Dr. med. Heike A. Kahla-Witzsch, MBA ist Fachärztin für Urologie und für Ärztliches Qualitätsmanagement sowie Risikomanagerin.
Weitere Veröffentlichungen der Autorin im Verlag W. Kohlhammer:
• Heike A. Kahla-Witzsch/Olga Platzer (2018): Risikomanagement für die Pflege. Ein praktischer Leitfaden. 2., überarbeitete Auflage. 978-3-17-031983-7
• Heike A. Kahla-Witzsch (2009): Praxiswissen Qualitätsmanagement im Krankenhaus. Hilfen zur Vorbereitung und Umsetzung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. 978-3-17-020540-6
• Heike A. Kahla-Witzsch, Thomas Geisinger (2004): Clinical Pathways in der Krankenhauspraxis. Ein Leitfaden. 978-3-17-017501-3
• Heike A. Kahla-Witzsch/Alexandra Jorzig/Bruno Brühwiler (in Vorbereitung): Das sichere Krankenhaus. Leitfaden für das klinische Risikomanagement. 978-3-17-021611-2
Foto @ Anne Simon (www.fotografie-anne.de)
Für Alexandra und Sophie
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4., erweiterte und überarbeitete Auflage 2019
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Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-034615-4
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epub: ISBN 978-3-17-034617-8
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In der Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL) vom 17.12.2015, verabschiedet am 15.9.20161 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erstmals sektorenübergreifende Anforderungen an das einrichtungsinterne Qualitätsmanagement und klinische Risikomanagement für alle ambulanten und stationären Leistungserbringer definiert. Es wird ein effektives und effizientes Qualitätsmanagement gefordert, das die Sicherheitskultur sowie Patienten- und Mitarbeitersicherheit fördert und auf die einrichtungsspezifischen Gegebenheiten angepasst ist.
Die Anwendung der in 2015 grundlegend überarbeiteten DIN EN ISO 9001:2015 bietet eine gute Grundlage für den Aufbau eines solchen integrierten Managementsystems und für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen an das Qualitäts- und Risikomanagement.
Ursprünglich wurde die ISO 9001 als Instrument zur Qualitätssicherung entsprechend der Bedürfnisse der globalen Rüstungsindustrie2 entwickelt und seitdem regelmäßig überarbeitet und angepasst. Zunächst wurde das Regelwerk hauptsächlich im industriellen Umfeld eingesetzt. Doch spätestens seit der 3. Revision im Jahre 2000 mit Einführung des prozessorientierten Ansatzes wurde sie auch im Dienstleistungsbereich und somit auch in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen zunehmend beliebter. Nun liegt mit der Version 9001:2015 die Norm bereits in fünfter Revision vor und macht somit eine grundlegende Überarbeitung und Aktualisierung des vorliegenden Buches erforderlich.
Nach anfänglicher Skepsis hat sich die DIN EN ISO 9001 in den vergangenen Jahren im Gesundheitsbereich etablieren können. Inzwischen haben zahlreiche Krankenhäuser, Reha-Kliniken, MVZs, Arzt- und Zahnarztpraxen ihr Qualitätsmanagementsystem gemäß den Anforderungen der DIN EN ISO 9001 aufgebaut und mit erfolgreicher Zertifizierung abgeschlossen. Auch Einrichtungen, die sich zunächst an anderen QM-Verfahren, wie beispielsweise KTQ®, orientiert haben, steigen zunehmend auf DIN EN ISO 9001 um.
Bei der DIN EN ISO 9001 handelt es sich um eine branchenübergreifende Norm: »Alle in der Norm festgelegten Anforderungen sind allgemeiner Natur und auf jede Organisation zutreffend, unabhängig von deren Art oder Größe oder der Art der Produkte und Dienstleistungen.«3
Bei vielen Mitarbeitern, insbesondere aus der Ärzteschaft, verursachte und verursacht leider weiterhin die Sprache der DIN EN ISO Ablehnung: »Wir haben keine Kunden, sondern Patienten!«, »Produkte, Mittel, das mag alles für die Industrie gelten, aber im Krankenhaus ist doch alles ganz anders!« – diese oder ähnliche Äußerungen hört man immer wieder.
Auch ist für viele das Studium von Normentexten mühsam und beschwerlich. Doch eine fundierte Normenkenntnis ist die Voraussetzung dafür, ein für die Einrichtung passendes, nützliches QM-System zu entwickeln.
Es bedarf daher einer Art Übersetzungshilfe, um die allgemein gehaltenen, abstrakten Anforderungen und die für den Ungeübten oft nur schwer verständliche Normensprache zu erläutern und anhand praktischer Beispiele aufzuzeigen, wie man die Normenforderungen in einem Krankenhaus, einer Krankenhausabteilung oder anderen Gesundheitseinrichtungen, umsetzen kann und worauf bei dieser Umsetzung zu achten ist, ohne dass der Einzelne zum »Normen-Experten« werden muss.
2012 erschien die DIN EN 15224:2012 als unabhängige Norm für Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Diese Norm enthält neben den Anforderungen der DIN EN ISO 9001 zusätzliche Anforderungen, Spezifizierungen und Interpretationen für die Gesundheitsversorgung sowie Aspekte für das Management klinischer Risiken und sie bietet Einrichtungen des Gesundheitswesens auf diese Weise die Integration von Qualitäts- und klinischem Risikomanagement mit nur einem Regelwerk.
Allerdings fand die DIN EN 15224:2012 in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern nur eine geringe Akzeptanz. Im Rahmen der Revision der DIN EN ISO 9001:2015 musste auch die DIN EN 15224 einer Überarbeitung unterzogen werden und liegt nun in aktueller Form als DIN EN 15224:2017-054 vor. Da diese Norm in Zukunft möglicherweise auch in Deutschland einen größeren Anwenderkreis gewinnt, wurden in dem vorliegenden Leitfaden die Anforderungen dieses Regelwerks ebenfalls berücksichtigt.
Die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems in einer Klinik oder Abteilung, seine Gestaltung und Verwirklichung müssen sich nach den Erfordernissen, den besonderen Zielen, nach der Größe und Struktur der Organisation und nicht zuletzt nach den Patientenerwartungen sowie den Erwartungen anderer »Kunden« des Krankenhauses, wie etwa zuweisende Ärzte oder Nachsorgeeinrichtungen, ausrichten. Die Norm definiert dabei einen Rahmen für das Qualitätsmanagement, den jede Einrichtung entsprechend ihrer Anforderungen und Bedürfnisse inhaltlich füllen muss. Das Qualitätsmanagementsystem mit einheitlicher Struktur, einheitlicher Dokumentation für ein Krankenhaus oder eine Abteilung kann es daher nicht geben.
Damit Qualitätsmanagement gelingen kann, sind alle Mitarbeiter des Krankenhauses, Ärzte, Pflegende, medizinisch-technische Berufsgruppen, Vertreter der Administration, aufgefordert, bei der aktiven Umsetzung mitzuwirken. Ein QM-System wird erst durch das Engagement, den Einsatz und die Ideen der Mitarbeiter lebendig.
Ohne Zweifel bedeutet der Aufbau und die Weiterentwicklung eines QM-Systems Arbeit – viel Arbeit. Daher muss der Aufwand in einem gesunden Verhältnis zum Nutzen stehen. Ein QM-System, das dem Mitarbeiter keinerlei Verbesserung, sondern nur Beschwernis, z. B. durch Dokumentationsmehraufwand und Bürokratismus, bringt, ist ein schlechtes QM-System, selbst wenn es formal alle Anforderungen der DIN EN ISO erfüllen sollte.
Sich mit Normenanforderungen zu befassen, ist zunächst beschwerlich, doch wer sich auf das Wagnis einlässt, wird am Ende belohnt. Durch ihre klaren Vorgaben gibt es kein »Drumherummogeln« um Themen und Bereiche, die vielleicht unbequem sind; früher oder später müssen auch diese angepackt werden.
Dieser Leitfaden bietet keine einfachen Patentrezepte oder vorgefertigten Lösungen zur Einführung eines QM-Systems, sondern Anregungen und Beispiele, die es ermöglichen sollen, die DIN EN ISO in der eigenen Klinik/Abteilung sinnvoll anzuwenden. Die Beispiele und Mustertexte stellen keinesfalls »ideale Lösungen« dar, die es in dieser Form umzusetzen gilt. Sie sind nur als Hinweise zu verstehen, um die Normenforderungen zu veranschaulichen.
Dieser Leitfaden ersetzt kein Lehrbuch für Qualitätsmanagement, von denen es bereits zahlreiche gibt. Hintergrundwissen zum Qualitätsmanagement wird nur in dem Umfang vermittelt, wie es zum Verständnis der Norm und ihrer Umsetzung erforderlich ist.
Der Leitfaden wendet sich sowohl an Leser ohne Normenvorkenntnisse als auch an solche, die sich einen Überblick bezüglich der Änderungen der DIN EN ISO 9001 verschaffen möchten, um ein bestehendes QM-System entsprechend anzupassen.
Dieses Buch soll über die Anforderungen der DIN EN 15224 informieren und die Unterschiede zur DIN EN 9001 aufzeigen.
Zwar wendet sich dieser Leitfaden primär an Leser aus dem Krankenhausumfeld, er kann und soll jedoch auch von Lesern aus anderen Bereichen des Gesundheitswesens verwendet werden, um Hinweise und Anregungen zur Einführung oder Weiterentwicklung eines QM-Systems gemäß DIN EN ISO 9001/DIN EN 15224 zu erhalten.
Sämtliche im Leitfaden angeführten Normentexte entstammen, sofern nicht anders gekennzeichnet, der DIN EN ISO 9001:2015-11 oder DIN EN 15224: 2017-5. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des DIN, Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin.
Wie bei manch anderem im Leben, so gilt auch hier …
Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.
(Goethe, 1749–1832)
Bad Soden am Taunus im März 2019 |
Heike A. Kahla-Witzsch |
1 Qualitätsmanagement-Richtlinie: Erstfassung vom 17.12.2015, BAnz AT 15.11.2016 B2
2 1979 veröffentlichte die British Standards Institution (BSI) den BS 5750 (Quality systems. Principal concepts and applications. Guide to quality management and quality system elements) als ersten Standard für Qualitätsmanagementsysteme. Dieser gilt als Vorläufer der ISO 9000er Serie.
3 DIN EN ISO 9001:2015, S. 17
4 Im Januar 2018 verabschiedete die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkks) die Akkreditierungsvorgaben für die DIN EN 15224:2017, sodass sich nun Gesundheitseinrichtungen nach dieser Norm durch eine hierfür akkreditierte Zertifizierungsstelle zertifizieren lassen kann.
Die 9000er Reihe der DIN EN ISO umfasst drei internationale Normen zum Qualitätsmanagement, die von der ISO – International Organization for Standardization/Internationale Organisation für Normung –, einer weltweiten Vereinigung nationaler Normungsinstitute, erarbeitet wurden.
DIN EN ISO 9000:2015 –
Qualitätsmanagementsysteme – Grundlagen und Begriffe
Sie beschreibt grundlegende Konzepte und Grundsätze des Qualitätsmanagements und legt hierfür die Terminologie fest – ist also eine Sammlung von Definitionen rund um Begriffe des Qualitätsmanagements.
DIN EN ISO 9001:2015 –
Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen
Diese sog. »Darlegungsnorm« legt die Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem für Zertifizierungs- oder Vertragszwecke fest.
Es handelt sich um eine »generische« Norm, die auf alle Organisationen anwendbar ist.
Auf Basis der DIN EN ISO 9001 gibt es weitere, branchenspezifische Regelwerke, wie z. B. die DIN EN 15224:2017 – Qualitätsmanagementsysteme für die Gesundheitsversorgung, die DIN EN 13485:2016 Medizinprodukte – Qualitätsmanagementsysteme-Anforderungen für regulatorische Zwecke, die sich an die Hersteller von Medizinprodukten wendet.
DIN EN ISO 9004:2018-04
Qualität einer Organisation – Leitfaden zur Erzielung nachhaltigen Erfolgs
Die überarbeitete Version der 9004 hat den Anspruch, einen Leitfaden für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens zu geben – es geht hierbei um die Qualität der Organisation an sich. Die DIN EN ISO 9004 beabsichtigt, das Managementsystem der Organisation zu verbessern und eine Kohärenz von Vision, Mission, Zielen und Organisationskultur zu schaffen.
Ziel ist es, die Wirksamkeit und Effizienz des Qualitätsmanagements in einem sich ständig verändernden, komplexen Umfeld zu verbessern, um somit zu einer Leistungsverbesserung der Organisation, größerer Zufriedenheit der Kunden und nachhaltigem Unternehmenserfolg beizutragen.
Die DIN EN ISO 9004 ist nicht als Bezugsnorm für eine Zertifizierung vorgesehen.
Die 7 Grundsätze der DIN EN ISO 9000, die nachfolgend kurz dargestellt werden, beschreiben die Philosophie des Qualitätsmanagements. Diese Grundsätze zielen darauf, Organisationen zu einem nachhaltigen Unternehmenserfolg zu verhelfen.
• Kundenorientierung
Das Ziel einer jeden Organisation besteht darin, Leistungen zu erbringen, die die Anforderungen ihrer Kunden erfüllen, im besten Falle sogar übertreffen. Hierzu ist es erforderlich, die gegenwärtigen und auch zukünftigen Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden zu kennen. Dies sichert den langfristigen Erfolg einer Organisation.
• Führung
Alle Führungskräfte einer Organisation sind verantwortlich, sich dafür einzusetzen, dass diese ihre Ziele, gemäß ihrem Zweck und ihrer Ausrichtung und unter Einbezug der Mitarbeiter erreicht. Zum Erreichen der Ziele müssen Strategien, Politiken, Prozesse und Ressourcen aufeinander abgestimmt und angepasst werden.
• Einbeziehen von Personen
Um Leistungen zu erbringen und Werte zu schaffen, werden auf allen Ebenen der Organisation kompetente, befugte und engagierte Personen benötigt.
• Prozessorientierter Ansatz
Wenn eine Organisation ihre Tätigkeiten in zusammenhängende Prozessen, die miteinander in Wechselwirkung stehen, ausführt, können beständige und vorhersehbare Ergebnisse erzielt werden.
• Verbesserung
Für einen langfristigen Unternehmenserfolg ist eine fortlaufende Verbesserung der Organisation und ihrer Leistungen erforderlich.
• Faktengestützte Entscheidungsfindung
Entscheidungen sollen auf Fakten basierend auf der Analyse und Auswertung von Daten und Informationen getroffen werden.
• Beziehungsmanagement
Organisationen sollen ihre Beziehungen mit relevanten interessierten Parteien steuern und pflegen, um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen.
Die internationale, branchenübergreifende Norm beschreibt Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem. Die Norm kann zum Aufbau und auch zur Zertifizierung eines Qualitätsmanagementsystems verwendet werden.
Ihre stark technisch beeinflusste Sprache schreckt viele Leser, insbesondere auch aus der Ärzteschaft, zunächst ab. Allein der Begriff des »Kunden« ist für manche ein Reizwort – »Wir haben keine Kunden, sondern Patienten!«, ist eine häufig vorkommende Äußerung. Auch die Verwendung von Begriffen wie »Produkt«, »Entwicklung«, »interessierte Parteien« wirkt zunächst befremdlich. Bei aller durchaus berechtigter Kritik sollte jedoch bedacht werden, dass diese Norm den Anspruch verfolgt, für jegliche Organisation anwendbar zu sein:
»Alle in der Norm festgelegten Anforderungen sind allgemeiner Natur und auf jede Organisation zutreffend, unabhängig von deren Art oder Größe oder der Art der Produkte und Dienstleistungen.«5 Dies erfordert daher eine Art »Übersetzung« in die Sprache des Krankenhauses und eine Anpassung an die besonderen Bedürfnisse einer Einrichtung des Gesundheitswesens.
Die DIN EN ISO 9001 wendet den prozessorientierten Ansatz an sowie als neue Anforderung das risikobasierte Denken ( Kap. 2.1.4 und 2.1.5).
Im Zentrum des Qualitätsmanagementsystems steht die Führung der Organisation ( Kap. 5). Sie steuert und verantwortet sämtliche QM-Aktivitäten der Einrichtung. Im neuen Kapitel »Planung« finden sich Anforderungen an den Umgang mit Risiken und Chancen sowie Qualitätsziele und Planungen rund um das Qualitätsmanagementsystem ( Kap. 6). Im ebenfalls neuen Kapitel »Unterstützung« ( Kap. 7) werden die Anforderungen an Ressourcen und Dokumentenmanagement zusammengefasst. Kundenanforderungen an ein Produkt oder eine Dienstleistung werden durch die Prozesse einer Organisation umgesetzt – alle Normenforderungen hierzu finden sich in Kapitel 8 »Betrieb«. Das Normenkapitel »Bewertung der Leistung« umfasst die Anforderungen an die Bewertung der Kundenzufriedenheit, Internes Audit und Managementbewertung ( Kap. 9). Das letzte Kapitel 10 beinhaltet den Umgang mit Fehlern und Korrekturmaßnahmen sowie die fortlaufende Verbesserung.
Während bisher die DIN EN ISO 9001 die Anforderungen des Kunden als alleinige Eingabe in das Qualitätsmanagementsystem betrachtet hat, gibt es nun neue Anforderungen zur Betrachtung des organisationalen Kontextes sowie der Erfordernisse und Erwartungen relevanter interessierter Parteien ( Kap. 2.1.6). Anforderungen hierzu und zur Gestaltung des Qualitätsmanagementsystems finden sich in Kapitel 4.
Ziel und Zweck des Qualitätsmanagementsystems ist es, zu geplanten Ergebnissen zu führen. Die DIN EN ISO 9001:2015 stellt kein starres QM-System dar, sondern beschreibt Vorgaben und Inhalte, die ein QM-System umfassen sollte – sie definiert einen Rahmen für den Aufbau und die Struktur des Qualitätsmanagements und gibt Hinweise zu einer sinnvollen und zweckmäßigen Anwendung. Wie aber der vorgegebene Rahmen auszufüllen ist, muss in jeder medizinischen Einrichtung, ihren jeweiligen Anforderungen und Gegebenheiten entsprechend individuell überlegt werden. Das QM-System, ein Einheitssystem, mit vorgefertigter einheitlicher Struktur und Dokumentation für ein Krankenhaus oder eine Abteilung kann es nicht geben. Es ist auch nicht die Absicht der Norm, zu einer »Vereinheitlichung der Struktur unterschiedlicher Qualitätsmanagementsysteme«6 zu führen.
Der Anwender der Norm hat die Aufgabe, die Rahmenvorgaben der Norm nach seinen jeweiligen Gegebenheiten auszufüllen, in seiner QM-Dokumentation festzuschreiben und für die jeweilige Einrichtung als verbindlich festzulegen.
Abb. 2.1: Modell der DIN EN ISO 9001:2015
Um unterschiedliche Managementsystemnormen, beispielsweise für Qualität, Umwelt, Arbeitsschutz, Informationssicherheit, untereinander kompatibler zu gestalten, wurde von ISO eine einheitliche Grundstruktur (High Level Structure) entwickelt, die jetzt auf alle Managementsystemnormen angewandt werden soll. Neben einer einheitlichen Struktur auf der obersten Gliederungsebene werden grundlegende Kerntexte, Begriffe und Definitionen vereinheitlicht.7 Im Rahmen der Revision musste auch die DIN EN ISO 9001 an diese neue Struktur angepasst werden.
Die DIN EN ISO 9001:2015 weist im Gegensatz zur DIN EN ISO 9001: 2008 eine andere Gliederungsstruktur auf ( Tab. 2.1).
Tab. 2.1: Gegenüberstellung der Gliederungsstrukturen DIN EN ISO 9001:2008/2015
DIN EN ISO 9001:2008 (alt)DIN EN ISO 9001:2015 (neu)
Im Gegensatz zur 9001:2008 fordert die DIN EN ISO 9001:2015 die Ausrichtung des Qualitätsmanagementsystems an der strategischen Ausrichtung der Organisation ( Kap. 4.1)8 sowie die Vereinbarkeit von Qualitätspolitik und Qualitätszielen mit der strategischen Ausrichtung ( Kap. 5.1.1).
Es gilt nun, auch den Kontext der Organisation zu betrachten, d. h. interne und externe Faktoren zu analysieren, die einen Einfluss auf die Organisation ausüben ( Kap. 4.1).
Während bisher primär die Anforderungen der Kunden für die Gestaltung des Qualitätsmanagementsystems berücksichtigt werden mussten, wird dies nun auf die interessierten Parteien ausgeweitet. Es müssen die für die Einrichtung relevanten Interessensgruppen definiert, deren Anforderungen identifiziert und überwacht werden ( Kap. 4.2).
Weiterhin wurden die Anforderungen an das Prozessmanagement erweitert. Die DIN EN ISO 9001:2008 forderte, die für das Qualitätsmanagementsystem erforderlichen Prozesse festzulegen sowie deren Abfolge und Wechselwirkung, erforderliche Ressourcen und Informationen zum Durchführen der Prozesse, Überwachung der Prozesse, einschließlich Kriterien und Methoden hierzu sowie deren kontinuierliche Verbesserung. Die DIN EN ISO 9001:2015 fordert darüber hinaus, die erforderlichen Eingaben und erwarteten Ergebnisse der Prozesse zu definieren, Verantwortlichkeiten, Befugnisse, Leistungsindikatoren für die Prozesse festzulegen, die Risiken und Chancen der Prozesse zu bestimmen, die der Erreichung der beabsichtigten Ergebnisse entgegenwirken ( Kap. 4.4.1).
Wesentliche Änderungen betreffen die Führung der Organisation. So wird nicht mehr ein »Beauftragter der obersten Leitung für das Qualitätsmanagementsystem« gefordert, sondern die oberste Führungsebene ist insgesamt für das Qualitätsmanagementsystem rechenschaftspflichtig. Sie trägt zwar die Gesamtverantwortung, kann allerdings Personen einsetzen, die sie im Rahmen des Qualitätsmanagements unterstützt. Weiterhin muss die oberste Führungsebene die anderen Führungskräfte in der Organisation hinsichtlich ihrer Führungsrolle in deren jeweiligen Verantwortungsbereich unterstützen.
Neue Anforderungen betreffen den Umgang mit Chancen und Risiken. Es müssen Risiken und Chancen für das Qualitätsmanagementsystem ermittelt werden, um unerwünschte Auswirkungen zu vermeiden bzw. Chancen zu ergreifen. Die Organisation muss Maßnahmen zum Umgang mit Risiken planen, umsetzen und deren Wirksamkeit bewerten. Ein Risikomanagementsystem oder die Anwendung des Risikomanagementprozesses wird allerdings nicht gefordert ( Kap. 6.1.1).
Die DIN EN ISO 9001:2015 betrachtet »Wissen« als eigenständige Ressource. Die Norm fordert, das Wissen zu bestimmen, das für die Erreichung der Ziele der Organisation erforderlich ist, zu ermitteln, aufrechtzuerhalten und zur Verfügung zu stellen. Ein formalisiertes Wissensmanagement wird allerdings nicht gefordert ( Kap. 7.1.6).
War in der DIN EN ISO 9001:2008 die Rede von Dokumenten und Aufzeichnungen, verwendet die DIN EN ISO 9001:2015 stattdessen den Begriff »dokumentierte Information«. Es werden keine verpflichtenden Verfahren zur Lenkung von Dokumenten/Aufzeichnungen oder ein Qualitätsmanagementhandbuch mehr gefordert. Die neue Norm bietet im Vergleich zu ihrer Vorgängerversion ein höheres Maß an Flexibilität hinsichtlich der Dokumentation an. So sollen Art und Umfang der dokumentierten Informationen in Abhängigkeit vom Risiko festgelegt werden ( Kap. 7.5).
War in der DIN EN ISO 9001:2008 noch die Rede von »Beschaffung«, fordert die DIN EN ISO 9001:2015 die Steuerung extern bereitgestellter Prozesse, Produkte und Dienstleistungen. Die Organisation bleibt auch für Leistungen oder Produkte, die durch Dritte erbracht bzw. bereitgestellt werden in der Verantwortung und muss daher entsprechende Steuerungsmaßnahmen festlegen ( Kap. 8.4.1).
Interessant ist weiterhin die Anforderung, bei der Prozessgestaltung »Maßnahmen zur Verhinderung menschlicher Fehler« durchzuführen ( Kap. 8.5.1).
Bei der DIN EN 15224 handelt es sich um eine Norm, die einen europaweit gültigen Standard für QM-Systeme im Gesundheitswesen definiert. Sie ist auf die Gegebenheiten und Bedürfnisse der Gesundheitsorganisationen verschiedener europäischer Länder vor dem Hintergrund höchst unterschiedlicher Gesundheitssysteme abgestimmt.
Sie kann als eigenständige Norm von Organisationen der Gesundheitsversorgung zum Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems und zu dessen Konformitätsbewertung im Rahmen einer Zertifizierung benutzt werden. Dabei wird der Kreis der Gesundheitsorganisationen weit gefasst und reicht von der ambulanten und stationären Krankenversorgung, einschließlich psychiatrischer Versorgung, bis hin zur Rehabilitation. Auch Apotheken, Zahnärzte, Physiotherapeuten, Hospize und Pflegeheime werden in den Anwenderbereich einbezogen.
Im Rahmen der Revision der DIN EN ISO 9001:2015 musste auch die DIN EN 15224, die auf der DIN EN ISO 9001 basiert, einer Überarbeitung unterzogen werden. Sie liegt nun in aktueller Form als DIN EN 15224:2017-04 vor.
Neben den Anforderungen der DIN EN ISO 9001 enthält sie zusätzliche Anforderungen, Spezifizierungen und Interpretationen für die Gesundheitsversorgung sowie Aspekte für das Management klinischer Risiken. Sie ermöglicht somit die Integration von Qualitäts- und klinischem Risikomanagement mit nur einem Regelwerk.
Qualitätsanforderungen, die im Rahmen der Gesundheitsleistungen erfüllt werden sollen, werden durch die Organisation definiert und beschreiben das Maß an Struktur-, Prozess- oder Ergebnisqualität, das erreicht werden soll. Dabei müssen gesetzliche und behördliche Anforderungen, sowie die Anforderungen der Patienten und interessierten Parteien und wissenschaftliche Nachweise und klinische Kenntnisse beachtet werden.
Zusätzlich fordert die DIN EN 15224 die Berücksichtigung der nachfolgenden elf grundlegenden Qualitätsaspekte, die aufgrund klinischer Erfahrungen für Organisationen der Gesundheitsversorgung relevant sind.
Die Organisation kann jedoch solche Qualitätsaspekte, die für sie nicht relevant oder anwendbar sind, begründet ausschließen. Dies muss in einer entsprechenden dokumentierten Information darlegt werden.
Bei diesen elf Qualitätsaspekten handelt es sich um
• angemessene, richtige Versorgung;
• Verfügbarkeit;
• Kontinuität der Versorgung;
• Wirksamkeit;
• Effizienz;
• Gleichheit;
• evidenzbasierte/wissensbasierte Versorgung;
• auf den Patienten ausgerichtete Versorgung, einschließlich der körperlichen, psychologischen und sozialen Unversehrtheit;
• Patientensicherheit;
• Rechtzeitigkeit/Zugänglichkeit.
Hiervon gelten Patientensicherheit, Wirksamkeit und Angemessenheit als die wichtigsten Qualitätsaspekte und sollten in der Leistungsbewertung beinhaltet sein.
An vielen Stellen der Norm wird auf diese Qualitätsaspekte Bezug genommen. Im Anhang D der Norm werden die Qualitätsaspekte weiter erläutert.
So wird unter angemessener, richtiger Versorgung verstanden, dass Patienten mittels sorgfältiger Anamnese, physischer Untersuchung und Beobachtungen untersucht und entsprechend des dabei festgestellten Bedarfes versorgt werden sollen. Die hierbei ausgeführten Tätigkeiten sollen dabei ein vertretbares Risiko an unerwünschten Ereignissen, Komplikationen oder Nebenwirkungen aufweisen und den festgestellten Bedarf nicht überschreiten.
Verfügbarkeit meint, dass die Versorgung innerhalb der Reichweite des Patienten erfolgt.
Unter Kontinuität der Versorgung wird eine nahtlose Gesundheitsversorgung von der Überweisung, Untersuchung, Behandlung, Rehabilitation bis zur Nachsorge verstanden.
Wirksamkeit bedeutet, dass die ausgeführten Tätigkeiten eine positive Wirkung auf den Gesundheitsstatus des Patienten haben.
Unter Effizienz wird das bestmögliche Verhältnis zwischen erzielten Ergebnissen und eingesetzten Ressourcen (Personal, Material, Ausstattung) verstanden. Dabei soll Wirtschaftlichkeit die Organisationen befähigen, mehr Patienten zu helfen und dadurch die Kundenzufriedenheit erhöhen.
Gleichheit bedeutet die gleiche Art der Gesundheitsversorgung von Patienten mit gleichartigen und gleich schweren Bedarfen, unabhängig von Geschlecht oder sexuellen, kulturellen, ethnischen, sozialen, sprachlichen oder anderweitigen Gegebenheiten.
Der Qualitätsaspekt evidenzbasierte/wissensbasierte Versorgung fordert die systematische Anwendung von medizinischem Wissen und eine Leistungserbringung auf Basis von wissenschaftlichen Nachweisen und/oder erfahrungsbegründetem Wissen/Best Practices.
Eine auf den Patienten ausgerichtete Versorgung, einschließlich physischer, mentaler und sozialer Unversehrtheit meint eine personalisierte Versorgung, die die Werte, Präferenzen und persönliche Situation des Patienten beachtet und mit dessen Einwilligung erfolgt. Es sollen die Gesundheitskomponenten der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der WHO (Classification for Functioning, Disability and Health – ICF)9 zur Kategorisierung und Spezifizierung der Qualitätsanforderungen verwendet werden.
Einbeziehung des Patienten meint Patientenbeteiligung mittels Information, Beratung und aktivem Einbezug in Entscheidungen und Tätigkeiten der Gesundheitsversorgung wann immer möglich.
Im Rahmen der Patientensicherheit wird gefordert, Risiken der Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung zu identifizieren, zu überwachen und sämtliche vermeidbare Schäden beim Patienten zu verhindern.
Rechtzeitigkeit/Zugänglichkeit bedeutet die zeitgerechte Bereitstellung von Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung entsprechend optimierter Wirksamkeit, ermittelter Bedarfe des Patienten, akutem Zustand und Schwere der Krankheit – ungeachtet des sozialen Status des Patienten.
Eine Qualitätsanforderung, beispielweise die Festlegung von Qualifikationsanforderungen an Personal, kann sich auf einen oder mehrere Prozesse/Dienstleistungen oder die Gesundheitseinrichtung als Ganzes beziehen. Die DIN EN 15224 fordert schließlich die Überwachung und Messung der Ergebnisse klinischer Prozesse im Hinblick darauf, ob die festgelegten Qualitätsanforderungen und die Qualitätsaspekte, auf welche sich diese beziehen, erfüllt werden.10
Unter Prozessorientierung versteht man die Grundhaltung in einem Unternehmen, welche die gesamte Leistungserbringung als eine Abfolge von Prozessen betrachtet.
Prozess wird definiert als »ein Satz zusammenhängender oder sich gegenseitig beeinflussender Tätigkeiten, der Eingaben zum Erzielen eines vorgesehenen Ergebnisses, Produktes oder Dienstleistung verwendet« (DIN EN ISO 9000, 3.4.1).
Abbildung 2.2 zeigt ein schematisches Prozessmodell in Anlehnung an DIN EN ISO 9001.
Abb. 2.2: Prozessmodell
Der prozessorientierte Ansatz umfasst die systematische Festlegung und Steuerung von Prozessen und deren Wechselwirkungen – im Rahmen von Prozessplanung, -durchführung, -überprüfung und -verbesserung. Zielsetzung eines prozessorientierten Ansatzes ist die Steigerung von Qualität und Leistungsfähigkeit, Effizienz und Effektivität. Die Prozesse sollen zu beabsichtigten Ergebnissen führen.
Ein Krankenhaus ist ein hochkomplexes Dienstleistungsunternehmen, dessen Leistungserbringung interprofessionell, abteilungs- und bereichsübergreifend (z. B. ambulant/stationär) erfolgt. Ein gewünschtes Ergebnis im Rahmen der Patientenversorgung lässt sich leichter erreichen, wenn die zur Leistungserbringung erforderlichen Abläufe erkannt und klar geregelt sind. Die Vorteile der Prozessorientierung liegen in einer Regelung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, einer Vereinheitlichung von Abläufen und Vorgehensweisen, der Festlegung von Prozesszielen und Bewertung der Zielerreichung, dem Erkennen von Schnittstellen und dem Zusammenwirken von Prozessen sowie den erforderlichen Ressourcen.
Die Anforderungen an das Prozessmanagement werden in Kapitel 4.4 näher erläutert.
Im Rahmen der Überarbeitung der DIN EN ISO 9001 wurde als eine der wesentlichen Neuerungen das sogenannte » risikobasierte Denken« in die Norm aufgenommen.
Hierunter versteht man, dass die Entscheidungsträger einer Organisation sich dessen bewusst sind, dass Risiken, aber auch Chancen, in allen Ebenen und Prozessen einer Organisation vorhanden sein können und »die Organisation Maßnahmen plant und umsetzt, mit denen Risiken und Chancen behandelt werden.« Das risikobasierte Denken soll zu einer Steigerung der Wirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems und verbesserten Ergebnissen führen sowie negative Auswirkungen vermeiden.11
Bei allen Planungen und Änderungen am Qualitätsmanagementsystem soll eine Risikobetrachtung durchgeführt werden. Es sollen Prozessrisiken analysiert werden und in den Prozessen Maßnahmen zur Verhinderung menschlicher Fehler erfolgen.12