Robin S. Sharma
Gestalte deinen Morgen und in deinem Leben wird alles möglich
Aus dem Englischen von Hans Freundl
Knaur eBooks
Robin Sharma war ein erfolgreicher Anwalt, als er mit »Der Mönch, der seinen Ferrari verkaufte« einen Weltbestseller schrieb. Mittlerweile ist er einer der weltweit besten Personal Coaches mit beachtlichen Referenzen – sein Unternehmen Sharma Leadership International, Inc., zählt u. a. Microsoft, Nike und IBM zu seinen Kunden. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in Toronto/Kanada.
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel: »The 5 am Club« bei HaperCollins Publishers Ldt., Canada
© 2018 by Robin Sharma
© 2019 für die deutschsprachige Ausgabe O. W. Barth
© 2022 für die deutschsprachige Taschenbuchausgabe Knaur Verlag
© 2019/2022 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Birgit Förster
Covergestaltung: Verlagsgruppe Droemer Knaur
Coverabbildung: © Antonio & Carlo Raineri
ISBN 978-3-426-45692-7
Ich bin unendlich dankbar dafür, dass sich dieses Buch nun in Ihren Händen befindet. Meine tiefe Hoffnung ist es, dass es Ihnen helfen möge, Ihre Gaben und Talente in vollem Umfang und auf wunderbare Weise zur Entfaltung zu bringen. Und dass es eine revolutionäre und heldenhafte Transformation Ihrer Kreativität, Ihrer Produktivität und Ihres Wohlergehens und Ihrer Bedeutung für die Welt bewirken möge.
Der 5-Uhr-Club beruht auf einem Konzept und einer Methode, die ich seit mehr als zwanzig Jahren – und mit außergewöhnlichem Erfolg – bekannten Unternehmensführern, Vorstandschefs legendärer Konzerne, Sport-Superstars, berühmten Musikern und zahlreichen Angehörigen von Königshäusern vermittle.
Ich habe dieses Buch in einem Zeitraum von vier Jahren in Italien, Südafrika, Kanada, der Schweiz, in Russland, Brasilien und auf Mauritius geschrieben. Manchmal flossen mir die Worte mühelos in die Tasten, als würde eine leichte Sommerbrise in meinem Rücken wehen, zu anderen Zeiten musste ich kämpfen, um voranzukommen. Manchmal war mir danach zumute, die weiße Flagge der kreativen Erschöpfung zu hissen, in anderen Phasen dieses intensiven geistigen Prozesses aber ermutigte mich das Gefühl einer Verantwortung, die über meine eigenen Bedürfnisse hinausreicht, zum Weitermachen.
Ich habe alles gegeben, was ich zu geben habe, um dieses Buch für Sie zu schreiben. Und ich danke aufrichtig all den großartigen Menschen auf diesem Planeten, die mir bei der Fertigstellung des 5-Uhr-Clubs zur Seite gestanden sind.
Und somit widme ich dieses Werk demütig und aus ganzem Herzen Ihnen, den Lesern. Die Welt braucht mehr Helden, und warum sollten Sie darauf warten – wenn es Ihnen selbst gegeben ist, ein Held zu werden. Fangen Sie heute damit an.
In Liebe und Respekt
»Uns bleibt eine Ewigkeit, um die Siege zu feiern, aber nur ein paar Stunden, bis sie im Sonnenuntergang entschwinden.«
– Amy Carmichael
»Es ist niemals zu spät oder, was mich betrifft, zu früh, um jener Mensch zu werden, der man sein möchte. … Ich hoffe, Sie führen ein Leben, auf das Sie stolz sind. Sollten Sie feststellen, dass dies nicht der Fall ist, so hoffe ich, dass Sie die Kraft finden, wieder ganz neu anzufangen.«
– F. Scott Fitzgerald
»Die Tanzenden wurden für verrückt gehalten von denjenigen, die die Musik nicht hören konnten.«
– Friedrich Nietzsche
Kapitel 1
Erschießen wäre zu gewalttätig. Aufhängen wäre zu antiquiert. Und sich mit dem Messer die Pulsadern aufschneiden wäre zu still. Es kam also die Frage auf: Wie kann man ein einstmals wundervolles Leben schnell und präzise beenden, mit möglichst wenig unschönen Begleiterscheinungen, aber maximaler Wirkung?
Noch vor einem Jahr hatte sich die Situation wesentlich verheißungsvoller dargestellt. Die Unternehmerin wurde weithin gefeiert als eine der bedeutendsten Repräsentantinnen ihrer Branche, sie hatte einen Namen in der Gesellschaft und engagierte sich für soziale Belange. Sie war Ende dreißig und führte die Technologiefirma, die sie in ihrem Zimmer im Studentenwohnheim gegründet hatte, in immer neue Höhen der Marktbeherrschung und produzierte Dinge, die ihr die Kunden aus den Händen rissen.
Jetzt aber wurde sie bedrängt und sah sich mit einem hinterhältigen, von Eifersucht getriebenen Manöver konfrontiert, das dazu führen würde, dass ihre Anteile an dem Unternehmen, dessen Aufbau sie den Großteil ihres Lebens gewidmet hatte, erheblich verringert werden würden und sie sich letztlich einen neuen Job würde suchen müssen.
Die Grausamkeit dieser schicksalhaften Wendung der Ereignisse war für die Unternehmerin unerträglich. Hinter ihrem gewöhnlich kühlen Äußeren verbarg sich ein fürsorgliches, leidenschaftliches und zutiefst liebevolles Wesen. Sie hatte das Gefühl, dass das Leben sie hintergangen hatte. Und dass sie dies ganz und gar nicht verdient hatte.
Sie erwog, eine große Schachtel Schlaftabletten zu schlucken. Die gefährliche Tat würde auf diese Weise sauberer vonstattengehen. Einfach nur alle Tabletten einnehmen und die Sache schnell hinter sich bringen, dachte sie. Ich möchte mir all diese Schmerzen ersparen.
Dann aber entdeckte sie etwas auf der modischen Eichenkommode in ihrem völlig weißen Schlafzimmer – eine Einladung zu einem Seminar über Selbstoptimierung, die ihre Mutter ihr gegeben hatte. Die Unternehmerin machte sich gewöhnlich lustig über Leute, die solche Veranstaltungen besuchten, hielt sie für schwächlich und unsicher und sagte, diese Leute suchten bei irgendwelchen Pseudogurus nach Antworten, während alles, was sie brauchten, um ein gutes und erfolgreiches Leben zu führen, bereits in ihnen selbst angelegt sei.
Aber vielleicht war es jetzt an der Zeit, ihre Meinung zu überdenken. Sie sah nicht viele Möglichkeiten. Entweder ging sie zu diesem Seminar – und würde dabei vielleicht etwas völlig Neues erfahren, das ihr Leben retten könnte. Oder sie würde ihre Ruhe finden. Durch einen schnellen Tod.
Kapitel 2
»Lasst euer Feuer nicht, einen unersetzlichen Funken nach dem anderen, in den hoffnungslosen Sümpfen des Ungefähr, des Nicht-ganz, des Noch-nicht und des Überhaupt-nicht erlöschen. Lasst das Heroische in eurer Seele nicht aus einsamer Verzweiflung darüber zugrunde gehen, dass ihr das Leben, das ihr verdient habt, niemals erreichen konntet … Die Welt, die ihr euch gewünscht habt, ist erreichbar, sie existiert, sie ist wirklich, sie ist möglich, sie gehört euch.«
– Ayn Rand
Er war ein begnadeter Redner. Jemand, der es verstand, die Menschen durch die Kraft seiner Worte in seinen Bann zu ziehen, zu faszinieren und zu fesseln.
Er näherte sich dem Ende seiner fabelhaften Karriere, war über achtzig Jahre alt und wurde auf der ganzen Welt verehrt als ein Großmeister der Inspiration, als eine Legende der Menschenführung und als ein integrer Staatsmann, der gewöhnlichen Menschen half, ihre größten Begabungen zur Entfaltung zu bringen.
In einer Kultur, die von Unstetigkeit, Unsicherheit und Ungewissheit geprägt ist, zogen die Veranstaltungen dieses Redners Heerscharen von Menschen an, die nicht nur ein meisterhaftes Leben führen wollten, erfüllt von schöpferischer Kraft, Produktivität und Wohlstand, sondern durch ihre Art des Lebens auch einen Beitrag zur Verbesserung und Vervollkommnung der Menschheit insgesamt leisten wollten. Sodass sie sich am Ende in der Gewissheit wiegen konnten, dass sie ein wundervolles Erbe hinterlassen hatten und auch in den nachfolgenden Generationen noch ihre Spuren sichtbar sein würden.
Das Werk dieses Mannes war einzigartig. Es umschloss Erkenntnisse, die das Kämpferische unseres Wesens mit Ideen verbanden, die den gefühlvollen Poeten in unserem Herzen zur Geltung kommen lassen. Seine Botschaft zeigte gewöhnlichen Menschen, wie sie auf den höchsten Ebenen des Wirtschaftslebens erfolgreich sein, aber auch den Zauber eines reichen und erfüllten Lebens zurückerlangen konnten. Sie zielte darauf, jenes Gefühl von Ehrfurcht wieder wachzurufen, das wir noch kannten, bevor eine harte und kalte Welt unsere natürliche Genialität in das Korsett einer Orgie von Komplexität, Oberflächlichkeit und technologischer Ablenkung zwängte.
Der fesselnde Redner war ein groß gewachsener Mann, er hatte jedoch aufgrund seines fortgeschrittenen Alters eine leicht nach vorn gebeugte Haltung. Er schritt bedächtig, aber dennoch würdevoll zum Rednerpult. Ein perfekt sitzender dunkelgrauer Anzug mit matten weißen Nadelstreifen verlieh ihm ein elegantes Aussehen. Eine blau getönte Brille sorgte für das richtige Maß an Coolness.
»Das Leben ist zu kurz, um seine Talente zu vergeuden«, hob der Redner vor den mehreren Tausend Zuhörern an. »Mit der Geburt wurde Ihnen die Chance, aber auch die Verpflichtung mitgegeben, legendär zu werden. Sie wurden dazu geschaffen, Projekte auf meisterhaftem Niveau durchzuführen. Sie wurden mit der Fähigkeit ausgestattet, außerordentlich bedeutsamen Tätigkeiten nachzugehen, und Sie wurden dazu bestimmt, auf diesem winzigen Planeten als eine Kraft des Guten zu wirken. Es liegt allein an Ihnen, die Souveränität über Ihre ursprüngliche Größe wiederzuerlangen in einer Zivilisation, die weithin unzivilisiert geworden ist. Ihre Würde wiederzugewinnen in einer globalen Gemeinschaft, in der die meisten Menschen hübsche Schuhe einkaufen und teure Dinge erwerben, aber nur selten danach streben, ein besseres Selbst zu werden. Ihre persönliche Führungsfähigkeit erfordert – nein, verlangt –, dass Sie aufhören, ein Cyber-Zombie zu sein, der unablässig von digitalen Geräten in den Bann geschlagen wird, und dass Sie Ihr Leben umstellen, um Meisterhaftigkeit zu erlangen, Rechtschaffenheit vorzuleben und jene Selbstbezogenheit zu überwinden, die guten Menschen Beschränkungen auferlegt. Alle großen und berühmten Menschen der Welt waren Gebende, nicht Nehmende. Weisen Sie den allgemeinen Irrglauben zurück, dass jener der Sieger ist, der am meisten gewinnt. Verrichten Sie stattdessen eine Arbeit, die heldenmütig ist – die Ihre Branche durch die Qualität ihrer Originalität verblüfft wie auch durch den Nutzen, den sie bietet. Dadurch, so lautet meine Botschaft, können Sie auch Ihr persönliches Leben in einer Weise gestalten, die erfüllt ist von hoher Moral, die reich ist an bezaubernder Schönheit und unerschütterlich, was die Bewahrung Ihres inneren Friedens betrifft. Auf diese Weise, meine Freunde, können Sie mit den Engeln fliegen. Und einherwandeln neben den Göttern.«
Der Redner machte eine Pause. Er atmete tief ein. Dann wurde sein Atem angestrengter, und er gab ein zischendes Geräusch von sich, wenn er die Luft einsog. Er blickte hinab auf seine modischen schwarzen Schuhe, die blitzblank poliert waren wie Soldatenstiefel.
Die Zuhörer in der ersten Reihe konnten sehen, wie eine kleine Träne über das alte, einst so gut aussehende Gesicht lief.
Sein Blick blieb weiter nach unten gerichtet. Seine Stille war betäubend. Der Redner wirkte unsicher.
Nach ein paar anstrengenden Momenten, die einige Zuhörer dazu veranlassten, unruhig auf ihren Sitzen hin und her zu rutschen, legte der Redner das Mikrofon ab, das er in der linken Hand gehalten hatte. Mit der freien Hand fuhr er in seine Hosentasche und zog ein sorgfältig zusammengelegtes Leinentaschentuch heraus. Damit wischte er sich über die Wange.
»Jeder von Ihnen hat eine Berufung im Leben. Jeder von Ihnen trägt einen Instinkt für das Außergewöhnliche in seinem Herzen. Niemand in diesem Raum muss in Durchschnittlichkeit erstarren und sich in die Mittelmäßigkeit des Verhaltens der Masse einfügen, das in der Gesellschaft so offenkundig ist, und der kollektiven Entprofessionalisierung erliegen, die in der Wirtschaft allenthalben sichtbar ist. Begrenzung ist nichts weiter als eine mentale Einstellung, die so viele Menschen tagtäglich praktizieren, bis sie sie für eine Realität halten. Es betrübt mich zutiefst, wenn ich erlebe, wie so viele potenziell machtvolle Menschen in Vorstellungen darüber gefangen sind, warum sie nicht außergewöhnlich sein können und beruflich und persönlich erfolgreich. Sie dürfen nie vergessen, dass Ihre Entschuldigungen Verführer sind, dass Ihre Ängste Lügner und Ihre Zweifel Diebe sind.«
Viele Zuhörer nickten. Einige klatschten. Dann applaudierten weitere.
»Ich verstehe Sie. Wirklich«, fuhr der Redner fort.
»Ich weiß, dass Sie schwierige Zeiten durchgemacht haben in Ihrem Leben. Das gilt für uns alle. Ich verstehe, dass Sie das Gefühl haben, dass sich die Dinge nicht so entwickelt haben, wie Sie es sich einst vorgestellt haben, als Sie noch ein kleines Kind waren, voller Energie und Verlangen und Staunen. Sie haben nicht erwartet, dass jeder Tag wie der andere sein würde, nicht wahr? Dass Sie einen Job verrichten würden, der Ihre Seele erstickt? Dass Sie sich mit belastenden Sorgen würden herumschlagen müssen und mit endlosen Verpflichtungen, die Ihre Ursprünglichkeit unterdrücken und Ihnen die Kraft rauben. Dass Sie begierig sein würden nach unwichtigen Tätigkeiten und hungrig nach der unmittelbaren Erfüllung trivialer Wünsche, oftmals getrieben von einer Technik, die uns versklavt, anstatt uns zu befreien. Dass Sie die gleiche Woche tausendmal wiederholen und dies als das Leben bezeichnen würden. Ich muss Ihnen mitteilen, dass zu viele Menschen schon mit dreißig sterben und erst mit achtzig begraben werden. Daher verstehe ich Sie. Sie hegten einst die Hoffnung, dass sich Ihr Leben anders entwickeln würde. Interessanter. Aufregender. Erfüllender. Als etwas Besonderes und Magisches.«
Die Stimme des Redners zitterte, als er diese letzten Worte sprach. Er holte kurz Luft. In einem Anflug von Besorgnis krümmten sich seine Augenbrauen. Er setzte sich auf einen cremefarbenen Stuhl, den einer seiner Assistenten an den Rand der Bühne gestellt hatte.
»Aber ich bin mir durchaus bewusst, dass es auch viele Leute in diesem Raum gibt, die mit ihrem Leben sehr zufrieden sind. Sie sind rundum erfolgreich in der Welt, bestens in Form und bereichern Ihre Familie und Ihr Umfeld mit einem schier überirdischen Elan. Sehr schön! Bravo! Doch auch Sie haben schon Zeiten erlebt, in denen Sie sich im kalten und gefährlichen Tal der Dunkelheit verloren fühlten. Auch Sie haben schon erlebt, wie Ihre einzigartige schöpferische Kraft und Ihre herausragende Leistungsfähigkeit nachließen und eingezwängt wurden in einen engen Kreislauf der Bequemlichkeit, der Ängstlichkeit und der Empfindungslosigkeit, der den Stätten der Meisterhaftigkeit und den Reservoirs des Heldenmuts, die in Ihnen angelegt sind, Hohn sprach. Auch Sie sind schon enttäuscht worden durch die kargen Winter eines Lebens, das kraftlos gelebt wird. Auch Ihnen ist die Erfüllung der meisten kühnen Kindheitsträume versagt geblieben. Auch Sie sind verletzt worden von Menschen, denen Sie vertrauten. Auch Ihre Ideale sind zerstört worden. Auch Ihr unschuldiges Herz hat Verheerungen erlitten, und auch Ihr Leben wurde dadurch dezimiert wie ein verwüstetes Land, in das ehrgeizige Invasoren eingedrungen sind.«
Im riesigen Konferenzsaal herrschte Totenstille.
»Unabhängig davon, wo Sie sich auf Ihrem Lebensweg befinden, lassen Sie sich bitte vom Schmerz einer unvollkommenen Vergangenheit nicht den Ruhm Ihrer fabelhaften Zukunft nehmen. Sie sind um so vieles kraftvoller und stärker, als Sie vielleicht im Augenblick meinen. Grandiose Siege – und großartige Geschenke – warten auf Sie. Und Sie befinden sich genau da, wo Sie sein müssen, um jenes Wachstum zu erfahren, das erforderlich ist, damit Sie das ungewöhnlich produktive, überaus wundervolle und außerordentlich einflussreiche Leben führen können, das Sie sich durch Ihre harten Prüfungen verdient haben. Nichts ist verkehrt in diesem Augenblick, auch wenn Sie das Gefühl haben, dass gerade alles zusammenbricht. Wenn Sie meinen, dass Ihr Leben momentan ein großes Durcheinander ist, liegt dies schlicht daran, dass Ihre Ängste etwas stärker sind als Ihr Glaube. Mit ein wenig Übung werden Sie die Lautstärke der Stimme Ihres verängstigten Selbst leiser stellen können. Und den Ton Ihrer triumphalsten Seite höher drehen können. Jede Herausforderung, die Sie erlebt haben, jede negative Person, der Sie begegnet sind, alle Prüfungen, die Sie bestanden haben, waren eine perfekte Vorbereitung darauf, Sie zu jenem Menschen werden zu lassen, der Sie heute sind. Sie haben diese Lektionen gebraucht, um die Schätze, die Talente und die Kräfte zu erschließen, die in Ihnen schlummern. Nichts war ein Zufall. Nichts war eine Verschwendung. Sie stehen jetzt genau da, wo Sie stehen müssen, um ein Leben zu beginnen, in dem sich Ihre höchsten Sehnsüchte verwirklichen können. Ein Leben, in dem Sie zum Erbauer eines Imperiums werden können, zu einem Umgestalter der Welt, vielleicht gar zu einem Menschen, der Geschichte schreibt.«
»Das klingt alles sehr einfach, aber in Wirklichkeit ist es viel schwieriger«, rief ein Mann mit einer roten Baseballkappe, der in der fünften Reihe saß. Er trug ein graues T-Shirt und zerrissene Jeans – ein Typ, dem man in jedem Einkaufszentrum über den Weg laufen kann. Obwohl dieser Zwischenruf respektlos erscheinen könnte, verrieten der Tonfall der Stimme dieses Mannes und seine Körpersprache echte Bewunderung für den Redner.
»Ich stimme Ihnen zu, Sie wunderbarer Mensch«, erwiderte der Redner. Seine würdevolle Haltung beeindruckte alle Anwesenden, und seine Stimme klang nun wieder etwas fester, als er vom Stuhl aufstand. »Ideen sind nichts wert, solange sie nicht umgesetzt werden. Die kleinste praktische Umsetzung ist mehr wert als die kühnsten Absichten. Und wenn es leicht wäre, eine faszinierende Persönlichkeit zu werden und ein legendäres Leben zu führen, dann würde es jeder tun. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Gewiss, werter Herr«, erwiderte der Mann mit der roten Kappe und fuhr sich mit einem Finger über die Unterlippe.
»Die Gesellschaft hat uns eine Vielzahl von Unwahrheiten aufgedrängt«, fuhr der Redner fort. »Das Vergnügen wird der angsteinflößenden, aber erhabenen Tatsache vorgezogen, dass jede neue Chance es erfordert, hart an sich zu arbeiten, sich immer wieder neu zu erfinden und die feste Entschlossenheit aufzubringen, täglich unsere sicheren Häfen zu verlassen. Ich glaube, dass die Verführung durch die Selbstzufriedenheit und ein unkompliziertes, leichtes Leben hundertmal grausamer ist als ein Leben, das man mit vollem Risiko lebt und das man unerschütterlich an seinen kühnsten Träumen ausrichtet. Erstklassigkeit beginnt dort, wo Ihre Komfortzone endet – das ist eine Regel, die die erfolgreichen, die einflussreichen und die glücklichen Menschen stets beherzigen.«
Der Mann nickte. Auch andere Zuhörer nickten.
»Von klein auf werden wir an den Gedanken gewöhnt, dass ein Leben, das von Meisterhaftigkeit, Erfindungsgeist und Rechtschaffenheit bestimmt wird, keiner großen Anstrengung bedarf. Aber wenn dann der Weg schwieriger wird und etwas Geduld erfordert, glauben wir, wir befänden uns auf dem falschen Weg«, erklärte der Redner, während er nach einer Armstütze des Holzstuhls griff und sich wieder setzte.
»Wir haben eine Kultur weichlicher, schwacher und empfindlicher Menschen hervorgebracht, die Versprechen nicht einhalten können, Verpflichtungen nicht erfüllen und gleich das Handtuch werfen und aufgeben, sobald das kleinste Hindernis auftaucht.«
Der Redner seufzte laut.
»Härte ist gut. Die Erlangung echter Größe und die Verwirklichung der Ihnen innewohnenden Genialität sind ein schwieriges Unterfangen. Nur jene, die fest entschlossen sind, bis an ihre äußersten Grenzen zu gehen, werden in der Lage sein, diese zu überschreiten. Und das Leid, das sich einstellt, wenn Sie all Ihre Kräfte mobilisieren, um Ihre größten Fähigkeiten zu nutzen und Ihre ehrgeizigsten Ziele zu erreichen, ist eine der wichtigsten Quellen menschlicher Zufriedenheit. Ein wichtiger Schlüssel zum Glück – und zu innerem Frieden – ist das Wissen, dass Sie alles getan haben, was erforderlich war, um sich Ihre Belohnung zu verdienen, und dass Sie leidenschaftlich die anstrengende Kühnheit aufgebracht haben, das Beste in sich zum Vorschein zu bringen. Der legendäre Jazzmusiker Miles Davis bemühte sich mit größter Entschlossenheit, das Mittelmaß hinter sich zu lassen, das kennzeichnend war für seine Branche, und sein herausragendes Potenzial zur Entfaltung zu bringen. Michelangelo brachte große Opfer in mentaler, emotionaler, physischer und spiritueller Hinsicht, als er seine bewundernswerte Kunst schuf. Rosa Parks, eine einfache Näherin mit außergewöhnlichem Mut, erduldete die öffentliche Erniedrigung, als sie verhaftet wurde, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz in einem Bus frei zu machen, in dem die Rassentrennung galt, und entzündete dadurch den Funken der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Charles Darwin legte jene Art von Entschlossenheit an den Tag, die für Virtuosität erforderlich ist, als er acht Jahre lang Rankenfußkrebse untersuchte – ja, Rankenfußkrebse – und in dieser Zeit seine berühmte Evolutionstheorie entwickelte. Diese Art des Beharrens auf einer Optimierung des Wissens würden die meisten Menschen als ›verrückt‹ bezeichnen in der heutigen modernen Welt, die einen so großen Teil unwiederbringlicher Lebenszeit mit dem Betrachten von Selfies, dem Verfolgen des Frühstücks virtueller Freunde oder der Beschäftigung mit gewalttätigen Videospielen verbringt«, erklärte der Redner, während er seine Blicke durch den Saal schweifen ließ, als wolle er jedem der Anwesenden direkt in die Augen schauen.
»Stephen King hat als Englischlehrer an einer Highschool und als Bügler in einer Wäscherei gearbeitet, bevor er Carrie herausbrachte, jenen Roman, der ihn berühmt machte«, fuhr der alte Mann fort. »Ja, und Sie sollten auch wissen, dass King durch all die Ablehnungen, die er erhielt, so entmutigt war, dass er zunächst das Manuskript, das er in einem heruntergekommenen Wohnwagen geschrieben hatte, in den Mülleimer warf und den Kampf aufgab. Doch seine Ehefrau Tabitha entdeckte das Werk, als ihr Mann nicht zu Hause war, säuberte es von der Asche seiner Zigaretten, las das Buch und erklärte dem Autor dann, dass es hervorragend sei, worauf King den Roman vollendete, der schließlich von einem Verlag angenommen wurde. Doch sein Vorschuss auf die Hardcover-Rechte betrug nur bescheidene 2500 Dollar.«
»Meinen Sie das ernst?«, murmelte eine Frau, die in der Nähe der Bühne saß. Sie trug einen knallgrünen Hut, aus dem eine große rote Feder herausragte, und legte augenscheinlich Wert darauf, sich von ihrer Umwelt abzuheben.
»Ja, das tue ich«, erwiderte der Redner. »Vincent van Gogh, der in seinem Leben neunhundert Gemälde und mehr als tausend Zeichnungen geschaffen hat, wurde erst nach seinem Tod berühmt. Sein Schaffensdrang wurde nicht durch den Applaus des Publikums angefeuert, sondern durch einen klügeren Instinkt, der es ihm ermöglichte zu erkennen, wie viel von seiner schöpferischen Kraft er freisetzen konnte, ganz gleich, welche Nöte und Mühsale er ertragen musste. Legendär zu werden ist niemals leicht. Doch ich bevorzuge diesen Weg gegenüber dem Elend des Verharrens im Gewöhnlichen, mit dem sich so viele potenziell heldenmütige Menschen ständig begnügen«, erklärte der Redner mit fester Stimme.
»Nun gut, lassen Sie mich festhalten, dass dort, wo Sie Ihr größtes Unbehagen empfinden, auch jener Bereich ist, wo die größten Chancen auf Sie warten. Die Einstellungen, die Sie beunruhigen, die Gefühle, die Sie bedrohen, die Projekte, die Sie verunsichern, und die Entfaltung jener Ihrer Talente, gegen die sich der unsichere Teil Ihres Selbst sträubt – gerade diese Bereiche müssen Sie aufsuchen. Durchschreiten Sie diese Türen, die Ihnen den Weg ermöglichen zur Verwirklichung Ihrer Größe als schöpferischer Erzeuger, als Sucher nach persönlicher Freiheit und als Mensch, der seine Möglichkeiten nutzt. Und heißen Sie dann diese Überzeugungen, diese Gefühle und Projekte willkommen, anstatt Ihr Leben in einer Weise zu strukturieren, die dazu führt, dass Sie sie verwerfen. Genau jene Dinge anzunehmen, die Ihnen Unbehagen bereiten, die Sie ängstigen, das ermöglicht es Ihnen, Ihre vergessene Kraft und Stärke wiederzuerlangen. Und wieder zurückzufinden zu jener Unschuld und jenem Staunen, das Ihnen nach ihrer Kindheit verloren gegangen ist.«
Plötzlich begann der Redner zu husten. Zuerst nur verhalten. Dann heftiger, als wäre er von einem Dämon besessen, der darauf aus war, sich zu rächen. Hinter den Kulissen sprach ein Mann mit einem aggressiven Bürstenhaarschnitt in ein Mikrofon, das dezent an seinem Hemdkragen befestigt war. Die Lichter begannen zu flackern, dann wurde es halbdunkel. Einige Zuhörer, die in der Nähe der Bühne saßen, wussten nicht, was sie tun sollten, und standen auf.
Eine außergewöhnlich attraktive Frau, die ihre Haare zu einem festen Knoten gebunden hatte, ein verkrampftes Lächeln auf den Lippen und ein enges, schwarzes Kleid mit einem bestickten, weißen Kragen trug, eilte die Metalltreppe hinauf, über die der Redner vor Beginn seines Vortrags hinaufgestiegen war. Sie hatte ein Mobiltelefon in der einen Hand und ein etwas abgenutztes Notebook in der anderen. Ihre hochhackigen roten Schuhe machten klackernde Geräusche, als sie zu ihrem Arbeitgeber lief.
Doch die Frau kam zu spät.
Der Redner ging zu Boden wie ein benommener Boxer mit großem Ehrgeiz, aber schwachen Kräften in der letzten Runde einer einstmals grandiosen Karriere, die er eigentlich schon vor vielen Jahren hätte beenden sollen. Der alte Mann lag reglos auf dem Boden. Ein kleines Blutrinnsal sickerte aus einer Verletzung am Kopf, die er sich bei dem Sturz zugezogen hatte. Seine Brille lag neben ihm. Das Taschentuch befand sich noch immer in seiner Hand. Seine vorher glänzenden Augen waren geschlossen.
Kapitel 3
»Richte dich nicht ein, als solltest du hundert Jahre alt werden. Denn wie nahe ist vielleicht dein Ende! Aber solange du lebst, solange es in deiner Macht steht – sei gut!«
– Marc Aurel, römischer Kaiser
Die Unternehmerin hatte etwas geflunkert gegenüber den Leuten, die sie beim Seminar traf, und ihnen erzählt, sie sei hier, um etwas zu erfahren über die berühmten Formeln des Redners bezüglich einer exponentiellen Steigerung der eigenen Produktivität und über die neurowissenschaftlichen Grundlagen persönlicher Meisterhaftigkeit, die er schon so vielen Firmenchefs vermittelt habe. Sie halte es für möglich, dass ihr die Methoden des Gurus einen uneinholbaren Vorteil gegenüber der Konkurrenz würden verschaffen können und es ihrem Unternehmen ermöglichen könnten, rasch die unangefochtene Marktführerschaft in der Branche zu erreichen. Aber es war klar, weshalb sie wirklich hier war: Sie wollte wieder neue Hoffnung finden. Und ihr Leben retten.
Der Künstler war zu dieser Veranstaltung gekommen, um zu erfahren, wie er seine Kreativität steigern und seine Fähigkeiten verbessern konnte, um auf seinem Gebiet durch die Bilder, die er schuf, nachhaltige Spuren in dieser Welt zu hinterlassen.
Und der Obdachlose war anscheinend in den Konferenzsaal gelangt, als gerade niemand aufpasste.
Die Unternehmerin und der Künstler saßen nebeneinander. Sie waren sich vorher noch nie begegnet.
»Meinen Sie, er ist tot?«, fragte sie, während der Künstler mit seinen Bob-Marley-Rastalocken spielte.
Die Unternehmerin hatte ein eckiges, langes Gesicht. Über ihre Stirn zogen sich zahlreiche Falten und tiefe Gräben wie Furchen auf einem frisch gepflügten Feld. Ihre braunen Haare waren mittellang und auf eine Art gestylt, die die Botschaft vermittelte: »Ich meine es ernst, legen Sie sich nicht mit mir an.« Sie war schlank, wie eine Langstreckenläuferin, und hatte dünne Arme und durchtrainierte Beine, die aus einem zweckmäßigen blauen Designerkleid herausragten. Ihre Augen hatten einen traurigen Ausdruck, von alten Verletzungen, die nie geheilt waren. Und auch aufgrund des Durcheinanders, das ihrer geliebten Firma gegenwärtig so zusetzte.
»Ich weiß nicht. Er ist ja schon alt. Er ist schlimm gestürzt. Meine Güte, war das heftig. So was habe ich noch nie gesehen«, antwortete der Künstler sorgenvoll, während er an einem seiner Ohrringe zupfte.
»Ich weiß noch nichts über seine Arbeit. Normalerweise habe ich für solche Dinge nichts übrig«, erläuterte die Unternehmerin. Sie blieb sitzen, die Arme über ihrer cremefarbenen Bluse gefaltet, an deren oberen Ende eine große schlaffe Schleife saß, die sich elegant um ihren Hals legte. »Aber es hat mir gut gefallen, was er über Produktivität gesagt hat in dieser Zeit, in der alle möglichen Geräte uns ablenken und unsere Fähigkeit zu gründlichem Nachdenken beeinträchtigen. Durch seine Worte habe ich begriffen, dass ich auf meine kognitiven Fähigkeiten wesentlich besser achtgeben muss«, fuhr sie eher geschäftsmäßig fort. Sie hatte kein Interesse daran, einem Wildfremden mitzuteilen, was sie gerade durchmachte, und sie wollte offenkundig ihre Fassade als erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich anschickte, auf die nächste Stufe emporzusteigen, wahren.
»Ja, er ist wirklich hip«, erwiderte der Künstler, der nervös wirkte. »Er hat mir sehr geholfen. Ich kann gar nicht glauben, was hier gerade abgelaufen ist. Wirklich surreal, nicht?«
Er war Maler. Weil er sich in seiner Kunst weiterentwickeln und auch sein persönliches Leben verbessern wollte, verfolgte er die Arbeit des Redners. Doch aus welchen Gründen auch immer, meinte er, schienen die Dämonen in ihm die Oberhand zu behalten über seine höhere Natur. Und dies würde unvermeidlich dazu führen, dass er seine herkulischen Ambitionen und seine wundervollen ursprünglichen Ideen selbst sabotierte.
Der Künstler war stark übergewichtig. Ein Spitzbart ragte von seinem Kinn nach unten. Er trug ein schwarzes T-Shirt und lange schwarze Shorts, die ein Stück über seine knotigen Knie reichten. Schwarze Stiefel mit Gummisohlen, wie sie in Australien häufig getragen werden, vervollständigten seine kreative Uniform. Über beide Arme und das linke Bein erstreckte sich eine faszinierende Ansammlung von Tattoos. In einer dieser Tätowierungen hieß es: »Reiche Leute sind Schwindler«. In einer anderen wurde eine Zeile von Salvador Dali zitiert, dem berühmten spanischen Künstler. Sie lautete schlicht: »Ich handle nicht mit Drogen. Ich bin eine Droge.«
»Hallo, Leute«, rief plötzlich der Obdachlose, der ein paar Reihen hinter der Unternehmerin und dem Künstler saß, mit unangemessen lauter Stimme. Der Saal leerte sich weiter, und das technische Personal baute geräuschvoll die Geräte ab. Mitarbeiter des Veranstalters eilten durch den Saal. Ein Song der Band Nightmares on Wax lief dezent im Hintergrund.
Die beiden, die gerade miteinander Bekanntschaft geschlossen hatten, drehten sich um und blickten in ein Gewirr von Haaren, ein Gesicht, das aussah, als wäre es seit Jahrzehnten nicht mehr rasiert worden, und eine Ansammlung abgerissener, fleckiger Klamotten.
»Ja?«, fragte die Unternehmerin in einem Ton, der so kalt war wie ein Eisbrocken in der Arktis. »Kann ich Ihnen helfen?«
»He, Bruder, was ist los?«, sagte der Künstler deutlich mitfühlender.
Der Obdachlose stand auf, schlurfte nach vorn und setzte sich neben die beiden.
»Meint ihr, dass der Guru hinüber ist?«, fragte er, während er eine Kruste an seinem Handgelenk wegkratzte.
»Ich bin nicht sicher«, antwortete der Künstler und spielte mit einer seiner Rastalocken. »Hoffentlich nicht.«
»Hat euch beiden das Seminar gefallen? Steht ihr drauf, was der Alte gesagt hat?«, fuhr der ungepflegte Fremde fort.
»Definitiv«, erwiderte der Künstler. »Ich liebe seine Arbeit. Ich tue mich schwer damit, all das umzusetzen, aber was er sagt, hat Hand und Fuß. Und es ist sehr wirkungsvoll.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, bemerkte die Unternehmerin skeptisch. »Vieles, was ich heute hier gehört habe, erscheint mir einleuchtend, aber einige Dinge überzeugen mich nicht. Ich brauche etwas Zeit, um alles zu verarbeiten.«
»Nun, ich denke, er ist die Nummer eins«, sagte der Obdachlose und rülpste. »Ich habe dank der Lehren des Redners mein Vermögen gemacht. Und dank ihm habe ich ein sehr schönes Leben geführt. Die meisten Leute wünschen sich, dass sie einmal etwas ganz Besonderes erleben. Er hat mich gelehrt, dass Menschen, die Außergewöhnliches leisten, allein dadurch dafür sorgen, dass ihnen Phänomenales widerfährt. Und das Tolle ist, er hat mich nicht nur mit einer geheimen Philosophie vertraut gemacht, die es mir ermöglicht, meine großen Träume wahr werden zu lassen, er hat mir auch die Technik gezeigt – die Methoden und die Werkzeuge –, die erforderlich sind, um dieses Wissen in Ergebnisse umzusetzen. Allein seine revolutionären Erkenntnisse darüber, wie man eine durchschlagend erfolgreiche Morgenroutine etabliert, haben meine Durchsetzungskraft in meiner Branche grundlegend verändert.«
Eine gezackte Narbe verlief über die Stirn des Obdachlosen, direkt über seinem rechten Auge. Sein bedrohlich wirkender Bart war grau. Um den Hals trug er eine Kette, ähnlich wie jene, die indische heilige Männer in ihren Tempeln tragen. Obwohl er durch seine Großspurigkeit unglaubwürdig und unsicher wirkte und sein Erscheinungsbild darauf schließen ließ, dass er schon seit vielen Jahren auf der Straße lebte, vermittelte seine Stimme ein irritierendes Gefühl von Autorität. Und seine Augen strahlten die Entschlossenheit eines Löwen aus.
»Völlig irre«, flüsterte die Unternehmerin dem Künstler zu. »Wenn der ein Vermögen gemacht hat, dann bin ich Mutter Teresa.«
»Klar, der ist verrückt«, erwiderte der Künstler. »Aber schauen Sie sich seine riesige Armbanduhr an.«
Am linken Handgelenk trug der Obdachlose, der etwa Ende sechzig war, einen dieser gigantischen Zeitmesser, den britische Hedgefonds-Manager gern zur Schau stellen, wenn sie in Mayfair zum Essen gehen. Die Uhr hatte ein revolverfarbenes Ziffernblatt, das von einem Edelstahlrand umfasst wurde, einen roten, nadelfeinen Stundenzeiger und einen orangefarbenen Minutenzeiger. Dieses auffällige Statusabzeichen war befestigt an einem breiten schwarzen Gummiarmband, das dem ganzen luxuriösen Ensemble einen tauchermäßigen Anschein verlieh.
»Hundert Riesen, locker«, bemerkte die Geschäftsfrau leise. »Einige Leute in meiner Firma haben sich nach unserem Börsengang solche Uhren zugelegt. Leider ist unser Aktienkurs später abgestürzt. Aber die verdammten Uhren haben sie behalten.«
»Also, welcher Teil der Ausführungen des Redners hat euch beiden am besten gefallen?«, fragte der Obdachlose, während er sich am Handgelenk kratzte. »Waren es die Aussagen über die Psychologie des Genies, die er am Anfang gebracht hat? Oder diese unglaublichen Modelle über die Produktivitätstricks von Milliardären, die er in der Mitte eingestreut hat? Vielleicht wart ihr auch beeindruckt von den Ausführungen über die neurobiologischen Aspekte, die Top-Leistungen zugrunde liegen? Oder hat euch seine Theorie angesprochen, dass wir es selbst in der Hand haben, legendär zu werden, wenn wir als ein Werkzeug zum Nutzen der Menschheit fungieren, die er uns vor diesem dramatischen Finale dargelegt hat?« Der Obdachlose blinzelte. Dann warf er einen Blick auf seine große Armbanduhr.
»Gut, Leute, das war alles sehr lustig. Aber Zeit ist eines der kostbarsten Güter, wie ich gelernt habe. Warren Buffett, der berühmte Investor, hat einmal gesagt, die Reichen investieren in Zeit. Die Armen investieren in Geld. Ich muss mich also jetzt von euch verabschieden. Hab eine Verabredung mit einem Jet und einer Rollbahn, wenn ihr wisst, was ich meine.«
»Der ist anscheinend völlig durchgeknallt«, dachte die Unternehmerin.
»Buffett hat auch gesagt: ›Ich kaufe teure Anzüge. An mir sehen sie billig aus.‹ Vielleicht kennen Sie dieses Zitat auch«, sagte die Unternehmerin und fuhr fort: »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich weiß nicht, wie Sie hier reingekommen sind. Und ich habe auch keine Ahnung, woher Sie diese teure Uhr haben oder von welchem Jet Sie reden. Und hören Sie bitte auf, so über diese Veranstaltung zu sprechen. Daran ist nichts Komisches. Im Ernst, ich bin mir nicht sicher, ob der alte Herr noch atmet.«
»Sie hat definitiv recht«, pflichtete ihr der Künstler bei und strich sich über seinen Spitzbart. »Das ist nicht cool. Und warum reden Sie wie ein Surfer?«
»He, Leute, beruhigt euch«, sagte der Obdachlose. »Erstens, ich bin ein Surfer. Ich habe meine Jugendjahre auf einem Surfbrett in Malibu verbracht. Bin in der Nähe eines Orts gesurft, wo die Riesenwellen sind. Jetzt surfe ich kleinere Wellen in der Tamarin-Bucht, ein Platz, wo ihr zwei Hübschen wahrscheinlich noch nie gewesen seid.«
»Nie davon gehört. Sie sind wirklich unmöglich«, erwiderte die Unternehmerin frostig.
»Und zweitens, ich war sehr erfolgreich im Geschäftsleben. Ich habe eine Reihe von Unternehmen aufgebaut, die äußerst profitabel waren in dieser Zeit, in der Firmen Milliarden umsetzen, ohne irgendeine Substanz zu haben. Was für ein Witz. Die Welt wird immer verrückter. Zu viel Gier und zu wenig gesunder Menschenverstand. Und drittens, wenn ich das noch sagen darf«, fügte er hinzu, während er seine raue Stimme hob, »wartet tatsächlich ein Flugzeug auf mich, auf einem Rollfeld, das gar nicht weit von hier entfernt ist. Also, bevor ich gehe, möchte ich euch noch mal fragen – denn ich will es einfach wissen: Welcher Teil des Vortrags des Redners hat euch beiden am besten gefallen?«
»Eigentlich alles«, antwortete der Künstler. »Mir hat alles sehr gut gefallen, und ich habe alles aufgenommen, was der berühmte alte Mann gesagt hat.«
»Das ist illegal«, warnte der Obdachlose und verschränkte seine Arme. »Damit könntest du ernsthafte rechtliche Probleme bekommen.«
»Das ist nicht erlaubt«, bestätigte die Unternehmerin. »Warum haben Sie das getan?«
»Weil ich es wollte. Ich hatte einfach Lust dazu. Ich tue, was ich will. Regeln sind dazu da, dass man gegen sie verstößt, nicht wahr? Picasso hat einmal gesagt, man solle wie ein Profi die Regeln lernen, damit man sie wie ein Künstler brechen könne. Ich will ich selbst sein und nicht irgendein Schaf, das keinen Mumm hat und blind der Herde folgt auf einem Weg, der nirgendwohin führt. Die meisten Leute, insbesondere Leute mit Geld, sind nichts weiter als ein Haufen Schwindler«, verkündete der Künstler. »Es ist, wie der Redner manchmal sagt: ›Du kannst dich anpassen. Oder du kannst die Welt verändern. Aber beides zusammen geht nicht.‹ Also habe ich den ganzen Vortrag aufgenommen. Erschießt mich. Oder werft mich in den Knast, das wäre auch interessant. Dort treffe ich bestimmt ein paar coole Typen.«
»Schon gut, okay«, sagte der Obdachlose. »Ich billige deine Entscheidung nicht. Aber mir gefällt deine Leidenschaftlichkeit. Also mach weiter. Spiele uns die Teile des Seminars vor, die dir besonders gefallen haben.«
»Alles, was ich aufgenommen habe, ist umwerfend!« Der Künstler hob einen Arm hoch und zeigte ein Tattoo des Gitarrenvirtuosen Jimi Hendrix. Der Satz »Wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht überwältigt, wird die Welt Frieden finden« erschien über dem Gesicht des toten Superstars. »Sie werden gleich etwas ganz Besonderes hören«, fügte er hinzu.
»Ja. Machen Sie weiter, und spielen Sie uns die Teile vor, die Sie besonders angesprochen haben«, ermutigte ihn die Unternehmerin und stand auf. Sie war sich nicht sicher, aber irgendetwas schien tief in ihrem Inneren in Bewegung gekommen zu sein. »Vielleicht hat mich das Leben so niedergedrückt«, dachte sie. »Vielleicht gibt es jetzt eine Möglichkeit, mich ein wenig davon zu befreien.«
Die Teilnahme an dieser Veranstaltung, die Begegnung mit dem Künstler, die Worte des Redners, auch wenn sie ihm nicht in allem zustimmte – all dies gab ihr das Gefühl, dass das, was sie gerade in ihrer Firma durchmachte, eine Art von Vorbereitung war, die erforderlich war, um ihre eigene Großartigkeit zu entdecken. Die Unternehmerin war nach wie vor skeptisch. Aber sie spürte, dass sie sich öffnete. Und dass sie sich möglicherweise gerade persönlich weiterentwickelte. Daher nahm sie sich vor, diesen Prozess weiterzuverfolgen, anstatt sich zurückzuziehen. Ihre frühere Art zu leben erschien ihr nicht mehr hilfreich. Es war Zeit für einen Wandel.
Die Unternehmerin dachte an einen berühmten Satz von Theodore Roosevelt: »Nicht der Kritiker zählt; nicht derjenige, der darauf aufmerksam macht, wie der Starke fällt oder wo der, der anpackt, es besser hätte machen können. Die Anerkennung gebührt dem, der tatsächlich in der Arena steht, dessen Gesicht staubig und verschwitzt und voller Blut ist; der sich wacker bemüht; der sich irrt, der wieder und wieder scheitert, weil es kein Bemühen ohne Fehler und Schwächen gibt, aber der sich tatsächlich bemüht, Taten zu vollbringen; der großartige Begeisterung, großartige Hingabe kennt; der seine Kraft auf eine ehrenwerte Sache verwendet; der im besten Falle am Ende den Triumph einer großen Leistung kennt und der im schlimmsten Falle, sollte er scheitern, zumindest bei einem kühnen Versuch scheitert, sodass sein Platz nie bei den kalten und furchtsamen Seelen ist, die weder Sieg noch Niederlage kennen.«
Sie erinnerte sich auch an einen Satz, den sie aus dem Vortrag des Redners mitgenommen hatte – etwas wie: »Der Augenblick, in dem Sie aufzugeben bereit sind, das ist der Moment, in dem Sie in sich selbst die Kraft finden müssen, weiterzumachen.« Und daher hörte die Geschäftsfrau auf ihr Innerstes und fasste den festen Entschluss, ihre Suche fortzusetzen, um ihre Antworten zu finden, ihre Probleme zu lösen und wieder wesentlich bessere und schönere Tage zu erleben. Sie bekam allmählich wieder Hoffnung, und ihre Sorgen traten langsam in den Hintergrund. Und die schwache, kaum hörbare Stimme ihres inneren Selbst begann ihr zuzuflüstern, dass bald ein ganz besonderes Abenteuer für sie beginnen würde.