und besiege meine Brüder,
daß ich dich sehe
von ihrem Blut gerötet,
im Triumph gefeiert
von dem Volk der Ägypter!
Bei den Gefang’nen
ist er … mein Vater … und er
naht in Ketten!
Verzeihet, o Götter,
die törichten Worte
und führt mich zurück
in die Arme des Vaters!
Vernichtet die Scharen,
die unser Volk bedrohn!
Ich Unsel’ge, was sagt’ ich?
Und meine Liebe?
Ach, nie kann ich vergessen
dieser Liebe Erglühen, das
die Gefangne,
die Sklavin wie ein Strahl der
Sonne wärmte!
Ich muß erfleh’n den Tod
für Radames,
so heiß ich ihn auch liebe!
Ach! Niemals litt auf Erden
je ein Weib so namenlose
Qualen!
Des Vaters Namen, den dei-
nen, Geliebter,
hier darf ich keinen nennen,
ja denken nicht …
Um ihn, um beide muß angst-
voll ich beben,
mein liebend heißer Schmerz
wird zum Gebet.
Doch mein Gebet wird als
una patria, una reggia! e il
nome illustre
che qui celar m’è forza.
Vincitor de’miei fratelli …
ond’io lo vegga tinto
del sangue amato, trionfar nel
plauso
dell’Egizie coorti! … Edietro
il carro,
un Re … mio padre … di
catene avvinto!
L’insana parola
O Numi, sperdete!
Al seno d’un padre
la figlia rendete;
Struggete le squadre
dei nostri oppressor!
Sventurata! che dissi? … e
l’amor mio? …
Dunque scordar poss’io
questo fervido amore che
oppressa e schiava
come raggio di sol qui mi
beava?
Imprecherò la morte
a Radamès … a lui ch’amo pur
tanto!
Ah! non fu in terra mai
da più crudeli angosce un core
affranto!
I sacri nomi di padre …
d’amante nè proferir poss’io,
nè ricordar …
Per l’un … per l’altro …
confusa … tremante …
io piangere vorrei, vorrei
pregar.
Ma la mia prece in bestemmia
si muta …
delitto è il pianto a me …
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Zu Harfenklang (hinter der Szene) singt die Stimme einer unsichtbaren
Priesterin eine eigenartige, mystische, orientalisierende Melodie:
Motiv Nr. 10
zu deren Wirkung wohl vor allem der E-Dur-Akkord auf dem 4. Viertel des 1. Taktes beiträgt, der inmitten der Es-Dur-Grundstimmung starke
polytonale Wirkung hat, also zu Verdis Zeit
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Fluch sich erfüllen,
mein namenloses Leid, es
wird zur Schuld …
In düst’re Nacht ist die Klage
verloren,
und Erlösung bringt mir allein
der Tod.
Götter, erbarmt huldvoll euch
mein!
Sendet mir Trost in meiner
Not!
Ist all die Qual Schicksals-
gebot:
Laßt euch erflehn, gebt mir
den Tod.
(ab)
TEMPELSZENE UND
ERSTES FINALE
Zweites Bild
Inneres des Phtha-Tempels zu Memphis. Geheimnisvolles Licht von oben. Eine lange Säulenreihe verliert sich im Dunkel. Statuen verschiedener Gottheiten. In der Mitte erhebt sich auf einer mit Teppichen bedeckten Erhöhung der Altar, der mit den heiligen Emblemen verziert ist. Aus goldenen Dreifüßen dampft
Räucherwerk.
Ramphis am Fuße des Altars.
Die erste Priesterin (hinter der
Szene: Allmächtiger Phtha,
du Atem der lebendigen
Welt,
ah! Hör’ unser Flehen!
colpa il sospir …
In notte cupa la mente è
perduta …
e nell’ansia crudel vorrei
morir.
Numi, pietà del mio soffrir!
Speme non v’ha pel mio dolor
… amor fatal, tremendo amor,
spezzami il cor, fammi morir!






(esce)
GRAN SCENA DELLA CONSA-
CRAZIONE E FINALE I
Scena II
Interno del Tempio di Vulcano a Menfi. Una luce misteriosa scende dall’alto. – Una lunga filla di colonne, l’una all’altra addossate, si perde fra le tenebre. Statue di varie Divinità. Nel mezzo della scena, sovra un palco coperto da tappeti, sorge l’altare sormontato da emblemi sacri. Dai tripodi d’oro si innalza il fumo degli
incensi.
Ramfis ai piedi dell’altare.
Gran Sacerdotessa (nell’interno):
Possente Fthà, del mondo
spirito animator,
ah! noi t’invochiamo!
1. AKT / 2. BILD
31
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
äußerst »modern« gewesen sein muß. (Er ist als Fes-Dur-Ak-kord geschrieben, aber leichter als E-Akkord vorstellbar, was durch die
»enharmonische« Gleichheit möglich ist: as = gis, ces – h, fes = e).
Der Aufbau der Szene bringt eine dreimalige, jedes Mal gesteigerte Wiederholung, doch verbleiben die Stimmen der Priesterinnen wie der beiden Chöre (Frauenchor aus dem Innern, Männerchor bei Ramphis sichtbar im Tempel) stets im Rahmen des Geheimnisvollen, Religiösen
eines fernen, fast okkulten Glaubens.
Der weihevolle Tanz schließt die vorher erwähnte polytonale Wirkung
(E-Dur zu Es-Dur) ebenfalls ein:
Motiv Nr. 11
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