image

Martin van Creveld

HITLER
IN HELL

Was er noch zu
sagen hätte …

image

Umschlaggestaltung: DSR – Werbeagentur Rypka, A-8143 Dobl, www.rypka.at

Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Nils Wegner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Hinweis: Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die zum Schutz vor Verschmutzung verwendete Einschweißfolie ist aus Polyethylen chlor- und schwefelfrei hergestellt. Diese umweltfreundliche Folie verhält sich grundwasserneutral, ist voll recyclingfähig und verbrennt in Müllverbrennungsanlagen völlig ungiftig.

Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne kostenlos unser Verlagsverzeichnis zu:

ARES Verlag

ISBN 978-3-99081-000-2
eISBN 978-3-99081-007-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, des auszugsweisen Nachdrucks oder der Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright der deutschen Erstausgabe: ARES Verlag, Graz 2018

Layout: Ecotext-Verlag, Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein, A-1010 Wien

Inhalt

Vorwort des Verlegers

Prolog

ERSTER TEIL:
Der Weg an die Macht

1. Im Elternhaus

2. Wien

3. München

4. Der Weltkrieg

5. Die Revolution

6. Beginn meiner politischen Tätigkeit

7. Der Putsch und seine Folgen

8. Meine glücklichsten Jahre

9. Hinein in den Sturm

10. Machtergreifung

ZWEITER TEIL:
Die Friedensjahre

11. Gleichschaltung

12. Es ist die Wirtschaft, Trottel!

13. Eine neue Art von Staat

14. Die Rassenfrage

15. Die deutsche Frau

16. Mein Privatleben

17. Die Wiederbewaffnung

18. Außenpolitik

19. Der Weg in den Krieg

DRITTER TEIL:
Die Kriegsjahre

20. Feuertaufe

21. Sieg im Westen

22. Von West nach Ost

23. „Die Welt wird den Atem anhalten!“

24. Meine neue Ordnung

25. Die Endlösung

26. Schicksalswende

27. Durchhalten

28. Götterdämmerung

Rückblickend betrachtet

Nachwort

Danksagungen

Über den Autor

Vorwort des Verlegers

Es ist hoffentlich überflüssig zu betonen, dass die im Buch geschilderte Weltsicht weder vom Autor noch vom Übersetzer oder dem Verlag geteilt wird. Dennoch scheinen mir einige begleitende Worte zur rechten Lektüre sinnvoll zu sein.

Martin van Creveld hat eine ungewöhnliche, aber umso erhellendere Form der Darstellung gewählt: die einer fiktiven Autobiografie. Dies impliziert, dass es Stellen in diesem Buch gibt, die manche Leserinnen und Leser als anstößig empfinden werden, weil Hitler in ihnen seine Weltsicht so zum Ausdruck bringt, wie er sie selbst manchmal im kleinen Kreis formuliert hat. Wenn sich solche Leser fragen, warum der Autor an diesen Stellen nicht den mahnenden Zeigefinger des Historikers erhoben und seine moralische Verurteilung geäußert hat, mögen sie bedenken, dass dies dem Wesen einer fiktiven Autobiografie widersprochen hätte.

Das ist aber noch nicht alles: Martin van Crevelds Absicht war es, zu zeigen, inwieweit Hitler ein Kind des „Zeitgeistes“ war, der damals in Deutschland (und nicht nur dort) herrschte, inwieweit er Antworten auf die Probleme der Menschen seiner Zeit hatte oder zu haben vorgab, und welche dieser Fragen noch heute aktuell sind. Es muss Gründe gegeben haben, deretwegen er so erfolgreich werden konnte. Dennoch haben Antisemitismus und Rassismus den entscheidenden Kern von Hitlers Weltanschauung ausgemacht, wenngleich er ihr wahres Ausmaß aus politischer Klugheit immer wieder zu verschleiern versuchte. Der Kunstgriff der fiktiven Autobiografie hat dem Autor nun die Möglichkeit gegeben, Hitler die bestimmenden Momente seiner Weltanschauung offen und ungeschminkt aussprechen lassen zu können und damit im Sinne Leopold von Rankes Geschichte so zu schildern, „wie es eigentlich gewesen“ ist. Darüber hinaus hat sich der Autor in seinem Nachwort ausführlich zu seiner Sicht- und Herangehensweise geäußert. In diesem Sinne muss auch die Lektüre des vorliegenden Buches erfolgen.

Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

Prolog

Ich, Adolf Hitler, bin in der Hölle. Dem Platz, den die Sieger ihren toten Gegnern zuweisen. Und nicht nur den toten, aber das ist ein anderes Thema. Die Hölle, das lasst euch gesagt sein, ist weder „ein furchtbarlich Gefängniß“ noch „nur endlos grimme Pein“, wie sie sich John Milton vorstellte, den ich nach meinem Tod in deutscher Übersetzung gelesen habe. Weit gefehlt! In gewisser Weise erinnert sie mich an das Landsberger Gefängnis, in dem ich den Großteil des Jahres 1924 zugebracht habe. Der Hauptunterschied ist, dass mich hier niemand besuchen kommt und ich keine Geschenke entgegennehmen kann. Davon abgesehen ähneln sich die Bedingungen sehr. Nicht luxuriös, aber einem Menschen wie mir angemessen, der bescheidene materielle Ansprüche stellt und immer ziemlich asketisch gelebt hat.

Es gibt keine Fenster, und meinem Geist – oder was auch immer es ist – steht es nicht frei, das Gelände zu verlassen, wenn es überhaupt eines ist. Von daher habe ich keine Ahnung, wo es liegt oder wie es von außen aussieht. Das heißt, sofern es denn ein „außen“ gibt. Das Licht, künstlich und immer eingeschaltet, verändert sich nie. Es scheint aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen, deshalb gibt es keine Schatten. Und es gibt auch keine Geräusche, abgesehen von den wenigen, die wir paar Insassen machen, wenn wir wie Geister herumflattern. Selbst die scheinen auf eine eigenartige, unheimliche Weise gedämpft zu sein. Für jeweils acht von 24 Stunden werde ich von Wachteufeln in meiner Zelle eingeschlossen. Niemals, niemals antworten sie auf meine Fragen; andererseits tun sie mir auch nichts Böses an. Das ist mehr, als man über viele Erdenbewohner sagen kann. Außerhalb dieser Zeit kann ich weitgehend tun, wozu ich Lust habe. Wen interessiert’s? Ich habe keine Bedürfnisse, ich habe keine Sorgen, und ich habe niemanden, den ich bekämpfen könnte. Ich schätze, das ist der Grund für meine verhältnismäßig milde Gestimmtheit.

Am meisten fehlen mir zwei Seelen: die meiner Schäferhündin Blondi und die von Eva Braun. Was Erstere angeht: Es scheint in der Hölle keine Hunde zu geben. Das deprimiert mich ein wenig, weil ich sie immer sehr gemocht habe. Die Szene in einem gewissen Film, in der ich rücksichtslos einen kleinen Hund erschieße, bloß weil er mir ein wenig auf die Nerven gegangen ist, ist frei erfunden. Mein erster Hund war ein weißer Terrier. Ich fand ihn in den Schützengräben, wo er eine Ratte jagte. Ursprünglich hatte er einem englischen Offizier gehört und verstand kein Wort Deutsch. Ich nannte ihn Fuchsl, und wir blieben ungefähr eineinhalb Jahre zusammen, bis ihn jemand stahl, was mich sehr traurig machte. Danach kamen etliche andere. Ich war stolz auf sie und brachte ihnen alle möglichen Kunststücke bei; wenn man sie fragte, was junge Mädchen machen, rollte sich Blondi – die letzte der Schar – auf den Rücken und streckte ihre Beine in die Luft. Was Letztere angeht: Es war lange Zeit ihr sehnlichster Wunsch gewesen, dass ich sie heiraten sollte. Unglücklicherweise erlaubte meine Verpflichtung gegenüber meinem Volk es nicht, dass wir so viel Zeit miteinander verbrachten, wie ich – und sie noch viel mehr – gern gewollt hätte. Was aber, wenn ich ihrem Wunsch gefolgt wäre? Während des Krieges lebte ich vor allem in meinen verschiedenen militärischen Hauptquartieren. Dort wäre sie arg deplatziert gewesen und hätte den ganzen Tag lang nichts zu tun gehabt. Ringsherum wären hunderte Männer gewesen, viele von ihnen sexuell ausgehungert, die sie angestarrt hätten. Und getratscht. Und gekichert.

Ich blieb mit ihr durch ein tägliches Telefonat und durch Briefe in Kontakt. Aber ich achtete darauf, dass unsere Korrespondenz nicht in die falschen Hände fiel. Im Gegensatz beispielsweise zu Napoleons Briefen an Josephine und den Telefonaten zwischen Prinz Charles und Camilla, wodurch deren intime Geheimnisse offengelegt wurden, sodass jedermann sie begeifern konnte. Mein Chefadjutant Julius Schaub, dessen persönliche Loyalität mir gegenüber bis in die Anfangstage der Partei zurückging, und Evas Schwester Gretl waren in dieser Hinsicht eine große Hilfe. Kurz vor Kriegsende widersetzte sich Eva zum ersten und einzigen Mal meinen Wünschen. Sie ließ ihrem Wagen einen Tarnanstrich verpassen, verließ Berchtesgaden und überrumpelte uns alle, indem sie unerwartet in Berlin auftauchte – mit dem ausdrücklichen Ziel, gemeinsam mit mir zu sterben. Das war ein Akt des Muts und der Liebe. Damals machte mich der bloße Gedanke an sie glücklich; das ist noch immer so. Die arme Frau … Bei meinen bescheidenen Bedürfnissen wusste sie nie, was sie mir schenken sollte! Ich habe keinen blassen Schimmer, wo sie ist und ob sie ist.

Wir alle hier scheinen nicht zu altern. Wir sind unzerstörbar. Nie wird jemand krank, nie stirbt jemand. Nie passiert überhaupt irgendetwas. Um zu verstehen, was für eine furchtbare Qual das ist, muss man es entweder selbst erlebt haben oder Gulliver auf seiner Reise ins Land der Unsterblichen begleitet haben. Ich bin am Leben und doch tot; ich bin tot und doch am Leben. Das Hauptproblem ist, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Das ist ein sehr wichtiger Grund, weshalb ich dieses Buch schreibe. Jetzt wie schon 1924 hilft mir der treue und schlichte, wenn auch manchmal launische Rudolf Heß bei meiner Arbeit. Aber es gibt ein paar Unterschiede. Als ich Mein Kampf schrieb, war ich noch ein relativer Neueinsteiger in der politischen Szene. Im Gefängnis hatte ich nur sehr wenige persönliche Unterlagen zur Hand. Deshalb musste vieles von dem, was ich in Band I (der im Gegensatz zu Band II weitgehend autobiografisch ist) schrieb, in erster Linie auf meinem Gedächtnis beruhen. Das übrigens, wenn ich das so sagen darf, wirklich ausgezeichnet ist.

Hier in der Hölle laufen die Dinge ganz anders. Um mich auf dem Laufenden zu halten, habe ich ein paar der weltweit führenden Experten für das Weltnetz bei mir, einschließlich des sogenannten „Schwarzen Weltnetzes“. Deutsche natürlich, und treue Anhänger. Die sind besser als diese beiden Rebellen Julian Assange und Edward Snowden zusammen! Sie versorgen mich mit Zugang zu allem. Wirklich allem, das jemals geschrieben, gefilmt, auf Ton- und Videoband oder sonst wie aufgezeichnet worden ist, bis in die unmittelbare Gegenwart. Damit können sie mir helfen, mein Leben und meine Zeit viel gründlicher und wahrheitsgetreuer zu dokumentieren, als ich es seinerzeit konnte.

Der Zufluss an Material ist so gigantisch, dass es zu seiner völligen Bewältigung vielleicht tatsächlich die unbegrenzte Zeit braucht, die vor mir liegt. Jeden Tag kommt noch viel, viel mehr dazu. Es gibt Bücher über meine Jugend, Bücher über meine Frauen, Bücher über meine angeblichen geistigen und körperlichen Gebrechen, Bücher über die Filme, die ich mochte, und die, die ich nicht mochte, Bücher über meine Medikamente, Bücher über meine Einstellung gegenüber den Juden und Bücher über meine Hauptquartiere und meine Leistungen als Feldherr. Es gibt sogar ein Buch darüber, wie schwer es ist, irgendetwas Neues über mich zu schreiben! Ganz zu schweigen von einer Lawine an Büchern (und Fernsehsendungen) über meine angebliche Nachkriegsflucht nach Südamerika. Man sagt mir, dass ich zu Beginn dieses Unterfangens hier, im Frühjahr 2015, ungefähr hundert Millionen „Treffer“ hatte. Stalin hatte nur 33 Millionen, Mao Zedong eine kümmerliche Million.

Aber es gibt noch einen anderen, wichtigeren Grund, weshalb ich schreibe. Die Geschichte ist, wie Schopenhauer geschrieben hat, „mit der Lüge so durch und durch inficirt wie eine Gassenhure mit der Syphilis“. Ich bin fest entschlossen, in diesem Buch meine Seite der Geschichte zu erzählen, die Dinge richtigzustellen und mit meinen Feinden abzurechnen – sowohl meinen zeitgenössischen als auch denen, die später von meiner Legende gelebt haben. Und während ich das tue, werde ich diese Bande nichtsnutziger Lügner in den Schatten stellen, die zahllosen „Historiker“, die ihr Bestes getan haben, um mich als das schlimmste Ungeheuer der gesamten Menschheitsgeschichte darzustellen. Ich werde sie „zu Brei und Brühe schlagen“, wie Goebbels früher sagte. Das ist meine Pflicht und mein Recht. Ist es nicht letzten Endes das, was Menschen in Positionen wie meiner immer getan haben? Denken Sie nur an Julius Caesar, dessen Lebenserinnerungen Schulkinder bis heute lernen müssen. Oder an diesen verlogenen Säufer Winston Churchill. Er hat für seine Mühen sogar einen Nobelpreis bekommen.

Zu guter Letzt habe ich mein ganzes Leben lang an den „unbesiegbaren Willen“ (nochmals Milton) geglaubt. Auch wenn ich in der Hölle bin: „Kniebeugend um Gnade flehen“ – diese Genugtuung werde ich meinen Feinden niemals bereiten. „Denn Geist und Seele bleibt unüberwindlich.“ Bis zum letzten Atemzug habe ich mit all meiner Kraft für das deutsche Volk gekämpft. Seitdem ist, wie ich höre, etwas namens „Godwin’s law“ entstanden. Es besagt: Je länger sich zwei Leute streiten, desto unausweichlicher wird es, dass zumindest einer von beiden den anderen als „Hitler“ bezeichnen wird. Abgesehen von unzähligen weniger bedeutenden Menschen sind unter anderem folgende Persönlichkeiten (fälschlich) mit meinem Namen bedacht worden: der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser, der sowjetische Ministerpräsident Nikolai Bulganin, der irakische Diktator Saddam Hussein, der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad (in seinem eigenen Land als „der Affe“ bekannt), der russische Präsident Wladimir Putin, der amerikanische Präsident Donald Trump … Eine Reductio ad Hitlerum, könnte man sagen. Die Israelis, die immer behaupten, ein Sonderrecht auf Leid zu haben, spielen dieses Spiel besonders gern. Es bereitet mir allerdings große Befriedigung, dass ihre Feinde aufgeholt haben und die gleiche Taktik gegen sie einsetzen, wenn beispielsweise jemand ein Plappermaul wie den Ministerpräsidenten Netanjahu „Hitler“ nennt. Sie wünschten, sie hätten nur einen Bruchteil meines Formats. Jeder Einzelne von ihnen.

Unglücklicherweise haben wir hier in der Hölle keine Möglichkeit, zu denen Kontakt aufzunehmen, die wir zurückgelassen haben. Deshalb kommt es momentan scheinbar nicht in Frage, sie auf den rechten Weg zu führen. Aber ich habe nicht vor, das Handtuch zu werfen. Ich nicht! Seit die ersten Menschen über das Antlitz der Erde streiften, haben sie stets auf die ausgefallensten Weisen versucht, die Toten zu erreichen und zu erfahren, was sie zu sagen hatten. Heutzutage gibt es einen ganzen Wissenschaftszweig, wenn man es so nennen will, der genau das zum Ziel hat. Sie können sich darauf verlassen, dass im Fall der Fälle und zu gegebener Zeit meine Stimme zu vernehmen sein wird. Laut und deutlich.

ERSTER TEIL:

Der Weg an die Macht

1. Im Elternhaus

Ich wurde am 20. April 1889 in Braunau am Inn geboren. In den 1930er Jahren wurde mein Geburtstag mit Fahnen, Zeremonien und Umzügen gefeiert, als ob ich irgendein Heiliger gewesen wäre. Das ist natürlich heute nicht mehr so – aber man hat ihn auch nicht vergessen. Mein Vater Alois wusste nicht sicher, wer sein Vater gewesen war. Das hat zu endlosen Mutmaßungen geführt, die Jahrzehnte nach meinem Tod noch immer anhalten. Einige haben sogar behauptet, dass er der Sohn eines Juden namens Frankenberger oder Frankenreiter oder so ähnlich gewesen sei! Wie sich daran zeigt, dass niemals eine Person dieses Namens ausfindig gemacht werden konnte, sind das alles bloß Lügen. Ursprünglich wurden sie von meinen politischen Gegnern verbreitet, die nichts lieber getan hätten, als mich mit diesem ganz speziellen Pinsel anzuschwärzen.

Dieser Umstand war es (und nicht etwa irgendwelche Sorgen, die ich diesbezüglich gehabt hätte), weshalb ich unmittelbar nach meinem Amtsantritt als Reichskanzler meinen ehemaligen Rechtsanwalt Hans Frank damit beauftragte, alle verfügbaren Informationen über meine Ahnen zu sammeln und sicherzustellen. Hat nicht schließlich einmal jemand gesagt, dass Wissen Macht sei? Frank war ein fähiger, wenn auch manchmal kleinkarierter Jurist, der die Partei oft vor Gericht vertreten hatte. Nach unserer Machtergreifung 1933 ernannte ich ihn zum bayerischen Justizminister sowie zum Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Juristenbunds und der Akademie für Deutsches Recht. Er erfüllte seine Aufgaben zu meiner Zufriedenheit, ebenso wie er es im besetzten Polen tat, wo er als unser Generalgouverneur diente. Später, als er als einer der sogenannten Hauptkriegsverbrecher in seiner Nürnberger Zelle saß, schrieb er ein Buch namens Im Angesicht des Galgens, in dem er einige der Gerüchte wiederholte. Vielleicht versuchte er, sich bei seinen Fängern anzubiedern.

Abgesehen von der angeblichen jüdischen Verbindung spielte es ohnehin keine Rolle. Manche Historiker haben behauptet, dass mein Vater nicht der Sohn von Johann Georg Hiedler gewesen sei, sondern von dessen Bruder Johann Nepomuk Hiedler. Das erinnert mich an die Geschichte eines gewissen Sprachwissenschaftlers – selbstverständlich eines Deutschen. Er verbrachte sein ganzes Leben mit dem Versuch, herauszufinden, wer die homerischen Epen geschrieben habe. Nach 30 Jahren kam er zu dem Schluss, dass es nicht Homer gewesen sei, sondern ein anderer Dichter, dessen Name ebenfalls Homer gewesen sei. Wen interessiert so etwas? Wir alle wissen, dass nicht einmal die strengsten Maßnahmen und die schlimmsten Strafen die weiblichen Angehörigen unserer Spezies jemals davon abgehalten haben, hier und da ein wenig Spaß zu haben. Schon gar nicht diejenigen, die mit Blaublütern verheiratet sind, diesen verweichlichten Wichtigtuern. Ich habe erst kürzlich gelesen, dass selbst die britische königliche Familie einige interessante Brüche in ihrem Erbgut hat. Das Gleiche gilt für die Juden. Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch hat kein anderes Volk sich so sehr darum bemüht, rein von fremdem Blut zu bleiben. So gesehen waren eine ganze Menge von ihnen viel „rassistischer“ als ich! Doch die jüdischen Frauen scheinen kein bisschen besser zu sein als alle anderen. Das ist der Grund, weshalb es kein einziges Gen gibt, das alle Juden gemeinsam hätten, wie wissenschaftliche Erkenntnisse unlängst gezeigt haben.

Sollen die Professoren, die sich immer so wichtig nehmen, ruhig herumschwätzen, so viel sie wollen. Was wirklich zählte, war die Tatsache, dass ich im Gegensatz zu so vielen anderen Herrschern – einschließlich der meisten deutschen – nicht in einem Palast geboren wurde. Ich trug kein „von“, „zu“ oder „und“ in meinem Familiennamen. „Hitler“, manchmal auch „Hietler“ oder „Hüttler“ geschrieben, bedeutet „Häusler“. Meine Vorfahren kamen aus dem Waldviertel, das weit weg von Wien lag und als ärmste Region Österreichs bekannt war. Genauso wenig war ich ein Herr Doktor. Ich war ein Mann des Volkes. Und das blieb ich auch, soweit es mir meine Amtspflichten erlaubten, bis ans Ende meines irdischen Daseins. Ich war „unser Hitler“, wie es Goebbels gern ausdrückte. Was meinen Vornamen angeht, so ist er eine Verbindung aus den zwei uralten deutschen Wörtern „Adal“ und „Wulf“ – edler Wolf. Ich mochte Wölfe und zeichnete sie oft vor mich hin. Während der Kampfzeit benutzte ich den Decknamen Wolf; eine von denen, die mich zuerst unter diesem Namen kennenlernten, war Eva Braun. Später benannte ich mehrere meiner Hauptquartiere danach.

Mein Vater lernte meine Mutter, Klara Pölzl, im Jahre 1876 kennen, als sie als Dienstmädchen in seinen Haushalt kam. Neun Jahre später, nachdem er zum zweiten Mal verwitwet war, heirateten sie. Er war 47, sie war 25. Von ihren sechs Kindern erreichten nur meine Schwester Paula, die sieben Jahre jünger war als ich, und ich selbst das Erwachsenenalter. Alle anderen starben in sehr jungen Jahren. Zum Haushalt gehörten auch noch zwei ältere Nachkommen der früheren Ehen meines Vaters, mein Halbbruder Alois jr. und meine Halbschwester Angela. Schließlich war da noch die alte Jungfer Johanna, die Schwester meiner Mutter. In der Familie wurde sie Hanitante genannt.

Ein paar Psychiater – zu meiner Zeit nannte man sie Irrenärzte – haben die absurdesten Vermutungen über meinen geistigen Zustand angestellt. Einer von ihnen, ein amerikanischer Jude namens David Luck, hat geschrieben, dass ich an einer „malignen Oralität“ (was auch immer das bedeuten soll) gelitten hätte, ebenso wie an einer Sexualität, die „entweder vollständig narzisstisch oder prägenital pervers“ gewesen sei. Ein anderer, Robert Waite, behauptete, dass ich meine Eltern beim Geschlechtsverkehr beobachtet und mich daraufhin in einen „psychopathischen Gott“ verwandelt hätte. All das und noch viel mehr ist reine Erfindung, die einzig den Zweck hat, mich als irgendeinen Geistesgestörten erscheinen zu lassen. Viel von diesem Unsinn lässt sich ebenso zu meinem Gegner Otto Strasser zurückverfolgen wie zu diesem Vollidioten Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, meinem ehemaligen Auslandspressechef. Der feine Herr mit dem Rauschmittelnamen stammte aus einer künstlerisch veranlagten Familie und hatte in Harvard eine amerikanische Bildung genossen. Putzi war ein Snob und verübelte mir meine Verbundenheit zu einigen Leuten in meinem Umfeld – der „Chauffeureska“, wie er sie zu nennen pflegte – sehr, die nicht so kultiviert waren, wie er selbst zu sein glaubte. Er war derart aufgeblasen, dass ich mich 1937 dazu entschloss, ihm einen Streich zu spielen. Dabei stellte sich heraus, dass er nicht nur ein Feigling, sondern auch ein Esel war. Kurze Zeit später verließ Putzi Deutschland, veröffentlichte ein Buch, in dem er alle möglichen schrillen Geschichten über mich verbreitete, und hoffte, auf meine Kosten Geld verdienen zu können.

Die Theorie hinter all diesen Spekulationen entstammte dem kranken Hirn des idealtypischen Juden Sigmund Freud, der sich die genauso jüdische Psychoanalyse ausdachte und die Frechheit besaß, sie als Wissenschaft zu bezeichnen. Eine Behauptung übrigens, die auch von seinen jüdischen Glaubensbrüdern an der Hebräischen Universität Jerusalem zurückgewiesen worden ist, wo man sich weigerte, die Psychoanalyse in den Lehrplan aufzunehmen. Freud behauptete, dass die meisten, wenn nicht sogar alle geistigen Störungen ihren Ursprung in sexuellen Problemen hätten. Es war seine Idee, dass die Beobachtung der eigenen Eltern bei ihrem „Urakt“ zu allen möglichen Geisteskrankheiten führen könnte. Wenn man sich seine Veröffentlichungen anschaut, dann spricht er dabei ziemlich sicher aus eigener Erfahrung! Als Nächstes drehten er und seine Bande, von denen fast alle ebenfalls Juden waren, diesen Unsinn seinen unglücklichen Patienten an und machten damit vermutlich viele von ihnen sogar noch verrückter, als sie sowieso schon waren.

Was die selbsternannten „Analytiker“ übersahen, war die simple Tatsache, dass nicht jeder Mensch ein so guter Spießbürger war wie sie. Genauso wenig verbrachten die meisten Menschen ihr Leben in einer geräumigen Wiener Wohnung. Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch haben die meisten Kinder stets zusammen mit ihren Eltern in einem einzigen Zimmer oder in einer Hütte gelebt. Eine ganze Menge von ihnen wuchs in Zelten auf. Ob es einem gefiel oder nicht, praktisch von ihren ersten zaghaften Schritten an bekamen sie alles mit – alles. Ganz zu schweigen von dem, was sie ringsum in der Natur und auf ihren Höfen mitansehen konnten! Und doch wurden sie beinahe alle zu völlig normalen Menschen. In der Tat sind es oft die Ärzte und nicht ihre Patienten, die völlig irre sind.

Auch andere verbrachten ihre Zeit damit, geradezu besessen nach allen nur denkbaren Absonderlichkeiten an meinem Körper, in meinem Geist, in meiner Familie und sonst wo zu suchen. Der amerikanische Psychologe Walter Langer kritisierte im Auftrag des OSS, des Vorläufers der CIA, mein strenges Hygieneverhalten und meinen wählerischen Kleidergeschmack. Als ob es eine Tugend sei, ungewaschen in einem schmutzigen Mantel mit fleckigem Kragen herumzulaufen, und als ob ich, der arm und obdachlos gewesen war, nicht viel besser als er gewusst hätte, was es bedeutete, sich nicht waschen und nicht die Kleider wechseln zu können. Ich könnte immer und immer weiter über dieses Thema sprechen. Aber sollen die vergangenen, heutigen und zweifelsohne auch zukünftigen Psychologen ruhig in ihren krankhaften Fantasien schwelgen.

Tatsächlich war die Familie, in der ich aufwuchs, kein bisschen ungewöhnlich für die damalige Zeit. Einerseits aufgrund des Altersunterschieds und andererseits aufgrund der gesellschaftlichen Stellung meines Vaters (dazu gleich mehr) war es unvermeidlich, dass er versuchte, seine Frau zu beschützen, zu führen und, ja, bis zu einem gewissen Grad auch zu beherrschen und zu erziehen. Das Gleiche taten damals – in einer Zeit, in der es selbstverständlich war, dass Frauen ihre Ehemänner zu lieben, zu schätzen und ihnen zu gehorchen hatten, und in der der große feministische Aufstand noch Jahrzehnte weit entfernt lag – unzählige andere. Mein Vater war nicht frei von Fehlern. Nichtsdestoweniger führte er einen intakten Haushalt. Er und meine Mutter ließen sich nicht voneinander scheiden, so wie es in den „entwickelten“ Ländern der heutigen Welt 40 Prozent der Ehepaare tun. Er übernahm Verantwortung und kümmerte sich um seine Familie, so gut er konnte. Ich bin auch nicht mit Stiefeltern aufgewachsen, oder mit lesbischen „Eltern“, schwulen „Eltern“, transsexuellen „Eltern“, Ersatz„eltern“, oder was auch immer für „Eltern“ die moderne Gesellschaft ihrer bedauernswerten Brut noch antut.

Gesellschaftlich und finanziell gehörten wir zur unteren Mittelschicht. Mein Vater hatte seine bescheidene Herkunft ebenso überwunden wie seine mangelnde Schulbildung und sich hochgearbeitet. Am Ende bekleidete er die angesehene Stellung eines kaiserlichen und königlichen Zollbeamten. Wie viele meiner Biografen angemerkt haben, zog mein Vater einige Male mit seiner Familie um, zum Teil deshalb, weil sein Dienstherr ihn immer wieder versetzte, zum Teil deshalb, weil er es wollte. Damit soll offensichtlich angedeutet werden, dass in seinem Leben irgendetwas grundlegend falsch gelaufen sei und dieser „Umstand“ mein eigenes Leben maßgeblich beeinflusst habe. Aber auch das ist Schwachsinn. Auf der ganzen Welt zogen Familien viel häufiger um als meine. Dazu zählen auch Soldatenfamilien, in denen es bis heute so ist. Und fangen wir erst gar nicht an von Unternehmensleitern, die mit wenig Vorlaufzeit und noch weniger Mitspracherecht von einem Ende der Welt an ein anderes „versetzt“ werden. Trotzdem lässt sich aufgrund solcher Umzüge wenig, wenn überhaupt irgendetwas, über das spätere Leben ihrer Kinder aussagen.

Es ist auch nicht wahr, dass mein Vater „wie ein Schlot“ geraucht habe, wie der englische Historiker Ian Kershaw im Stil eines Taschenspielertricks und ohne auch nur den geringsten Beweis behauptet hat. In Wahrheit war er nicht abhängiger von dieser Unsitte, als es die meisten Männer zur damaligen Zeit und am damaligen Ort waren. Damals hielten Männer das Rauchen für ein Zeichen von Reife und Männlichkeit. Sie waren stolz darauf und ließen sich oft mit einer Zigarette im Mund porträtieren oder fotografieren. Franz Joseph, der erste österreichische Kaiser, der rauchte, gab das Vorbild dazu ab. Viele Bibliotheken und Salons, die ihren Besuchern bis ungefähr 1860 das Rauchen verboten hatten, erlaubten es ihnen danach ganz selbstverständlich. Es war den Mitgliedern jeder Art von Ausschuss und Gremium erlaubt, während der Geschäftszeiten zu rauchen – es wurde sogar von ihnen erwartet. Wenn man nicht rauchte, dann war man nichts wert. Das galt sogar mehr und mehr auch für Frauen; sie äfften die Männer nach und fingen mit dem Rauchen an, um ihre „Unabhängigkeit“ zu beweisen.

Mein Vater ging auch hin und wieder in die Kneipe und trank sein Glas Wein oder Bier. Hin und wieder mag er auch ein wenig zu viel getrunken haben. Wie so viele andere war er aufbrausend. Wie so viele andere mochte er es nicht, wenn man ihm widersprach. Ich war zu Hause sein Hauptgegner, und manchmal schlug er mich. Aber er hat mich niemals ernsthaft verletzt. So oder so war auch das nichts Besonderes, sondern für so gut wie jedermann völlig selbstverständlich. Wie es im Alten Testament, das ich in der Schule lesen musste, heißt: „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn.“ Wenn ich aus der Hölle auf die westliche Gesellschaft hinabblicke, wie sie sich seit meiner Zeit entwickelt hat, dann bin ich geneigt, dem zuzustimmen.

Wie ich in Mein Kampf umfänglich dargelegt habe, ging es in den meisten Streitigkeiten zwischen meinem Vater und mir um seine Erwartungen. Er selbst hatte sein Leben im Dienst des Kaisers Franz Joseph verbracht, dem er sowohl treu als auch sehr, sehr dankbar war. Angesichts seiner Herkunft, der Anstrengungen, die er in seine Laufbahn investiert hatte, und seines letztendlichen Erfolgs ist es wenig überraschend, dass er wollte, dass ich in seine Fußstapfen trat. Ich sollte Regierungsbeamter werden. Das aber lehnte ich ab. Einmal nahm er mich mit zu seiner Arbeitsstelle und führte mich herum, um mich umzustimmen. Die Wirkung war jedoch das genaue Gegenteil von dem, worauf er gehofft hatte. Ich sollte mein Leben als Affe in einem Käfig verbringen und Formulare ausfüllen? Niemals.

Stattdessen beschloss ich im Alter von zwölf Jahren und aufgrund meiner zeichnerischen Begabung, die bereits damals offensichtlich wurde, Künstler zu werden – Maler. Maler? Mein Vater glaubte, ich hätte den Verstand verloren. Das war um die Jahrhundertwende. Künstler waren für ihren unbürgerlichen Lebenswandel berühmt – oder berüchtigt, je nach Standpunkt –, ebenso wie für ihre Unfähigkeit, zuverlässig zu arbeiten und Arbeitszeiten einzuhalten. Angeblich brauchten sie freie Zeit und ein gewisses Maß an Unordnung, um ihre schöpferischen Fähigkeiten zu entfalten. Eine Sichtweise, der ich übrigens voll und ganz zustimme. In diesem Sinne standen sie für das genaue Gegenteil von allem, wofür mein Vater stand: Pflichtbewusstsein, Gewissenhaftigkeit, Fleiß, Vorschriftsmäßigkeit und Pünktlichkeit. Ganz abgesehen davon, dass es damals ebenso wie heute für einen unbekannten jungen Mann alles andere als einfach war, als Künstler über die Runden zu kommen.

Er und ich gerieten über dieses Thema oft aneinander, was bis zu seinem Tod so blieb. Wenn es so weit kam, tat meine Mutter ihr Bestes, um mich zu beschützen. Sie war jedoch nicht immer erfolgreich. Sie war tiefgläubig, bescheiden, fromm, fürsorglich und so lieb, wie man nur sein konnte. Sie trauerte um die vier Kinder, die sie verloren hatte, und tat alles, um meine Schwester und mich zu verwöhnen. Auch das passte zum Zeitgeist. Mein Zuhause war bei weitem nicht das einzige, in dem Frauen und Mütter, die ihr Los bereitwillig annahmen und zweifellos einiges im Stillen erduldeten, als Familienheilige handelten. Der spätere amerikanische Präsident Richard Nixon beispielsweise sagte das Gleiche über seine Mutter (die ebenfalls den Tod einiger ihrer Kinder zu beklagen hatte). Seiner Biografie nach zu urteilen, war der Einfluss seiner Mutter auf ihn anscheinend kein bisschen geringer als der meiner Mutter auf mich. Nichtsdestoweniger war meine Mutter die beste von allen. Ich liebte sie mehr als meinen Vater; meine Gefühle ihm gegenüber lassen sich besser als Respekt bezeichnen.

Wegen der häufigen Umzüge meiner Familie besuchte ich mehrere verschiedene Volksschulen, doch in keiner von ihnen war ich ein mehr als durchschnittlicher Schüler. Wie Sie sich sicher denken können, lag das nicht daran, dass ich Schwierigkeiten gehabt hätte, zu verstehen oder mir zu merken, was uns beigebracht wurde. Ganz im Gegenteil, der Großteil des Stoffs und der Aufgaben, die wir bekamen, war lächerlich einfach. Ich halte Schulen so oder so für eine stark überbewertete Institution, wie ich später oft feststellte. Es ist richtig, dass eine Gesellschaft nicht ohne sie auskommt. Immerhin braucht sie Menschen, die lesen, schreiben und rechnen können. Aber vieles von dem, was sie lehren, war und ist Unsinn. Braucht es beispielsweise alte Sprachen? Davon abgesehen, sind Lehrer wohl kaum die erfolgreichsten Mitglieder der Gesellschaft. Ich erinnere mich, dass sich meine vor allem durch verdreckte Hemden und ungepflegte Bärte auszeichneten. Kein Wunder, dass sie – mit wenigen Ausnahmen – kaum etwas taten, um ihre Schüler auf den Ernst des Lebens vorzubereiten.

Mein schulisches Betragen, das einer meiner Lehrer als „wechselhaft“ beschrieb, spiegelte zwei Faktoren wider. Erstens war es, wie ich gerade erläutert habe, ein Aufbegehren gegen die Pläne meines Vaters für mich – ich vernachlässigte einfach alles, was mich nicht interessierte. Zweitens spielte ich viel lieber draußen, als meine Hausaufgaben zu machen. Es gab eine Bande von uns jungen Schuften, die immer nach neuen Spielmöglichkeiten Ausschau hielt. Und bei vielen dieser Spiele war ich der Anführer. Viele unserer Anregungen stammten von Karl May, dem Autor zahlloser Bücher über den Wilden Westen, von denen ich alle las und wieder las, die ich in die Hände bekommen konnte. Sie waren so einfach zu verstehen, so anschaulich, so bunt und so voller Abenteuer und Fantasie – ich war überwältigt! Wir teilten uns in Gruppen auf, verteilten Rollen und „kämpften“ gegeneinander.

Ein anderer Einfluss war ein Bilderbuch über den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, das ich in der Bibliothek meines Vaters gefunden hatte. Noch ein anderer waren Zeitungsberichte – es gab damals noch keine „Medien“ – über den Burenkrieg von 1899 bis 1902. Wir Kinder lasen sie begierig. Was auch immer einige meiner Biografen geschrieben haben mögen: Daran war überhaupt nichts Außergewöhnliches. Überall auf der Welt spielen Kinder noch heute ähnliche Spiele, sofern sie nicht an ihren Rechnern, iPhones und sonst nicht was kleben.

Mein bei weitem bester Lehrer und der einzige, der einen bleibenden Eindruck auf mich hatte, war Leopold Pötsch. Ich würde sogar sagen, dass er dabei half, mein gesamtes zukünftiges Leben zu bestimmen. Pötsch war ein ausgezeichneter Redner, so wie es nur jemand sein kann, der von einer Sache begeistert ist. Er verfügte über die Gabe, uns junge Schüler in die Vergangenheit zurückzuversetzen und diese für uns lebendig werden zu lassen. Und während er das tat, machte er mich zu einem Nationalisten. Mir wurden die endlosen Kämpfe auf Leben und Tod zwischen den Deutschen und den Anderen bewusst: den Römern, den Hunnen, den Ungarn, den romanischen Völkern, den Mongolen, den Mohammedanern – die zweimal Wien belagert hatten – und nicht zuletzt den Slawen. Teils aufgrund seiner geografischen Lage in der südöstlichen Ecke des Reiches und teils wegen seines eigenen Wesens als Vielvölkerstaat war Österreich eine entscheidende Rolle in diesen Kämpfen vorherbestimmt – viel entscheidender, als es den meisten Reichsdeutschen der damaligen Zeit lieb war.

Seit dem Jahr 962 und Kaiser Otto dem Großen hatte es immer ein Deutsches Reich irgendeiner Art gegeben. Erst 1806 hatte dieses Reich aufgehört, in dieser Form zu bestehen, nachdem es von einem ausländischen Eroberer – Napoleon – unterworfen worden war. Zu einem weiteren Schlag für die deutsche Einheit kam es 1866, als Österreich gegen Preußen in den Krieg zog und verlor. Später, 1918/19, waren es die siegreichen Alliierten, die sich über den ausdrücklichen Willen des österreichischen Volkes hinwegsetzten und drohten, Gewalt anzuwenden, wenn sich die beiden Teile unserer Nation vereinigen sollten. Vor dem Hintergrund ihrer erklärten Prinzipien muss ich wohl kaum darauf hinweisen, wie verlogen diese Entscheidung war.

Um 1900 lag das jedoch alles noch in der Zukunft. Wir jungen Menschen waren davon überzeugt, dass die deutsche Nation in einem einzigen Staat wiedervereinigt werden müsse, so wie sie es beinahe neun Jahrhunderte lang gewesen war. Wir spürten auch, dass das größte Hindernis auf dem Weg dahin das Haus Habsburg mit seiner langen völkerübergreifenden Tradition und seiner Entschlossenheit zur Herrschaftswahrung war. Wir taten, was wir in unserem Alter tun konnten, um die Interessen des Deutschtums gegen die gewaltigen Massen der nichtdeutschen Völker zu vertreten, die das Reich bewohnten, sich wie die Karnickel vermehrten und es zu überschwemmen drohten, indem wir die entsprechenden Abzeichen trugen, die entsprechenden Fahnen schwenkten, Kleingeld sammelten und so weiter.

Was mir Pötsch auch noch beibrachte, war mit dem eben Genannten eng verbunden: die überragende Wichtigkeit, die Geschichte zu studieren, zu verstehen und angemessen zu verwenden. Wie ich später in Mein Kampf schreiben sollte: „Geschichte ,lernen‘ heißt die Kräfte suchen und finden, die als Ursachen zu jenen Wirkungen führen, die wir dann als geschichtliche Ereignisse vor unseren Augen sehen.“ Mit anderen Worten: Wir sollten nicht nur auswendig lernen, was vor langer Zeit geschehen ist; so etwas mag vielleicht unterhaltsam sein, aber es ist auch nutzlos. Das wahre Ziel ist es, mit Hilfe von Beispielen aus der Vergangenheit die Gegenwart zu erhellen und daraus Lehren für die Lebenspraxis zu ziehen.

Viel später habe ich einmal gesagt, dass ein Mann, der die Geschichte nicht kennt, wie ein Mann ist, der kein Gesicht hat. Wie kann er (oder, Herrgott nochmal, meinetwegen auch sie) ohne Wissen über die Vergangenheit zu einem wohlüberlegten Urteil über die Gegenwart und die Zukunft gelangen? Das gilt umso mehr, je wichtiger die Position ist, die er bekleidet. Dieser Ansicht bin ich nach wie vor. Tatsächlich ist eines der größten Defizite der Hölle gerade, dass die Abläufe hier eintönig und unveränderlich sind. Es gibt weder eine Zukunft noch eine Vergangenheit, die man studieren und aus denen man Schlüsse ziehen könnte, was das Ganze zu einem gänzlich uninteressanten Ort macht, an dem nie irgendetwas passiert. Allein schon deshalb verdient er den Namen Hölle.

Zur Jahrhundertwende lebten wir in Linz, einer reizenden Stadt an der Donau, die ich seitdem immer als die Stadt meiner Jugend betrachtete und mit der mich viele schöne Erinnerungen verbinden. Die Streitereien mit meinem Vater hielten noch immer an und führten dazu, dass meine Noten noch schlechter wurden. Ich wollte einfach nicht den Weg beschreiten, den er für mich auserkoren hatte; es war einer, auf dem man nicht nachdenken musste, wie er selbst einmal gesagt hatte. In meinem 13. Lebensjahr wurde er uns genommen. Er war noch bei bester Gesundheit, als ein Hirnschlag seinem irdischen Dasein ein schmerzloses Ende bereitete und uns alle in tiefer Trauer zurückließ. Es war sein größter Wunsch gewesen, seinem Sohn dabei helfen zu können, eine Laufbahn anzutreten, und mir die schweren Prüfungen zu ersparen, die er selbst hatte durchmachen müssen. Doch es schien ihm, als seien all seine Sehnsüchte vergeblich gewesen. Und doch hatte er den Grundstein für eine Zukunft gelegt, die keiner von uns beiden damals vorhersehen konnte, auch wenn es ihm nicht bewusst war.

Nachdem mein Vater gestorben war, hatte ich nur wenige Schwierigkeiten, meine Mutter davon zu überzeugen, dass ich wirklich Maler werden sollte. Ich besuchte weiterhin die Unterrealschule. Weil sie weder Griechisch noch Latein anbot, galt sie gegenüber dem Gymnasium als minderwertig. Sie endete nicht mit der Matura und war für diejenigen gedacht, die keine Universität besuchen wollten. Ich machte mehr oder weniger unermüdlich weiter. Gelegentlich musste ich Prüfungen wiederholen oder die Schule wechseln. Ich schlug mich gut genug, um zur Oberrealschule zugelassen zu werden. Trotzdem interessierte mich die Schule zu jener Zeit nicht mehr als vorher.

1905 wurde ich schwer krank – irgendein Lungenleiden, das meine Mutter fast zu Tode ängstigte. Nachdem ich mich erholt hatte, ließ ich meine Schulzeit endlich hinter mir. Das tun außergewöhnlich begabte Menschen oft. Steve Jobs, Bill Gates und zu meinen eigenen Lebzeiten Josef Stalin haben nie eine Hochschule abgeschlossen und erst recht keinen Doktortitel erworben, wie es heutzutage so gut wie jeder tun muss, der es zu etwas bringen will. Mindestens einer, nämlich Richard Branson, der Gründer des Unternehmens Virgin, hat nicht einmal die Oberschule abgeschlossen. Der Grund dafür ist einfach. Erfolg bedarf der Originalität und des Einfallsreichtums. In der Schule kann man aber nur das lernen, was die Lehrer 25 Jahre zuvor gelernt haben. Kinder gegen ihren Willen in der Schule festzuhalten, bis sie 18 Jahre alt sind, wie es heutzutage schon fast üblich geworden ist, hat keinen Sinn. In nicht wenigen Fällen verhindert es sogar, dass sie erwachsen werden und ihre Begabungen entfalten. Ich bin dem Schicksal dankbar dafür, dass es zu meiner Zeit noch nicht so weit gekommen war. Gott allein weiß, was ich sonst aus reiner Langeweile heraus vielleicht getan hätte.

Die folgenden zwei Jahre zählen zu den glücklichsten in meinem Leben. Sie zählen auch zu den am wenigsten belegten, weil ich nicht zur Schule ging, keine Klassenkameraden hatte und keine Noten bekam. Das hat es Historikern möglich gemacht, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und nach Herzenslust alle möglichen gestörten Geschichten über mich zu erfinden. Die Wirklichkeit hingegen war prosaisch genug. Ja, ich führte in der komfortablen Wohnung, die meine verhältnismäßig wohlhabende Mutter gemietet hatte, „ein Leben des parasitären Müßiggangs“, wie Kershaw es genannt hat. Ja, ich hatte „noch immer nicht einen einzigen Tageslohn verdient“. Ja, ich führte „das Leben einer Drohne ohne Berufsaussichten“. Ich war immerhin noch ein Heranwachsender und nicht schon über 30, so wie viele der sogenannten „Bumerangkinder“, die heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, Leben führen, die sich nicht deutlich von meinem in der damaligen Zeit unterscheiden.

Ja, ich zog mich gern gut an und ging durch die Stadt. Ja, ich besuchte oft das Theater und die Oper. Ich verliebte mich – eine jugendliche Liebe, gewiss – in ein Mädchen namens Stefanie. Und ja, ich hatte nicht den Mut, sie anzusprechen. Tatsächlich hat sie nie erfahren, dass es mich gab. Was ist daran so ungewöhnlich? Haben meine Biografen in der Schule nicht gelernt, dass ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt?

Mein Begleiter zu diesen Anlässen war mein Freund August „Gustl“ Kubizek. Kubizek war knapp neun Monate älter als ich und der Sohn eines Tapezierers. Sein Traum war es, Musiker zu werden. Nach dem Ende jeder musikalischen Darbietung, die wir besuchten, unterhielt ich mich mit ihm darüber, was wir gerade gesehen und gehört hatten. Um ehrlich zu sein, übernahm ich den Großteil des Redens, während er den Großteil des Zuhörens übernahm, was uns zu einem guten Gespann machte! Sein späterer Bericht über jene Jahre liegt in verschiedenen Fassungen vor. Einige Stellen darin sind auch direkt aus Mein Kampf abgeschrieben. Trotzdem ist er insgesamt korrekt. Ich langweilte mich nicht ein einziges Mal in dieser ganzen Zeit. Langeweile ist etwas, was nur Menschen verspüren, die zu dumm sind, um selbst denken zu können. Weil mir nie langweilig war, geriet ich auch nie in irgendwelche nennenswerten Schwierigkeiten.

Im Frühjahr 1906 besuchte ich zum ersten Mal Wien – immerhin die Hauptstadt eines großen, wenn auch bereits gebrechlichen Reiches. Wie so viele andere, die es damals besuchten und noch heute besuchen, wollte ich die Straßen, die Plätze, die Gebäude, die Museen und die Paläste sehen. Außerdem wollte ich die berühmte Hofoper besuchen, die viel mehr zu bieten hatte als ihr armer Ableger in der provinziellen Stadt Linz. Die Hauptattraktion bestand jedoch immer aus den prächtigen Gebäuden entlang der Ringstraße. Es wäre kaum eine Übertreibung, zu sagen, dass sie eine magische Wirkung auf mich hatten.

Meine Begegnung mit Wien belebte meine Hoffnungen, Künstler zu werden, aufs Neue. Im Oktober 1907 kehrte ich in die Stadt zurück, um an der Aufnahmeprüfung für die Akademie der bildenden Künste teilzunehmen. Es gab 113 Bewerber, und nach etlichen Prüfungen wurden nur 28 ausgewählt. Ich zählte nicht dazu. Das war ein furchtbarer Schlag, umso mehr, weil er völlig unerwartet kam. Aber auch hier gilt: War es in irgendeiner Weise ungewöhnlich? Sehen Sie sich nur die Statistiken an.

Nachdem ich gescheitert war, bat ich den Rektor der Akademie um ein Gespräch. Er war ehrlich zu mir und sagte, die Arbeit, die ich eingereicht hatte, zeige, dass mir eine Laufbahn als Architekt mehr liege als die Malerei. Dieser Weg stand mir jedoch nicht offen, weil ich keinen Schulabschluss besaß. Das war eine Tatsache, die mir zu jener Zeit großen Kummer machte. Dementsprechend lag mein Traum, eine Künstlerlaufbahn zu verfolgen, in Trümmern.

Im Dezember desselben Jahres starb meine Mutter an Brustkrebs einen überaus qualvollen Tod. Johanna, meine kleine Schwester Paula und ich pflegten sie. Sie wurde von unserem Hausarzt behandelt, Eduard Bloch, einem der sehr wenigen anständigen Juden, von denen ich jemals etwas gesehen oder gehört habe. Er tat für sie, was er konnte. In letzter Zeit hat es eine Flut von Geschichten gegeben, wonach er sie angeblich falsch behandelt und der Familie zu viel berechnet habe, woraufhin ich zum Antisemiten geworden sein soll. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mit allem mir möglichen Ernst eines klarzustellen: Das alles sind nichts als Lügen. Warum sonst – außer wenn Sie mich für tatsächlich sehr dumm halten – hätte ich es ihm und seiner Familie 1938 ermöglichen sollen, in die Vereinigten Staaten auszureisen? Nachdem er dort angekommen war, sagte und schrieb er einige sehr freundliche Worte über mich. Er versicherte, dass er nie einen anderen jungen Mann gesehen habe, der auf so berührende Art und Weise an seiner Mutter hing, wie ich es tat. Ich hatte tatsächlich mein Bestes für sie versucht. Später ließ ich ihr Foto in jeder meiner Hauptwohnungen aufhängen: in Berlin, in München und in Berchtesgaden.

Nachdem sie tot und begraben war, Letzteres übrigens für eine ganze Menge Geld, gab es nichts mehr, was mich in Linz gehalten hätte. Dementsprechend zog ich nach Wien. Ich werde im nächsten Kapitel mehr über mein Leben dort sagen. Vorher aber will ich das Offensichtliche betonen: Wenn die Familie, aus der ich stammte, und die Erziehung, die ich erhielt, in irgendeiner Weise einzigartig gewesen sein sollten, dann ist das auch jede andere Familie und jede andere Erziehung, die es jemals gab und jemals geben wird.

Wenn man Zeit und Ort mitbedenkt, dann haben Millionen andere Menschen Erfahrungen gemacht, die sich nicht allzu sehr von meinen unterscheiden. Väter, die – abgesehen von den sehr armen – die alleinigen Versorger waren, neigten dazu, ihre Ehefrauen herumzukommandieren. Das mussten sie auch tun, vor allem, wenn sie wie meiner viel älter als ihre Gattinnen waren. Auseinandersetzungen zwischen Vätern und Söhnen waren häufig, wie sie es immer gewesen sind und noch heute sind. Das Gleiche gilt für die Liebe zwischen einer Mutter und ihrem Sohn. Hat nicht der bereits erwähnte Freud irgendwo in einem seiner umfangreichen, aber oft abstrusen Werke geschrieben, dass diese Liebe die stärkste Bindung von allen darstellt? Und damals hatte noch niemand von der Vorstellung gehört, dass es schädlich – geschweige denn ein Verbrechen – sein könnte, seine Kinder mit Schlägen zu züchtigen.

Genauso wenig war ich der einzige Knabe, der die Schule gehasst hätte. Heute werden viele amerikanische Schulen mit Metalldetektoren, bewaffneten Wächtern, die auf dem Gelände Streife gehen, und was nicht noch alles geschützt. Eine oder zwei erlauben es den Lehrern sogar, bewaffnet zu unterrichten, und stellen ihnen Waffen zur Verfügung! Und selbst unter diesen Umständen vergehen kaum zwei Monate, in denen nicht