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Zum Buch

Als ihr Boss von einem Unbekannten angegriffen wird, kontaktiert Xena Morgan die einzige Person, die helfen kann – den attraktiven Stark-Security-Agenten Liam Foster. Xenas und Liams Wege kreuzten sich bereits in der Vergangenheit und jetzt, wo sie so dringend seine Hilfe braucht, entflammt die Erinnerung ihre Sehnsüchte erneut. Während sich die gegenseitige Anziehungskraft fieberhaft steigert, geraten die beiden in ein Gewirr aus Lügen, Gefahr und Leidenschaft. Liam wird vor nichts zurückschrecken, um seinen Auftrag zu erfüllen. Auch wenn es bedeutet, alles zu opfern, was er liebt … und die Geheimnisse preiszugeben, die ihn – und Xena – für immer zerstören könnten.

Ein sexy Standalone aus der atemlosen Spin-off-Trilogie zur erfolgreichen Stark-Serie von Bestsellerautorin J. Kenner!

Zur Autorin

Die New-York-Times- und SPIEGEL-Bestsellerautorin J. Kenner arbeitete als Anwältin, bevor sie sich ganz ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, widmete. Ihre Bücher haben sich weltweit mehr als drei Millionen Mal verkauft und erscheinen in über zwanzig Sprachen. J. Kenner lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Texas, USA.

J. KENNER

SEXY SECURITY

Stürmisches Feuer

Roman

Band 3

Aus dem Amerikanischen von Emma Ohlsen

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Deutsche Erstausgabe 06/2020

Copyright © 2019 by J. Kenner

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel

Ruined With You. Stark Security 3 bei Martini & Olive.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020

by Diana Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Anita Hirtreiter

Umschlaggestaltung: Zero, München

Covermotiv: © FinePic®, München

Herstellung: Helga Schörnig

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

e-ISBN 978-3-641-23969-5
V001

www.diana-verlag.de

Für Keeana – vielen, vielen Dank für deine Hilfe

und deine Unterstützung … 

und dass du meine absurden,

unvollständigen E-Mails ertragen hast.

PROLOG

Seit Jahren lasse ich mich auf niemanden mehr ein. Zu groß ist meine Angst, dass die Wahrheit ans Licht kommt oder meine Vergangenheit mich einholt und ich trotz der peniblen Sorgfalt, die ich an den Tag gelegt habe, um unterzutauchen, aus meinem neuen Leben herausgerissen und in die Hölle zurückgestoßen werde.

Anfangs habe ich meine Angst wie einen Umhang getragen, den man zum Schutz fest um sich wickelt, doch längst habe ich sie verinnerlicht, und sie ist für mein Überleben so notwendig wie der Sauerstoff, den man atmet. Sie ist immer da. Sie ist mir vertraut. Sie gehört zu mir.

Sie ist das innere Konstrukt der Mauer, die ich um mich herum errichtet habe, um mich dahinter zu verbergen, und niemals hätte ich gedacht, dass jemand in der Lage sein würde, sie niederzureißen.

Aber wie ein Blitz schlug er in mein Leben ein, und seine starken Arme sind so tröstend wie sein Blick verstörend, denn er sieht mehr, als er dürfte. Und je weiter er durch meine Abwehr dringt, umso größer wird meine Angst, dass er meine Geheimnisse entdeckt. Und dass die Wahrheit alles zerstören wird.

KAPITEL 1

Liam Foster setzte sich seine Sonnenbrille auf, um sich vor der grellen Sonne Nevadas zu schützen, und stieg aus dem Privatjet von Stark Security. Wie schon den ganzen Flug über kreisten seine Gedanken um die Frage, ob es wirklich wahr sein konnte, dass er vergangene Woche seinen Job nicht gründlich gemacht und dadurch seine Klientin in Gefahr gebracht hatte.

Einen Moment lang blieb er oben an der Treppe stehen, um den VIP-Bereich des Flughafens von Las Vegas, McCarran International, zu überblicken. Nicht, dass er feindliches Feuer erwartet hätte. Aber er war zu viele Jahre Kugeln und Verbrechern jedweder Art ausgewichen, um von der potenziell lebensrettenden Angewohnheit wieder zu lassen.

Als er den Fuß auf die Rollbahn setzte, hüllte ihn die vom Teer aufsteigende Hitze ein, und der Gedanke, das Jackett auszuziehen, war sehr verlockend. Es war ein Spätsommernachmittag, und in Las Vegas herrschte eine Bullenhitze. Liam war bereits öfter in der Stadt gewesen, als er zählen mochte, und das nie unter angenehmen Umständen. Der heutige Tag machte da keine Ausnahme, und im Stillen verfluchte er sich. Wo genau hatte er versagt, Ellie Love zu beschützen, um sie stattdessen der Gefahr auszusetzen?

Noch immer hallten die harschen Worte von Loves persönlicher Assistentin, Xena Morgan, in seinen Ohren wider. Vor nur ein paar Stunden war er noch auf einer Feier gewesen und hatte mit seinen Freunden beim Brunch gelacht und getrunken, als sein Telefon geklingelt hatte. Als ihr Name auf dem Display erschienen war, hatte er das ihm schon vertraute Ziehen in seiner Magengrube verspürt. Verlangen mit Furcht gemischt. Und feige wie er war, hätte er den Anruf beinahe auf die Voicemail gehen lassen und damit gegen sein eigenes Prinzip verstoßen, niemals den Schwanz einzuziehen, sondern sich jeder Herausforderung zu stellen.

Doch er hatte sich zusammengerissen und auf Annehmen getippt in der Erwartung … nun, er war sich noch immer nicht sicher, was er erwartet hatte nach dem letzten Abend, den sie gemeinsam auf der Terrasse von Ellies Haus in den Hollywood Hills verbracht hatten – sie vom Wein beschwipst, er trunken von ihr, unter ihnen die funkelnden Lichter der Stadt.

Er mochte nicht gewusst haben, was er von diesem Anruf zu erwarten hatte – ganz sicher aber nicht zu erfahren, dass Ellie am frühen Morgen beim Joggen angegriffen worden war, wie Xena ihm im beherrschten Tonfall einer erfahrenen Polizistin mitgeteilt hatte, ohne weitere Einzelheiten zu verraten. »Im Moment ist sie so weit okay, und Sie können sich die ganze Story anhören, wenn Sie hier sind, denn aus irgendeinem bescheuerten Grund ist sie der Meinung, dass bloß Sie ermitteln sollen. Was natürlich irgendwie irre ist, wenn man bedenkt, dass Sie derjenige waren, der behauptet hat, dass es keinerlei Bedrohung gäbe und sie nichts zu befürchten habe.« Nur ein leichtes Beben in ihrem gelassenen Tonfall verriet, wie erschüttert sie wirklich war. »Ich bin ja vielleicht naiv, aber nichts zu befürchten sieht für mich anders aus.«

»Xena …« Er hatte den Namen kaum ausgesprochen, als sie das Telefon bereits an ihre Chefin weitergereicht hatte.

»Schwingen Sie Ihren Hintern nach Las Vegas, Foster«, hatte der aufstrebende Popstar ohne Umschweife gesagt. »Ich brauche Sie hier. Sie sind der Einzige, dem ich wirklich Vertrauen entgegenbringe.«

Vertrauen.

Hatte er wirklich geglaubt, dass er sich nach Xenas Standpauke nicht mieser hätte fühlen können? Von wegen. Dieses einfache Wort hatte ihm den Rest gegeben.

Seufzend fuhr er sich mit der Hand über den rasierten Schädel. Versagt zu haben setzte ihm zu – das war noch nie anders gewesen. Irgendwie würde er den Fehler wieder ausbügeln. Irgendwie würde er sich das Vertrauen verdienen.

Neben dem Hangar tauchte ein dunkelgrauer Range Rover auf und fuhr auf das Rollfeld, und Liam steuerte darauf zu. Der Wagen hielt vor ihm an, und der Fahrer, ein selbstsicher wirkender junger Kerl mit einem Hauch von Bartschatten, machte Anstalten auszusteigen, doch Liam hielt die Hand hoch und öffnete sich die Tür zur Rückbank selbst. Manchmal war es wichtig, Rang und Stellung zu demonstrieren, im Augenblick aber ganz sicher nicht.

»Das Starfire, Mr. Foster?« Die Vermutung lag nahe. Das Starfire Resort mit angeschlossenem Casino gehörte Stark International und war mit allem ausgestattet, was für eine Operation von Stark Security im Großraum Las Vegas benötigt wurde.

»Nein. Zum Delphi. Und fahren Sie mich zum Künstlereingang. Ich muss zu einem Meeting und bin schon ziemlich spät dran.« Das konkurrierende Delphi Hotel-Casino, das mindestens so groß wie das Starfire war, verfügte darüber hinaus über eine Eventhalle, in der stets die neuesten Top-Acts der Region auftraten.

»Wird gemacht, Sir.«

Liam lehnte sich zurück und begegnete dem Blick des Fahrers im Rückspiegel. »Wie heißen Sie?«

»Frederick.«

»Ferienjob?«

Frederick nickte. »Ich bin Fahrer von Starfire, springe aber auch am Empfang ein, falls nötig. Ich studiere im Herbst im zweiten Jahr. An der UCLA

»Waren Sie zufällig gestern Abend auf dem Ellie-Love-Konzert?«

Seine Miene erhellte sich. »O ja! Es war verd… es war fantastisch, wollte ich sagen!«

»Keine Pannen? Nichts, was irgendwie ungewöhnlich war?«

Der Junge runzelte die Stirn, ob er das allerdings tat, weil er sich so konzentrierte oder weil er verwirrt war, hätte Liam nicht sagen können. »Na ja, nicht dass ich wüsste. Vielleicht war etwas backstage, aber im Publikum hat man davon nichts gemerkt.«

»Gut.« Er würde jedes Mitglied von Band und Crew befragen, außerdem die Angestellten von der Konzerthalle des Hotels, doch er ging nicht davon aus, dass sich etwas ergeben würde, denn wenn ihn nicht alles täuschte, war die Show ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Nichts hatte auf Ärger hingedeutet.

Bis heute Morgen.

»Ähm, Sir … ist an den Gerüchten eigentlich was dran?«

»Ist an welchen Gerüchten was dran?«, wiederholte Liam, der natürlich genau wusste, worauf Frederick anspielte.

»Ein Kumpel von mir, der als Portier im Delphi arbeitet, hat mir erzählt, dass Ellie – also Ms. Love – heute Morgen überfallen wurde.«

»Wie kommen Sie darauf, dass ich darüber etwas wissen könnte?«

»Oh.« Er sah im Rückspiegel, dass der Junge schluckte. »Na ja, Sie arbeiten für Stark Security. Sie wollen zum Delphi, wo Ms. Love heute Abend auftritt. Und Sie haben sich nach der Show gestern erkundigt. Lag irgendwie nahe, dass Sie was wissen.«

»Auf jeden Fall wären Sie in meinem Job gut aufgehoben«, sagte Liam mit einem Grinsen.

»Nee, danke. Ich stehe bloß auf Krimis und Thriller. Ich studiere Jura.«

»Ein Mann, der weiß, was er will. Noch besser.«

Sein Telefon signalisierte eine eingehende Nachricht; Rye Callahan, Ellies Verlobter und Manager, schickte ihm den Zahlencode für die Hintertür.

Proben dauern noch an. Sehen Sie zu, wenn Sie mögen, oder warten Sie in Ellies Garderobe. Wir finden Sie.

Liam schickte ein Daumen-Hoch-Zeichen zurück und scrollte den Rest der Fahrt durch seine E-Mails. Sein Freund Dallas Sykes hatte ein Bild von seiner schwangeren und bettlägerigen Frau geschickt, und Liam musste lächeln. Wie er Jane kannte, wurde sie in dieser erzwungenen Ruhe wahnsinnig, aber das änderte nichts an dem glückseligen Ausdruck auf ihrem schönen Gesicht. Nach allem, was das Paar durchgemacht hatte, hatten sie dieses Happy End mehr als verdient – und den neuen Anfang sowieso.

Nicht zum ersten Mal überkam ihn eine Welle von Neid. Dallas und Jane waren seine besten Freunde, und er missgönnte ihnen ihr Glück nicht im Mindesten. Er redete sich ein, dass er gar nicht wollte, was sie beide hatten, doch das entsprach nicht der Wahrheit. Er wollte es. Und ein paar strahlende Monate lang hatte er es gehabt.

Aber er wusste verdammt genau, dass er es nie wieder haben würde.

Verdammt.

»Sir?«

Er verbiss sich den nächsten Fluch; ihm war nicht klar gewesen, dass er laut gesprochen hatte. »Schon gut«, sagte er. »Nur Nachrichten, die ich durchgesehen habe.«

Der Rest der Post betraf die Arbeit. Aktualisierte Statusmeldungen seines Teams, Berichte, die er angefordert hatte, Informationen und Anweisungen zu neuen Aufträgen und Kunden. Er sandte ein halbes Dutzend Antworten zurück, unter anderem an Ryan Hunter, Leiter von Stark Security und Liams unmittelbarer Vorgesetzter, der zu diversen Angelegenheiten auf den neuesten Stand gebracht werden wollte.

Und dann war da noch eine Nachricht von Quince Radcliffe. Wie Liam hatte Quince für die Regierung gearbeitet, ehe er bei Deliverance eingestiegen war, einer inzwischen nicht mehr existierenden Selbstschutzgruppe, die von Dallas organisiert und finanziert worden war, um weltweit Entführungsopfer zu finden, zu befreien und dafür zu sorgen, dass ihnen Gerechtigkeit zuteilwurde. Und wie Liam war er nach der Auflösung von Deliverance zu Stark Security gewechselt.

Beide Männer hatten im Geschäft bleiben wollen, und beide glaubten an den Auftrag der Organisation. Die SSA, von Damien Stark nach einer persönlichen Tragödie gegründet, leistete dort Hilfe, wo sie gebraucht wurde, ob die Aufträge nun groß oder klein waren, und dank der verschiedenen Abteilungen des Mutterunternehmens wie Stark Applied Technology war sie mindestens so gut ausgestattet wie staatliche Geheimdienste, wenn nicht sogar besser.

Liam liebte seine Arbeit – verdammt, er lebte regelrecht dafür. Und er hatte den größten Respekt vor seinen Kollegen und würde ihnen niemals grundlos Informationen vorenthalten.

Vergangene Woche hatte es allerdings einen Grund gegeben.

Auf Ellies Bitte hin hatte Liam niemandem etwas von dem absurden Ausgang dieses Auftrags erzählt. Doch Quince war früher beim MI6 gewesen; ihm entging nichts. Ellie Love, las Liam jetzt, willst du uns nicht ins Bild setzen?

Er runzelte die Stirn. Bald, schrieb er zurück. Das SSA-Team sollte natürlich wissen, was es mit der falschen Drohung letzte Woche in L.A. auf sich hatte – und mit der Tatsache, dass die Drohung anscheinend doch nicht so falsch gewesen war. Was wiederum bedeutete, dass Liam einen verhängnisvollen Fehler gemacht hatte. Er hatte die Bedrohung für nichtig erklärt und Ellie Loves gesamtem Gefolge zugesichert, dass keine Gefahr mehr bestünde und sie die Tour ohne Weiteres fortsetzen konnten.

Der Fall war abgeschlossen – zumindest hatte er das gedacht. Der Popstar hatte Drohbriefe in Papier- und SMS-Form bekommen, die unter den Crewmitgliedern für Unruhe sorgten. Vage Ankündigungen, Ms. Love würde »bezahlen« und könne sich nirgends mehr sicher fühlen.

Beängstigend, ja, aber es hatte nicht lange gedauert, bis Liam herausgefunden hatte, dass diese Drohungen von ihrem übereifrigen PR-Mann stammten, der entschlossen gewesen war, Love während ihrer Tour so viel Publicity wie möglich zu verschaffen – und sei es durch gefälschte Drohbriefe.

Der Mann hatte gestanden und gekündigt, zum Glück noch ehe die Geschichte von den Briefen an die Medien durchgesickert war. Überzeugt, dass der Fall gelöst war, hatte Liam ihn geschlossen und der peinlich berührten Love versprochen, dass er seinen Abschlussbericht bei der SSA bloß denjenigen vorlegen würde, die ihn wirklich sehen mussten. Weswegen außer ihm und Ellie Love nur ihr Ex-Presseagent, ihre persönliche Assistentin, ihr Verlobter und Ryan Hunter von den gefälschten Drohungen wussten.

Kurz gesagt: Es hatte nie eine Gefahr bestanden.

Und doch war Ms. Love heute Morgen angegriffen worden.

Was also war ihm entgangen? Was zum Teufel hatte er nicht mitbekommen?

Oder handelte es sich um einen Nachahmer? Um einen Trittbrettfahrer?

Oder war es einfach nur eine Zufallstat gewesen?

Er wusste es nicht, aber er würde es herausfinden. Denn was für Begründungen und Rechtfertigungen er auch vorbringen mochte – es war Fakt, dass der Überfall auf Love heute Morgen in seinen Bereich fiel. Und er würde nicht eher ruhen, bis er den Täter gefunden hatte und sich selbst beweisen konnte, dass er nicht bloß schlampig gearbeitet und seine Klientin damit unwissentlich in Gefahr gebracht hatte.

KAPITEL 2

Von seiner Position in den Kulissen beobachtete Liam, wie Ellie Loves kleine dynamische Gestalt auf den Zwölf-Zentimeter-Absätzen zu Hip-Hop-Rhythmen über die Bühne tanzte, während sie mit kraftvoller Stimme den Text des letzten Liedes sang. Obwohl man sie heute Morgen überfallen hatte und die Sache in L.A. sie noch belasten musste, merkte man ihr nichts an. Nicht übel, dachte Liam.

Sie war durch und durch Profi. Mehr noch – sie hatte wahrhaftig das Zeug zum Star.

Zu einem narzisstischen und uneinsichtigen Star zwar, aber nach Liams Erfahrung war das praktisch ein fester Bestandteil der Prominenz. Und tatsächlich konnte er sie trotz dieser anstrengenden Qualitäten gut leiden. Die Tochter eines irischen Automechanikers und einer Latina, die in der dritten Generation in den USA aufgewachsen war, arbeitete hart, glaubte an sich und wusste genau, was sie wollte, weswegen ihr neuestes Album sie auch endlich an die Spitze der Charts katapultiert hatte. Und weswegen jeder Anwesende in der Konzerthalle, sei es Crewmitglied, Hotelpersonal oder Fan, sie wie hypnotisiert beobachtete.

Jeder Anwesende, bis auf Liam selbst.

Obwohl er Ellies Talent und ihre Einstellung zur Arbeit bewunderte, war es nicht sie, die seine Aufmerksamkeit immer wieder auf sich zog. Diese zweifelhafte Ehre gebührte der Frau, die ihm gegenüber auf der anderen Seite der Bühne stand. Der großen, sehr schlanken, auffällig hellhäutigen mit den blauen Augen. Der scharfzüngigen Blondine, die fast die ganze vorangegangene Woche wie ein Wachhund zwischen Ellie Love und ihm gestanden hatte.

Als Ellies persönliche Assistentin, die mehr Zeit an ihrer Seite verbrachte als deren Verlobter Rye, gehörte es zu Xenas Job, eine Barriere zwischen der Sängerin und dem Rest der Welt zu bilden, und Liam wusste, dass sie ihren Job verdammt ernst nahm. Ernst genug jedenfalls, um jede Anweisung, die er seinem Team und Ellies Entourage gegeben hatte, zu hinterfragen.

Einerseits ging sie ihm damit gehörig auf die Nerven. Andererseits fesselte sie ihn mehr, als ihm lieb war, und er war froh gewesen, als der Fall abgeschlossen war und er die Flucht ergreifen konnte. Man musste den Tatsachen ins Auge sehen: Er war ein erfahrener Profi im Securitygewerbe, der um den Globus jettete, viele Jahre im militärischen Geheimdienst tätig gewesen war und viel zu oft in die Mündung einer feindlichen Waffe gestarrt hatte, und er konnte keine zusätzliche Komplikation in seinem Leben gebrauchen. Und obwohl er keine Ahnung hatte, wie es geschehen konnte, zeichnete sich immer deutlicher ab, dass Xena das Potenzial dazu hatte, zu einer ausgewachsenen Komplikation zu werden, und zwar nicht nur, weil er sich unerklärlicherweise von ihr angezogen fühlte, obwohl sie überhaupt nicht sein Typ war.

Falls man sagen konnte, dass ein Mann, der sich praktisch nie verabredete und Beziehungen aus dem Weg ging, überhaupt einen Typ hatte. Er hatte schon vor Jahren angefangen, Stein um Stein eine Mauer um sich zu errichten, die sich längst zu einer uneinnehmbaren Festung entwickelt hatte. Zwar verließ er sie gelegentlich, wenn die Versuchung rief oder die Lust oder wie immer man es nennen wollte, aber es waren stets kurvige Frauen, auf die er abfuhr, keinesfalls androgyne Typen, wie Xena einer war. Außerdem war sie blond, und blonde Frauen hatten ihn noch nie gereizt. Er hatte auf den zahllosen Partys, auf die Dallas ihn früher immer mitgeschleift hatte, bereits zu viele fade Unterhaltungen mit Wasserstoff gebleichter Möchtegernprominenz geführt, um daran noch Gefallen zu finden.

Verdammt, wenn er schon unangemessene Fantasien wegen einer Frau hatte, die tabu war, da man Arbeit nicht mit Privatem mischte, dann hätte es Ellie sein müssen. Aber nein, er musste sich ja auf eine gertenschlanke Blondine mit scharfer Zunge und durchdringendem Blick versteifen.

Doch auch wenn er sich einredete, dass er keine Ahnung hatte, warum das so war, entsprach das nicht ganz der Wahrheit. Sie war clever und entschlossen. Sie sprach wenig, und wenn, hatte es Hand und Fuß. Und ihre Loyalität zu Ellie war nicht zu übersehen.

All das waren in seinen Augen bewundernswerte Qualitäten, aber Xena Morgan hatte noch mehr zu bieten, dessen war er sich sicher. Außerdem umgab sie ein Geheimnis, das ihn faszinierte – etwas Wundes und gleichzeitig Verhärtetes. Er wusste nicht, was sie tief im Inneren mit sich herumschleppte, aber er hatte schon mit genug traumatisierten Menschen zu tun gehabt, um zu erkennen, dass sie so wie er ein gebranntes Kind war.

Was allerdings nicht bedeutete, dass sie dadurch kompatibel waren. Im Gegenteil. Eine solche Mischung war hochexplosiv.

Ja, Xena Morgan stellte eine Komplikation dar, die er einfach nicht gebrauchen konnte. Und je eher er sie sich wieder austrieb, umso besser.

Grelles weißes Licht flutete den Backstagebereich, und Liam wurde sich bewusst, dass die Probe vorbei war. Ellie lehnte an einer Bühnendekoration und sprach mit einem der Roadies, und in den Kulissen gegenüber stand niemand mehr.

Stirnrunzelnd setzte er an, die Bühne zu betreten, zögerte aber dann. Sollte er Rye zunächst in der Garderobe treffen? Er wandte sich um, um nach dem Manager zu suchen, und stand stattdessen vor Xena. Sie hielt den Kopf leicht geneigt, und ein wissendes Lächeln spielte um ihren verführerischen breiten Mund.

Viel zu verführerisch, und er dankte dem Himmel für seine Selbstbeherrschung, durch die er sich an jenem letzten Abend auf Ellies After-Show-Party hatte zurückhalten können, als sie oberhalb der funkelnden Stadt zu dicht beieinandergestanden hatten.

An jenem Abend hatte sie ihr Haar offen getragen, sodass es sich in der nächtlichen Brise bewegt hatte. Nun war es zu einem straffen Pferdeschwanz zusammengefasst, wodurch ihr Gesicht deutlicher im Fokus war.

Es war ein schönes Gesicht, wenn auch nicht im konventionellen Sinn. Vermutlich war es ungeheuer fotogen, doch die Züge waren ein wenig zu scharf, obwohl der Hauch Sommersprossen sie etwas milderte und der durchdringende Blick aus ihren blauen Augen davon ablenkte.

Sie trug eine hautenge Jeans und ein weißes Tanktop, das nicht verhüllte, dass ihre Oberweite ungefähr der eines zwölfjährigen Jungen entsprach. In dem sexy schwarzen Kleid, das sie auf Ellies Party getragen hatte, hatte sie grazil ausgesehen, fast ätherisch, als könnte man etwas kaputt machen, wenn man sie zu fest an sich drückte. Er hatte sich vorgestellt, wie sie sanft und zerbrechlich unter ihm lag, sich an ihn klammerte, seine schwarze Haut im krassen Kontrast zu ihrer Blässe, und voller Leidenschaft und Vertrauen, dass er ihr nicht wehtun würde, obwohl es in seiner Macht stand, zu ihm aufblickte.

Auch sie hatte ihn gewollt – dessen war er sich sicher. Er hatte es in ihren Augen gelesen, es in ihrer Atmung gehört. Aber er hatte nur allzu gut gewusst, dass er sie nicht haben konnte, da sich nicht vorhersehen ließ, welche Dämonen er damit aufscheuchen würde. Diese Lektion hatte er auf die harte Tour gelernt, und er war so verdammt froh gewesen, in jener Nacht bloß mit den Gedanken an sie ins Bett zu gehen, sosehr er die Frau selbst auch begehren mochte.

Und doch stand er nun schon wieder vor der fleischgewordenen Versuchung. Ob sie wohl wusste, wie es um ihn stand?

Sie verlagerte ihr Gewicht auf den anderen Fuß und lachte. »Was ist los, Foster? Haben Sie ein Schweigegelübde abgelegt? Oder hat es Ihnen nach Ihrem grandiosen Patzer schlicht die Sprache verschlagen?«

Er sog die Luft ein, als Ärger in ihm aufstieg. Nein, von seinem Innenleben ahnte sie offenbar nichts. Alles, was sie sah, war sein vermeintliches Versagen.

»Ich freu mich auch, Sie wiederzusehen, Xena. Okay, dann sehen wir mal zu, dass wir dieser Geschichte auf den Grund gehen.«

KAPITEL 3

Sie betraten die Garderobe, in der Ellie Love auf einem gepolsterten Hocker saß. Ein Haarband hielt ihr das Haar mit den pinken Strähnen aus dem Gesicht, das mit einer Reinigungscreme eingeschmiert war.

»Die Fans lieben den Look«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und meinte damit das dramatische Make-up, das zu ihrem Markenzeichen geworden war, »aber er ist tödlich für meine Haut.« Sie wandte sich um und schenkte Liam ein strahlendes Lächeln. »Freut mich, Sie wiederzusehen.«

»Tatsächlich?« Er durchquerte den Raum, um ihre ausgestreckte Hand zu nehmen, dann lehnte er sich an die Wand, während sie mit einem Waschlappen die Cremereste entfernte.

»Na klar, warum denn nicht?«

Liam runzelte die Stirn und blickte zu Xena, die sich auf einen Stuhl neben Ellie gesetzt hatte und eine ausdruckslose Miene zur Schau trug.

Er räusperte sich. »Ellie, ich …«

»Ella, wissen Sie noch? Ellie ist für die Bühne, Ella für meine Freunde. Und Ms. Love für alle anderen. Und Sie, Sir, sind doch jetzt ein Freund. Oder etwa nicht?« Für die letzte Frage wandte sie sich Xena zu.

»Schar deine Freunde um dich – und deine Feinde erst recht?«, sagte Xena zynisch, woraufhin Ellie – Ella – die Augen verdrehte.

»Meine Assistentin scheint mir nachzustreben. Wenn nicht als Sängerin, dann wenigstens als Zicke.«

»Sie macht sich nur Sorgen um Sie«, sagte Liam und warf Xena einen Seitenblick zu, als im selben Moment die Tür aufging und Rye Callahan, Ellas Verlobter, eintrat. »Und sie hat Grund dazu.«

»Ich mache mir auch Sorgen«, sagte Rye, trat zu Ella und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Genau.« Liam nickte Rye zu. »Gordon hat gestanden, und ich habe den Fall abgeschlossen. Und bloß eine Etappe weiter werden Sie überfallen. Das sollte niemanden kaltlassen.«

»Es lässt mich auch nicht kalt.« Ella stieß sich vom Schminktisch ab und sah ihm direkt in die Augen. »Aber heißt das denn zwingend, dass es Ihr Fehler war?«

»Vielleicht habe ich ja nicht gründlich genug recherchiert. Vielleicht gab es ja eine verborgene Bedrohung, die mir entgangen ist.«

»Herrje, spielen Sie eigentlich gerne den Märtyrer?«

»Ella …«

»Er hat recht«, meldete sich Xena zu Wort. »Anscheinend hatte Gordon doch noch mehr geplant als nur diese alberne PR-Nummer. Womöglich war diese ganze Geschichte mit den vermeintlichen Drohbriefen, die an die Medien durchsickern sollte, bloß ein Ablenkungsmanöver, ohne dass Mr. Foster es erkannt hat.«

Ihre Worte, nur allzu wahr, verfehlten ihre Wirkung auf Liam nicht. »Das ist exakt das, was ich zu sagen versucht habe«, sagte er zu Ella, weil er sich nicht mehr im Spiegel hätte ansehen können, wenn er es nicht zugegeben hätte. Er war stolz auf das, was er tat. Verdammt, seine Arbeit war sein Leben, und der Gedanke, dass ihm etwas derart Wichtiges entgangen sein könnte – dass ein Fehler von ihm diese Frau in Gefahr gebracht hatte …

Ella machte eine ungeduldige Geste, als sie aufstand. »Vielleicht haben Sie etwas übersehen, vielleicht aber auch nicht, keine Ahnung. Fakt ist jedenfalls, dass Mr. Foster in L.A. etwas für mich getan hat, was bloß wenige geschafft haben.«

»Moment mal«, sagte Rye gespielt schockiert. »Du trägst meinen Ring, Baby. Muss ich mir Sorgen machen?«

Sie fuhr ihm mit dem Finger vom V-Ausschnitt des Konzert-Shirts mit der Aufschrift Love Hurts schnurgerade abwärts bis zum Knopf seiner Jeans. »Niemals, mo chroí.« Einen Moment lang sahen sie sich lächelnd in die Augen, dann wandte sie sich wieder Liam zu. »Aber Scherz beiseite. In Los Angeles war ich wegen der Nachrichten und der Briefe fix und fertig. Sie haben Gordon überführt und mir wieder ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Und das will ich jetzt auch.«

Ohne nachzudenken, warf er Xena einen Blick zu, den sie direkt und herausfordernd erwiderte.

Er schob die Hände in die Hosentaschen und nickte. »Na schön. Der Überfall heute Morgen war entweder einfach Pech oder eben nicht. Er hatte entweder mit Gordons alberner Täuschung von letzter Woche zu tun oder nicht. Finden wir es heraus.«

Ellas strahlendes Lächeln hätte die Lampen um den Spiegel herum ersetzen können. »Braver Junge. Was müssen Sie wissen?«

»Alles. Fangen wir ganz von vorne an.«

»Also gut.« Stirnrunzelnd blickte sie zu der kleinen Couch, die gegenwärtig von Kostümen bedeckt war. »Verfluchte Christy«, brummelte sie, und Liam erinnerte sich, ihrer Kostümmanagerin vorgestellt worden zu sein. »Xena, hol uns ein paar Stühle. Wenn sie die Kleider in einer bestimmten Reihenfolge dort drapiert hat und wir sie wegnehmen, macht sie mir die Hölle heiß.«

»Was? Wir sollen jetzt damit anfangen?«, protestierte Xena. »Du musst in weniger als drei Stunden ein Konzert geben und dich vorher ausruhen und mit den Technikern abstimmen. Können wir das nicht auf morgen verschieben? Oder wenigstens bis nach der Show?«

Mit einem Seufzen ließ Ella sich wieder auf ihrem Hocker nieder, schürzte die Lippen und ahmte eine Denkerpose nach. »Wer arbeitet noch mal für wen? Ich glaube, einer von uns hat sich vertan.«

Liam musste sich ein Grinsen verkneifen, als Xena wütend die Augen verdrehte, sich dann aber wortlos zu einem Stapel Klappstühle an der Wand umdrehte. Er kam ihr nach und nahm zwei.

»Das kann ich selbst«, sagte sie.

»Zweifellos. Die beiden sind für Rye und mich.«

Sie kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts, sondern kehrte mit ihrem Klappstuhl zurück, während Liam mit den anderen beiden folgte und sich über seinen kleinen albernen Sieg diebisch freute.

»Im Folgenden die Situation, wie sie sich mir darstellt«, begann er, damit niemand die Chance bekam, die Gesprächsführung zu übernehmen. »Ich bin angerufen und herzitiert worden, was vermuten lässt, dass man mir in dieser Sache eine gewisse Schuld beimisst. Keiner von Ihnen will mir etwas verraten, außer dass Ella heute Morgen beim Joggen überfallen worden ist. Wie mache ich mich bisher?«

Ella machte eine kurbelnde Handbewegung. »Weiter.«

»Ich komme also her, um herauszufinden, wer Sie überfallen hat, und, falls nötig, wiedergutzumachen, falls ich mit der Bedrohung nicht angemessen umgegangen bin, obwohl ich ein vollständiges Geständnis und einen mannshohen Stapel an Beweisen hatte, die selbiges untermauern. Dann verkünden Sie, dass Sie keinesfalls an meine Schuld glauben – was Sie am Telefon, ganz nebenbei, mit keinem Wort erwähnten, während Sie« – er wandte sich Xena zu – »mit jedem Wort durchblicken lassen haben, dass Ihnen noch kein unfähigerer Mensch begegnet ist.«

Er klappte den instabil aussehenden Stuhl auseinander und setzte sich vorsichtig, als sei das Ding aus Streichhölzern gemacht, während er sich Rye zuwandte. »Was Sie denken, weiß ich ehrlich gesagt nicht.«

»Nun, ich …«

Liam hielt die Hand hoch. »Aber das spielt im Moment auch keine Rolle.« Er lehnte sich behutsam zurück und streckte die Beine aus in der Hoffnung, dass der Stuhl nicht zusammenbrach. »Ich möchte nicht wissen, was Sie denken, sondern was Sie wissen.«

»Okay«, sagte Ella. »Also, ich wollte heute Morgen kurz nach sechs joggen gehen. Das Hotel hat eine nette Parkanlage, und ich wollte die Kühle ausnutzen.« Sie brach ab, bis Liam nickte, dann fuhr sie fort. »Mein Bild hängt im Augenblick überall in der Stadt, was natürlich ganz großartig ist, aber ich wollte nicht, dass mich jemand verschwitzt und abgekämpft sieht. Also habe ich mir eine von den Perücken der Tänzerinnen aus der Garderobe genommen.«

»Ella!« Xenas Stimme stieg indigniert an. »Das hast du mir gar nicht gesagt.«

»Ist doch nicht wild. Liam wollte die Einzelheiten hören.«

»Und ob das wild ist.«

»Und warum?«, fragte Ella, und obwohl Liam erwartet hätte, dass Xena sofort verärgert kontern würde, stand sie einen Moment lang – einen merkwürdigen Moment lang – mit geöffnetem Mund und leicht gerunzelter Stirn da, doch dann verfinsterte sich ihre Miene. »Weil alle Perücken frisiert und angepasst worden sind. Christy wird ausrasten, und ich bin diejenige, die es abbekommt.«

Ella wedelte mit der Hand. »Ich gehe davon aus, dass meine Position mich in die Lage versetzt, dich zu beschützen. Im Übrigen habe ich eine Perücke aus dem Schrank genommen. Sie war keiner Tänzerin zugeordnet. Wirklich, Xena, Christy wird gar nichts merken.«

Xena lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn du das sagst.«

Liam zögerte und betrachtete Xena, obwohl die nächste Frage an Ella gerichtet war. »Sie gingen also joggen und trugen eine Perücke und – was? Shorts?«

»Genau. Ein Konzert-Shirt und schwarze Laufshorts. Außerdem hatte ich eine Kappe auf; die Perücke passte nicht so richtig, daher dachte ich, die Kappe würde dafür sorgen, dass sie nicht verrutscht.«

»Eine Konzert-Kappe oder …?«

»Eine von den Love Hurts-Kappen. Eine andere hatte ich nicht, daher habe ich sie genommen und bin hinausgegangen. Die Strecke ist ungefähr eine Meile lang, zieht sich allerdings durch den Park, der zum Delphi-Gelände gehört.«

»Ich kenne es. Wo wurden Sie überfallen?«

»Direkt hinter dem Teich. Die Strecke führt an ein paar Bäumen vorbei, hinter denen ein Kinderspielplatz liegt. Es war zu früh, als dass bereits Kinder dort gewesen wären, aber als ich um die Bäume herumlief, tauchten plötzlich zwei Typen auf.«

»Was hatten sie an?«

»Shorts und T-Shirts. Ganz schlicht, alles schwarz, glaube ich. An einen Aufdruck oder ein Logo kann ich mich nicht erinnern. Doch einer der Kerle hatte eine Tätowierung auf dem Oberarm. Wegen des T-Shirts konnte ich sie nicht genau erkennen, ich glaube allerdings, es war eine Schlange.«

»Hatten Sie die beiden schon einmal gesehen?«

»Nein. Das heißt, ich bin mir nicht sicher. Ich bin durch den Eingang zum Fitness-Center hinausgegangen. Und ich könnte mir vorstellen, dass sie dort trainiert hatten oder an der Bar saßen. Es waren bereits ein paar Leute dort.«

»Aber Ihnen ist niemand aufgefallen, der Ihnen beim Laufen gefolgt ist? Oder ein anderer Jogger vielleicht?«

»Ganz zu Anfang habe ich zwei Frauen gesehen, aber als ich den Spielplatz erreichte, war niemand in der Nähe. Meine ich. Denn ich muss zugeben, dass ich Kopfhörer aufhatte und total im Flow war. Daher kann ich es nicht beschwören.«

Liam nickte und nahm sich vor, die Sicherheitsvideos des Hotels durchzusehen, ob jemand, der zu Ellas Beschreibung passte, ihr beim Hinausgehen gefolgt war. »Und dann?«

»Sie … sie waren hinter mir, und einer griff mir ins Haar – oder besser, in die Perücke. Dann hörte ich: ›Damit hast du nicht gerechnet, was?‹, woraufhin ich herumfuhr und mir die Perücke inklusive Kappe vom Kopf rutschte. Zum Glück habe ich das Ding nicht festgeklebt. Das hätte verdammt wehgetan.«

Neben ihr stieß Xena plötzlich ein »Oh!« aus, gefolgt von: »Es … es tut mir leid, mir ist gerade was eingefallen. Ich muss mit Tommy reden. Mist.« Sie sprang auf und eilte zur Tür. »Nichts Wildes, aber wenn ich ihn nicht erwische, bevor er am Mischpult steht, dann – ach, egal, wir sehen uns auf der Bühne. Du probst doch mit den Tänzern noch die neue Zugabe, oder?«

Und schon war sie durch die Tür verschwunden, ehe Ella noch etwas erwidern konnte.

Liam sah ihr nach, bis die Tür zufiel. Seine Gedanken überschlugen sich. Er wandte sich wieder Ella zu. »Alles okay mit ihr?«

»Ach, da war irgendeine Panne mit einem Mikro. Nichts, was die Show unterbrochen hätte, aber sie will sich sicher wie üblich vergewissern, dass alles läuft, wie es soll.«

Er nickte. Die Erklärung war glaubhaft, aber irgendetwas stimmte da nicht. Er konnte nur nicht genau benennen, was – noch nicht.

»Wir sollten uns wirklich etwas beeilen«, warf Rye ein. »Vor der Show gibt es immer viel zu tun.«

»Also – was passierte, nachdem die Perücke gerutscht war?«

»Ich wollte wegrennen, stolperte aber. Ich hätte erwartet, dass sie mich festzuhalten versuchten, doch das passierte nicht. Stattdessen fluchte der eine – er klang, als käme er aus New Jersey –, und die beiden sahen sich an. Ehe ich wieder genug Luft zum Schreien hatte, rannten sie schon weg. Ich auch, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Ich bin bis zum Hotel zurück gesprintet.«

»Und die Perücke?«

»Die …« Sie runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass sie sie mitgenommen haben. Vielleicht liegt sie noch im Park.«

»Haben Sie der Security vom Hotel Bescheid gesagt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Dafür habe ich ja Sie angerufen.«

Er rieb sich mit der Hand über den Schädel. »Wir haben bereits darüber gesprochen. Sie brauchen rund um die Uhr Personenschutz.«

»Liam hat recht«, sagte Rye. »Selbst wenn es nur einer wäre. Vielleicht er?«, fügte er hinzu und deutete mit dem Daumen auf Liam.

»Das fällt nicht in meinen Aufgabenbereich, aber ich kann gute Leute empfehlen.«

»Vergesst es, Jungs. Ich will nicht, dass mir jemand auf Schritt und Tritt folgt, und das Delphi sorgt während der Show für die Sicherheit. Das war bestimmt nur ein Zufall. Die Kerle wollten irgendeine Frau überfallen und bekamen Panik, als sie die Perücke in den Händen hielten.«

»Als Theorie nicht unlogisch«, stimmte Liam zu, »aber ich halte mich mit Vermutungen lieber zunächst noch zurück.« Automatisch dachte er an Xenas Reaktion, als sie von der Perücke erfahren hatte. Ihre Haarfarbe ähnelte stark der der Perücken, die die Tänzerinnen trugen.

»Foster?«, sagte Ella misstrauisch. »Was denken Sie?«

Er schüttelte den Kopf. »Nichts Konkretes, ich sammle noch Informationen. Zuerst allerdings werde ich …«

»Stopp«, unterbrach Rye ihn. »Tun Sie bitte, was immer Sie auch vorhaben, aber Ella muss sich jetzt wirklich auf den Auftritt vorbereiten.«

Rye, der auf einer Farm in Nebraska aufgewachsen war, hatte längst jegliche Kleinstadtnaivität abgelegt und durch knallharten Geschäftssinn und kühles Gebaren ersetzt. Da er Zugang zu allem hatte, was Ella persönlich betraf, hatte er sich vergangene Woche ganz oben auf Liams Liste der Verdächtigen befunden. Doch seine Überprüfung hatte ergeben, dass er sauber war, und nach Gordons Geständnis hatte Liam den Manager gedanklich freigesprochen.

Nun jedoch beabsichtigte er, sich Ryes Werdegang noch einmal genauer anzusehen. Vermutlich war es wirklich reiner Zufall gewesen, dass ausgerechnet Ella heute Morgen beinahe Opfer eines Überfalls geworden wäre – und dann konnte Liam endlich das verfluchte Büßerhemd ausziehen, das er seit dem Anruf trug –, aber er war nicht gewillt, Ellas Sicherheit einem »Vermutlich« zu opfern.

Was bedeutete, dass sich nicht nur Ella wieder an die Arbeit machen würde, sondern er sich auch. Und dazu würde er zunächst erneut im Vorleben von Rye Callahan und Xena Morgan herumschnüffeln.

KAPITEL 4

So eine verfluchte Riesenscheiße!

Unruhig gehe ich im dunklen Flur vor der Soundkabine auf und ab und bin heilfroh, dass Tommy nicht da ist und ich Zeit habe, um mich zu sammeln, während ich gleichzeitig hoffe, dass er bald auftaucht, damit es nicht so aussieht, als habe ich ihn bloß als Ausrede missbraucht, um zu verschwinden.

Was ich natürlich getan habe.

Weil ich nicht eine Sekunde länger in der Garderobe hätte bleiben können, ohne alles, aber auch absolut alles zu riskieren. Ich war durch Liam Fosters Anwesenheit ohnehin schon aus der Bahn geworfen, denn ich hatte nicht erwartet, ihn noch einmal wiederzusehen, nachdem unser Tournee-Tross nach Las Vegas weitergezogen war. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bringt er mich vollkommen durcheinander.

Und dann die Sache mit der Perücke.

Mein Gott, diese verfluchte Perücke.

Warum hat Ella sie mir gegenüber denn nicht erwähnt? Dann hätte ich niemals zugestimmt, als sie mir sagte, sie wolle Liam Foster herholen. Ich hätte ihr gesagt, dass das eine Sache für die hiesigen Sicherheitsleute sei: zwei böse Buben, die irgendeine Frau überfallen wollten. Die Tat hatte nichts damit zu tun, dass sie Ellie Love war.

Ich weiß, dass es so war. Dass die Tat nichts mit ihrer Identität zu tun hatte. Dafür umso mehr mit meiner.

Jetzt komm mal wieder runter, Xena. Hol ein paarmal tief Luft, und komm wieder runter!

Ich strenge mich an, meinem eigenen Rat zu folgen und mich zu beruhigen. Es war nur ein blöder Zufall. Ja, ein gruseliger und einer, der paranoid machen könnte, aber dennoch nichts weiter als ein Zufall, wie es sie manchmal eben gibt.

Schließlich ist es sechs Jahre her. Sechs wunderbare, scheußliche Jahre. Und obwohl ich weiß, dass sie mich im ersten Jahr gesucht haben, sind sie nie auch bloß in meine Nähe gekommen. Und das zu einer Zeit, in der ich ein Nervenbündel war, das über keine besonderen Fähigkeiten, keinerlei Mittel und schon gar kein Netzwerk verfügte. Inzwischen habe ich einen neuen Namen, ein neues Aussehen und ein neues Leben – wie sollte ihnen also ausgerechnet jetzt gelingen, was sie damals nicht geschafft haben?

Warum sollten die Dinge sich ändern? Eben, nichts hat sich geändert. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sie mich aufgespürt haben. Dass sie überhaupt noch nach mir suchen.

Nur ist das leider totaler Quatsch.

Natürlich suchen sie noch nach mir. Ich weiß verdammt gut, dass sie niemals aufhören werden, nach mir zu suchen. Nicht Männer wie sie. Nie im Leben.

Mein Herz beginnt zu rasen, und mir wird schwindelig. Die Welt um mich herum verschiebt sich in den roten Bereich, und ich spüre, wie eine ausgewachsene Panikattacke heranrollt. Und dazu ist jetzt gerade wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt.

Ich hole tief Luft und befehle mir, Ruhe zu bewahren. Es gibt keinen Grund, in Panik zu geraten. Schließlich bin ich eher der Typ Frau, der sich im Hintergrund hält und nicht besonders auffällt. Ich bin das Mädchen in den Kulissen, nicht das im Scheinwerferlicht. Sie müssten erst einmal wissen, wo sie suchen sollen, und wieso sollten sie auf die Idee kommen, sich ausgerechnet für das Gefolge eines Popstars zu interessieren?

Eben. Macht doch keiner. Ich bin in Sicherheit.

»Xena?«

Ich zucke zusammen, stoße einen Schrei aus und fahre zu Tommy um. »Herrgott!«