Zum Buch
Eine Sammlung der schönsten Briefe rund um die Musik. Das Buch basiert auf der sensationell populären Website »Letters of Note«, einer Art Online-Museum des Schriftverkehrs, das bereits von über 70 Millionen Menschen besucht wurde. Mit Briefen von u.a. Leonhard Cohen, Charles Baudelaire, John Lennon, Kim Gordon, Hellen Keller und Udo Lindenberg.
Zum Autor
Shaun Usher ist Autor und alleiniger Betreiber der Blogs lettersofnote.com, listsofnote.com und speechesofnote.com. Hierfür durchforstet er die Archive dieser Welt nach faszinierenden Briefen, ungewöhnlichen Listen und inspirierenden Reden. Usher lebt mit seiner Frau Karina und seinen beiden Söhnen in Manchester. »Letters of Note – Briefe, die die Welt bedeuten« war sein erstes Buch, das gleich ein Weltbestseller wurde.
BEMERKENSWERTE BRIEFE
HERAUSGEGEBEN
VON SHAUN USHER
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Letters of Note – Music bei Canongate, Edinburgh
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Copyright © 2020 Shaun Usher
Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Lektorat: Markus Naegele
Redaktion: Kristof Kurz
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München,
unter Verwendung von Motiven
von © lesichkadesign/Bigstock,
© Klavapuk/Bigstock, © Lysenko. A/Bigstock
Satz: Leingärtner, Nabburg
e-ISBN: 978-3-641-25215-1
V001
www.heyne-hardcore.de
Für Billy und Danny
Inhalt
EINLEITUNG
Übersetzt von Markus Naegele
DER KERL HEISST MICK JAGGER
Keith Richards an seine Tante Patty
Übersetzt von Willi Winkler
Einleitung übersetzt von Kristof Kurz
BIS MIR BEINAHE DAS HERZ STEHEN BLIEB
Helen Keller an das New York Symphony Orchestra
Übersetzt von Stefanie Schlatt
Einleitung übersetzt von Kristof Kurz
DANKE UND ICH HOFFE, SIE ERSTICKEN
Ein Beatles-Fan an Nike, Inc.
Übersetzt von Conny Lösch
UNS TRENNT NUR EIN KLEINER SCHRITT
Leonard Cohen an Marianne Ihlen
Übersetzt von Karl Bruckmaier
DANKE
Dr. Mark Taubert an David Bowie
Übersetzt von Friederike Moldenhauer
Einleitung übersetzt von Kristof Kurz
DER GRÖSSTE MUSIKALISCHE GENUSS, DEN ICH JE EMPFAND
Charles Baudelaire an Richard Wagner
Übersetzt von Stefanie Schlatt
Einleitung übersetzt von Kristof Kurz
ICH HABE ZWEI HANDICAPS
Florence Price an Serge Koussevitzky
Übersetzt von Lisa Kögeböhn
VORSICHT, JUNGER MANN
Charles Mingus an Miles Davis
Übersetzt von Gunter Blank
ICH HABE PUNK ERFUNDEN
Lester Bangs an das East Village Eye
Übersetzt von Gunter Blank
EIN KOMPONIST FÜR SCHWACHKÖPFE
Erik Satie an Jean Poueigh
Übersetzt von Robert Brack
ICH HABE GELERNT, MICH ZU BESIEGEN
Pjotr Iljitsch Tschaikowski an Nadeschda Filaretowna von Meck
Übersetzt von Anja Freckmann
ES WAR KEINE BILLIGE IMITATION, ES WAR EIN LOVE-IN
John Lennon an Craig McGregor
Übersetzt von Alexander Wagner
FÜRWAHR EIN TRIUMPH
Lillian Nordica an ihren Vater
Übersetzt von Daniel Müller
KENNEN SIE MICH NOCH?
Yo-Yo Ma an Leonard Bernstein
Übersetzt von Stephan Kleiner
DRINGE AUCH IN IHR INNERES
Ludwig van Beethoven an Emilie H.
Einleitung übersetzt von Kristof Kurz
ICH SCHREIBE NICHT MAL MEINER MUTTER
Roger Taylor an den Rolling Stone
Übersetzt von Timur Vermes
Aida wird in den archiven verstauben
Giuseppe Verdi, Prospero Bertani und Giulio Ricordi
Übersetzt von Andrea Kunstmann
MIT DER BITTE UM NACHRICHT
Teo Macero an diverse Empfänger bei Columbia Records
Übersetzt von Gunter Blank
LASST EUCH VON NIEMANDEM SAGEN, WER IHR SEID
Angélique Kidjo an die Mädchen dieser Welt
Übersetzt von Frank Dabrock
HERR DOKTOR, NICHT DEN – DER HAT KEINEN RHYTHMUS!
Richard Strauss an Hans Diestel
HIER MAL DIE SZENE AUS MEINER SICHT
Rik Mayall an Bob Geldof
Übersetzt von Daniel Müller
WER IST KAREN CARPENTER WIRKLICH?
Kim Gordon an Karen Carpenter
Übersetzt von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger
Einleitung übersetzt von Kristof Kurz
BOCKMIST
Harry S. Truman an Paul Hume
Übersetzt von Oskar Rauch
DIE FARBE DER STERNE, DIE FARBE VON HAUT UND VON LIEBE
Jon M. Chu an Coldplay
Übersetzt von Berni Mayer
EIN VIRUS
Tom Waits an The Nation
Übersetzt von Willi Winkler
GRAS IST DES KÖNIGS
Lee »Scratch« Perry an Japans Justizminister
Übersetzt von Nikolaus Hansen
EINE HARMONISCHE KUNSTSCHÖPFUNG
Adele aus der Ohe an Steinway & Sons
Übersetzt von Alexander Wagner
BITTE ÄNDERN SIE DIE MUSIK IHRER WARTESCHLEIFE
Dr. Steven Schlozman an CVS
Übersetzt von Timur Vermes
ZEIG’S IHNEN, JUNGE
Nick Cave an Ptolemy
Übersetzt von Alexander Wagner
EIN DOKUMENT MEINER IRRITATION
Udo Lindenberg und Erich Honecker 181
ÜBERSETZERVITEN
ABDRUCKNACHWEISE
EINLEITUNG
Übersetzt von Markus Naegele
Es ist mir eine Freude, Sie zu Letters of Note – Musik begrüßen zu dürfen, einer Sammlung von außergewöhnlichen Briefen, die eine ganz besondere, positive und lebensbereichernde Macht zum Thema haben: die Musik, deren Bedeutung der große Louis Armstrong 1967 – ebenfalls in einem Brief – folgendermaßen auf den Punkt brachte:
»Musik ist wie das Leben selbst. Was wäre diese Welt bloß ohne gute Musik? Ganz egal, um welche Art von Musik es sich handelt.«
Musik besitzt die Kraft, die unterschiedlichsten Menschen zu vereinen und die tiefsten Wunden zu heilen. Eine einzige Note eines geliebten Songs kann uns in eine andere Zeit befördern und besser als die stärkste Droge in Hochstimmung versetzen. Ich übertreibe sicher nicht, wenn ich sage, dass das Leben um eine Dimension ärmer wäre, würde man die Musik verbieten. Dann wäre die eine wirklich universelle Sprache und ein wichtiges Mittel der Verständigung verloren. Die Menschen würden sich zunehmend voneinander entfremden.
Deshalb erscheint es mir angemessen, etwas so Wichtiges wie die Musik gebührend zu feiern: nämlich in Form einer weiteren besonderen Art der Kommunikation, des Briefs, dessen Tod in unserer sich so rapide verändernden Welt, in der wir uns von immer neuen technischen Spielereien verführen lassen, sehr viel wahrscheinlicher ist als das Ende der Musik. Die Dinge, die diese altmodische Form der Kommunikation so wertvoll machen, bleiben auf der Strecke. Natürlich ist es toll, mit einem Fingertippen auf einer Glasoberfläche einem weit entfernten Freund auf der anderen Seite der Welt ein Emoji zu senden, aber der physische Akt, einen Stift aufs Papier zu setzen und mit Überlegung, bewusst, und ohne sich ablenken zu lassen, einen Brief an jemand anderen zu komponieren, ist eine gewichtige, zutiefst befriedigende und nicht zu unterschätzende menschliche Tätigkeit.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass unser Leben sowohl ohne Musik als auch ohne Briefe bedeutend ärmer wäre.
Lassen Sie mich Ihr Dirigent sein, wenn wir beides in Form einer wohlklingenden Sammlung hochleben lassen, die – von 1812 bis zur Gegenwart – gut zwei Jahrhunderte umfasst. Es sind Briefe voller Dankbarkeit, Wut, Wahnsinn, Weisheit, Liebe, Zuversicht und Freude. Sie werden in das Jahr 1962 reisen und einen Platz in den vorderen Reihen einnehmen, wenn eine der größten Rock’n’Roll-Bands aller Zeiten zu Hochform aufläuft; 1981 verfolgt einer der einflussreichsten Musikkritiker der Punk-Ära das Genre zurück zu völlig unwahrscheinlichen Quellen; 2016 nimmt eine Musiklegende Abschied von ihrer geliebten Muse; 1924 bedankt sich eine taube Musikliebhaberin bei einem Orchester, dessen Aufführung sie auf ganz besondere Art und Weise »hören« konnte; 1943 schließlich bittet eine afroamerikanische Frau einen Dirigenten in einem herzergreifenden Brief darum, Geschlecht und Hautfarbe im Sinne des Fortschritts zu ignorieren. Dies und vieles mehr erwartet Sie auf den folgenden Seiten.
Ganz gleich, ob Sie Musikliebhaber sind oder nicht, diese Briefe werden Sie faszinieren. Und sollten Sie aus irgendeinem Grund keine Briefe mögen, dann werden die Geschichten und Botschaften Ihr Leben dennoch bereichern, dessen bin ich mir sicher.
Stellen Sie Ihr Mobiltelefon auf lautlos und seien Sie in den hinteren Reihen bitte still. Die Aufführung kann beginnen.
Shaun Usher
2019
DER KERL HEISST MICK JAGGER
Keith Richards an seine Tante Patty
April 1962
Übersetzt von Willi Winkler
Einleitung übersetzt von Kristof Kurz
Keith Richards ist seit 1962 Leadgitarrist und Songschreiber bei einer der erfolg- und einflussreichsten Bands aller Zeiten. Eine lebende Legende und Schöpfer einiger der bekanntesten Riffs in der Geschichte des Rock’n’Roll. Er steht schon so lange auf den größten Bühnen der Welt und spielt seine zeitlosen Songs, dass man sich einen Keith Richards ohne Superstarstatus kaum vorstellen kann. Dieser Brief, den er einst seiner geliebten Tante Patty schrieb, gewährt uns einen Einblick in die Zeit vor dem großen Ruhm: Aufgeregt beschreibt er eine schicksalhafte Begegnung vier Monate zuvor, als er am Bahnsteig auf den Zug zur London School of Economics wartete. Drei Monate später gaben die Rolling Stones im Marquee Club in London ihr erstes Konzert. Der Rest ist Geschichte.
6 Spielman Rd
Dartford
Kent
Liebe Pat,
tut mir leid, dass ich nicht eher (war unzurechnungsfähig) geschrieben habe. Abgang rechts unter donnerndem Applaus.
Ich hoffe jedenfalls, es geht Dir gut.
Wir haben einen weiteren herrlichen englischen Winter überstanden. Auf welchen Tag der Sommer wohl dieses Jahr fällt?
Aber ich hatte sooo viel zu tun seit Weihnachten, und nicht nur in der Schule. Du weißt doch, wie sehr ich auf Chuck Berry abfahre. Ich dachte immer, ich wäre meilenweit der einzige Fan, aber dann stehe ich eines Morgens mit einer Platte von Chuck am Bhf (das ist die Kurzform, damit ich nicht den ganzen Bahnhof ausschreiben muss) Dartford, als ein Knabe, den ich von der Grundschule her kenne, auf mich zukommt. Er besitzt sämtliche Platten von Chuck Berry, genau wie alle seine Freunde, und alle sind sie Rhythm-and-Blues-Fans – echter R&B (nicht dieser Mist von Dinah Shore oder Brook Benton, sondern: Jimmy Reed, Muddy Waters, Chuck, Howlin’ Wolf, John Lee Hooker), die ganzen Bluesmen aus Chicago, echt das Wahre, einfach klasse. Bo Diddley gehört auch zu den ganz Großen.
Der Kerl da am Bahnhof heißt Mick Jagger, und alle Mädchen und Jungs treffen sich jeden Samstagvormittag im »Carousel«, so einem Siffladen. Eines Morgens letzten Januar schaute ich dann mal vorbei. Seither interessieren sich plötzlich alle für mich, und ich bin zu zehn Partys eingeladen. Außerdem ist Mick der größte R&B-Sänger auf dieser Atlantikseite, und das meine ich ernsthaft. Ich spiele Gitarre (elektrisch) wie Chuck, wir haben inzwischen einen Bassisten und einen Drummer und eine Rhythmusgitarre und proben zwei, drei Abende die Woche. SWINGIN’!
Sie schwimmen natürlich nur so im Geld, wohnen in großen Doppelhaushälften, Wahnsinn, einer hat sogar einen Butler. Bin mit Mick hin (natürlich in Micks Auto, nicht in meinem). O Mann, Englisch ist UNMÖGLICH! »Darf ich Ihnen etwas bringen, Sir?«
»Wodka Lemon, bitte.«
»Gewiss, Sir.«
Kam mir vor wie ein Lord, hätte beinah nach meinem Krönchen verlangt, als ich ging.
Hier ist alles einfach toll.
Komme überhaupt nicht mehr von Chuck Berry weg. Hab mir grade eine LP von ihm gekauft, direkt von Chess Records in Chicago, das ist billiger als eine englische Platte.
Wir haben hier natürlich auch richtige Genies wie Cliff Richard, Adam Faith und die 2 neuen Schocker Shane Fenton und John Leyton – EINEN SOLCHEN MIST HAST DU NOCH NIE GEHÖRT. Außer von Schmalzlocke Sinatra, ha ha ha ha ha ha ha.
Immerhin ist mir nicht mehr langweilig. Samstag ist die ganze Nacht Party angesagt.
»I looked at my watch
It was four-o-five
Man I didn’t know
If I was dead or alive.«
Zitat Chuck Berry.
Reelin’ and a Rockin’.
12 Gall. Bier, ein Fass Cider, 3 Flaschen Whiskey, Wein. Ihre Eltern fort übers Wochenende und ich tanze bis zum Umfallen (und zwar gerne).
Nächsten Samstag gehen Mick und ich mit 2 Mädchen zu unserem Lieblings-Rhythm-and-Blues-Club in Ealing, Middlesex.
Dort haben sie einen Typen an der elektrischen Mundharmonika. Cyril Davies. Unglaublich, immer halb besoffen. Unrasiert, spielt wie ein Wahnsinniger, wunderbar.
So, mehr fällt mir nicht ein, mit dem ich Dich langweilen könnte, deshalb verabschiede ich mich jetzt, gute Nacht, liebe Zuschauer.
BREITES GRINSEN
Alles Lüübe
Keith xxxxx
Wer würde sonst solchen grauenhaften Quatsch schreiben …