Dr. Steven R. Gundry
GEMÜSE
OHNE GIFT
LEKTINFREI KOCHEN
Den Darm heilen
und das Gewicht reduzieren
Aus dem amerikanischen Englisch
von Stefanie Heim
IMPRESSUM
© der deutschsprachigen Ausgabe 2019
by Südwest Verlag, einem Unternehmen
der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München.
THE PLANT PARADOX COOKBOOK.
Copyright © 2018 by Steven R. Gundry
Photographs © 2018 Dana Gallagher
Published by arrangement with HarperWave,
an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.
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Hinweis: Das vorliegende Buch ist sorgfältig erarbeitet worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.
Projektleitung: Jascha Brunnhuber
Übersetzung: Stefanie Heim, Washington D.C.
Lektorat: Claudia Fritzsche, München
Umschlaggestaltung für die deutschsprachige Ausgabe: OH, JA!, München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-24815-4
V001
www.suedwest-verlag.de
Für charity: water –
Für euer unermüdliches Bemühen, Millionen bedürftiger Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen.
Man kann zwar Monate ohne Nahrung überleben, aber nur sieben Tage ohne Wasser!
www.charitywater.org
INHALT
Einführung
TEIL EINS: WAS IST DAS PFLANZEN-PARADOX?
EINS Lektine und Ihre Gesundheit
ZWEI »Was genau kann ich denn nun essen?«
DREI Das LFE-Programm
VIER Die LFE-Küche
TEIL ZWEI: REZEPTE
FÜNF Vorspeisen und Snacks
SECHS Frühstück
SIEBEN Suppen und Eintöpfe
ACHT Nudeln und Bowls
NEUN Hauptgerichte
ZEHN Gemüsegerichte und Beilagen
ELF Süßes und Nachspeisen
ZWÖLF Getränke
DREIZEHN Saucen, Brühen, Dressings und Co.
Anhang
Dieses Kochbuch ist schon seit langer Zeit in Arbeit. Ursprünglich erstellte ich für meine Patienten »Nein, danke«- und »Ja, bitte«-Listen mit Lebensmitteln und gab ihnen etwa zehn Rezepte mit auf den Weg. Doch schon bald erkannte ich, dass sie umfangreicheres Material zum Nachschlagen benötigten, um ihre neue Ernährungsweise auf Dauer durchzuhalten. Daher sammle ich seit Langem Rezepte von Freunden und Patienten und habe mir auch mein eigenes Repertoire an Gerichten erarbeitet. Ich habe viel versucht, viel herum- und ausprobiert, Unmengen von schmutzigem Geschirr produziert und konnte schließlich eine Auswahl an leckeren, gesunden und vielseitigen Rezepten zusammenstellen.
Aber lassen Sie mich ein bisschen ausholen. Denn falls Sie ganz neu an dieses Buch gekommen sind, ohne »Böses Gemüse« gelesen zu haben, wissen Sie vielleicht gar nicht, von welchen Listen die Rede ist und warum man sie benötigt. Als Arzt behandle ich meine Patienten seit siebzehn Jahren mit einer Kombination aus Ernährungstherapie und konventioneller Medizin. Im Allgemeinen kommen Menschen zu mir, die mit einer chronischen Krankheit zu kämpfen haben und bei denen sich einfach keine Besserung einstellen will.
Im Laufe dieser Jahre traf (und treffe ich weiterhin) Personen, deren Gesundheit sich in einem so erstaunlichen Maß verbesserte, wie man es vorher gar nicht für möglich gehalten hätte. Vermeintlich unheilbare Krankheiten sind geheilt. Dies lässt sich nicht nur mithilfe der modernsten Blutuntersuchungen nachweisen, man sieht es den Patienten auch an, und sie selbst fühlen es. Viele dieser Veränderungen vollzogen sich nach einer Ernährungsumstellung, zu der ich meinen Patienten geraten hatte. Infolgedessen schrieb ich mein Buch »Böses Gemüse«, um die Philosophie meines Ernährungsprogramms zu erklären: Viele gemeinhin als »gesund« betrachtete Lebensmittel – wie Obst, Gemüse, Getreide und Bohnen – enthalten bestimmte Proteine, die sogenannten Lektine. Diese können den Darm schädigen, Entzündungen hervorrufen und Krankheiten fördern. Lebensmittel, in denen viele Lektine stecken, vom Ernährungsplan zu streichen sowie Umweltgifte weitestgehend zu vermeiden, sind daher die Kernpunkte meines Programms zur lektinfreien Ernährung (LFE-Programm).
Dieses Kochbuch wurde in erster Linie für all diejenigen geschrieben, die ihre Ernährung bereits auf das LFE-Programm ausgerichtet haben und dadurch wieder gesund wurden. Kein Ernährungsplan, der Verzicht fordert oder Opfer voraussetzt, hat jemals funktioniert, und das aus gutem Grund: Denn Essen macht Spaß! Ich weiß, wovon ich spreche, ich esse selbst sehr gerne – ich liebe eine gute Mahlzeit und bin auch nicht immun gegen die Verlockungen meiner früheren Lieblingsnahrungsmittel. Daher finden Sie in diesem Kochbuch LFE-taugliche Varianten bekannter Lieblingsspeisen, von Bagels über Pancakes bis Pizza und Pad Thai, von Spaghetti bis hin zu Brownies und Eiscreme.
Das bringt mich zum zweiten Grund, wieso ich »Gemüse ohne Gift« geschrieben habe: Das LFE-Programm funktioniert! So einfach ist das. Ich habe es anhand Tausender Patienten in meinen Kliniken dokumentiert und meine Ergebnisse auf wichtigen medizinischen Konferenzen vorgestellt. Es macht mich immer wieder glücklich, wenn ich von einem früheren Patienten eine E-Mail oder einen Brief erhalte oder eine Online-Bewertung lese und die Person schreibt, das Ernährungsprogramm habe ihr Leben positiv beeinflusst. Sei es nun, dass Menschen es nach vielen erfolglosen Versuchen endlich geschafft haben, Gewicht abzuwerfen, ihre Blutdruck- und/oder Cholesterinwerte zu senken, ihre Herzgesundheit zu verbessern, dass sie ihre tägliche Dosis von immunsuppressiven oder Schilddrüsen-Medikamenten verringern oder diese Arzneimittel ganz absetzen konnten. Ich empfinde Demut angesichts all dieser vielen unglaublichen Erfolge. Solche Geschichten sind der Grund, weshalb ich jeden Morgen aufstehe und zur Arbeit gehe und Bücher wie dieses schreibe: um die heilenden Kräfte des LFE-Programms jedem zugänglich zu machen.
Schließlich ist dieses Buch aber auch für die »standhaften Verweigerer« gedacht, die vielleicht schon von dieser verrückten lektinfreien Ernährungsweise gehört haben, aber noch zögern und ihr geliebtes Getreide und ihre Lieblingsgerichte nicht aufgeben möchten. Vielleicht wurde dieses Kochbuch gerade für Sie geschrieben, damit Sie herausfinden können, worum es bei alldem überhaupt geht, und Sie diesen Lebensstil auf die einfachst mögliche Weise ausprobieren können – indem Sie sich leckere Mahlzeiten zubereiten.
Falls Sie »Böses Gemüse« also nicht gelesen haben, können Sie mit diesem Kochbuch trotzdem direkt in die Materie einsteigen und dem Club der Genießer lektinfreien (oder zumindest lektinreduzierten) Essens beitreten. In den nächsten Kapiteln erhalten Sie einen kurzen Überblick über das LFE-Programm, sodass alle – alte Hasen genauso wie Neulinge – auf dem gleichen Stand und bereit sind, in der Küche loszulegen!
In diesem Kochbuch erhalten Sie Rezepte von Köchen, die mit dem »James Beard Award« ausgezeichnet wurden; Rezepte, die im Rahmen eines Wettbewerbs auf meiner Website GundryMD.com eingereicht wurden; sowie eine Reihe weiterer fantastischer Ideen meiner Patienten und Follower. Die Rezepte wurden alle mit dem Blick auf Sie, Ihre Gesundheit, Ihr stressiges Leben und Ihre Geschmacksknospen entwickelt. Ich kann es gar nicht erwarten, dass Sie sie endlich ausprobieren. Willkommen im Kochbuch »Gemüse ohne Gift«!
Als Klinikarzt, Wissenschaftler und ehemaliger Hochschullehrer breche ich komplizierte wissenschaftliche Themen gerne herunter und vereinfache sie, um sie »leichter verdaulich« zu machen.
Eines der Grundprinzipien der gesunden Ernährung lautet: Pflanzen sind die Eckpfeiler einer gesunden Ernährung. Denken Sie an Michael Pollans elegante Zusammenfassung: »Essen Sie Lebensmittel. Nicht zu viel und vorwiegend Pflanzen.«1
Ich schätze klare Regeln; dennoch gibt es noch eine andere grundlegende Wahrheit, die wir nicht außer Acht lassen dürfen: Nicht alle Pflanzen sind gut für uns.
Tatsächlich können bestimmte Pflanzen unserer Gesundheit schaden, vor allem wenn sie bestimmte Proteine, sogenannte Lektine, enthalten, deren eigentliche Aufgabe es ist, Pflanzen vor ihren Fressfeinden zu schützen. Und das ist das Paradox: Pflanzen sind sowohl Freund als auch Feind, Gesundheitsquelle und – unter bestimmten Umständen – Auslöser von Krankheiten. Manche Pflanzen sind gefährlicher als andere, darunter auch viele Pflanzen, die lange Zeit mit zu den gesündesten Nahrungsmitteln gezählt wurden. Dies sind zum Beispiel viele Obstsorten; Fruchtgemüse mit Samen, das botanisch zu den Obstsorten gehört (etwa Gurken, Tomaten, Speisekürbisse, Zucchini und Auberginen); Weizen, Mais sowie Bohnen und andere Hülsenfrüchte.
Ich weiß, was Sie jetzt denken: Wie kann es denn sein, dass diese frischen, bunten Nahrungsmittel aus der Gemüseabteilung ungesund sind? Oder dass Bohnen, Vollkornbrot und brauner Reis, jahrzehntelang als Inbegriff gesunder Ernährung gefeiert, uns schaden können? Nun, um das zu verstehen, müssen wir eine kleine Zeitreise unternehmen. (Ich wette, diesen Satz haben Sie in einem Kochbuch nicht erwartet, oder?)
Stellen Sie sich die Welt vor, wie sie vor 450 Millionen Jahren aussah. Die einzigen auf der Erde lebenden Kreaturen waren Pflanzen. Ohne Fressfeinde waren sie die Könige im Land und nutzten ihre unglaublichen chemischen Fähigkeiten, um Sonnenlicht in Materie zu verwandeln und sich auszubreiten. 90 Millionen Jahre später tauchten jedoch die Insekten auf, und die Pflanzen mussten Verteidigungsmechanismen »austüfteln«, um sich und ihre Nachkommen (d. h. ihre Samen) vor diesen Fressfeinden zu schützen. Pflanzen wollen – genauso wenig wie wir – getötet und verspeist werden, und für ihre Sprösslinge gilt dasselbe. Wie alle Lebensformen sind Pflanzen darauf programmiert, zu wachsen und sich zu reproduzieren. Aufgegessen zu werden, widerspricht diesen biologischen Plänen natürlich gewaltig.
Seit der Entstehung der Insekten haben Pflanzen daher ausgeklügelte Methoden hervorgebracht und verfeinert, um andere Lebewesen davon abzuhalten, sie zu fressen. Und zu diesen Lebewesen gehören natürlich auch wir Menschen, die wir uns vor etwa zwei bis vier Millionen Jahren allmählich entwickelten.
Pflanzen haben uns also 340 Millionen Jahre Evolution voraus – 340 Millionen Jahre, in denen sie ihre Verteidigungsmechanismen ausbilden konnten.
Man mag Pflanzen für ziemlich hilflose Geschöpfe halten. Tatsächlich verfügen sie jedoch über ein eindrucksvolles Arsenal an Taktiken, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Pflanzen können zwar nicht weglaufen, doch sie können sich tarnen, indem sie sich farblich ihrer Umwelt anpassen. Und während die meisten Pflanzen nicht fähig sind, aktiv anzugreifen, können sie sich doch verteidigen, indem sie Kreaturen, die sie verspeisen wollen, schädigen. Zum einen geschieht dies mit unmittelbaren Auswirkungen, das heißt, Angreifer werden vergiftet, gelähmt oder eingefangen, zum anderen können sie langfristige Schäden verursachen, indem sie ihre Fressfeinde für lange Zeit sehr, sehr krank machen.
Und die Waffen, mit deren Hilfe diese langfristige Strategie umgesetzt wird, sind die Lektine. (Gluten zum Beispiel ist so ein Lektin, und mit Sicherheit nicht das einzige ungesunde oder gar das schädlichste. Es ist einfach nur der Medienstar, quasi die Kim Kardashian der Lektine.) Wie schon erwähnt, sind Lektine Proteine – die meisten sind große, klebrige Proteine, die von Zuckermolekülen angezogen werden. Wenn Sie eine Pflanze mit hohem Lektingehalt essen, ist eine der negativen Folgen, dass diese Proteine marodierend durch Ihren Verdauungstrakt ziehen und dabei Ausschau nach Zuckermolekülen halten, an die sie sich anhängen können. Ihre Darmschleimhaut ist nur etwa eine Zellenbreite dick. Obwohl sie so zart ist, ist sie eleganterweise so designt, dass bestimmte Nahrungsanteile im Darm behalten (und letztendlich ausgeschieden) werden, während kleinere Partikel wie Vitamine, Mineral- und weitere Nährstoffe, die der Körper benötigt, die Schleimhaut durchdringen und in den Blutkreislauf gelangen können. Dies wird ermöglicht durch eine Reihe enger Verbindungen (tight junctions) zwischen den Zellen der Darminnenauskleidung, die quasi als Türsteher fungieren.
Diese engen Verbindungen funktionieren in etwa so wie eine Menschenkette – wenn mehrere Personen ihre Arme ineinander verschränken und eine Menschenkette bilden, kommt so gut wie keiner mehr durch. Lektine jedoch binden an die Darmzellen an und brechen diese engen Verschränkungen auf. Sie sind gewissermaßen die Spielplatz-Rowdies, die sich durch die Verbindungen zwischen den Zellen hindurchboxen, so in den Blutkreislauf gelangen und Löcher in der Darmwand zurücklassen. Dadurch können dann auch andere Moleküle, inklusive Bakterien, die »Schranke« überwinden und das sogenannte Leaky-Gut-Syndrom verursachen.
Im Blutkreislauf angekommen, lösen die Fremdstoffe eine Immunreaktion aus, da der Körper sie nicht kennt und als Eindringlinge wahrnimmt. Die Folge sind Entzündungsreaktionen. Dies erklärt, wieso viele meiner Patienten bei Blutuntersuchungen hohe Werte an inflammatorischen (entzündlichen) Zytokinen aufweisen – Proteine, die das Immunsystem auf eine Gefahr aufmerksam machen.
Das Lektin-Paradox: Warum Lektine gut und schlecht sind
Es ist immer so praktisch, wenn man Dinge in klar umrissene Kategorien einordnen kann: Die schlechten Jungs sind böse, die guten Jungs die Helden. Lektine beherrschen jedoch leider beide Rollen. Manche Lektine sind von Natur aus gesundheitsfördernd – Knoblauch zum Beispiel besitzt heilende Eigenschaften. (Hat er wirklich!) Seine virenhemmenden Kräfte verdankt er den enthaltenen Lektinen. Auch andere Lektine, die streng genommen giftig sind, haben – in kleinen Mengen konsumiert – einen positiven Einfluss auf den Körper: Sie bringen dem Immunsystem bei, welche Stoffe sicher sind und welche nicht.
Um das Paradox wirklich zu verstehen, dass Pflanzen und die darin enthaltenen Lektine sowohl positiv als auch negativ auf uns wirken können, hilft es, sich mit der Hypothese der Hormesis (griech. »Anstoß«, eine Art Umkehreffekt) vertraut zu machen. Diese besagt, dass manche Inhaltstoffe, die in großen Mengen Schäden in unserem Körper hervorrufen, uns in kleiner Dosis jedoch zuträglich sein können. In diesem Fall hat nicht die Substanz selbst die schädliche Wirkung, sondern die Menge, der wir über einen gewissen Zeitraum ausgesetzt sind. Oder, um es mit Paracelsus’ Worten auszudrücken: »Die Dosis macht das Gift.«
Die Hormesis verweist uns also auf eine gesundheitsfördernde Strategie: eine vielseitige Ernährung. Dadurch verlässt man sich nicht zu sehr auf einige wenige Lebensmittel. Sie erklärt auch, warum wir durch unsere – gegenüber unseren Vorfahren – stark veränderten Ernährungsgewohnheiten anfälliger für Lektine sind als diese. Wir beziehen heute nämlich den Großteil unserer Kalorien aus einigen wenigen Getreidearten: Weizen, Mais und Soja.
Ich hoffe, dass Ihnen die Rezepte in diesem Kochbuch und die Prinzipien, die ich in diesem Kapitel erkläre, helfen werden, Ihr Repertoire an Nahrungsmitteln, die Sie bisher nicht regelmäßig konsumiert haben, zu erweitern. Dazu gehören Ihnen bisher vermutlich unbekannte lektinfreie Getreidesorten wie Sorghum-Hirsen oder Millet-Hirsen, eine größere Auswahl an grünem Blattgemüse und Kreuzblütengewächse. Dank der Hormesis belohnt die Natur den experimentierfreudigen Gaumen!
Die menschliche Evolution hat noch nicht aufgeholt
Jetzt fragen Sie sich vermutlich, wie es die Menschheit geschafft hat, bis heute zu überleben, wenn es Lektine doch schon seit Millionen von Jahren gibt. Wie kann es sein, dass Pflanzen erst jetzt ein Problem für uns darstellen? Nun, zum einen haben uns die Entdeckung des Feuers und die sich daraus ergebende Tätigkeit des Kochens vor etwa 100000 Jahren einen Vorteil gegenüber den Tieren verschafft, da durch den Kochprozess viele Lektine neutralisiert werden. Gegart war nun auch Knollengemüse essbar, wie etwa die Yamswurzel oder Süßkartoffel. Im rohen Zustand sind sie schwer verdaulich, gekocht schmecken sie – wie Sie sicher wissen – köstlich. Die Stärke im Knollengemüse ernährt wiederum die Masse der nützlichen Bakterien in unserem Darm, das sogenannte Mikrobiom, wie auch die Bakterien, die auf unserer Haut und überall um uns herum leben, das Holobiom (es gleicht einer Wolke, die uns umgibt und überallhin folgt).
Die »Mitglieder« Ihres Mikrobioms haben großen Einfluss auf Ihren Körper. Ihre beiden wichtigsten Aufgaben sind es, die Nahrung, die Sie zu sich nehmen, aufzuspalten und die Nährstoffe herauszuziehen sowie mit Ihrem Immunsystem zu kommunizieren. Sie machen das Immunsystem auf Eindringlinge aufmerksam und bekämpfen schädliche Substanzen beziehungsweise machen sie unschädlich. Da sie so hilfreich für uns sind, nenne ich unsere Freunde ganz liebevoll »Mikros«.
Während sich unsere Spezies immer weiterentwickelt hat, haben sich auch unsere Mikros daran angepasst, um die Lektine, die wir über Pflanzen und Blätter aufnehmen, in Schach zu halten. Folglich konnten wir prächtig gedeihen. Als wir uns hauptsächlich von gesammelten Pflanzen, Knollengemüse und gelegentlich einem Wollmammut-Steak ernährten, waren wir das Sinnbild für Gesundheit – Männer waren im Durchschnitt beinahe 1,80 Meter, Frauen 1,58 Meter groß.2
Vor etwa 10000 Jahren endete dann die letzte Eiszeit, und viele der Tiere und Pflanzen, von denen sich die Menschheit bis dahin überwiegend ernährt hatte, starben aus. Also mussten neue Nahrungsquellen erschlossen werden. Daraufhin entstand der Ackerbau. Menschen begannen mit dem Anbau von Getreide und Bohnen – zwei pflanzliche Nahrungsmittel, die revolutionär waren, denn sie ließen sich nach der Ernte auf Vorrat einlagern. Während dies einerseits raffiniert und eine Meisterleistung war, hielt damit andererseits auch eine ganze Reihe neuer Lektine Einzug in den Speiseplan – Lektine, auf deren Verdauung weder der menschliche Organismus insgesamt noch seine Darmbakterien vorbereitet waren.
10000 Jahre mögen als ausreichend lange Zeit erscheinen, um eine Population von Mikroorganismen zu erschaffen, die mit den Lektinen fertigwerden. Sie waren es jedoch leider nicht. Mutter Natur hat eine komplett andere Zeitvorstellung als wir. Auch wenn wir neue Technologien (wie Feuer, Ackerbau oder Wifi) in immer kürzeren Zeitabschnitten entwickeln können, braucht die Natur doch Jahrtausende, um sich ihnen anzupassen. Aus Sicht der Evolution sind 10000 Jahre ein Wimpernschlag; es ist, als würden wir die Lektine gerade erst speeddaten. Als der Mensch begann, seine Lebensmittel selbst anzubauen, war sein Körper noch nicht darauf vorbereitet, Lektine zu verwerten – und er ist es noch immer nicht. Wundert es also, dass nach 2000 Jahren neuer Ernährungsweise die durchschnittliche Größe für Männer nurmehr 1,67 Meter und für Frauen 1,52 Meter betrug?3
Machen wir einen Zeitsprung ins 15. Jahrhundert. Als die »Neue Welt« – sprich Amerika – entdeckt wurde, lernten unsere Vorfahren aus Afrika, Europa und Asien plötzlich bisher unbekannte, stark lektinhaltige Nahrungsmittel kennen: Tomaten, Speisekürbisse, Mais, Chiasamen, Quinoa und andere Getreidesorten. Die amerikanischen Ureinwohner, die diese Lebensmittel schon 15000 bis 20000 Jahre lang gewohnt waren, hatten dadurch ausreichend Zeit gehabt, spezielle Darmbakterien zu entwickeln, dank derer sie die Lektine verdauen konnten. Aber die Menschen, denen diese westlichen Anbauprodukte neu waren, konnten das nicht.
Schon bevor die Menschheit an den Küsten Amerikas anlandete, hatten unsere Vorfahren Methoden zur Zubereitung und Konservierung von Nahrungsmitteln erlernt. Durch manche dieser Verfahren wurden Lebensmittel leichter verdaulich (ob zufällig oder nicht, das sei dahingestellt). Die Fermentation ist eine dieser Methoden. Schon vor langer Zeit fermentierten frühere Kulturen Gemüse und Milchprodukte, um sie haltbar zu machen: Kefir im Nahen Osten oder Sauerkraut in Osteuropa, Joghurt in Indien, Kimchi in Korea oder Miso in Japan, um nur einige Beispiele zu nennen.
Bei vielen Zubereitungsarten wurden auch die Schalen, Hüllen oder Samen der Pflanzen entfernt, also die Teile mit dem höchsten Lektingehalt. In Asien etwa ist geschälter weißer Reis ein Hauptnahrungsmittel. In Europa, wo Brot und Nudeln einen Grundpfeiler der Ernährung bilden, wird die Kleie (reich an Lektinen) vom Weizen abgezogen. Weizen wurde traditionell nur frisch gegessen – einen Tag alte Backwaren galten als nicht mehr essbar, da die natürlichen Fette des gemahlenen Korns schnell verderben.
Als unsere Vorfahren neue Lebensmittel entdeckten, bewahrten diese traditionellen Zubereitungsweisen sie davor, schädliche Mengen an Lektinen zu konsumieren. Mehr als 500 Jahre lang nutzte der Mensch diese Techniken, um sein Essen leichter verdaulich zu machen. In den letzten rund 100 Jahren haben uns Entwicklungen auf den Gebieten des Anbaus, des Nahrungsangebots und der Technologie jedoch anfälliger für die schädigende Wirkung von Lektinen werden lassen. Zu diesen Entwicklungen gehören:
• Früchte und andere Produkte, die ursprünglich nur saisonal verfügbar waren, sind mittlerweile das ganze Jahr über erhältlich. Daher nehmen wir heute mehr von diesen Nahrungsmitteln zu uns als früher, wo die Menschen sie nur in einem bestimmten Zeitraum im Jahr aßen, um sich ausreichende Polster für den nahenden Winter zuzulegen.
• Wir haben heute keinen Bezug mehr zu den traditionellen Zubereitungsarten, die den Lektingehalt in Lebensmitteln senkten. Stattdessen setzen wir zu sehr auf industriell verarbeitete Nahrungsmittel, die zum Großteil aus Getreide und verarbeiteten lektinreichen Ölen bestehen.
• Wir konsumieren mittlerweile deutlich mehr Weizen, Mais und Soja – in Form von Brot, Tierfutter (da wir im Grunde über das Fleisch das aufnehmen, was die Tiere zu fressen bekommen haben), Pflanzenöl und industriell verarbeiteten Lebensmitteln.
• Wir sind seit Jahrzehnten der Beeinflussung durch aufwendiges, Millionen Euro teures Marketing ausgesetzt, das uns davon überzeugen soll, Vollkornprodukte und Pflanzenöle – genau genommen wahre »Lektinbomben« – seien gesund. Als Folge sind sich leider viele Menschen im Unklaren darüber, welche Lebensmittel nun wirklich gesundheitsförderlich sind.
Stand der Dinge ist also, dass unsere Körper bisher noch keine geeigneten Darmbakterien entwickelt haben, um die Lektine unschädlich zu machen, dass wir Lebensmittel mit hohem Lektingehalt nicht mehr so zubereiten wie unsere Vorfahren und wir obendrein mehr von diesen Lebensmitteln konsumieren als jemals zuvor. Aber schauen Sie mal: Da kommt noch mehr.
Sieben tödliche Schadstoffe
Neuere Entwicklungen in den Bereichen der Medikamente, die wir einnehmen, und der Umwelt, in der wir leben, schaden unserer Gesundheit ebenfalls. Dieser technologische »Fortschritt« wirft uns in vielerlei Hinsicht zurück und richtet mit Blick auf die Zahl und Vielfalt unserer Darmmikroben verheerenden Schaden an.
Ich nenne diese modernen Entwicklungen die »sieben tödlichen Disruptoren«. In »Böses Gemüse« gehe ich sehr ausführlich und detailliert auf diese ein; im Rahmen dieses Kochbuchs versuche ich, mich kurz zu halten.
Egal, ob synthetisch hergestellt oder natürlichen Ursprungs, Umwelthormone spielen eine Rolle hinsichtlich der Ausbildung einer Adipositas, vieler Krebsarten, von Schilddrüsen- und Fertilitätsproblemen. Sie belasten zudem die Leber – die »Abfallbeseitigungsanlage« des Körpers – und erschweren es ihr, überschüssige Hormone aus dem Blut zu filtern und Vitamin D in seine aktive Form umzuwandeln. Niedrige Vitamin-D-Werte werden wiederum mit zahlreichen Krankheiten in Verbindung gebracht, inklusive Autoimmunerkrankungen, Demenz, Alzheimer, Herzerkrankungen, Osteoporose, Brustkrebs und Prostatakrebs. Darüber hinaus hilft Vitamin D, die Darmwand im Kampf gegen die Lektine intakt zu halten. Sprich: weniger Vitamin D, mehr Lektine, mehr »Leaky-Gut-Syndrom«.
Was Sie vermutlich noch nicht wussten: Roundup wird nun sogar auf nicht gentechnisch veränderten Varianten derselben Pflanzen als Trocknungsmittel eingesetzt, da sich eine getrocknete (also tote) Pflanze leichter ernten lässt. Diese Praxis ist vor allem bei Hafer, Getreide, Hülsenfrüchten und Bohnen üblich, das bedeutet, hier ist es besonders wichtig, zu den Bio-Varianten zu greifen. Denn die Hersteller von Bioprodukten sind gehalten, alles technisch Mögliche zu tun, um Verunreinigungen mit GVO (zum Beispiel beim Transport) auszuschließen. Doch auch für Bioprodukte gilt dieselbe Regelung wie für alle Lebensmittel in der EU: Verunreinigungen durch zugelassene GVO bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent (also 9 Gramm pro Kilo) sind von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen, wenn der Hersteller nachweisen kann, dass es sich um zufällige oder technisch unvermeidbare GVO-Einträge handelt. Doch wenn Sie sich nach den Regeln des LFE-Programms ernähren, werden Sie sowieso vieles davon meiden. Wollen Sie trotzdem weiterhin Bohnen essen, denken Sie daran, diese möglichst immer im Schnellkochtopf zu garen, da diese Zubereitungsart die darin enthaltenen Lektine zerstört. (In Kapitel 2 werde ich noch genauer darauf eingehen.) Die Chemikalien werden weitergereicht an alles und jeden, der diese Nutzpflanze isst, ob es nun Sie sind, Ihre Kinder oder die Tiere, die schließlich auf Ihrem Teller landen. Das bedeutet, Sie bekommen eine Dosis Roundup verabreicht, selbst dann, wenn Sie zwar ganz pingelig GVO-Lebensmittel (Lebensmittel aus genetisch veränderten Organismen) meiden, aber Getreide oder Fleisch verzehren, das nicht unter Bio-Bedingungen hergestellt wurde beziehungsweise von Tieren stammt, die nicht mit Bio-Getreide gefüttert wurden. Glyphosat wurde von der World Health Organization (WHO)5 als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft. (Verschiedene Behörden, auch innerhalb der Organisation, beurteilen diese Einstufung anders,6 und eine im November 2017 veröffentlichte Studie konnte keinen Anstieg von Krebserkrankungen bei landwirtschaftlichen Mitarbeitern, die mit Glyphosat in Kontakt kamen,7 feststellen.) Aber nicht nur das, darüber hinaus förderte Roundup eine Fettleber-Erkrankung bei Ratten, die niedrigen Dosen der Substanz ausgesetzt wurden.8 Und schließlich dezimiert Roundup die Anzahl Ihrer nützlichen Darmbakterien.
Lektine und Autoimmunität
Unser Verdauungstrakt ist ein geschlossenes System, wie ein Schlauch, der am Mund beginnt, durch den Rachen führt, sich durch den Bauch windet und mit dem Anus endet. Alle Nahrungspartikel, die in diesen Schlauch gelangen, werden streng genommen nicht Teil des Körpers, sondern bleiben im Schlauch. Er gleicht einem Tunnel, der unter einem Fluss hindurchführt; Sie fahren durch den Tunnel, sind zwar von Wasser umgeben, werden aber nicht nass, weil Sie nicht wirklich im Fluss sind.
Alle Lebensmittel, die Sie zu sich nehmen, wandern durch Ihre Speiseröhre im Rachen in den Magen und von dort aus schließlich weiter in die Gedärme, wo sie in winzige Nährstoffmoleküle umgewandelt werden, die der Körper entweder verwertet oder als Abfall ausscheidet. Würde man die Gedärme eines Menschen aufschneiden und ausbreiten, entspräche ihre Fläche der eines Tenniscourts. Die Darmwand hingegen – sie bildet die »Schranke« zwischen Nahrung und Blutkreislauf – ist nur eine Zellenbreite dick. Normalerweise ist die Darmwand durch diese Zellschicht perfekt abgedichtet. Sie lässt lediglich einzelne Moleküle verdauter Nahrung – verschiedene Aminosäuren, Fettsäuren und Zucker – vom Inneren des Darms in den Blutkreislauf gelangen, mehr nicht. Um die Darmwand zu stärken, baut der Körper auf ihrer Innenseite eine Schleimschicht als Barriere auf. Dieser Schleim enthält Polysaccharide, eine Form von Zucker.
Nehmen Sie Lektine zu sich, suchen diese nach Zuckermolekülen in Ihrer Darmschleimhaut, denen die sie sich anheften können. Dort veranlassen sie dann die Produktion von Zonulin, einem Protein, das als eine Art »Schlüssel« dient, um die dichten Verbindungen (tight junctions) zwischen den Zellen der Darmwand zu öffnen. Produzieren Ihre Zellen Zonulin, lockern Sie die Bänder zwischen den einzelnen Zellen, und alle Lektine, die bisher nicht an die Schleimhaut angebunden haben, strömen aus dem »Darmtunnel« heraus und in den Blutkreislauf. Sie bringen Teile von Bakterien, sogenannte Lipopolysaccharide (LPS) mit sich, das sind Verbindungen aus fettähnlichen und Zucker-Einheiten. Ich fluche eigentlich nie, aber ich kann nicht anders, als sie »verdammte kleine Dreckskerle« zu nennen, weil sie im Grunde genommen genau das sind. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn dieses Phänomen der Öffnung der tight junctions ist bekannt als Leaky-Gut-Syndrom (»durchlässige Darmschleimhaut«). Hier agieren Lektine nun wirklich zerstörerisch.
Die Wand wurde durchbrochen! Wir werden angegriffen! Auf Krieg vorbereiten! Vorräte anlegen, die bewaffneten Streitkräfte zusammenziehen!
In einem in 2017 im Journal of Diabetes Research9 veröffentlichten faszinierenden Aufsatz haben Forscher der Harvard Medical School und der Loma Linda University School of Medicine die Autoimmunantwort von Pankreas-Inselzellen auf verschiedene Lebensmittel getestet, die alle im Rahmen der Diabetespatienten empfohlenen Glyx-Diät erlaubt sind. In den meisten der Lebensmittel, die eine Autoimmunantwort provozierten, stecken viel Lektine. Unter anderem gehören Kuhmilch, glutenfreie Getreide wie Buchweizen oder Hafer, Linsen, Erbsen und Kichererbsen dazu. Interessanterweise lösten auch Meeresalgen, Pekannüsse und Ziegenmilch merkliche Reaktionen aus. Weizen hingegen – das Gluten enthält – war nicht so auffällig wie viele glutenfreie Getreidesorten. Obwohl die Studie keine Kausalität zwischen dem Konsum dieser Lebensmittel und Diabetes Typ 1 (die Form der Erkrankung mit einer Autoimmunkomponente) nachwies, zeigt sie doch, dass viele lektinreiche Nahrungsmittel mit einer Autoimmunreaktion in den Pankreaszellen in Verbindung gebracht werden können. Diese Zellen werden geschädigt und tragen dann zur Ausbildung eines Diabetes Typ 1 bei. Die Ernährungsempfehlungen für Diabetiker sollten daher wohl besser überarbeitet werden. Aber warum warten, bis man selbst oder die eigenen Kinder eine Diabetes-Typ-1-Diagnose erhalten? Warum die bekannten Auslöser für Autoimmunerkrankungen nicht jetzt schon aus der Ernährung verbannen?
Wie Lektine eine Gewichtszunahme verursachen
Durch den Konsum von lektinreichen Lebensmitteln wird dem Körper also signalisiert, er solle Fett »zulegen«, da die enthaltenen Lektine mit dem Darm Krieg führen und die Truppen Energie (in Form von eingelagertem Fett) benötigen, um kämpfen zu können. Und wie Sie bereits aus meinen Erläuterungen über das Mikrobiom wissen, reduzieren Lektine die Zahl der nützlichen Darmkeime, die auf vielfältige Weise unser Wohlbefinden fördern – unter anderem, indem Sie uns helfen, unser Gewicht zu halten.
Aber es gibt noch einen dritten Grund, wieso der Verzehr lektinhaltiger Nahrungsmittel zu Übergewicht führt: In vielen Getreidesorten ist (neben dem Gluten) das sogenannte Weizenkeimagglutinin (wheat germ agglutinin, WGA) enthalten, eines der aggressivsten Lektine überhaupt, das mit Zöliakie und Herzerkrankungen in Zusammenhang gebracht wird. Heimtückisch ist es (genauso wie andere Lektine) insofern, weil es die Fähigkeit besitzt, das Vorhandensein von Insulin im Körper vorzutäuschen.
Insulin ist ein Hormon, das von der Bauchspeicheldrüse produziert wird. Je nachdem, wie viel Zucker oder Proteine man zu sich genommen hat, setzt sie als Antwort eine entsprechende Menge Insulin frei. Dieses hilft daraufhin, den Blutzuckerspiegel zu regulieren, indem es an Fettzellen, Nervenzellen (Neuronen) oder Muskelzellen andockt und ihnen befiehlt, die Glukose aufzunehmen. Sobald sich die Glukose in den Zellen befindet, löst sich das Insulin wieder ab, und die Zellen sind in der Lage, Signale von anderen Hormonen oder chemischen Botensubstanzen zu empfangen.
Das WGA bindet jedoch an dieselben Rezeptoren der Zelloberfläche, denen sich auch das Insulin anheftet. Und das WGA bleibt dort. Wenn der Darm dann das nächste Mal Glukose in den Blutkreislauf entlässt, hat das Insulin keine Anlaufstellen mehr, wo es andocken könnte. Bildlich gesprochen: Das Insulin sind quasi Sie in Ihrem Auto und die Zelloberfläche ist der Parkplatz vor dem Supermarkt. Sind alle Parkplätze von anderen Autos belegt und es fährt niemand weg, können Sie nicht parken und nicht in den Laden gehen, um die Lebensmittel zu besorgen, die Sie brauchen.
Wenn WGA an den Fettzellen andockt, kann es dort auf unbestimmte Zeit verweilen. Dabei teilt es den Zellen fortwährend mit, sie sollten aus dem Zucker, der vorbeikommt, mehr Fett herstellen. Wenn es an der Wand einer Muskelzelle anbindet, verhindert es, dass die Zuckerzellen hineingelangen. Ergebnis: Die Muskelzellen können nicht auf den Treibstoff zugreifen, den sie benötigen, um sich selbst zu erhalten und zu wachsen; das Resultat ist Muskelschwund. Und wenn Lektine sich auf den Insulinrezeptoren Ihrer Nervenzellen niederlassen, dann bekommen die Neuronen nicht mehr die erforderliche Energie. Also suggerieren sie Ihnen dann ständig, Sie seien hungrig, in der Erwartung, mehr Energie zugeführt zu bekommen. Ihr Nervensystem sendet also ohne Unterlass Hungersignale, auch wenn Sie bereits reichlich Kalorien zu sich genommen haben. Wenn das WGA Insulin imitiert, hat das in der Summe zur Folge, dass Ihre Fettzellen wachsen, Ihr Kalorienkonsum steigt, Ihre Gehirnzellen nicht den Treibstoff erhalten, den sie benötigen (was zu brain fog »Gehirnnebel« führt), und dass die Muskelspannung abnimmt. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor?
Der Weg zurück zu einer guten Gesundheit
Die gute Nachricht: Sobald Sie verstanden haben, was Lektine sind und in welchen Lebensmitteln sie drinstecken, können Sie in Sachen Ernährung neue Wege beschreiten. Dadurch wird sich Ihre Gesundheit Schritt für Schritt verbessern – ganz gleich, ob es sich um störende Symptome wie Völlegefühl und Brain Fog oder ernsthafte Leiden wie Herz- und Autoimmunerkrankungen handelt. Und das Allerbeste: Lektinarme und lektinfreie Lebensmittel, die gut für Ihr Immunsystem sind und die Population Ihrer freundlichen Darmbakterien stärken, schmecken auch noch köstlich! Ob Sie nun dem LFE-Plan (der in Kapitel 2 skizziert wird) folgen oder nicht, Sie finden in diesem Buch Rezepte für Gerichte, die Ihre Mikros und Ihre Geschmacksknospen glücklich machen werden.