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IMPRESSUM |
Autor: |
Hajo Gellhaus |
Verlag: |
edition federleicht |
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Frankfurt am Main |
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www.edition-federleicht.de |
Gestaltung & Satz: |
Gerd Mohler |
Foto Umschlag: |
Hajo Gellhaus |
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4. Auflage 2018 |
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© edition federleicht |
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ISBN 978-3-946112-06-8 |
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E-Book ISBN 978-3-946112-37-2 |
Kriminalroman
Der erste Fall
für Kommissar Leichtfuß
Prolog
Epilog I
Epilog II
Abkürzungen/Erklärungen
Das 18. Jahrhundert war ein wildes Jahrhundert. Auf den Wegen durch den Vordertaunus und durch die Idsteiner Senke wurde vieles transportiert, auch sehr wertvolle Ladungen. So war es kein Wunder, dass sich zahlreiche Räuber, Diebe und Spießgesellen längs der Wege aufhielten. Einige dieser Routen durchkreuzten den Schauplatz dieser Geschichte.
Wichtige Routen um 1800/1850 waren:
Die Rennstraße (Königstein-Weilmünster), die Hühnerstraße, die Hohe- oder Köllsche Straße (Köln – Limburg – Kamberg – Königstein – Frankfurt) oder die Route Wiesbaden – Idstein – Usingen.
Zahlreiche Verbindungswege verknüpften damals diese Hauptstraßen. Es war üblich, die Wege entlang der Wasserscheiden zu nutzen, da in den Tälern nicht an jedem Wasserweg Brücken vorhanden waren.
Die Pferde tauschte man an den zahlreichen Pferdewechselstellen aus, ehe zum Beispiel die nächsten Höhen, die in dieser Taunusgegend reichlich vorhanden waren, überwunden werden mussten. In Esch benötigte man frische Pferde, um zum Beispiel in Richtung Königstein über das Eselsohr zu fahren.
Die beiden spektakulärsten Überfälle waren: Der „Bankraub zu Würges” und der „Postkutschen-Raub der Escher”.
1801 überfiel der Schinderhannes (Johannes Bückler, 1777 - 1803), einer der bekanntesten Räuber der Region, mit seiner und der Piccard-Bande die Poststation in Würges. Sie erbeuteten auf brutale Art und Weise einige Ballen Leinen und einen dicken Beutel mit französischen Goldmünzen. Das Leinen wurde direkt nach der Tat in Esch verkauft. Was aus den Goldmünzen wurde, ist bis heute ungeklärt. Da Teile der Beute aus anderen Diebstählen nach der Festnahme der Bande nicht gefunden wurden, sucht man noch heute nach dem Schatz des Schinderhannes. Bekannt ist, dass der Schinderhannes einige Zeit an der Hasenmühle, Nähe der Alteburg, lagerte. Dort stand auch die Schinderhannes-Eiche.
1848 erfuhren vier bis dahin unbescholtene Handwerker aus Esch, dass sich ein schlecht bewachter Transport mit drei Fässern à 2000 Taler von Frankfurt in Richtung Limburg bewegte. Schnell wurde ein Plan gefasst. Die Haupt- und die Postkutsche mit den Münzen wurden am Mohrenheck bei Esch, aus Richtung Glashütten kommend, an einer steilen Gefällstrecke angehalten und nur durch Androhung von Gewalt ausgeraubt. Die Räuber vergruben ihre Beute in verschiedenen Waldstücken in der Nähe des Überfalls.
Die Polizei hatte es leicht, die unerfahrenen Diebe zu fassen. Zwei Fässer wurden gefunden, das dritte blieb verschollen. Zwei der Räuber starben in der Haft, und die beiden anderen kehrten aus Schmach nicht mehr in ihren Heimatort zurück.
Die Frau eines Räubers kam „überraschend“ zu Reichtum, verließ 1854 Esch und wanderte nach Amerika aus. Ein Fass mit Münzen wog mehr als ein Zentner, und viel Gepäck hatte die Frau des Räubers bei der Überfahrt nicht bei sich.
Sie muss wohl auf dieser Überfahrt einen Mann kennengelernt haben, denn in Amerika, mitten in Boston, verließ sie ihre Kinder. Ein Junge hatte Glück und kam über das Waisenhaus in eine reiche Familie. Er wurde Priester.
1878 besuchte er Esch und wollte in der Kirche von Verzeihung, Not und Strafe reden. Der Escher Pfarrer ließ ihn aber nicht in seiner Kirche predigen. Nach einem Besuch bei seinen Verwandten kehrte er nach Amerika zurück. Hatte er heimlich nach dem Schatz gesucht, ihn vielleicht geborgen?
Gab oder gibt es vielleicht noch Gold im Wald nahe Esch?
Immer wieder machten sich Leute Gedanken, diesen und/oder den Schatz des Schinderhannes zu finden.
Der Spielfilm „Der Schinderhannes“ aus dem Jahre 1958 mit Curd Jürgens und Maria Schell sowie einige Bücher haben sicherlich den Schinderhannes in den Status eines deutschen Robin Hoods, eines edlen, netten Räubers gehoben, aber es ist bewiesen, dass der Schinderhannes ein ganz gewöhnlicher Räuber war.
Das Mohrenheck aus dem Raub der Handwerker und die Lagerstätte der Schinderhannes-Bande an der Hasenmühle liegen nicht sehr weit voneinander entfernt.
Hauptkommissar Richard Leichtfuß hatte es sich in seinem Fernsehsessel bequem gemacht. Ein schönes kaltes Weizenbier aus seinem Kühlschrank stand griffbereit auf dem Tisch. Er erwartete mit Spannung die Übertragung eines Super-Leichtathletik-Sportfestes im Fernsehen.
Da klingelte das Telefon.
Am Apparat war Hauptkommissar Dieter Schierkel. »Richard entschuldige die Störung, aber du kannst dich gleich beruhigen, ich will keine Leiche melden. Ich habe gerade das Wachbuch durchgelesen und da steht ein Eintrag aus Waldems-Esch. Der Stefan Mertens, der Super-Handballer, der ist doch vor einigen Jahren nach Esch gezogen?« Richard war etwas erleichtert, seine Fernsehsendung schien gerettet.
»Ja, ist ein netter, gemütlicher Mensch mit viel Humor. Ist der zu schnell gefahren?«
»Nein, er wird vermisst!«
»Vermisst?«, echote Richard und wunderte sich. »Hm«, sagte Schierkel weiter »seine Frau Andrea, die ist ein bisschen ängstlich. Sie hat ihn als vermisst gemeldet. Ja, er wäre Donnerstag 'Zur Krone' gegangen und hätte dort nach elf mit einem anderen Mann die Kneipe verlassen, er ist aber nie zu Hause angekommen. Und eine Nacht weg, das war er noch nie. Heute ist ja schon Freitagnachmittag.«
»Ich kümmere mich darum. Gute Schicht, Dieter.«
»Ciao, Richard.«
Richard schaute sich mit seiner Sandy die Sendung an. Wie immer, wenn es um Sport ging, hatten sie getippt, wer wohl Erster, Zweiter oder Dritter würde. Diesmal gewann Sandy. Dass ein Außenseiter im Hochsprung gegen den Weltmeister gewonnen hatte, freute Richard riesig. Ab und zu dachte er an den Vermissten. »Du Sandy, was gibt es denn heute Abend zu essen?«
»Wir wollten doch etwas Tiefgefrorenes aufbrauchen.«
»Ach, schade, ich wäre gerne einmal wieder 'Zur Krone' gegangen.« »'Zur Krone', na gut, überredet. Machen wir es uns halt einfacher«, konterte Sandy spontan.
Kaum war die Sendung zu Ende, ging es mit einem kleinen Umweg am Kindergartenweg vorbei zum Gasthaus 'Zur Krone' zu Pepe.
Es gab eine sehr freundschaftliche Begrüßung, denn Sandy und Pepes Freundin Verena kannten sich schon lange.
»Hallo, alles paletti?«, fragte Richard in seiner bekannten Art, als er den Stammtisch passierte.
Ringo antwortete: »Oh, mein Enkel hat die ersten Schritte gemacht.«
»Toll, der ist ja erst elf Monate«, sagte Sandy, die sich Geburtstage und Termine sensationell gut merken konnte. Ringo nickte stolz. Richard und Krug, der rennende Schlosser, tauschten noch schnell ein paar Informationen über ihre nächsten Senioren-Wettkämpfe aus und dann setzte sich Familie Leichtfuß an den Nebentisch. Richard nahm nicht seinen Stammplatz mit Blick zum Hof ein, sondern setzte sich dieses Mal so, dass er leichter auf den Stammtisch blicken konnte. Sandy hatte an der Tafel entdeckt, dass es Calamari gab, und für Richard stand schon vorher fest, dass er Rumpsteak mit Zwiebeln essen würde, da seine Sandy kein Rindfleisch mochte und es also zu Hause keines gab. Nach der Bestellung wartete Richard den richtigen Moment ab und fragte: »Wer war denn von euch Donnerstagabend hier?«
»Ich, wieso?«, fragte Ringo sofort. »Petra und Mathias waren auch da.«
»Hm«, sagte Richard, »es geht um Stefan Mertens. Das ist der riesige, blonde Handballer, der mit Andrea Diehl zusammen ist.«
»Ach der, ja, der war am Donnerstag da.«
»Mit wem denn?«, bohrte Richard nach.
»Uui«, entfuhr es Ringo, »mit dem Marcel, glaube ich.«
»Nein«, fuhr Petra dazwischen, »Marcel heißt Marco.« Lautes Gelächter. »Marco ist der Mann von Marita Bender.«
»Ja, ja«, sagte Ringo, »in meinem Alter fängt es an, aber über Stefans Lieblingsthema: Postraub und Schinderhannes haben sie diskutiert; habe ich so am Rande mitbekommen.«
»Wie lange waren denn die beiden hier?«, bohrte Richard nach. »Ich bin gegen zehn Uhr gegangen«, sagte Ringo und Petra antwortete:
»Wir sind um halb elf Uhr gegangen, da ist noch der Sandro gekommen.«
Jetzt kam Pepe an den Tisch und brachte den Salat. »Kannst dir das Fragen sparen, die beiden haben mein Lokal kurz vor halb zwölf Uhr verlassen, Richtung Dorfgemeinschaftshaus.«
»Danke!«, sagte Richard.
»Was ist denn mit Stefan?«, fragte Pepe neugierig.
»Sorry, laufender Fall.«
Zack hatte Richard einen Tritt gegen sein Schienbein bekommen.
»Aufhören zu arbeiten, Herr Leichtfuß; es ist Wochenende. Deshalb wolltest du wohl unbedingt heute zum Pepe. Ich kenne dich doch.« Richard lachte und nahm sich fest vor, sich an diesem Abend doch nur um Sandy und nicht um die Arbeit zu kümmern.
Der Vorsatz hielt nicht lange. Kaum war er zu Hause angekommen, da rief er noch einmal Dieter Schierkel an. Richard erzählte ihm von seinen Recherchen beim Kneipenbesuch und fragte, ob es Neues im Falle Mertens gab. Leider gab es keine Neuigkeiten und so beschloss Richard, am nächsten Morgen Familie Mertens zu besuchen.
Richard klingelte an der Tür von Andrea: »Hallo, junge Frau«, sagte er. »Hat sich dein Mann bei dir gemeldet?«
»Nein«, sagte Andrea, schüttelte den Kopf und begann zu weinen. Richard nahm Andrea in den Arm. Er kannte sie schon, seitdem sie auf die Welt gekommen war.
»Erzähl mir alles, was du weißt! Ich gebe dir ein paar Statistik-Daten. Jährlich verschwinden in Deutschland 100.000 Personen. Die meisten davon kommen innerhalb einer Woche zurück, viele spätestens nach drei Wochen. Die zweite Gruppe hat dann irgendwo Urlaub gemacht. Nur weniger als drei Prozent bleiben weg, wovon nur ein Drittel Opfer eines Gewaltverbrechens sind. Oft handelt es sich dabei um Lösegeldentführungen. Hört sich doch gar nicht so negativ an, die Statistik, oder?«
»Doch, ja«, schluchzte Andrea.
»Andrea«, sagte Richard nun langsam, »sei der Polizei nicht böse, sie darf aufgrund der Statistik nicht sofort reagieren, aber dafür bin ich ja nun da, inoffiziell, aber viel kompetenter, wie du weißt.« Andrea nickte brav und drückte Richards Hand. Richard hatte längst auf dem Sofa Platz genommen; Andrea bot ihm einen Kaffee an.
Nun startete Richard seine Befragung, indem er sich bemühte, zuerst das Eis zu brechen und dann Andrea immer mehr das Wort zu überlassen. »Also, Kommissar Dieter Schierkel hat mich angerufen und erzählt, dass du Stefan als verschollen gemeldet hast. Ich habe bisher herausbekommen, dass der letzte Ort, an dem er gesehen wurde, die Gaststätte 'Zur Krone' war. Der Wirt wusste ganz genau, dass Stefan am letzten Donnerstag um 23:30 Uhr mit Marco Bender das Lokal Richtung Dorfgemeinschaftshaus verlassen hatte. Geht Stefan denn oft in die Krone?«
»Ach Richard, nicht wirklich regelmäßig, und im Sommer öfter als im Winter. Meistens montags oder mittwochs. Er nimmt dort das Abendbrot ein, trinkt erst ein bisschen und spielt dann meistens an den Automaten. Er kommt in der Regel vor Mitternacht zurück«
»Hatte er großen Stress in der Firma oder woanders? Oder war er sehr deprimiert?«
»Ich denke, er hat einen stressigen Job, aber er sagte, dass es verglichen mit dem letzten Sommer eher relativ ruhig war. Richard, wenn ich ehrlich bin, seine Krankheiten haben ihm schwer zu schaffen gemacht. Er hat viele davon, und wir haben uns deshalb öfter gestritten. Er war verzweifelt, und ich habe gewollt, dass er nach vorne schaut und die Medizin als Hilfe ansieht. Darüber hat er sich oft beschwert und sich für nicht voll genommen gefühlt. Ja, es sind schon viele Baustellen, und es nervte, weil er ständig davon sprach. Meinst du, es war doch zu viel, und er hat dem Ganzen ein Ende gemacht?«
»Andrea, nein. Ich weiß a) über die Krankheiten gar nichts, und b) gäbe es dann sehr wahrscheinlich einen Abschiedsbrief.«
»Oh Richard, ich fühle mich gerade sehr schlecht. Ich hätte doch mehr auf seine Leiden eingehen sollen. Einen Abschiedsbrief habe ich nicht gefunden.«
»Andrea, ohne einen Abschiedsbrief kommt ein Freitod nur extrem selten vor. Gäbe es einen solchen Brief, so hätte man ihn bestimmt schon längst entdeckt. War denn noch etwas? Mit was hat er sich denn in letzter Zeit beschäftigt?«
»Hm, die Geschichten aus Waldems: Der Schinderhannes und der Postraub, das hat ihn immer wieder interessiert. Er hat da viel recherchiert im Internet und bei den Nachbarn. Ich würde sagen, nach seinem Handball und dem Geschichten Schreiben war das nun zum Hobby Nummer 3 geworden. Ist das wichtig?«
»Andrea, zurzeit kann alles wichtig sein. Hat er etwas darüber erzählt, oder hat er etwas aufgeschrieben?«
»Hm, da müssen wir auf seinem Schreibtisch oder in seinem Laptop nachschauen. Aber, das ist nicht einfach. Er hat da so ein System, und sieh dir nur den Schreibtisch an. Ein Genie beherrscht das Chaos. Er weiß wohl, wo etwas ist, aber ein Dritter, der hätte mit Sicherheit Probleme, hier etwas zu finden. Und das Passwort? Das letzte, an das ich mich erinnern kann, hieß CLARAANDREA13, aber das ist schon lange her.«
»Wie lange, erinnere dich bitte, ein, zwei oder zehn Wochen?«
»Oh, ich denke etwa sechs bis acht Wochen, und ich glaube, er wechselt es alle paar Wochen. «
»Andrea, das ist ein Fall für die Spezialisten. Ich nehme den Laptop mit nach Wiesbaden. Okay?«
»Mach das, wenn es hilft.«
»Was hat er denn so vom Schinderhannes und vom Postraub erzählt?«, bohrte Richard nach.
»Ach, ich habe da nie wirklich richtig zugehört. Irgendeine Frau des Posträubers ist nach Amerika und hatte ihre Kinder in Boston ausgesetzt, aber vorher einem Sohn einen Brustbeutel mit einer Schatzkarte umgehängt. Dieser Sohn kam in ein Waisenheim und soll einen Teil der Schatzkarte aus Sicherheitsgründen, wahrscheinlich mittels eines Schreibens, an eine Tante in Deutschland, genauer in Esch, geschickt haben. Er wurde Priester, entdeckte dann in seinen alten Sachen den Brustbeutel mit der Schatzkarte und reiste daraufhin nach Esch. Er besuchte die Verwandtschaft. Die Tante war mittlerweile gestorben, und er tat äußerlich so, als wolle er Barmherzigkeit und Verzeihung predigen und erzählen, dass es in Amerika auch viel Leid und Elend gäbe. Der Escher Pfarrer ließ ihn aber nicht auf seine Kanzel. So fuhr er schließlich unverrichteter Dinge wieder nach Amerika zurück. Ob er etwas gefunden hatte? Die Familie in Esch wäre anschließend auch nicht reicher gewesen als vorher.«
Bei Marita Bender klingelte es. Spencer Baum, der besagte Nachfahre, betrat das Haus. Er war in der Zwischenzeit sehr fleißig gewesen.
»Oh Marita, ich habe einiges herausbekommen.«
Es klingelte wieder. Richard Leichtfuß hatte sich entschlossen nachzuhören, ob Marco Bender inzwischen nach Hause gekommen war.
Marita drückte auf die Türsprechanlage und fragte: »Wer ist da?« »Hallo, hier ist Richard Leichtfuß, ich wollte dich gerne etwas fragen.«
»Kleinen Moment. Ich muss mir noch etwas anziehen«, log Marita, ging ins Wohnzimmer und sagte zu Spencer: »Schnell, schnell, alles zusammenräumen und ab in die Küche, da kommt die Polizei.« »Polizei«, echote Spencer. Hastig sammelte er alles ein, was er gerade auf dem Tisch ausgebreitet hatte, und verschwand in der Küche.
»Hallo Richard, was ist los? Komm herein«, spielte Marita die Ahnungslose und bat Richard ins Wohnzimmer.
»Hallo Marita«, antwortete Richard und schüttelte ihre Hand. »Andrea Mertens vermisst ihren Mann Stefan. Das ist der große, blonde Handballer, der zugezogen ist.« Richard schaute zu Marita, die verzog fragend ihr Gesicht.»
»Ja, den kenne ich schon, aber was habe ich damit zu tun?« »Marita«, sagte Richard etwas strenger, »Stefan und Marco waren am Donnerstag zusammen im Gasthaus 'Zur Krone' und haben miteinander gesprochen und nun wird Stefan vermisst.«
»Und das war Marco?«, sagte Marita und schüttelte den Kopf, »das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Mein Marco tut keiner Fliege etwas zu Leide.«
»Halt Marita, ich wollte nur mit Marco sprechen, ist er da?« »Nein, er ist nicht da.«
»Wann kommt er denn nach Hause?«
»Das weiß ich nicht so genau, meistens gegen 16:30 Uhr, aber er war am Freitag gar nicht zu Hause.«
Richard stutzte. »Gar nicht zu Hause? Bleibt er öfter weg?« »Ach«, sagte Marita »eigentlich ist er ganz brav. Nur manchmal trinkt er einen zu viel und dann legt er sich in irgendeinen Garten und schläft seinen Rausch aus. Manchmal dauert das sogar drei Tage, wenn er ganz viele Probleme hatte. Diese Woche hatte er gewaltigen Stress mit seinem Chef, da hatte ich schon mit einem Besäufnis gerechnet.«
»Na, wenn das so ist«, sagte Richard, »hier ist mein Kärtchen. Marco möchte mich bitte anrufen, wenn er wieder da ist. Danke und schöne Grüße«, sagte Richard. Marita schnaufte erleichtert. Richard hatte sie während des ganzen Gespräches beobachtet und dachte nun, die Gestik und Mimik passte gar nicht zu den coolen Bemerkungen, die Marita gemacht hatte.
Er hatte so ein gewisses Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Er wollte gleich bei Marcos Arbeitgeber nachfragen.
Kaum hatte Richard die Wohnung verlassen, holte er sein Handy heraus und schaute in einer App nach der Telefonnummer des Arbeitgebers von Marco. Er schlenderte dabei die Vordere Taunusstraße entlang, Richtung Dorfgemeinschaftshaus. Der Hinweg war viel beschwerlicher, denn es ging ziemlich steil aufwärts, und Richard musste gewaltig schnaufen, als er endlich oben war.
Er suchte nach Metallbau Göllenheim in Idstein, fand aber zuerst nichts. Er schaute, ob er sich vertippt hatte, und wiederholte die Eingabe langsam. Schon bei 'Göl' kam ein Hinweis und er konnte darauf klicken. Gölenheim wurde nur mit einem L geschrieben. Bald hatte er Marcos Chef an der Strippe und erfuhr, dass Marco nicht zur Arbeit erschienen war, auch noch ohne sich krankzumelden. Der Chef vermutete, dass er ihn zu sehr kritisiert hatte, denn Marco sei sehr sensibel, aber er war ein guter Mitarbeiter, und da tolerierte man einiges.
Richard fühlte sich bestätigt. Sein Bauchgefühl hatte ihn selten betrogen.
Er rief die Idsteiner Wache an. Es gab keine positiven Meldungen, dass Stefan Mertens gefunden worden war. Richard bohrte nach und erhielt die Auskunft, dass es auch keine Autounfälle mit tödlichem Ausgang gab.
Marita Bender klopfte an ihre Küchentür »Die Luft ist rein, der Kommissar ist wieder weg.«
»Polizei, wieso denn das?«
»Ein Mann im Ort wird vermisst. Der war wohl mit meinem Mann zusammen. Der Polizist hat nun gefragt, ob Marco zu Hause wäre. Ich habe ihm etwas erzählt, das ihn vorerst beruhigt hat.«
»Und, hat er es geglaubt?«
»Ich denke schon«, sagte Marita.
»Weiß denn dein Mann etwas?«, bohrte Spencer nach.
»Ach, der weiß wohl auch nicht mehr als jeder andere hier im Ort. Der Schinderhannes und die Escher-Posträuber, das sind die Legenden des Dorfes.«
»Okay«, sagte Spencer, breitete seine Karten aus und begann in Ruhe noch einmal alles zu erzählen. Als Kind hatte er in einer Rumpelkammer seiner Großmutter in der Ahnentruhe, so nannte Oma diese Kommode, den alten Brustbeutel mit der Karte darin gefunden, aber außer, dass er an alte Schatzsucherfilme und -bücher dachte, war damals nichts geschehen. Das war schon viele Jahre her. Als nun sein Urgroßvater achtzig wurde, saß man, wie es Familientradition war, nach dem Barbecue noch ein bisschen am Lagerfeuer und erzählte uralte Geschichten. Der Opa redete nun von den ersten Vorfahren, die aus Deutschland nach Amerika gekommen waren. Er begann mit seinem Uropa. Dieser wäre mit seiner Mutter und einem Bruder aus Amerika gekommen und in Boston ausgesetzt worden. Er kam in ein Waisenheim und hatte Glück. Eine reiche Familie, die Dunkins, adoptierten ihn, und er wurde Priester. Dann erst hatte er herausgefunden, woher er stammte. Das Waisenhaus musste wohl irgendwelche Informationen darüber gehabt haben. Er beschloss nach Deutschland zu reisen, um sich für die Fehler seines Vaters, der dort eine Postkutsche ausgeraubt hatte, zu entschuldigen.
Er wollte von Vergebung und Verzeihung predigen und suchte auch oberflächlich nach dem Schatz. Er fand jedoch nichts. Das mit der Entschuldigung klappte auch nicht wie gedacht. Auf jeden Fall, die Wurzeln der Stammbaums liegen in Esch bei Idstein in Deutschland.
An dieser Stelle der Erzählung machte es plötzlich klick bei Spencer. Die Karte in der Ahnenkiste war tatsächlich eine echte Schatzkarte.
Das passte ausgezeichnet zu ihm, denn er hatte Archäologie studiert und war schon in Wichqana in Peru, um nach alten Inka-Behausungen zu suchen.
In diesem Fall war alles viel einfacher als bei seiner Arbeit, denn hier musste man keine Recherchen in Altarchiven vornehmen und nach Überlieferungen der Indios suchen, hier genügte einfache Logik.
Die Karte stammte höchstwahrscheinlich aus der Region um Esch. Die erste kartographisch registrierte Logik hatte er auf die Karte geschrieben und seine bisherige Erfahrung mit graphischen Suchmethoden und die heutige Technik hatten das Suchen unheimlich erleichtert und beschleunigt. Er hatte demnächst in Zürich zu tun, und Lis, seine Frau, wollte unbedingt einmal nach Rom. Sie beschlossen, er fahre vor, um zu arbeiten, und sie treffen sich dann in Rom, um gemeinsam Urlaub zu machen.
Auf seinem Weg nach Zürich machte er den Abstecher bei Marita und nun, bevor es nach Rom ging, war er wieder hier. Spencer erklärt Marita, er habe gerade die komplette Karte eingescannt und in ein Geodäten-Programm in eine sogenannte Cloud eingelesen und habe das System suchen lassen. Früher hätte dieser Vorgang Tage gedauert, aber heutzutage wäre das in Minuten möglich, der Technik sei Dank. Das Ergebnis: sieben Übereinstimmungen. Die Karte war wahrhaftig aus dem Gebiet Idstein - Heftricher Moor, Alteburg.
Spontan sagte er: »Auf, lass uns nach dem Schatz suchen. Ich habe ein Metallsuchgerät mitgebracht. Hast du Schaufeln, Spaten und so etwas?«
»Da müssen wir im Schuppen nachsehen.«
Dort gab es genug Hilfsgeräte. Alles, was nützlich sein konnte, wurde in Maritas Wagen gepackt. Plötzlich begann Marita zu weinen. Nachdem ihr Schluchzen leiser wurde, verstand Spencer erst, was Marita sagte: »Hoffentlich ist Marco nichts passiert.« Die eben noch coole Marita war doch nicht so stark, wie sie dachte. Spencer schaffte es schließlich, Marita zu trösten und zu beruhigen, und die Fahrt zur Schatzsuche konnte beginnen.
Da fiel Spencer ein: »Haben wir eigentlich zwei Bandmaße dabei?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Die brauchen wir noch, unbedingt. Gibt es hier einen Baumarkt?«, fragte Spencer weiter. »Ja, in Idstein gibt es einen gut sortierten OBI, der hat alles.«
»Ist das weit? Wir müssen uns beeilen.«
»Nein, nur ein paar Kilometer.«
Kurz danach erreichten sie den OBI und besorgten die Bandmaße. Dann ging es Richtung Alteburg. Marita fuhr über Lenzhahn Richtung Alteburg. Dann sagte sie. »Da vorne ist die Alteburg.«
»Wo denn? Ich sehe nichts«, kam es von Spencer.
»Da unten rechts. Der Wald und der Platz. Eine richtige Burg ist da nicht. Germanen und Römer haben dort früher ihre Waren gehandelt.«
»Yes, yes. Burgen gibt es erst seit einem halben Jahrtausend.« Spencer schaute auf die Karte. »Unser Ziel liegt hinter der Alteburg, fast genau dahinter.«
»Ach, da kann man durchfahren, habe ich schon oft mit dem Fahrrad gemacht: von Esch über Bermbach. Es geht die ganze Zeit langsam bergauf, aber zurück, da rollt es toll«, erzählte Marita begeistert. Spencer interessierte das aber gar nicht.
Marita bog rechts ab und wählte die kürzeste Strecke. Ab und zu hoppelte es stark und dann ging es auf der befestigten Straße weiter. Die beiden erreichten die Landstraße. Spencer hatte einen aktuellen und den alten Lageplan auf seinem Schoß ausgebreitet.
»Aha, da ist die L3011 Waldems/Eppstein, da müssen wir kurz links herauf und gleich wieder rechts herunter, da muss das Moor beginnen.«
Marita setzte den Blinker und dann ging es rechts den Berg hinunter in Richtung Heftricher Moor. Spencer hatte auf dem aktuellen Lageplan die Merkmale der alten Karte übertragen lassen.
»Das da unten ist das Heftricher Moor. Auf dem Weg fährst du quasi sofort den Berg hoch. An der kleinen Biegung müsste auch schon einer der beiden Messpunkte sein. Halte da rechts an.« Marita fuhr sehr behutsam auf diesen Feldwegen, fast so, als befände sich unter dem Auto eine Eisschicht. Sie hielt noch vorsichtiger an, allerdings ohne dabei den Feldweg zu verlassen. Dieser Boden schien ihr sicherer, als der Waldboden am Rande zu sein. »Marita, more right, hier kommt kein Waldfahrzeug mehr vorbei.«
»Okay.«
Dann packten sie ihr Equipment aus. Spencer schaute auf die Karte und nahm sein elektrisches Messgerät. »Marita, nimm bitte diesen Stab und stecke ihn in den Boden, wenn ich den Daumen hebe. Drehe dieses Auge immer in meine Richtung. Sehen solltest du mich. Wir müssen also immer eine Lücke durch die Bäume finden, so dicht ist es hier nicht. Gehe bitte etwa 200 Schritte in diese Richtung und bleibe da stehen.« Spencer zeigte mit dem Arm die Richtung. Er selbst ging die zirka 100 Schritte zurück zum ersten Messpunkt. Er sah den kleinen Fußpfad, der sich durch den Wald schlängelte, und dachte und hoffte, dass das die Richtung sei. Er rief, nachdem Marita stoppte: »200 Schritte gegangen?«
»Ja«, kam es kaum hörbar zurück. Er hob den Daumen und Marita drückte die Stange in den Boden. Spencer schaute in sein Gerät. Erst 150 Meter.