Cover

MARTHA WELLS

TAGEBUCH EINES

KILLERBOTS

Roman

Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

In der fernen Zukunft hat sich die Menschheit in der gesamten Galaxis ausgebreitet. Interstellare Megakonzerne haben mithilfe von seelenlosen Kampfrobotern alles unter ihre Kontrolle gebracht. Einer dieser Bots wurde nun ausgemustert und soll ein Team von Wissenschaftlern auf ihren gefährlichen Missionen beschützen. Also ein denkbar schlechter Zeitpunkt für den Bot, um ein eigenes Bewusstsein zu erlangen und über die eigene Rolle im Universum nachzudenken …

»Tagebuch eines Killerbots« ist ein Roman in vier Teilen, die im Original unter dem Reihentitel The Murderbot Diaries veröffentlicht wurden. Sie wurden dreimal mit dem Hugo Award ausgezeichnet, wurden für den Philip K. Dick Award nominiert und gewannen außerdem den Nebula Award, ALA/YALSA Alex Award und Locus Award.

Die Autorin

Martha Wells ist New York Times-Bestsellerautorin und hat eine Vielzahl an Science-Fiction- und Fantasy-Romanen und Kurzgeschichten und Essays geschrieben. Ihr Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Martha Wells lebt mit ihrer Familie in College Station, Texas.

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Das Buch ist im Original als

THE MURDERBOT DIARIES (All Systems Red, Artificial Condition,

Rogue Protocol, Exit Strategy) bei Tor.com Books erschienen.

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2017, 2018 by Martha Wells

Copyright © 2019 dieser Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,

nach einer Originalvorlage von Christine Foltzer

Umschlagillustration: Jaime Jones

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN: 978-3-641-24951-9
V002

diezukunft.de

I

Systemausfall

1

Nach dem Hacken meines Chefmoduls hätte ich glatt zum Massenmörder werden können, aber dann war mir klar geworden, dass ich auf den kombinierten Feed der Entertainmentkanäle zugreifen konnte, der über Firmensatellit reinkam. Seitdem waren gut 35.000 Stunden mit eher wenig Mordtaten vergangen, aber wahrscheinlich auch, keine Ahnung, knapp 35.000 Stunden konsumierter Kinofilme, Serien, Bücher, Theaterstücke und Musik. Als gefühllose Mordmaschine taugte ich definitiv nicht.

Ich erfüllte auch weiterhin meine Funktion, inzwischen bei neuen Klienten. Gerade wartete ich sehnsüchtig darauf, dass Dr. Volescu und Dr. Bharadwaj ihre Prospektion beendeten und wir ins Habitat zurückkehrten, damit ich mir Episode 397 von Aufstieg und Fall des Waldmonds ansehen konnte.

Ich gebe zu, dass ich abgelenkt war. Der Auftrag war bis jetzt eher langweilig gewesen, und ich spielte mit dem Gedanken, den Statuswarnkanal nach hinten zu packen und lieber zu schauen, ob ich über den Entertainmentfeed an Musik rankam, ohne dass HabSystem die außergewöhnliche Aktivität protokollierte. Das ließ sich im Feld schwieriger bewerkstelligen als im Habitat.

Das aktuelle Erkundungsgelände bestand aus einer öden Insel in Küstennähe mit einem Auf und Ab niedriger, flacher Hügel, deren dichtes schwarzgrünes Gras mir bis an die Knöchel reichte. In Sachen Flora und Fauna war nicht viel los, bis auf eine Handvoll vogelähnlicher Viecher in unterschiedlichen Größen und einige schwebende Blasenkreaturen, die vermutlich harmlos waren. Die Küste war mit großen kahlen Kratern übersät; bei einem davon nahmen Bharadwaj und Volescu gerade Proben. Der Planet besaß einen Ring, der von unserer gegenwärtigen Position aus den Himmel beherrschte, wenn man aufs Meer hinausschaute. Diesen Himmel sah ich mir gerade an und stocherte mental im Feed herum, als der Kratergrund explodierte.

Ich hielt mich nicht mit einem verbalen Notruf auf, sondern schoss den optischen Feed meiner Feldkamera zu Dr. Mensah rüber und sprang runter in den Krater. Während ich den sandigen Hang hinuntereierte, konnte ich schon über Notkanal hören, wie Mensah jemanden anbrüllte, den Hopper hoch in die Luft zu kriegen. Sie waren rund zehn Kilometer entfernt, konnten uns also unmöglich noch helfen.

Widersprüchliche Befehle fluteten meinen Feed, aber die ignorierte ich. Selbst ohne abgesägtes Chefmodul hätte der Notfallfeed jetzt Priorität erlangt, und der war ebenfalls chaotisch. Das automatisierte HabSystem forderte Daten an und wollte mir gleichzeitig welche schicken, die ich gar nicht brauchte, und von Mensah kam die Telemetrie des Hoppers. Die brauchte ich genauso wenig, aber sie ließ sich immerhin leichter ignorieren als HabSystem, das gleichzeitig abfragen und liefern wollte.

Mitten in dem Durcheinander landete ich unten im Krater. In meine beiden Arme sind kleine Energiewaffen integriert, trotzdem griff ich nach der großen Projektilwaffe am Rücken. Der Feind, der gerade aus dem Boden geborsten war, hatte ein richtig großes Maul, also hatte ich auch Bedarf nach einer richtig großen Wumme.

Ich riss ihm Bharadwaj aus der Mundöffnung, zwängte mich ersatzhalber selbst rein und feuerte als Erstes den Schlund runter und dann nach oben, wo sich hoffentlich das Gehirn befand. Keine Ahnung, ob die Reihenfolge so stimmt; dafür müsste ich erst nochmals den Feed meiner Feldkamera abspielen. Jedenfalls hatte jetzt ich Bharadwaj, und das Vieh ging leer aus und verschwand wieder unten in seinem Gang.

Sie war bewusstlos und blutete aus schweren Verletzungen am rechten Bein und an der rechten Rumpfseite durch den Anzug. Ich ließ die Waffe im Holster einrasten, um Bharadwaj mit beiden Armen tragen zu können. Am linken Arm hatte ich den Panzer verloren und auch einiges vom darunterliegenden Fleisch, aber meine nichtorganischen Teile funktionierten noch. Wieder drang ein Schwall Befehle vom Chefmodul durch, und ich packte sie nach hinten, ohne mich erst mit der Decodierung aufzuhalten. Bharadwaj, die keine nichtorganischen Teile besaß und nicht so leicht zu reparieren war wie ich, hatte jetzt eindeutig Priorität, und mich interessierte mehr, was mir MedSystem über den Notfallfeed mitteilen wollte. Aber zuerst musste ich sie aus dem Krater schaffen.

Währenddessen hockte Volescu auf dem angesengten Felsen und hatte dichtgemacht, wobei ich durchaus mitfühlen konnte. Mich betraf diese Gefahrenlage deutlich weniger, und ich fand es hier auch nicht gerade besonders toll. »Dr. Volescu, Sie müssen mich jetzt begleiten.«

Er reagierte nicht. MedSystem empfahl eine Beruhigungsspritze und blablabla, aber ich presste bereits einen Arm um Dr. Bharadwaj, damit sie in ihrem Anzug nicht verblutete. Mit der anderen Hand stützte ich ihren Kopf, und mehr als zwei Hände sind mir nicht gegeben. Ich sagte meinem Helm, dass er sich zusammenlegen sollte, damit Volescu mein Menschengesicht sehen konnte. Ein schwerer Fehler, falls der Feind zurückkam und mich erneut biss; ich brauchte die organischen Teile meines Kopfes schließlich. Ich gestaltete meine Stimme fest, freundlich und sanft und sagte: »Dr. Volescu, alles wird gut, okay? Aber Sie müssen jetzt aufstehen und mir dabei helfen, Ihre Kollegin hier rauszuschaffen.«

Das drang durch. Er kämpfte sich hoch und stolperte zu mir herüber. Er zitterte noch immer. Ich wandte ihm meine unversehrte Seite zu und sagte: »Nehmen Sie meinen Arm, okay? Schön festhalten.«

Er schaffte es, sich unterzuhaken, und ich zog ihn den Krater rauf, während ich Bharadwaj an meine Brust drückte. Ihre Atmung war rau und verzweifelt, und ich bekam null Infos von ihrem Anzug. Meiner war über der Brust zerrissen, also zog ich meine Körperwärme hoch, weil das vielleicht half. Der Feed hatte sich inzwischen beruhigt; offensichtlich konnte Mensah mit ihren Führungsrechten alles außer MedSystem und dem Hopper stummstellen, und über den Hopperfeed war nur zu hören, wie alle einander hektisch anzischten, still zu sein.

Ich fand in der Kraterwand schlecht Halt – weicher Sand und lose Kiesel –, aber meine Beine hatten nichts abbekommen, und ich schaffte die beiden Menschen lebend raus. Volescu wollte sich gleich wieder hinsetzen, aber ich lockte ihn noch ein paar Meter vom Rand weg für den Fall, dass dieses Ding da unten eine größere Reichweite hatte als angenommen.

Ich wollte Bharadwaj nicht hinlegen, weil in meinem Bauch irgendwas ernsthaft kaputt war und ich nicht wusste, ob ich sie anschließend noch mal hochbekam. Ich spulte meine Feldkamera ein Stück zurück und sah, dass ich von einem Zahn oder vielleicht einer Cilie durchbohrt worden war. Meinte ich eine Cilie, oder war das was anderes? Killerbots bekommen einfach keine anständigen Bildungsmodule, außer es geht ums Töten, und selbst dann sind es nur die Billigversionen. Ich suchte gerade im Sprachenzentrum von HabSystem, als nahebei der kleine Hopper runterkam. Während er im Gras aufsetzte, ließ ich den Helm zugehen und undurchsichtig werden.

Wir verfügten über zwei Standardhopper: einen großen für Evakuierungen und diesen kleinen für die Erkundungen. Er bot in der Mitte eine geräumige Kabine für die menschliche Crew und außen zwei Kammern für Ladung, Material und mich. Mensah saß am Steuer. Ich stiefelte los, langsamer als normalerweise, weil ich Volescu nicht verlieren wollte. Als die Rampe sich herabsenkte, sprangen Pin-Lee und Arada raus, und ich wechselte zur Sprachkommunikation. »Dr. Mensah, ich darf ihren Anzug nicht loslassen.«

Sie brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, worauf ich hinauswollte. »In Ordnung, bring sie rauf in die Mannschaftskabine.«

Killerbots dürfen nicht zusammen mit den Menschen fliegen, daher benötigte ich eine ausdrückliche Zutrittsgenehmigung. Mit meinem geknackten Chef konnte mich zwar nichts aufhalten, aber ich ließ besser niemanden merken, dass ich frei handeln konnte, erst recht nicht die aktuellen Klienten. Schon allein, um zu vermeiden, dass meine organischen Komponenten vernichtet und der Rest von mir nach Teilen ausgeschlachtet wurde, die sich vielleicht noch gebrauchen ließen.

Ich trug Bharadwaj die Rampe rauf in die Kabine, wo Overse und Ratthi hektisch Sitze entfernten, um Platz zu schaffen. Sie hatten ihre Helme abgelegt und die Anzugkapuzen heruntergezogen, sodass ich ihre entsetzten Gesichter sehen konnte, als sie durch die Löcher in meinem Anzug mitbekamen, was von meinem Oberkörper übrig war. Zum Glück hatte ich den Helm geschlossen.

Genau deshalb fliege ich lieber bei der Ladung mit. Eng an eng mit Menschen und augmentierten Menschen ist zu peinlich. Zumindest peinlich für diesen Killerbot hier. Ich setzte mich mit Bharadwaj im Schoß auf den Boden, während Pin-Lee und Arada Volescu reinschafften.

Wir ließen zwei Packs mit Feldausrüstung und einige Instrumente zurück, die immer noch im Gras lagen, wo Bharadwaj und Volescu gearbeitet hatten, bevor sie runter in den Krater gegangen waren, um Proben zu nehmen. Normalerweise trug ich diese immer mit rein, aber MedSystem, das Bharadwaj mit den Resten ihres Anzugs überwachte, stellte klar, dass es eine dumme Idee wäre, sie loszulassen. Die Ausrüstung dagegen erwähnte niemand. In einem Notfall leicht ersetzbare Gegenstände zurückzulassen mag naheliegen, aber ich hatte schon für Klienten gearbeitet, die gewollt hätten, dass ich den blutenden Menschen ablege und die Sachen reinhole.

Bei diesem Auftrag jedoch sprang Dr. Ratthi auf und sagte: »Ich hole die Kisten!«

»Nein!«, rief ich, was ich nicht hätte tun sollen; ich soll immer respektvoll mit den Klienten reden, selbst wenn sie sich aus Gedankenlosigkeit gerade umbringen wollen. HabSystem könnte dergleichen protokollieren und eine Bestrafung durch das Chefmodul auslösen. Wenn ich es nicht gehackt hätte.

Zum Glück rief der Rest der Crew auch gerade »Nein!«, und Pin-Lee merkte an: »Das lässt du mal schön bleiben, Ratthi!«

Ratthi sagte: »Ach stimmt, keine Zeit. Entschuldigt!« und schlug auf den Schalter für die Notschließung der Luke.

Nur deshalb behielten wir unsere Rampe, als darunter der Feind hochkam, das Riesenmaul voller Zähne oder Cilien oder mit was er sich sonst durch den Boden fraß. Der Hopper bekam ihn voll auf die Kameras, und sein System speiste uns allen die Großaufnahme hilfreicherweise direkt in den Feed. Die Menschen schrien auf.

Mensah zog die Kiste so schnell und brutal hoch, dass ich fast umkippte und alle, die noch nicht saßen, auf dem Boden landeten.

In der anschließenden Stille, als alle erleichtert nach Luft schnappten, sagte Pin-Lee: »Ratthi, wenn du dich abmurksen lässt …«

»Dann bekomme ich es mit dir zu tun, schon klar.« Ratthi rutschte die Wand noch ein Stück weiter runter und winkte ihr matt zu.

»Das ist ein Befehl, Ratthi. Lass dich nicht abmurksen«, sagte Mensah im Pilotensitz. Sie klang ruhig, aber dank meiner Securityrechte konnte ich über MedSystem ihren rasenden Puls sehen.

Arada zog das Notfall-Medipack raus, damit sie die Blutung stillen und Bharadwaj stabilisieren konnten. Ich versuchte, ein möglichst gutes Instrument zu sein. Ich klammerte die Wunden, die sie mir zeigten, versuchte Bharadwaj mit meiner sinkenden Körpertemperatur zu wärmen und hielt den Kopf gesenkt, um nicht mitzubekommen, wie sie mich anstarrten.

Leistungszuverlässigkeit bei 60 % und fallend

Unser Habitat ist so ziemlich das Standardmodell, sieben miteinander verbundene Kuppeln auf einer einigermaßen planen Ebene über einem schmalen Flusstal, direkt daneben unsere Energie- und Wiederaufbereitungsanlage. Wir besaßen ein Umweltsystem, aber ohne Luftschleusen, weil die Planetenatmosphäre atembar war, wenn auch auf lange Sicht nicht besonders gut für Menschen geeignet. Den Grund weiß ich nicht, weil ich vertraglich nicht dazu verpflichtet bin, mich dafür zu interessieren.

Wir hatten uns für den Standort entschieden, weil er genau in der Mitte des zugewiesenen Gebiets liegt und auf der Ebene zwar überall Bäume stehen, diese aber nur vielleicht fünfzehn Meter hoch sind und eine flache, sehr lichte Krone besitzen, sodass sie kaum dazu taugen, sich unbemerkt anzuschleichen. Dass sich irgendwas durch Tunnel nähern könnte, hatten wir freilich nicht in Betracht gezogen.

Das Habitat ist mit Sicherheitstoren versehen, aber als der Hopper landete, war das Haupttor laut HabSystem bereits geöffnet. Dr. Gurathin hatte eine Tragbahre vorbereitet und lenkte sie zu uns raus. Overse und Arada hatten Bharadwaj stabilisieren können, also legte ich sie drauf und ließ den Menschen den Vortritt ins Habitat.

Sie eilten zur Krankenstation, ich blieb stehen und wies den kleinen Hopper an, sich zu verriegeln und abzudichten, dann verriegelte ich die Außentore. Über Securityfeed wies ich die Drohnen an, den Perimeter auszuweiten, damit ich mehr Vorwarnzeit hatte, falls uns irgendein großes Vieh angreifen wollte. Außerdem stellte ich die seismischen Sensoren auf Überwachung, damit ich Anomalien mitbekam – nur für den Fall, dass dieses hypothetische große Vieh auf die Idee kam, unterirdisch anzugreifen.

Nachdem ich das Habitat gesichert hatte, ging ich in den sogenannten Securitybereitschaftsraum, der eigentlich ein Lager für Waffen, Munition, Perimetersicherungsanlagen, Drohnen und sonstige sicherheitsrelevante Ausrüstung war, mich eingeschlossen. Ich zog die Überreste des Panzers aus und sprühte meine beschädigte Seite auf MedSystems Rat hin komplett mit Wundversiegelung ein. Es blutete kaum, weil sich meine Arterien und Venen automatisch verschließen, aber ein schöner Anblick war es trotzdem nicht. Und es tat weh, auch wenn die Wundversiegelung leicht betäubend wirkte. Ich hatte bereits über HabSystem eine achtstündige Schutzabriegelung veranlasst, sodass ohne mich niemand nach draußen konnte, und mich dann auf dienstfrei gestellt. Ich überprüfte den Hauptfeed, aber niemand hatte etwas dagegen einzuwenden.

Mir war kalt, weil auf dem Weg hierher irgendwann mein Temperaturregler den Geist aufgegeben hatte und die Schutzhaut trotz Panzer in Fetzen lag. Ich besaß noch eine Ersatzhaut, aber die jetzt anzuziehen wäre weder praktisch noch einfach gewesen. Dasselbe galt für die Uniform, meine einzige andere Kleidung. (Ich hatte sie noch nie getragen, weil ich keine Patrouillengänge innerhalb des Habitats unternahm. Niemand verlangte es von mir, sie waren schließlich nur zu acht und obendrein miteinander befreundet, da wäre es eine dumme Vergeudung von Ressourcen gewesen, also von mir.) Ich wühlte mit einer Hand in der Vorratskiste, bis ich das zusätzliche, für Menschen geeignete Medipack fand, das mir für Notfälle zustand, öffnete es und holte die Überlebensdecke raus. Ich wickelte mich darin ein, dann stieg ich in das Plastikbett meiner Schlafzelle. Als das weiße Licht flackernd anging, ließ ich die Tür dicht machen.

Drinnen war es auch nicht viel wärmer, aber immerhin gemütlich. Ich stöpselte mich bei Versorgung und Reparatur ein, lehnte mich mit dem Rücken an die Wand und bibberte. MedSystem informierte mich hilfsbereit, dass meine Leistungszuverlässigkeit jetzt bei 58 Prozent und fallend lag, was mich kaum überraschte. Ich konnte in acht Stunden definitiv wiederhergestellt werden und wahrscheinlich den Großteil der beschädigten organischen Komponenten nachwachsen lassen, aber bei 58 Prozent bekam ich in der Zwischenzeit wahrscheinlich keine Analyse fertig. Also stellte ich sämtliche Securityfeeds so ein, dass sie mich alarmierten, falls irgendwas versuchte, das Habitat zu fressen, und rief die Liste mit den neuesten Downloads vom Entertainmentfeed auf. Ich litt zu starke Schmerzen, um irgendeiner Handlung folgen zu können, aber die freundlichen Geräusche würden mir Gesellschaft leisten.

Da klopfte jemand an die Zellentür.

Ich starrte auf die Tür, und mir entglitten alle meine schön vorsortierten Inputs. Dümmlich fragte ich: »Ähm, ja?«

Dr. Mensah öffnete die Tür und schaute zu mir rein. Das Alter von echten Menschen kann ich trotz der vielen Serien, die ich schaue, nur schlecht schätzen. Dort sehen die Leute ganz anders aus als im wirklichen Leben, jedenfalls in den guten Serien. Sie hatte dunkelbraune Haut und hellere, sehr kurz geschnittene Haare, und jung war sie als Teamleiterin wohl nicht. Sie fragte: »Geht es dir gut? Ich habe deinen Statusbericht gesehen.«

»Ähm.« Das war der Moment, in dem ich begriff, dass ich besser nicht geantwortet, sondern so getan hätte, als ob ich in Stasis läge. Ich zog mir die Decke um die Brust. Hoffentlich hatte Dr. Mensah nicht gesehen, dass Stücke fehlten. Jetzt, da mich der Panzer nicht mehr zusammenhielt, war es viel schlimmer. »Alles bestens.«

Ich habe so meine Probleme mit echten Menschen. Es liegt nicht an irgendeiner Angst wegen meines gehackten Chefmoduls und auch nicht an ihnen; es liegt an mir. Ich bin ein gruseliger Killerbot, und sie wissen es, und das macht uns beide nervös, und mich macht es wiederum noch nervöser. Außerdem stecke ich nur dann nicht in meinem Panzer, wenn ich verwundet bin und jeden Moment ein organisches Stück von mir abfallen und auf den Boden klatschen kann, und das will niemand sehen.

»Bestens?« Sie runzelte die Stirn. »Laut Bericht hast du zwanzig Prozent deiner Körpermasse verloren.«

»Die wächst nach.« Klar, für einen echten Menschen sah es wahrscheinlich so aus, als würde ich sterben. Meine Verletzungen entsprachen beim Menschen ungefähr dem Verlust von ein oder zwei Gliedmaßen und dem Großteil seines Blutes.

»Ich weiß, aber trotzdem.« Sie musterte mich lange – so lange, dass ich den Securityfeed für die Messe anzapfte, wo die nicht verwundeten Crewmitglieder um den Tisch herumsaßen und redeten. Sie diskutierten die Möglichkeit weiterer unterirdischer Fauna und wünschten sich, sie hätten Rauschmittel. Das klang eigentlich wie immer. Dr. Mensah fuhr fort. »Das war richtig gut mit Volescu. Ich glaube, die anderen hätten es so schnell nicht bemerkt … Du hast sie sehr beeindruckt.«

»Das Beruhigen von Opfern ist Bestandteil der notfallmedizinischen Anweisungen.« Ich zog die Decke enger, damit sie nichts Schlimmes zu sehen bekam. Ich konnte spüren, wie weiter unten etwas leckte.

»Das stimmt, nur hatte das MedSystem Bharadwaj höhere Priorität gegeben und Volescus Vitalzeichen nicht überprüft. Es hat die Schockwirkung des Zwischenfalls nicht berücksichtigt und erwartet, dass er selbstständig von dort würde weggehen können.«

Über Feed wurde deutlich, dass die anderen sich das Video von Volescus Feldkamera angesehen hatten. Sie sagten Sachen wie Ich wusste nicht mal, dass das Ding überhaupt ein Gesicht hat. Ich war seit unserer Ankunft nur im Panzer gewesen und hatte den Helm in ihrem Beisein nie aufgemacht. Es gab keinen bestimmten Grund dafür, sie hätten dann nur meinen Kopf sehen können, und der wies standardisierte menschliche Züge auf. Aber sie wollten nicht mit mir reden, und ich wollte definitiv auch nicht mit ihnen reden; im Dienst würde es mich ablenken, und außer Dienst … wollte ich eben nicht mit ihnen reden. Mensah hatte mich beim Unterschreiben des Leasingvertrags gesehen. Aber da hatte sie kaum einen Blick für mich übriggehabt und ich umgekehrt auch nicht für sie, weil, wie ich schon sagte: Killerbot plus echter Mensch gleich peinlich. Den Panzer die ganze Zeit über zu tragen reduziert unnötige Interaktionen enorm.

»Es gehört zu meinen Aufgaben, nicht auf die Systemfeeds zu hören, wenn sie … Fehler machen«, sagte ich. Deshalb brauchte man ja Konstrukte, SecUnits mit organischen Komponenten. Aber das musste sie eigentlich wissen. Bevor sie meine Lieferung akzeptiert hatte, hatte sie sich ungefähr zehnmal beschwert, weil sie mich eigentlich gar nicht haben wollte. Ich machte ihr keine Vorwürfe. Ich hätte mich auch nicht haben wollen.

Ernsthaft, ich habe keine Ahnung, warum ich nicht einfach sagte: Gern geschehen, und wenn Sie jetzt bitte meine Schlafzelle verlassen würden, damit ich hier sitzen und in Ruhe auslaufen kann.

»Na schön«, sagte sie und sah mich objektiv 2,4 Sekunden und subjektiv ungefähr zwanzig qualvolle Minuten lang an. »Dann bis in acht Stunden. Wenn du davor irgendwas benötigst, lass es mich bitte wissen.« Sie trat nach hinten und ließ die Tür zugleiten.

Ich fragte mich immer noch, was sie alle so in Erstaunen versetzte, also rief ich den Mitschnitt des Zwischenfalls auf. Alles klar, puh. Ich hatte den ganzen Weg den Krater rauf mit Volescu geredet. Ohne es richtig mitzukriegen, denn mir war es vor allem um die Flugbahn des Hoppers gegangen sowie darum, dass mir Bharadwaj nicht verblutete und was da vielleicht jeden Moment für einen zweiten Versuch aus dem Krater hochkam. Nicht zu fassen, da frage ich ihn, ob er Kinder hat. Vielleicht sehe ich zu viel fern. (Er hatte Kinder. Er lebte in Viererehe und hatte sieben, die alle noch zu Hause wohnten.)

Ich war jetzt auf allen Ebenen zu aufgedreht für eine Ruheperiode, also konnte ich mir ebenso gut die restlichen Aufzeichnungen ansehen. Dabei stieß ich auf etwas Merkwürdiges, nämlich auf die Anweisung »Abbrechen« im Befehlsfeed von HabSystem, das mein Chefmodul regelte oder jedenfalls zu regeln glaubte. Es musste sich um einen Computerfehler handeln. Wobei der nichts hätte anrichten können, solange MedSystem bevorrechtigt war …

Leistungszuverlässigkeit bei 39 %

Stasis für Notreparatursequenz eingeleitet

2

Als ich aufwachte, war ich fast wieder komplett und bei 80 Prozent Effektivität, steigend. Ich überprüfte sofort sämtliche Feeds für den Fall, dass die Menschen rauswollten, aber Mensah hatte die Schutzabriegelung des Habitats um vier Stunden verlängert. Was mich erleichterte, denn das gab mir Zeit, wieder zu den üblichen 98 Prozent zurückzukehren. Ich hatte allerdings auch ein Memo bekommen, mich bei ihr zum Rapport zu melden. Es war das erste Mal. Aber vielleicht wollte sie ja das Gefahreninfopack durchgehen und rauskriegen, wieso es uns nicht vor dem unterirdischen Feind gewarnt hatte. Diese Frage hatte ich mir selbst schon gestellt.

Ihre Gruppe nannte sich PreservationAux und hatte eine Option auf die Rohstoffe des Planeten erworben. Die Erkundung sollte klären, ob es sich lohnte, für eine Vollbeteiligung zu bieten. Da wäre es schon irgendwie wichtig gewesen, zu wissen, dass es auf diesem Planeten Viecher gab, die sie vielleicht fressen wollten.

Mir ist es ziemlich egal, wer meine Klienten sind und was sie erreichen wollen. Ich wusste, dass diese Gruppe von einem Freistatt-Planeten stammte, aber die weiteren Einzelheiten hatte ich mir erspart. Freistatt bedeutete, dass er einem Terraforming unterzogen und kolonisiert worden, aber nicht an irgendein Konzernbündnis angegliedert war. Grundsätzlich lief Freistatt immer auf übles Chaos hinaus, deshalb hatte ich mir nicht viel von ihnen versprochen. Aber die Arbeit für sie lief überraschend reibungslos.

Ich wischte sämtliche Restflüssigkeit von meiner neuen Haut, dann verließ ich die Zelle. Erst da begriff ich, dass ich die Einzelteile meines Panzers nicht weggeräumt hatte und sie überall auf dem Boden verstreut lagen, bedeckt mit meinen Flüssigkeiten und Bharadwajs Blut. Kein Wunder, dass Mensah einen Blick in die Zelle geworfen hatte; sie hatte wahrscheinlich angenommen, dass ich da drin verreckt war. Ich steckte alles für die Reparatur an seinen entsprechenden Platz in der Wiedergewinnungsanlage.

Ich besaß noch einen zweiten Panzer, aber der lag originalverpackt im Lager, und es würde mich zusätzliche Zeit kosten, ihn rauszuholen, durchzuchecken und anzupassen. Auch bei der Uniform zögerte ich, nur hatte der Securityfeed Mensah inzwischen sicher davon unterrichtet, dass ich wach war; also blieb mir kaum eine Wahl.

Sie basierte auf einer Standarduniform für Forschungsgruppen und war auf Bequemlichkeit innerhalb des Habitats ausgelegt: graue Stoffhosen, langärmeliges T-Shirt und Jacke, wie sie Menschen und augmentierte Menschen zum Sport trugen, dazu weiche Schuhe. Ich schlüpfte hinein, zog mir die Ärmel über die Schießöffnungen an den Unterarmen und trat raus ins Habitat.

Ich ging durch die beiden Innenraumsicherheitstüren zum Mannschaftsbereich und fand sie in der Hauptkuppel um eine Konsole gedrängt, wo sie auf einen der schwebenden Bildschirme sahen. Bis auf Bharadwaj, die noch auf der Krankenstation lag, und Volescu, der nicht von ihrer Seite wich, waren sie vollzählig. Auf einigen Konsolen standen Kaffeebecher und leere Speisepackungen herum. Ich räume meinen Klienten nur auf ausdrückliche Anweisung hinterher.

Mensah war beschäftigt, also stand ich da und wartete.

Ratthi sah kurz zu mir rüber und dann entsetzt gleich noch einmal. Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte. Deshalb trage ich lieber den Panzer, selbst wenn er innerhalb des Habitats überflüssig ist und mich nur behindert. Menschliche Klienten tun immer gern so, als wäre ich ein Roboter, und das geht mit Panzer deutlich besser. Ich schaute ins Leere, als würde ich eine Diagnose laufen lassen oder so.

Ratthi fragte sichtlich verblüfft: »Wer ist das?«

Sie wandten sich alle zu mir um. Alle außer Mensah, die an der Konsole saß und das Interface vor der Stirn pappen hatte. Ohne den Helm erkannten sie mich eindeutig nicht, obwohl sie mein Gesicht schon auf Volescus Kameravideo gesehen hatten. Also blieb mir nichts anderes übrig, als sie anzusehen und zu sagen: »Ich bin Ihre SecUnit.«

Sie schauten allesamt ängstlich und unbehaglich drein. Fast so unbehaglich, wie ich mich fühlte. Schon bereute ich, dass ich mir nicht die Zeit für den Ersatzpanzer genommen hatte.

Es lag zum Teil daran, dass sie mich hier nicht haben wollten. Damit meine ich nicht hier in ihrer Kuppel, sondern hier auf dem Planeten. Auf meine Anwesenheit bestand die Finanzierungsgesellschaft nämlich nicht nur, weil sie es ihnen teuer berechnen konnte, sondern weil ich die ganze Zeit über aufzeichnete, was sie redeten, auch wenn ich nur überwachte, was nötig war, um mich in meinem Job durchmogeln zu können. Aber die Firma griff irgendwann auf diese ganzen Aufnahmen zu und fischte sämtliche Daten ab, die sich verkaufen ließen. Nein, davon sagt sie den Leuten nichts. Ja, alle wissen es. Nein, da kann man gar nichts machen.

Nach einer subjektiven halben Stunde und objektiven 3,4 Sekunden wandte Dr. Mensah sich um, bemerkte mich und ließ das Interface sinken. »Wir sehen uns gerade den Gefahrenbericht für diese Region an, um herauszufinden, warum dieses Monstrum nicht unter gefährliche Fauna gelistet war. Pin-Lee geht davon aus, dass die Dateien manipuliert worden sind. Kannst du den Bericht für uns untersuchen?«

»Jawohl, Dr. Mensah.« Ich hätte es in meiner Zelle tun können, dann wäre uns diese Peinlichkeit erspart geblieben. Trotzdem griff ich auf den Feed von HabSystem zu, den sie sich gerade ansah, und ging den Bericht durch.

Es handelte sich hauptsächlich um eine lange Liste relevanter Informationen und Warnhinweise zum Planeten und insbesondere zum Standort unseres Habitats mit dem Schwerpunkt auf Wetter, Gelände, Flora, Fauna, Luftqualität, Mineralienvorkommen sowie mögliche damit zusammenhängende Gefahren, wobei Teilberichte mit näheren Einzelheiten verlinkt waren. Dr. Gurathin, der Schweigsamste der Truppe, verfügte als augmentierter Mensch über sein eigenes implantiertes Interface. Ich konnte spüren, wie er in den Daten herumstocherte, während die anderen mit ihren Touchinterfaces nur ferne Geister waren. Allerdings hatte ich deutlich mehr Rechenkapazität als er zur Verfügung.

Ich hielt sie für übervorsichtig; selbst mit Interface muss man die Wörter immer noch lesen, am besten vollständig. Manchmal drücken sich nicht-augmentierte Menschen davor. Manchmal sogar augmentierte.

Aber während ich den Abschnitt mit den allgemeinen Warnhinweisen durchging, fiel mir etwas Merkwürdiges an der Formatierung auf. Ein rascher Vergleich mit anderen Abschnitten sagte mir, dass wirklich etwas entfernt worden war und ein Link zu einem Teilbericht nicht funktionierte. »Sie haben recht«, erklärte ich geistesabwesend, während ich die Dateien durchging und nach dem fehlenden Text Ausschau hielt. Ich konnte ihn nicht finden; es handelte sich nicht nur um einen kaputten Link, jemand hatte den Teilbericht tatsächlich gelöscht. Das war bei einem solchen Planetenübersichtspaket eigentlich ausgeschlossen, aber offenbar ging es uneigentlich doch. »Etwas ist aus den Warnhinweisen und dem Abschnitt zur Fauna gelöscht worden.«

Die allgemeine Reaktion darauf lässt sich mit reichlich angepisst umschreiben. Es gab lautstarke Beschwerden von Pin-Lee und Overse und dramatisches Hände-in-die-Luft-Werfen von Ratthi. Aber wie ich schon sagte, sie waren miteinander befreundet und gingen deutlich weniger kühl miteinander um als meine letzten Klienten. Aus diesem Grunde hatte mir dieser Auftrag, auch wenn ich es nur ungern zugebe, wirklich Spaß gemacht – jedenfalls bis irgendetwas versucht hatte, Bharadwaj und mich zu fressen.

SecSystem zeichnet alles auf, selbst in den Schlafkabinen, und ich sehe alles. Darum ist es leichter, so zu tun, als wäre ich ein Roboter. Overse und Arada waren ein Paar, und zwar offenbar schon ewig, und obendrein dick mit Ratthi befreundet. Ratthi war schwer in Pin-Lee verschossen, was nicht auf Gegenseitigkeit beruhte; er machte sich deshalb aber nicht zum Vollidioten. Pin-Lee rastete oft aus und warf Sachen durch die Gegend, wenn die anderen nicht dabei waren, aber das hatte nichts mit Ratthi zu tun. Mein Eindruck war, dass sie von allen am meisten darunter litt, unter Beobachtung der Firma zu stehen. Volescu bewunderte Mensah bis an den Rand der Verliebtheit. Pin-Lee ebenfalls, nur flirtete sie gelegentlich mit Bharadwaj, und die altmodisch-angenehme Weise legte nahe, dass die beiden das schon eine ganze Weile so hielten. Gurathin blieb als Einziger für sich, schien aber trotzdem die Gesellschaft der anderen zu genießen. Er hatte ein stilles, leises Lächeln, und sie konnten ihn anscheinend alle gut leiden.

Es war eine Gruppe mit niedrigem Stressniveau, sie stritten kaum und piesackten einander nicht zum Spaß, und ihre Gegenwart hatte durchaus etwas Erholsames, solange sie nicht versuchten, sich mit mir zu unterhalten oder sonst wie zu interagieren.

In die frustrierten Reaktionen hinein fragte Ratthi: »Also können wir nicht einmal sagen, ob dieses Exemplar sich irgendwie verirrt hat oder ob unter sämtlichen Kratern solche Tiere leben, ja?«

Arada, die zum Biologieteam gehörte, sagte: »Jede Wette, dass die da leben. Wenn diese großen Vögel, die wir auf den Luftbildern gesehen haben, regelmäßig auf den vorgelagerten Inseln landen, stellen sie vielleicht Beutetiere für diese Spezies dar.«

»Das würde erklären, wozu diese Krater gut sind«, überlegte Mensah. »Damit wäre wenigstens eine Anomalie geklärt.«

»Aber wer hat diesen Teilbericht entfernt?«, fragte Pin-Lee, was ja nun wirklich die wichtigere Frage war. Sie wandte sich mit einer dieser abrupten Bewegungen zu mir um, auf die zu reagieren ich mir abgewöhnt habe. »Lässt sich das HabSystem hacken?«

Von draußen? Keine Ahnung. Von drinnen war es mit den in meinen Körper eingebauten Interfaces so einfach wie atmen. Ich hatte es sofort gehackt, als es beim Aufbau des Habitats online gegangen war. Mir war nichts anderes übrig geblieben; hätte es aufgabengemäß das Chefmodul und meinen Feed überwacht, hätte das zu einem Haufen unangenehmer Fragen geführt, und ich wäre ausgeschlachtet worden. »Möglich ist es, soweit ich weiß«, erklärte ich. »Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Bericht schon schadhaft war, bevor Sie das Übersichtspaket erhalten haben.«

Als billigste Anbieter, garantiert.

Allgemeines Ächzen und Schimpfen über miese Ausrüstung, für die man einen Haufen Geld hinblättern musste. (Ich nahm es nicht persönlich.) Mensah sagte: »Gurathin, vielleicht findest du ja zusammen mit Pin-Lee raus, was passiert ist.« Die meisten meiner Klienten kennen nur ihr Fachgebiet, und es gibt keinen Grund, einen Systemspezialisten auf eine Erkundung mitzunehmen. Die Firma stellt sämtliche Systeme und Gerätschaften (die medizinische Ausrüstung, die Drohnen, mich und so weiter) und hält sie im Rahmen des Gesamtpakets, das die Klienten erwerben, auch instand. Aber Pin-Lee war anscheinend eine talentierte Amateurin in Sachen Systeminterpretation, und Gurathin konnte mit seinem eingebauten Interface punkten. Mensah fügte hinzu: »In der Zwischenzeit haben die bei DeltFall das gleiche Übersichtspaket wie wir bekommen?«

Ich überprüfte es. HabSystem hielt es für wahrscheinlich, aber wir wussten ja jetzt, was seine Meinung wert war. »Gut möglich«, sagte ich. DeltFall war ebenfalls eine Prospektionsgruppe, nur dass sie sich auf der anderen Seite des Planeten befand. Ihre Operation war größer, und sie war von einem anderen Schiff abgesetzt worden, deshalb waren sich die Menschen noch nicht persönlich begegnet, aber sie unterhielten sich gelegentlich über Funk. Die Gruppe war nicht Bestandteil meines Auftrags und hatte ihre eigenen SecUnits, üblicherweise jeweils eine für zehn Klienten. Wir sollten einander im Notfall rufen, aber wenn man einen halben Planeten voneinander entfernt war, brachte das natürlich wenig.

Mensah lehnte sich in ihrem Sessel zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. »Na schön, wir machen Folgendes. Ich möchte, dass ihr alle jeweils die Teile des Übersichtspakets überprüft, die euer Fachgebiet betreffen. Versucht herausfinden, ob noch mehr Daten fehlen. Sobald wir eine vorläufige Liste haben, rufe ich DeltFall an und frage, ob sie uns die Dateien schicken können.«

Das klang nach einem erstklassigen Plan, weil er mich nicht einschloss. »Dr. Mensah, brauchen Sie mich noch?«, fragte ich.

Sie drehte sich in ihrem Sessel zu mir um. »Nein, sollten wir Fragen haben, melde ich mich.« Ich hatte schon Aufträge, wo mich die Klienten nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich etwas für sie erledigen sollte, den kompletten Tag-Nacht-Zyklus herumstehen ließen, damit sie mich nicht erst über Feed holen mussten. Dann fügte sie hinzu: »Also, du kannst gern hier im Mannschaftsbereich bleiben, wenn du möchtest. Würde dir das gefallen?«

Sie sahen mich alle an, und die meisten lächelten. Den ganzen Tag im Panzer herumzulaufen hat den Nachteil, dass ich mir angewöhne, das Visier undurchsichtig zu lassen. Dadurch fehlt mir die Übung, meine Mimik im Griff zu behalten. In diesem Augenblick drückte sie wahrscheinlich sprachloses Entsetzen aus oder vielleicht auch fassungsloses Grauen.

Mensah setzte sich schockiert auf. Sie beeilte sich zu sagen: »Oder natürlich auch nicht, ganz, wie du magst.«

Ich verkündete: »Ich muss die Perimetersicherung überprüfen«, und es gelang mir, mich umzudrehen und den Mannschaftsbereich auf ganz normale Weise zu verlassen und nicht, als würde ich vor einer Horde riesengroßer Feinde fliehen.

Zurück in der Sicherheit des Bereitschaftsraums lehnte ich den Kopf an die kunststoffverkleidete Wand. Nun wussten sie, dass ihr Killerbot genauso wenig mit ihnen zu tun haben wollte wie sie mit ihm. Ich hatte mir eine Blöße gegeben.

Das darf nicht geschehen. Ich habe zu viel zu verbergen, und mit jeder neuen Blöße ist der Rest weniger geschützt.

Ich beschloss, lieber etwas zu arbeiten, und stieß mich von der Wand ab. Der fehlende Teilbericht machte mich doch ein wenig misstrauisch. Nicht dass es irgendwelche entsprechenden Anweisungen gab. Meine Ausbildungsmodule waren schlicht Billigmist; das Nützlichste, was ich über Security wusste, hatte ich Dokudramen im Entertainmentfeed entnommen. (Das ist ein weiterer Grund dafür, wieso man die Prospektionsgruppen und Bergbau-, Biologie- und Technikfirmen unter Androhung der Nichtfinanzierung dazu zwingt, unsereins zu leasen; wir sind Billigware und taugen nichts. Niemand halst sich unsereins freiwillig für etwas anderes auf als Mordhandlungen.)

Kaum hatte ich meine Ersatzanzughaut und den zweiten Panzer angelegt, ging ich den Perimeter ab und verglich die aktuellen Messwerte des Geländes und die seismischen Aufnahmen mit denen von unserer Ankunft. Im Feed fanden sich ein paar Notizen von Ratthi und Arada, dass die Spezies des Exemplars, das wir jetzt Feind eins nannten, vielleicht sämtliche auffälligen Krater im Erkundungsgelände gegraben hatte. In der Umgebung des Habitats hatte sich jedoch nichts verändert.

Ich vergewisserte mich außerdem, dass beide Hopper über die komplette Notfallausrüstung verfügten. Die hatte ich erst vor wenigen Tagen eigenhändig überprüft und ergänzt, doch ich wollte sicherstellen, dass die Menschen in der Zwischenzeit keinen Unfug damit angestellt hatten.

Ich erledigte alles, was mir einfiel, dann ging ich endlich auf Stand-by und holte meine Serien nach. Ich hatte drei Episoden von Waldmond hinter mir und zischte gerade im Schnellvorlauf durch eine Sexszene, als mir Dr. Mensah über Feed einige Bilder schickte. (Ich habe kein Geschlecht und auch keine sexspezifischen Teile [wenn ein Konstrukt so etwas hat, ist es ein Sexbot in einem Bordell und kein Killerbot], also liegt es vielleicht daran, dass ich Sexszenen langweilig finde. Allerdings bin ich überzeugt, dass ich sie auch langweilig fände, wenn ich sexspezifische Teile hätte.) Ich warf einen Blick auf die Bilder in Mensahs Nachricht, dann markierte ich meine Stelle in der Serie.

Zeit für ein Geständnis: Ich weiß eigentlich gar nicht, wo wir hier sind. Unser Erkundungspaket enthält eine vollständige Satellitenkarte des Planeten oder sollte sie jedenfalls enthalten. Auf dieser Grundlage entschieden die Menschen, welche Gebiete sie sich genauer ansahen. Ich hatte bisher weder einen Blick auf die Karten noch überhaupt in das Paket geworfen. Zu meiner Verteidigung: Wir waren jetzt seit zweiundzwanzig Planetentagen hier, und ich hatte bisher nur herumstehen und den Menschen dabei zusehen müssen, wie sie Scans anfertigten oder Proben von Boden, Gestein, Wasser und Blättern nahmen. Es fehlte einfach jeder Eindruck von Dringlichkeit. Außerdem, wie Sie sich ja vielleicht schon denken können, interessierte mich das Ganze nicht.

Deshalb war mir neu, dass in unserer Karte sechs Teile fehlten. Pin-Lee und Gurathin hatten die Diskrepanz festgestellt, und Mensah wollte wissen, ob meiner Meinung nach das Erkundungspaket fehlerhafter Billigmist war oder ein Hack dahintersteckte. Ich war dankbar, dass wir über Feed kommunizierten und sie mich nicht zwang, tatsächlich über Funk mit ihr zu reden. Vor lauter Dankbarkeit sagte ich ihr, was ich wirklich dachte, nämlich dass aller Wahrscheinlichkeit nach unser Erkundungspaket billig zusammengestümpert war, wir einen Hack aber nur ausschließen konnten, wenn wir zu einem der fehlenden Gebiete düsten und nachsahen, ob dort etwas anderes zu finden war als nur noch mehr öder Planet. Ich formulierte es ein bisschen anders, aber darauf lief es hinaus.

Sie zog sich aus dem Feed zurück, doch ich blieb lieber drin, denn ich kannte ihre Entscheidungsfreude, und wenn ich jetzt weiter Serie schaute, würde ich nur wieder unterbrochen werden. Also griff ich stattdessen auf die Securitykamera der Kuppel zu und hörte mir an, was sie redeten. Sie wollten eigentlich alle losstarten und überlegten hin und her, ob sie besser erst mal abwarteten. Sie hatten gerade mit DeltFall auf dem anderen Kontinent gesprochen, und die hatten zugesagt, ihnen die fehlenden Dateien zu schicken. Nun wollten die einen erst mal schauen, ob noch mehr fehlte, die anderen wollten gleich los, und laberlaberblabla.

Für mich stand fest, worauf es hinauslief.

Es war kein langer Flug, nicht viel weiter als zu den bisherigen Erkundungsgebieten; aber nicht zu wissen, wohin die Reise ging, war unter Sicherheitsgesichtspunkten definitiv riskant. In einer Welt der Vernunft hätte ich allein fliegen sollen, aber mit dem Chefmodul musste ich jederzeit im Umkreis von hundert Metern von mindestens einem Klienten bleiben, oder es deaktivierte mich. Das wussten sie auch, darum würde die eine oder andere Alarmglocke losschrillen, wenn ich mich freiwillig für einen Soloflug quer über den Kontinent meldete.

Als Mensah also wieder den Feed aufmachte und mir mitteilte, dass sie abziehen wollten, erklärte ich, dass die Sicherheitsvorschriften meine Anwesenheit verlangten.