Bienen haben mehr zu bieten als Honig. Ihre Kostbarkeiten werden ob ihrer wohltuenden und heilenden Eigenschaften seit Urzeiten geschätzt. Honig verwöhnt mit seiner fruchtigen Süße unsere Sinne, wirkt aber auch antibakteriell und schützt die Blutgefäße vor Arteriosklerose. Gelée royale verbessert die Fruchtbarkeit und lindert Wechseljahresbeschwerden, während Propolis das Immunsystem stärkt und bei Entzündungen hilft. Pollen ist beliebt bei Sportlern, und Stachelgift kann Arthritis und Rückenschmerzen mildern. Ein informatives und spannendes Buch über die vielseitigen Schätze der Bienenapotheke – die Wiederentdeckung einer alten Heilkunst.
Jörg Zittlau
Die heilende Kraft der Bienen
Sanft heilen mit Honig, Propolis, Gelée royale und Co.
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
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Verwendung des Zitats siehe hier aus Roald Dahl, Gelée Royale aus: Roald Dahl, Küßchen, Küßchen. 11 ungewöhnliche Geschichten. Deutsche Übersetzung von Wolfheinrich von der Mülbe. Copyright © 1962 by Rowohlt Verlag Taschenbuch GmbH, Reinbek bei Hamburg
Redaktion: Katy Albrecht
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München, unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock / Midori9813
E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-24594-8
V002
www.heyne.de
Inhalt
Vorwort: Die Biene und ihre Medizin
Teil I
1. Ein ganz besonderes Insekt: Die Biologie der Biene
2. Eines der ältesten Haustiere überhaupt: Die Geschichte der Imkerei
3. Hausinsekt und Heilmittellieferant: Die Geschichte der Apitherapie
Teil II
4. Der Arzneikoffer der Bienen: Die Heilmittel der Apitherapie
Bienenbrot und Pollen: Balsam für Prostata und Knochen
Bienengift: Heilkraft aus dem Stachel
Bienenluft: Gesunde Brise aus dem Bienenstock
Bienenwachs: Von der Wabe zum Antibiotikum
Gelée royale: Die Medizin der Königin
Honig: Wundheiler, Jungbrunnen und Sportlernahrung
Propolis: Kein Harz für Keime
Teil III
5. Mit Bienentherapie heilen: Von A bis Z
Abwehrschwäche (Immunschwäche)
Akne
Aphthen
Arteriosklerose und ihre Folgeerkrankungen
Arthritis
Augenlidrandentzündung (Blepharitis)
Blasenentzündung
Blutarmut (Anämie)
Erkältungen (mit Husten und Schnupfen)
Fußpilz-Symptome
Gastritis (Magenschleimhautentzündung)
Hautekzeme (Dermatitis)
Herpes (Lippenherpes)
Heuschnupfen
Krebsvorsorge
Metabolisches Syndrom
Mundgeruch
Muskelkater
Nervosität und Schlafstörungen
Rückenschmerzen
Sinusitis (Nebenhöhlenentzündung)
Venenerkrankungen
Verbrennungen
Wechseljahresbeschwerden
Zahnfleischentzündung (Gingivitis)
Anhang
Literaturverzeichnis
Register
Vorwort: Die Biene und ihre Medizin
Honig wohnt in jeder Blume, Freude an jedem Orte, man muß nur, wie die Biene, sie zu finden wissen.
Heinrich von Kleist (1777 – 1811)
Kaum ein Tier fasziniert den Menschen schon so lange wie die Biene. Ihr Fleiß, ihre Disziplin und Opferbereitschaft, ihre perfekte Organisation, ihre Bedeutung für die Pflanzenwelt, ihr leckerer Honig begeistern uns immer wieder. Und nicht zuletzt ist da noch ihre Bedeutung für unsere Gesundheit.
Denn neben dem Honig können praktisch auch alle anderen Bienenprodukte einen medizinischen Nutzen für uns haben, vom Bienenbrot über Gelée royale, Wachs und Propolis bis zum Stachelgift. Sie bilden die Säulen der Apitherapie, die man am besten als Bienentherapie übersetzt. Ihre medizinhistorischen Wurzeln reichen zurück bis in die Antike und die uralten Gesundheitslehren Asiens, vom Ayurveda bis zur Traditionellen Chinesischen Medizin. Wer einmal gesehen hat, wie ein japanischer Apitherapeut mit einem Bienenstachel die Mundschleimhaut seines Patienten punktiert, den überfällt vielleicht einerseits ein gewisser Schauer der Furcht. Andererseits ahnt er aber auch: So etwas macht nur jemand, der weiß, was er tut, weil es vor ihm schon jahrhundertelang andere Therapeuten gemacht haben und dabei offenbar Erfolg hatten.
Wobei wir jedoch festhalten müssen: Die Bienentherapie gehört zu den Verfahren der Alternativmedizin, die nicht nur aus einem reichhaltigen historischen Fundus, sondern auch aus einer soliden wissenschaftlichen Studienlage schöpfen können. Hochburgen der Apitherapie-Forschung sind Japan, China, Indien, Pakistan, Malaysia, der Iran und die arabischen Länder, aber es kommen auch diverse Studien aus Deutschland, Polen, Norwegen, Italien und den USA. Sie liefern Belege dafür, dass »Doktor Biene« keine Legende ist, sondern auch realistische Alternativen für das Behandeln und Vorbeugen von Krankheiten zu bieten hat. Die wissenschaftlichen Studien zur Apitherapie werden in diesem Buch ausgiebig gewürdigt und so dargestellt, dass sie für jedermann verständlich sind – und wer tiefer in die Materie eintauchen will, kann im detaillierten Literaturverzeichnis nachschlagen.
Trotzdem stellt sich die Frage, warum eigentlich die Bienenprodukte einen so starken Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Was man als Antwort sicherlich ausschließen kann, dass sie für unsere Zwecke hergestellt werden. Denn die Biene arbeitet und produziert nicht für uns, sondern für sich und ihr Volk; wir sind nur diejenigen, die sich bei ihr bedienen und dabei – wie man ja mittlerweile nur zu gut weiß – nicht einmal besonders nett zu ihr sind. Ihre Produkte haben also zunächst die Absicht, ihr selbst zu dienen, und im Nebeneffekt nutzen sie eben auch uns. Was aber ist es genau, was diesen Effekt ausmacht?
Die Antwort ist, dass die Biene mit ihren Produkten als verlängerter Arm der Heilpflanzenkunde, also der Phytotherapie, fungiert. Zwar wird diese schon seit Langem von uns geschätzt, doch oft stehen wir bei Heilkräutern vor dem Problem, dass ihre Wirkstoffe nicht vollends von uns verwertbar und teilweise sogar problematisch für uns sind. Man denke nur an die ätherischen Öle von Manuka, Pfefferminze, Thymian und Eukalyptus, die bei der Teezubereitung ziemlich zügig verdampfen oder sogar zu ätzend sind, als dass wir sie einfach so verzehren sollten. Oder an die fetthaltigen Substanzen von Kamille und Ringelblume, die sich in Wasser gar nicht lösen können und daher für einen Aufguss kaum geeignet sind. Ganz zu schweigen davon, dass frisch gepflückte Pflanzen nur eine begrenzte Haltbarkeit haben. So wird aus der geernteten Kamille schon bald »eine olle Kamelle«, von der niemand mehr etwas wissen will.
Durch die Biene werden diese Probleme weitgehend gelöst. Denn erstens sammelt sie in Gestalt der Pollen und des Honigtaus schon ein besonderes Extrakt, also quasi das Beste der jeweiligen Pflanzen ein; und zweitens fügt sie ihnen noch Enzyme aus ihrem eigenen Sortiment hinzu, durch die das pflanzliche Produkt konserviert, gut verwertbar und (im Falle des Honigs) auch schmackhaft für uns wird. Man könnte also sagen, dass die Biene dafür sorgt, dass Heilpflanzen noch besser für uns werden, als sie ohnehin schon sind. Eine Ausnahme bildet dabei allerdings ihr Gift, das eine echte Bienen-Eigenkreation ist und uns bekanntermaßen sehr wehtun kann. Nichtsdestoweniger können wir es für uns nutzen, wenn wir es vorsichtig und sparsam dosieren und gezielt dort einsetzen, wo wir es wollen. Vorausgesetzt natürlich, dass wir nicht allergisch darauf reagieren.
Ansonsten aber heißt Apitherapie, dass sie die Kraft der Heilpflanzen in besonderem Maße für uns nutzbar macht und noch eine eigene Portion »Biene« hinzu gibt. Welche ihrer Mittel dabei für welche Krankheiten angezeigt sind, werde ich Ihnen in diesem Buch detailliert vorstellen. Und auch, wo man Bienenprodukte einkauft, wie man sie zubereitet und was dabei zu beachten ist, damit sich der gewünschte Effekt einstellt. Denn selbst wenn wir am großen Heilmittelschatz der Bienen teilhaben dürfen, können wir leider von ihnen keine Tipps erwarten, wie wir ihre Mittel zu verwenden haben. Dieses Buch soll deshalb ihr Sprachrohr sein.
Teil I
1. Ein ganz besonderes Insekt: Die Biologie der Biene
Schon die Dinos hörten sie summen
Als der Tyrannosaurus Rex seine gigantischen Zähne in den Nacken des Stegosaurus hineinschlug, ertönte ein gewaltiges Brüllen. Und man hörte das Brechen von Knochen und Zähnen. Das Opfer versuchte noch, sich aufzurichten. Doch es war zu geschwächt, durch all die Bisse, die ihm der Raubsaurier vorher schon beigebracht hatte. Dann wurde es still. Totenstill. Nur irgendwo weiter hinten hörte man ein unentwegtes Summen. Und man sah emsig arbeitende Insekten, die von Blüte zu Blüte flogen, unbeeindruckt vom Spektakel, das um sie herum stattfand. Als Biene lässt man sich nämlich durch nichts und niemanden in seiner Arbeit stören, also auch nicht von Dinosauriern. Als ob sie ahnten, dass noch eine Zeit kommen würde, in der sie von einem zweibeinigen Säugetier mit großem Hirn und Vernichtungswillen gestört wird. Doch damals, vor rund 100 Millionen Jahren, war davon nicht einmal ansatzweise etwas zu spüren. Es gab die Dinosaurier, die Bienen und noch sehr viel anderes Leben, aber noch nicht den Störenfried Mensch, der das alles im Handstreich vernichten konnte.
Das älteste Fossil einer Biene wurde – in Bernstein eingebettet – im US-Staat Jersey gefunden und als Cretotrigona prisca bezeichnet. Der Fund ist vermutlich 75 bis 92 Millionen Jahre alt, aber wahrscheinlich gab es die Bienen schon früher. Man weiß, dass es bereits vor 110 Millionen Jahren Blütenpflanzen gab, die sich mit süßen Säften attraktiv machten, um von Insekten bestäubt zu werden oder ihren Pollen an sie zum Weitertransport abzugeben. Das können zwar auch Käfer leisten, doch einige Pflanzen versteckten ihren Nektar – wie fossile Funde belegen – auch in tiefen Kelchen, und dort konnte ihn eigentlich nur die Biene mit ihrem langen Rüssel erreichen.
In jedem Falle gibt es die Biene schon enorm lange, was konkret bedeutet, dass sie selbst und das, was sie schon seit Jahrmillionen tut, echte Erfolgsprojekte der Evolution sind. Vom Menschen und dem, was er tut, kann man das nicht behaupten. Es gibt ihn gerade mal seit 300.000 Jahren, was sich im Verhältnis zur Geschichte der Biene wie eine Sekunde zu einer Minute ausnimmt.
Mehr als nur ein Honigträger
Bei der Biene, über die wir in der Regel sprechen, handelt es sich genau genommen um »Apis«, die Gattung der Honigbienen. Sie besteht aus zwölf staatenbildenden Arten, von denen die westliche Honigbiene Apis mellifera seit jeher die größte Bedeutung für den Menschen hat. Wobei das mellifera im Namen eigentlich überholt ist. Denn dieser lateinische Begriff bedeutet eigentlich »die Honigtragende«, weil man früher glaubte, dass dem Bienenschwarm nur eine Transportrolle zukäme und die Süßspeise bereits fertig von den Pflanzen hergestellt würde. Inzwischen weiß man, dass die Biene den Blütennektar nicht nur aufnimmt, sondern auch in ihrem Magen enzymatisch verarbeitet und mit anderen Wirkstoffen versetzt. Honig ist also sehr wohl ein Bienenprodukt. Deswegen sprechen die meisten Zoologen auch von Apis mellifica, also der »Honigmachenden«. Apis mellifera wird aber auch noch verwendet.
Ein echter Win-win-Pakt
Die gemeinsame Evolution von Blütenpflanzen und Bienen zeigt anschaulich, wie sich zwei Lebewesen exakt aufeinander einspielen und sich einer dem anderen so perfekt anpasst, dass beide den größtmöglichen Nutzen voneinander haben. Ihr »Deal« besteht darin, dass die Pflanze den Bienen nahrhaften Nektar anbietet, die dafür beim Tanken an der Nektarquelle Pollen der Blüte aufnimmt und zu anderen Blüten bringt, um sie zu befruchten. Der Vorteil für die Biene: Sie bekommt energiereiche Nahrung. Der Vorteil für die Pflanze: Sie kann die energiefressende Produktion ihrer Pollen zurückfahren, weil sie nicht mehr auf Transportwege wie etwa den Wind angewiesen ist, die stark vom Zufall abhängig sind. Interessant sind die evolutionären Details, in denen sich beide aufeinander abgestimmt haben. So hat die Biene viele Borsten auf ihrem Körper entwickelt, in denen sich die Pollen besser verfangen können; und die Pflanzen bekamen Blüten mit tiefen Nektarkelchen und Staubfäden, sodass nur Bienen dort hineinkommen, denen wiederum ihrerseits eigens dafür ein langer Rüssel wuchs.
Ganz anders als eine Wespe
Die Körperlänge der Honigbiene beträgt 15 bis 18 Millimeter bei der Königin, 13 bis 16 Millimeter bei den Drohnen und 11 bis 13 Millimeter bei den Arbeiterinnen. Letztere erreichen ein Durchschnittsgewicht von 82 Milligramm, während die Königin auch schon mal auf bis zu 300 Milligramm kommen kann. Die Grundfarbe der Westlichen Honigbiene ist Braun, also nicht schwarz-gelb gestreift, wie oft behauptet wird. Solche Vorstellungen resultieren aus einer Verwechslung mit der Wespe.
Ein weiterer Unterschied besteht in der Behaarung. Die fehlt bei der Wespe praktisch völlig, während sie bei der Biene sehr stark ausgeprägt ist. Übertroffen wird sie dabei allerdings noch von der Hummel. Und wie bei der Biene hat auch hier das Haarkleid den Sinn, dass sich darin beim Blütenbesuch die Pollen verfangen sollen. Dieser Aspekt steht bei der Wespe eher im Hintergrund, da sie deutlich seltener eine Blüte besucht und ihre Nahrung auch als Raubinsekt oder in Mülltonnen und Limonadenflaschen oder als ungeliebter Besucher von Grillfesten ergattert.
Nur eine vermehrt sich
Der Honigbienenstaat besteht aus 10.000 bis 60.000 Mitgliedern. Die meisten davon sind Arbeiterinnen, die in der Regel unfruchtbar sind. Die Fortpflanzung ruht in erster Linie auf den Schultern der Königin, die am Tag bis zu 3.000 Eier legt. Sie können befruchtet und unbefruchtet sein: Aus den befruchteten schlüpfen Arbeiterinnen und Königinnen; aus den unbefruchteten die Drohnen. Deren Lebenssinn besteht ausschließlich darin, die Königin zu befruchten. Ist es ihnen gelungen, sterben sie. Und diejenigen Drohnen, denen es nicht gelungen ist, werden von den Arbeiterinnen vertrieben und verhungern. Zoologen und Imker nennen das gerne die »Drohnenschlacht«.
Nach dem Stich …
Wenn eine Biene mit ihrem Giftstachel zusticht, ist das ihr sicherer Tod. Denn ihr Stachel besitzt Widerhaken, sodass sie ihn nicht mehr herausziehen kann. Stattdessen wird er komplett aus dem Unterkörper herausgerissen, und das Tier erleidet schwerste Verletzungen. Die Wespe kann hingegen mehrmals zustechen, weil sie ihre Waffe wieder aus dem Körper des Opfers herausziehen kann. Der evolutionäre Sinn hinter diesem Unterschied ist, dass der Stich der Biene komplett der Verteidigung des Bienenstaates dient, der als Ganzes über dem Individuum steht. Die Wespe hingegen sticht, um sich als Individuum zu schützen oder sogar, um Beutetiere zu erlegen; danach zu sterben hätte für sie keinen Sinn.
Perfekte Arbeitsteilung
Das herausragende Merkmal der Honigbiene besteht in der Ausbildung von Staaten, die durch ein perfektes System der Arbeitsteilung erhalten werden. In ihrem Zentrum steht die Königin, die aber im eigentlichen Sinne keine Herrscherin über ihr Volk ist, sondern eine Stockmutter und Eierproduzentin. Sie ist das einzige voll entwickelte Weibchen im Staat.
Die übrigen Mitglieder des Staates bestehen in erster Linie aus Arbeiterinnen, die in ihrem etwa vierzigtägigen Leben unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, und zwar abhängig von ihrem Lebensalter. Als Jungbienen sind sie ausschließlich im Innendienst tätig und dafür zuständig, die Wabenzellen für die nächste Generation zu reinigen. Wenn sie dann sechs Tage alt sind, beginnen ihre Futterdrüsen zu arbeiten, und sie produzieren Gelée royale, mit dem sie die Königin und die Larven der kommenden Königinnen-Generation füttern. Diese Substanz stammt also von ausgesprochen jungen Bienen und dient der Ernährung ausgesprochen exquisiter Bienen. Sie ist also etwas Besonderes, und das gilt, wie wir noch sehen werden, nicht nur für das Insekt, sondern auch für die Apitherapie im Dienste des Menschen.
Ab ihrem zehnten Lebenstag bilden sich die Nährdrüsen der Arbeiterin zurück, und stattdessen werden die Wachsdrüsen an ihrem Hinterleib aktiv. Sie sondern kleine Wachsschuppen ab, die dem Bau und der Reparatur der Waben dienen. Die Arbeitsbiene wird also jetzt zum Baumeister des Staates, zu ihren weiteren Aufgaben gehört aber auch, den vom Außendienst angelieferten Honig weiterzuverarbeiten und ins Lager zu befördern.
Vom achtzehnten bis zum zwanzigsten Lebenstag bewacht die Arbeitsbiene den Stock, sie kontrolliert, wer rein darf und wer nicht. Gleichzeitig macht sie aber auch schon erste kleinere Ausflüge, um sich auf ihre Zeit als Sammlerin vorzubereiten. Anschließend besteht ihre Aufgabe wesentlich in der Nahrungsbeschaffung für den Bienenstaat. Dazu unternimmt sie Touren im Umkreis von zwei bis drei Kilometern, mit Besuchen bei bis zu 400 Blüten pro Tag. Unter guten Bedingungen sammelt ein Bienenvolk bis zu acht Kilogramm Nektar täglich, und jede einzelne Sammlerin legt dabei Strecken von bis zu 85 Kilometern zurück. Drei Wochen später stirbt sie. Es sei denn, sie ist eine Winterbiene, die hat nämlich eine Lebenserwartung von rund sechs Monaten und sichert dadurch den Bestand des Volkes über den Winter hinweg. Sie geht freilich nicht mehr sammeln, die Versorgung des Staates erfolgt jetzt aus den prall gefüllten Honiglagern. Die Aufgabe der Winterbiene besteht vielmehr darin, das Futter zu verteilen und im Bienenstock für Wärme zu sorgen, indem sie mit ihren Brustkorbmuskeln zittert.
Die Bedeutung der Biene für die Arten- und Lebensmittelvielfalt
Mit ihren Bestäubungsaktivitäten hat die Biene einen großen Einfluss auf das Ökosystem und damit auch auf unser Lebensmittelangebot. Nahrungsmittel wie Weizen, Reis und Mais werden zwar vor allem mithilfe des Windes befruchtet, aber mehr als 80 Prozent der Pflanzen weltweit brauchen für ihre Bestäubung ein Tier, das von Blüte zu Blüte wandert. Die Bienen spielen dabei eine Schlüsselrolle, ohne sie würden die Erträge von bis zu drei Vierteln der Nutzpflanzen stark schrumpfen – oder müssten anders und künstlich bestäubt werden.
Farmer in den USA bezahlen bereits Geld dafür, dass Imker ihre Bienenvölker in die Nähe der Felder bringen und dort ausschwärmen lassen. Für die Tiere selbst ist das freilich weniger angenehm. Sie werden durch die weiten Lkw-Reisen zu ihrem Einsatzort gestresst und erheblich geschwächt.
Ohne Bienen weniger Früchte – und mehr Tote
Ein Forscherteam um Samuel Myers von der Harvard-T.H.-Chan-School of Public Health in Boston hat untersucht, wie sich ein Aussterben der Bienen und anderer Insekten auf die weltweite Lebensmittelsituation auswirken würde. Ihr Resümee: Die weltweite Früchteernte würde um knapp 23 Prozent zurückgehen, die Gemüseernte um 16 und die von Nüssen und Getreide um 22 Prozent. Diese Entwicklungen könnten – wegen des mit ihnen einhergehenden Vitaminmangels – zu 1,42 Millionen zusätzlichen Todesfällen pro Jahr führen!
Gibt es ein weltweites Bienensterben?
Seit etwa einem Jahrzehnt warnen Naturschützer lautstark vor einem grassierenden Bienensterben, für das sich der Begriff Colony Collapse Disorder etabliert hat. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, ist also zur Hälfte falsch. Denn der Mensch nimmt natürlich massiven Einfluss auf die Natur und macht dadurch gerade Insekten das Leben schwer. Im Oktober 2017 erschien in der Fachzeitschrift PLOS ONE die Studie eines internationalen Forscherteams, wonach in deutschen Naturschutzgebieten der Insektenbestand von 1989 bis 2016 um über 75 Prozent abgenommen hat. Das entspricht einer jährlichen Verlustquote von rund sechs Prozent. Doch ausgerechnet die Honigbiene ist davon nur wenig betroffen, denn sie ist ein Nutztier, und solange sie das ist, wird sie auch nicht vom Globus verschwinden.
Dies belegt eine Erhebung der Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen. Demnach hat sich die Zahl der Bienenstöcke weltweit seit den Sechzigerjahren nahezu verdoppelt. Der Bienenbestand in Deutschland ging zwar im gleichen Zeitraum deutlich zurück, doch seit einigen Jahren zeigt er wieder einen leicht positiven Trend, weil die Imkerei hierzulande wieder modern wird. »Die Honigbiene wird das letzte Insekt sein, das ausstirbt«, erläutert Bienenkundler Peter Rosenkranz von der Universität Hohenheim. »Sie ist nicht bedroht, solange es Imker gibt.«
Tatsächlich bedroht sind jedoch viele Wildbienenarten, die den meisten Menschen unbekannt sein dürften. Laut Internationaler Naturschutzunion IUCN ist in Europa ungefähr jede zehnte von ihnen vom Aussterben bedroht. Hautpursache für diese Entwicklung sind die großen Felder und Monokulturen in der Landwirtschaft sowie der schwindende Lebensraum durch die Ausbreitung von Städten. Wissenschaftler nennen aber auch einzelne Pestizide wie die Neonicotinoide als Ursache für das Schwinden.
Ausgangsstoff dieser synthetischen Substanzen ist das vom Tabak stammende Nikotin, das als Nervengift auf den Menschen noch stärker wirkt als Arsen oder Zyankali. Die Nicotinoide sind jedoch so modifiziert, dass sie einem Säugetier kaum etwas haben können, das Nervensystem von Insekten dafür aber mit umso größerer Wucht treffen. Und dazu reichen offenbar schon, wie französische Wissenschaftler ermittelten, selbst niedrige Dosierungen.
Das Forscherteam vom Institut national de la recherche agronomique (INRA) in Avignon hatte 653 Bienen mit einem elektromagnetischen Chip und ihre Stöcke mit einem entsprechenden Lesegerät ausgestattet, sodass man ihren Ab- und Anflug erfassen konnte. Im Anschluss daran wurden einige Tiere dem Pestizid-Nicotinoid Thiamethoxam ausgesetzt, wobei man die Dosis nach den im Ackerbau üblichen, relativ niedrigen Belastungen ausrichtete, während andere Stämme zur Kontrolle unbehandelt blieben.
Die Nicotinoid-Bienen zeigten eine zwei- bis dreimal höhere Ausfallrate, weil sie bei ihren Rundflügen verendet waren. »Wir vermuten, dass ihr Orientierungssinn gestört war«, erläutert Studienleiter Mickaël Henry. Dies deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien, in denen Pestizide das Lern- und Navigationsvermögen von Bienen beeinträchtigten. »Es reicht also nicht, dass die Tiere keinen tödlichen Nicotinoiddosierungen ausgesetzt werden«, warnt Henry. »Denn unsere Studie zeigt deutlich, dass schon erheblich niedrigere Dosierungen das Verhalten der Tiere so verändern, dass ihr Bestand gefährdet wird.«
Es ist daher gut und richtig, dass die EU inzwischen die Nicotinoide verboten hat. Doch Wissenschaftler bezweifeln, dass sie dadurch das Problem des Insektensterbens nachhaltig gelöst hat. So warnt der britische Insektenkundler Dave Goulson: »In den 1940er-Jahren hatten wir Organochlorpestizide wie das DDT. Nach deren Verbot gab es Pestizide auf Phosphorsäurebasis. Dann kamen die Nicotinoide. Und als Nächstes wird wieder etwas anderes, aber ähnlich Schädliches kommen. Wenn wir diesen Kreislauf nicht unterbrechen, sehe ich keine Hoffnung, dass sich etwas für die Umwelt verbessert.«