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Über dieses Buch:

Job weg, Freundin weg, Wohnung weg. Kurz vor Matt Beckfords 30. Geburtstag schlägt sein Schicksal plötzlich Saltos und beschert ihm den ultimativen Albtraum: Er muss in das Kinderzimmer seiner Eltern zurückziehen. Doch seine Heimatstadt nahe Birmingham hält für Matt mehr bereit als nur den zerkochten Rosenkohl seiner Mutter: Gemeinsam mit seinen alten Schulfreunden lässt er die glorreichen Zeiten wieder aufleben – und mit ihnen das Gefühlschaos aus Teenagertagen. Denn mit dabei ist Ginny, Matts erste große Liebe. Hals über Kopf verliebt er sich ein zweites Mal in sie, doch die Sache hat zwei Haken. Erstens: Was tun mit Ginnys aktuellem Freund? Und zweitens: Matts neues Jobangebot in Australien …

Herzerwärmend romantisch und urkomisch zugleich – mit feinstem britischen Humor à la Nick Hornby und mit dem Charme von Helen Fielding schreibt Mike Gayle über die Pleiten und Pannen des Lebens.

»Eine warmherzige, heitere romantische Komödie.« Daily Mail

»Wenn Bridget Jones ein Mann wäre …« Express

Über den Autor:

Mike Gayle wurde 1970 in Birmingham, England, geboren. Nach seinem Studium der Soziologie zog es ihn nach London, wo er als Journalist für die »Sunday Times Style« und die »Cosmopolitan« arbeitete. Als »Kummerkastenonkel« für mehrere Jugendzeitschriften konnte er Stoff für seine turbulenten Romane sammeln. Mit seinem Romandebüt »Und täglich grüßt die große Liebe« gelang ihm sofort der Sprung auf die Bestsellerlisten. Heute lebt Mike Gayle als etablierter Schriftsteller mit seiner Frau und seinen zwei Kindern wieder in Birmingham.

Bei dotbooks veröffentlichte Mike Gayle bereits seine Romane »Wenn aus Chaos Liebe wird« und »Und täglich grüßt die große Liebe«.

Die Website des Autors: www.mikegayle.co.uk/

Der Autor im Internet: www.facebook.com/mikegayleauthor/

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eBook-Neuausgabe April 2019

Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel »Sturzflug ins Leben oder Mein 30. Geburtstag« bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der englischen Originalausgabe 2000 by Mike Gayle

Die englische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Turning 30« bei Flame, an Imprint of Hodder & Stougton, London

Copyright © der deutschen Ausgabe 2002 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Naddya, Rawpixel und Yurkaimmortal

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-246-7

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Mike Gayle

Man liebt sich immer zweimal

Roman

Aus dem Englischen von Helga Augustin

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Kapitel 1

NEW YORK

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

BIRMINGHAM

1. Monat

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

2. Monat

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

3. Monat

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Mein dreißigster Geburtstag

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Genau ein Jahr später

Lesetipps

Für Jackie Behan und
John O'Reilly,
zwei Freunde, die wie ich dreißig
werden.

Alles Gute zum Geburtstag!

Danksagung

Ich danke allen Freunden, die mir auch bei diesem Projekt wieder hilfreich zur Seite gestanden haben. Wie immer gilt mein besonderer Dank meiner Frau Claire, ohne die Sie Ihr schwer verdientes Geld für ein Bündel unbeschriebenes Papier hingeblättert hätten.

Allen Beteiligten wünsche ich: Live long and prosper!

Die schon obsessive Fixierung unserer Gesellschaft auf das ewige Jungsein führt bei vielen Menschen zu ernsthaften seelischen Schäden, sagt ein Experte ...

Viele über 65-Jährige wollen beweisen, dass sie »im Kopf jung geblieben sind«, und laufen Rollerblades, machen Aerobic oder besuchen Nachtclubs ...

»Ewige Jugend« ist der »Heilige Gral« von heute. Jugendliches Image in den Medien, vorherrschend junge Fernsehmoderatoren sowie die Angst, im Beruf »zum alten Eisen« zu gehören, tragen alle zu diesem Trend bei.

Bericht aus der Birmingham Evening Mail

Als ich dreißig wurde, habe ich mir gesagt: »Jetzt gibt es keine Entschuldigungen mehr. Ich muss wissen, was ich will.«

Brad Pitt, 1999

Nostalgie, die; –, ›Pl. ungebr.‹ [lat. nostalgia, zu griech. nóstos = Rückkehr (in die Heimat) u. álgos = Schmerz]: 1. (bildungsspr.) vom Unbehagen an der Gegenwart ausgelöste, von unbestimmter Sehnsucht erfüllte Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu einer vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit äußert, deren Mode, Kunst, Musik o. Ä. man wiederbelebt. 2. (bildungsspr. veraltend) [krank machendes] Heimweh.

Duden, Deutsches Universal Wörterbuch A-Z

nostalgia n. 1. A yearning for the return of past circumstances, events etc. 2. the evocation of this emotion, as in book, film, etc. 3. longing for home or family; homesickness. [Gk. nostos, return; algos, pain].

Collins English Dictionary

Kapitel 1

So viel gleich zu Anfang: Ich, Matt Beckford, hatte mich seit langem darauf gefreut, dreißig zu werden. Erwartungsvoll sah ich dem Tag entgegen, an dem mir – kraft meines dreißigsten Geburtstags – ein Weinregal gehören würde, in dem wirklich Wein lagerte. Nicht gerade ehrgeizig, werden Sie vielleicht denken, und wahrscheinlich haben Sie Recht – aber nicht in meinem Fall. Jede Flasche Wein, die mir in die Hände fällt, wird sofort geleert, sei es in zwanzig Minuten (an einem harten Tag) oder in vierundzwanzig Stunden (an einem weniger harten Tag). Dabei bin ich kein Alkoholiker (noch nicht), sondern einfach ein Weinliebhaber ohne jede Selbstbeherrschung. Warum ich Ihnen das alles erzähle? Die Antwort darauf ist denkbar einfach (und bitte haben Sie etwas Geduld): Weinregale sind von Natur aus dazu bestimmt, mehr als eine Flasche zu lagern; manche fassen sechs, andere zwölf. Aber darauf kommt es gar nicht an. Wichtig sind allein die Fragen über die Person, die sich ein Weinregal wünscht:

1 Wer kann es sich wirklich leisten, zwölf Flaschen Wein auf einmal zu kaufen?

2 Wer mit zwölf Flaschen Wein im Regal (falls es solche Menschen wirklich gibt), kommt nach einem harten Arbeitstag nach Hause und widersteht der Versuchung, alle auf einmal zu trinken?

3 Wer findet Weinregale überhaupt sinnvoll?

Die Antwort auf Frage 3 – und zwangsläufig auf die Fragen 2 und 1 – ist natürlich: die Dreißiger (wie meine Freundin Elaine sie nennt). Die, die glatte dreißig und drüber sind, die einmal zwanzig waren und jetzt, na ja, nicht mehr so ganz zwanzig sind. Menschen wie ich, die in ihren Zwanzigern gespart, gegeizt und sich krumm gelegt haben, um eines Tages mehrere Flaschen Wein auf einmal kaufen und im todschicken Weinregal ihrer todschicken Küche lagern zu können – ohne sie gleich trinken zu wollen. Jedenfalls nicht alle auf einmal. Wir möchten der Welt unsere Reife beweisen und zeigen, dass wir in der Lage sind, uns nach all den Jahren endlich zu beherrschen und die schönen Dinge des Lebens zu genießen.

Ich wollte dazugehören. Ich war bereit für diese neue, mutige Welt und hatte alles geplant, bis ins kleinste Detail. Auch das bringt der dreißigste Geburtstag mit sich (neben dem Weinregal): Schon lange vorher glaubt man genau zu wissen, wie es sein wird. Es ist nämlich jener Meilenstein, der das Erwachsensein repräsentiert und dem man sein ganzes Leben lang entgegengefiebert hat. Kein anderer Geburtstag hat das gleiche Gewicht. Dreizehn? Pah! Akne und Angst. Sechzehn? Mehr Akne, mehr Angst. Achtzehn? Akne und Angst gepaart mit einem fürchterlichen Klamottengeschmack. Einundzwanzig? Akne, Angst und ein etwas besserer Klamottengeschmack. Aber dreißig! Dreißig ist wirklich etwas Besonderes. Im Haus Ihrer Eltern liegt bestimmt irgendwo eine Liste (oder vielleicht sind es auch nur hingekritzelte Notizen), die Sie mit ... sagen wir mal dreizehn, in Gedanken an das ferne Ereignis Ihres dreißigsten Geburtstags gemacht haben. In Ihrer unverwechselbaren Schrift steht da etwa: »Mit dreißig ... will ich (Traumberuf einfügen) sein und mit (auf wen immer Sie seinerzeit scharf waren einfügen) verheiratet sein.« Solche Aufzeichnungen belegen, dass man schon im zarten Alter von dreizehn Jahren begreift, worauf es – wie Freud einmal sagte – im Leben ankommt: Liebe und Arbeit. Was unwillkürlich die folgenden zwei wichtigen Fragen aufwirft:

1 Was will ich werden?

2 Finde ich jemals eine Freundin?

Die Antwort auf die erste Frage wusste ich tatsächlich schon mit dreizehn. Während meine Schulkameraden zwischen Reporter, Schauspieler, Lastwagenfahrer oder Astronaut schwankten, wollte ich von Anfang an Computerprogrammierer werden. Und bin es auch geworden. Ich ging zur Universität, machte meinen Abschluss in Informatik und fing bei der Londoner Firma C-Tec an, die sich auf Software für Geldinstitute spezialisiert. Ich erfand zwar weder so erfolgreiche Videospiele wie Space Invaders, Frogger oder Pac Man, wovon ich als Dreizehnjähriger geträumt hatte, aber zumindest arbeitete ich auf demselben Gebiet. Den Punkt konnte ich also abhaken.

Die Antwort auf die zweite Frage lautete damals natürlich ja (was ich später noch genauer ausführe), doch im Laufe der Jahre wurde sie von der noch wichtigeren Frage ersetzt: Gibt es die perfekte Frau für mich, und falls ja, wo? Das war ungleich schwerer zu beantworten, was schon daran zu erkennen ist, dass »Madonna« zu den reiferen Eintragungen in meinem Tagebuch zählte.

Mein Interesse an Mädchen erwachte ziemlich spät – sehr spät, gemessen an dem, was andere Kids an meiner Schule so trieben. Als ich mich schließlich dem Thema widmete, lief meine Testosteron-Produktion bereits auf Hochtouren. An dem Punkt kam dann Madonna ins Spiel. Ich erinnere mich noch genau, als ich sie das erste Mal im Fernsehen sah, in Top of the Pops. Sie promotete »Lucky Star«, in England der Nachfolgesong von »Holiday«, und ich war hin und weg. Zu der Zeit war sie bei uns noch kaum bekannt und in den Augen meiner Eltern ein wildes Girl mit zu viel Make-up, Schmuck und religiöser Metaphorik. Aber ich fand sie toll, und obwohl ich nur ein Teenager aus Birmingham war und sie eine Mittzwanzigerin aus New York, war ich felsenfest davon überzeugt, dass sie eines Tages meine Freundin würde. Das nennt man jugendlichen Optimismus. »Jemand muss ja Madonnas Freund sein«, war meine logische Schlussfolgerung, »denn wenn sich keiner für gut genug hält, hat sie niemanden zum Knutschen, und Madonna sieht mir nicht so aus, als könnte sie ohne überleben.«

Nach ein paar Jahren entwuchs ich meiner Madonna-Phase und wandte mich realen Frauen zu, zum Beispiel Linda Philipps, die in Geografie neben mir saß und immer nett lächelte; oder Bethany Mitchell, die eine Klasse über mir war und deren enger grauer Schulpullover nichts der Fantasie überließ. Doch selbst diese Phase ging irgendwann zu Ende, ich ließ Linda und – leider auch Bethany hinter mir und konzentrierte mich auf wirklich reale Frauen, die ganz normalen, die man nicht anbeten musste. Dazu gehörte auch Ginny Pascoe, meine jahrelange Gelegenheitsfreundin.

Ich nenne Ginny zwar meine Freundin, aber genau genommen war sie ein Kumpel, mit dem ich manchmal knutschte. Wir versuchten nie, eine Bezeichnung für unser Arrangement zu finden, das wir im Alter zwischen sechzehn und vierundzwanzig hatten und das anfangs nichts weiter als eine schlechte Angewohnheit war. Innerlich gestärkt mit Thunderbird, einem süßen, schweren Wein – damals das bevorzugte Getränk aller Teenager –, gingen wir regelmäßig zusammen auf Oberstufefeten, zu Hauspartys und gelegentlich sogar ins Kings Arms, die Kneipe in unserem Viertel. Doch sobald wir uns Montagmorgen in der Schule wieder sahen, litten Ginny und ich unweigerlich an Gedächtnisschwund oder taten einfach, als hätte unsere Wochenendpaarung nie stattgefunden. Dieses Arrangement passte uns beiden, denn ich war damals hinter Amanda Dixon her, bei der ich genauso viele Chancen hatte wie bei Madonna in ihrer »Material-Girl«-Phase, und Ginny war scharf .auf Nathan Spence. Der war wiederum unerreichbar für sie und hatte zudem einen gewissen »Ruf«, der ihn – ein bizarrer Aspekt weiblicher Logik, über den ich in jungen Jahren gestolpert war – umso begehrenswerter machte. Wir fanden unser Arrangement niemals komisch (je länger ungewöhnliche Arrangements andauern, desto normaler erscheinen sie einem), und das Beste daran war, dass es unserer Freundschaft nie schadete. Wir waren Freunde. Und manchmal waren wir mehr als Freunde. Das war alles.

Doch irgendwann kam die Zeit der Trennung. Ginny verließ die Stadt, um in Brighton zu studieren, und ich ging auf die Universität in Hull. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts hatte ich zahlreiche Freundinnen, und jedes Mal dachte ich, wenn auch nur für einen Moment: Mit der feierst du deinen dreißigsten Geburtstag. Um es kurz und peinlich zu machen, hier ist die Liste meiner Eroberungen:

Alter: 19

Freundinnen: Ruth Morell (ein paar Wochen), Debbie Foley (ein paar Wochen), Estelle Thompson (ein paar Wochen), Anne-Marie Shakir (ein paar Wochen)

Dates mit Ginny Pascoe: 8

Alter: 20

Freundinnen: Faye Hewitt (acht Monate), Vanessa Wright (zwei Monate mit Unterbrechungen)

Dates mit Ginny Pascoe: 5

Alter: 21

Freundinnen: Nicky Rowlands (knapp ein Monat), Maxine Walsh (neun Monate)

Dates mit Ginny Pascoe: 3

Alter: 22

Freundinnen: Jane Anderson (etwas über zwei Monate), Chantelle Stephens (drei Monate)

Dates mit Ginny Pascoe: 10 (ein katastrophales Jahr in Bezug auf Selbstbeherrschung)

Alter: 23

Freundinnen: Harriet »Harry« Lane (ungefähr zehn Monate mit Unterbrechungen)

Dates mit Ginny Pascoe: 3

Alter: 24

Freundinnen: Natalie Hadleigh (zwei Monate), Siobhan Mackey (zwei Monate), Jennifer Long (zwei Monate)

Dates mit Ginny Pascoe: 1

Alter: 25

Freundinnen: Jo Bruton (ein Wochenende), Kathryn Fletcher (zirka neun Monate), Becca Caldicott (ein Monat)

Dates mit Ginny Pascoe: 0 (aus den Augen verloren)

Alter: 26

Freundinnen: Anna O'Hagan (zehn Monate), Liz Ward-Smith (ein Tag), Dani Scott (ein Tag), Eve Chadwick (anderthalb Tage)

Dates mit Ginny Pascoe: 0 (immer noch aus den Augen verloren)

Alter: 27

Freundinnen: Monica Aspel (fast ein ganzes Jahr)

Dates mit Ginny Pascoe: 0 (aus den Augen verloren, aber unvergessen)

Aufgrund der Ereignisse, die ich mein Leben lang als »das Monica-Aspel-Debakel« bezeichnen werde, und ohne den Trost von Ginny Pascoe, beschloss ich im Alter von achtundzwanzig Jahren, dass es reichte. Ich ließ mich von C-Tec in ihre New Yorker Niederlassung versetzen. Ein Wechsel war so gut wie eine Auszeit, sagte ich mir. Um mich auf meine Karriere zu konzentrieren und dahin zu kommen, wo ich schon längst hätte sein sollen, brauchte ich eine Frauenpause. Doch schon nach zwei Tagen in New York lernte ich Elaine Thomas kennen, eine attraktive, intelligente, leicht exzentrische zwanzigjährige Studentin der New York University mit einem Faible für ungesundes Essen, lange Telefongespräche und Engländer. Wir verliebten uns und zogen ziemlich schnell zusammen. Endlich konnte ich mich beruhigt zurücklehnen. Nach all den Jahren und zahllosen Freundinnen wusste ich nun, mit welcher Frau ich meinen dreißigsten Geburtstag feiern würde.

Nicht mit Madonna.

Auch nicht mit Ginny Pascoe.

Mit Elaine. Meiner Elaine. Ich war glücklich.

Bis alles ein überraschendes Ende nahm.

NEW YORK

Kapitel 2

Es geschah an einem nasskalten Tag Ende September. Ich kam von der Arbeit nach Hause, und Elaine war wie immer am Telefon. Sie liebte das Telefon, es war ihr Ein und Alles. Die wenigen Male, die ich vor ihr eingetroffen war, hatte sie kurz darauf mit dem Handy am Ohr die Wohnung betreten, mich mit einem Kuss begrüßt und eine neue Nummer auf dem Festnetzapparat eingetippt, ohne dass das Handygespräch darunter gelitten hätte. Es war ihr stets mühelos gelungen, das Ende des ersten Gesprächs mit dem Beginn des zweiten zu koordinieren. Ich hatte mich immer gewundert, ob das einfach nur Übung war oder ein Naturtalent, und sie sogar einmal gefragt. Mit ihrem schönsten Lächeln sagte sie in einer Weise, wie nur echte Ostküstenbewohner das können und die mir immer das Gefühl gab, einen Werbespot zu sehen: »Bill Gates hat ein Händchen für Computer, Picasso für Pinselstriche ... und ich hab eins fürs Telefonieren. Das ist mein Geschenk an die Menschheit.«

Ich stellte meine Tasche auf dem Boden ab, gab ihr einen Begrüßungskuss und bekam einen zurück, ohne dass sie das Gespräch unterbrach. Da ich nicht wusste, was ich als Nächstes tun sollte, setzte ich mich neben sie aufs Sofa und versuchte herauszufinden, mit wem sie sprach. Kein einfaches Unterfangen, denn Elaine hörte die meiste Zeit zu – echt ungewöhnlich für sie. Ihre Kommentare beschränkten sich auf »ich weiß«, »und was hast du dann gemacht?«, »das ist ja furchtbar« oder »na hoppla«, was je nach Stimmlage »so ist das Leben« oder »was auch immer« bedeuten konnte. Jedenfalls war es unmöglich, ihre Gesprächspartnerin zu identifizieren, es konnte jede ihrer Millionen Freundinnen sein. Ich wartete ein paar Minuten, bis sie auflegte, wobei mir schnell klar wurde, dass es noch eine Weile dauern würde. Also ging ich in die Küche, um nachzusehen, ob sie das Abendessen schon angefangen hatte.

Die Küche war tadellos sauber, so wie ich sie am Morgen vor der Arbeit hinterlassen hatte; es gab nicht die geringsten Anzeichen kulinarischer Vorbereitungen. Nicht, dass ich erwartete, von Elaine bekocht zu werden, weil sie eine Frau war – diese Vorstellung hatte sie mir schon lange ausgetrieben. O nein, ich erwartete es, weil sie an der Reihe war. Sie hatte diesen Morgen verschlafen, sich auf der Arbeit krankgemeldet und versprochen, den wöchentlichen Einkauf zu erledigen. Insgeheim hatte ich gehofft, wohl zu optimistisch, dass sie uns »was Nettes« besorgte.

Ich suchte sämtliche Küchenschränke nach möglichen Einkäufen ab, doch ohne Erfolg. Außer einer Tüte Spiral-Nudeln, einem Glas Marmite, meinem Lieblingsbrotaufstrich, das meine Mutter mir geschickt hatte, und zwei knochentrockenen Brotscheiben, die zerbröselten, als ich sie versehentlich fallen ließ, herrschte gähnende Leere. Nicht einmal einen Tee konnte ich mir machen, denn die P.G.-Tipps-Teebeutel, die in Moms Päckchen mit dem Brotaufstrich und einem Video mit den Folgen von zwei Wochen EastEnders gelegen hatten, waren aufgebraucht. Eine andere Sorte trank ich nicht.

Mit knurrendem Magen kaute ich auf einer rohen Nudel herum und ging zurück ins Wohnzimmer. Kaum hatte ich mich wieder neben Elaine gesetzt, griff sie zur Fernbedienung, schaltete den Fernseher ein und zeigte mit ihrem sorgfältig manikürtet Finger darauf, als wollte sie sagen: »Sieh mal, die schönen Bilder!«, oder wohl eher: »In einer Stunde bin ich fertig, vergnüg dich so lange.« Ich ignorierte ihren Vorschlag und hopste mit dem Hintern auf dem Sofa herum, um sie zu ärgern. Ich wollte nicht fernsehen, ich wollte ihre Aufmerksamkeit und etwas zu essen. Davon wollte sie wiederum nichts wissen und ignorierte mich nun ihrerseits. Also stand ich auf und tat auf dem Weg zum Fenster, als fiele ich in Ohnmacht. Ich lag reglos auf dem Boden, atmete kaum und wartete, dass sie ihrem treuen und nun bewusstlosen Freund zu Hilfe eilte. Nach wie mir schien unzähligen Minuten, in denen sie nicht einmal zum Luftholen innehielt, geschweige denn das Gespräch beendete, öffnete ich vorsichtig ein Auge, doch sie sah es sofort und fing an zu lachen.

»Wer ist dran?«, formte ich lautlos mit den Lippen.

»Deine Mom«, war ihre lautlose Antwort, und: »Bist du zu Hause?«

Ich schüttelte heftig den Kopf, wobei ich mehrmals »nein, nein, nein« grimassierte. Nicht, dass ich meine Mom nicht mochte. Im Gegenteil, ich liebte sie sogar. Aber da ich gerade so weit weg von zu Hause lebte, blieb es nie bei einem kurzen Geplauder, und ich hatte sie bereits heute Morgen von der Arbeit aus angerufen, womit meine Pflicht getan war. Außerdem starb ich inzwischen vor Hunger und formte in Richtung Elaine die Frage: »Wo ist mein Abendessen?«

Sie hob die linke Augenbraue, als wollte sie sagen: »Du fragst mich nach deinem Essen? Na warte!« Dann kniff sie die Augen zusammen wie ein böswilliger Kobold und sagte ins Telefon: »Ich glaube, Matt kommt gerade, Cynthia«, hielt inne, um auf meine Reaktion zu warten, die darin bestand, ihr die Speisekarte der am nächsten gelegenen Pizzeria mit Lieferservice samt meiner Kreditkarte auszuhändigen.

»Nein, er war es doch nicht«, sagte Elaine zuckersüß zu meiner Mutter, während sie gleichzeitig tat, als zöge sie meine Kreditkarte durch ein imaginäres Kartenlesegerät. »Ich höre anscheinend schon Gespenster. Aber ich muss jetzt Schluss machen, Cynthia, es klingelt an der Tür. Tschüss.« Sie wollte gerade auflegen, doch die Stimme meiner Mutter tönte aus dem Hörer – so schnell ließ sie sich nicht abfertigen. »Nein, ich glaube nicht, dass es Matt ist, Cynthia«, sagte Elaine geduldig. »Er war in letzter Zeit so brav, da hab ich ihm einen eigenen Schlüssel gegeben.« Mit diesen Worten beendete sie das Gespräch.

»Du benimmst dich wirklich wie ein Baby, Matt«, sagte sie und rollte mit den Augen. »Ich verstehe nicht, warum du nicht von selbst vorgeschlagen hast, das Essen liefern zu lassen.«

»Du bist heute dran mit Kochen«, protestierte ich. »Du weißt doch sicher, was ›dran sein‹ bedeutet?«

»Schon, aber ...«, begann sie, doch der Rest des Satzes blieb auf der Strecke, da sie sich auf die Angebote des Lieferservices konzentrieren musste. »Sieht aus, als wäre ich mit Anrufen dran, ja?« Elaine las weiter die Speisekarte, wobei sie hin und wieder lautlos den Namen einer Pizza formte, als wäre er genauso köstlich wie die Pizza selbst.

»Deine Mutter hat bestimmt gemerkt, dass ich lüge«, sagte sie, während ihr Finger unter der »Hawaii Speciale« innehielt. »Ich hab echt keine Lust darauf, dass sie mich nicht leiden kann. Du weißt doch, wie wichtig es für mich ist, von allen gemocht zu werden. Ich kann nicht schlafen, wenn ich weiß, dass jemand schlecht von mir denkt – auch in England.« Sie ließ sich zurück ins Sofa plumpsen, dann drehte sie sich um und legte den Kopf in meinen Schoß. »Das war das letzte Mal, dass ich Mrs B angelogen habe.«

»Aber sicher«, erwiderte ich. »Solange du dich deiner weisen Worte erinnerst, wenn Mama und Papa Thomas das nächste Mal anrufen und ich wieder so tun muss, als wärst du unter der Dusche.«

»Wohl gesprochen, mein edler Herr«, sagte Elaine in einem schlecht imitierten britischen Akzent. »Ich lüge für dich und du lügst für mich, das ist die Abmachung. Aber vergiss nicht, wenn wir später einmal vom Blitz erschlagen werden, weil wir unsere Eltern belogen haben, sind wir selbst daran schuld.« •

»Wie lange hast du überhaupt mit ihr gesprochen?«

»Sie wollte nur fünf Minuten telefonieren, wegen der Kosten. Deshalb habe ich sie zurückgerufen.« Sie dachte einen Moment nach. »Insgesamt war es dann wohl eine halbe Stunde.«

»Nach England?«

Sie rollte wieder mit den Augen.

»Weißt du, wie viel das kostet?«

»Es ist doch nur Geld, Matt, und das ist zum Ausgeben da. Wenn du es nicht ausgibst, ist es kein Geld. Dann ist's nur wertloses Papier.«

»Das glaubst du wirklich, ja?«

»Jedes Wort«, erwiderte sie mit einem engelhaften Lächeln.

Es war sinnlos, mit Elaine darüber zu diskutieren. Selbst in ihren hellsten Momenten konnte sie nur schwer nachvollziehen, dass man nicht jeden verdienten Dollar umgehend wieder ausgab.

»Worüber habt ihr denn gesprochen?«, fragte ich.

»Frauensachen.«

»Was für Frauensachen? Sie hat doch nicht etwa wieder gefragt, wann wir endlich Kinder kriegen?« Meine Mum hatte in der Überzeugung, dass Elaine ihr die ersehnten Enkelkinder schenken würde, tatsächlich begonnen, freundschaftliche Bande mit ihr zu knüpfen. »Sag, dass es nicht so ist.«

Elaine lachte. »Beruhig dich. Sie wollte nur wissen, was du für deinen dreißigsten Geburtstag planst. Ob du ihn in England feierst.«

»Der ist doch erst Ende März!«

»Wir Frauen treffen eben gern Vorbereitungen.«

»Und was hast du gesagt?«

»Dass ich es nicht weiß.«

»Und was hat sie gesagt?«

»Dass du darüber nachdenken sollst.«

»Und was hast du auf ihre Frage geantwortet, ob ich nach Hause komme?«

»Dass ich dich dazu überreden würde. Ich möchte nämlich gern einmal sehen, wo du aufgewachsen bist, und deine Schulfreunde kennen lernen. Das ist sicher lustig.«

»Hm«, stieß ich teilnahmslos hervor, obwohl mir der Gedanke gefiel, meiner Heimat einen längeren Besuch abzustatten. »Was hat sie gesagt?«

»Dass wir jederzeit willkommen sind. Und dass du sie zurückrufen sollst.«

»Wie klang sie?«

Elaine verlor die Geduld und warf mir ein Kissen an den Kopf. »Wenn du das alles wissen willst, warum hast du dann nicht selbst mit ihr gesprochen?« Sie nahm mir das Kissen weg, stopfte es unter ihren Kopf, griff zum Hörer und bestellte einfach irgendwas zu essen. Diese Art Geplänkel war Teil unseres Alltags, ermüdend, aber unterhaltsam, obwohl ich zuweilen das Gefühl hatte, in einer Sitcom gefangen zu sein. Manchmal fragte ich mich, warum wir nie normale Gespräche führten, so wie andere Paare.

»Ich gehe das Essen holen«, sagte sie. »Es ist zwar erst in zwanzig Minuten fertig, aber wenn ich es selbst abhole, geht's bestimmt schneller – ich bin am Verhungern.« Sie verschwand im Schlafzimmer und kam mit ihrem Mantel wieder, sah in den Taschen nach, ob genug Geld darin war, und öffnete die Haustür. Plötzlich hielt sie inne.

»Was ist?«, fragte ich und sah sie an. »Hast du was vergessen?«

Die Tür halb offen, kam sie zurück und setzte sich ans andere Ende der Couch. »Sorry, Schatz«, sagte sie sanft. »Ich kann es nicht länger für mich behalten.«

Ich verstand nichts. »Was kannst du nicht länger für dich behalten?«

»Das«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Du. Ich. Wir. Ich ... ich ... liebe dich nicht mehr. So, jetzt ist es draußen. Du kannst mich ruhig hassen, mach nur!« Zu Elaines Bestürzung fing ich fürchterlich an zu lachen. »Lachst du mich etwa aus?«, fragte sie und starrte mich eindringlich an.

»Du glaubst jetzt bestimmt, ich will es dir mit gleicher Münze heimzahlen«, sagte ich, wobei ich ihrem Blick standhielt. »Aber mir geht es genauso.«

Mit der vollkommenen Gleichzeitigkeit von Paaren, die viel Zeit miteinander verbringen, brachen wir in lautes Gelächter aus und flüsterten wie auf Kommando: »Jetzt geht's mir viel besser.«

Kapitel 3

»Und das war's dann?«, fragte ich verdutzt.

Es war zwei Uhr morgens, und Elaine und ich redeten seit sieben Stunden über unsere Trennung. Es hatte keine Tränen gegeben, kein theatralisches Getue, nur langes Schweigen gefolgt von ein paar erstaunten Worten und weiterem Schweigen.

»Sieht so aus«, sagte Elaine und schickte ihren Worten ein Achselzucken, eine merkwürdige Dehnbewegung sowie ein katzenhaftes Gähnen hinterher. Ich hatte sie zwar schon immer als katzenhaft empfunden, aber in diesem Moment ganz besonders: Sie erinnerte mich an eine Perserkatze, die unheimlich gern am Bauch gekrault werden wollte.

»War das nicht alles ...«, ich durchstöberte mein Vokabular, »ein bisschen zu leicht? Ein bisschen zu ... du weißt schon?« Schließlich stolperte ich über das richtige Wort: »Zivilisiert?«

Elaine neigte den Kopf zur Seite. »Ja, stimmt«, erwiderte sie. »Wahrscheinlich hast du Recht.«

Ich sah sie ermutigend an, denn ich wollte, dass sie etwas sagte, irgendetwas. So fühlte es sich einfach falsch an – nicht unsere Trennung, die war eindeutig richtig, aber das Fehlen jeglicher Dramatik. Aufgrund meiner früheren Trennungen erwartete ich wesentlich mehr Trauer, schon aus reiner Höflichkeit. Unser ruhiges und gefasstes »Na-dann-tschüss-und-danke-für-die-schöne-Zeit« machte mir irgendwie zu schaffen. Ich fragte mich, ob das eine der seltsamen Begleiterscheinungen am – zugegeben entfernten Vorabend des dreißigsten Geburtstags war. Seit über sechs Monaten schlug ich mich nun als Neunundzwanzigjähriger herum und wartete gespannt auf eine Veränderung angesichts der nahenden Dreißig – dass mein Bart ohne kahle Stellen wuchs, dass ich ein Weinregal besaß oder sogar eine echte Lebensgefährtin hatte, aber nichts geschah. Vielleicht ist es ja genau das, sagte ich mir jetzt: Meine Dreißig-Power ist die Fähigkeit, das Ende einer Beziehung mit Fassung zu ertragen, wie ein richtiger Mann.

Mit siebenundzwanzig hätte es mich völlig aus der Bahn geworfen (siehe Monica Aspel). Mit zweiundzwanzig hätte es mich mit Herzversagen ans Bett gefesselt (siehe Jane Anderson und Chantelle Stephens). Aber dieses taube Gefühl ... diese lächerliche Passivität war neu. Wenn es tatsächlich ein Geschenk des nahenden dreißigsten Geburtstags war, hatte ich zumindest eine Entschuldigung. Elaine hingegen war erst zweiundzwanzig.

»Sollte es nicht mehr ... Heulen und Zähneklappern geben?«, fragte ich nach einer Weile und reichte ihr den Kaffee, den ich gemacht hatte. »Sollte nicht zumindest einer von uns den anderen anflehen, nicht Schluss zu machen?«

Sie gab mir die Tasse Kaffee zurück und sank auf die Knie. »Bleib bei mir, Matt! Wir dürfen uns nicht trennen! Wie soll ich denn ohne dich leben?« Vor lauter Lachen hatte sie anschließend große Mühe, wieder aufzustehen. »Du hast Recht. Es, ist schon ein bisschen schwach von mir zu sagen: ›Ich finde, wir sollten uns trennen‹, und von dir zu antworten: ›Okay‹.« Sie lachte leise. »Es ist ja nicht so, dass ich dich nicht liebe«, fuhr sie fort und sah mich dabei mit einer Mischung aus Ernst und Ironie an. »Das weißt du auch. Ich hätte nicht anderthalb Jahre mit dir zusammen sein und ein gemeinsames Zuhause haben können, ohne dich zu lieben. Es ist einfach nur ... langweilig. Dir muss es in den letzten sechs Monaten doch genauso gegangen sein. Die Leidenschaft ist verschwunden. Wir sind wie ... ich weiß nicht ... Bruder und Schwester.«

»Peter und Jane«, bot ich an.

»Hänsel und Gretel«, erwiderte sie.

»Donny und Marie«, hielt ich dagegen.

»Genau«, sagte sie und nahm ihre Tasse Kaffee wieder. Einen Moment lang nippte sie gedankenverloren daran. »Wenn ich dich in letzter Zeit angesehen habe, wollte ich dir weniger die Kleider vom Leib reißen, als sie mal ordentlich bügeln.«

»Du hast Recht«, erwiderte ich. »Ich liebe dich auch, aber ich bin zugegebenermaßen nicht mehr verliebt in dich. Wenn ich morgens aufwache und beobachte, wie du im Schrank verzweifelt nach Klamotten fürs Büro suchst, ziehe ich dich mit den Augen an. Wenn du dich dann endlich entschieden hast, hab ich dich im Geiste schon vollständig mit Rollkragenpullover, Mantel und Schal bekleidet.«

»Was hat das deiner Meinung nach alles zu bedeuten?«, fragte sie, als erwarte sie ernsthaft eine Antwort. »Glaubst du, es ist normal, so zivilisiert zu sein?«

Ich zuckte die Schultern. »Eher nicht. Wenn die Beziehungen von Arbeitskollegen kaputt gehen und ich beide Seiten frage, was passiert ist, heißt es zwar immer: ›Es beruht auf Gegenseitigkeit‹, als gäbe es dafür Pluspunkte. Aber ich glaube, unsere ist die erste tatsächlich auf Gegenseitigkeit beruhende Trennung der Menschheitsgeschichte.«

»Das ist echt unheimlich«, sagte Elaine. »Wo haben wir diese Kraft her, und warum hatte ich sie nicht, als ich sie dringend brauchte, zum Beispiel mit vierzehn?« Sie stand auf und verschwand in der Küche, kam mit einer Packung Oreo-Plätzchen wieder und aß eins nach dem anderen auf. Mitten beim Vierten rief sie dann plötzlich: »Ich hab's!« und wedelte aufgeregt mit dem krümelnden Rest umher.

»Was hast du?«

»Die Antwort«, erwiderte sie. »Es ist genetisch bedingt. Selbst auf Zellenniveau sind Menschen auf die Selbsterhaltung ihrer Spezies programmiert, stimmt's?«

Ich nickte.

»Und trotz aller Ermutigungen deiner Mom verspüren wir keinerlei Drang, gemeinsame Nachkommen in die Welt zu setzen, richtig?«

Ich nickte wieder.

»Deshalb regen wir uns nicht auf. Weil unsere Gene uns sagen: Was nicht ist, das ist nicht.«

Kapitel 4

Es war elf Uhr am darauf folgenden Samstagmorgen und wir hatten gerade gefrühstückt. Seit dem Entschluss, uns zu trennen, waren fünf Tage vergangen. Ich schlief nun auf dem Sofa (bekannt als das Höllensofa), was auch der Grund für meine tierischen Nackenschmerzen war. Am Dienstag hatte ich Paul Barron, meinen Boss, um meine Versetzung gebeten, ich wollte weg aus New York und am liebsten ganz aus Amerika. Es war mir zwar gut hier gegangen und ich hatte auch ein paar Freunde gefunden, wollte aber jetzt, wo meine Beziehung mit Elaine zu Ende war, nicht länger bleiben. Ein Umzug war genau das, was ich jetzt brauchte. »Matt«, hatte mein Boss erwidert, »als Teammanager für Software-Design hast du hier einen Level erreicht, auf dem dir alle Türen offen stehen.« Grob übersetzt bedeutete das, ich hatte gute Arbeit geleistet, was stimmte, und konnte zwischen allen europäischen Niederlassungen der Firma wählen: London, Paris, Mailand und Barcelona. »Danke Paul«, hatte ich erwidert. »Das ist ... das ist wirklich nett.« Dann fragte er mich, wo ich hin wolle, und ich stand auf einmal dumm da. »Das weiß ich nicht«, erwiderte ich, »nur, dass ich woandershin will.« Er hatte gelächelt und gesagt, ich solle es mir überlegen und ihm dann Bescheid sagen.

Ich sah Elaine über die leeren Frühstücksteller hinweg an. Sie wusste noch nicht, dass ich meine Versetzung in die Wege geleitet hatte. Ich wartete auf den richtigen Moment, es ihr zu sagen, hatte aber nicht das Gefühl, dass er jetzt gekommen war. Elaine trug ihr häusliches Gammel-Outfit: ein grau meliertes T-Shirt, das sie früher beim Yoga angehabt hatte, und braune Shorts von Gap aus dem Jahr, als Braun gerade das neue Schwarz war. Sie hatte einen ihrer nackten Füße auf den Stuhl gestellt und kratzte am dunkelroten Lack ihrer Fußnägel herum. Wer sie so sah, würde nie glauben, dass sie in einer der coolsten New Yorker PR-Agenturen arbeitete, wenn auch in den unteren Rängen. Von Montag bis Freitag schlüpfte sie in ihre modische und doch stilvolle Arbeitsuniform, aber samstags nahm sie frei.

»An was denkst du gerade?«, frage sie.

Offensichtlich standen mir die Gedanken an meine Versetzung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Was hat bei dir den Ausschlag gegeben?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage, um nichts von der Versetzung sagen zu müssen. »Ich meine, war es ein bestimmtes Ereignis oder die Ansammlung vieler kleiner Dinge?«

»Ich glaube, es war der Film, den wir letztes Wochenende bei Sara und Jimmy gesehen haben«, sagte sie, während sie weiter an ihren Fußnägeln zupfte.

»Der Englische Patient?«

Sie nickte. »Er hat mich einfach nachdenklich gemacht. Die Frau des armen Engländers rennt mit dem deutschen Piloten auf und davon, und das soll dann romantisch sein. Ich meine, Affären sind so ... gemein, so widerlich. Was ich eigentlich damit sagen will ... Du kennst doch Emily, ja?« Emily war Elaines Kollegin. »Sie und ihr Freund Jez haben sich getrennt, weil er plötzlich ganz komisch wurde und meinte, er hätte im Leben noch nicht genug erlebt und was verpasst.«

»Was Jez wahrscheinlich mit ›nicht genug erlebt‹ meinte und wahrscheinlich schon nebenbei ›erlebte‹, waren mehr Frauen im Bett.«

»Richtig. Und sie hatte Abermillionen Affären mit allem, was Haare auf der Brust hatte und Mitglied im Fitnessclub war.«

»Abermillionen?«, fragte ich ungläubig.

»Millionen mal Abermillionen«, sagte Elaine. »Echt.« Sie hielt inne. »Das ist doch furchtbar, oder? Sie haben sich einfach nur miteinander gelangweilt und waren zu feige, sich zu trennen. Stattdessen haben sie sich monatelang mit Fremdgehen das Leben zur Hölle gemacht ...« Sie ließ ihren Satz einen Moment in der Luft hängen, dann fuhr sie fort: »Du musst doch auch gemerkt haben, Matt, dass wir an diesem Punkt angekommen waren.«

»Wirklich?« Ich wollte ihren Blick auffangen, doch sie widmete sich schon wieder ihren Fußnägeln.

»Na ja, vielleicht noch nicht ganz. Aber doch eindeutig so weit, dass uns andere Leute gefielen – mir der süße Motorradfahrer mit den Dreadlocks, der mich immer anlächelt, wenn wir zusammen im Aufzug fahren; und dir die Frau im Lebensmittelladen, die mit dem Bauchnabelpiercing, die dein Sandwich immer ganz dick belegt, weil sie dich süß findet.«

»Welche Frau in welchem Lebensmittelladen?«

Elaine sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Das hättest du wohl gern! Die hab ich natürlich erfunden.« Sie kicherte. »Nicht lange, und aus dem Gefallen wäre Begehren geworden, das unvermeidlich zum Handeln geführt hätte. Und so sollte unsere Beziehung nun wirklich nicht enden. Das hätte ich echt gehasst! Wir können es besser. So haben wir ein Stück weit Kontrolle und sind in der Lage in Würde auseinander zu gehen.« Nachdenklich fügte sie hinzu: »Ich war sowieso nie deine Traumfrau, oder? Und du warst ganz bestimmt nicht mein Traummann. Wir sind einfach so zusammengewürfelt worden. Wenn sich zwischen uns nichts geändert hätte und mein Traummann wäre aufgetaucht ...«

»Wäre ich im Weg gewesen.«

»Und umgekehrt.«

Da war was dran. Ich fand schon immer, dass Elaine (die mich mit dem Satz: »Hi, ich stehe auf Engländer« angesprochen hatte) viel besser zu einem hoch gewachsenen, männlicheren Typ passen würde, mit großen Händen, Internatsbildung und nach Möglichkeit familiären Bindungen zu einem unbedeutenden Mitglied der Königsfamilie. Ich selbst sollte vielleicht eher mit einem kreativen Wesen zusammen sein, einer Sängerin, Künstlerin oder Tänzerin – also dem leicht überspannten Typ Frau. Nicht wirklich durchgeknallt, mehr Janis-Joplin-verrückt. Die im Sommer barfuß herumläuft und jedes Jahr einen Selbstmordversuch unternimmt. Aber Scherz beiseite, Elaine hatte Recht.

»Willst du damit sagen, wir wären immer noch zusammen, wenn wir uns Stolz und Vorurteil anstatt Der Englische Patient angesehen hätten? Also das ist meschugge.«

Sie lachte, als hätte ich sie gekitzelt. »Nein«, sagte sie, als sie sich wieder erholt hatte, »es wäre trotzdem passiert. Auch ohne den Englischen Patienten hätte ich mir ziemlich bald eingestanden, dass du niemals mein Mr Darcy sein wirst.«

»Und du nicht meine Elizabeth Bennet.«

Kapitel 5

»Wir haben uns von Anfang an ziemlich rumgequält«, sagte Elaine traurig. »Es gibt einfach viel zu viel, was uns aneinander stört.«

Es war sieben Uhr dreißig morgens, und Elaine und ich waren auf dem Weg zur U-Bahn. Vier Wochen waren ins Land gezogen, und meinem Rücken ging es wesentlich besser, weil ich jetzt wieder im Bett schlief; vor lauter Schuldgefühlen wegen meiner Schmerzen war Elaine aufs Höllensofa umgezogen. Anfang der Woche hatte Paul Barron mich zum Mittagessen eingeladen, um mir mitzuteilen, dass meine Versetzung bewilligt sei und ich der Personalabteilung nur noch mitteilen müsse, wohin ich wollte. Er versuchte sogar eine Stunde lang, mich zum Bleiben zu überreden, was mir schmeichelte, aber auch peinlich war. Ich lehnte dankend ab und versprach, ihm umgehend Bescheid zu geben, sobald ich mich für einen Ort entschieden hatte. Zum Abschied drückte er mir die Schulter, was wohl: »Es war schön, jemanden wie dich im Team zu haben« bedeuten sollte, sich aber wie der vulkanische Todesgriff in Star-Trek anfühlte. Noch Stunden später verspürte ich ein Ziehen im Rücken.

»Unsere Trennung ist die richtige Entscheidung«, sagte ich, als wir die Treppe hinunter zur U-Bahn gingen.

»Ganz bestimmt«, bestätigte sie. »Ich war eine furchtbare Freundin, wahrscheinlich eine der schlimmsten, die man sich vorstellen kann. Ich koche nicht, ich putze nicht und ich trockne meine Unterwäsche auf der Heizung, was dich verrückt macht.«

Das stimmte, Elaine war wirklich eine furchtbare Freundin. Die Aufzählung ihrer Defizite war akkurat, und obendrein kaufte sie manchmal exotische Früchte wie Sternanis oder Kumquats, »um etwas Leckeres damit zu machen«. Sie landeten dann in einer Küchenschüssel und verrotteten.

Unten gingen wir den Bahnsteig entlang und warteten auf die »D«. Wie immer standen die Menschen dicht gedrängt beieinander. Ich sah mich um: Manche lasen Zeitung, andere versuchten, bei ihren Nachbarn mitzulesen, einige aßen Gebäck und wieder andere starrten einfach ins Nichts. Wir waren wahrscheinlich die Einzigen, die eine kürzlich verschiedene Beziehung zu Tode analysierten.

»Ich war auch nicht gerade perfekt«, sagte ich und nahm den Faden unserer Unterhaltung wieder auf.

»Stimmt«, sagte sie ruhig. »Aber du hast es wenigstens versucht. Jetzt bist du frei und kannst nach Miss Perfekt Ausschau halten.«

»Wie ist sie denn so, meine Miss P.?«

»Hm, mal sehen. Auf welchen Frauentyp stehst du?« Sie dachte einen Moment nach. »Also sie ist älter als ich – eher in deinem Alter, und versteht deshalb deine Witze, ohne dass du sie ihr erklären musst. Sie ist Engländerin, aus genau dem gleichen Grund. Sie kleidet sich gut, aber nicht übertrieben modisch, und du fühlst dich in ihrer Gegenwart wohl. Wenn du ihr in die Augen siehst, hast du das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein.« Sie hielt einen Moment inne, dann fügte sie hinzu: »Oh, und sie hat so tolle Titten, dass du deine Hände nicht von ihr lassen kannst.«

»Interessant«, erwiderte ich ausweichend. »Sehr interessant.«

»Und wie sieht mein nächster Freund aus?«, fragte Elaine in ihrem schönsten britischen Englisch, als wollte sie damit sagen: »Ich werde dich und deinen komischen Akzent vermissen.«

Ich rümpfte die Nase, kratzte mich am Kinn und tat auch sonst noch alles, was auf schweres Nachdenken hinwies. »Also gut«, sagte ich, nachdem ich sie mit meiner Pantomime verärgert hatte. »Er ist einundzwanzig, vielleicht sogar zwanzig. Er geht immer noch aufs College. Er ist Schauspielschüler. Er hat eine Menge coole Freunde, alles Schauspieler und Schriftsteller, und am Wochenende arbeitet er als DJ in einem Club in Downtown. Samstags bleibt ihr die ganze Nacht auf und redet bis zum Morgengrauen, und er gibt dir das Gefühl, der Mittelpunkt der Welt zu sein.«

Elaine zog die linke Augenbraue hoch. »Nicht schlecht, Mr Beckford, echt. Hast du in meinem Tagebuch gelesen?«

»Nein«, sagte ich. »Das war gar nicht nötig. Ich hab mir einfach jemanden vorgestellt, der das Gegenteil von mir ist.«

Die Bahn kam, und es gelang uns, vor allen anderen hineinzustürmen und die letzten beiden gegenüberliegenden Sitze zu ergattern. Das Abteil war zum Schluss so voll, dass alle Sitzplatzinhaber einen persönlichen Stehplatzinhaber neben sich hatten, der sich im Rhythmus des Fahrtverlaufs an ihn schmiegte. Elaine holte ihren Roman aus der Tasche, so dass ich unsere Unterhaltung für beendet hielt. Doch nach einer Weile ließ sie das Buch auf ihren Schoß sinken.

»Matt?« Ihr fragender Tonfall bedeutete, dass ich die Ursache ihrer Lesestörung war. »Wenn du gewusst hast, dass es zwischen uns nicht mehr stimmt, warum hast du nie was gesagt?«

»Hmmm.« Ich versuchte, Zeit zu gewinnen. »Gute Frage.«

Ich zögerte die Antwort künstlich hinaus, denn sie war simpel: Ich wurde bald dreißig und hatte Elaine vor langer Zeit dazu auserkoren, dieses Ereignis mit mir zu feiern. Deshalb konnte ich mich nicht von der Tatsache, dass es in unserer Beziehung kriselte, aus dem Konzept bringen lassen. Ich wollte einfach meinem Plan folgen und nicht allein sein. So hatte ich Hoffnung gesehen, wo es keine Hoffnung gab, und etwas zu retten versucht, was nicht mehr zu retten war.

»Hummeln«, sagte ich schließlich, als ich bemerkte, dass sich die Frau mittleren Alters neben mir nicht länger auf die Berichte der New York Post konzentrierte, sondern mit Elefantenohren unserem Gespräch lauschte. »Kranke Hummeln, um genau zu sein.«

»Hummeln?«, wiederholte Elaine ungläubig.

»Ja, dicke, pelzige Hummeln.« Ich stöhnte, wandte mich der New-York-Post-Leserin zu und starrte sie so lange an, bis sie es kapierte. »Als Kind habe ich mich immer furchtbar aufgeregt, wenn ich eine sterbende Hummel im Garten fand. Mit fünf fand ich es ungerecht, dass etwas so Niedliches und Pelziges, das sogar Honig macht und im Garten mithilft, sterben muss. Immer wenn ich eine sterbende Hummel fand, versuchte ich sie zu retten. Ich legte sie auf den Rand eines Tellers mit Zuckerwasser und ermutigte sie zum Trinken, damit sie wieder gesund wurde.«

»Und, hat es funktioniert?«

»Nein. Sie sind immer ...« Mitten im Satz hielt ich inne, denn die New-York-Post-Frau hörte uns wieder zu. Ich starrte sie erneut an, woraufhin sie die Zeitung in Kopfhöhe schob. »Was ich sagen will, ist«, fuhr ich fort, »dass ich in dir und mir, in uns – also in unserer Beziehung eine kranke Hummel gesehen habe. Wahrscheinlich hatte ich gehofft, dass wir wieder gesund werden. Aber als du dann Schluss gemacht hast, wusste ich, dass es vorbei war. Trotzdem ist es immer ein Schock, wenn so was passiert, auch wenn es unvermeidlich ist.«

Ich sah Elaine an. Sie hatte Tränen in den Augen. »Was ist los?«

»Hummeln«, sagte sie leise. »Das ist der bescheuertste Vergleich, den ich je gehört habe.«

Kapitel 6