Herausgegeben von
Kilian Engels und
C. Bernd Sucher
Radikal jung 2019
Das Festival für junge Regie
Herausgegeben von Kilian Engels und C. Bernd Sucher
© 2019 by Theater der Zeit
Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
Verlag Theater der Zeit | Verlagsleitung Harald Müller
Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany
www.theaterderzeit.de
Lektorat: Erik Zielke
Gestaltung: Agnes Wartner
Printed in Germany
ISBN 978-3-95749-204-3 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-95749-225-8 (ePDF)
ISBN 978-3-95749-226-5 (EPUB)
Kilian Engels Vorwort
Nora Abdel-Maksoud Café Populaire
The Agency Medusa Bionic Rise
Camille Dagen Durée d’Exposition
Anta Helena Recke Angstpiece
Lucia Bihler Die Hauptstadt
Julia Mounsey & Peter Mills Weiss [50/50] Old school animation
Leonie Böhm Yung Faust
Elsa-Sophie Jach & Thomas Köck dritte republik
Sapir Heller Amsterdam
Christina Tscharyiski Revolt. She said. Revolt again. Mar-a-Lago
Florian Fischer Operation Kamen
Blanca Rádóczy Der Mieter
Ariah Lester WHITE [ARIANE]
Philipp Moschitz Um die Wette
Das Festival Radikal jung am Münchner Volkstheater ist das größte und renommierteste Festival für den professionellen Regienachwuchs im deutschsprachigen Raum. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, die ästhetischen Interessen und Zugriffe (die immer auch politische sind) einer jungen Generation von Theatermachern zu präsentieren. Seit 2005 spiegelt es die Entwicklung der deutschsprachigen Theaterlandschaft und unterstützt und begleitet Karrieren von jungen Künstlern. Seit 2011 kommen internationale Beiträge dazu: aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Serbien, Ungarn, der Ukraine, Portugal, Großbritannien und Moldawien sowie immer wieder aus Israel. Diese Beiträge bereichern das Festival um weitere Handschriften und untersuchen die Bedingungen, unter denen junge Künstler in anderen Ländern Theater machen.
Die diesjährige Ausgabe ist mit 15 gezeigten Produktionen die größte bisher. Neben Arbeiten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich ist mit Julia Mounseys und Peter Mills Weiss’ New Yorker Produktion „[50/50] Old school animation“ zum ersten Mal ein transatlantischer Beitrag dabei.
Mit zwölf Ur- und Erstaufführungen ist es das zeitgenössischste Festival bislang. Den Inszenierungen liegen Stücktexte (auch selbstverfasste), Romane, dokumentarisches und autobiografisches Material zugrunde. Es wird teils konventionell, teils experimentell erzählt. Ästhetisch soll eine möglichst große Bandbreite jungen Theaterschaffens abgebildet werden. Eingeladen sind 14 Frauen und fünf Männer. Auch in Hinblick auf die Macher ist Radikal jung das Festival mit der größten Diversität.
Dieser Band enthält ausführliche Porträts der präsentierten Regisseure und der eingeladenen Inszenierungen. Er eignet sich als Festivalbegleiter, aber auch als Quelle für alle Interessierten, die nicht in München dabei sein können. Ich freue mich, dass dieses Buch bei Theater der Zeit erscheinen kann.
Herzlich möchte ich den Autoren der Beiträge, meinen Mit-Kuratoren Christine Wahl und C. Bernd Sucher für ihre Arbeit und Christian Stückl, dem Intendanten des Münchner Volkstheaters, für das Vertrauen danken.
Kilian Engels
Künstlerischer Leiter Radikal jung
Text und Regie
Theater Neumarkt Zürich
Uraufführung
27. April 2018
Bühne und Kostüme
Moïra Gilliéron
Dramaturgie
Inga Schonlau
Musik
Enik
„Das Thema des heutigen Abends ist Klassismus. Wir nennen es auch: den unbekannten Ismus.“ Irritiertes Blickkreuzen im Publikum. Nein, man befindet sich nicht im Bourdieu-Seminar. Sondern im Theater. Genauer gesagt, ist gerade der erste Satz des Stücks „Café Populaire“, geschrieben und inszeniert von Nora Abdel-Maksoud, gefallen.
Klassenkampf im Bühnenformat? Ja – und in Wohlfühlrosa! Die Bühne, verkleinert auf eine schmale Box, ist in pastelliger Wes-Anderson-Optik gehalten. Die vier Schauspielerinnen und Schauspieler, die dort aufgereiht stehen, könnten direkt dessen „Grand Budapest Hotel“ entlaufen sein. Über das elegante Werk des Filmregisseurs ist man sich, im Stück wie wohl auch im Publikum, gerne einig. Zumindest, wenn man einer bestimmten sozialen Klasse angehört.
Wer glaubt, der Klassenbegriff sei überholt, den lässt Nora Abdel-Maksoud im Verlauf ihrer Inszenierung genüsslich auflaufen. Die Münchner Autorin und Regisseurin hat in den letzten Jahren mit beißenden Satiren auf sich aufmerksam gemacht. Auch „Café Populaire“ ist durchtränkt von skurrilem, schwarzem Humor. Er speist sich in diesem Stück aus dem alltäglichen Hickhack zwischen Klassen, die weiter existieren – auch wenn die Figuren auf der Bühne vorerst das Gegenteil behaupten.
Drei prototypische Bewohner eines Kleinstadtkaffs namens Blinden stehen dort aufgereiht: Svenja, Bildungsbürgerin mit Kunststudium, „zivilisiert, gebildet und konfliktfähig“, schraubt on- und offline an ihrem Durchbruch als Wortwitzbold. Bis es so weit ist, gibt sie als Hospizclown ihre mit Political Correctness überfrachteten Scherze zum Besten. Witzig finden das einzig acht YouTube-Abonnenten, die Aufgebahrten im Leichenraum und die frotzelnde Heimbewohnerin Püppi.
Püppi, Typ: spröde Altlinke, sucht seit dem Tod ihres Mannes nach einem „bolschewistischen Stahlarbeiter mit hoher Streikneigung“. Und dann steht da noch Aram, der als „Dienstleistungsproletariat“ hinhalten muss. Der Mann für alles: Postbote, Putzmann, Kellner, Masseur, Uber-Fahrer, Amazon-Angestellter – sowie bald Papa und daher verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Kein Wunder, dass er hellhörig wird, als der Gasthof „Zur Goldenen Möwe“, inklusive Wirtswohnung, einen neuen Besitzer sucht. Aber auch Svenja wittert ihre Chance: Sie will die „Möwe“ zu ihrer Bühne machen. Blöd nur, dass eine innere Stimme namens der Don dazwischenfunkt und ihr unkontrolliert das Wort entreißt. Ihr Alter Ego, ein bourgeoiser Snob ohne soziale Scham, der arme Menschen hasst, die „Assi-Prolls“ aus der „Unterschicht“ nicht verstehen will, sondern verachtet, und Blinden „sozial entmischen“ will: Ab in das Getto mit dem Proletariat!
Der Don bricht aus Svenja heraus. Die anständige Akademikerin verliert ihr Gesicht und verwandelt sich im Sekundentakt immer mehr in die geifernde Wutbürgerin. Bis irgendwann … Ach, man möchte nicht zu viel verraten! Denn „Café Populaire“ lebt von Überraschungsmomenten.
Schon eher Dauer- als Überraschungsgast ist Nora Abdel-Maksoud beim Festival Radikal jung. Bereits zum dritten Mal ist sie als Regisseurin eines selbst geschriebenen Stücks zugegen. Mit der Kunstweltsatire „KINGS“ war sie 2015 eingeladen, mit der Filmbusinesssatire „The Making-of“ 2017 und nun, 2019, also mit der Klassengesellschaftssatire „Café Populaire“. Darin finden sich die wichtigsten Ingredienzen der vorherigen Stücke wieder: abgründige Pointen, rasendes Tempo, waghalsige Plot-Twists und – sozusagen als Grundton – ein Thema, das der Regisseurin „wie ein Stachel im Fleisch sitzt“. Das sei für sie das Initiationsmoment für jedes neue Stück, sagt Nora Abdel-Maksoud im Gespräch: „Ein Zustand oder eine gesellschaftliche Entwicklung muss mich empören.“
Das Thema der sozialen Klassen habe sie eher bemerkt als gefunden, erklärt die Regisseurin: „Ich habe bemerkt, dass ich Menschen in meinem Umfeld unbewusst kategorisiere. Dass ich innerhalb von Sekunden feststelle, wer dieselbe Musik hört wie ich, wer einen ähnlichen Ausbildungsgrad hat.“ Woran das liege, habe sie sich gefragt. Denn es lasse sich ja nicht einfach an Schuhen oder Haarstruktur eines Gegenübers ablesen. „Anscheinend gibt es ein unsichtbares System, das einen Menschen einordnen lässt.“
Ein blinder Fleck, den die Theatermacherin auch bei sich selbst entdeckte: „Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr hat sich gezeigt, dass Klasse, Distinktion und der eigene Habitus bei allem, was man tut, eine Rolle spielt.“ Das führe dazu, dass man unter Seinesgleichen bleibe, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, im Lieblingscafé. Im Theater.
Wenn man sich mit sozialen Klassen beschäftige, dränge sich aber auch relativ schnell eine politische Dimension auf, sagt Nora Abdel-Maksoud: „Mir ist zum Beispiel aufgefallen, wie das Fernsehen daraus Kapital schlägt, Sozialhilfeempfänger verächtlich zu machen.“ Im englischsprachigen Raum werde stets innerhalb des Triptychons „Race, Class, Gender“ über Diskriminierung nachgedacht. Im deutschsprachigen Raum hingegen werde Klasse kaum als Kategorie der Herrschaftskritik mitgedacht. „Dafür gibt es schlicht keine Lobby.“
Wer sich mit der Theatermacherin unterhält, merkt schnell: Sie hat etwas zu sagen – und will damit gehört werden. Bevor sie zu schreiben und zu inszenieren begann, hatte sie dazu nur beschränkt Möglichkeit. Studiert hat Nora Abdel-Maksoud Schauspiel an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Berlin-Babelsberg – stand danach aber öfters auf der Bühne. Etwa in „Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat und Jens Hillje am Berliner Ballhaus Naunynstraße. Oder im Sibylle-Berg-Stück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“, von Sebastian Nübling am Maxim Gorki Theater Berlin inszeniert.
Was sie seit dem Studium frustrierte und ihr schließlich den Anstoß gab, ins Regie- und Textfach zu wechseln: „Die Konflikte der Figuren, die ich spielte, liefen oft nur aufs Frausein hinaus: Bin ich eine gute oder schlechte Mutter? Liebe ich diesen oder jenen? Nie ging es um Geniesein, Verrücktsein oder Bösewichtsein.“ Aus ihrem Ärger entstand eine Diplomarbeit zur Rolle der Frau im Film – und daraus 2012 ihr erstes Stück: „Hunting von Trier“ am Ballhaus Naunynstraße. Zwei Schauspielerinnen, die es satt haben, Hure oder Heilige zu spielen, erschießen den Starregisseur – und werden am Ende selbst durch eine Kugel, die an der gläsernen Decke abprallt, dahingerafft: So funktioniert bei Nora Abdel-Maksoud eine bitterböse Persiflage auf verkrustete Geschlechterrollen.
Auch ihre Stücke „KINGS“ am Ballhaus Naunynstraße und „The Making-of“ am Maxim Gorki waren humorvolle Abrechnungen mit dem Dunstkreis der Kreativen und Kunstaffinen. In „KINGS“ verpackte Nora Abdel-Maksoud ihren Appell gegen die gleichgültige Selbstreferenzialität des Kulturbetriebs in einer überdrehten Groteske im Jahrmarktbuden-Setting, in der vier Kreativ-Typen Unmengen an Gin trinken und erfolglos versuchen, aus ihrem Kunstwelt-Habitat die Welt zu verbessern.
„KINGS“ öffnete ihr Türen für weitere Inszenierungen in Berlin („Die Geschichte von Buffalo Jim“), am Neuen Theater Halle („Mad Madams“) und am Volkstheater München („Sie nannten ihn Tico“). Für „The Making-of“, 2017 im Studio я des Maxim Gorki Theaters uraufgeführt, wurde Nora Abdel-Maksoud von „Theater heute“ zur besten Nachwuchsregisseurin gekürt und mit dem Kurt-Hübner-Regiepreis ausgezeichnet. Das Stück spielte „behind the scenes“ eines deutschen Superheldenfilms, bei dem kaum eine Szene abgedreht wird, dafür bald alle Beteiligten freidrehen. Der schwarzhumorige Theaterabend erhielt kürzlich ein Sequel – ach ja: „The Sequel“ am Maxim Gorki Theater.
„Café Populaire“ ist Nora Abdel-Maksouds erste Inszenierung am Zürcher Theater Neumarkt. Darin zerpflückt sie nun Klassenignoranz und Distinktionswahn unserer Gegenwart. Nicht als Sozialdrama, sondern wiederum als leichtfüßige Satire. Dass ihre Stücke am Ende immer humoristisch werden, passiere ihr beim Schreiben instinktiv, so die Regisseurin. Damit vermeide sie auch ein „preaching to the converted“: Das Publikum soll nicht bloß mitleidig mit dem Kopf nicken. Stattdessen reizt sie es zum Lachen.
Gelacht wird in „Café Populaire“ etwa über das süffisante Sätzchen „Stimmt so“, mit dem Svenja Aram Trinkgeld zusteckt, um sich danach selbst für ihre Großzügigkeit zu loben. Über den Horror in Svenjas Gesicht, als Aram ihr gefüllte Eier anbietet – bis nach langem Ringen aus ihr herausplatzt: „Sie töten doch männliche Küken!“ Gelacht wird über Dons Seitenhiebe in Richtung derer, die statt Privilegien „eine Vorliebe für eingeschweißte Fleischwurst erben“ und guten Geschmack an der Größe ihres Flatscreens ablesen. Über Slapstick-Einlagen oder die riesige Armreich-Schere aus Plüsch, die Püppi liebkost, während sie besoffen Revolutionsplattitüden aneinanderreiht.
Niemand wird geschont, in alle Richtungen bissige Pointen abgefeuert: Unterschicht versus Oberschicht, Cola-Proletariat versus Champagner-Sozialismus. Klingt nach vielen Klischees? Ja, richtig. Nora Abdel-Maksouds Theater lebt davon, dass es dem Publikum das Gefühl lässt, alles zu durchschauen, Altbekanntes wiederzuerkennen – um ihm dann doch immer eine Wendung voraus zu sein. Es unterläuft die Erwartungen des Publikums, torpediert mit Twists dessen Sehgewohnheiten und legt die Schlüsse offen, die man als Zuschauerin per Default zog. Der anhaltende Lachreiz geht daher Hand in Hand mit einem diffusen Gefühl des Ertapptwerdens. Man lacht, weil man sich erkannt fühlt, entlarvt und manchmal auch an der Nase herumgeführt. Bis man irgendwann feststellt: Was hier aufgeführt wird, ist nicht nur kurzweilig und sehr lustig, sondern auch klug, klarsichtig und vertrackter, als man zu Beginn denken könnte. Und entwaffnend, weil es sich aus präziser Beobachtung speist.
„Es gibt unterschiedliche Stufen kultureller Wertigkeit“, proklamiert der Don in „Café Populaire“ in Richtung des Publikums: „Da sind wir uns wohl einig. Immerhin sitzen Sie in einem Theater!“ Dieser Schnösel, der über diejenigen herzieht, die „das Expedit-Regal von IKEA praktisch und nicht hässlich finden“ und die nichts mehr lieben als „Boulevard, Shakira, Richard David Precht“, behält recht. Lachen kann nur, wer die feinen Unterschiede kennt, die hier durchexerziert werden. Die wahren Schnösel, das sind wir.
Nora Abdel-Maksoud kennt die Klasse der Bürgersprosse und Akademikerkinder, die sie hier augenzwinkernd, aber unmissverständlich vorführt, nur zu gut. „Ich bin ja selbst auch eher ein Kleinbürgerkind“, meint sie lachend. Sie kennt die Codes, mit denen subtil auf das eigene Bildungsniveau verwiesen wird: Man spricht gendergerecht, konsumiert kritisch und im Gestus der Zurückhaltung.
Die Figuren auf der Bühne erscheinen darin als Komplizen, als Vertraute – und führen im nächsten Moment mit ihrer negativen Katharsis vor, wie klein der Schritt vom Gutgemeinten zur Grenze des guten Geschmacks ist. Nora Abdel-Maksouds dramaturgische Strategie scheint es zu sein, jene in ihrer bequemen Selbstgewissheit zu überrumpeln, die sich in ihrem Wertekatalog allzu sicher geben. Und trotzdem schwingt sich das Theater hier nicht zur moralischen Anstalt auf, sondern meint immer auch sich selbst, wenn es im Medium der Satire zur spitzzüngigen Gesellschaftskritik ausholt.
Diese Selbstironie erleichtert. Dieses Lachen-Dürfen über Quinoa-Salate, recycelbare Kaffeebecher und dänisches Design, über die allzu bekannten Statussymbole, Meinungsfaulheiten und beiläufige Arroganz. Es gibt kein Entkommen aus dem Distinktionsdschungel der Abgrenzungsneurosen, so die Botschaft des Abends. Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, ist eine halbwegs gute Ausflucht. Aber auch nicht mehr.
Einige von Svenjas „Punchlines“ sind denn auch wortwörtlich gemeint: Immer wieder trifft dieses Stück, das von Hieben nach allen Seiten strotzt, ins Schwarze. Sodass man sich am Ende des Abends nicht nur gut unterhalten, sondern auch unangenehm getroffen – sogar betroffen – fühlen kann. „Im besten Fall fühlt man sich manchmal ertappt. Obwohl, das ist mir schon zu pädagogisch“, sagt Nora Abdel-Maksoud. „Im besten Fall ist man danach irgendwie schlauer. Hat ein, zwei Sätze oder Gedanken im Kopf, über die man davor nicht nachgedacht hat. Wenn geistig etwas in Bewegung kommt bei einem Thema, mit dem ich mich lange beschäftigt habe und über das ich unbedingt etwas sagen will, dann ist das schon eine ganze Menge.“
Entsprechend habe sie die Premierenfeier von „Café Populaire“ als Erfolg erlebt: „Der Abend brachte offensichtlich inhaltlich etwas zum Schwingen. Es war geradezu absurd. Die Leute sprachen vor allem über das Thema des Stücks. Also nicht: Der Schauspieler war gut oder die Szene doof.“
Dabei hätte man sich durchaus auch bei der schauspielerischen Leistung verweilen können, das Klischierte nicht ins Karnevaleske abdriften zu lassen. „Ich verlange dem Ensemble schon einiges ab, damit es nicht nach starrer Form aussieht, sondern Leichtigkeit und Swing kriegt“, erzählt sie. Dazu hole sie die Schauspielerinnen von Beginn weg ins Boot. Den Plot und die Figuren eines Stücks entwickle sie stets im Kollektiv. Etwa mit den Darstellerinnen Eva Bay oder Stella Hilb, mit denen sie oft zusammenarbeitet. Was danach folge, sei „exzessive Recherche“ über Monate, aus der zum Schluss das Stück entstehe, „im stillen Kämmerlein mit Ohropax“. Zu Gute kommt ihr beim Schreiben, was sie, wie sie sagt, „von der Pike auf gelernt hat“: Sie nutzt die narrativen Qualitäten des Films für die Bühne.
Ihr sei einmal gesagt worden, sie mache „Volkstheater“, erinnert sich Nora Abdel-Maksoud. „Ich glaube nicht, dass das ein Kompliment war. Aber es hat einen wahren Kern: Trotz des Referenzgewitters, das bei mir am Ende immer rauskommt, sind meine Stücke nicht reiner Diskurs-Fließtext. Es gibt Figuren und Handlungsbögen, mit denen man mitgeht, auch wenn man nicht jede Referenz aufschnappt. Das ist sicher auch ein Angebot an Leute, die sonst lieber ins Kino als ins Theater gehen, weil es ihnen greifbarer erscheint.“
Sie will „Theater für alle“ machen. Aber sie macht eben auch Theater, das alle irgendwie herausfordert. Etwa durch eine Besetzung, die nebenbei daran erinnert, dass man Figuren aufgrund ihres Geschlechts, ihres Alters, ihres Akzents doch bitte nicht zu viel zuzuschreiben hat. „Unsere Sehgewohnheiten sind nach wie vor nicht da, wo ich sie gerne hätte. Das werfe ich nicht dem Publikum vor, sondern den Kulturschaffenden. Dagegen richtet sich der Protest, den ich und viele andere mit unserer Arbeit vorantreiben“, sagt Nora Abdel-Maksoud. Will sie als Theatermacherin die Sehgewohnheiten also schärfen? „Unbedingt. Ich glaube, man muss sie sogar umnieten.“
Wenn sich in ihren schwarzhumorigen Stücken eine Utopie findet, dann im Beweis, dass das nicht unmöglich ist. Man muss nur bei sich selbst beginnen. „I’m starting with the man in the mirror“, trällert das „Café Populaire“-Ensemble in einer maximal zynisch platzierten Michael-Jackson-Hommage.
Nora Abdel-Maksoud meint es ernst mit diesem Witz: Kommt ins Theater. Wir stellen schon mal die Spieglein scharf.
Künstlerische Leitung