9783548288369.jpg

Der Autor

Elo_Elisabeth_c_wowe.jpg

Raimon Weber, geboren 1961, ist Schriftsteller, Hörspielautor und Medientrainer. Er leistet regelmäßig Beiträge zum Krimifestival "Mord am Hellweg". Bei seinen Lesungen trägt der Autor die merkwürdigsten Methoden vor, wie man ums Leben kommen kann und plaudert aus seinem Berufsleben als Autor. Schließlich treibt ihn die Recherche auf hohe Schornsteine und in die geschlossene Forensik oder er lässt sich von Spezialisten vor Ort über die Entsorgung amputierter Gliedmaßen aufklären. Raimon Weber lebt in Kamen.

Das Buch

Potsdam im Dezember 1989. Seit wenigen Tagen ist die Mauer geöffnet. Die Bürger der DDR verlassen ihr Land in Scharen. Inmitten der zerfallenden Strukturen versucht Martin Keil, Hauptmann der Kriminalpolizei, eine Mordermittlung zu leiten: Am Ufer des Potsdamer Jungfernsees wurde die nackte Leiche eines hochrangigen Lokalpolitikers gefunden. Er wurde zusammengeschlagen und erdrosselt. Hilfe erhofft sich Martin Keil von der Gerichtsmedizinerin Anne Rösler, mit der er ein Verhältnis hat. Beide sind in einem staatlichen Heim aufgewachsen. Was Keil nicht weiß: Der Täter hat sich bereits sein nächstes Opfer gesucht. Und es gibt Videoaufnahmen von der Tat. Keil traut seinen Augen kaum, denn er ist sich sicher, den Mörder zu erkennen ...

Autor%20und%20Titel.tif
Autor%20und%20Titel.tif

Thriller

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

Ullstein

refinery_Logo_schwarz_72dpi.png

Neuausgabe bei Refinery

Refinery ist ein Digitalverlag

der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

April 2019 (1)


© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019

© Originalausgabe: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016

Umschlaggestaltung: © Sabine Wimmer, Berlin

Autorenfoto: © Ivar Leon Menger


ISBN 978-3-96048-231-4


E-Book-Konvertierung: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.


Hinweis zu Urheberrechten

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Prolog

Er war nackt und stank. Übermäßiges Schwitzen war schon in jungen Jahren ein Problem für ihn gewesen. In der Schule hatte deshalb niemand neben ihm sitzen wollen. Die besonders intensiven Deos aus der BRD, die er in den Intershops kaufte, brachten dann später ein wenig Linderung. Aber gegen seine Todesangst kamen auch sie nicht an. Eine Mixtur aus säuerlich riechendem Schweiß und Urin – er hatte sich vor einer Minute eingenässt – erfüllte das Innere des Wagens.

Er betete. Zum ersten Mal seit über vierzig Jahren. Es waren zusammenhanglose Fragmente, die aus den Tiefen der Erinnerung aufstiegen.

 … der Herr lasse Sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig …

Gefolgt von dem Bild der Großmutter. Wie sie an seinem Bett saß und ihm aus der Bibel vorlas. Immer nur dann, wenn sie sicher sein konnte, mit ihrem Enkel ganz allein zu sein.

Und wanderte ich auch im finsteren Tal …

Er hatte damals nicht verstanden, wovon die Geschichten handelten. Einige hatten ihm sogar ein wenig Furcht eingeflößt. Aber jetzt hoffte er darin Trost, vielleicht sogar Hilfe zu finden.

Er versuchte die Fesseln von seinen Handgelenken zu streifen, bis ihm dabei eine grelle Lanze aus Schmerz durch den rechten Arm fuhr. So heftig, dass er beinahe erneut das Bewusstsein verlor. Der Schrei wurde von dem Knebel mit dem scharfen Geschmack nach Reinigungsmitteln in seinem Mund erstickt. Fast wäre es ihm gelungen, sich aufzurichten, aber die Bewegung sorgte dafür, dass der Draht an den nackten Fußgelenken noch tiefer ins Fleisch schnitt. Nur die Augenbinde war ein wenig verrutscht. Durch den winzigen Spalt über seinem linken Auge sah er den Nachthimmel, ab und zu unterbrochen vom trüben Licht einer Straßenlaterne.

Der Geruch, diese Mischung aus dem Qualm der filterlosen Zigaretten, von denen er zuletzt so viele geraucht hatte, bis er morgens von langanhaltenden Hustenan­fällen geschüttelt wurde, und den Benzindämpfen, die trotz mehrerer Werkstattbesuche einen Weg vom Tank in den Innenraum fanden, machten ihm klar, dass er sich auf der Ladefläche seines eigenen Ladas befand. Hinzu kam das vertraute Knirschen im Getriebe, wenn vom dritten in den zweiten Gang zurückgeschaltet wurde.

Der Kombi fuhr jetzt langsamer, rumpelte durch ein so tiefes Schlagloch, dass die Federung durchschlug, und hielt so abrupt an, dass er mit dem Kopf gegen die Seitenwand stieß.

»Ich bringe dich auf der Stelle um, wenn du versuchst, irgendwelchen Ärger zu machen«, sagte die Gestalt auf dem Fahrersitz mit ihrer rauen, heiseren Stimme, in der mühsam unterdrückte Wut mitschwang. So, als würde sein Entführer es kaum noch erwarten können, ihm weitere, noch schlimmere Schmerzen zuzufügen. Die Erinnerung daran, wie etwas Hartes, Metallisches direkt gegen seinen Kiefer prallte, Ober- und Unterlippe wie überreifes Obst aufplatzten und Zähne wie morscher Gips zersprangen, ließ ihn erzittern und in den Knebel winseln. Gedanken rasten unkontrolliert und panisch durch seinen Verstand.

Bedeutet der Satz, dass ich noch nicht umgebracht werde? Vielleicht sogar mit dem Leben davonkomme, wenn ich mich füge?

Er hörte, wie der Entführer ausstieg und die Heckklappe öffnete. Ehe er auch nur einen Blick auf die Gestalt erhaschen konnte, wurde ihm die Augenbinde zurechtgerückt. Er war wieder vollständig blind.

»Wie du stinkst!«, sagte der Entführer. »Widerlich!«

Mit einem Ruck wurde er an den Schultern aus dem Wagen gezerrt. Er spürte kalten und feuchten Boden unter seinen nackten Füßen. Feiner Regen fiel auf sein Gesicht.

Fast schon sachte wurde er auf dem weichen und ­völlig durchnässten Untergrund abgelegt. Dass man ihn nicht einfach grob fallengelassen hatte, ließ ihn hoffen, das Schlimmste überstanden zu haben. Er hatte eine Abreibung, sogar eine überaus schlimme, die ihn womöglich auf immer entstellen würde, erhalten, aber damit würde er schon zurechtkommen.

Es war jetzt ganz still. Die Regentropfen fielen senkrecht auf ihn herab. Er wünschte sich so sehr, dass der Entführer, von dem er noch nicht einmal mehr ein Atmen vernahm, ihn hier einfach zurückließ. Er wartete darauf, dass der Motor des Ladas startete und der Entführer mit dem Wagen für immer aus seinem Leben verschwand. Sollte der Kerl den Kombi doch behalten. Das war ein geringer Preis fürs Überleben.

Was dann geschah, dauerte nicht lange.

Sein Kopf wurde an den Haaren nach oben gerissen, und er stellte noch erstaunt fest, mit welcher Lautlosigkeit der Entführer sich bewegen konnte.

»Du hast es gründlich versaut«, sagte die heisere Stimme direkt neben seinem rechten Ohr.

Etwas, das noch kälter war als die eisige Nacht, die ihn umgab, wurde um seinen Hals geschlungen. Er zappelte, ruckte mit dem Kopf hin und her, und es gelang ihm, den Knebel auszuspucken. Aber so sehr er sich auch anstrengte, er brachte dennoch keinen Laut hervor. Schlimmer noch, er bekam keine Luft mehr in die Lunge. Die Welt war plötzlich von einem tosenden Geräusch, dem Rauschen seines Blutes in den Ohren, erfüllt. Sein Bewusstsein schwand, und ehe es vollständig erlosch, fühlte er sich mit einem Mal ganz leicht. Fast schwerelos.

Dann war es vorbei. Bis auf ein paar schwache elek­trische Impulse in seinem Hirn, die nach und nach erloschen.