Über den Autor
Matt Whyman ist ein erfolgreicher Kolumnist und Autor zahlreicher Bestseller. Er lebt mit seiner Frau, vier Kindern und einer stetig wachsenden Tierschar in West Sussex, England. Die überraschende Genialität der Schweine offenbarte sich ihm aus nächster Nähe: Als Halter von zwei Mini-Schweinen konnte er über lange Zeit hinweg das erstaunliche Treiben der kleinen Intelligenzbestien beobachten.
Über das Buch
Als Matt Whyman sich zwei vermeintliche Minischweine ins Haus holte, ahnte er noch nicht, dass sie bald sein Leben auf den Kopf stellen und ihm das Tor zu einer Welt voller schweinischer Überraschungen öffnen würden. Er nimmt uns mit auf seine Reise in die Welt der Schweine, die tiefe Einblicke in Herz und Seele eines Tieres gibt, das mehr Energie, Intelligenz und Verspieltheit an den Tag legt, als er selbst zu glauben wagte.
Witzige Geschichten aus dem Leben mit zwei borstigen Gefährten kombiniert Whyman mit dem fachlichen Wissen einer Schweinezüchterin und eines Veterinärprofessors, die Faszinierendes zur Evolution, dem Verhalten und der Kommunikation von Schweinen zu erzählen haben. So erschafft er das schillernde Portrait eines Tieres, das uns seit Jahrtausenden treu begleitet und uns dennoch immer wieder mit seinen einzigartigen Talenten in Erstaunen versetzt.
Matt Whyman
Die
Genialität
der
Schweine
Die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft
übersetzt aus dem Englischen von Theda Krohm-Linke
Wilhelm Heyne Verlag
München
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel The Unexpected Genius of Pigs bei HarperCollins Publishers Ltd.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Text © Matt Whyman 2018
Illustrations by Micaela Alcaino
Jacket design and illustrations by Micaela Alcaino © Harper Collins Publishers Ltd 2018
Matt Whyman asserts the moral right to be identified as the author of this work.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Thomas Bertram
Umschlaggestaltung: Martina Eisele
unter Verwendung zweier Motive von Micaela Alcaino
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-25055-3
V001
www.heyne.de
Dieses Buch ist meinem Dad gewidmet.
Inhalt
1. Schweinehalter wider Willen
Eine einfache Lektion
Das Leben vor den Schweinen
Butch und Roxi
Massig tierische Ablenkung
Die zunehmende Präsenz der Schweine
Größe und Geist
Wo es Dreck gibt …
Das unerwartet geniale Schwein
2. Die Ahnen
Fenster zur Seele
Das Schwein in der Zeit
Der Ursprung der Spezies
Die Kreuzung
Eins mit dem Schwein
3. Der Geist eines Schweins
Stränge
Der Klügste überlebt
Das Schwein im Labyrinth
Wendys Welt
Nach Bertie
Intelligenzbestien
Die Reise und das Ziel
Unbewegliche Objekte
Mehr Schwein sein
4. Herz und Seele eines Schweins
Holly und Poddy
Die matrilineare Gruppe
In Freiheit und auf dem Bauernhof
Mischen, sich zusammenraufen und weitermachen
Schutzzaun
Der Reporter im Schweinestall
Soziale Sicherheit
Das komplette Schwein
Die Schweden
5. Die Sprache der Schweine
Rocky
Gespräche mit einem Schwein
»Ich bin hier«
Klang und Wut
Wo Hoffnung ist …
Das Schweigen der Schweine
In ihrer eigenen Welt
Mit den Tieren reden
Cilla
6. Die Schnauze des Schweins
Ein verlorener Schatz
Handwerkszeug
Über alle Grenzen hinweg
Bevor sie fallen
Nach dem Regen
Schweinen bleibt nichts verborgen
Der Obstgarten nebenan
7. Das Reich des Schweins
Nach Hause kommen
Zuhause ist dort, wo es zu fressen gibt
Das vertrauenswürdige Schwein
Helga
Das Weideschwein
Unter den Sternen schlafen
Die tierische Schmusedecke
Das saubere Schwein
Der Schlamm-Mythos
Badezeit
8. Die Sau und der Eber
The heat is on
Ein Hoch auf die Eber
Herbie
Der kleinere Eber
Liebe liegt in der Luft
9. Was Schweine uns über das Elternsein beibringen können
Im Schwein
Der Nestbautrieb
Eine Elster im Haus
Der Mutterinstinkt
Cleverer Säugling
Die anderen Mütter
Der Teilzeit-Elternteil
Sybil
Losziehen
10. Das Schwein als Gefährte
Nicht nur zu Weihnachten
Der wilde Freund des Menschen
Zu neuen Ufern
Danksagung
1
Schweinehalter wider Willen
Eine einfache Lektion
Ich habe durch die Schweinehaltung viel über mich selbst gelernt und nur sehr wenig über die Tiere in meiner Obhut. In den Jahren, als Butch und Roxi zur Familie gehörten, entdeckte ich, dass meine Geduld beinahe grenzenlos auf die Probe gestellt werden konnte. Außerdem stellte ich fest, dass Dinge, die ich für wichtig gehalten hatte, wie etwa Blumenbeete oder der Zaun um den Garten, eigentlich keine Rolle spielten. Als Vater von vier kleinen Kindern waren mir harte Arbeit und Verantwortung nicht fremd. Aber obwohl ich schon reichlich Windeln gewechselt hatte – auf so viel Dreck jeden Tag war ich nicht vorbereitet gewesen. Unser Schweinepaar stellte meine Frau Emma und mich auf eine harte Probe, was uns nur noch mehr zusammenschweißte – nicht ein einziges Mal ließen wir uns entmutigen.
Und trotz aller Herausforderungen, Fluchtversuche und Zerstörung lernte ich etwas über die Liebe.
Das Leben vor den Schweinen
Rückblickend kann ich nur mir selbst die Schuld geben. Wir leben in West Sussex auf dem Land, in einem Backsteinhaus am Waldrand. Es gibt einen Garten, wo unsere Kinder immer gerne gespielt haben, und Nachbarn zu beiden Seiten. Eine Zeit lang habe ich hinten im Garten Hühner in einem Gehege gehalten. Der Bereich war von einem Lattenzaun umgeben, der um einen kleinen Apfelbaum herumging und an der vorderen Ecke des Schuppens befestigt war. Es war das reinste Geflügelparadies. Meine sechsköpfige Schar hatte reichlich Platz zum Picken und Kratzen, und immer wenn ich den Weg zu ihnen hinunterschlenderte, kamen sie alle ans Tor gerannt, um mich zu begrüßen.
Als bis auf ein Huhn alle bei einem Fuchsangriff ums Leben kamen, begann ich mich zu fragen, welches Tier einen erneuten Besuch verhindern könnte. Mir schwebte etwas vor, das ein klares Signal aussandte, wie ein Krokodil, ein Becken voller Piranhas oder ein wütender Bulle. Mein Vorschlag, ein Schwein zu nehmen, war eigentlich nicht ernst gemeint, obwohl ich schon gehört hatte, dass sie Füchsen oft Angst einjagten. Für Emma war es Grund genug, ein wenig im Internet zu recherchieren. Als sie auf eine Schweineart stieß, die vermutlich in eine Handtasche passte, war die Sache abgemacht.
»Das sind keine normalen Schweine«, erklärte sie mir. »Es sind Minischweine.«
Fairerweise muss ich Emma zugestehen, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Allerdings beschränkten sich diese damals darauf, sich durch unzählige unwiderstehliche Fotos von unglaublich kleinen Schweinen in Babyschuhen zu klicken, statt harte Fakten darüber zu sammeln, was diese Schweine vom gewöhnlichen Hausschwein unterschied. Sie verließ sich auf das Wort von ein paar Züchtern, die sich auf Minischweine spezialisiert hatten und behaupteten, ihre winzigen Schweine würden nur dreißig Zentimeter hoch, etwa so groß wie ein Terrier. Sie wären klug, kinderfreundlich, leicht zu erziehen und würden ohne Probleme mit uns im Haus leben.
Emma erzählte mir noch viel mehr über sie, aber ich hatte schon aufgehört, ihr zuzuhören, als sie ihren Trumpf aus dem Ärmel zog und mir versicherte, dass ich sie kaum bemerken würde. Da war meine gesamte Familie bereits infiziert. Ein normales Ferkel kostet etwa 30 Pfund. Für ein acht Wochen altes Minischwein muss man zwischen 500 und 1000 Pfund hinblättern. Trotz dieser Summe hielt Emma es für eine gute Investition. »Daran werden sich die Kinder immer erinnern«, sagte sie. Rückblickend hatte sie nicht unrecht. Ich glaube nur nicht, dass die Erfahrung ihr Leben so geprägt hat, wie ihre Mutter es gehofft hatte.
Butch und Roxi
Die Neuankömmlinge trafen in einem Katzenkorb ein. Vielleicht, um mich weichzuklopfen, plädierte Emma für Namen, die ich einmal für zwei unserer Kinder vorgeschlagen hatte, was damals jedoch sofort abgelehnt worden war. Wie die Züchter versprochen hatten, waren die beiden tatsächlich nicht größer als kleine Kätzchen. Angesichts dieser perfekten kleinen Schweine, die in einer hohen Stimmlage quiekten, kam mir sofort der Gedanke nachzusehen, wo in ihren Bäuchen das Fach für die Batterien war. Sie wirkten einfach zu gut, um echt zu sein. Während ihres ersten Wochenendes bei uns zog das Geschwisterpärchen wirkungsvoll die Aufmerksamkeit und Zuneigung der Kinder auf sich. Da ich zu Hause arbeitete und im Arbeitszimmer vorne im Haus Bücher schrieb, nutzte ich die Gelegenheit, um mich an den Schreibtisch zu stehlen.
Dann wurde es Montag. Die Kinder waren in der Schule, wo meine Frau sie auf dem Weg ins Büro abgesetzt hatte, und mir fiel die Aufgabe zu, mich um Butch und Roxi zu kümmern.
Von diesem Moment an tat sich zwischen Fantasie und Realität der Schweinehaltung ein Abgrund auf. Ich saß vor dem Computer und versuchte zu schreiben, um damit Geld zu verdienen, und die beiden machten mich wahnsinnig. Emma, die sich um das Wohl der Schweinchen sorgte, hatte beschlossen, ihre kleine Kiste in mein Büro zu stellen, damit ich auf sie aufpassen konnte. In gewisser Weise tat ich das auch, weil ich wesentlich mehr Zeit damit verbrachte, mich ständig nach ihnen umzudrehen, als auf den Bildschirm zu blicken.
Entgegen der allgemeinen Annahme sind Schweine hygienische Geschöpfe. Sie legen ihre Toilette so weit wie möglich von ihrem Schlafplatz entfernt an. In unserem Haus hieß das, dass sie trotz des Katzenklos, das Emma in meinem Arbeitszimmer aufgestellt hatte, ins Wohnzimmer trotteten und sich dort hinter den Fernseher in der Ecke hockten. Was die Geräusche anging, so waren sie nicht so schlimm, das Schnüffeln und Grunzen war bei der Arbeit sogar eher beruhigend. Erst als das Telefon klingelte, kippte die Stimmung. Vielleicht hatte es etwas mit der Frequenz des Klingeltons zu tun, oder vielleicht mögen Schweine auch einfach nur solche Melodien. Was auch immer der Grund war, Butch und Roxi begannen jedenfalls auf der Stelle, laut zu quieken. Es ist schwer genug, professionell zu klingen, wenn man zu Hause arbeitet, doch jetzt hörte es sich an, als arbeitete ich mitten auf einem Bauernhof.
Massig tierische Ablenkung
Natürlich weiß jeder, dass es anstrengend ist, ein junges Tier großzuziehen. Hunde müssen lernen, dass man der Boss ist, während Katzen eine Weile brauchen, um herauszufinden, wie sie einen am besten zu ihrem Vorteil manipulieren können. Schweine sind im Grunde wie Kleinkinder. Sie können lieb und voller Fragen sein und dann ohne jeden Grund einen Wutanfall bekommen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie es sich vorstellen. Im Gegensatz zu kleinen Kindern jedoch wachsen sie aus diesem Verhalten nicht heraus, wie ich feststellen konnte. Mit der Zeit wird es immer ausgeprägter und passt einfach nicht mehr in eine häusliche Umgebung. Außerdem müssen strenge Regeln und Verordnungen eingehalten werden, die das Ministerium für Umwelt, Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Angelegenheiten festgelegt hat. Wenn ich zum Beispiel den Schweinen Futter aus der Küche vorsetzte, riskierte ich einen Verstoß gegen verschiedene Biosicherheitsgesetze. Das konnte eine saftige Strafe nach sich ziehen, aber das wussten unsere kleinen Nutztiere zum Glück nicht. Auch unser Jüngster hatte davon keine Ahnung, als er mit einem Keks in der Hand und zwei kleinen Schweinen auf den Fersen, die ihm wie tiefergelegte Schakale folgten, herumlief. Letztlich muss man nur einmal erleben, wie ein Minischwein einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil man sein Sandwich nicht mit ihm teilen will, um zu erkennen, dass das Leben für alle leichter wäre, wenn sie sich draußen aufhielten.
Butch und Roxi wohnten nur ganz kurz mit uns zusammen im Haus. Als der Reiz des Neuen sich langsam abnutzte, wurde ziemlich schnell deutlich, dass das Haus als Umgebung für Schweine, egal welcher Rasse, nicht geeignet ist. Sie müssen in der Erde wühlen, um Wurzeln und vergrabene Schätze herauszuholen, und nicht ihre Schnauzen in das Weinregal stecken oder sich vor den Fernseher fläzen, um die Lottozahlen zu gucken. Überraschenderweise konnte ich Emma und die Kinder schnell davon überzeugen. Auch sie hatten erkannt, dass diese spezielle Schweinezüchtung keine Zentralheizung und keinen Teppich unter den Hufen brauchte. Und außerdem sehnten die beiden sich wohl ebenso sehr nach ein bisschen Ruhe wie ich. Um sicherzugehen, dass sie es sich nicht anders überlegten, adoptierte ich ein paar ehemalige Batteriehennen für meinen einsamen überlebenden Vogel und spielte dann die Fuchs-Schutzkarte aus.
Und so verwandelte ich mit meiner freigelassenen Hühnerschar, die sich auf dem Griff meines Werkzeugkastens niedergelassen hatte, eine Seite des Schuppens in ein gemütliches Schlafplätzchen für Butch und Roxi. Der Zaun wirkte stabil genug, fand ich, nachdem ich probeweise daran gerüttelt hatte, und es gab mehr als genug Platz, damit alle friedlich zusammenleben könnten.
Die zunehmende Präsenz der Schweine
Nachdem der Revierkampf zwischen Hühnern und Schweinen sich gelegt hatte, sah man im hellen Tageslicht ganz deutlich, dass Butch und Roxi nicht mehr ganz so mini waren. Roxi entwickelte sich am schnellsten. Es gab sogar eine Zeit, als ich den Eindruck hatte, dass sie jedes Mal, wenn ich ihnen zum Frühstück und zum Mittagessen ihre geliebten Kastanien servierte, ein Stück gewachsen war. Allerdings sorgten beide auch selbst dafür, dass sie zunahmen, indem sie gierig alle Eicheln, die von der Eiche fielen, verschlangen, samt dem Laub, das im Herbst herunterkam.
Während Roxi etwa so groß war wie unser verstorbener deutscher Schäferhund, kompensierte Butch die fehlende Höhe, indem er in die Breite ging und sich in einen mächtigen Ausgräber verwandelte. Die beiden verwandelten das Hühnergehege in eine schlammige Kraterlandschaft. Die Vögel taten mir so leid, dass ich sie auf unseren Rasen ließ. Doch die Schweine ließen sich nicht so einfach von der Party ausladen und brachten sich selbst bei, den Riegel am Tor zu heben. Eine Zeit lang konnten wir sie in Schach halten, indem wir abschlossen, aber schon kurz darauf waren Butch und Roxi so dick geworden, dass sie den Lattenzaun mit der Schnauze wegschieben konnten.
Eines Tages, als die Schweine sich von ihrer harten Arbeit im Schuppen ausschliefen, betrachtete ich die Überreste des Gartens. Geschlagen geben wollte ich mich auf keinen Fall. Ich machte mich daran, den Zaun zu verstärken – der wirklich nur ein Riesenmurks gewesen war –, weil ich davon ausging, dass unsere Minischweine mittlerweile ihre volle Größe erreicht hatten. Rückblickend kann ich darüber nur lachen.
Größe und Geist
Die Zeit verging. Wenn Freunde und Nachbarn zu Besuch kamen, hielten sie oft nur den Atem an beim Anblick der grunzenden Riesenbiester, die zwischen den Kratern und Abfallhaufen herumliefen, aus denen unser Garten mittlerweile bestand. Innerhalb eines Jahres reichte Roxi mir bis zur Hüfte und hatte eine Vorliebe für Ziegelsteine entwickelt. Sie grub sie überall aus und zermalmte sie dann zu Pulver. Sie war ein rosa Schwein mit dunklen Flecken, hatte Ohren wie eine Fledermaus und ein Gesicht, das man am treffendsten mit einer Schaufel vergleichen konnte. Sie war ein fester Brocken: eine solide Masse aus Muskeln, Fett und Widerspenstigkeit. Wenn sie als Ferkel im Haus geblieben wäre, hätten wir sie jetzt mit einem Kran herausholen müssen.
Butch war nicht ganz so monströs. Je nach Lichteinfall konnte er sogar als süß durchgehen. Er war vollkommen schwarz, mit einem langen Bauch und dem seelenvollen Gesichtsausdruck von Yoda aus Star Wars. Schon früh kastriert, weil es, offen gesagt, unvorstellbare Konsequenzen gehabt hätte, ihn unversehrt zu lassen, erinnerte unser männliches Minischwein in der Nähe von Roxi an einen unter dem Pantoffel stehenden Ehemann. Sie war die wahre Herrscherin im Hühnerstall, sehr zum Missvergnügen der Hühner. Niemanden von uns hätte es besonders überrascht, wenn sie bei Sonnenaufgang gekräht hätte.
Es war ohne jeden Zweifel mühsam, den wachsenden Bedürfnissen unserer kleinen Tierschar gerecht zu werden. Der verstärkte Lattenzaun wirkte wie eine Staumauer gegen ansteigende Wassermassen, aber er hielt auf jeden Fall stand. Das galt leider nicht für den knapp zwei Meter hohen Bretterzaun, der die hintere Wand des Geheges bildete. Ich geriet in Panik, als ich eines Morgens zum ersten Mal ein zersplittertes, schweineförmiges Loch entdeckte. Es dauerte den ganzen Tag, bis ich die beiden wiedergefunden hatte. Das zweite und das dritte Mal waren genauso beunruhigend. Und als es dann noch einmal passierte, fragte ich mich, ob die Schweine mir vielleicht mit Absicht geschickt worden waren, um meine Geduld auf die Probe zu stellen.
Etwa um diese Zeit nahm Emma erneut Kontakt zu dem Züchter auf. Da Butch und Roxi so gar nicht zu den Bildern auf der Website passten, wo süße kleine Schweinchen sich in einen Schuhkarton kuschelten, wandte sie sich an ihn wie eine Kreuzung aus mündigem Konsumenten und Racheengel. Zweifellos hätte meine Frau ihn in angemessener Art und Weise zur Verantwortung gezogen und dabei unmissverständlich klargestellt, dass er damit aufhören müsse, solche Schweine zu verkaufen, wenn er nicht eine hochgewachsene, sehr wütende Blondine am Hals haben wollte. Doch anscheinend hatte sich schon ein anderer enttäuschter Minischwein-Besitzer beschwert, denn der Züchter hatte sich aus dem Geschäft zurückgezogen.
Obwohl Butch und Roxi sich inzwischen ganz ordentlich benahmen, war nicht mehr zu übersehen, dass sie ständig größer wurden. Trotz des Quiekens und der Tatsache, dass unser Garten aussah wie ein Schlachtfeld, waren unsere Nachbarn überraschend verständnisvoll. Unzählige Male musste ich einer Klage wegen Lärmbelästigung zuvorkommen, indem ich die Runde machte, um mich zu entschuldigen. Letztendlich verschenkte ich als Entschädigung alle Eier, die unsere Hühner legten. Redeten wir dann darüber, schienen sie zu begreifen, dass wir keine Ahnung gehabt hatten, auf was wir uns einließen. Vermutlich hielten sie uns im Stillen für töricht und impulsiv, weil wir ohne sorgfältige Prüfung auf die Idee verfallen waren, Schweine als Haustiere zu halten. Und natürlich hatten sie recht damit.
Wo es Dreck gibt …
In gewisser Hinsicht jedoch hatten wir Glück. Trotz aller Opfer reichte unser Platz, um Butchs und Roxis Wohlergehen sicherzustellen. Ihre Aufzucht beherrschte unser Leben. Ich unterbrach sogar meine Arbeit als Romanautor, um eine warnende Erzählung in Form einer Abhandlung zu schreiben. Also, was passierte hier? Waren wir hereingelegt worden?
Als ich viel zu spät einen Kurs über Schweinehaltung besuchte, öffnete mir der kluge alte Mann, der ihn abhielt, die Augen hinsichtlich der Realität unserer Situation. Er glaubte, dass das anhaltende Interesse an Schweinen und das Geld, das man mit einer Miniatur-Version verdienen konnte, manche Leute in der Branche dazu verleite, den einfachsten Weg zu nehmen. »Minischweine sind keine anerkannte, registrierte Züchtung«, sagte er zu mir. »Jeder kann zwei kleinwüchsige Schweine paaren, aber es gibt keine Garantie dafür, dass der Nachwuchs auch klein bleibt. Dazu bräuchte man Generationen streng kontrollierter Zucht. Vielleicht gibt es so etwas einmal in dreißig oder vierzig Jahren«, fügte er hinzu, aber das war für uns natürlich kein Trost. »Was Sie haben, sind zwei Mischlingsschweine.« Der Mann warf einen Blick auf das Foto, das ich ihm zeigte, und lachte leise, als ich ihm erklärte, die beiden seien Geschwister.
Die Minischweine waren also anscheinend ein Mythos. Ferkel, die gewinnbringend verkauft worden waren. Ein Einhorn für unser Zeitalter oder vielleicht auch nur für Leute wie uns, die gerne ein Schwein als Haustier halten wollten. Ja, es gibt kleine Schweinerassen, wie das vietnamesische Hängebauchschwein und das Kunekune, aber viel hängt auch davon ab, welchen Begriff von Größe man hat. Die Vorstellung von einem erwachsenen Schwein, das in eine Handtasche passt, ist Unsinn. Ein erwachsenes Schwein könnte so etwas mit einem Bissen vertilgen, wenn man es herumliegen ließe. Tatsache war, dass Butch und Roxi zwei sehr teure, stinknormale Mischlinge waren. Aber trotz allem liebten wir sie heiß und innig. In gewisser Weise brachten sie uns Familie in Nöten enger zusammen.
Das unerwartet geniale Schwein
Es ist lange her, seit ich mich als Schweinehalter bezeichnete. Die emotionalen Wunden sind verheilt, und wegen des vielen Komposts ist das Gras ordentlich nachgewachsen. Ich blicke mit zärtlichen Erinnerungen auf diese Episode in unserem Leben zurück und muss sogar lächeln beim Gedanken an einige der Eskapaden, über die ich damals getobt habe. Unser Respekt Tieren und ihrer artgerechten Haltung gegenüber ist gewachsen, und wir essen kein Fleisch mehr. Aber vor allem fasziniert mich, wie Schweine ticken. Wir hatten zwei Schweine in unsere Welt eingeladen, und sie haben sie demoliert, aber wie sieht es in ihrer Welt aus?
Jetzt, wo ich keine Schweine mehr habe und viel Zeit zum Nachdenken, möchte ich gerne mehr herausfinden über das Leben, wie sie es sehen. Unsere beiden machten mir von Anfang an klar, mit wem ich es zu tun hatte, und ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass Schweine eine Spezies mit verborgenen Tiefen sind. Ich will nicht behaupten, dass sie eine Neigung zu Algebra, Malerei oder Poesie hätten, aber zwischen diesen Ohren geht etwas Außergewöhnliches vor, das ich zu gerne ergründen würde. In gewisser Weise, so glaube ich, ist es eine ideale Mischung aus Instinkt und Intelligenz. Das heißt, wenn ein Schwein sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bekommt es auch, was es will.
Schweine sind nicht nur klug, sie sind auch ungeheuer gesellig. Butch und Roxi mochten zwar keine Geschwister sein, waren aber unzertrennlich. Waren sie seelenverwandt oder nur aus Notwendigkeit zusammen? Roxi nutzte regelmäßig die Vorteile ihrer Größe und ihres Umfangs, um Butch vom Futtertrog wegzuschieben, während unser Eber schneller zu Fuß war und mit einem Apfel in der Schnauze wegrennen konnte, ohne dass sie ihn einholte. Sie zankten sich ums Essen und dienten einander doch in der Nacht als Schmusedecke, wenn sie Schnauze an Rücken schlafend dalagen.
Wenn sie einmal wegliefen, konnte ich darauf wetten, dass ich Butch und Roxi immer zusammen wiederfand. Pflegen Schweine also loyale Freundschaften oder streiten untereinander, wie wir? Und brauchen sie Verbündete? Können sie lieben und hassen, einander trösten oder Ratschläge erteilen? Spielen sie miteinander, und haben sie nichts als Streiche im Sinn? Sind sie echt faul oder wirklich gierig, wie wir unterstellen, wenn wir behaupten, jemand benähme sich wie ein Schwein? Da sie nicht wie wir über moderne Technologien verfügen: Wie kommunizieren sie miteinander, und was sagen sie? Und was treibt sie, von morgens bis abends in der Erde zu wühlen, um eine einzige Eichel zutage zu fördern? Für mich ist das alles ein Geheimnis, aber ich möchte es voller Neugier und Begeisterung ergründen, um die Schweine besser zu verstehen.
Mithilfe von Menschen, die den Schweinen wesentlich tiefer in die Augen geschaut haben, als es mir je gelungen ist, möchte ich noch mehr lernen, als ich aus den Fehlern gelernt habe, die ich als Schweinehalter wider Willen gemacht habe. Nicht nur über Schweine und ihre Persönlichkeiten – und davon werden wir einige kennenlernen –, sondern auch darüber, was es bedeutet, sich mit diesen Tieren zu verbinden und zu erkennen, dass sie ein Leben führen, das ebenso komplex, herausfordernd und erfüllt sein kann wie unser eigenes.