Carla Gorman, die junge Wolfsexpertin, kann es kaum glauben: In einem verschlafenen Nest im südöstlichen Alaska bringt eine alte indianische Legende die Anwohner gegen die Wölfe auf. Ein sagenumwobener weißer Wolf soll mit seinem Rudel vom Spirit Mountain in die Täler gekommen sein – eine Gefahr für Mensch und Tier. Als tatsächlich zwei junge Schafe totgebissen werden, greifen die Wolfsgegner zu den Gewehren. Wenn Carla es nicht schafft, mit den Gerüchten über die blutrünstigen Bestien aufzuräumen, soll der professionelle Wolfsjäger Jason Harper in die Berge geschickt werden. Ausgerechnet der Mann, für den Carla seit ihrer ersten Begegnung mehr empfindet, als ihr lieb ist. Schon bald steht Carla ein Wiedersehen mit Jason bevor, das sie sich ganz anders vorgestellt hat …
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Nachwort
Carla Gorman würde den Anblick der toten Wölfe niemals vergessen. Sie war einiges gewohnt, hielt sich als Wolfsexpertin oft genug in der Wildnis auf und hatte zahlreiche gerissene und erschossene Tiere gesehen, aber der Anblick von zehn toten Wölfen, die wie nach einer Treibjagd aufgereiht im Schnee lagen, war auch für sie unerträglich. Ein Jäger aus Fairbanks hatte sie mit einem Schnellfeuergewehr getötet, und sie war ziemlich sicher, dass er sich schon bald in den sozialen Medien mit seinem Jagderfolg brüsten würde.
Nach dem Gesetz hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen. In Alaska durfte man bis zu zehn Wölfe töten, wenn man sich nicht gerade in einem Naturschutzgebiet befand. Der Jäger hatte nur wenige Schritte außerhalb des Denali National Parks geduldig gewartet, bis ein Rudel die Grenze überschritten hatte. Carla und ein Ranger waren mit einem Hundeschlitten unterwegs gewesen, um mehr über das Rudel am Rock Creek zu erfahren, hatten sofort ihren Kurs geändert und den Jäger und seine Beute an der Grenze erwischt.
»Höchste Zeit, dass sich mal jemand um diese Bestien kümmert!«, rief der Jäger. Er stand wie ein Triumphator zwischen den getöteten Wölfen, ein übergewichtiger Mann in den Sechzigern, der auch schon auf Großwildjagd in Afrika gewesen war. Er lächelte stolz. »Keine Angst, ich habe mich streng ans Gesetz gehalten. Die Wölfe waren außerhalb der Grenzen des Nationalparks.«
»Weil Sie das Rudel dorthin gelockt haben«, erwiderte der Ranger. »Aber keine Angst, irgendwann machen Sie einen Fehler und landen im Gefängnis!«
»Niemals!« Der Jäger lächelte immer noch. »Mir kann keiner was.«
Carla konnte den Blick nicht von den Wölfen nehmen. Ein ganzes Rudel, kräftige, gesunde Tiere, die den Nationalpark wahrscheinlich nie verlassen hätten, wären sie von dem Jäger nicht angelockt worden.
»Wie kann man so herzlos sein«, warf sie ihm vor, »die Wölfe haben Ihnen doch nichts getan.«
»Wölfe sind wilde Raubtiere«, erwiderte er. »Schon mal gesehen, wie herzlos sie mit Kälbern und Schafen umgehen? Sie sollten mir dankbar sein, dass ich die Bestien umgelegt habe. Leider sind es nur zehn. Sobald das Gesetz gelockert wird und die Chancen gut stehen, erledige ich zwei Dutzend!«
Die Antwort des Jägers ging ihr nicht aus dem Kopf. Auf der Rückfahrt nach Copperville, einem kleinen Ort abseits des Richardson Highway, dachte sie ständig darüber nach. Männer wie dieser Jäger, die Spaß am Töten fanden und mit Schnellfeuergewehren auf Wölfe losgingen, als gelte es, einen Krieg zu gewinnen, waren ihr zuwider. Als angehende Biologin und Expertin bei »Wolf Aid«, wo sie als leitende Angestellte arbeitete, half sie verletzten Wölfen, die in der Wildnis nicht überleben konnten, und gab ihnen ein neues Zuhause.
Der Winter hatte Alaska fest im Griff, aber der Parks Highway und der Richardson Highway südlich von Fairbanks waren geräumt, sodass sie keine Schwierigkeiten hatte, den Geländewagen des Wolfcenters durch das leichte Schneetreiben zu steuern. Über dem Tanana River hingen Nebelschwaden. Die Fichten zu beiden Seiten hoben sich teilweise dunkel gegen die Gletscher und Schneefelder ab und reichten bis an die Straße heran. Die verschneiten Gipfel der Alaska Range verloren sich im Westen in den grauen Wolken.
Sie erreichte Copperville am frühen Nachmittag. Die Stadt bestand aus einer Hauptstraße mit wenigen Abzweigungen und war nur über einen Schotterweg zu erreichen, der jetzt im späten Januar unter einer festen Schneedecke verborgen lag. Wie auf zahlreichen anderen Nebenstraßen in Alaska tat man sich hier mit einem Mittelklassewagen eher schwer. Die Stadt war einmal das Zentrum des Kupferabbaus gewesen, eine blühende Boomtown, und lebte jetzt vom Tourismus, hauptsächlich während des Sommers, wenn die abenteuerlichen Floßfahrten auf dem nahen Gulkana River die Urlauber anzogen.
Das Wolfcenter, das auch im Winter für Besucher geöffnet hatte, war in einem zweistöckigen Blockhaus untergebracht und von zwei riesigen Gehegen umgeben, in denen dreizehn Wölfe eine neue Heimat gefunden hatten. In einem kleineren Gehege lebten zwei Wolfshunde, die ihr verantwortungsloser Besitzer vor einem Jahr auf einem Parkplatz ausgesetzt hatte.
Die Wölfe witterten Carla bereits und begrüßten sie mit lautem Heulen. Sie freute sich jedes Mal, wenn sie ins Wolfcenter kam und sah, wie gut es den geretteten Tieren ging.
Amy Morton saß am Empfang im Vorraum am Computer, als Carla das Haus betrat. Sie arbeitete als »Mädchen für alles« bei Wolf Aid, eine sportliche und immer noch durchtrainierte Frau, der man ihre sechzig Jahre kaum ansah. Sie war Leichtathletin gewesen und als Musherin zweimal unter den Top 10 beim Iditarod gelandet, einem der größten Hundeschlittenrennen der Welt, das durch tausend Meilen Wildnis von Anchorage nach Nome an der Eismeerküste führte. Sie trug Wollhosen, Pullover und feste Schuhe, ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden.
»Hey, Amy«, begrüßte Carla die Musherin. »Nicht beim Training?«
Amy blickte auf und grüßte lächelnd zurück. »Heute Abend wieder. Die Hunde müssen sich an ungewöhnliche Zeiten gewöhnen. Beim Iditarod werden wir oft nachts unterwegs sein. Das Rennen ist kein Wunschkonzert.«
»Und du willst wirklich noch mal mitmachen?«
»Würde ich sonst seit drei Monaten trainieren? Einer muss diesen jungen Wilden doch zeigen, dass man mit sechzig noch nicht zum alten Eisen gehört. Mit einigen dieser Himmelsstürmer nehme ich es immer noch auf.« Sie schien sich über ihre eigenen Worte zu amüsieren. »Gilt unsere Wette noch?«
»Dass ich einen Monat lang kein Fleisch esse, wenn du unter die Top 20 kommst?« Carla grinste schwach. »Sicher. Und wenn du die Top 10 schaffst, halte ich sogar zwei Monate durch. Keine Hamburger oder Steaks.«
»Und wenn ich gewinne, wirst du Vegetarierin?«
»Wir wollen doch nicht übertreiben. Ohne Wolfburger ist das Leben nur die Hälfte wert. Wie du ohne Fleisch auskommst, ist mir sowieso ein Rätsel. Dieser Körnerkram kann doch auf Dauer nicht schmecken. Wenigstens frischen Lachs solltest du mal wieder probieren. Oder bekommen den bei dir nur Huskys?«
»Huskys brauchen Fisch, aber die sind auch anders gebaut.«
»Manchmal mache ich mir echt Sorgen um dich«, sagte Carla lachend. »Kein Fleisch, kein Fisch, nicht mal Schokolade oder so was. Immer nur dieses gesunde Zeug.« Doch insgeheim bewunderte sie Amy. Sie hatte selten eine diszipliniertere Frau getroffen. Anscheinend wollte sie hundert werden.
Amy trank von ihrem heißen Tee und behielt den Becher in der Hand. »Wendy hat schon ein paarmal nach dir gefragt. Es geht um Doc Holliday. Ohne C. J. kommt sie nicht mit ihm zurecht. Siehst du mal nach ihr? Sie macht sich gut, aber Doc ist wohl eine Nummer zu groß für sie.«
Wendy war eine Schülerin der örtlichen Highschool und arbeitete im Rahmen einer Projektwoche für Wolf Aid. Sie war siebzehn, wollte später Biologie studieren und sich dann beim Center bewerben. Sie war mit großem Eifer bei der Sache, nur der Wolf, den Carla vor Weihnachten nördlich von Fairbanks gerettet und ins Center mitgebracht hatte, machte ihr zu schaffen.
»Gut, dass du kommst!«, sagte Wendy. Sie kam gerade aus einem der Gehege und stand etwas ratlos vor dem Gitterzaun. »Doc macht wieder Ärger. Vorhin hat er sogar Merlin angefaucht, obwohl er mit dem am besten auskommt.« Sie deutete ins Gehege. »Sieh ihn dir an! Nicht genug, dass er humpelt, er torkelt manchmal wie ein Betrunkener, als wäre sein Gleichgewichtssinn beschädigt. Hast du nicht gesagt, ein Elch hätte ihn am Hals getroffen?«
Carla beobachtete den Wolf, der neben einem Gebüsch im Schnee lag und tatsächlich nicht ganz auf der Höhe zu sein schien. »Er hat ihn mit einem seiner Vorderhufe erwischt. Könnte sein, dass er mehr abbekommen hat, als wir dachten. Damals hieß es, er würde nur an einer Gehirnerschütterung leiden.«
Sie öffnete die Tür und betrat das Gehege. Als erfahrene Mitarbeiterin kannte sie sich mit Wölfen aus und hatte keine Angst, obwohl man sich bei wilden Tieren niemals sicher sein konnte. Selbst bei Wölfen, die schon lange im Center lebten, bestand die Gefahr, dass sie auch mal aggressiv reagierten. Kein Problem für Carla, die schon in einigen Artikeln als »Wolfsflüsterin« bezeichnet worden war. Ein Wort, das sie nicht mochte. Sie verstand sich eher als gleichwertige Partnerin der Tiere.
Doc Holliday, der seinen Namen einem berüchtigten Revolverhelden des Wilden Westens verdankte, knurrte missmutig, als sie sich ihm näherte.
»Was ist los mit dir, Doc? Wir dachten, du wärst längst gesund. Du hast doch nicht umsonst so schlechte Laune.« Sie blieb dicht vor dem Wolf stehen und redete beruhigend auf ihn ein. Frischer Wind wehte ihr Schneeflocken ins Gesicht.
Der Wolf blickte sie an, ließ jedoch nicht erkennen, was er fühlte.
»Kommt mir beinahe so vor, als hättest du was mit den Augen«, sagte sie, nachdem sie ihn längere Zeit beobachtet hatte. »Hab ich recht? Ist das immer noch von dem Elchtritt? Oder hast du dich schon wieder verletzt?« Sie betrachtete den Wolf genauer, konnte aber keine Wunde feststellen. »Keine Angst, Doc«, tröstete sie ihn. »C. J. kommt heute oder morgen zurück, dann untersucht er dich noch mal. Und falls er in Kolumbien festhängt, lasse ich Dr. Jessop aus Paxson kommen, der versteht auch was von Wölfen.«
Sie ließ den Wolf allein und stapfte zu Wendy zurück.
Die Praktikantin strahlte. »Toll, wie du mit den Wölfen umgehst! Das möchte ich auch mal können. Meinst du, ich kann nächsten Sommer wieder bei euch arbeiten?«
»Da spricht nichts dagegen, denke ich. Wie geht’s den anderen?«
Sie waren vor dem zweiten Gehege stehen geblieben und sahen zu, wie Cody, der sein Rudel verlassen hatte und in eine Falle geraten war, die letzten Fleischfetzen von dem Kadaver riss, den Amy und Wendy am frühen Morgen ins Gehege gebracht hatten. Sein linker Hinterlauf, den C. J. in einer heiklen Operation gerettet hatte, behinderte ihn stark und ließ ihm keinen großen Aktionsraum. Kawa, mit ihren zehn Monaten noch etwas grün hinter den Ohren, hatte ein ähnliches Schicksal erlitten und streunte zwischen den nahen Bäumen herum. Ghost blieb seinem Namen treu und wieder einmal unsichtbar.
»Die sind okay.« Wendy ging vollkommen in ihrer Arbeit auf. »Soll ich ein wenig Ordnung in den Gefriertruhen schaffen? Wir haben gestern eine neue Lieferung vom Supermarkt in Paxson bekommen. Gerade erst abgelaufenes Rindfleisch. Wenn wir nicht besser stapeln, haben wir zu wenig Platz.«
»Gute Idee. Ich ziehe mich in der Zwischenzeit um.«
Carla kehrte ins Haus zurück und schlüpfte in Arbeitshose, Gummistiefel und den weinroten Anorak mit dem Wolf-Aid-Logo. Sie würde nach den beiden Wolfshunden sehen und sich anschließend um ein Ehepaar kümmern, das sich für den späten Nachmittag angekündigt hatte. Sie waren auf der Durchreise und hatten nicht viel Zeit, interessierten sich aber sehr für Wölfe und wollten die vierbeinigen Bewohner des Centers kennenlernen.
»Carla!«, hielt Amy sie zurück. »C. J. hat gerade aus Kolumbien gemailt. Er kommt morgen gegen elf Uhr mit unserem neuen Gast in Fairbanks an. Du sollst ihn mit dem Pick-up abholen. Chico geht es nicht besonders gut.«
Chico war der Name eines Wolfshundes, den C. J. bei einem befreundeten Tierschutzverein in Kolumbien abgeholt hatte. Er hatte Rosita Perez über Facebook kennengelernt und ihr Tipps für ihren neuen Verein gegeben, den sie »Salva un Amigo« genannt hatte, »Rette einen Freund.« Als ihr ein verwahrloster Wolfshund unter den Straßenhunden aufgefallen war, hatte sie C. J. gebeten, nach Pereira zu kommen und ihn nach Alaska zu bringen. In Kolumbien hatte man wenig Erfahrung mit Wolfshunden, und außerdem wollte C. J. Rosita unbedingt persönlich kennenlernen. Er sprach leidlich Spanisch und, was noch wichtiger war, er kannte sich mit Wolfshunden aus.
»Geht klar«, erwiderte sie. »Wird auch Zeit, dass er zurückkommt.«
Das Telefon klingelte. Amy nahm ab und hielt Carla, die schon auf dem Weg zur Tür war, mit einer Handbewegung zurück. »Sie haben Glück, John«, sagte sie zu dem Anrufer, »sie steht neben mir.« Sie reichte den Hörer an Carla weiter.
»John Bolton vom News-Miner. Ich rufe wegen der toten Wölfe in Denali an. Was sagen Sie dazu?«
Carla kannte den Reporter der größten Zeitung Nordalaskas seit einigen Monaten. Er war ein fairer Journalist, der wirklich neutral über Wölfe berichtete und nicht ständig von »blutgierigen Bestien« und »gefährlichen Raubtieren« sprach. Anders als zahlreiche Politiker, die glaubten, mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Wölfen mehr Wählerstimmen gewinnen zu können. Die Mehrzahl der Bürger war gegen Wölfe oder stand ihnen gleichgültig gegenüber, auch weil es über zehntausend Wölfe in Alaska gab, da kam es auf einen mehr oder weniger nicht an.
»Wir von Wolf Aid und alle anderen Bürger, die für einen sinnvollen Tier- und Naturschutz eintreten, haben mit Abscheu von der Tötung dieser zehn Wölfe gehört«, begann sie ihr Statement. »Ich war vor Ort und habe den Jäger als selbstsüchtigen und skrupellosen Menschen kennengelernt. Wie man ein ganzes Rudel mit gemeinen Tricks aus einem Naturschutzgebiet wie dem Denali National Park locken und mit einem Schnellfeuergewehr auf sie losgehen kann, ist für uns nicht nachvollziehbar. Diese Wölfe stellten keine Gefahr für Nutztiere und erst recht nicht für Menschen dar, im Gegenteil. Sie halfen dabei, das Gleichgewicht der Natur aufrechtzuerhalten. Wir müssen und werden die Menschen noch stärker über den wahren Charakter von Wölfen aufklären und hoffen, dass sich so etwas nicht wiederholt.«
»Sie sprechen beinahe wie eine Politikerin«, erwiderte Bolton.
»Weil ich diese Sätze schon ziemlich oft sagen musste. Was mir durch den Kopf ging, als ich die zehn ermordeten Wölfe im Schnee liegen und das dämliche Grinsen dieses Jägers sah, würde Ihr Chefredakteur sowieso nicht drucken.«
»Versuchen Sie’s trotzdem!«
»Dieser sinnlose Tiermord ist eine riesengroße Schweinerei! Wie krank muss man sein, um zehn Wölfe aus dem Nationalpark zu locken, damit man sie in Ruhe abknallen kann? Aus sicherer Entfernung und mit einem Schnellfeuergewehr! Dieser Großwildjäger gehört zu den Typen, die nach Afrika fliegen, sich dort in ein Reservat bringen lassen und in Gefangenschaft aufgezogene Löwen töten, die vorher auch noch betäubt wurden. Und dann brüsten sie sich mit Fotos in den sozialen Netzwerken. Für einen Farmer, der sein Hab und Gut verteidigt, habe ich noch ein gewisses Verständnis, aber mit dieser selbstsüchtigen Ballerei komme ich nicht klar.«
»Das klingt schon wesentlich besser«, sagte der Reporter. »Bleiben Sie so emotional und überlassen Sie die Worthülsen den Politikern in Juneau.«
»Und handele mir eine Klage ein?«
»Warum soll’s Ihnen anders gehen als uns?«
Carla legte auf und reichte Amy den Hörer. Sie wusste, was die Musherin sagen würde, und kam ihr zuvor: »Ich weiß, ich hab mich provozieren lassen und wieder ein paar Schlagzeilen rausgehauen, aber ich kann nicht anders.«
Amy grinste. »Als Gouverneurin wärst du eine krasse Fehlbesetzung.«
Carla ging nach draußen und half Wendy beim Einräumen der Fleischvorräte. Sie bekamen regelmäßig Lieferungen aus dem Supermarkt in Paxson. Ohne Spenden wie diese wäre ihr Wolfcenter nicht überlebensfähig. Sie waren ein privates Unternehmen, das keinerlei Unterstützung von der Regierung erhielt, und die Eintrittsgelder allein reichten nicht.
Eigentlich hatte sie Hunger und sehnte sich nach einem Wolfburger, aber Wendy wäre mit der vielen Arbeit überfordert gewesen. Als sie fertig waren, kam das Ehepaar, das sich angemeldet hatte, und Carla führte sie durchs Center. Jeder Mitarbeiter musste mal als Tourguide ran, außer C. J. Fletcher, der während einer Tour aber Fragen beantwortete.
»Und warum lassen Sie die Wölfe nicht frei, wenn sie gesund sind?« Diese Frage wurde bei jeder Führung gestellt.
»Weil sie sich in der Wildnis nicht mehr zurechtfinden würden«, antwortete Carla. »Ein humpelnder Wolf würde bei keinem Rudel mehr Anschluss finden und keinen Tag überleben. Allein kann er keine größeren Tiere reißen. Aber bei uns bekommen sie so viel Freiheit wie möglich. Unsere Gehege haben die Größe von drei Footballfeldern.«
»Was für elegante und schöne Tiere«, staunte die Frau. »Sieh nur, wie sie sich bewegen. Ich verstehe nicht, warum sie fast überall als grausame Bestien beschimpft werden. Als wären sie die Ausgeburt des Teufels. Wer hat sie denn aus den Wäldern vertrieben? Das waren die Menschen. Da ist es doch nur fair, dass wir ihnen wieder eine Heimat geben, oder?«
Carla gefiel das Ehepaar. »Leider sind nicht alle Menschen so verständnisvoll wie Sie. Wölfe haben eben nicht das beste Image. Weder in Märchen wie Rotkäppchen noch in Werwolf-Romanen und anderen Gruselgeschichten.«
»Um so höher sind Ihre Anstrengungen zu bewerten.«
Carla freute sich über das Lob, war aber auch erleichtert, als sich das Ehepaar verabschiedete und sie endlich zu ihrem Wolfburger kam. Der doppelte Cheeseburger mit Speck war die Spezialität des Roadhouse gegenüber und lockte sogar Besucher aus Anchorage und Fairbanks an. Ebenso begehrt waren die deftigen Eintöpfe der russischen Besitzerin, deren Namen kaum jemand aussprechen konnte. »Ma Barker« nannte sie sich deshalb, nach einer berüchtigten Gangsterbraut der 1930er-Jahre aus Chicago, der sie angeblich ähnlich sah. Mit ihren roten Haaren und flotten Sprüchen fiel sie überall auf.
»Privjet, Carla!«, begrüßte die Wirtin sie mit ihrem typischen russischen »Hallo«. »Aus Denali zurück? Hab von der Schweinerei mit den zehn Wölfen gehört. Eine Schande ist das! Was darf’s denn sein? Ein Wolfburger mit viel Käse?«
»Ohne Pommes und mit Diet Coke«, bestellte sie.
Carla öffnete ihren Anorak und setzte sich an den Tresen. Um diese Zeit waren kaum Gäste im Lokal. Ein Pärchen, das sich einen Wolfburger teilte, zwei Männer, die Kaffee tranken und darüber diskutierten, ob noch mehr Schnee fallen würde, und das Ehepaar, das im Wolfcenter gewesen war. Sie winkte ihnen zu und nickte dankbar, als Ma Barker ihr die Cola hinstellte.
Sie hatte gerade in ihren Wolfburger gebissen und kaute genüsslich, als ein junger Mann zur Tür hereinkam und neben ihr stehen blieb. »Carla Gorman?«
Carla blickte ihn neugierig an. Er war ein paar Jahre älter als sie und trug eine Fellmütze mit Ohrenklappen. Seine Wangen waren von der winterlichen Kälte gerötet. Unter seinem geöffneten Anorak schauten Anzug und Krawatte hervor. Er kam ihr wie der Angestellte einer Bank oder irgendeiner Firma vor, die großen Wert auf korrekte Kleidung und ein gepflegtes Äußeres legte.
»Die Dame im Wolfcenter hat mir gesagt, wo ich Sie finden kann.« Er lächelte schwach. »Sie sollen die richtige Ansprechpartnerin für meine Bitte sein.«
Carla deutete auf den freien Hocker zu ihrer Rechten. Eigentlich hatte sie in Ruhe essen und für eine Weile abschalten wollen, aber der Fremde war einigermaßen nett und es hätte nichts gebracht, ihn länger warten zu lassen.
»Mike Travis«, stellte er sich vor, »von Copper Valley Tourism in Glennallen.« Er setzte sich, bestellte eine Cola und ließ sich von Ma Barker zu einem Wolfburger überreden. »Ich hab mir sagen lassen, Sie würden sich am besten mit Wölfen auskennen und könnten eventuell bei Problemen helfen.«
Carla fühlte sich unwohl, wenn man sie lobte. »Ob ich die Beste bin, weiß ich nicht. Es gibt einige Experten, die sich mit Wölfen auskennen. Aber es stimmt, ich arbeite täglich mit Wölfen und weiß einiges. Warum fragen Sie?«
Er nahm einen Schluck von seiner Cola. »Unser Büro ist für den Tourismus im Copper Valley an der Grenze zum Wrangell-St.-Elias-Nationalpark verantwortlich. Im Park selbst bestimmt natürlich der Nationalpark-Service. Auch die Straße nach McCarthy gehört zu unserem Einzugsbereich. Sie kennen McCarthy?«
»Eine Geisterstadt, nicht wahr?«
»Vor mehr als hundert Jahren war dort der Teufel los. Wegen des Kupferbooms im benachbarten Kennecott. Weil dort Alkohol und Prostitution verboten waren, entstand McCarthy, ein Sündenbabel mit Saloons und Bordellen. Um 1938 war kein Kupfer mehr da, und McCarthy verfiel. Doch in den 1970ern zogen wieder Leute hin. Das Nest gehört inzwischen zu den begehrtesten Touristenzielen im südöstlichen Alaska, vor allem, weil man von dort herrliche Wanderungen in die Wrangell Mountains unternehmen kann.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«, fragte Carla zwischen zwei Bissen.
»Seit einiger Zeit machen seltsame Gerüchte an der McCarthy Road die Runde«, antwortete Mike. »Es geht um ein geheimnisvolles Wolfsrudel, das vom Spirit Mountain kommen und in den Wäldern um McCarthy sein Unwesen treiben soll. Der Spirit Mountain liegt südwestlich von McCarthy und soll einst Feuer und Rauch gespuckt haben. Ein schlafender Vulkan. Aus dem Rauch und dem Nebel, die den Berg auch heute noch umgeben, soll ein Wolfsrudel mit einem weißen Wolf als Anführer in die Täler gekommen sein, um dort auch Menschen zu töten. So will es jedenfalls eine indianische Legende wissen. Ich gebe nicht viel auf Legenden, aber die Hotels in unserer Gegend haben bereits mehrere Stornierungen zu verzeichnen, und ich dachte mir, Sie sehen sich in der Gegend um McCarthy mal um und finden heraus, ob an dem Gerücht etwas dran ist. Was meinen Sie, hätten Sie Zeit für uns?«
Carla wischte sich mit einer Serviette etwas Ketchup vom Mund. »Sie wenden sich wegen eines Gerüchts an mich? Wegen einer indianischen Legende? Wenn es danach ginge, müsste ich alle paar Tage irgendwo nach dem Rechten sehen.« Sie trank einen Schluck. »Hat denn jemand die Wölfe gesehen?«
»Nein, aber einige Farmer schwören, dass sie bereits Kälber und Schafe gerissen haben. Ich weiß, der Verdacht ist ein wenig vage …«
»Etwas sehr vage«, sagte Carla. »Im Augenblick kann ich hier sowieso nicht weg. Unser Tierarzt bringt einen Wolfshund aus Kolumbien mit, der sehr viel Pflege und Zuwendung braucht. Tut mir leid, dass Sie den weiten Weg auf sich genommen haben.« Sie schob den leeren Teller zur Seite. »Warum haben Sie nicht angerufen?«
»Ich hatte in Fairbanks zu tun«, erwiderte er, »und wenn ich ehrlich bin, wollte ich auch sehen, ob Sie wirklich so hübsch sind wie auf den Fotos.«
Sie errötete. »Und?«
»Sind Sie.«
Carla ärgerte sich, weil das Kompliment sie verlegen machte. Sie fing sich nur mühsam. »Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, aber wie schon gesagt, zurzeit haben wir jede Menge Arbeit.«
»Dann warte ich erst mal ab, wie sich die Sache entwickelt.«
»Tun Sie das«, ermunterte sie ihn. »Und machen Sie den Leuten klar, dass ein Wolfsrudel niemals auf Nutztiere losgehen würde, solange es noch genug Wild in den Wäldern gibt. Sie brauchen keine Angst zu haben.«
»Darf ich mich trotzdem bei Ihnen melden? In ein paar Tagen vielleicht … falls jemand die Wölfe zu Gesicht bekommt oder ich noch eine Frage habe?«
»Sicher.« Carla kramte eine Visitenkarte aus der Anoraktasche und reichte sie ihm. »Aber ich habe in den nächsten Tagen wirklich sehr viel zu tun.«
»Ich gehe Ihnen bestimmt nicht auf die Nerven, Miss Gorman.«
Obwohl sie diesen Mike Travis ganz nett fand, war sie froh, als er gegangen war. Seitdem sie Jason vor einigen Monaten begegnet war, hatte ihr Interesse an möglichen Verehrern stark nachgelassen. Eigentlich ein Unding, denn Jason Harper war ein Wolfsjäger. Er tötete Wölfe für Geld und war fest davon überzeugt, der Menschheit damit einen großen Dienst zu erweisen. Er verkörperte alles, was sie verabscheute, und doch gelang es ihr nicht, ihn aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. In einem Land, in dem es keine Wölfe gab, hätte sie sich längst unsterblich in ihn verliebt und so oft wie möglich mit ihm verabredet, aber so … Sie trank den letzten Schluck Cola und nickte nur, als Ma Barker ihren Teller und ihr Glas abräumte. Auch so konnte sie Jason nicht vergessen.
»Probleme?«, fragte die Wirtin.
»Ich? Eigentlich nicht. Wieso?«
»Du hast diesen Blick«, antwortete Ma Barker. »Wie damals, als dieser Jason in der Stadt aufgetaucht ist. Ein netter Kerl übrigens, den hättest du dir schnappen sollen, Wolfsjäger hin oder her. Solche Männer sind rar gesät.«
»Ich bin okay, Ma.« Sie zog einen Schein hervor.
»Schon erledigt«, sagte die Wirtin, »hat der Typ von eben übernommen. Und der Wodka geht aufs Haus.« Sie goss ihr ein kleines Glas Wodka ein.
»Am hellen Nachmittag?«, wunderte sich Carla.
Ma Barker zeigte nach draußen. »Es dämmert schon. Außerdem hast du einen nötig. Wir Russen machen nicht alles falsch, egal, was der Präsident sagt. Ein Glas Wodka genügt, um dir etliche Probleme vom Hals zu schaffen.«
»Schön wär’s.« Carla trank den Wodka und schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Ich glaube, ich bleibe doch besser bei Diet Coke. Mach’s gut, Ma.«
Carla wohnte am anderen Ende der Hauptstraße in einem dreistöckigen Apartmenthaus. Von ihrem Fenster blickte sie auf die Straße und die fernen Berge. Sie kochte sich einen Cappuccino, ihr neues Lieblingsgetränk, auch wenn es nur aus der Tüte kam, streute einige Schokostreusel auf den Milchschaum und machte es sich in ihrem Lehnsessel bequem. Nach dem langen Tag war sie zu müde zum Lesen und schaltete den Fernseher ein.
In den Nachrichten häuften sich die üblichen negativen Meldungen. Auch über das Massaker des Großwildjägers wurde berichtet. Er hieß Bill Keene und ließ sich für seine Tat von Farmern feiern, die froh waren, dass es einer diesen Bestien »mal gezeigt hat«, und die es schade fanden, dass er nicht mehr Wölfe hatte abschießen dürfen. Ein Politiker redete nur um den heißen Brei herum, und der Superintendent des Denali National Parks erklärte, es sei unverantwortlich, wilde Tiere aus dem Nationalpark zu locken, um sie dann aus dem Hinterhalt abzuschießen. Mit so einem schäbigen Verhalten boykottiere man den Naturschutz und die Nationalpark-Idee.
Danach lief ein langweiliger Film, bei dem Carla einschlief. Erst gegen Mitternacht wachte sie wieder auf. Sie schob sich gähnend aus dem Sessel, ließ ihre Kleider vor dem Bett auf den Boden fallen und kroch unter ihre warmen Decken. Augenblicklich war sie wieder eingeschlafen. Im Traum begegnete sie Jason, der den geheimnisvollen weißen Wolf am Spirit Mountain aufgespürt hatte und ihm mit entsichertem Gewehr gegenübertrat. In seinen Augen waren weder Mordlust noch Vorfreude zu erkennen, eher ein nüchternes Abwägen seiner Chancen, denn wenn er den Anführer tötete, würde er es mit dem Rest des Rudels zu tun bekommen. Ein professioneller Jäger, der seine Arbeit erledigte, ohne sich von Gefühlen daran hindern zu lassen. Er hatte nichts gegen Wölfe, verteidigte die Tiere aber auch nicht. Das Töten war sein Beruf.
Und doch zögerte er in diesem Augenblick für einen Sekundenbruchteil, so wie vor einigen Monaten, als er auf Doc Holliday angelegt und Carla ihn aus dem Konzept gebracht hatte. Sie spürte jetzt noch die flüchtige Berührung seiner Lippen, als er sie auf die Wange geküsst hatte und zwischen den Bäumen verschwunden war. In ihrem Traum war er allein. Er nahm sein Gewehr herunter und beobachtete scheinbar teilnahmslos, wie der weiße Wolf in den Wald flüchtete.
Carla schreckte aus dem Schlaf und starrte in die Dunkelheit, wandte den Blick zum Fenster und sah den wirbelnden Flocken im Schein der Straßenlampen zu. Sie empfand diesen Anblick als beruhigend. So hart und grausam der Winter in Alaska sein konnte, so sanft und beinahe romantisch zeigte er sich, wenn der Wind sich zurückhielt, man sich in einem beheizten Raum befand und der Natur nicht unmittelbar ausgesetzt war. Der Winter nahm dem Alltag die Hektik, dämpfte die störenden Geräusche und ließ alles Hässliche unter einer dichten Schneedecke verschwinden.
Sie sank in ihr Kissen zurück und lächelte, als sie Jason auch im Halbschlaf vor sich sah. Das Funkeln in seinen Augen vertrieb alle Vorbehalte, bis nur noch der sympathische Cowboy vor ihr stand, der die Ranch seiner Eltern in Montana verlassen hatte, um sich im fernen Alaska eine neue Existenz aufzubauen. Ein ganzer Kerl, groß und breitschultrig wie die Cowboys in den Westernfilmen, aber auch ein Mann, auf den man sich verlassen konnte, der humorvoll und sanft sein konnte.
Ihr Smartphone weckte sie um halb sieben. Nachdem sie sich geduscht und angezogen hatte, gönnte sie sich einen Cappuccino und einen Toast mit Schinken und Rührei, bevor sie zum Wolfcenter fuhr. Amy hatte bereits ihr Morgentraining hinter sich und sah gerade nach den Wölfen in den Gehegen.
»Morgen, Amy. Wie war das Training?«
»Morgen«, erwiderte sie. »Gestern Abend lief es großartig. Romeo ist in Topform. Ich fürchte, du wirst einige Zeit auf Fleisch verzichten müssen.« Sie grinste. »Heute Morgen lief es weniger gut. Zwei junge Typen fuhren so dicht auf ihren Snowmobilen an mir vorbei, dass mir beinahe die Hunde durchgegangen wären. Man sollte die Dinger verbieten.«
»Das wirst du wohl nicht schaffen.«
»Weil die Welt immer mehr verblödet.«
»Vielleicht solltest du als Präsidentin kandidieren«, sagte Carla, »schlechter als der jetzige Präsident könntest du auch nicht sein. Meine Stimme hättest du.«
»Das fehlte noch. Ich bereite alles für Chico vor, okay?«
Carla bedankte sich und machte sich mit dem Pickup des Wolfcenters auf den Weg, ein robuster und geländegängiger Wagen, mit dem man auf so ziemlich jedem Untergrund zurechtkam. Das Schneetreiben hatte etwas nachgelassen, aber außerhalb der Stadt war es immer noch stockdunkel, und sie war froh, auf Allradantrieb umstellen zu können. Es würde noch einige Zeit dauern, bis die Räumfahrzeuge auf den verschneiten Straßen für bessere Bedingungen gesorgt hatten.
In Paxson kaufte sie sich einen Cappuccino zum Mitnehmen und steckte den Pappbecher in die Halterung neben ihrem Sitz. Bei dem Wetter würde sie mindestens drei Stunden nach Fairbanks brauchen. Die Sonne würde erst gegen neun Uhr aufgehen, und bis dahin musste sie sich mit dem arktischen Zwielicht begnügen, das so typisch für Alaska war. Außerhalb der wenigen Siedlungen gab es kaum Straßenlampen.
Unterwegs hatte Carla viel Zeit zum Nachdenken. Verwirrende Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Mike Travis, der junge Mann, der sie nach McCarthy locken wollte, um einem Phantom nachzujagen und die Touristen zu beruhigen. Amys Anstrengungen, beim Iditarod in die Top 10 zu kommen. Wendy und ihr Traum, einmal für Wolf Aid arbeiten zu dürfen. Auch Carla hatte davon geträumt, sich einmal beruflich für Wölfe einsetzen zu können. Sie liebte Wölfe, auch weil sie ungerecht behandelt und sogar verteufelt wurden und kaum noch Fürsprecher hatten. Und sie dachte an Jason, natürlich an Jason, weil es nichts brachte, dagegen anzukämpfen. Seitdem er ihr zum ersten Mal bei ihrer Panne auf dem Highway begegnet war, ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Ungefähr eine halbe Stunde vor Ankunft der Maschine aus Kolumbien erreichte sie Fairbanks. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, obwohl man es kaum merkte und nur das Zwielicht etwas heller geworden war. Die Scheinwerfer durfte sie auch jetzt nicht ausschalten. Sie fuhr direkt zum Flughafen, stellte zufrieden fest, dass der Flieger pünktlich sein würde, und wartete in der Nähe des Ausgangs auf den Tierarzt, der wenige Minuten nach der Landung erschien.
»Willkommen zu Hause, C. J.!«, begrüßte sie ihn und umarmte ihn freundschaftlich. »Wir dachten schon, du würdest ewig in Kolumbien bleiben.«
»Ich hab euch auch vermisst«, sagte er.
C. J. war ein schlaksiger Mann um die vierzig mit hagerem Gesicht, obwohl auch er einem Wolfburger nicht abgeneigt war. Carla hatte ihn nur selten ohne seine rote Kappe mit dem Logo der San Francisco 49ers gesehen. Seit seiner Kindheit war er ein Fan des Footballclubs. Er war nur einmal in seinem Leben in San Francisco gewesen und konnte sich selbst nicht erklären, warum er zu den 49ers hielt. Er stammte aus einem verschlafenen Nest nördlich von Anchorage, hatte in Fairbanks studiert und sich schon in jungen Jahren auf Huskys und andere Hunde und später auch auf Wölfe spezialisiert.