3Nancy Fraser . Rahel Jaeggi
Kapitalismus
Ein Gespräch über kritische Theorie
Herausgegeben von Brian Milstein
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder
Suhrkamp
5Für
Daniel Zaretsky Wiesen
Julian Zaretsky Wiesen
Jakob Jaeggi
Erben unserer Geschichte
Träger unserer Hoffnungen
auf eine bessere Zukunft
Wir schrieben dieses Buch in einer turbulenten Zeit und auf unkonventionelle Weise. Überall um uns herum brachen fest gegründete Gewissheiten zusammen. Finanz- und Umweltkrisen verschlimmerten sich vor unseren Augen und wurden auf der ganzen Welt zum Gegenstand offener Proteste. Gleichzeitig brodelten andere gesellschaftliche Probleme, die mit Familie, Gemeinschaft und Kultur zu tun haben, etwas tiefer unter der Oberfläche – noch keine maßgeblichen Brennpunkte sozialer Kämpfe, aber doch heraufziehende Krisen, die kurz davor stehen, vor unserem Blick zu explodieren. Schließlich schienen die sich häufenden Turbulenzen im Jahr 2016 zu einer Großkrise politischer Hegemonie zu verschmelzen, als Wähler auf der ganzen Welt massenhaft gegen den Neoliberalismus revoltierten und die Parteien und Eliten, die diesen unterstützt hatten, zugunsten populistischer Alternativen auf der Linken und der Rechten zu verdrängen drohten. Es handelte sich um das, was die Chinesen (und Eric Hobsbawm) als »interessante Zeiten« bezeichnen.
Interessant – vor allem für Philosophinnen, die sich mit der Entwicklung einer kritischen Theorie der kapitalistischen Gesellschaft befassen. Jede von uns hatte sich mehrere Jahre lang getrennt in dieses Projekt vertieft, bevor wir uns zusammenschlossen, um dieses Buch zu schreiben. Wir entschieden uns dazu aufgrund der Annahme, dass die sich verschärfenden Turbulenzen um uns herum ausdrücklich als Krise der kapitalistischen Gesellschaft gelesen werden könnten oder vielmehr als Krise der besonderen Form kapitalistischer Gesellschaft, in der wir heute leben. Es schien uns, dass die Zeit unbedingt nach dieser Art von Analyse verlangte. Und was wäre wohl eine bessere Vorbereitung auf die Aufgabe als unser gemeinsamer Hintergrund in kritischer Theorie und westlichem Marxismus, unsere Geschichte der leidenschaftlichen politisch-intellektuellen Auseinandersetzung miteinander und die kapitalismuskritische, philosophische Arbeit, die jede von uns eine ganze Zeit lang einzeln geleistet hat?
Als John Thompson vorschlug, wir sollten ein Buch für die Reihe »Gespräche« von Polity Press schreiben, witterten wir unsere 10Chance. Aber wir haben seinen Vorschlag an unsere eigenen Zwecke angepasst. Anstatt uns auf die übergreifende Stoßrichtung von Nancy Frasers Denken zu konzentrieren, beschlossen wir, unsere »Gespräche« eigens auf die Frage nach dem Kapitalismus und die Arbeit zu zentrieren, die wir beide zu diesem Thema geleistet haben.
Nachdem die Entscheidung getroffen war, vollzog sich der Prozess des Schreibens dieses Buches mit seinen eigenen überraschenden Wendungen. Wir bewegten uns zwischen zwei Auffassungen unserer Arbeit hin und her. Am Anfang stand die Idee, eine Reihe von hinreichend gut geplanten Gesprächen über verschiedene Aspekte des Themas aufzuzeichnen – mündlich miteinander zu sprechen und die Mitschriften so abzufassen, dass sie ihren halb spontanen Gesprächscharakter bewahrten. Diese Auffassung hat in einigen Kapiteln des fertigen Buches mehr oder weniger überlebt, insbesondere in der Einleitung und in Kapitel 4. Aber in anderen Kapiteln wurde sie durch eine andere Auffassung ersetzt, die eine intensivere Überarbeitung und erhebliche Neufassungen beinhaltete. Diese Veränderung spiegelte die Art und Weise wider, wie unsere Arbeit an diesem Buch sich mit der Arbeit überschnitt, die jede von uns gleichzeitig jeweils für sich durchführte. Die Kapitel 1 und 2 konzentrierten sich am Ende weitgehend auf Nancy Frasers »erweiterte« Sicht des Kapitalismus als »einer institutionalisierten Gesellschaftsordnung«, die vielfache Krisentendenzen in sich birgt. Diese Kapitel wurden erheblich überarbeitet, und zwar zum größten Teil von Nancy Fraser. Kapitel 3 folgt dagegen Rahel Jaeggis Darstellung der unterschiedlichen Gattungen, die eine Kritik des Kapitalismus umfassen, ihrer jeweiligen inneren Logik und ihrer Wechselbeziehungen. Dieses Kapitel, das hauptsächlich von ihr überarbeitet wurde, präsentiert außerdem Jaeggis »praxistheoretische« Sicht des Kapitalismus als »Lebensform«.
Abgesehen von diesen individuellen Schwerpunkten, war dieses Buch durch und durch ein Gemeinschaftswerk. Wie unkonventionell es auch sein mag, entspricht sein Format doch dem wirklichen Schaffensprozess, an dem wir uns gemeinsam beteiligten – in Form von aufgezeichneten Diskussionen, Privatgesprächen und öffentlichen Präsentationen in Berlin, Frankfurt, Paris, Cambridge (England) und New York; im Laufe von Familienurlauben in Vermont; und innerhalb des Graduiertenseminars über Kritiken am Kapitalismus, das wir gemeinsam im Frühjahr 2016 an der New School 11for Social Research unterrichteten. Es ist unsere feste Überzeugung, dass das Buch als ganzes viel größer ist als die Summe seiner Teile. Es entstand aus einer glücklichen Kombination von Umständen und spiegelt diese wider: dass wir viele intellektuelle Bezugspunkte und politische Ansichten teilen; dass unsere philosophischen Ansätze sich dennoch voneinander unterscheiden; und dass wir eine tiefe Freundschaft genießen, die sich um einen intensiven, wenn auch gelegentlich unterbrochenen Austausch zentriert. Das Ergebnis ist ein Buch, das reichhaltiger und tiefer ist als etwas, das die eine oder andere von uns für sich allein hätte hervorbringen können.
Auf dem Weg fielen für uns mehrere Dankesschulden an, sowohl gemeinsam als auch einzeln. Nancy Fraser bedankt sich für die Forschungsunterstützung seitens der Einstein-Stiftung der Stadt Berlin und des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin; der Rosa-Luxemburg-Stiftung; der Kolleg-Forschergruppe »Justitia Amplificata« (Frankfurt) und des Forschungskollegs Humanwissenschaften (Bad Homburg), des Centre for Gender Studies, Clare Hall, University of Cambridge; der Forschungsgruppe für Postwachstumsgesellschaften, Friedrich-Schiller-Universität (Jena); des Collège d’études mondiales und der École des hautes études en sciences sociales (Paris); und der New School for Social Research. Außerdem dankt sie Cinzia Arruzza und Johanna Oksala für anregende Diskussionen über Marxismus, Feminismus und Kapitalismus im Laufe eines gemeinsam gehaltenen Seminars an der New School; Michael Dawson dafür, dass er sie dazu drängte, den Ort rassistischer Unterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft theoretisch zu bestimmen; und Robin Blackburn, Hartmut Rosa und Eli Zaretsky für großartige Gespräche und nachbohrende Rückmeldungen.
Rahel Jaeggi bedankt sich für die Forschungsunterstützung durch das Programm der deutschen Heuss-Professur, die New School for Social Research, die Forschungsgruppe für Postwachstumsgesellschaften an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und die Humboldt-Universität in Berlin. Außerdem dankt sie Eva von Redecker und den anderen Mitgliedern ihrer Forschungsgruppe (Lea Prix, Isette Schumacher, Lukas Kübler, Bastian Ronge und Selana Tzschiesche) für ihre Beiträge in verschiedenen Stadien und auf unterschiedliche Weisen; Hartmut Rosa, Stephan Lessenich und Klaus Dörre für ermutigende Diskussionen und dafür, dass 12sie das Thema wieder auf die Tagesordnung zurückbrachten; Axel Honneth und Fred Neuhouser für kontinuierliche Anregungen; und Martin Saar und Robin Celikates dafür, dass sie die intellektuellen Gefährten sind, ohne die das akademische Leben nicht dasselbe wäre.
Wir beide danken Blair Taylor und Dan Boscov-Ellen für hervorragende Forschungsassistenz, die weit über das nur Technische hinausging; Brian Milstein für fachkundige Redaktionsarbeit und die Vorbereitung des Manuskripts in den Endstadien; John Thompson für den ursprünglichen Vorschlag, dass wir dieses Buch schreiben sollten, und für die Geduld, mit der er auf seine Fertigstellung wartete; Leigh Mueller für das Lektorat, und Victoria Harris sowie Miriam Dajczgewand Świętek für ihre Hilfe beim Korrekturlesen.
Nancy Fraser und Rahel Jaeggi