TOM
CLANCY
UND
MARK GREANEY
ANSCHLAG AUF DEN
PRÄSIDENTEN
THRILLER
Aus dem Amerikanischen von Karlheinz Dürr
und Reiner Pfleiderer
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel True Faith and Allegiance
bei G.P. Putnam’s Sons, New York.
Copyright © 2016 by The Estate of Thomas L. Clancy, Jr.; Rubicon, Inc.;
Jack Ryan Enterprises, Ltd.; Jack Ryan Limited Partnership
Copyright © 2019 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Werner Wahls
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Herstellung: Helga Schörnig
Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
ISBN: 978-3-641-24529-0
V001
www.heyne.de
Zum Buch
Amerikanische Militärs werden ohne erkennbares System in ihrem privaten Umfeld attackiert. Jahrelang unbehelligte CIA-Agenten werden überraschend im feindlichen Ausland aufgegriffen. Das Muster wiederholt sich um den ganzen Globus. Unbekannte Hacker haben eine Sicherheitslücke in Servern von Regierung und Nachrichtendiensten gefunden und geben hochsensible Daten in die Hände der Feinde. Ist Präsident Jack Ryan das nächste Angriffsziel? Er muss alle persönlichen Gefühle beiseiteschieben und mit dem höchsten Einsatz spielen, um die Nation zu retten – indem er den eigenen Sohn in die Schusslinie des Feindes stellt.
Die Autoren
Tom Clancy, der Meister des Technothrillers, stand seit seinem Erstling Jagd auf Roter Oktober mit allen seinen Romanen an der Spitze der internationalen Bestsellerlisten. Er starb im Oktober 2013.
Mark Greaney hat Internationale Beziehungen und Politikwissenschaften studiert. Als Koautor von Tom Clancy hat er zu Recherchezwecken mehr als 15 Länder bereist und an Militär- und Polizeiübungen teilgenommen.
Anschlag auf den Präsidenten ist der 22. Band aus dem Jack-Ryan-Universum. Bei Heyne erschien zuletzt Pflicht und Ehre.
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Hauptpersonen
Regierung der Vereinigten Staaten
JACK RYAN: Präsident der Vereinigten Staaten
SCOTT ADLER: Außenminister
MARY PAT FOLEY: Direktorin der Nationalen Nachrichtendienste
ROBERT BURGESS: Verteidigungsminister
JAY CANFIELD: Direktor der CIA
DAN MURRAY: Justizminister
ANDREW ZILKO: Heimatschutzminister
ARNOLD VAN DAMM: Stabschef des Präsidenten
STUART COLLIER: CIA-Operationsleiter
BENJAMIN KINCAID: Konsularbeamter des US-Außenministeriums
BARBARA PINEDA: Analystin, Defense Intelligence Agency
JENNIFER KINCAID: CIA-Operationsleiterin
THOMAS RUSSELL: Special Agent, FBI; Leiter der Joint Terrorism Task Force, Abteilung Chicago
DAVID JEFFCOAT: Leitender Special Agent, FBI
Militär der Vereinigten Staaten
CARRIE ANN DAVENPORT: Captain, U. S. Army; Kopilotin und Bordschützin eines AH-64E Apache
TROY OAKLEY: Chief Warrant Officer 3, U. S. Army; Pilot eines AH-64E Apache
SCOTT HAGEN: Commander, U. S. Navy; Kapitän der USS James Greer (DDG-102)
WENDELL CALDWELL: General, U. S. Army; Befehlshaber des United States Central Command
Der Campus
GERRY HENDLEY: Direktor von Hendley Associates/Direktor des Campus
JOHN CLARK: Operationsleiter
DOMINGO »DING« CHAVEZ: Leitender Außenagent
DOMINIC »DOM« CARUSO: Außenagent
JACK RYAN JUNIOR: Außenagent/Analyst
GAVIN BIERY: Leiter der IT-Abteilung
ADARA SHERMAN: Logistik- und Transportleiterin
HELEN REID: Pilotin der campuseigenen Gulfstream G550
CHESTER »COUNTRY« HICKS: Kopilot der campuseigenen Gulfstream G550
Weitere Personen
DR. CATHY RYAN: First Lady der Vereinigten Staaten
DR. OLIVIA »SALLY« RYAN: Tochter von Präsident Jack Ryan
XOZAN BARZANI: Kompaniechef der kurdischen Peschmerga
SAMI BIN RASHID: Sicherheitsbeamter des Golfkooperationsrats
ABU MUSA AL-MATARI: jemenitischer Staatsbürger und IS-Agent
VADIM RETSCHKOW: in den USA studierender russischer Bürger
DRAGOMIR VASILESCU: Direktor von Advanced Research Technological Designs (ARTD)
ALEXANDRU DALCA: Rechercheur bei ARTD; Fachmann für Nachrichtengewinnung aus offenen Quellen
LUCA GABOR: rumänischer Gefängnisinsasse; Fachmann für die Beschaffung personenbezogener Daten
BARTOSZ JANKOWSKI: Lieutenant Colonel (a. D.), U. S. Army; Rufzeichen »Midas«; ehemaliger Delta-Force-Angehöriger
EDWARD LAIRD: ehemaliger leitender CIA-Beamter; Vertragspartner der US-Geheimdienste
»ALGIER«: algerischer IS-Kämpfer
»TRIPOLIS«: libyscher IS-Kämpfer
RAHIM: Anführer der IS-Zelle »Chicago«
OMAR: Anführer der IS-Zelle »Detroit«
ANGELA WATSON: Anführerin der IS-Zelle »Atlanta «
KATEB ALBAF: Anführer der IS-Zelle »Santa Clara«
DAVID HEMBRICK: Anführer der IS-Zelle »Fairfax«
1
Der Name des Mannes, der mit seiner Familie in dem Restaurant saß, war den meisten Amerikanern, die einen Fernseher oder einen Internetanschluss besaßen, bekannt, aber so gut wie keiner wusste, wie er aussah – hauptsächlich deshalb, weil er es tunlichst vermied, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Und das war auch der Grund, warum er es so verdammt merkwürdig fand, dass der anscheinend sehr nervöse Mann auf dem Gehweg ständig zu ihm herüberstarrte.
Scott Hagen war Commander in der US Navy. Das machte einen nun wahrlich nicht berühmt, doch Hagen hatte sich als Kapitän eines Lenkwaffenzerstörers hervorgetan, der nach Ansicht vieler Journalisten praktisch im Alleingang eine der größten Seeschlachten seit dem Zweiten Weltkrieg gewonnen hatte.
Das Gefecht zwischen den Vereinigten Staaten und Polen auf der einen und Russland auf der anderen Seite hatte nur sieben Monate zuvor in der Ostsee stattgefunden und dem Namen Scott Hagen damals zu einem hohen Bekanntheitsgrad verholfen. Doch Hagen hatte den Medien keine Interviews gegeben, und auf dem einzigen Foto, das in der Presse von ihm kursierte, posierte er stolz in seiner blauen Uniform mit der weißen Kapitänsmütze auf dem Kopf.
Im Gegensatz dazu trug er jetzt T-Shirt, Cargoshorts und Flip-Flops sowie einen Dreitagebart, sodass ihn eigentlich kein Mensch auf der Welt oder gar in diesem mexikanischen Gartenrestaurant in New Jersey mit dem vom Marineministerium ausgegebenen Foto in Verbindung bringen konnte.
Warum also, so fragte er sich, linste der Kerl, der im Halbdunkel neben dem Fahrradständer stand, ständig in seine Richtung?
Die Stadt hatte ein College, und der Typ war im Studentenalter und wirkte leicht angetrunken. Er trug ein Polohemd und Jeans, hielt in der einen Hand eine Bierdose und in der anderen ein Mobiltelefon, und Hagen hatte den Eindruck, dass er etwa zweimal pro Minute über die hell erleuchtete Terrasse voller Gäste hinweg zu seinem Tisch herüberglotzte.
Der Commander war nicht direkt beunruhigt, eher neugierig. Er war mit seiner Familie und der seiner Schwester hier, acht Personen insgesamt, und alle anderen am Tisch unterhielten sich und knabberten Chips mit Guacamole, während sie auf den Hauptgang warteten. Die Kinder tranken Limonade, Hagens Frau, seine Schwester und sein Schwager Margaritas. Er selbst blieb bei Mineralwasser, denn heute Abend war er damit an der Reihe, den Clan in dem gemieteten Van herumzuchauffieren.
Sie waren wegen eines Fußballturniers in der Stadt. Hagens siebzehnjähriger Neffe war der Star-Keeper seiner Highschoolmannschaft, die am folgenden Nachmittag das Finale bestritt. Morgen würde Hagens Frau den Mietwagen fahren, damit er nach dem Spiel in einem Restaurant ein paar kühle Bierchen zischen konnte.
Hagen aß noch einen Chip, sagte sich, dass er sich wegen des angetrunkenen Blödmanns keinen Kopf zu machen brauchte, und konzentrierte sich wieder auf die Runde am Tisch.
Der Militärdienst brachte viele Nachteile mit sich. Aber der größte war, dass man zu wenig Zeit für die Familie hatte. Kein versäumter Geburts- oder Feiertag, keine verpasste Hochzeit oder Beerdigung ließ sich nachholen.
Wie viele Männer und Frauen beim Militär sah auch Commander Scott Hagen seine Familie dieser Tage nicht genug. Die Gelegenheiten, bei denen er sich loseisen und mit seinen Kindern und Neffen etwas unternehmen konnte, wurden immer rarer, sodass er diesen Abend zu schätzen wusste.
Zumal er ein aufreibendes Jahr hinter sich hatte.
Nach der Schlacht in der Ostsee und der bedächtigen Heimfahrt über den Atlantik hatte er die beschädigte USS James Greer ins Trockendock in Norfolk, Virginia, gebracht, wo sie sechs Monate lang instand gesetzt werden sollte.
Hagen war nach wie vor ihr Kommandant, sodass Norfolk einstweilen sein Zuhause darstellte. Viele Navy-Angehörige hielten die Zeit im Trockendock für besonders beschwerlich, weil es an Bord viel zu tun gab, die Klimaanlage des Schiffes nicht regelmäßig lief und viele andere Annehmlichkeiten wegfielen.
Doch Scott Hagen würde sich nie darüber beklagen. Er hatte den Krieg aus nächster Nähe erlebt und Männer verloren, und obwohl er und sein Schiff als unbestreitbare Sieger daraus hervorgegangen waren, hatte die Erfahrung des Krieges nichts Beneidenswertes, auch nicht aus Sicht der Sieger.
Russland verhielt sich jetzt mehr oder weniger ruhig. Es kontrollierte zwar nach wie vor einen bedeutenden Teil der Ukraine, doch das Atom-U-Boot der Borei-Klasse, das es entsandt hatte, um vor der Küste der Vereinigten Staaten zu patrouillieren, war in seine Marinebasis in der nördlich von Murmansk gelegenen Sajda-Bucht zurückgekehrt und hatte sich auf der Rückfahrt absichtlich gezeigt und vor der schottischen Nordküste fotografieren lassen.
Und die russischen Truppen, die in Litauen eingefallen waren, hatten sich wieder zurückgezogen.
Die Russen hatten im Baltikum eine peinliche Schlappe erlitten, und mit Sicherheit hätte es jeden in diesem mexikanischen Gartenrestaurant in New Jersey überrascht zu erfahren, dass der Durchschnittstyp von Familienvater, der an dem großen Tisch unter Sonnenschirmen saß, dabei eine maßgebliche Rolle gespielt hatte.
Hagen war die Anonymität durchaus recht. Der Vierundvierzigjährige mochte keinen Wirbel um seine Person. Er ging nie in Uniform mit der Familie aus und erzählte nie Geschichten von Gefechten auf hoher See. Nein, im Moment faulenzte er mit seinen Kindern und Neffen und scherzte mit seiner Frau, dass er, wenn er vor dem Essen noch mehr Chips mit Guacamole esse, morgen verschlafen und das Spiel verpassen werde.
Er und seine Frau lachten, und dann sagte sein Schwager Allen zu ihm: »He, Scotty, kennst du den Typ da drüben auf dem Gehweg?«
Hagen schüttelte den Kopf. »Nein. Aber er beobachtet uns schon eine ganze Weile.«
»Kann es sein, dass er unter dir gedient hat oder so was?«, fragte Allen.
»Er kommt mir nicht bekannt vor.« Er überlegte einen Moment und sagte dann: »Aber merkwürdig ist das schon. Ich gehe zu ihm rüber und frage ihn, was das soll.«
Er nahm die Serviette vom Schoß, stand auf und durchquerte das belebte Gartenlokal.
Der junge Mann wandte sich ab, bevor Hagen die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, warf seine Bierdose in einen Abfalleimer und trat auf die dunkle Straße.
Er überquerte sie eilends und verschwand auf einem belebten Parkplatz.
Als Hagen an den Tisch zurückkam, sagte Allen: »Merkwürdig. Was meinst du? Was sollte das?«
Hagen wusste nicht, was er davon halten sollte, wohl aber, was er zu tun hatte. »Der Typ ist mir nicht geheuer. Lass uns auf Nummer sicher gehen und von hier verschwinden. Bring die anderen nach drinnen. Verlasst das Restaurant durch die Hintertür und lauft zum Van. Ich bleibe hier, bezahle die Rechnung und nehme dann ein Taxi ins Hotel.«
Seine Schwester Susan hörte alles, hatte aber keine Ahnung, was vor sich ging. Sie hatte den jungen Mann gar nicht bemerkt. »Was ist denn los?«
Allen wandte sich jetzt an beide Familien. »Alle mal herhören. Keine Fragen, bis wir am Van sind, aber wir müssen jetzt gehen. Wir lassen uns im Hotel etwas aufs Zimmer bringen.«
»Mein Bruder wird nervös, wenn er ohne einen Haufen Atomwaffen herumfährt«, bemerkte Susan.
Die James Greer hatte keine Atomwaffen an Bord, aber Susan war Steueranwältin und wusste es nicht besser, und Hagen war zu beschäftigt, um sie zu korrigieren, denn er fing gerade einen vorbeieilenden Kellner ab, um die Rechnung zu bestellen.
Alle ärgerten sich darüber, dass sie aus dem Restaurant gescheucht wurden, obwohl volle Teller zu ihnen unterwegs waren, begriffen aber, dass etwas Ernstes im Gang war, und fügten sich.
Als die sieben sich gerade in Richtung Hintertür in Bewegung gesetzt hatten, drehte sich Hagen um. Da war er wieder, der junge Mann. Er überquerte gerade die zweispurige Straße und steuerte auf das Gartenrestaurant zu. Er trug jetzt einen langen grauen Trenchcoat, unter dem er offensichtlich etwas verbarg.
Hagen kamen Zweifel an Allens Fähigkeit, die Familie zu führen, und auch Susan schien den Ernst der Lage nicht zu begreifen. Darum rief er seiner Frau zu: »Durchs Restaurant! Lauft! Schnell!«
Laura Hagen packte Tochter und Sohn und zog sie in Richtung Hintertür. Hagens Schwester und Schwager folgten dicht dahinter, wobei sie ihre beiden Jungs vor sich herschoben.
Hagen wollte ihnen nach, drosselte aber seine Schritte, als er zu seinem Entsetzen sah, wie der Mann eine AK-47 unter dem Trenchcoat hervorzog. Auch andere Gäste bemerkten es, denn es war kaum zu übersehen.
Schreie erfüllten die Luft.
Die Augen auf Commander Scott Hagen gerichtet, drang der junge Mann in das Gartenlokal ein und hob das Gewehr an die Schulter.
Hagen erstarrte.
Das kann nicht wahr sein. Das glaube ich einfach nicht!
Er selbst hatte keine Waffe. Er war hier in New Jersey, und obwohl er in Virginia eine Schusswaffe tragen durfte und ihm das auch in fünfunddreißig anderen Bundesstaaten gesetzlich erlaubt war, wäre er hier dafür ins Gefängnis gewandert.
Es war ihm auch kein Trost, dass dieser Wahnsinnige gegen das Gesetz verstieß, indem er mitten in der Stadt eine Kalaschnikow in Anschlag brachte. Er bezweifelte, dass es dem Kerl etwas ausmachte, dass er zusätzlich zu versuchtem Mord an rund hundert Restaurantgästen wahrscheinlich auch des unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt werden würde.
Bumm!
Erst als der erste Schuss einen Meter links von ihm in einen gemauerten Zierbrunnen einschlug, löste sich Scott Hagen aus seiner Erstarrung. Er wusste, dass seine Familie direkt hinter ihm war, und dieses Wissen setzte den Reflex, sich zu ducken, irgendwie außer Kraft. Er machte sich groß und breit und benutzte seinen Körper, um die Seinen zu decken, aber er blieb nicht stehen.
Er hatte keine Wahl. Er rannte los, dem Gewehrfeuer entgegen.
Der Schütze gab in schneller Folge drei Schüsse ab, doch in dem nun ausbrechenden Chaos warfen mehrere Gäste Tische und Schirme um, versperrten ihm den Weg und rempelten ihn sogar bei dem Versuch, aus dem Restaurant zu fliehen. Hagen verlor ihn aus den Augen, als ein roter Sonnenschirm zwischen ihnen umkippte, aber das trieb ihn zusätzlich an, denn wenn dem Angreifer die Sicht versperrt war, stiegen seine Chancen, den Mann zu packen, bevor er sich eine Kugel fing.
Und er schaffte es beinahe.
Der Angreifer stieß mit dem Fuß den Schirm beiseite, sah, dass sein Opfer durch eine freie Gasse im Chaos auf ihn zustürmte, und feuerte mit der Kalaschnikow. Hagen spürte, wie eine Kugel seinen linken Unterarm traf – er wurde halb herumgewirbelt und geriet, aus dem Schwung gebracht, ins Straucheln, doch er preschte weiter zwischen den Tischen hindurch.
Hagen war kein Experte im Kampf mit Handfeuerwaffen – er war Seemann und kein Soldat –, aber er spürte, dass dieser Mann kein gut ausgebildeter Kämpfer war. Der Bursche konnte zwar eine Kalaschnikow bedienen, aber er wirkte gehetzt, hektisch, hatte einen irren Blick.
Worum es ihm auch gehen mochte, es war für ihn eine sehr persönliche Sache.
Und für Hagen jetzt auch. Er hatte keine Ahnung, ob jemand aus seiner Familie verletzt worden war, er wusste nur, dass dieser Mann gestoppt werden musste.
Ein Kellner stürzte sich von rechts auf den Schützen, bekam ihn an der Schulter zu fassen und schüttelte ihn, damit er die Waffe fallen ließ, doch der Angegriffene fuhr herum, krümmte den Finger am Abzug und schoss dem mutigen jungen Mann aus einem halben Meter Entfernung mehrmals in den Bauch.
Der Kellner war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug.
Dann richtete der Schütze die Waffe wieder auf den angreifenden Hagen.
Die zweite Kugel, die den Commander traf, richtete größeren Schaden an als die erste – sie bohrte sich oberhalb der rechten Hüfte ins Fleisch und rüttelte ihn durch –, aber er stürmte weiter, und der nächste Schuss war zu hoch. Der Kerl bekam den Rückstoß der Waffe nicht in den Griff. Der zweite und dritte Schuss jeder Folge waren zu hoch, da die Mündung nach oben gerissen wurde.
Eine Kugel jagte an Hagens Gesicht vorbei, als er sich mit einem Satz auf den Mann warf und ihn rückwärts über einen Metalltisch riss.
Die beiden Männer schlugen hart auf den Steinplatten des Gartenrestaurants auf. Hagen umschloss mit der rechten Hand den Lauf der Kalaschnikow und drückte die Mündung von sich weg. Das heiße Metall versengte ihm die Finger, aber er ließ nicht los.
Er war Rechtshänder, aber jetzt schlug er dem jungen Mann immer wieder die linke Faust ins Gesicht. Er spürte den Schweiß an den Wangen des Mannes, in seinem Haar, und dann fühlte er das Blut, als die Nase des Angreifers brach und ein roter Schwall sich über sein Gesicht ergoss.
Noch hielt der Mann das Gewehr fest, doch sein Griff erlahmte. Schließlich entriss es ihm Hagen, rollte sich von ihm herunter, stemmte sich auf die Knie hoch und richtete die Waffe auf ihn.
»Dawai!«, schrie der junge Mann. Für Hagen war es der erste Hinweis darauf, dass er es mit einem Ausländer zu tun hatte.
Der Angreifer rollte sich auf die Knie, und während Hagen ihn anbrüllte, er solle sich nicht bewegen und die Hände heben, griff der Mann in die Tasche seines Trenchcoats.
»Ich knall dich ab, verdammt!«, schrie Hagen.
Der Mann zog ein blankes Messer mit zwanzig Zentimeter langer Klinge unter dem Trenchcoat hervor und ging, einen irren Ausdruck im blutverschmierten Gesicht, zum Angriff über.
Er war nur anderthalb Meter entfernt, als Hagen ihm zweimal in die Brust schoss. Das Messer fiel zu Boden, Hagen trat beiseite, und der junge Mann stürzte, Stühle umreißend, mit dem Gesicht in von einem Tisch gefallene Speisen.
Der Anschlag war vorüber. Hagen hörte hinter sich Stöhnen, Schreie von der Straße, das Heulen von Sirenen und Autoalarmanlagen, das Weinen von Kindern.
Er zog das Magazin aus dem Gewehr und warf es weg, dann zog er den Spannhebel bis zum Anschlag zurück, damit die noch im Patronenlager steckende Patrone ausgeworfen wurde, und ließ die Waffe zu Boden fallen. Er drehte den Verletzten auf den Rücken und kniete sich über ihn.
Der Mann hatte die Augen offen – er war bei vollem Bewusstsein, aber sichtlich dem Tode nahe und jetzt so gefügig wie eine Puppe.
Hagen, der sich trotz Adrenalin wieder im Griff hatte, sah ihm direkt ins Gesicht. »Wer sind Sie? Warum haben Sie das getan? Warum?«
»Für meinen Bruder«, antwortete der blutüberströmte Mann. Hagen konnte hören, wie sich seine Lunge mit Blut füllte.
»Wer zum Teufel ist Ihr …«
»Sie haben ihn getötet. Sie haben ihn ermordet!«
Der Mann sprach mit russischem Akzent, und Hagen verstand. Bei dem Gefecht in der Ostsee war sein Schiff an der Versenkung zweier U-Boote beteiligt gewesen. »War er Seemann?«, fragte er.
Die Stimme des jungen Mannes wurde mit jeder Sekunde schwächer. »Er ist gefallen … als Held … der Russischen … Föderation.«
Da kam Hagen ein anderer Gedanke. »Wie haben Sie mich gefunden?«
Die Augen des Mannes wurden glasig.
»Woher haben Sie gewusst, dass ich mit meiner Familie hier bin?« Hagen gab ihm eine kräftige Ohrfeige. Ein Restaurantgast, ein Mittdreißiger mit blutverschmiertem Hemd, versuchte, Hagen von dem Mann herunterzuziehen. Hagen stieß ihn weg.
»Wie, du Hurensohn?«
Die Augen des jungen Russen drehten sich langsam weg. Hagen ballte die Faust und hob sie hoch. »Antworte mir!«
Eine Stimme dröhnte vom Empfangstisch auf dem Gehweg herüber. »Keine Bewegung!« Hagen schaute auf und erblickte einen Polizisten, der mit ausgestreckten Armen eine Pistole hielt, die auf seinen Kopf zielte. Der Mann wusste nicht, was hier vorging, nur dass inmitten von Toten und Verletzten, die in einem verwüsteten Restaurant lagen, irgendein Arschloch auf einen Verletzten einprügelte.
Hagen hob die Hände, und dabei spürte er die Wunden an seiner Seite und seinem Arm.
Alles verschwamm vor seinen Augen. Er rollte sich auf den Rücken und starrte in die Nacht.
Er glaubte, zwischen den Entsetzensschreien und Schreckensrufen seine Schwester hinter sich laut weinen zu hören. Er konnte das nicht begreifen, denn er glaubte, er habe seiner Familie die nötige Zeit verschafft, um sich in Sicherheit zu bringen.
2
Im Unterschied zu seinem berühmten Vater hatte Jack Ryan junior keine Flugangst. Tatsächlich war sein Vertrauen in Flugzeuge recht groß, jedenfalls größer als sein Vertrauen in die eigene Fähigkeit, ohne sie durch die Luft zu fliegen.
Dass er in diesem Moment an sein relativ entspanntes Verhältnis zum Fliegen dachte, lag hauptsächlich daran, dass er beabsichtigte, sich in wenigen Augenblicken vierhundert Meter über der Chesapeake Bay aus der Seitentür eines tadellos funktionierenden Flugzeugs in den blauen Himmel zu stürzen.
Jack hatte seinen Fallschirm unter Anleitung und Aufsicht von Domingo Chavez, dem leitenden Agenten seiner kleinen geheimen Einheit, eigenhändig gepackt, und er war sich sicher, dass er ihn richtig gepackt hatte. Doch sein Verstand arbeitete gegen ihn. Statt ihn in der Überzeugung zu bestärken, dass alles problemlos ablaufen würde, erinnerte er ihn daran, dass er bei seiner letzten Reise vergessen hatte, sein Lieblingspaar Laufsocken ins Handgepäck zu stopfen.
Auch damals hatte er gedacht, er hätte beim Packen alles richtig gemacht.
Das ist nicht dasselbe, Jack. Eine bescheuerte Reisetasche zu packen ist etwas ganz anderes als einen Fallschirm.
Seine Einbildungskraft schien heute Morgen entschlossen, ihm Bauchschmerzen zu bereiten.
Jack absolvierte momentan ein Fallschirmspringertraining, allerdings nicht im Rahmen einer militärischen Ausbildung oder eines normalen Kurses für Zivilisten, sondern eines Lehrgangs, den die Chefs von Jacks Organisation entwickelt hatten. Jack arbeitete für den Campus, einen kleinen, aber wichtigen inoffiziellen Nachrichtendienst, dem ehemalige Soldaten und Geheimdienstler angehörten, von denen einige bewährte Freifallexperten waren.
Und man hatte entschieden, dass Jack Ryan junior sich diese wichtige Fähigkeit ebenfalls aneignen sollte, denn er hatte seine Tätigkeit beim Campus zwar als Nachrichtenanalyst begonnen, war aber in den letzten Jahren immer mehr in eine operative Rolle hineingewachsen. Inzwischen bekleidete er zwei Funktionen: Er konnte wochen- oder monatelang in seinem Kabuff sitzen und die Finanzpraktiken eines korrupten Staatschefs oder einer Terrororganisation enträtseln, es kam aber auch vor, dass er die Tür eines Zielobjekts eintrat und sich in einen Nahkampf stürzte.
Jacks Leben mangelte es nicht an Abwechslung.
Doch in diesem Moment hatte er keine Zeit, über die Ironie seines Werdegangs nachzusinnen. Nein, denn er ging jetzt im Stillen die Liste der Dinge durch, die er tun musste, sobald er aus dem Flugzeug sprang, was in genau …
Jemand aus dem vorderen Teil des Flugzeugs rief: »Ryan! Noch vier Minuten.«
In genau vier Minuten hieß es: »Abspringen, Kopf nach vorne, Arme zur Seite, Bauchlage, Knie leicht gebeugt. Hohlkreuzhaltung einnehmen, Reißleine ziehen, sich auf Ruck gefasst machen und checken, ob Schirm gut geöffnet hat.«
Er murmelte diese hochwichtige To-do-Liste leise vor sich hin, während er auf der Bank saß, die seitlich am Rumpf des Flugzeugs entlanglief.
Dies war nicht sein erster Solosprung. Er hatte vor zwei Wochen mit der theoretischen Ausbildung begonnen, war dann im Freien mit seiner Ausrüstung von langsam fahrenden Pick-ups gehüpft und über einen Grünstreifen gepurzelt. Danach war er zwei Tage lang Tandems gesprungen und, durch Gurte mit Domingo Chavez oder seinem Cousin Dominic Caruso, dem dritten operativen Agenten des Campus, verbunden, über den Himmel gesaust. Chavez und Caruso waren beide erfahrene Freifallspringer, die sowohl HALO-Sprünge (Abkürzung für High Altitude/Low Opening; große Absprunghöhe/niedere Öffnungshöhe) als auch HAHO-Sprünge (für High Altitude/High Opening; große Absprunghöhe/große Öffnungshöhe) beherrschten und ihn Schritt für Schritt durch den Anfängerteil der Ausbildung begleiteten.
Jack tat, was von ihm verlangt wurde, sodass er rasch zu Sprüngen mit Aufziehleine überging, die Ding Chavez als dope on a rope bezeichnete und bei denen der Schirm automatisch öffnete, sobald man aus dem Flugzeug sprang.
In der nächsten Phase erfolgten Sprünge aus geringer Höhe in Wasser, wobei er selbst die Reißleine zog, allerdings unmittelbar nach Verlassen des Flugzeugs – die nannte Chavez hop-and-pops.
Bisher hatte er fünf Hop-and-pops absolviert, und alle waren planmäßig verlaufen. Und obwohl er nun wahrlich kein Naturtalent war und sich noch nicht einmal seinen ersten Freifallsprung verdient hatte, war er von John Clark, dem Operationsleiter der kleinen Organisation, schon mehrmals gelobt worden.
Und das wollte was heißen, denn John Clark kannte sich aus – vor seinem Wechsel zum Campus war er Navy SEAL, paramilitärischer CIA-Offizier und Chef einer Anti-Terror-Spezialeinheit der Nato gewesen und hatte so viele verdeckte Einsatzsprünge absolviert wie nur wenige Männer auf der Welt.
Obwohl Jack seit zwei Tagen Hop-and-pops machte, würde sich der Sprung am heutigen Morgen gründlich von den anderen unterscheiden, denn sobald er im Wasser gelandet war, sollte er zu einer in der Nähe ankernden Jacht schwimmen und zu den beiden anderen Männern des Teams stoßen, die bereits an Bord waren. Zusammen sollten sie dann einen Übungsangriff auf das Boot durchführen, in dem sich Mitarbeiter des Campus aufhielten, die den Part der gegnerischen Partei übernahmen.
Jetzt, wenige Minuten vor seinem Sprung, blickte Jack quer durch die Kabine der Cessna Grand Caravan zu den beiden anderen Männern, die an der heutigen Übung teilnahmen. Dominic Caruso war von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt – selbst Fallschirmgurt, Schutzbrille und Helm waren schwarz. Seine Einsatzweste war mit 30-Schuss-Magazinen für 9-mm-Patronen gefüllt, und über seine rechte Schulter war eine SIG-Sauer-MPX-Maschinenpistole mit Schalldämpfer geschnallt.
Jack wusste, dass die Magazine für Doms Maschinenpistole und die Glock-Pistole an seiner Hüfte mit FX-Patronen gefüllt waren – Projektilen, die kein Blei, sondern Farbe enthielten, aber nichtsdestotrotz Projektile waren und beim Aufprall verdammt wehtaten.
Clarks und Chavez’ Motto lautete: Je mehr du im Training schwitzt, desto weniger blutest du im Gefecht. Jack verstand den Spruch, doch Tatsache war, dass er im Training häufig geblutet hatte, wie übrigens auch in richtigen Kämpfen.
Jack war ähnlich ausstaffiert wie Caruso und Chavez, mit zwei bemerkenswerten Ausnahmen. Zum einen hatte Jack Schwimmflossen um die Brust geschnallt; die würde er anlegen, sobald er im Wasser war. Zum anderen trugen die beiden Männer, die ihm gegenübersaßen, MC-6-Fallschirme, die mit speziellen, für US-Spezialkräfte entwickelten SF-10A-Schirmen ausgestattet waren, die es ihnen gestatteten, weite Strecken zu fliegen und präzise zu landen, ja sogar ermöglichten, in der Luft langsam nach hinten zu gleiten.
Bei Jacks Fallschirm handelte es sich dagegen um ein viel schlichteres T-11-Modell, das seine Beweglichkeit sehr stark einschränkte. Er würde mit einer Geschwindigkeit von etwa zwanzig Kilometer pro Stunde fallen, und wo er landete, hing weitgehend von der Geschwindigkeit des Flugzeugs, dem Wind und der Schwerkraft ab.
Die anderen beiden würden direkt auf dem Deck der Jacht landen, während Jack nur einen Hop-and-pop hinlegen und zusehen musste, dass er die riesige Wasserfläche der Chesapeake Bay direkt unter dem Flugzeug nicht verfehlte. Jack steckte gewissermaßen noch in der »Stützräderphase«, deshalb musste er schwimmen, bevor er mit den beiden anderen das Boot entern konnte. Das war zwar etwas peinlich, doch er wusste, dass kein anderer Anfänger in der Welt des Fallschirmspringens schon in der zweiten Ausbildungswoche im Rahmen seiner Sprünge simulierte Angriffe durchführte, deshalb kam er sich nicht ganz so leichtgewichtig vor.
Ding Chavez saß Jack gegenüber neben Caruso. Im Moment hatte er ein Headset auf, damit er mit der Crew kommunizieren konnte, der Pilotin Helen Reid und ihrem Kopiloten Chester Hicks. Normalerweise flogen die beiden den campuseigenen Jet, eine Gulfstream G550, doch heute hatten sie sich in die Niederungen der Fliegerei begeben und steuerten die viel leistungsschwächere und technisch simplere Cessna Caravan, aber sie genossen die Abwechslung.
Dom Caruso bemerkte, dass Chavez über das Headset mit den Piloten sprach, und so beugte er sich zu Jack herüber und sagte vertraulich in sein Ohr: »Alles in Ordnung, Cousin?«
»Aber sicher, Mann.« Sie schlugen die behandschuhten Fäuste gegeneinander, wobei sich Jack alle Mühe gab, sein Unbehagen zu verbergen.
Und mit Erfolg, wie es schien, denn Caruso sagte nichts von wegen, dass er kreidebleich im Gesicht sei oder dass seine Hände zitterten. Stattdessen vergewisserte er sich noch einmal, dass Chavez das Headset aufhatte und nicht hören konnte, was er und Jack sprachen. Dann beugte er sich wieder vor.
»Laut Ding werden wir es auf der Jacht mit einer unbekannten Zahl von Gegnern zu tun bekommen, aber unter uns gesagt, werden uns fünf Bösewichte dort erwarten.«
Jack legte den Kopf schief. »Wie kommst du darauf?«
»Per Ausschlussverfahren. Wer von den Campus-Mitarbeitern kann zu einer Schießerei mit uns abkommandiert werden? Adara spielt das Entführungsopfer, das ist ihr gestern herausgerutscht. Und Clark befehligt die Gegnertruppe, versteht sich. Er wartet da unten mit einer Waffe. Damit bleiben nur noch unsere vier Sicherheitsleute: Gomez, Fleming, Gibson und Henson.« Der Campus beschäftigte gründlich durchleuchtete ehemalige Militärs und Nachrichtendienstler als Sicherheitspersonal der Einrichtung. Alle waren ehemalige Green Berets oder SEALs. Darüber hinaus hatten Gibson und Henson beim Global Response Staff der CIA gedient, einem erstklassigen Sicherheitsdienst, der Einrichtungen der Agency in aller Welt schützte. Alle vier waren über fünfzig Jahre alt, aber so fit wie Olympioniken, knallharte Burschen und seit vielen Jahren mit Chavez und Clark befreundet.
Zusätzlich zu ihren Aufgaben im Objektschutz halfen die vier von Zeit zu Zeit in der Ausbildung aus, da sie Experten für Feuerwaffen, Blankwaffen und sogar für den unbewaffneten Kampf waren.
»Du könntest recht haben«, erwiderte Jack. »Aber Clark hat uns schon öfter überrascht. Vielleicht helfen auch ein paar Jungs aus der Analyseabteilung aus, die was vom Schießen verstehen. Mike und Rudy zum Beispiel. Die waren Infanteristen bei der Army.«
Caruso grinste. »Ranger waren sie, das gebe ich zu. Aber Rudy hat mich heute früh vom Büro aus angerufen. Er will vielleicht meinen Truck kaufen und hat mich gebeten, die Schlüssel unter den Sitz zu legen, damit er in der Mittagspause bei mir zu Hause vorbeischauen und eine Probefahrt machen kann. Er hat gesagt, dass Mike mitkommen würde.«
Jack überlegte, wer sonst aus ihrer Organisation die zweieinhalbstündige Fahrt vom Büro in Alexandria, Virginia, unternommen haben könnte, um heute Morgen die Schurkenrolle zu spielen. »Donna Lee war beim FBI. Sie kann mit einer Maschinenpistole umgehen.«
»Adara hat mir erzählt, dass sich Donna am Mittwoch beim Fitnesstraining das Knie verdreht hat«, entgegnete Dom. »Sie wird ein paar Wochen an Krücken gehen.«
Jetzt musste Jack grinsen. »Du hast wirklich an alles gedacht.«
»Wir beide treffen in der wirklichen Welt schon auf genügend Arschlöcher, die uns abknallen wollen. Ich habe nicht die Absicht, heute ein FX-Projektil ins Gemächt zu bekommen. Ich habe am Wochenende etwas vor. Ich trickse das System aus, wenn ich muss.«
Jetzt lachte Jack, froh über die Ablenkung, die ihn davon abhielt, ständig an seine Qualitäten als Fallschirmpacker und den bevorstehenden Sprung zu denken. »Was hast du denn am Wochenende vor?«
Dom sah so aus, als dächte er darüber nach, ob er auf die Frage antworten sollte, doch im selben Moment nahm Ding das Headset ab, und Dominic lehnte sich wieder zurück.
»Was habt ihr zwei Armleuchter für Heimlichkeiten?«
Die beiden Angesprochenen grinsten, antworteten aber nicht.
Chavez hob die Augenbrauen. »Noch zwei Minuten, Jack. Du wirst rund dreihundert Meter vom Boot entfernt abgesetzt, und zwar hinterm Heck, damit du nicht bemerkt wirst. Natürlich ist helllichter Tag, und in der wirklichen Welt würde dich jeder Wachposten beim Blick nach achtern bemerken, aber das ist eine Übung. Die Gegner an Bord konzentrieren sich auf das Boot. Du kannst unbehelligt hinschwimmen, solange du nicht zu sehr auffällst.«
»Ja«, sagte Dominic. »Paddle nicht in einer großen gelben Gummiente hin.«
Jack reckte die Daumen nach oben.
»Sobald du draußen bist, bringt uns Helen auf sechstausend Fuß. Von dort oben springen wir und segeln direkt an Deck. Auf dem Weg nach unten orten wir Ziele und versuchen, sie bei der Landung auszuschalten. Wenn wir gelandet sind und das Gurtzeug ablegen, möchte ich, dass du die Bootsleiter heraufkletterst und bereit bist, uns zu verstärken.«
»Alles klar«, sagte Jack und spähte durch das Fenster. Vor ihm lag eine anstrengende Schwimmstrecke. Das Wasser in der Bucht sah kabbelig aus.
In diesem Augenblick stemmte sich Chester »Country« Hicks aus dem Kopilotensitz und kam nach hinten zur Kabinentür. Er legte den Hebel um, und der Rollladen an der Luke öffnete sich. Ein lokomotivähnliches Dröhnen erfüllte die ohnehin schon laute Kabine, begleitet vom Rauschen der Luft, die an dem mit neunzig Knoten fliegenden Flugzeug vorbeitoste.
Hicks hielt einen Finger in die Höhe. Noch eine Minute bis zum Absprung. Jack erhob sich zusammen mit Dom. Sie stießen erneut die Fäuste aneinander, dann ging Jack zu der offenen Luke.
Dom begleitete ihn und neigte sich zu seinem Ohr. »Und nicht vergessen …«
Jack legte den Kopf schief. »Was nicht vergessen?«
»Alles«, grinste Chavez, klopfte dem Jüngeren auf den Rücken und deutete auf die offene Luke. »Ab mit dir, Jack. Du musst gerade runter wie ein Stein!«
Jack kämpfte gegen einen Anflug von Übelkeit an, wartete, bis Country das Kommando gab, und sprang dann hinaus.