Inhaltsverzeichnis
René Descartes
Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie, in welchen das Dasein Gottes und der Unterschied der menschlichen Seele von ihrem Körper bewiesen wird
Philosophie-Digital Nr. 23
Covergestaltung: andersseitig
Bearbeitung: andersseitig
ISBN: 9783961180202
2019 andersseitig.de
andersseitig Verlag
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01097 Dresden
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Die Dekane und Doktoren der
heiligen theologischen Fakultät zu Paris
grüsst
René Descartes.
Ein gerechter Grund bestimmt mich, Ihnen diese Schrift darzubringen, und ein ebenso gerechter wird Sie, wie ich vertraue, zu deren Vertheidigung veranlassen, wenn Sie die Absicht meines Unternehmens vernommen haben werden. Ich kann es deshalb hier nicht besser empfehlen, als wenn ich mit wenig Worten das dabei von mir verfolgte Ziel darlege.
Ich war immer der Ansicht, dass die beiden Fragen über Gott und die Seele die vornehmsten von denen sind, welche mehr mit Hülfe der Philosophie als der Theologie bewiesen werden sollten. Denn wenn auch für uns Gläubigen es genügt, wenn wir glauben, dass es einen Gott giebt, und dass die menschliche Seele nicht mit dem Körper untergeht, so kann man doch die ungläubigen niemals von einer Religion und einer sittlichen Tugend überzeugen, wenn man nicht zuvor Beides durch natürliche Gründe ihnen bewiesen hat. Denn in diesem Leben hat das Laster oft Aussicht auf grösseren Lohn als die Tugend, und deshalb würden Wenige das Rechte dem Nützlichen vorziehen, wenn sie nicht Gott fürchteten und ein anderes Leben erwarteten. Es ist allerdings richtig, dass man an Gottes Dasein glauben solle, weil die heilige Schrift es so lehrt, und dass umgekehrt man der heiligen Schrift glauben solle, weil wir sie von Gott haben; denn der Glaube ist ein Geschenk Gottes, und wer die Gnade zum Glauben des Einen gewährt, kann sie auch zum Glauben seines eigenen Daseins gewähren; aber dies kann man den Ungläubigen nicht vorhalten, da sie es für einen Zirkelschluss erklären würden.
Ich habe auch bemerkt, dass Sie sowohl wie andere Theologen behaupten, Gottes Dasein könne aus natürlichen Gründen bewiesen werden, und man könne selbst aus der heiligen Schrift zeigen, dass Gott leichter wie viele erschaffene Dinge zu erkennen sei und überhaupt so leicht, dass die, welche diese Kenntniss nicht haben, selbst die Schuld davon tragen. Dies erhellt aus den Worten in dem Buche der Weisheit, Kap. 13: »Doch sind sie damit nicht entschuldigt; denn haben sie so viel mögen erkennen, dass sie konnten die Kreatur hochachten, warum haben sie nicht viel eher den Herrn derselben gefunden?« Auch in dem Briefe an die Römer, Kap. 1, heisst es, »dass sie nicht zu entschuldigen seien,« und die Worte ebendaselbst: »denn dass man weiss, dass Gott sei, ist ihnen offenbar,« scheinen uns zu erinnern, dass Alles, was man von Gott wissen kann, durch Gründe erweisbar ist, die aus der eigenen Vernunft entnommen werden können.
Ich hielt es deshalb für eine lohnende Aufgabe, zu untersuchen, wie dies geschehen kann, und auf welchem Wege Gott leichter und gewisser als die weltlichen Dinge erkannt werde.
Was aber die Seele anlangt, so meinen Viele, dass ihre Natur nicht leicht erkannt werden könne, und Manche haben sogar die Behauptung gewagt, dass nach natürlichen Gründen sie mit dem Körper zugleich untergehen, und das Gegentheil nur auf den Glauben gestützt werden könne. Allein diese Ansicht ist von dem Lateranischen unter Leo X. abgehaltenen Konzil in der 8. Session verurtheilt worden, und die christlichen Philosophen werden da ausdrücklich aufgefordert, jene Behauptungen zu widerlegen und die Wahrheit nach Kräften darzulegen. Deshalb habe ich auch dies mir hier zur Aufgabe gesetzt.
Ueberdies weiss ich, dass viele Gottlose nur deshalb nicht an Gott und an den Unterschied der Seele von dem Körper glauben mögen, weil dies bis jetzt von Niemand habe bewiesen werden können. Diesen stimme ich nun zwar in keiner Weise bei, vielmehr haben meiner Ansicht nach beinahe alle von den grossen Männern dafür vorgebrachten Gründe bei gehörigem Verständniss volle Beweiskraft, und es werden kaum noch neue dafür aufgefunden werden können; allein kein Unternehmen schien mir in der Philosophie nützlicher, als die besten dieser Gründe sorgfältig zu sammeln und so genau und deutlich auseinanderzusetzen, dass sie später für Jedermann als volle Beweise gelten. Auch war es bekannt geworden, dass ich eine Methode zur Auflösung aller Schwierigkeiten in den Wissenschaften ausgebildet habe, die zwar nicht neu ist, denn nichts ist älter als die Wahrheit; aber deren ich mich in anderen Fällen mit Glück bedient habe, und ich wurde deshalb dringend dazu aufgefordert. So habe ich geglaubt, einen Versuch dazu machen zu sollen.
Was ich vermocht habe, ist in dieser Abhandlung vollständig enthalten. Ich habe allerdings nicht alle Gründe, die man beibringen könnte, hier gesammelt; denn dies verlohnt sich nur bei Gegenständen der Mühe, wo man keinen einzigen ganz gewissen Grund finden kann; ich habe vielmehr nur die ersten und vornehmsten aufgesucht, damit ich sie als die gewissesten und überzeugendsten Beweise hinstellen könnte. Auch möchten sie derart sein, dass dem menschlichen Geist kein Weg offen steht, auf dem er je bessere finden könnte; denn die Nothwendigkeit der Sache und der Ruhm Gottes, auf den Alles sich hier bezieht, zwingt mich, hier etwas offener über meine Arbeit mich auszusprechen, als es sonst meine Gewohnheit ist.
So sicher und überzeugend ich diese Gründe nun auch erachte, so mögen sie doch nicht der Fassungskraft Aller angepasst sein. Denn schon in der Geometrie haben Archimedes, Apollonius, Poppns und Andere Manches ausgesprochen, was Alle für überzeugend und gewiss halten, da der Inhalt, für sich betrachtet, leicht zu fassen ist, und das Spätere mit dem Früheren genau zusammenhängt; allein die Beweise sind etwas lang und verlangen einen aufmerksamen Zuhörer, und deshalb werden sie nur von Wenigen verstanden. So mögen auch hier die gebrauchten Beweise den geometrischen an Gewissheit und überzeugender Kraft gleich stehen, ja sie selbst übertreffen, und doch fürchte ich, dass sie von Vielen nicht gehörig erfasst werden, da sie auch etwas lang sind und einer in den anderen greift; aber hauptsächlich weil sie einen vorurtheilsfreien Geist verlangen, der sich leicht der Verbindung mit den Sinnen zu entziehen vermag. Auch sind wohl nicht so Viele zu metaphysischen Untersuchungen wie zu geometrischen geeignet; denn beide unterscheiden sich auch dadurch, dass man bei der Geometrie weiss, es werde nichts behauptet, wofür nicht sichere Beweise vorhanden sind, und Unerfahrene deshalb hier eher darin fehlen, dass sie Falschem zustimmen, in der Meinung, es zu verstehen, als dass sie das Wahre von sich weisen. Dagegen meint man, dass in der Philosophie über Alles für und wider gestritten werden könne; deshalb suchen hier Wenige nach der Wahrheit, und die Meisten streben nur durch dreiste Angriffe gegen alles Gute und Beste den Ruhm des Scharfsinns sich zu erwerben.
Wie also auch meine Beweisgründe beschaffen sein mögen, so werde ich doch, da sie die Philosophie angehen, durch sie nichts Erhebliches erreichen, wenn Sie mich nicht durch Ihre Fürsorge und Ihren Schutz unterstützen. Die allgemeine Achtung vor Ihrer Fakultät ist so gross, und der Name der Sorbonne hat so hohes Ansehen , dass nicht blos in Glaubenssachen nächst den heiligen Konzilien keine Körperschaft solches Vertrauen wie die Ihrige gefunden hat, sondern man erwartet auch in menschlicher Philosophie nirgends grössere Klarheit und Zuverlässigkeit und mehr Rechtlichkeit und Weisheit im Urtheil als bei Ihnen.
Wenn Sie deshalb diese Schrift Ihrer Fürsorge würdigen, so wird sie zunächst ihre Verbesserung von Ihnen erhalten; denn eingedenk meiner menschlichen Natur und hauptsächlich meiner Unwissenheit, behaupte ich nicht, dass sie fehlerfrei sei. Sodann werden Sie das, was noch fehlt, was nicht abgeschlossen ist, was eine weitere. Erklärung fordert, hinzufügen, vollenden, erläutern, und geschieht es nicht von Ihnen, so soll es von mir geschehen, nachdem ich von Ihnen belehrt sein werde. Endlich bitte ich, Sie wollen öffentlich erklären und bezeugen, dass die darin vorgebrachten Gründe für das Dasein Gottes und den Unterschied der Seele von dem Körper zu der möglichsten Klarheit erhoben worden und als die schärfsten Beweise anzusehen seien.
Sollte dies geschehen, so werden unzweifelhaft alle Irrthümer, welche über diese Fragen je bestanden haben, binnen Kurzem aus dem Geist der Menschen vertilgt sein. Denn die Wahrheit wird alle anderen gelehrten und scharfsinnigen Männer leicht Ihren Ausspruch unterschreiben lassen, und Ihr Ansehen wird allen Ungläubigen, die meist nur klug scheinen, aber nicht scharfsinnig und gelehrt sind, den Muth zum Widerspruch benehmen; schon damit sie nicht durch Bekämpfung von Gründen, die von allen scharfsinnigen Männern, wie sie wissen, anerkannt sind, sich den Schein der Einfalt aufladen.
Endlich werden alle Uebrigen so vielen Zeugnissen leicht vertrauen, und es wird dann Niemand in der Welt mehr sein, welcher das Dasein Gottes oder den Unterschied zwischen Seele und Körper in Zweifel zu ziehen wagt.
Den hohen Nutzen eines solchen Ergebnisses werden Sie bei Ihrer besonderen Weisheit am besten zu beurtheilen wissen, und es würde mir nicht geziemen, wenn ich Ihnen, die Sie immer die stärkste Stütze der katholischen Kirche gewesen sind, die Sache Gottes und der Religion noch weiter hier anempfehlen wollte. vertrügen sich vollständig, und letztere sei eine neue Stütze Für erstere. Dies zeigt, wie schwer selbst den grössten Männern es wird, den anerzogenen Glauben von sich abzuthun, und zu welchen Kunststücken die menschliche Vernunft sich entschliesst, um eine Versöhnung zwischen Geistern hinzustellen, die doch in Wahrheit aller Versöhnung spotten.
Schon vor einiger Zeit habe ich die Fragen über Gott und die menschliche Seele in der Abhandlung berührt, welche ich über »die Methode, richtig zu denken und die Wahrheit in den Wissenschaften aufzusuchen«, im Jahre 1637 in französischer Sprache veröffentlicht habe. Es war damals nicht meine Absicht, diese Fragen ausführlich zu behandeln, sondern nur sie zu erwägen und aus den Ansichten der Leser zu erfahren, wie ich sie später zu behandeln hätte. Auch schienen sie mir von solcher Wichtigkeit, dass ich ihre wiederholte Untersuchung für nöthig hielt. Endlich habe ich jetzt bei ihrer Darstellung einen so wenig betretenen und von dem gemeinen Gebrauch so entfernten Weg eingeschlagen, dass es mir nicht zweckmässig schien, es in einer französisch geschriebenen und damit Allen zugänglichen Schrift zu thun, weil dann auch schwache Köpfe sich leicht für berufen halten könnten, diesen Weg zu betreten.
Ich hatte dort gebeten, mir es mitzutheilen, wenn Jemand etwas Tadelnswerthes in meiner Schrift finden sollte. Von allen mir zugegangenen Entgegnungen in Bezug auf diese Fragen sind mir indess nur zwei so erheblich erschienen, dass ich mit Wenigem darauf antworten will, ehe ich auf die genauere Erörterung der Fragen eingehe. Die erste Entgegnung geht dahin, dass, wenn die menschliche Seele bei ihrer Selbstbeobachtung sich nur als denkendes Ding erfasst, nicht daraus folge, dass ihre Natur oder ihr Wesen darin allein bestehe, dass sie ein denkendes Ding sei, mithin nur das Wort »allein« alles Andere ausschliesse, was man auch als zur menschlichen Seele gehörig anführen könnte.
Darauf erwidere ich, dass auch ich dies nicht habe ausschliessen wollen in Bezug auf die Wahrheit der Sache (denn darum handelt es sich dabei nicht), sondern nur in Bezug auf meine Auffassung. Der Sinn ist also, dass ich nichts als zu meinem Wesen gehörig erkenne, ausser dass ich ein denkendes Ding bin, oder ein Ding, was das Vermögen zu denken besitzt. In dem Folgenden werde ich aber zeigen, wie aus meiner Erkenntniss, dass nichts weiter zu meinem Wesen gehöre, sich ergiebt, dass auch wirklich nichts weiter dazu gehört.
Nach der zweiten Entgegnung soll daraus, dass ich die Vorstellung einer vollkommeneren Sache, als ich bin, habe, noch nicht folgen, dass diese Vorstellung selbst vollkommen sei, und noch weniger, dass dieses in dieser Vorstellung Enthaltene bestehe. Hierauf antworte ich, dass hier in dem Wort »Vorstellung« eine Zweideutigkeit besteht; denn man kann es materiell für eine Thätigkeit der Seele nehmen, in welchem Falle die Vorstellung nicht vollkommener als ich genannt werden kann, oder gegenständlich für die Sache, die durch diese Thätigkeit vorgestellt wird, welche Sache, wenn sie auch nicht als ausserhalb des Denkens bestellend angenommen wird, doch in Bezug auf ihr Wesen vollkommener als ich sein kann. Wie aber daraus allein, dass die Vorstellung einer vollkommeneren Sache, als ich bin, in mir ist, folgt, dass diese Sache wirklich bestellt, wird in dem Folgenden ausführlich dargelegt werden.
Ausserdem habe ich zwar noch zwei lange Aufsätze gelesen; aber es wurden darin weniger meine Gründe über diese Fragen als meine Schlussfolgerungen mit Beweisen angegriffen, die den Gemeinplätzen der Atheisten entlehnt sind. Da solche Beweise für Die keine Kraft haben, welche meine Gründe verstehen, und die Urtheilskraft bei Vielen so verkehrt und schwach ist, dass sie sich mehr von dem überzeugen lassen, was sie zuerst hören, sei es auch noch so falsch und unvernünftig, als von der Widerlegung, die später kommt, sei sie auch noch so wahr und sicher, so mag ich darauf nicht antworten, damit ich es nicht erst mitzutheilen brauche. Nur im Allgemeinen will ich sagen, dass Alles, was gewöhnlich von den Atheisten gegen das Dasein Gottes vorgebracht wird, immer darauf hinausläuft, dass Gott menschliche Affekte zugetheilt werden, oder dass für unseren Geist eine solche Kraft und Weisheiten Anspruch genommen wird, dass wir meinen, Alles, was Gott thun könne und müsse, bestimmen und begreifen zu können.
Sind wir indess eingedenk, dass unser Geist nur als endlich, Gott aber als unbegreiflich und unendlich aufzufassen ist, so können uns diese Einwürfe keine Schwierigkeit verursachen.
So will ich denn, nachdem ich bereits einmal die mannichfachsten Urtheile der Menschen erfahren habe, nochmals diese Fragen über Gott und die menschliche Seele und zugleich die Grundlagen der ganzen Philosophie behandeln. Ich erwarte hierbei weder den Beifall der Menge noch eine grosse Zahl Leser; denn ich schreibe nur für solche, die ernstlich mit mir nachdenken und ihren Geist von ihren Sinnen und zugleich von allen Vorurtheilen abtrennen können und wollen, und deren giebt es, wie ich wohl weiss, nur Wenige. Diejenigen aber, die sich nicht die Mühe nehmen, die Folge und Verknüpfung meiner Gründe zu begreifen, die vielmehr ihre Beweise, wie es sehr gebräuchlich ist, nur gegen einzelne Sätze richten, werden keinen grossen Nutzen von dieser Schrift haben. Sie werden vielleicht oft Anlass zum Spotten finden; aber sie werden schwerlich etwas Schlagendes und der Antwort Werthes entgegenstellen.