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Zum Roman

Von außen betrachtet ist das Leben der Bigelows perfekt. Hinter den Kulissen jedoch tyrannisiert der Vater seine Familie. Als Sohn Zane sich schließlich zur Wehr setzt, kommt das jahrelange Martyrium ans Licht. Fast zwanzig Jahre später findet die junge Landschaftsgärtnerin Darby McCray in Lakeview ein neues Zuhause. Auch Zane kehrt als erfolgreicher Anwalt in seinen Heimatort zurück. Die beiden fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Doch die Vergangenheit überschattet ihre aufblühende Liebe und wird zur tödlichen Bedrohung …

»Spannung und sinnliche Romantik vereinen sich meisterhaft in dieser fesselnden Geschichte.«  Publishers Weekly

Zur Autorin

Nora Roberts wurde 1950 geboren und gehört heute zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren, und auch im deutschsprachigen Raum erobert sie mit ihren Romanen regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland, USA.

nora

roberts

Strömung

des Lebens

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Christiane Burkhardt

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Copyright © 2019 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Under Currents

bei St. Martin’s Press, New York

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Diana Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch

die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Redaktion: Claudia Krader

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München

Umschlagmotive: © arcangel/Silvia Ganora;

Shutterstock/Oleg Kozlov, Jon Bilous

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-641-25081-2
V004

www.diana-verlag.de

Für die Greenbier-Girls:

Für JoAnne, meine Sportfreundin,

für Kat, meine supersüße Baby-Mama,

für Laura, die einfach immer alles im Griff hat,

für Mary, meine Shopping-Freundin, und

für Sarah, die gute Laune garantiert.

Teil 1

Grausame Lügen

Grausamkeit und Angst gehen Hand in Hand.

Honoré de Balzac

Kindesmisshandlung wirft einen lebenslangen Schatten.

Herbert Ward

1

Von außen betrachtet war das Haus in Lakeview Terrace einfach perfekt. Die prächtigen drei Stockwerke des hellbraunen Ziegelbaus verfügten über große Fenster mit einem herrlichen Blick auf den Reflection Lake und die Blue Ridge Mountains. Die beiden Erkertürmchen mit Kupferdach verliehen ihm europäisches Flair und zeugten von Wohlstand, ohne zu protzen.

Sattgrüner Rasen stieg sanft bis zu einer dreigliedrigen Treppe empor, gefolgt von einer breiten weißen Veranda, die im Frühling von rubinrot blühenden Azaleen gesäumt wurde. Auf der Rückseite des Hauses lag ein großzügig überdachter Außenbereich mit Sommerküche, von dem aus man das fantastische Seepanorama genießen konnte. Der sorgfältig gepflegte Rosengarten sorgte für eine romantisch-elegante Atmosphäre. War Saison, lag eine Segeljacht am privaten Anlegesteg. Kletterrosen rankten sich am Grundstückzaun empor. Im Garagenanbau gab es einen Luxus-SUV und einen Kombi derselben Marke, zwei Mountainbikes und Skiausrüstung. Gerümpel war nirgendwo zu sehen.

Die Innenräume hatten hohe Decken. Sowohl Salon als auch Wohnzimmer verfügten über Kamine, die mit den gleichen goldbraunen Ziegeln verkleidet waren wie die Fassade. Die stilvolle Einrichtung entsprach ganz dem Geschmack des hier wohnenden Paares, auch wenn sie vielleicht ein wenig zu gewollt war. Ruhige Farben und aufeinander abgestimmte Stoffe. Zeitgemäß, ohne zu modern zu sein.

Dr. Graham Bigelow hatte das Grundstück in der Siedlung Lakeview Terrace gekauft, als sein Sohn fünf und seine Tochter drei Jahre alt gewesen waren. Er war es auch, der damals den zu ihm und seiner Familie passenden Grundriss aussuchte, die notwendigen Um- und Anbauten ausführen ließ, Details wie Bodenbeläge, Fliesen und Gartenplatten auswählte und am Ende eine Innenarchitektin beauftragte.

Seine Frau Eliza überließ ihm die meisten Entscheidungen liebend gern, weil sie fand, dass er einen makellosen Geschmack besaß. Hatte sie selbst einen Vorschlag oder eine Idee, hörte er ihr geduldig zu, um ihr dann häufig zu erklären, warum das alles nicht passte. Es kam jedoch durchaus vor, dass er auf die eine oder andere Anregung einging.

Genau wie Graham legte Eliza Wert darauf, dass die kleine exklusive Siedlung am See im High Country North Carolinas brandneu war und ihren Wohlstand offen zur Schau stellte. Sie war bereits in einen solchen Lebensstil hineingeboren worden, wenn auch in einen von der langweilig-altmodischen Sorte, den sie für spießig hielt. So wie das Haus auf der anderen Seeseite, in dem sie aufgewachsen war. Deshalb hatte sie ihren Anteil nur zu gern an ihre Schwester verkauft und das Geld in die brandneue Einrichtung des Hauses in Lakeview Terrace gesteckt. Sie hatte Graham den Bankscheck vertrauensvoll übergeben und es nie bereut.

Seit fast neun Jahren lebten sie jetzt glücklich und zufrieden hier, zogen zwei intelligente, wunderschöne Kinder groß und gaben Dinner-, Cocktail- und Gartenpartys. Als Ehefrau des Chefchirurgen am Mercy Hospital im nahe gelegenen Asheville bestand ihre Rolle vornehmlich darin, elegant und gepflegt auszusehen, die Kinder gut zu erziehen, das Haus in Ordnung zu halten, Einladungen zu geben und verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen zu leiten. Dreimal die Woche kam eine Putzfrau und Köchin sowie wöchentlich der Gärtner. Ihre Schwester nahm nur allzu gern die Kinder, wenn Graham und sie einen freien Abend haben oder einen Wochenendtrip machen wollten. So blieb ihr genug Zeit, sich um ihr Aussehen und ihre Garderobe zu kümmern.

Eliza versäumte keine Schulveranstaltung und war sogar zwei Jahre lang Elternbeiratsvorsitzende gewesen. Wenn Grahams Beruf ihm Zeit dazu ließ, ging sie mit ihm gemeinsam zu den Theateraufführungen. Sie kümmerte sich darum, Spenden für die Schule sowie fürs Krankenhaus zu sammeln. Seit Britts viertem Geburtstag saß sie bei jeder Ballettvorstellung in der Mitte der ersten Reihe. Auch fast allen Baseballspielen von Zane wohnte sie bei. Sollte sie doch mal eines verpassen, hatte sie stets eine gute Ausrede parat. Jeder weiß, wie langweilig solche Spiele in der Jugendliga sein können.

Auch wenn sie das niemals zugegeben hätte, zog Eliza ihre Tochter bei Weitem vor. Britt war ein so hübsches, liebenswertes, gehorsames kleines Mädchen! Nie musste man sie dazu drängen, Hausaufgaben zu machen oder ihr Zimmer aufzuräumen, außerdem war sie unglaublich höflich.

Zane dagegen erinnerte Eliza an ihre Schwester Emily. Er neigte dazu, Streit zu suchen, beleidigt zu sein und sich abzusondern. Dafür schrieb er gute Noten. Wenn der Junge Baseball spielen wollte, musste er zu den besten Schülern gehören – so ihre Vereinbarung. Sein Traum, Profispieler zu werden, war natürlich nur eine Teenagerfantasie. Er würde selbstverständlich Medizin studieren, genau wie sein Vater.

Im Moment war Baseball jedenfalls das Zuckerbrot, sodass sie die Peitsche im Schrank lassen konnten. Sollte Graham sie zu Bestrafungszwecken hervorholen, dann nur zum Besten des Jungen. So etwas bildete den Charakter, zeigte Grenzen auf und sorgte für Respekt. Wie sagte Graham so schön? Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Besser, man bekam von klein auf beigebracht, sich an die Regeln zu halten.

Zwei Tage vor Weihnachten fuhr Eliza durch die vom Schneepflug geräumten Straßen nach Hause. Sie hatte ein schönes Mittagessen mit Freundinnen hinter sich und höchstes ein paar Schluck Champagner zu viel getrunken. Anschließend hatten sie sich mit etwas Shoppen belohnt. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wollte die Familie in den jährlichen Skiurlaub aufbrechen. Skifahren würden nur Graham und die Kinder, während sie sich im Spa verwöhnen ließ. Heute hatte sie ein fantastisches Paar Stiefel gekauft, das sie mitnehmen würde. Ebenso einige Dessous, die dazu angetan waren, Graham nach Stunden auf der Piste wieder aufzuwärmen.

Sie warf einen Blick auf die anderen Häuser und deren Weihnachtsschmuck. Wirklich hübsch! In Lakeview Terrace waren diese aufblasbaren Kitschweihnachtsmänner nicht erlaubt, dafür hatte die Eigentümergemeinschaft gesorgt. Trotzdem konnte sie ohne falsche Bescheidenheit sagen, dass ihr Haus alle anderen überstrahlte. Graham ließ ihr bei der Weihnachtsdeko freie Hand, und sie machte klug davon Gebrauch. Sobald die Dämmerung hereinbrach, setzten weiß glitzernde Lichter die Silhouette des Hauses perfekt in Szene, um sich dann um die eingetopften Fichten auf der vorderen Veranda zu winden.

Im Haus dagegen funkelten die beiden Adventskränze mit den roten und silbernen Bändern an der Doppeltür mit dem Baum im Salon um die Wette. Stolze dreieinhalb Meter hoch, verziert mit weißen Kerzen sowie silbernen und roten Sternen. Der Baum im Wohnzimmer folgte demselben Farbschema, war aber mit Engeln geschmückt. Kaminsimse und Esstisch waren natürlich ebenfalls höchst stilvoll dekoriert, und das jedes Jahr wieder anders. Wozu alles abhängen und verstauen, wenn eine Mietfirma kam, die die gesamte Deko nach den Feiertagen abholte? Sie hatte nie verstanden, was ihre Eltern und Emily so toll daran fanden, uralte Glaskugeln und kitschige Holzfiguren auszupacken. Wenn die alten Herrschaften Emily in ihrem ehemaligen Zuhause besuchten, würden sie das dort sowieso alles vorfinden. Das Weihnachtsessen sollte jedoch in Lakeview Terrace stattfinden. Danach würden die Eltern zum Glück wieder nach Savannah in ihre Seniorenresidenz zurückkehren.

Emily war die Lieblingstochter, keine Frage. Eliza ließ das automatische Garagentor hochfahren. Und zuckte zusammen, als sie Grahams Auto bereits auf seinem Platz stehen sah. Sie schaute auf die Uhr und seufzte erleichtert auf. Sie war nicht spät dran, er war nur früher als erwartet nach Hause gekommen. Da heute eine andere Mutter die Kinder abholen musste, parkte sie neben dem Wagen ihres Mannes und griff nach ihren Einkaufstüten. Sie ging in den Flur, hängte ihren Mantel auf, faltete ihren Schal zusammen und zog ihre Stiefel aus, bevor sie in die flachen schwarzen Prada-Slipper schlüpfte, die sie im Haus trug. Als sie in die Küche kam, stand Graham in Anzug und Krawatte vor der Kochinsel.

»Du bist aber früh da.« Nachdem sie ihre Tüten auf dem Küchentresen abgestellt hatte, ging sie sofort auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. So leicht wie der Kuss war auch der Hauch von Eau Sauvage, ihr Lieblingsaftershave, das sie an ihm wahrnahm.

»Wo hast du gesteckt?«

»Ach, ich war mit Miranda und Jody beim Mittagessen.« Sie zeigte auf den Familienkalender in der Ecke. »Anschließend sind wir ein wenig shoppen gegangen.« Sie holte eine Flasche Perrier aus dem Kühlschrank. »Unfassbar, wie viele Leute Weihnachtseinkäufe machen. Auch Jody.« Sie gab ein paar Eiswürfel aus dem Eiswürfelautomaten ins Glas, bevor sie Mineralwasser darüberschüttete. »Wirklich, Graham, organisatorisch ist sie wirklich nicht gerade die …«

»Glaubst du, Jody interessiert mich einen feuchten Dreck?«

Seine ruhige, geschmeidige, fast freundliche Stimme ließ sämtliche Alarmglocken bei ihr klingeln. »Natürlich nicht, mein Schatz, ich rede einfach nur dummes Zeug.« Sie lächelte weiter, musterte ihn jedoch misstrauisch. »Warum setzen wir uns nicht und ruhen uns etwas aus? Ich mach dir einen Drink.«

Er hob das Glas und warf es ihr vor die Füße. Eine Scherbe ritzte ihr den Knöchel auf, der brannte, nachdem Whiskey darübergeschwappt war. Ausgerechnet das Baccarat-Glas! Ihr wurde ganz heiß.

»Mach mir einen neuen!« Jetzt klang die Stimme weder ruhig noch geschmeidig und schon gar nicht freundlich, sondern wie eine Ohrfeige. »Ich soll den ganzen Tag in fremden Menschen herumwühlen und Leben retten, nur um dann abends in ein leeres Haus zurückzukehren?«

»Tut mir leid, ich …«

»Es tut dir leid?« Er packte ihren Arm und drehte ihn nach hinten, während er Eliza mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche stieß. »Was genau tut dir leid? Dass du es nicht fertiggebracht hast, zu Hause zu sein? Dass du den Tag damit verplempert hast, mein Geld für Mittagessen und Einkäufe rauszuwerfen, mit diesen idiotischen Weibern zu tratschen, während ich sechs Stunden im OP gestanden habe?«

Ihr stockte der Atem, sie bekam Herzrasen. »Ich wusste nicht, dass du früher nach Hause kommst. Hättest du angerufen, wäre ich sofort nach Hause geeilt.«

»Jetzt muss ich mich auch noch bei dir an- und abmelden?«

Sie bekam kaum mit, was er ihr alles an den Kopf warf. Undankbarkeit, Respektlosigkeit, mangelnde Pflichterfüllung. Diesen Blick kannte sie. Es war der Blick eines düsteren Racheengels. Sie sah das dunkelblonde, perfekt gepflegte Haar. Das glatte, attraktive, aber vor Wut rot angelaufene Gesicht. Den Hass in diesen knallblauen, eiskalten Augen. Ihr war nicht mehr nur heiß. Es war, als bekäme sie einen elektrischen Schlag versetzt. »Es stand im Kalender«, sagte sie mit schriller Stimme. »Ich hab dir heute Morgen Bescheid gesagt.«

»Glaubst du etwa, ich hätte Zeit, in deinen lächerlichen Kalender zu schauen? Du bist gefälligst daheim, wenn ich nach Hause komme, verstanden?« Er knallte sie erneut gegen die Arbeitsfläche, sodass ihr der Schmerz in den Rücken schoss. »Alles, was du besitzt, hast du mir zu verdanken. Dieses Zuhause, was du am Leib trägst und alles, was du isst. Ich bezahle die Köchin und Putzfrau, damit du mir zur Verfügung stehst, wenn ich es will. Deshalb wirst du in Zukunft verdammt noch mal zu Hause sein, wenn ich heimkomme, und die Beine breit machen, wenn ich es möchte.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drängte er sich an sie.

Sie gab ihm eine Ohrfeige. Obwohl sie wusste, was kam. Vielleicht auch, weil sie wusste, was kam.

Aus eiskalter Wut wurde lodernde Wut. Er fletschte die Zähne. Und rammte ihr die Faust in den Unterleib. Er achtete strikt darauf, ihr nie ins Gesicht zu schlagen.

***

Mit seinen vierzehn Jahren interessierte sich Zane Bigelow ausschließlich für Baseball. Er mochte Mädchen, schaute sich gern nackte Mädchen an, nachdem ihm sein Kumpel Micah gezeigt hatte, wie man die Kindersicherung am Computer austrickst. Aber Baseball stand nach wie vor an erster Stelle.

Für ihn war es die Nummer eins.

Er war groß für sein Alter und dementsprechend schlaksig, konnte es kaum erwarten, die Schule zu beenden und von einem Scout für die Baltimore Orioles entdeckt zu werden. Er wäre auch mit jeder anderen Mannschaft in der Profiliga einverstanden, aber die Orioles waren seine erste Wahl.

Die absolute Nummer eins.

Das war Zanes größter Traum. Und natürlich der, ein nacktes Mädchen … na ja … in natura zu sehen.

Zane Bigelow hätte nicht glücklicher sein können, als Mrs. Carter, Micahs Mom, die Truppe in ihrem SUV nach Hause fuhr. Obwohl sie Cher aufgelegt hatte, die was über ein Leben nach der Liebe sang. Er interessierte sich nicht sehr für Autos. Noch nicht. Aber als junger Mann kannte man sich eben aus. Außerdem hörte er lieber Rap, der zu Hause verboten war.

Doch obwohl Cher lief, seine Schwester und die anderen beiden Mädchen über Weihnachten quatschten und Micah auf seinem Game Boy völlig in Donkey Kong vertieft war, war Zane überglücklich. Zehn schulfreie Tage warteten auf ihn. Nicht einmal die Aussicht aufs Skifahren konnte seine Laune trüben. Das war nicht gerade sein Lieblingssport. Vor allem, weil sein Vater ständig darauf hinwies, dass seine kleine Schwester deutlich besser fuhr als er. Zehn Tage lang kein Mathe. Er hasste Mathe mindestens genauso wie Spinatsalat.

Mrs. Carter hielt an, um Cecile Marlboro rauszulassen. Es folgte das übliche Geschiebe und Rucksack-Rauswuchten, das Quietschen der Mädchen. Alle mussten sich umarmen. Es war schließlich bald Weihnachten. Manchmal musste man sich auch umarmen, weil Dienstag war oder so. Ihm war das schleierhaft.

Alle riefen: »Frohe Weihnachten!« Wenn Pete Greene ausstieg, würden alle Frohe Feiertage rufen, weil er Jude war.

Gleich würden sie zu Hause sein. Zane sah die Häuser vorbeigleiten. Er nahm sich vor, sich eine Kleinigkeit zu essen zu machen, sich dann ganz ohne Hausaufgaben, ohne diesen Mathehorror, in sein Zimmer zu verkriechen und auf der Play-Station eine Stunde sein Baseball-Spiel zu spielen.

Er wusste, dass Lois, die vermutlich bis nach den Skiferien frei hatte, eine Lasagne vorbereiten wollte. Lois’ Lasagne war einfach der Hammer. Mom würde sie aufwärmen müssen, aber das dürfte sie hinbekommen. Noch besser fand er, dass Grams und Pop morgen aus Savannah kommen sollten. Ihm wäre lieber, sie wohnten bei ihnen statt bei Tante Emily. Doch er hatte vor, morgen Nachmittag mit dem Rad zum alten Haus am See zu fahren und ein bisschen dort abzuhängen. Vielleicht konnte er Emily zum Plätzchenbacken überreden, was nicht schwer sein dürfte.

Außerdem kamen alle zum Weihnachtsessen. Dafür würde Mom nichts machen müssen. Es war alles bei einem Caterer bestellt worden. Nach dem Weihnachtsessen spielte Britt dann bestimmt was am Klavier vor. Er hasste Klavier, womit er sich eine gehässige Bemerkung von seinem Vater einfangen würde. Danach das Singen. Total kitschige Weihnachtslieder, aber er mochte das irgendwie. Außerdem hatte er eine ziemlich gute Stimme, an der niemand was aussetzen konnte.

Als der Wagen vor seinem Haus hielt, klatschten sich Zane und Micah ab. »Frohe Weihnachten, Kumpel.«

»Logo«, erwiderte Micah. »Danke, gleichfalls.«

Während sich Britt und Chloe umarmten, als würden sie sich ein Jahr nicht sehen, schlüpfte Zane aus dem Wagen. »Frohe Weihnachten, Chloe. Frohe Weihnachten, Mrs. Carter. Danke fürs Mitnehmen.«

»Frohe Weihnachten, Zane. Gern geschehen.« Sie lächelte ihm zu und sah ihm in die Augen. Sie war echt hübsch für eine Mom.

»Danke, Mrs. Carter. Ich ruf dich an, Chloe«, sagte Britt.

Zane hängte sich den Rucksack um, als Britt ausstieg. »Wieso willst du sie anrufen? Was gibt’s da zu reden? Ihr habt euch doch schon im Auto den Mund fusselig gequatscht.«

»Wir haben uns immer was zu erzählen.«

Britt, die mehr als einen Kopf kleiner war als er, sah ihm durchaus ähnlich. Auch sie hatte auffällig grüne Augen und dunkles Haar. Es reichte Britt fast bis zur Taille und wurde von Rentierspangen gehalten. Ihr Gesicht war noch kindlich rund, während seines bereits markante Züge aufwies. Weil er langsam erwachsen wurde, wie seine Tante Emily sagte. Nicht, dass er sich schon rasieren müsste oder so, obwohl er jeden Tag nach ersten Bartstoppeln suchte. Weil sie seine Schwester war, musste er sie einfach aufziehen. »Ihr sagt doch gar nichts außer Oooooh, Justin Timberlake.« Er machte laute Schmatzgeräusche, woraufhin sie errötete. Er wusste, dass sie heimlich für den Sänger schwärmte.

»Halt den Mund.«

»Halt du doch den Mund!«

»Nein, du.«

Das ging so weiter, bis sie die Veranda erreicht hatten. Dann warfen sie sich warnende Blicke zu. Gingen sie streitend rein und ihre Mutter bekam das mit, gäbe es sofort eine endlose Standpauke. Zane zückte seinen Schlüssel, da sein Vater darauf bestand, dass immer abgeschlossen blieb. Egal, ob jemand zu Hause war oder nicht. Als die Tür aufging, hörte er, was los war. Das Grinsen wich aus Britts Gesicht. Sie riss die Augen auf, Angst und Tränen standen darin. Sofort hielt sie sich die Ohren zu.

»Geh nach oben«, befahl ihr Zane. »Geh auf dein Zimmer und bleib dort.«

»Er tut ihr wieder weh. Er tut ihr weh.«

Statt auf ihr Zimmer zu eilen, rannte Britt in Richtung Wohnzimmer und blieb dort stehen. Nach wie vor hielt sie sich die Ohren zu. »Aufhören«, schrie sie. »Sofort aufhören.«

Zane sah Blut auf dem Boden, dort, wo seine Mutter gerade vorwärtsrobbte. Ihr Pulli war zerrissen, und einer ihrer Schuhe fehlte.

»Geht auf eure Zimmer«, brüllte Graham, als er Eliza an den Haaren hochriss. »Das geht euch nicht das Geringste an.«

Britt schrie einfach weiter, auch als Zane versuchte, sie wegzuziehen. Er sah, wie der hasserfüllte Blick seines Vaters an seiner Schwester hängen blieb. Eine bis dahin ungekannte Angst loderte in ihm empor und brannte etwas fort. Er dachte nicht groß nach, sondern reagierte instinktiv, schob seine Schwester beiseite und trat zwischen sie und seinen Vater. Ein schlaksiges Kind, dessen Füße überproportional groß waren. In ihm aufflackernde Angst ließ ihn zum Angriff übergehen.

»Lass sie in Ruhe, du Mistkerl!« Er versetzte Graham einen Fausthieb. Der taumelte zurück, wenn auch mehr aus Verblüffung als durch die Wucht des Schlags. »Hau ab, verdammt!« Zane sah sie nicht kommen. Er war vierzehn. Die einzigen Raufereien, in die er verwickelt war, bestanden aus Herumgeschubse und lautstark vorgetragenen Beleidigungen. Er hatte die Faust seines Vaters bereits öfter zu spüren bekommen. Ein Schlag in die Magengrube, manchmal auch auf die Nieren.

Dorthin, wo es nicht auffiel.

Diesmal traf ihn die Faust im Gesicht. Etwas hinter seinen Augen explodierte. Alles verschwamm. Er steckte zwei weitere Schläge ein, bevor er zu Boden ging. Der heftige Schmerz war stärker als die Angst und die Wut. Um ihn wurde es dunkel, und in dem Dunkel sah er Sterne. Mit dem Geschmack von Blut im Mund und dem Kreischen seiner Schwester im Ohr verlor er das Bewusstsein.

Er bekam erst wieder etwas mit, als sein Vater ihn über die Schulter geworfen hatte und die Treppe hinauftrug. Es klingelte in seinen Ohren, er konnte Britt weinen hören. Seine Mutter befahl ihr, damit aufzuhören. Sein Vater legte ihn nicht aufs Bett, sondern schüttelte ihn einfach ab. Als er auf der Matratze landete, tat ihm jede Faser seines Körpers weh.

»Wenn du mir gegenüber noch einmal den Respekt vermissen lässt, handelst du dir mehr ein als nur eine gebrochene Nase und ein blaues Auge. Du bist ein Nichts, verstanden? Du bist so lange ein Nichts, bis ich das Gegenteil behaupte. Alles, was du hast, sogar dein Leben, verdankst du mir.« Er beugte sich weit vor und schlug diesen ruhigen, geschmeidigen Ton an. Zane sah ihn doppelt und schaffte es nicht zu nicken. Durch den Schock begann er zu zittern und mit den Zähnen zu klappern.

»Du wirst dieses Zimmer nicht verlassen, bis ich es dir erlaube. Du wirst mit niemandem sprechen. Du wirst niemanden in unsere Familienangelegenheiten einweihen, oder die Strafe, zu der du mich heute gezwungen hast, wird sich wie ein Kinderspiel anfühlen. Es würde dir ohnehin keiner glauben. Du bist ein Niemand. Und ich bin alles. Ich könnte dich im Schlaf umbringen, ohne dass jemand etwas merken würde. Vergiss das nicht, wenn du das nächste Mal den großen Mann markieren willst.« Er ging und machte die Tür hinter sich zu.

Zane verlor wieder das Bewusstsein. Das war einfacher, als den Schmerz oder die Worte seines Vaters zu ertragen, die sich ebenfalls wie Schläge anfühlten.

Als er wieder zu sich kam, war es zwar noch nicht ganz dunkel, aber fast. Er bekam keine Luft mehr durch die Nase. Sie war verstopft, als hätte er eine schreckliche Erkältung. Eine von der Sorte mit hämmernden Kopfschmerzen und einem Pochen hinter den Augen. Sein Bauch tat brutal weh. Als er versuchte, sich aufzusetzen, drehte sich alles. Er hatte Angst, sich übergeben zu müssen.

Dann hörte er ein Klicken und begann erneut zu zittern. Er bereitete sich darauf vor, zu betteln, zu flehen und zu Kreuze zu kriechen. Hauptsache, er musste diese Fäuste nicht noch einmal spüren. Seine Mutter kam herein und machte das Licht an. Das verursachte weitere Schmerzexplosionen, deshalb schloss er die Augen.

»Dein Vater sagt, du sollst dich waschen und dir dann diesen Eisbeutel aufs Gesicht legen.« Ihre kühle, sachliche Stimme tat fast so weh wie die seines Vaters.

»Mom …«

»Dein Vater sagt, du sollst den Kopf hochlegen. Du darfst das Zimmer nur verlassen, um ins Bad zu gehen. Wie du siehst, hat dein Vater deinen Computer, deine PlayStation und deinen Fernseher mitgenommen. Lauter Sachen, die er dir großzügigerweise geschenkt hat. Du wirst niemanden sehen und mit niemandem reden außer mit deinem Vater und mir. Auch nicht an Heiligabend und am Ersten Weihnachtsfeiertag.«

»Aber …«

»Du hast die Grippe.«

Er suchte in ihrem Gesicht nach dem geringsten Hinweis auf Mitleid, auf Dankbarkeit. Nach irgendeinem Gefühl. »Ich wollte ihn daran hindern, dir wehzutun. Ich dachte, er würde Britt wehtun. Ich dachte …«

»Ich habe dich nicht um Hilfe gebeten und auch keine benötigt.« Ihre kurz angebundene, kalte Stimme versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. »Was zwischen mir und deinem Vater vorgeht, geht nur uns beide etwas an. Du hast die nächsten Tage Zeit, dir über deine Rolle in der Familie Gedanken zu machen und dir gewisse Privilegien zurückzuverdienen.« Sie wandte sich zur Tür. »Tu, was man dir sagt.«

Nachdem sie ihn allein gelassen hatte, zwang er sich, sich aufzusetzen, und musste erneut die Augen schließen, so schwindlig war ihm. Er atmete tief durch. Dann stand er mit zittrigen Beinen auf, taumelte ins Bad, übergab sich und verlor beinahe wieder das Bewusstsein. Als er es schaffte aufzustehen, musterte er sich im Badezimmerspiegel.

Sein Gesicht sah ganz anders aus, irgendwie fremd. Die Lippen waren geschwollen, die untere geplatzt. O Gott, und die Nase sah aus wie ein roter Ballon. Beide Augen waren blau geschlagen und eines halb zugeschwollen. Überall getrocknetes Blut. Er hob eine Hand und berührte die Nase. Schmerz durchzuckte ihn. Ihm war immer noch schwindlig, deswegen hatte er Angst zu duschen. Also nahm er einen Waschlappen, um etwas von dem Blut abzuwischen. Er musste die Zähne zusammenbeißen und sich mit einer Hand ans Waschbecken klammern, damit er nicht umfiel. Mehr als den Schmerz fürchtete er, die Anweisungen seiner Eltern nicht schlucken zu können. Er weinte, ohne sich zu schämen. Es bekam sowieso niemand mit. Niemand interessierte sich dafür.

Langsam arbeitete er sich wieder zurück zum Bett, atmete scharf aus, als er sich bückte, um sich Schuhe und Jeans auszuziehen. Alle paar Minuten musste er innehalten, tief durchatmen und warten, bis der Schwindel verflog. In Boxershorts und Sweatshirt kroch er ins Bett, nahm den Eisbeutel, den seine Mutter ihm dagelassen hatte, und legte ihn sich so vorsichtig wie möglich auf die Nase. Es tat einfach zu weh, deshalb schob er ihn aufs Auge. Das brachte ein wenig Erleichterung.

Im Dunkeln lag er da und schmiedete Pläne. Er würde von zu Hause weglaufen. So bald wie möglich würde er ein paar Klamotten in seinen Rucksack stopfen. Geld hatte er nicht viel, weil sein Vater alles bunkerte. Nur ein bisschen in einem Paar Socken, sein Spargeld für Computerspiele. Er könnte trampen. Das war bestimmt aufregend. Vielleicht nach New York. Er würde dieses Haus verlassen, in dem alles so perfekt aussah, in dem aber nicht nur sein Computerspielgeld, sondern auch superhässliche Geheimnisse verborgen waren. Er würde sich einen Job suchen. Das dürfte kein Problem sein. Schluss mit der Schule!

Wieder döste er ein. Zum Glück!

Er wachte auf, hörte erneut die Klinke und stellte sich schlafend. Es waren weder die Schritte seines Vaters noch die seiner Mutter. Als Britt ihm mit einer kleinen rosa Taschenlampe ins Gesicht leuchtete, machte er die Augen auf.

»Bitte nicht.«

»Psssst«, machte sie warnend. »Ich kann kein Licht machen, sonst wachen sie auf.« Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante und strich ihm liebevoll über den Arm »Ich hab dir ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade mitgebracht. Lasagne konnte ich keine bringen, weil sie es sofort gemerkt hätten, wenn etwas aus der Form fehlt. Du musst was essen.«

»Meinem Magen geht es nicht so gut, Britt.«

»Nur ein bisschen. Versuch, wenigstens ein bisschen zu essen.«

»Du musst gehen. Wenn sie dich erwischen …«

»Sie schlafen, ich habe extra nachgeschaut. Ich bleibe bei dir. So lange, bis du etwas essen kannst. Es tut mir so leid, Zane.«

»Nicht weinen.«

»Du weinst.«

Er ließ den Tränen freien Lauf. Er hatte nicht die Kraft, sie zurückzuhalten.

Britt schniefte ebenfalls. Sie wischte sich über die Augen und strich ihm anschließend über den Arm. »Ich hab dir Milch mitgebracht. Ob da ein Glas fehlt, fällt nicht auf. Ich hab alles aufgeräumt. Wenn du fertig bist, spüle ich das Glas.«

Sie flüsterten. Das waren sie gewohnt. Doch dann versagte ihr die Stimme. »Er hat dich so brutal verprügelt, Zane. Er hat gar nicht mehr damit aufgehört. Als du auf dem Boden gelegen bist, hat er dich in den Bauch getreten. Ich dachte, du wärst tot.« Sie legte den Kopf an seine Brust, und ihre Schultern bebten.

Er strich ihr übers Haar. »Hat er dir wehgetan?«

»Nein. Er hat mir die Finger in den Arm gebohrt, mich geschüttelt und geschrien, ich soll den Mund halten. Also habe ich aus Angst gehorcht.«

»Das ist gut. Du hast das richtig gemacht.«

»Nein, du.« Ihr Flüstern klang tränenerstickt. »Du hast dich bemüht, es richtig zu machen. Sie dagegen hat nicht mal den Versuch unternommen, ihn daran zu hindern, dir wehzutun. Sie hat nicht das Geringste gesagt. Als er fertig war, hat er ihr befohlen, das Blut auf dem Boden wegzuwischen. In der Küche würden noch Scherben liegen. Sie soll Ordnung machen, sich selbst in einen vorzeigbaren Zustand bringen und pünktlich um sechs das Abendessen auf den Tisch stellen.«

Britt richtete sich auf und reichte ihm das Sandwich, das sie fein säuberlich halbiert hatte. In diesem Moment liebte er sie so sehr, dass es fast wehtat. Er nahm das Brot, biss ab und merkte, dass er es bei sich behalten konnte.

»Wir müssen Emily, Grams und Pop sagen, dass du krank bist. Du hast die Grippe und bist ansteckend. Du musst dich auskurieren. Dad kümmert sich um dich. Er wird nicht zulassen, dass sie nach dir sehen. Danach müssen wir den Leuten in der Siedlung erzählen, dass du vom Rad gefallen bist. Das hat er beim Abendessen gesagt. Ich musste aufessen, sonst hätte er gleich wieder einen Tobsuchtsanfall gekriegt. Als ich wieder oben war, hab ich gespuckt.«

Er nahm noch einen Bissen und suchte im Dunkeln nach ihrer Hand. »Ich kenne das.«

»Wenn wir aus dem Urlaub zurückkommen, müssen wir sagen, dass du einen Skiunfall hattest. Dass du gestürzt bist und dass Dad sich um dich gekümmert hat.«

»Ja«, sagte er verbittert. »Das hat er allerdings.«

»Wenn wir nicht gehorchen, wird er dir wieder wehtun. Vielleicht noch schlimmer. Ich will nicht, dass er dir wieder wehtut, Zane. Du hast versucht, ihn davon abzuhalten, Mom zu schlagen. Du hast mich beschützt. Genau wie ich hattest du Angst, er könnte auch mich schlagen.« Er spürte, wie sie ihre Position veränderte, sah im schwachen Licht der Taschenlampe, dass sie sich aufrichtete und aus dem Fenster starrte. »Irgendwann wird er es tun.«

»Nein, das wird er nicht.« Neben Schmerz stieg Wut in ihm auf. »Du wirst ihm keinen Grund dafür liefern. Das werd ich nicht zulassen.«

»Er braucht keinen Grund. Man muss nicht erst erwachsen werden, um das zu verstehen.« Obwohl sie gefasst klang, kamen neue Tränen. »Ich glaube nicht, dass sie uns lieben. Wie kann er uns lieben und gleichzeitig wehtun? Wie kann er uns lieben und uns zwingen zu lügen? Sie kann uns auch nicht lieben, wenn sie alles zulässt. Ich glaube nicht, dass sie uns lieben.«

Er wusste, dass das stimmte. Das hatte er ein für alle Mal begriffen, als seine Mutter hereingekommen war und ihn völlig gefühlskalt angesehen hatte. »Immerhin haben wir uns.«

Während sie bei ihm saß und darauf achtete, dass er etwas aß, begriff er, dass er nicht von zu Hause weglaufen und Britt zurücklassen konnte. Er musste bleiben. Er musste stärker werden. So stark, dass er zurückschlagen konnte. Nicht, um seine Mutter zu beschützen, sondern seine Schwester.