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Markus Matzner

Rebenrausch

Weinkrimi aus dem Limmattal

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Zum Buch

Rausch & Schuld Just am selben Wochenende, als der Bündner Winzer Alois Maruck während einer Winzergala an einem anaphylaktischen Schock stirbt, kommt der junge Limmattaler Winzer Tariq Rathgeb aus dem Knast. Er war verurteilt worden, am Tod von Marucks Tochter Lara beim Weininger Winzerfest eine Mitschuld zu tragen. Die Menschen im Winzerdorf sind wenig erfreut, dass er wieder freikommt, zumal er väterlicherseits muslimische Wurzeln besitzt. Selbst sein Schweizer Onkel, ein weitherum respektierter Winzer, ist machtlos gegen die aufgeladene Stimmung im Dorf. Auf seine Bitte hin rollen Nico Vontobel und Jean-Jacques Trümpi die Geschichte neu auf, doch ihre Ermittlungen stagnieren. Das ändert sich, als Nicos Partnerin Hanni Pulver zufällig die Imkerin Rita Hediger kennenlernt. Als ehemalige Absolventin der Bäuerinnenschule des Klosters Fahr verleiht sie der ganzen Geschichte ein völlig neues Gesicht. Zumal sie mit dem Benediktinerinnen-Kloster eine alte Rechnung offen hat …

Markus Matzner, Jahrgang 1964, studierte Psychologie und Medienwissenschaften und lebt seit über dreißig Jahren im Großraum Zürich. Über ein Vierteljahrhundert lang arbeitete er als Journalist und Produzent beim Schweizer Fernsehen SRF. Nun hat er seine Leidenschaft für Wein zum Beruf gemacht und ist Chefredakteur der Schweizer Fachzeitschrift für Obst- und Weinbau. Nebenbei keltert er eigenen Wein in Weiningen: www.vinicus.ch

Kontakt zum Autor: www.markusmatzner.ch

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

LiebeHassMord (2016)

Strahlenmeer (2014)

Wahlschlacht (2013)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2020

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Edith Czech / stock.adobe.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6144-6

Zitat

»Das Leben ist flüchtig wie ein Schluck Wein.

Genieße beides vor dem Abgang!«

(Nico Vontobel)

 

 

Kapitel 1

In Hanni Pulvers Kopf drehte sich alles. Es war ein nebelverhangener Novembertag. Sie stand am kleinen Weiher oberhalb des Dorfes und betrachtete das tannengrüne Wasser, das vom Wind gekräuselt wurde. Der Himmel über ihr war düster, es würde wohl bald zu regnen beginnen. Angesagt war einer dieser bleiernen Herbstregen, die sich wie eine dunkle Schicht übers Land legten, gleichsam den Lichtschalter ausknipsten und alle Farben tilgten. Sie fröstelte. Mehr als jede andere Jahreszeit besaß der Herbst ein unheilvolles Doppelwesen. Er konnte mit seinem Farbenspiel entzücken, mimte den Großzügigen und Spendablen, doch schon Augenblicke später agierte er garstig, schmutzig und lebensfern. Er war zweifelsohne eine bipolare Persönlichkeit, dachte Hanni und wandte ihren Kopf gen Westen. Dort beim Findling standen ihr Partner Nico Vontobel, der Kriminalpolizist Jean-Jacques Trümpi, das Ehepaar Rathgeb sowie Tariq mit seiner Mutter Anita. Sie alle schwatzten und nippten an ihren Weingläsern, allem Anschein nach froren sie nicht. Waren wohl gewärmt vom Umstand, dass die Geschichte ausgestanden war. Hanni zurrte den Reißverschluss ihres Anoraks ganz nach oben, stellte den Kragen auf, ihre wuscheligen Haare wehten wie eine rötlich braune Fahne im Wind. Zwischen den im Wind tänzelnden Birkenzweigen erblickte sie am Rande des Moors das verwunschene, kleine Holzhäuschen, in dem Rita wohl wie üblich an ihrem Küchentisch saß und ein weiteres Kapitel in ihr Lebensbuch schrieb. Ihre Bienen waren schon auf den nahenden Winter eingestellt worden und blieben im Stock. Sollte sie sie besuchen gehen?

Hanni verwarf den Gedanken. Es wäre Rita wohl nicht gelegen gekommen, wenn um diese Zeit noch jemand hereinschneite. Das würde sie aus dem Tritt bringen. Die Folge wäre wohl, dass sie die ganze Nacht aufbliebe und dann am Tag irgendwo einschlief. Außerdem hatte Hanni ihr ja versprochen, auch die restlichen Kapitel ihrer Biografie zu überarbeiten, um daraus ein Buch zu machen. Ein Buch von Rita Hediger über Rita Hediger. Die bald 70-jährige Frau hatte zuerst ungläubig geblickt, sie fast für verrückt erklärt, als sie ihr das vorschlug. Dann aber, als sie begreifen konnte, dass es Hanni ernst meinte, hatten ihre Wangen zu glühen begonnen. Allein die Vorstellung, dass die Welt noch erfahren würde, was Rita Hediger durchmachen musste, was das Geheimnis ihres schroffen Charakters war und wie unheilvoll Menschen agierten, selbst wenn sie es im Namen des Gekreuzigten taten, machte sie stolz und glücklich. Sie würde also wirklich noch den Tag erleben, dass ihre Lebensgeschichte, eingeklemmt zwischen zwei Buchdeckeln, veröffentlicht werden würde.

Plötzlich surrte das Handy in Hannis Jackentasche. Widerwillig blickte sie aufs Display. Sie hätte wohl alle anderen Anrufer ignoriert, doch diesen nahm sie entgegen.

»Es ist ein Mädchen!«, rief die Stimme am anderen Ende und sprudelte gleich los. »Kaum größer als ein Laib Brot, aber alles dran, sogar die kleinen Nägelchen an den Zehen und Fingern!«

»Gratuliere!«, rief Hanni, als sie endlich zu Wort kam. »Wie geht es Sara?«

»Gut, sie strahlt«, rapportierte der frischgebackene Vater Mario Ettlin, um nach einem kurzen Moment weiterzufahren:

»Sie steckt wohl im Flash ihrer Hormone. Warte, ich geb sie dir.«

Eine noch schwache, aber glücksgetränkte Stimme erzählte von den nicht enden wollenden Wehen, von den Stunden, die es zu kämpfen galt. Doch nun waren die Schmerzen wie weggeblasen, das kleine Würmchen auf der Welt. Es lag in den Armen der jungen Mutter, war – wie könnte es auch anders sein? – das schönste Baby, das je das Licht der Welt erblickt hatte.

Hanni freute sich für das junge Paar, das nun zur Familie geworden war, auch wenn sie ganz tief bei sich selber eine leicht brennende Wunde spürte, selber dieses Glück nie erlebt zu haben. Wenigstens konnte sie sich darauf freuen, das Leben dieses neuen Erdenbürgers hautnah miterleben zu dürfen, schließlich war sie zur Patentante erkoren worden. Auch wenn sie anfänglich skeptisch reagiert hatte, da sie ja fast eine Generation älter war, freute sie sich über das Vertrauen, das ihr das junge Paar entgegenbrachte, und fieberte ebenfalls dem Moment der Geburt entgegen. Nico, ihr Partner, hatte sie in seiner unnachahmlichen Art gemahnt, in ihrer Rolle nicht zu sehr aufzugehen, da er befürchtete, sie würde gleich selber Wehen entwickeln. Doch dann kam so unvermittelt wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Geschichte mit Tariq. Nie hätte sie gedacht, was sie noch alles erleben würde, als sie zum ersten Mal diesen ungewöhnlichen Namen hörte. Ohnehin dachte sie, dass es Nicos Angelegenheit sei, und hatte sich raushalten wollen.

Bevor Hanni das Gespräch mit Sara beendete, versprach sie, morgen im Spital vorbeizuschauen. Auf Vorrat richtete sie beste Grüße von Nico aus. Dann ging sie zu den anderen, die beim Findling standen, und erzählte von der Geburt.

Nicos erste Reaktion war die Frage, wie denn das Kind hieße, was Hanni in Erinnerung rief, genau diese Frage nicht gestellt zu haben. Sie erschien ihr auch irrelevant. Tariq reichte ihr ein Glas, gefüllt mit einem spritzigen Sauvignon blanc.

»Bei diesem Wetter wäre wohl ein Glühwein passender«, fügte er schmunzelnd an. Sie nickte und nippte am Glas. Die kühle Flüssigkeit rann ihre Kehle hinab. Zu ihrem Erstaunen wärmte der Wein. Wenigstens ein paar Sekunden lang. Die exotische Fruchtigkeit des Sauvignons haftete länger. Sie mochte dieses Gemisch aus Eisbonbons, Passionsfrucht und Litschis.

Dann surrte ihr Handy erneut. Missmutig blickte sie aufs Display, erkannte die Nummer. Es war eine vom Schweizer Fernsehen, ihrem Arbeitgeber. Das musste wohl die Mitarbeiterin von Marios Redaktion sein, die mit ihr über einen Interviewtermin sprechen wollte. Sie hatte sich von ihm breitschlagen lassen, die erstaunliche Geschichte zu erzählen, wie sie den Fall »Tariq« – wie das tönte! – fast im Alleingang löste. Gleichwohl war ihr nicht danach, das Gespräch anzunehmen. Stattdessen unterstützte sie Walter Rathgebs Vorschlag, in eine der Wirtschaften des Dorfes zu gehen. Im »Winzerhaus« gebe es Wild, in der »Linde« Metzgete1, fügte der Winzer an. Die Mehrheit war für Blut- und Leberwürste, was Hanni nur halbwegs gefiel, aber sie schickte sich drein. Sicher gäbe es auch etwas Vegetarisches, dachte sie, denn auf Fleisch, insbesondere in Wurstform, hatte sie überhaupt keine Lust.

Als Letzte folgte sie den anderen zu den Autos. Bevor sie einstieg, war ihr ein Gedanke durch den Kopf gehuscht, einer, der sie kurz irritierte.

Fragend blickte sie sich um und sah Ritas Häuschen, wie es zwischen den Birken hervorlugte und einen warmen Lichtschein aussandte. Der Weiher war in eine quecksilbrige Stille getaucht, als würde er schlafen. Wäre in diesem Moment nicht ein laut brummendes Flugzeug über ihre Köpfe hinweggeflogen, man hätte fast meinen können, beim letzten Bild eines Märchens anzukommen und den berühmten, letzten Satz zu lesen:

»Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.«

Ja, sinnierte sie beim Einsteigen ins Auto, noch vor wenigen Wochen war so ein Ende nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil.

1 Metzgete: Bedeutet einerseits »Schlachtung«, ist andererseits der in der Deutschschweiz übliche Ausdruck für herbstliche Schlachtplatten mit Blut- und Leberwürsten sowie Haxen, Speck und Rippli.

Kapitel 2:
Rita 1

Vater nannte mich Fallobst. Ich war wertlos für ihn, bestenfalls drittklassig. So wie die Mostäpfel, die er nur noch in die Mosterei bringen konnte. Mein älterer Bruder Fritz und Nesthäkchen Fränzi hingegen waren seiner Abstammung würdig. Ich nicht, das ließ er mich stets wissen. Als ich in die Schule kam, hatte ich Mühe, diese absurde Menge von Buchstaben auseinanderzuhalten. Weil ich kaum ein Wort korrekt schreiben konnte, hat er mich vor allen ausgelacht. Ebenso hat er allen, die es wissen wollten oder auch nicht, geklagt, dass ich blöder als die dümmste Kuh in seinem Stall sei. Denn die könnten im Gegensatz zu mir bis zehn zählen. Sonst würden sie ihren angestammten Standplatz verfehlen. Ich hingegen schaffte es, ein Gnusch2 bei den einfachsten Rechnungen zu machen.

Dabei war ich gar nicht so dumm, ich verwechselte nur die Zahlen. So schrieb ich zum Beispiel eine Neun, meinte aber eine Sechs. Hinzu kam, dass mich der Primarlehrer zwang, mit meiner rechten Hand zu schreiben. Dabei tat ich nichts mit der Rechten, dafür alles mit der Linken. Ganz natürlich.

Einige Wochen lang quälte mich dieser Unmensch, indem er meine linke Hand mit einer Schnur an die Lehne meines Stuhls festband. Die ganze Klasse lachte mich aus. Und er grinste über das ganze Gesicht, dass ich wie in einer Zwangsjacke steckte. Dennoch benutzte ich nur widerwillig die Rechte. Es lief mir einfach gegen den Strich. Ich bekam Schweißausbrüche und Kopfweh, wenn ich mehr als drei Sätze schreiben musste. Am schlimmsten waren Diktate. Da begann ich am ganzen Körper zu zittern, kriegte Fieber. Doch ihm war das egal. Seitenweise ließ er mich Buchstaben und Zahlen schreiben. Wie er mal vor meiner Mutter prahlte, würde er mich von einer Linken zu einer Rechten umerziehen. Weil er ein Sympathisant der Nationalen Aktion3 war, glaubte er wirklich, er tue meiner Familie einen Gefallen.

Dieser Menschenschinder konnte mir nach einigen Jahren egal sein, da ich die Klasse wechselte. Nicht aber mein Vater. Er war immer da und liebte es, mich vor allen Leuten fertigzumachen. Eine Weile lang setzte er sogar durch, dass ich weniger zu essen bekam als meine Geschwister. Ich sei ein Schmarotzer, wohl ein Kuckuckskind. Dass er damit auch meine Mutter in ein schlechtes Licht rückte, störte ihn nicht. Bei größerem Alkoholkonsum ließ er verlauten, dass er schon ahne, wer mein Vater sei, er sei es auf alle Fälle nicht. Ich versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen. Das gelang einigermaßen. Doch mit 14 setzte meine Periode ein. Mein Körper begann sich zu verändern. Er bemerkte meine Reife nicht sofort, sondern erst, als er mich eines Tages in einem Sommerkleid sah. Mein Lieblingskleid. Weil ich an Brust und Gesäß zugenommen hatte, wollte es nicht mehr so recht passen. Da rief er:

»Jetzt wird die Rita auch noch rollig, Gott bewahre uns vor einem Bastard!«

Mir drohte er. Sollte er mich auch nur einmal mit einem Burschen erwischen, würde ich meines Lebens nicht mehr froh werden. Ich begriff zu diesem Zeitpunkt nicht, was das wirklich bedeutete. Dennoch nahm ich ihn ernst. Schließlich setzte er seinen Willen immer durch.

Als ich 15 wurde, ließ er mich wissen, dass man mich in früheren Jahrzehnten in eine Anstalt eingeliefert und für immer dortbehalten hätte. Er habe auch versucht, dies dem Toktor4 klarzumachen. Ihm Beispiele genannt, dass ich ins Burghölzli5 gehöre. Doch der Schafseckel habe nur abgewinkt und ihn einen Narren gescholten. Das machte meinen Vater natürlich noch wütender. Diese Wut hat er postwendend an mir ausgelassen. Deshalb ging ich ihm aus dem Weg. Ich unternahm, wenn immer möglich, Spaziergänge. Wie ein Magnet zog es mich runter zur Limmat und zum Kloster Fahr. Allein der Anblick dieses wehrhaften, aber so entrückten Ortes bereitete mir Herzklopfen. Das Kloster lag am rechten Ufer einer lang gezogenen Flussbiegung. Schon bald lernte ich Schwester Renata kennen. Sie war nicht nur für den Garten, sondern auch für die Imkerei zuständig. Ich spürte, hier würde ich hingehören. Das Leben einer Nonne schien mir mehr als nur eine Verlockung zu sein, es war der Wille Gottes.

2 Gnusch: Durcheinander, Chaos

3 Die Nationale Aktion, später »Schweizer Demokraten«, war eine in den frühen 1960er-Jahren gegründete rechtspopulistische Partei, die vor allem mit James Schwarzenbachs fast angenommener Initiative zur Begrenzung des Ausländeranteils auf maximal zehn Prozent viel Aufsehen erregte.

4 Toktor: Dorfarzt, der eine Art moralische Instanz im Dorf darstellt

5 Burghölzli: Psychiatrische Universitätsklinik

Kapitel 3:
EIN FREITAG – ENDE SEPTEMBER

Die Limmat lag wie ein träges Reptil in ihrem Bett. Eine schwüle Hitze hing über dem Tal. Nico Vontobel kratzte sich am Kopf. Er spürte den Schweiß, der im schütteren Haar klebte, wischte sich die salzigen Tropfen aus den brennenden Augen. Dann ließ er seinen Blick schweifen, betrachtete mit einigem Stolz die akkurat gestutzten Laubwände seiner Rebzeilen und die tiefblauen Trauben, die prall gefüllt in der Sonne hingen und wie gemalt erschienen.

Bei genauerer Betrachtung sah man aber auch die Schattenseite des schwülfeuchten Herbstes. Auf manch einer Traube hatten sich Fäulnisnester gebildet, ebenso fand der Falsche Mehltau ideale Bedingungen vor, sodass die betroffenen Blätter wie mit Mehl bestäubt schienen.

Der pensionierte TV-Produzent, der sich den Traum des Hobbywinzers erfüllt hatte und nunmehr stolzer Pächter von 200 Rebstöcken der Sorte Blauburgunder war, erkannte, dass seine Trauben keine weitere Woche dem Infektionsdruck standhalten konnten. Er musste handeln, wollte er nicht alles verlieren. Argwöhnisch betrachtete er den Himmel und die mächtigen Kumuluswolken, die sich im Osten gegen die Alpen schoben. Ein Gewitter zu diesem Zeitpunkt wäre verheerend, schon ein starker Regen könnte die Trauben beschädigen, wusste er. Wieder und wieder prüfte er die verschiedenen Wetter-Apps auf seinem Handy. Alle kamen zum gleichen Schluss: Heute Nacht würde es trocken bleiben, ebenso morgen, aber dann würde eine Kaltfront von Westen herziehen.

Er öffnete seinen Rucksack, holte einen transparenten Messbecher heraus und stapfte in die Rebzeilen hinein. Er griff mal hier, mal dort nach einer Traube und füllte das Plastikgefäß mit rund 100 Beeren. Zurück beim Sträßchen zerquetschte er die Beeren mit einem hölzernen Mörser. Dann griff er erneut in den Rucksack und förderte ein Kästchen zutage. Er öffnete es und betrachtete das zylindrische Gerät, als wäre es ein wertvolles Fernrohr aus dem 18. Jahrhundert. Für ihn besaß es auch annähernd so viel Wert, konnte es doch mittels Lichtbrechung den Zuckergehalt bestimmen.

Nico träufelte ein paar Tropfen des frisch gepressten Traubensaftes auf das ovale Glas des Refraktometers. Dann klappte er das transparente Deckelchen zu und blickte hindurch. 94 Grad6! Der Neowinzer biss sich auf die Zähne. Er wusste, dass man in früheren Jahren schon sehr zufrieden war, wenn man 85 Öchslegrade erreichte. Doch seit dem legendär heißen Jahr 2003 war man Rekorde gewöhnt. Und 100 Öchsle waren in den letzten Jahren ab und an erreicht worden. Somit war dieses Ergebnis gut, aber kein Grund zur Euphorie. Wenigstens war die befürchtete Invasion der Kirschessigfliege ausgeblieben, sodass die Ernte nicht ganz so aufwendig werden würde wie damals im Jahr 2014, als man jede Traube chirurgisch sezieren musste.

Ihm war klar, der morgige Samstag musste genutzt werden. Erstaunlich viele Freunde aus früheren Jahren hatten ihre Hilfe angeboten. Bei seiner kleinen Menge reichten jedoch fünf bis sechs motivierte Helfer bei Weitem. Weniger ist häufig mehr, dachte Nico. Im Leben wie beim Ernten. Außerdem war sein Team seit geraumer Zeit bestimmt, und seine Leute warteten nur auf das Signal, um loslegen zu können. Bevor er sie per SMS aufbieten konnte, musste aber zuerst die Weiterverarbeitung gesichert sein. Auch die war im Grunde geregelt, dennoch wollte er auf Nummer sicher gehen.

Auf einem ausgewaschenen Weg spazierte er ins Dorf hinunter und erreichte kurze Zeit später den Hof der Familie Rathgeb. Das Weingut war verglichen mit den anderen eher klein, aber zweckmäßig eingerichtet. Es bestand aus einem Haupthaus und einem Anbau, in dem sich die Traubenannahme und der Keller befanden. Eine matt silbern schimmernde, pneumatische Presse bildete den unbestrittenen Blickfang, davor stand die Abbeermaschine mit ihrer spiralförmigen Walze. Alles war bereit für die Ernte. Walter Rathgeb, den alle im Dorf nur Walti riefen, und seine Frau Ursi kelterten auf ihren vier Hektar sieben verschiedene Weine. König war zwar der Blauburgunder, doch Walter wusste auch aus der alten Zürcher Sorte Räuschling einen ungemein spritzigen Weißwein zu keltern, der viele Liebhaber fand. Weil sie nicht expandieren konnten oder wollten, waren sie auch gefragte Lohnkelterer und wurden von einem halben Dutzend Nebenerwerbs- oder Hobbywinzern mit deren Traubengut beliefert.

Nico traf den Winzer bei der Reinigung der Gärtanks an. Walter trug eine lange ledrige Schürze und war gleichwohl bis zum Scheitel nass, sodass die mittellangen, braunen Haare am Kopf klebten.

»Hallo Walti, wie geht’s?«, fragte Nico, als der Angesprochene sein Hochdruckspritzgerät ausgeschaltet hatte.

Der Angesprochene verzog keine Miene und reichte seine Hand, die sich schwammig anfühlte.

»Bin froh, wenn die Ernte beginnt«, meinte der Winzer, »dann mache ich endlich wieder was Gescheites und muss nicht nur putzen.«

Nico grinste verständnisvoll. »Deswegen komme ich. Habe eben geöchselt. Meine Blauburgunder haben über 90 Grad. Das Wetter schont7 morgen. Können wir am Nachmittag die Trauben liefern?«

Der Winzer, der aufgrund der letzten Jahrzehnte wusste, dass es während der Erntezeit keine Wochenenden gab, nickte und schob seinen Gast gleichsam zum Haupthaus, wo sich ein kleiner Besuchs- und Degustationsraum befand. »Komm, wir gehen rüber. Magst du was trinken?«

Kurze Zeit später saßen die Männer am massiven Tisch und tranken ein Glas des letztjährigen Räuschlings.

»Respekt, gehaltvoller Tropfen!«, lobte Nico.

»Ja, kann man allerdings sagen. Über 13 Volumenprozent! Ist schon fast zu viel für diese Sorte. Musste glatt mit der Säure etwas nachhelfen. Aber dafür hat er viel Stoff und Fülle.«

»Ja, erinnert schon fast an einen Weißburgunder.«

Walter sah ihn fragend an: »Dann habe ich etwas falsch gemacht! Aber wie gesagt, es war auch ein verrücktes Jahr.«

»Verrückter als heuer? So tropisch war es doch noch nie!«

Walter fuhr sich über seine Wange und blickte in die Ferne, ehe er fast flüsternd anfügte:

»Ja, die Welt ist aus den Fugen geraten. Nicht nur beim Wetter.«

Nico wunderte sich über Walters Stimmung. Er kannte ihn eigentlich als fröhlichen und geerdeten Menschen, keiner, der gleich auf Weltuntergang machte.

»Wenn du die allgemeine Weltlage, insbesondere die Amerikaner meinst, stimme ich dir zu«, meinte Nico amüsiert und nippte am Glas. Doch der andere schüttelte fast unmerklich seinen Kopf.

»Was noch?«, fragte der Journalist besorgt nach.

Walter seufzte, stand auf und holte ungefragt den Marc8 samt zwei Gläschen, schenkte den Schnaps ein, stellte ein Glas vor Nico hin, kippte das seinige in einem Zug weg und füllte es erneut. Dann stand er wortlos auf, begab sich zum Bauernbuffet, das in der Ecke des rustikal eingerichteten Degustationsraums stand, öffnete eine Schublade. Er griff nach einem Foto, kam zu Nico zurück und setzte sich wieder.

»Hier, das ist ein Schnappschuss aus dem Jahr 2013. Kurz bevor Tariq seine Winzerlehre abgeschlossen hätte. Er ist der Sohn meiner Schwester Anita.«

»Tariq? Auch kein alltäglicher Name für einen Hiesigen.«

Über Walters Gesicht huschte ein Anflug von Resignation:

»Ja, meine Schwester hat manchmal wirklich eine Schraube locker. Aber der Junge kann ja nichts für seinen Namen. Auch nicht, dass er seinen Vater nicht kennt. Er ist das Resultat eines Techtelmechtels zwischen Anita und einem Tunesier. Eine ziemlich schwierige Geschichte. Die aber Gott sei Dank seit Jahren vom Tisch ist.«

Nun hob Nico seine Augenbrauen und betrachtete das Bild genauer. Es zeigte Walter, seine Frau Ursi und zwischen ihnen einen groß gewachsenen Mann mit kräftigen Augenbrauen, einem dunklen Dreitagebart und schwarzem, lockigem Haar. Alle lächelten zufrieden in die Kamera. Obschon der Junge fremdländische Züge aufwies, wirkten die drei wie eine Familie. Was Nico in Erinnerung rief, dass Rathgebs keine eigenen Kinder hatten. Wohl nicht ganz freiwillig, wie er nun vermutete.

»Tariq war ein guter Typ, ihm hätte ich unseren Hof übergeben«, Walters Stimme klang melancholisch, »bis, ja, bis …«

Nun wurde Nico neugierig. Vorsichtig fragte er: »Ist er gestorben?«

»Fast.«

Nico verstand nicht und machte ein entsprechendes Gesicht.

»Er … er ist im Gefängnis. Seit bald drei Jahren.«

»Oh. Und warum?«

Nico hätte vieles erwartet, aber nicht das, was ihm Walter nach und nach erzählte. Tariq soll anlässlich des traditionellen Winzerfestes im Juni 2013 eine minderjährige Frau zuerst sturzbetrunken gemacht und dann vergewaltigt haben. Nach der Tat habe er sie liegen gelassen und daher in Kauf genommen, dass sie in der Folge an ihrem eigenen Erbrochenen erstickte.

Nun war es Nico, der zum Schnapsglas griff und es in einem Zug leerte.

»Merkwürdig, von diesem Fall weiß ich gar nichts«, sagte er dann.

»Dann bist du der Einzige. Hier im Dorf sind sie völlig durchgedreht damals. Wahrscheinlich hätten sie Tariq gelyncht, wäre er nicht von der Polizei abgeholt worden.«

»Wer war denn das Opfer?«

»Eine Winzertochter aus Maienfeld. Tariq hat sie wohl während seines zweiten Lehrjahres in der Bündner Herrschaft kennengelernt. Danach blieb der Kontakt lose bestehen. Fatalerweise fuhr sie ihm an diesem Junitag nach, war wohl verliebt gewesen in ihn, was nicht verwundert. Alle Mädchen sind auf Tariq geflogen.«

Nico wollte nicht einleuchten, dass ihm diese Geschichte total entgangen war, schließlich arbeitete er damals als Produzent bei der Tagesschau. Dann fiel ihm ein, dass er zu dieser Zeit eine mehrmonatige Auszeit genommen und durch Südamerika gereist war. Das versöhnte ihn wieder mit seinem Gedächtnis. Sofort sprang sein Spürsinn an. Dass Walter ausgerechnet heute so niedergeschlagen war, musste einen Grund haben:

»Und warum liegt dir die Geschichte mit Tariq grad heute auf dem Magen?«

Wieder seufzte der Winzer und machte ein zerknirschtes Gesicht:

»Er soll in den nächsten Tagen entlassen werden.«

Ohne eine Reaktion abzuwarten, fuhr er fort:

»Weißt du, was dann wieder abgeht? Mir graut davor!«

Nico wollte gerade etwas antworten, als die Tür aufging und Walters Frau Ursi auftauchte:

»Ah, Nico, salut! Nun versteh ich«, schob sie mit einem Grinsen nach, »warum ich Walter nicht finden konnte. Oh, die Herren haben was zu feiern?«

Walter sagte nichts, packte das Foto, erhob sich und stapfte, ohne ein Wort zu verlieren, zur Schublade und versenkte es. Ursi, die sogleich durchschaute, worüber sie geredet hatten, machte auf dem Absatz kehrt.

»In zehn Minuten können wir essen«, fügte sie an und verließ den Raum. Ohne Gruß.

Nico kam sich etwas deplatziert vor. Schließlich ging ihn diese Geschichte nichts an.

Mehr, um die etwas heikle Stimmung aufzuweichen, als etwas Gescheites beizutragen, meinte Nico im Aufstehen:

»Und was wird Tariq machen, wenn er freikommt?«

Walter zog eine Schnute und atmete ruckartig aus:

»Keine Ahnung. Hier in unserer Gegend kann er jedenfalls nicht bleiben. Einmal geächtet, immer geächtet.«

»Somit löst sich die Idee der Resozialisierung in Luft auf. Teufelskreis bleibt Teufelskreis.«

6 Der Zuckerwert der Trauben wird in Öchslegraden angegeben. Gerade in sogenannten »cool climate regions« sind 100 und mehr Öchslegrade außergewöhnlich, aber infolge der Klimaerwärmung wahrscheinlicher geworden.

7 Schonen, in diesem Zusammenhang: Es bleibt schön, das Wetter lässt uns unversehrt.

8 Marc: schweizerisches Synonym für Grappa beziehungsweise Tresterbrand.

Kapitel 4

Die Sägemaschine kreischte. Unerbittlich fraßen sich die metallenen Zacken durchs weiche Holz, bis die Platte zweigeteilt war. Der Mann an der Maschine kippte einen Schalter, das infernale Geräusch verklang. Eine dumpfe Stille legte sich über die Werkstatt. Er griff nach den beiden Hölzern und prüfte den Schnitt. An den Ecken waren kleine Holzsplitter abgesprungen. Das ärgerte ihn. Er wollte perfekte Arbeit abliefern. Seine Möbel waren stets am besten gefertigt, was die Leitung der Strafvollzugsanstalt schnell begriffen und ihn deshalb zum Werkstattleiter ernannt hatte. Das bedeutete zwar einen Zusatzjob, schließlich war er auch für die Ordnung und den Unterhalt der Maschinen verantwortlich, dafür genoss er einige Vorzüge.

An der Werkbank saß ein weiterer Häftling und montierte einen Hocker zusammen. Er blickte auf:

»He, Rathgeb, wann lassen sie dich gehen?«

»Weiß nicht«, antwortete der andere und griff nach einem Schleifpapier, um die Kanten zu bearbeiten. »Ich habe nur aufgeschnappt, dass sie Platz brauchen für eine Bande von Staatsfeinden. Also ich rechne im Laufe des nächsten Monats damit.«

»Und was machst du, wenn du draußen bist?«

Tariq Rathgeb atmete tief ein. Mit seinem rechten Daumen fuhr er an der Schnittlinie entlang, spürte an einer Stelle etwas Widerstand und setzte das Papier an. »Zurück ins Dorf kann ich wohl nicht mehr. Muss deshalb weg, um mir etwas Neues zu suchen.«

»Und was sagt dein Sozialheini?«

»Er will mir einen Job als Schreiner schmackhaft machen. Irgendwo im Aargauer Jura. Aber was mach ich dort? Außerdem bin ich von Beruf Winzer. Also fast. Mit fehlt nur noch der Lehrabschluss!«

»Hauptsache, du kannst neu anfangen, oder?«

Tariq antwortete nicht, sondern senkte seinen Blick. Ein flaues Gefühl hing ihm im Magen. Hier war er seit bald drei Jahren eingesperrt gewesen, hatte jede verdammte Sekunde gehasst. Nun winkte die Freiheit, was ihm noch mehr zu schaffen machte. Als würde draußen diese monströse Geschichte nur darauf warten, dass er es wagte, seinen Kopf herauszustrecken, fühlte er sich wie gelähmt. Er war und blieb ein Außenseiter, ein Verlierer und Verbrecher. Mindestens für die Gesellschaft. Selbst wenn er noch weitere 100 Jahre absäße, würden sie in ihm nach wie vor nur den Sauhund sehen, der dieses hübsche Mädchen zerstört hatte. Tariq schüttelte seinen Kopf, mehr zu sich selber als zu seinem Kumpel meinte er:

»Da faseln sie von Gerechtigkeit und Justiz, aber letztlich zementieren sie nur deinen verkackten Zustand!«

»Hey Mann«, entgegnete der andere, »für nichts sitzen wir nicht hier! Schlussendlich sind wir selber für uns verantwortlich, das sagt auch dieser Mertens.«

»Ja, Psychologengeschwätz. Was wissen denn die vom Leben? Und dir, Alter, rate ich, dass du nicht zu sehr auf deren Linie einschwenkst. Denn eines mögen die Jungs im Bau gar nicht: Schuhelecker!«

»Das nimmst du zurück!«, brauste der schmächtig wirkende Mann auf und hielt seinen Schraubenzieher wie eine Waffe in der Hand. Mit gedämpfter Stimme fuhr er fort: »Ich bin sicher kein Arschkriecher! Aber im Gegensatz zu anderen finde ich nicht, dass mein Leben zerstört ist, nur weil ich ein paar Jahre hier eingesperrt bin. Ist immer noch besser, als Kokain für die Balkanmafia zu verdealen.«

Tariq antwortete nichts, da er genau wusste, dass bei der kleinsten Auseinandersetzung ein Aufpasser kommen würde, der die Unterhaltung abbräche. Einer blickte bereits herüber. Fast gemächlich schritt Tariq zu seinem angefangenen Nachttischkästchen am anderen Ende der Werkstatt und montierte die Deckplatte drauf. Dann erklang eine Glocke. Die Häftlinge, die ihr Tagesziel erreicht hatten, durften während einer knappen Stunde tun und lassen, was sie wollten. Natürlich nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die meisten gingen in die Fitnessecke, wo sie mit Hanteln trainierten oder unbehelligt miteinander quatschen konnten. Tariq zog es vor, sich von den Muskelmännern fernzuhalten. Dabei hätte er rein äußerlich keinen Grund gehabt, sich zu verstecken. Zudem hatte er sich einen gewissen Respekt erarbeitet, weil er anders als die meisten im Bau war. Ab und an holte der eine oder andere sogar einen Ratschlag bei ihm ein, vor allem jene, die mit den schweizerischen Landessitten nicht so vertraut waren. Tariq nutzte die knappe Freizeit, bevor er in seiner Zelle eingesperrt wurde, um in die Bibliothek zu gehen. Er war einer der wenigen, die das taten, und er kannte fast alle Klassiker, die zur Förderung des geistigen Niveaus der Insassen, wie es auf einer Plakette hieß, zugelassen waren. Am liebsten schmökerte er in Büchern, die den Leser in ein fernes Land entführten. Noch lieber hätte er die Fachliteratur über Reben und Wein studiert, aber darüber gab es hier kein Buch. Wenigstens durfte er dank seiner guten Führung eine Weinfachzeitschrift abonnieren, sodass er auf dem Laufenden blieb, was in seinem angestammten Beruf abging. Wenn er abends auf seinem schmalen Bett lag, malte er sich aus, wie es wäre, nach Australien, Neuseeland oder Südafrika auszuwandern und da ein neues Winzerleben zu beginnen. Doch der Bewährungshelfer hatte ihn nur ausgelacht, als er vor ein paar Monaten mit dieser Idee gekommen war. Kein Land auf der Welt würde einen ehemaligen Häftling ohne Abschluss und Berufserfahrung aufnehmen, meinte er lapidar.

Kapitel 5:
Rita 2

Vater roch im Winter anders als im Sommer. Von November bis März bestand sein Parfüm aus Holz, Kettensägenöl, harzigem Schweiß. Ab April bis in den Herbst hinein dünstete er einen eigenwilligen chemischen Geruch aus. Etwas zwischen Mottenkugeln, Kampfer und Kupfer. Wohl die Folge seiner Spritzarbeiten in den Reben. Ich hasste diesen Geruch. Seine Erscheinung und seine Ausdünstungen verschmolzen zu einem jahreszeitlichen Charakter. Er war wie zwei Personen. Im Winter kam er abends vom Holzschlag aus dem Wald heim und ging in den Stall. Während des Melkens sprach er kein Wort. Wohl, weil er mit den beiden Waldarbeitern schon genug geredet hatte. Danach war er erschöpft, verspürte keine Lust, auch mit uns Bälgern und der Mutter zu sprechen. Nach dem Abendessen setzte er sich vor den Fernseher und schwieg. Weil er müde war, schlief er meist sofort ein. Dann war es ruhig im Haus. Aus diesem Grund mochte ich den Winter. Im Sommer war unser Leben total anders, stets ausgerichtet auf die Launen des Vaters. Je nachdem, was ihm für eine Laus über die Leber gelaufen war, konnte er aufbrausend wie ein Vulkan oder meckernd wie eine Ziege sein. Manchmal war er sogar zu Späßen aufgelegt, die aber immer auf Kosten eines anderen gingen. Wenn einer der Nachbarn seinen Traktor in den Graben setzte, eine Kuh zu billig verkaufte oder sonst ein Missgeschick erlitt, dann lebte er seine Schadenfreude ungehemmt aus. Weil solche Ereignisse aber selten waren, mussten meist wir Kinder herhalten. Mindestens eines von uns wurde zur Zielscheibe seines bitterbösen Wesens. Vor allem am Sonntag, wenn wir uns auf den Weg zur Kirche des Klosters Fahr aufmachten. Wir waren eine der wenigen katholischen Familien in Unterengstringen, standen immer unter Beobachtung, wenn wir vom Widenbüel aus zur Limmat hinuntermarschierten. Umso wichtiger war es für unseren Vater, einen tadellosen Eindruck zu hinterlassen. Es war aber wie verhext. Je mehr wir unternahmen, um nicht aufzufallen, desto häufiger passierte ein Missgeschick.

Meine kleine Schwester Franziska trat garantiert in einen Hunds- oder Pferdedreck. Ich stolperte ohne Grund über meine zu langen Beine und zerriss ein weiteres Mal meine weißen Strümpfe. Und mein großer Bruder Fritz musste einmal mehr irgendeinem Burschen aus der Umgebung beweisen, dass er der beste Jungschwinger war. Sein Hemd zeigte dann die Farben der jeweiligen Kampfesunterlage. Sein Haar zerzaust, sein Gesicht voller Schrammen. Je nachdem, wie wir dann vor oder nach dem Gottesdienst aussahen, stellte uns der Vater vor allen Leuten bloß. Er nannte uns Brut und die dümmsten Goofen9, die je das Licht der Welt erblickt haben. Und weil er sich dann für uns schämte, kassierten wir aufgestellt wie die Orgelpfeifen je eine schallende Ohrfeige oder eine schmerzhafte Kopfnuss. Egal, ob wir etwas angestellt hatten oder nicht. Dann ging er in die Beiz, wo er sich mit den anderen Holzböcken des Dorfes traf und politisierte. Meist kam er erst am Nachmittag wieder, stank nach Bier und lallte. Wir gingen ihm aus dem Weg. Wie Mutter ihn in solchen Momenten ertrug, ist mir noch heute ein Rätsel.

9 Goofen: in einigen Dialekten normales, in anderen abschätziges Wort für Kinder

Kapitel 6:
SAMSTAG

Über dem Limmattal hing ein morgendlicher Nebelschleier. Doch das war Nico im Moment egal. Er wusste, dass sich die Sonne bald durchsetzen und die Trauben trocknen würde. Weit nervöser war er, weil er nicht vom Fleck kam. Hanni, seine Partnerin, musste lachen. So hatte sie ihn selten gesehen. Er wirkte wie ein zerstreuter Professor, seine etwas zu langen grauen Haare standen ihm ab, als hätte er einen Stromschlag erhalten. Er war schon um acht Uhr morgens auf Speed, sodass er sich kaum setzen und in Ruhe seinen Kaffee trinken wollte. Immer wieder blickte er auf die Uhr.

»Nico, die Erntehelfer kommen um elf. Du hast noch jede Menge Zeit und bist ja schon perfekt vorbereitet!«

»Hast du eine Ahnung!«, widersprach der Neuwinzer. »Ich muss noch 20 Sandwiches machen, das Teewasser kochen, die Kühltasche mit Bier und Wein füllen und so weiter.«

»Ich kann ja auch was tun«, meinte Hanni mit einem Lächeln und schmierte sich ein Marmeladenbrot. Sie war in Gedanken woanders.

»Die Geschichte, die du mir gestern erzählt hast, geht mir nicht aus dem Kopf. Ich habe in den 80er-Jahren eine Anita Rathgeb gekannt. Wir besuchten dieselbe Berufsschulklasse, später wohnten wir in einer WG zusammen. Wir schwänzten häufig die Schule, um in angesagten Boutiquen nach dem Rechten zu sehen oder die Happy Hour einzuläuten. Wäre ja der Hammer, wenn sie die Mutter dieses Vergewaltigers wäre.«

Sie machte ein mitfühlendes Gesicht und fuhr fort:

»Das muss für jede Mutter ganz schlimm sein, wenn der eigene Sohn zum Verbrecher mutiert. Vielleicht sollte ich mich mal bei ihr melden. Hat Walter zufällig erwähnt, wo sie wohnt?«

»Wenn ich es recht verstanden habe, wohnt sie nicht mehr in Weiningen.«

»Das haben wir gleich.« Sie griff nach ihrem Tablet-Computer. Schnell tippte sie den Namen ein.

»Fehlanzeige, sie ist nicht im offiziellen Telefonbuch«, fügte sie leicht enttäuscht an.

»Vielleicht ist sie lichtscheu geworden seit dieser Geschichte. Walter meinte, dass das Dorf ziemlich böse reagiert hat, als Tariq von der Polizei geholt wurde. Darunter haben auch die Rathgebs gelitten. Schließlich ist Sippenhaft nach wie vor ein weitverbreitetes Phänomen.«

»Moment, kein falsches Mitleid!«, Hannis Stimme wurde lebhaft. »Dieser Mann beging ein unsägliches Verbrechen. Und da ist auch Alkohol keine Entschuldigung!«

»Auch wenn er eine fürchterliche Tat begangen hat, verdient er eine zweite Chance. Darauf baut unser Justizsystem auf. Doch das Stigma Vergewaltiger bleibt haften. Ewig und egal, wo er sich niederlässt. Es wird ihn immer wieder einholen.«

»Das hätte er sich vorher überlegen müssen!«

*

Einige Stunden später stand ein munterer Trupp am oberen Begrenzungssträßchen bei Nicos Rebfeld. Bunte Plastikkessel wurden ausgeladen, Nico verteilte die nagelneuen Rebscheren, die er eigens für diesen Tag angeschafft hatte. Er wollte mit neuen beginnen, auch wenn er von Walter welche hätte borgen können. Jenen, die zum ersten Mal bei einer Weinernte mithalfen, erklärte er mit Engelsgeduld, worum es ging. Mit fast theatralischer Aufregung zeigte er seinem Team, wie es die Fäulnisnester herausschneiden sollte. Lieber zu viel als zu wenig wegschneiden, mahnte er. Einen weiteren warnenden Hinweis platzierte er bei den für Laien durchaus brauchbar aussehenden Wintertrollern, also Trauben aus den oberen Triebregionen. Wie alle ausprobieren mussten, waren die zu sauer und daher tabu.

Gerade der Blauburgunder neige dazu, eine zweite Blüte durchzuführen, dozierte er. Das ergab eine stattliche Anzahl von Beeren, die den ersten hinterherhinkten. Nico hatte im Vorfeld zwar die meisten schon entfernt, doch das Blattwerk war dicht, weshalb sich einige Nachzügler verstecken konnten. Nebst zwei Bekannten von Hanni waren auch Nicos TV-Kollege Mario Ettlin und seine hochschwangere Freundin Sara mit von der Partie. Sie wollte sich dieses Spektakel, wie sie es nannte, nicht nehmen lassen. Gegenüber ihrem besorgt dreinblickenden Freund versprach sie, sich auszuruhen, wenn es zu anstrengend werden würde. Außerdem wollte sie keine schweren Eimer tragen. Nicht fehlen durfte natürlich Nicos Freund von der Kriminalpolizei, Jean-Jacques Trümpi. Ihm musste er nichts erklären, denn Jean hatte schon verschiedentlich mit angepackt und war als Sohn eines Gärtners handwerklich geschickt.

Nach wenigen Minuten des Vorgeplänkels ging es los. Jeder übernahm eine Reihe und begann mit der Ernte. Mario, als Jüngster, hatte sich anerboten, die erste Trägerschicht zu übernehmen. Er war somit verantwortlich, dass die gefüllten Kessel zum Sträßchen hochgebracht und die Trauben behutsam in die Erntekisten umgeschüttet wurden. Die würden dann wiederum von Walter mit dem Traktor abgeholt werden.

Das Team arbeitete sich munter plaudernd talwärts, und nach zweieinhalb Stunden war das Rebfeld abgeerntet. Für Nico ging es fast ein wenig zu schnell. Hanni wiederum nahm ihn etwas hoch, weil er drauf bestanden hatte, schon um elf Uhr zu beginnen. Wie sich nun herausstellte, hätte auch 13 Uhr ausgereicht. Der Neowinzer grummelte ein wenig, wurde aber schnell versöhnlich, als sich der Trupp zu seinem Rebhäuschen begab, um sich zu stärken. Derweil wurden die Trauben von Walter abgeholt und in den Keller gebracht. Nicos Sandwiches fanden reißenden Absatz, ebenso genehmigten sich alle außer Sara schon das eine oder andere Gläschen, was die Stimmung zusätzlich anhob. Kurz nach 15 Uhr brachen alle auf, um zu Walters Weingut hinunterzugehen und zuzusehen, was mit den Trauben geschehen würde.

»Können wir bei der Gärung zusehen?«, fragte Sara.

»Nein, wo denkst du hin«, antwortete Nico und bemühte sich, nicht allzu lehrerhaft zu wirken, »zuerst werden die Trauben abgebeert. Sodann werden sie eingemaischt und einige Stunden stehen gelassen. Erst dann werden sie mit Reinzuchthefen geimpft. Sobald die Gärung einsetzt, drängen sie nach oben, und man muss sie regelmäßig runterdrücken, um einerseits das Austrocknen zu verhindern und andererseits dafür zu sorgen, dass die Tannine und Aromen herausgelöst werden. Die Gärung dauert rund vier bis acht Tage.«

»Schon eine Wissenschaft«, attestierte Sara und schien nicht weiter detailinteressiert zu sein, stattdessen biss sie in ihr Sandwich.

Als die ganze Partie beim Weingut Rathgeb ankam, herrschte ziemlicher Betrieb. Weil nebst ihnen auch andere Hobbywinzer ihre Ernte eingebracht hatten, musste der Hausherr Vollgas geben. Die Abbeermaschine, die im Wesentlichen aus einer schnell rotierenden Schneckenwelle mit abstehenden Metallzacken bestand, sodass die Rappen von den Früchten weggerissen wurden, lief fast ununterbrochen. Da auch spätreife Grauburgundertrauben angeliefert worden waren, zischte und ratterte auch die silbern schimmernde Hydraulikpresse. Der süße, fast farblose Saft, der aus ihrem Innern herauslief, wurde von einer Wanne aufgefangen und in den Keller gepumpt. Es roch nach Herbst.

Auf dem Anhänger des Traktors, der vor der Halle im Schatten stand, warteten Nicos Erntekisten auf das Abbeeren. Walter war jedoch zu beschäftigt, um sie schon hinlänglich zu würdigen. Zuerst mussten die Trauben des anderen Teams abgebeert werden. Danach schaufelte er die erstaunliche Menge an grünen Rappen, die übrig geblieben waren, auf einen Anhänger.

Nach einer Viertelstunde bekundete er Zeit für Nicos Pinot noir. Sogleich halfen alle mit, um die Erntekisten vom Anhänger abzuladen und in die Abbeermaschine zu kippen. Walter stand bei der rotierenden Walze und gab jeweils ein Zeichen, wann die nächste Kiste in den Trichter geschüttet werden konnte. Plötzlich aber riss er die Augen auf, blickte in Richtung Wagen und schaltete wütend die Maschine aus. Aus heiterem Himmel legte er plötzlich los:

»Was will der da?«, schrie er und deutete auf Trümpi, der neben dem Anhänger stand und die Kisten herunterhob. Nico verstand nicht.

»Das ist doch dieser Tschugger10, der Tariq abgeholt und mit Handschellen abgeführt hat! Was will der hier? Der soll sich zum Teufel scheren, Gopferdeckel!«

Bevor Nico etwas sagen konnte, ließ Walter alles stehen und liegen und verschwand aufgebracht im Degustationsraum. Die Tür ließ er hinter sich ins Schloss krachen. Die anderen standen verdutzt da, wussten zunächst nichts zu sagen. Jean hatte angriffig seine Arme verschränkt und blickte demonstrativ in die Ferne.

»Stimmt das?«, fragte Nico, als er näher gekommen war. »Du hast Tariq abgeführt damals?«

»Na hör mal«, rief Jean leicht empört, »das gehörte zu meinem Job als Kantonspolizist.«

»Aber das hättest du uns doch sagen müssen«, meinte nun auch Hanni leicht irritiert, »dass du Walter Rathgeb kennst.«

»Gopfriedstutz«, verteidigte sich der Polizist, »das ist Jahre her. Hätte nicht gedacht, dass mich der Rathgeb noch kennt, zumal ich ja keine Uniform trage.«

»Aber was geschieht nun mit den Trauben?«, wollte Mario wissen und machte ein leicht besorgtes Gesicht. »Wir können ja nicht einfach alles stehen lassen!«

»Der Walter wird sich schon wieder beruhigen«, meinte Nico beschwichtigend, »aber vielleicht wäre es besser, wenn einige von uns schon mal vorgehen und das Abendessen vorbereiten würden.«

Damit bedachte er Hanni mit einem Augenaufschlag. Sie begriff sofort.

»Okay, wer würde mich begleiten? Sara, Jean?«

Schon wenige Minuten später tauchte Walter tatsächlich wieder auf. Als hätte er es mitbekommen, dass Trümpi verschwunden war, machte er dort weiter, wo er vorher aufgehört hatte. Ohne ein Wort zu verlieren. Er schien nicht weiter nachtragend zu sein.

10 Tschugger: schweizerdeutscher Ausdruck für Polizist

Kapitel 7

»Sag mal, Jean«, begann Hanni beiläufig, als sie den Hackbraten, den sie für die Erntehelfer zubereitet hatte, in den Ofen schob, »war der Fall Tariq Rathgeb wirklich so eindeutig? Ich meine, die Geschichte mit der Vergewaltigung und der unterlassenen Hilfeleistung bei diesem Mädchen. Wie hieß es noch?«

Trümpis Gesicht deutete an, dass er sich nicht gerne erinnerte, dennoch gab er artig Antwort:

»Ihr Name war Lara. Und ja: Die Indizien und Fakten sprachen für sich. Rathgeb gab zwar an, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte, da sein damaliger Alkoholwert im Blut bei über zwei Promille lag. Dennoch glaubte das Gericht, dass er vorsätzlich gehandelt hatte. Er machte sie betrunken und führte sie weg vom Winzerfest an den kleinen Weiher in der Nähe des Schießstandes. Dort verging er sich an ihr.«

»Aber muss es sich von Anfang an um eine vorsätzliche Tat gehandelt haben?«, fragte Sara, die am Küchentisch saß und Brot schnitt. »Vielleicht fand diese Lara den Anfang noch ganz spannend.«

Jean blickte sie an, als hätte sie grad etwas Verrücktes gesagt. Seine Stimme klang kompromisslos:

»Erstens war Lara Maruck erst 15 und Rathgeb 21 Jahre alt! Zweitens war eine beträchtliche Menge Alkohol im Spiel. Drittens hatten Tariqs Begleiter einhellig ausgesagt, dass er zur Tatzeit mit Lara alleine war. Viertens fand man auf den Kleidern des Mädchens Spermaspuren, die eindeutig von Tariq stammten.«

Hanni blickte den Kriminalen keck an:

»Dafür, dass dieser Fall schon über drei Jahre her ist, erinnerst du dich aber sehr genau.«

Jean antwortete nicht, sondern trug einige Gläser zum Granittisch vor dem Haus. Sie blickte ihm nach und unterließ es, ihren Freund noch mehr in die Enge zu treiben, schließlich würden Nico, Mario und die anderen Helfer schon bald nach Hause kommen. Umso überraschter war sie, dass Jean, als er in die Küche eintrat, von sich aus weitererzählte:

»Ich habe halt ein gutes Gedächtnis. Außerdem war ich damals normaler Kantonspolizist und nicht bei der Kripo. Da bleibt ein nicht alltäglicher Fall besser haften. Aber das sind Tempi passati.«

Auch wenn er so tat, als würde ihn diese Geschichte nicht mehr wirklich interessieren, war in seinem Kopf eine Erinnerungsbüchse geöffnet worden, die sich nicht mehr so einfach verschließen ließ. Wenn er mal Zeit hatte, würde er die Akte Rathgeb hervorsuchen und studieren, dachte er. Freilich unterließ er es, diesen Entschluss zu erwähnen.

Kapitel 8

Quietschend bremste der blütenweiße SUV in der Hofeinfahrt von Walter Rathgeb. Ein graubärtiger Mann stieg rassig aus und verlor keine Zeit, sich umzusehen oder die angelieferten Erntekisten mitsamt den schönen und reifen Früchten zu bewundern, die im Dämmerlicht dieses herrlichen Tages auf die Weiterverarbeitung warteten. Noch viel weniger interessierte er sich für die hydraulische Presse, die sich bedächtig drehte und den hellgelben Saft des Grauburgunders ausspie.

Walter stand alleine am Kopfende der Presse und erfasste sofort, wer wie von der Tarantel gestochen auf ihn zueilte. Dennoch tat er so, als bemerkte er ihn nicht. Erst, als sich Emil Hug vor ihm aufbaute und dank seiner puren Körpermasse bedrohlich wirkte, gönnte er ihm einen Blick.

»Das darf aber nicht wahr sein!«, rief der aufgebrachte Gast. »Stimmt das wirklich?«

Walter tat, als ginge ihn das nichts an. Seelenruhig startete er die Pumpe, die den Most in den Weinkeller beförderte.

»Verdammt, spiel mir kein Theater vor, Walti! Die Spatzen pfeifen es vom Dach, und ich bin wieder mal der Letzte im Umzug, der davon erfährt!«

Jetzt wurde es Rathgeb zu bunt:

»Herrgott, was erwartest du von mir? Ich bin weder dir noch sonst wem Rechenschaft schuldig.«

»Und ob!«, herrschte ihn der andere an. »Wenn dein Neffe aus dem Gefängnis kommt, dann ist das keine Bagatelle, verstehst du?«

»Er hat dafür gebüßt. Jetzt lasst ihn endlich in Ruhe!«