Wie Elon Musk die Automobilbranche auf den Kopf gestellt hat und stellen wird
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Insane Mode: How Elon Musk’s Tesla Sparked
an Electric Revolution to End the Age of Oil
ISBN 978-1-101-98595-3
Copyright der Originalausgabe 2018:
Copyright © 2018 by Hamish McKenzie.
All rights reserved.
Published by Dutton, an imprint of Penguin Random House LLC.
Copyright der deutschen Ausgabe 2019:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Philipp Seedorf
Gestaltung Cover: Johanna Wack
Gestaltung, Satz und Herstellung: Sabrina Slopek
Bildquelle Umschlag: Getty Images, Shutterstock
Lektorat: Egbert Neumüller
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86470-485-7
eISBN 978-3-86470-486-4
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FÜR STEPH, WEIL SIE FÜR MICH DA WAR
TEIL 1INDUKTION
1.DEN MOTOR ANWERFEN
2.UNTER STROM
3.DER KAMPF UM DAS ELEKTRISCHE AUTO
4.FEUER UND FLAMME
5.EINFACH HANDELN
6.REICHWEITENANGST
TEIL 2POWER SHIFT
7.LEGEN SIE LOS, GRÜNDEN SIE EINE AUTOFIRMA
8.CALIFORNIA DREAMING
9.VERWIRKLICHEN SIE IHRE TRÄUME
10.WIE MAN EINEN SUPERTANKER WENDET
TEIL 3AUF DER STRASSE
11.ELECTRIC AVENUE
12.UNS SIND AUCH NICHT DIE STEINE AUSGEGANGEN
13.HIMMEL ODER HÖLLE?
14.PER TAXI IN DIE RENAISSANCE
EINE ANMERKUNG ZU DEN QUELLEN
DANKSAGUNGEN
„In bestimmten Bereichen, etwa Solartechnologie und Raumfahrt, kommen keine neuen Player hinzu.“
Der erste Wagen, den ich eine nennenswerte Zeit lang fuhr, war ein Ford Laser von 1983 mit einem manuell zu bedienenden Choke. Als 16-Jähriger, der von A nach B kommen wollte, musste ich die schwierige Kunst erlernen, den Choke behutsam zu bedienen, um das perfekte Benzin-Luft-Gemisch zu erhalten, damit der kleine Laser schnurrte wie ein Kätzchen. Er war goldfarben, aber mit den Jahren war der Glanz verblasst und hatte sich mehr in ein dunkles Braun verwandelt. Ich nannte ihn Braun-Braun und fuhr damit kreuz und quer durch Alexandra in Neuseeland – eine Kleinstadt mit 5.000 Einwohnern – und zu den Baggerseen in der Nähe, Sportplätzen und zu den Stellen in den mit Büschen bestandenen Hügeln rund um meine Heimatstadt, wo man mit einem Mädchen knutschen konnte.
Abgesehen davon, den Choke bedienen zu lernen, wusste ich nicht viel über den Wagen und wollte es auch nicht wissen. Mein Vater, ein Physiker, der wusste, wie man die verschiedenen Teile von Braun-Braun so choreografiert, dass sie das Wunder der Fortbewegung vollbrachten, kümmerte sich um die gesamte Wartung. Alles, was ich tun musste, war Benzin in den Tank zu füllen und aufzupassen, dass ich auf vereisten Nebenstraßen nicht ins Schleudern kam. Das passte mir ganz gut.
Ein paar Jahre später, als ich während der Semesterferien als Erntehelfer auf einer nahegelegenen Obstplantage arbeitete, versuchte ich, mehr über Autos zu lernen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ein Upgrade auf einen Toyota Corona von 1991 vorgenommen, nach meinen Standards ein Luxusvehikel. Er hatte nicht nur keinen Choke, sondern auch eine Automatikschaltung. An einem heißen Tag, als ich gerade auf der obersten Sprosse meiner Leiter zwischen den Kirschbäumen stand, versuchte mir ein Freund im Baum nebenan, der sich mit Autos auskannte, die Funktionsweise eines Verbrennungsmotors zu erklären. Trotz des Einflusses meines Vaters – und zu seiner großen Enttäuschung – studierte ich Kunst und hatte keinen Sinn für Mechanik. Als ich versuchte, mir Begriffe wie Vergaser, Kolben und Nockenwelle zu merken, während ich Kirschen naschte, hatte ich Schwierigkeiten, mir einzuprägen, in welcher Reihenfolge diese zusammenarbeiteten und ob sie überhaupt zusammenarbeiteten. Mein Freund war schnell frustriert, weil ich es nicht kapierte, und ich fand mich mit der Tatsache ab, dass dieses teuflisch komplizierte Hexenwerk mir auf ewig verschlossen bleiben würde. Und das passte mir ganz gut.
Meine ambivalente Beziehung zu Fahrzeugen hielt auch noch danach an. Mit 29 zog ich nach Amerika, der spirituellen Heimat des Automobils. Am Steuer des Honda Civic meiner Frau von 2001 lernte ich, wie man auf der falschen Seite der Straße fährt und die Aggression am Gaspedal auf angemessene Art und Weise dosiert, um damit den Tod auf dem Highway zu vermeiden, aber wie eine Zündkerze zündet oder ein Steuerriemen steuert, blieb mir weiter verschlossen. Tatsächlich vermied ich es so weit wie möglich, überhaupt Auto zu fahren, und kam zu der Überzeugung, die Welt wäre ohne Autos ein besserer Ort. In einem der ersten Artikel, die ich schrieb, als ich bei der Tech-News-Site PandoDaily anfing, rief ich das Silicon Valley dazu auf, uns endlich von ihnen zu befreien. Ich glaubte, dass die Umweltkosten von Autos und Straßen inakzeptabel waren, wenn sich das Klima weiter mit einer Geschwindigkeit erwärmte, dass es bald mehr Todesfälle durch Herzinfarkte als durch Autounfälle geben würde. Autos waren Todesfallen, Gesundheitsrisiken und Maschinen, die einen heimtückisch von anderen isolierten. Wer wollte so etwas schon?
Etwa zu dieser Zeit entdeckte ich Tesla.
Ich hatte im April 2012 bei Pando angefangen, ein paar Monate nachdem Steve Jobs, der Mitgründer und CEO von Apple, gestorben war. Die Tech-Welt trauerte immer noch wegen des Verlusts ihres Superstars. Die Branche hatte einen Mann verloren, der die Aufmerksamkeit der Welt mit einer hochgezogenen Augenbraue fesseln konnte, ein Mann, der die Medien mit einem Nachtrag zu einer Slideshow aus der Fassung bringen konnte. Das Silicon Valley suchte verzweifelt nach etwas Neuem, aber die Ergebnisse der Suche waren durchwachsen. Das iPhone war mittlerweile Standard und die großen Innovatoren aus dem Silicon Valley konzentrierten sich auf Foto-Sharing-Apps und die Optimierung von Werbeanzeigen. Softwareingenieure verdienten Millionen, indem sie gesammelte Aufmerksamkeit digitalisierten und für die Verteilung von News-feeds nutzbar machten. Andere Ideen waren wenig inspirierend. Facebook, aber nur für eine kleine Gruppe von Menschen? Limousinen on Demand, aber für Mittelschicht-Amerikaner aus San Francisco? Marissa Mayer, aber bei Yahoo?
Und dann wurde im Juni 2012 das Tesla Model S präsentiert. Auch wenn es eine bombastische Launch-Party bekam, wusste die Öffentlichkeit zuerst nicht viel darüber. Die elektrische Luxuslimousine war für den stolzen Preis von 70.000 Dollar erhältlich, und das schon für die günstigste Basisversion. Bei der Launch-Party überreichte Tesla nur die Schlüssel für zehn Fahrzeuge und hatte den Plan, die Produktion später hochzufahren. Interessierte, die über das Auto schreiben wollten, durften damit zehn Minuten Probe fahren. Doch das war genug, um die Fantasie der Auto- und Tech-Medien anzuregen. Dan Neil vom Wall Street Journal verglich das Model S mit einem Lamborghini und pries es für seine wundersame Stille. Wired sagte, es „fuhr sich wie ein Traum“. Die Performance-Version beschleunigte von null auf 60 Meilen in der Stunde (circa 96,6 Stundenkilometer) in 4,2 Sekunden. Das waren die Werte eines Supercars – bei einer Limousine.
Im Monat darauf trat Teslas CEO, Elon Musk, bei der Pando-Monthly-Vortragsreihe in San Francisco auf. Ich war zu der Zeit in China, aber sah mir ein Video des Events online an. Ich wusste wenig über Musk, aber war sofort von seiner offenen Art eingenommen. Er hatte bereits ein Raumfahrtunternehmen namens SpaceX gegründet, das Nutzladungen zur Internationalen Raumstation brachte, und er hatte das Solarenergie-Start-up SolarCity gegründet, das er auch finanzierte. Mit Tesla wollte er die Welt von den fossilen Energieträgern befreien. „Ich versuche, meine Anstrengungen auf Dinge zu konzentrieren, von denen ich glaube, dass sie den größten positiven Effekt auf die Zukunft der Menschheit haben“, sagte er zu meiner damaligen Chefin Sarah Lacy bei dem Event. „Eine Menge unternehmerische Energie und Finanzierung fließen momentan ins Internet, wobei man in bestimmten Bereichen wie Automobilindustrie, Solarenergie und Raumfahrt keine neuen Unternehmen sieht.“
Wenn wir schon die Autos nicht abschafften, so dachte ich mir, konnte dieser Kerl sie wenigstens elektrifizieren, damit wir nicht so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpen.
Als ich mehr über Tesla las, erfuhr ich, dass es bereits 2008 einen elektrischen Sportwagen auf den Markt gebracht hatte, den Roadster. Er war das erste coole elektrische Auto, der erste praktische Beweis, dass ein Fahrzeug, das von einem Elektromotor angetrieben wurde, aufregender sein konnte als ein Golfcart. Mit einem Preisschild von etwa 100.000 Dollar wurde er hauptsächlich an Reiche und Prominente verkauft, was keine schlechte Methode war, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber auch aufgrund der teuren Batterie eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Musk redete jedoch schon 2008 davon, ein voll elektrisches Familienauto zu bauen und es hatte eine Weile gedauert, bis es so weit war. Ich fragte mich, wieso. Dann sah ich Revenge of the Electric Car, eine Dokumentation aus dem Jahr 2011 über den Überlebenskampf von Tesla angesichts der Finanzkrise. Ich las Nachrichtenartikel und Porträts in Magazinen, die darüber berichteten, dass Musk die Tesla-Angestellten aus eigener Tasche bezahlte, um das Überleben des Unternehmens zu sichern. Tesla stand Ende 2008 kurz vor dem Bankrott, bevor es in letzter Minute durch ein 40-Millionen-Dollar-Investment und dann im nächsten Jahr durch die helfende Hand von Daimler gerettet wurde. In den folgenden Jahren kaufte Tesla eine Fabrik, ging an die Börse und schuf dann das Model S, das den Car-of-the-Year-Award von Motor Trend gewann – der erste einstimmige Gewinner in der Geschichte des Magazins. Vielleicht war dieser Musk doch auf der richtigen Spur.
Bis Mitte 2013 war Teslas Aktienkurs auf über 160 Dollar geschossen und der Marktwert näherte sich 20 Milliarden Dollar. Ganz normale Anleger, die die Aktie für um die 20 Dollar gekauft hatten, wurden zu Millionären. Musk erlangte eine gewisse Berühmtheit – nicht nur in der Tech-Welt, sondern auch in der echten Welt. Im August 2013 erreichte diese neue Höhen, als er Pläne für eine „fünfte Art der Fortbewegung“ verkündete, mit der seiner Aussage nach Fahrgäste in einer halben Stunde von Los Angeles nach San Francisco kommen konnten. Er entwarf in einer Nacht die Pläne für den sogenannten Hyperloop und veröffentlichte sie auf der Unternehmenswebsite von Tesla und SpaceX. Er hatte nicht vor, den Hyperloop selbst zu bauen, sondern hoffte, jemand anderes werde die Pläne realisieren. Die darauf folgende Berichterstattung verschaffte Musk einen Grad an Aufmerksamkeit, der normalerweise für Steve Jobs reserviert war.
Angesichts der Aufgabe, mir einen Artikel über die Hyperloop-Ankündigung für Pando einfallen lassen zu müssen, schrieb ich, Musk sei wichtiger für unsere Gesellschaft als Jobs es jemals war. Auch wenn Jobs der Welt einen großen Dienst erwiesen hat, indem er leistungsstarke mit dem Internet verbundene Computer für die Hosentasche entwickelte, arbeitete Musk auf einer ganz anderen Ebene und strebte völlig andere Ziele an. Indem er versuchte, das Transportwesen komplett umzukrempeln und die Raumfahrt radikal zu verbessern, statt eine Foto-Sharing-App oder das nächste Flappy Bird zu programmieren, war Musk ein Vorbild für eine neue Generation von Entrepreneuren.
Nachdem der Artikel erschienen war, schrieb mir ein Sachbuchverleger eine E-Mail, um zu fragen, ob ich Interesse daran hätte, ein Buch über Musk zu schreiben. Ich las die E-Mail in Boxershorts und einem T-Shirt in dem Gästeschlafzimmer, das auch als Büro in meinem Apartment in Baltimore diente, und dachte über den Vorschlag nach. Ich kam zu dem Schluss, dass es tatsächlich eine gute Idee war. Ich unterbreitete den Vorschlag Musk und war überrascht, als er mir stattdessen einen Job bei Tesla anbot. Nach einigem Zögern – ich hatte gar keine Lust, aus dem Journalismus auszusteigen – nahm ich letztlich das Angebot an. Schließlich konnte ich jederzeit zu meinem Buchprojekt zurückkehren, sagte ich mir.
Ich verbrachte knapp über ein Jahr bei Tesla, aber mir wurde klar, dass ich noch ganz und gar nicht mit dem Journalismus abgeschlossen hatte. Ich verließ das Unternehmen im März 2015 und widmete mich in der Tat wieder meinem Buch. Lesen Sie dieses Buch also unter dem Vorbehalt: Ja, ich bin ein ehemaliger Mitarbeiter von Tesla. Ich glaube an die Mission des Unternehmens. Ich habe sogar Tesla-Aktien. Aber ich fühle mich auch dem Leser verpflichtet. Auf diesen Seiten will ich eine möglichst faire und klare Sicht auf das präsentieren, was so großartig an Tesla ist, und auf die sehr realen Herausforderungen, denen sich Tesla stellen muss.
Dieses Buch ist jedoch kein Insiderbericht – das überlasse ich den Blogs – und es geht auch nicht nur um Tesla. Es geht um etwas sehr viel Größeres. Eine Geschichte darüber, wie ein motiviertes Silicon-Valley-Start-up die gesamte Automobilindustrie umkrempelte und dabei Nachahmer mit enormen Finanzmitteln von Kalifornien bis China auf den Plan rief. Es ist eine Betrachtung des technologischen und wirtschaftlichen Wandels auf der Systemebene, der das Leben von jedem auf diesem Planeten beeinflussen wird. Es ist die Geschichte einer Revolution, die von Tesla angestoßen wurde.
Als ich das erste Mal ein Tesla Model S fuhr, stellte ich es mir als Computer auf Rädern vor. Die digitalen Bedienelemente, Internetverbindung, Softwareupdates und der iPad-ähnliche Touchscreen vermitteln diesen Eindruck. Aber diese Beschreibung ist zu kurz gegriffen. Das Model S – genau wie andere Modelle von Tesla – sollte man sich eher als eine Batterie auf Rädern vorstellen. Werfen Sie nur mal einen Blick darauf. Ohne Karosserie und Sitze besteht die Maschine im Grunde aus vier Rädern um eine tief heruntergezogene Metallmatratze, die einige tausend zylindrische Lithium-Ionen-Akkus enthält, ganz ähnlich denen, die man früher in Laptops verwendete. Entfernt man die Abdeckung, sieht man die Batterien dicht gepackt, hochkant in insgesamt acht Modulen angeordnet und ordentlich aufgereiht wie brave Schulkinder. Und diese harmlos aussehende Konfiguration wird die Vormachtstellung der Ölindustrie bei der weltweiten Energieversorgung ein für alle Mal beenden.
Tesla ist Vehikel für eine Idee: Dass wir nämlich als Spezies bessere Alternativen haben, die Energie für unseren Lebensstil zu erzeugen, als ein Abfallprodukt aus der Dinosaurierzeit zu verbrennen, das unsere Luft verpestet und die Zusammensetzung unserer Atmosphäre negativ beeinflusst. Diese Haltung kann man auf mehr als nur Autos anwenden. Tesla verkauft seine Batterien auch als Energiespeicher. Seitdem es 2016 SolarCity erworben hat und auch Solarzellen anbietet, hat Musk seine Absichten klargemacht: Tesla ist ein Energieunternehmen.
Dies ist eine Geschichte darüber, wie das Elektroauto zum trojanischen Pferd für eine neue Art der Energieversorgung wurde. Ich glaube, dies ist die wichtigste Technologiegeschichte des 21. Jahrhunderts. Und sie hat mich endlich dazu gebracht, herauszufinden, wie ein Verbrennungsmotor funktioniert – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie er ausstirbt.
„Ihre eigene private Achterbahn.“
Im Sommer 2014 kam mein Vater aus Neuseeland zu Besuch nach San Francisco. Um ihn zu überraschen, lieh ich mir über das Wochenende ein Model S. Ich sagte ihm nicht, dass ich es hatte, sondern lud ihn nach seiner Ankunft zu einem Spaziergang in einen nahegelegenen Park ein, wo ich das Auto abgestellt hatte. Als wir näherkamen, täuschte ich Überraschung vor und zeigte über die Straße: „Guck mal, ein Model S!“ Mein Vater, ein 64-jähriger Elon-Musk-Fan, der noch nie einen Tesla aus der Nähe gesehen hatte, ging sofort hin. Er schirmte die Augen mit den Händen ab und guckte durch die Frontscheibe. Ich stellte mich hinter ihn und drückte heimlich auf den Türöffner, den ich in der Tasche hatte. Die verchromten Türgriffe reagierten, indem sie automatisch ausklappten. Dad machte überrascht einen Schritt zurück. „Lass uns einsteigen“, sagte ich. Er lachte voll kindlicher Freude.
Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Model S ins Napa Valley, wo wir die Weinberge mit Freunden besuchten, die sich wegen der hochglanzpolierten roten Limousine gar nicht wieder einkriegten. „Du weißt, dass du es geschafft hast, wenn du in einem Tesla durch das Napa Valley fährst!“, sagte einer. Mitte 2014 hatte Tesla bereits den Ruf, eine Art Fetisch für Menschen zu sein, die von den neuesten Gadgets oder materiellen Statusobjekten beeindruckt waren. Die automatisch einfahrenden Türgriffe, die eher ein Gimmick waren, hoben das Model S heraus und boten sofort Stoff für Unterhaltungen. Das Auto sah so toll aus, dass es sich auch in den nobelsten Urlaubsorten im Napa Valley ins Bild einfügte. Die meisten, die mit Tesla vertraut waren, erkannten in dem Auto sofort ein Symbol der Innovationen aus dem Silicon Valley, ein Symbol fortschrittlichen Denkens, und einen Schritt weg vom rückständigen Zeitalter fossiler Brennstoffe.
Im Hinterland von Napa ließ ich Dad fahren. Ich war bis dahin den ganzen Tag relativ vorsichtig gefahren, um Energie zu sparen. Es sind knapp 100 Kilometer von Napa bis San Francisco, und ich wollte sichergehen, dass wir genug Saft in den Akkus hatten, um bequem hin und zurück zu kommen, wobei ich die zusätzlichen Kilometer, die wir durch die Weinberge fuhren, bereits mitgerechnet hatte. Damals war die nächste Ladestation etwa 60 Kilometer in der falschen Richtung. Aber ich konnte Dad auch nicht die Freude verwehren, in einem der geradlinigsten Automobile seit dem Model T mal ordentlich aufs Gaspedal zu treten.
Das Model S war der erste Wagen, den Tesla vollständig allein produziert hatte, und es war der erste Wagen, der den Verdacht nährte, die Dominanz des Verbrennungsmotors könnte an ein Ende kommen. Eine einzige Ladung seiner 85-Kilowattstunden-Batterie reichte, um mit dem Wagen 425 Kilometer weit zu fahren. Zum ersten Mal konnte ein Besitzer eines Elektroautos weit aus der Stadt hinausfahren und sicher sein, wieder zurückzukommen, ohne Angst zu haben, dass ihm der Saft ausgeht. Der Wagen verfügte über eine beeindruckende Menge an Hightech, inklusive eines 17-Zoll-Touchscreens, der als Befehlszentrale diente, über den man Karten abrufen, das Soundsystem steuern und das Sonnendach einfahren konnte. Verbesserungen wie die automatische Niveauregulierung Creep Control – ein Kriechgang – konnten durch Software-Updates over-the-air eingespielt werden, als wäre es ein Laptop. Und die Fahrer konnten ihren Wagen kostenlos an Schnellladestationen – den Superchargern – aufladen, die Tesla überall auf der Welt errichten lässt.
Anders als seine elektrischen Vorgänger wie der Nissan Leaf und der Mitsubishi i-MiEV war das Model S auch immens praktisch, es bot Platz für sieben Insassen – inklusive der beiden optionalen, nach hinten weisenden Sitze – und verfügte über 1.790 Liter Stauraum, inklusive eines vorderen Kofferraums, der den Platz nutzte, der durch den fehlenden Motorblock entstand. Auch wenn es eine Aluminiumkarosserie hatte und auf einem Batteriepack aus Lithium-Ionen-Batterien saß, der ohne Überhitzungsschutz in spektakulärer Art und Weise Feuer fangen konnte, hatte das Model S doch gute Sicherheitswerte. Das 450 Kilogramm schwere Batteriepack war flach und unter dem Passagierraum in das Chassis integriert. Der tiefe Schwerpunkt sorgte dafür, dass sich der Wagen nicht leicht überschlug. Da er keinen Motorblock hatte, war im vorderen Bereich mehr Platz für die Knautschzone, um die Energie eines Zusammenstoßes zu absorbieren, und das mit gehärtetem Aluminium und Borstahl verstärkte Dach sorgte dafür, dass die Vorrichtung, die seine Stabilität testen sollte, selbst kaputtging.
Mit einem Spitzenpreis von etwa 100.000 Dollar war der Wagen alles andere als billig, aber er erlangte schnell eine Art Kultstatus, besonders unter den reichen Tech-Aficionados im Silicon Valley, wo Tesla seine Early Adopters fand. Wie Apples iPod war er ein schönes und nützliches Produkt, das zwar teuer war, aber seine Konkurrenz alt aussehen ließ. Bis Ende 2012 hatte er beinahe alle Awards abgeräumt, die die Autoindustrie zu vergeben hatte, der bekannteste davon war der Car-of-the-Year-Award von Motor Trend. Aber was noch wichtiger war, es machte einfach Spaß, das Model S zu fahren. Die Elektromotoren lieferten sofortiges Drehmoment und erlaubten es dem Wagen, in etwa 4 Sekunden Highwaygeschwindigkeit zu erreichen. Auf das Gaspedal zu treten fühlte sich an, wie in einer Achterbahn zu fahren.
Als Dad unser zwei Tonnen schweres Aluminium-Ross um eine Kurve und auf eine Gerade steuerte, schlug ich ihm vor, mal ordentlich draufzutreten. Sie können sich vorstellen, wie der nächste Moment in Zeitlupe aussehen würde, wie eine Szene aus Fast & Furious: Grandpa’s Revenge. Die Kamera würde auf seinen abgetragenen rechten Turnschuh zoomen, während er ihn vom Gaspedal hob, um dem Bleifuß ordentlich Schwung zu geben. Die Filmmusik würde sich verzerren und in eine „Bandsalat“-Version eines Hardrock-Songs verwandeln, während das Universum tief Luft holte. Dann würde sich der sieben Jahre alte Turnschuh langsam, aber unerbittlich auf sein gummiummanteltes Ziel zubewegen, bevor sich die ganze Kraft des gebeugten Beines auf das nichtsahnende Gaspedal entlud, das – und an dieser Stelle würde die Musik zu ihrer normalen Geschwindigkeit zurückkehren und die Powerchords des Soundtracks unser Adrenalin in Wallung bringen – gnadenlos bis aufs Bodenblech durchgetreten würde. Die Kamera würde sofort wieder auf unsere Oberkörper schwenken, um zu zeigen, wie unsere Köpfe gegen die Rückenlehnen gepresst und unsere Bäuche so flachgedrückt werden, wie sie es seit Teenagerzeiten nicht mehr waren. Ein verblüfftes, dämliches Grinsen würde sich auf unseren Gesichtern breitmachen. Das ist das Resultat, wenn das Model S plötzlich die Kraft der Elektronen aus seinem Akkupack saugt. So fühlt sich null auf 100 Stundenkilometer in 4,4 Sekunden an.
„Nicht schlecht“, sagte Dad.
Das Model S ist so schnell, weil ein Elektromotor das maximale Drehmoment aus dem Stand bereitstellen kann. Derselbe Motor kann außerdem schneller Kraft zur Verfügung stellen, weil Elektronen einfach schneller von der Batterie zum Motor fließen als Benzin vom Tank zum Kolben. Der Wagen kann die gewaltige PS-Zahl – das Model S, das wir fuhren, hatte 416 PS, vergleichbar mit einem Ford Mustang – sofort zur Verfügung stellen und man muss auch nicht die Verzögerungen durch das Schalten vom ersten in den zweiten Gang, vom zweiten in den dritten und so weiter in Kauf nehmen. Das Auto beschleunigt einfach kontinuierlich bis zur Höchstgeschwindigkeit. Das größte Hindernis für eine noch größere Beschleunigung sind wohl nur die Reifen, die anfangen würden durchzudrehen und zu qualmen, wenn sie gezwungen wären, sich noch schneller zu drehen. Zu guter Letzt sorgt das tief gelegene, schwere, wie eine Matratze geformte Akkupack für eine gute Straßenlage und verteilt das Gewicht gleichmäßig auf alle Reifen. Damit klebt das Auto auf der Straße wie angebrannte Kartoffelpuffer in der Pfanne.
Im Gegensatz dazu benötigt ein Auto mit Verbrennungsmotor viele Schritte, um die Energie des Treibstoffs in Bewegung zu verwandeln. Das Fahrzeug kann nicht gestartet werden, ohne dass die Einspritzanlage den Treibstoff in den Motor spritzt (oder, bei älteren Autos, Treibstoff und Luft in den Vergaser pumpt), wo Treibstoff und Luft im richtigen Verhältnis für die Verbrennung gemischt werden. Eine Zündkerze entzündet die Mixtur, um eine Explosion auszulösen, die den Kolben nach unten treibt und Drehmoment erzeugt, das letztlich die Räder antreibt. Damit all diese Dinge ablaufen, muss der Motor sich bereits drehen, was einen elektrischen Anlasser voraussetzt, der von einer 12-Volt-Batterie angetrieben wird. Ein Teil der Bewegungsenergie des Motors wird an die Lichtmaschine geleitet, welche die Batterie auflädt. Während das Auto beschleunigt, muss hochgeschaltet werden, um die Reisegeschwindigkeit zu erreichen. Das Getriebe ist notwendig, weil das Drehmoment des Motors nur über ein kleines Spektrum an Drehzahl bereitgestellt werden kann. Um das Ganze noch ein wenig zu verkomplizieren, kann die Form des Autos wie ein Flugzeugflügel wirken – Luft streicht über das Auto und braucht dafür länger als die Luft unter dem Auto. Der resultierende geringere Druck über dem Auto kämpft ständig gegen die Schwerkraft, sodass die natürliche Neigung des Autos darin besteht, bei hohen Geschwindigkeiten abzuheben. Das ist ein Problem hoher Geschwindigkeit sowohl bei konventionellen als auch bei Elektroautos, aber der tiefe Schwerpunkt des Teslas verringert das Problem. Bei Autos mit Verbrennungsmotor erschwert die ungünstige Gewichtsverteilung – mit einem schweren Motorblock, der relativ hoch vorne oder hinten im Auto sitzt –, besonders in Kurven das Problem zusätzlich, das Auto auf der Straße zu halten.
Mittlerweile glauben Sie wahrscheinlich, dass ich Werbung für Elektroautos machen will. Und ja, ich bin vielleicht voreingenommen. Aber es ist höchste Zeit, Elektroautos mit einer gewissen positiven Voreingenommenheit zu betrachten. Es gibt sie immerhin schon seit zwölf Jahrzehnten. Betrachten wir einmal die Gründe, die uns seit 120 Jahren genannt werden, wieso Elektroautos einfach nicht das Gelbe vom Ei sind:
Kosten: Die hohen Kosten der Batterien für Elektroautos machen sie unwirtschaftlich. Der Nissan Leaf war beispielsweise teurer als der Nissan Tiida, aber erreichte bei vergleichbarer Leistung nur ein Viertel der Reichweite, bevor man ihn wieder aufladen musste.
Reichweite: Vor dem Tesla Roadster war die Reichweite kommerziell verfügbarer Elektroautos so gering, dass man sie nur für kurze Strecken einsetzen konnte.
Ladezeiten: Es dauert nur ein paar Minuten, einen Tankstutzen in den Tank zu stecken und ihn randvoll zu machen. Die meisten elektrischen Autos brauchen Stunden, bis sie vollständig geladen sind.
Infrastruktur: Tankstellen gibt es überall, also muss man sich bei längeren Fahrten kaum Sorgen machen, dass einem das Benzin ausgeht. Elektroautos hingegen brauchen bei längeren Reisen Ladestationen, und diese sind immer noch relativ selten.
Leistung bei kalter Witterung: Bei kaltem Wetter verlieren die Batterien der Elektroautos Kapazität, was ihre Reichweite noch mehr begrenzt.
Sie sind nicht völlig emissionsfrei: Wenn Elektroautos ihren Strom aus Kohlekraftwerken beziehen, dann ist ihre CO2-Bilanz vergleichbar mit derjenigen der sparsamsten konventionellen Autos.
Sie sind nicht profitabel: Autofirmen hatten es schwer, Elektroautos profitabel zu vermarkten, zum Teil weil der Kunde sie nicht annahm, aber auch wegen der hohen Kosten für Batterien, des Fehlens ausgereifter Zulieferketten und weil Milliarden Dollar an Herstellungskapazitäten nahezu völlig auf die Produktion von Autos ausgerichtet sind, die auf einer anderen Antriebstechnologie basieren: dem Verbrennungsmotor.
Wie Sie im Laufe dieses Buchs sehen werden, gibt es gute Antworten auf all die oben genannten Fragen, aber Kräfte in der Automobilbranche und der Ölindustrie haben sich lange Zeit bemüht, uns glauben zu lassen, es könne keine geben. Die Befürworter von Elektroautos haben bis vor Kurzem auf verlorenem Posten gekämpft. Ob man sie mochte oder nicht, es sah nicht so aus, als würden uns die Autos mit Verbrennungsmotor allzu schnell verlassen. Wieso also das Unmögliche versuchen?
Diese Menschen aber hatten nicht auf dem Schirm, dass es einen Mann geben würde, der es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, Unternehmen zu gründen, die das taten, was andere für unmöglich hielten. Sie ahnten nicht, dass jemand mit genug Geld, Intellekt und Motivation sich daran machen würde, alles auf den Kopf zu stellen, was die Welt über Elektroautos wusste. Sie kannten Elon Musk noch nicht.
Solange es die Gesetze der Physik zulassen, ist Musk der Meinung, dass es auch gemacht werden kann. Vor SpaceX hatte noch nie ein privates Unternehmen ein Raumschiff aus dem unteren Erdorbit wieder auf die Erde geholt. Vor Tesla hatte niemand geglaubt, dass ein Elektroauto mit hoher Leistung mehr als 300 Kilometer mit einer einzigen Ladung seines Akkus zurücklegen konnte. „Eine von Musks großartigsten Fähigkeiten besteht darin, seine Visionen als göttlichen Befehl darzustellen“, sagte 2007 Max Levchin, einer von Musks Mitgründern bei PayPal. „Er ist der Typ, der nur mit den Achseln zuckt, wenn ihm jemand sagt, es sei unmöglich, und dann sagt: ‚Ich glaube, ich kriege das hin.‘“
Musk verbrachte die ersten 17 Jahre seines Lebens in Südafrika und wuchs in Pretoria auf. Es war bereits in jungen Jahren offensichtlich, dass er nerdig, zurückgezogen und ehrgeizig war. Seine Eltern schickten ihn früh in die Schule und er war das kleinste Kind dort, was ihm einige ungewollte Aufmerksamkeit einbrachte. Die anderen Kinder verpassten ihm den Spitznamen „Bisamratte“. Muskverschloss sich und bevorzugte oft die Gesellschaft von Büchern statt der von Gleichaltrigen und verlor sich in eskapistischer Science-Fiction und Fantasy, wie etwa dem Foundation-Zyklus von Isaac Asimov oder Tolkiens Herr der Ringe. „Die Helden der Bücher, die ich las, fühlten sich immer verpflichtet, die Welt zu retten“, sagte er als Erwachsener.
Musks Vater Errol war ein Elektroingenieur und Maschinenbauingenieur, der Flugzeuge flog, Boote steuerte und in eine Smaragdmine in Sambia investiert hatte. Seine Mutter Maye war geborene Kanadierin und hatte einen amerikanischen Vater. Sie zog mit ihrer Familie um 1950 nach Südafrika. Sie arbeitet immer noch als Model und Ernährungsberaterin. Maye und Errol ließen sich scheiden, als Musk acht Jahre alt war (Maye sagte später, sie sei vor Errol weggerannt), und er zog drei Jahre lang mit seiner Mutter und seinen Geschwistern von einer Stadt in die andere. Mit elf entschied er sich jedoch dazu, wieder zu seinem Vater nach Pretoria zu ziehen. Musk hat einmal gesagt, sein Vater Errol sei kein sehr umgänglicher Mensch – Elons jüngere Schwester Tosca nannte ihren Vater „sehr streng“ –, aber zu dieser Zeit erschien es ihm als die richtige Entscheidung, da keines der Kinder bei Errol geblieben war. Viele Jahre später, mit 68, bezeichnete selbst Errol sich als „autokratischen Vater“.
Errol lehnte Computer als „Spielzeuge, die nicht viel können“ ab, aber Musk bekam trotzdem einen und brachte sich selbst das Programmieren bei. Mit zwölf programmierte er ein Computerspiel, das er Blastar nannte, und verkaufte es für 500 Dollar an ein Computermagazin. Das Spiel, das man mit dem Joystick spielte, beschrieb dem Spieler in klaren Worten, was er zu tun hatte: „Zerstöre die Frachter der Außerirdischen, die tödliche Wasserstoffbomben und Laserkanonen haben.“ Als Teenager zeigte Musk weiterhin Unternehmergeist und wollte mit seinem Bruder Kimbal, der 15 Monate jünger war, eine Videospielhalle in der Nähe seiner Schule eröffnen. Obwohl sie bereits einen Raum gemietet und Lieferanten gefunden hatten, wurde der Plan der Brüder vereitelt, als sie feststellten, dass sie die Unterschrift eines Erwachsenen brauchten, um die nötige Geschäftserlaubnis zu bekommen. Also verlegten sich die Jungs lieber darauf, selbstgemachte Schokolade an ihre Klassenkameraden zu verkaufen.
Die Highschool war keine glückliche Zeit für Musk. Damals konnte Südafrika für Heranwachsende ein raues Pflaster sein und Musk wurde heftig gemobbt und gehänselt. Ein Vorfall brachte ihn für zwei Wochen ins Krankenhaus. Er wurde so schlimm verprügelt, dass sein eigener Vater ihn nicht erkannte. „Die Kids haben Elon sehr zugesetzt, und das hatte großen Einfluss auf sein Leben“, sagte Kimbal später.
Die ganze Zeit versuchte Musk, dem Südafrika der Apartheid zu entkommen. Er wollte nicht in die Armee eingezogen werden und seinen Wehrdienst leisten – „Schwarze zu unterdrücken schien mir einfach kein toller Zeitvertreib“ –, er träumte von einem Leben in Amerika, dem Zentrum der Innovation. „Ich wäre auch aus jedem anderen Land nach Amerika gekommen“, sagte er 2007. „In den USA kann man großartige Dinge erreichen.“ Kurz vor seinem 16. Geburtstag und ohne es ihren Eltern zu sagen, hatten sich Elon und Kimbal um die kanadische Staatsbürgerschaft beworben. Musk war der Meinung, es sei der leichteste Weg, um letztlich in die USA zu kommen. Ein Jahr später kaufte er gegen den Willen seines Vaters ein Flugticket nach Kanada. Er lebte dort in ärmlichen Verhältnissen, ernährte sich von Hotdogs und Orangen, hielt sich mit Aushilfsjobs über Wasser und schlief bei verschiedenen Verwandten. 1989 kam er nach Kingston in Ontario und schrieb sich an der Queen’s University ein. Seine Mutter und seine Geschwister folgten ihm bald nach Kanada. Errol blieb in Südafrika.
Auf der Universität lernte Musk in seinem Kurs über abweichende Psychologie Justine Wilson kennen, eine aufstrebende Schriftstellerin, die laut Musks Worten eine „bissige Intellektuelle“ war. Er verführte sie mit Schokoladeneis und sie begannen eine unregelmäßige Beziehung. Als Musk an die Wharton Business School an der University of Pennsylvania wechselte, um Wirtschaft und Physik zu studieren, begannen die beiden eine Fernbeziehung zu führen.
Während Musk an der Wharton School war und sich für ihn der amerikanische Traum zu erfüllen begann, schrieb er zwei Arbeiten, die bereits auf seine spätere Karriere hindeuteten. In „Die Bedeutung der Solarenergie“ („The Importance of Being Solar“) sagte er den Aufstieg der Solartechnologie voraus. In der anderen beschrieb er auf 44 Seiten, wie man Ultrakondensatoren zur Energiespeicherung einsetzen konnte, was zum Beispiel für Elektroautos sehr nützlich wäre.
Musks Faszination von sauberer Energie zeigte sich auch in seinem Privatleben. In der 2015 erschienenen Biografie des Journalisten Ashlee Vance schilderte er detailliert die Begegnung Musks mit einer jungen Frau, Christie Nicholson, auf seiner Geburtstagsparty in Toronto. Sie war die Tochter eines Bankvorstands, den Musk einst um geschäftlichen Rat gefragt hatte. Er hatte sie vor seinem Geburtstag noch nie getroffen. Als Nicholson auf der Party eintraf, begrüßte Musk sie und führte sie zur Couch. Er verschwendete keine Zeit mit Small Talk. „Ich denke viel über Elektroautos nach“, sagte er. „Denkst du über Elektroautos nach?“
Von dem Tag an, als es das erste Mal auf den Straßen fuhr, war das Tesla Model S ein großartiges Elektroauto.
Aber für Musk, der es sich zur Mission gemacht hatte, jedes Auto mit Verbrennungsmotor auf den Straßen durch eine elektrische Alternative zu ersetzen, war es einfach nicht gut genug, nur Klassenbester zu sein. Um Teslas ursprüngliche Mission zu erfüllen, den Übergang zu nachhaltigem Verkehr weltweit zu beschleunigen, mussten Musks Autos in beinahe jeder Hinsicht besser sein als Autos mit Verbrennungsmotor.
Als ich mit meinem Vater die „den Bauch flachdrückende“ Fahrt durch das Napa Valley absolvierte, war das Model S ein heckgetriebenes Auto, das auch gut mit Eis und Schnee zurechtkam, aber die Märkte in anderen Teilen der Welt, in denen es harsche Winter gab, bevorzugten immer noch Allradantrieb. Bisher hatte es kein allradgetriebenes Elektroauto gegeben. Für Tesla muss die Herausforderung zu verlockend gewesen sein, um sie zu ignorieren.
Ein paar Monate später, am 9. Oktober 2014, stand Musk auf einer Bühne des Hawthorne Municipal Airport, direkt neben dem Tesla Design Studio in einem Vorort von Los Angeles, und stellte das Model S P85D vor, das neue Maskottchen der elektrischen Revolution. Der Wagen hatte Motoren vorne und hinten – mit dieser Konfiguration konnte das Drehmoment unabhängig an jedes der vier Räder abgeben werden. Gleichzeitig konnten die elektronische Steuerung und die sehr schnell reagierenden Elektromotoren die Traktion unter rutschigen Bedingungen ganz präzise regulieren, mit Reaktionszeiten von wenigen Millisekunden. Er war nicht nur die Limousine mit der schnellsten Beschleunigung aller Zeiten – von null auf 60 Meilen pro Stunde (circa 96,6 Stundenkilometer) in 3,2 Sekunden –, sondern hatte auch eine Traktionskontrolle, die mit den besten Verbrennern mithalten konnte. Der P85D trug einiges dazu bei, die Ansicht zu widerlegen, dass Autos mit Verbrennungsmotor quasi von Natur aus überlegen sein sollten.
„Das Auto ist der Wahnsinn“, sage Musk in Jeans und einem dunklen Sakko auf der Bühne, während Tausende von Teslabesitzern und Fans zu ihm aufsahen. “Man kann auf das Gaspedal treten und sofort das maximale Drehmoment abrufen“, sagte er. „Das ist, als würde man von einem Flugzeugträger abheben, einfach irre.“ Er suchte nach einer weiteren Metapher. „Es ist, als hätten Sie Ihre eigene private Achterbahn, mit der Sie jederzeit fahren können.“
Musk war guter Laune an diesem Abend, der wohl der wichtigste von Teslas gesamtem Geschäftsjahr war. Er hatte seine Rede damit begonnen, dass er einen Witz machte, den viele Menschen für den CEO eines Multimilliarden-Dollar-Unternehmens eher für unangebracht gehalten hätten. Acht Tage vorher hatte Musk die Enthüllung des P85D mit einem kryptischen Tweet angekündigt. „Es ist langsam Zeit, den P und noch etwas mehr zu enthüllen“ (Original: „About time to unveil the D and something else“), twitterte er. Innerhalb von Minuten waren Twitter-Nutzer und Blogger damit beschäftigt, den Tweet durch den Kakao zu ziehen, und interpretierten Musks Worte auf die übelste Art und Weise. Auf der Bühne gab Musk schelmisch zu, dass die Anspielung vielleicht ein Fehler gewesen sei. „Es gab eine Menge Spekulationen, wofür das ‚P‘ steht“, sagte er, und sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter. „Ja, Sie haben vielleicht festgestellt, dass ich heute eine Hose mit Klettverschluss trage.“ Die Menge stöhnte und lachte gleichzeitig.
Dann erfreute er sich an der Aussicht, einen Wagen zu verkaufen, der sich benahm wie ein Kampfjet. „Ja, das ist Wahnsinn“, fuhr er fort und man konnte seine Grübchen sehen, als er lächelte. Und dann fügte er hinzu: „Bei den Optionen kann man drei Einstellungen auswählen: ‚Normal‘, ‚Sport‘ und ‚Insane‘ (Wahnsinn).“ Die Menge lachte. Wie um es sich selbst und allen anderen noch einmal zu versichern fügte er hinzu: „Da steht tatsächlich ‚Insane‘.“ Er schob die Schultern vor und lachte.
Am nächsten Tag tauchten auf YouTube die ersten Videos von Menschen auf, die den „Insane Mode“ während der Probefahrt am eigenen Leib erfahren hatten. Die Kommentare waren stets durchsetzt mit Kraftausdrücken und freudiger Überraschung angesichts der Beschleunigung des Wagens, die einen aufrecht in den Sitz drückte. In den Wochen und Monaten danach erschienen noch mehr Reaktionsvideos und verbreiteten sich online, wobei eine besonders unterhaltsame Zusammenstellung von Videos mehr als zehn Millionen Klicks anzog.
Der Insane Mode war mehr als nur ein Produktfeature, mehr als ein Marketinggimmick. Er war Beleg für die nötige Geisteshaltung, um sich gegen die Shortseller von Tesla-Aktien, die traditionelle Autoindustrie und die zunehmend nervöse Ölindustrie zu wehren.
Er repräsentierte das intensive Engagement, das erforderlich war, um die Öffentlichkeit für Elektroautos zu begeistern. Und es war ein Statement über die Geschwindigkeit der Innovation, die man braucht, um die Welt hin zu erneuerbaren Energien zu führen, bevor sich das Klima des Planeten unwiderruflich verändert.
Doch selbst als Feature für einen Luxuswagen war der Insane Mode ein kühner Schachzug, sowohl was den Zweck anging als auch die Implikationen. Wenige Menschen hätten so etwas durchziehen können. Aber Elon Musk hatte schon seit Jahren an seiner Glaubwürdigkeit gearbeitet.
Es war ein langer Weg von dem südafrikanischen Schuljungen, der böse verprügelt wurde, zum milliardenschweren Raumfahrt- und Automobilunternehmer in Kalifornien, aber Musk legte bereits in dem Moment einen Gutteil der Strecke zurück, in dem er ins Silicon Valley zog. Nachdem er 1995 Wharton verlassen hatte (seinen Abschluss machte er letztlich 1997), kam er nach Palo Alto in Kalifornien und wollte an der Stanford University seinen PhD in Physik machen, mit Schwerpunkt Ultrakondensatoren. Aber als er sah, was um ihn herum vorging, kamen ihm Zweifel.
Damals begannen Start-up-Gründer und Venture-Kapitalisten fieberhaft mit den ersten kräftigen Atemzügen die Dotcom-Blase aufzublasen. Firmen wie Netscape und Yahoo! wollten das nächste Microsoft oder Oracle werden und Musk wurde klar: Das Internet würde die Welt verändern.
Musk ließ also seine Pläne für einen Doktortitel fallen und gründete seine eigene Internetfirma, Zip2, die ein Online-Recherche-Tool anbot, das die Angaben von Online-Firmen auflistete – eine Art Prototyp einer Web-Version der Gelben Seiten. Sein Bruder Kimbal und ein Freund schlossen sich ihm gegen Ende des Jahres an. Sie mieteten ein schäbiges Büro für 400 Dollar im Monat und lebten und arbeiteten dort. Sie schliefen auf Futons und duschten im örtlichen Zentrum des CVJM. Die Musk-Brüder investierten jedes Quäntchen Energie in die Firma, aber die Investoren bestanden darauf, einen erfahrenen CEO an Bord zu holen. Während Musks Anteil an der Firma nach mehreren Finanzierungsrunden nur noch sieben Prozent betrug, verdiente er 22 Millionen Dollar, als das Unternehmen letztlich für 307 Millionen Dollar im Februar 1999 an Compaq verkauft wurde – kurz vor dem Höhepunkt der Blase.
Musk feierte den Geldsegen, indem er sich einen eine Million Dollar teuren McLaren F1 kaufte, einen der bekanntesten Supersportwagen der Welt. 1999 zeigte eine CNN-Dokumentation über die neureichen Millionäre des Silicon Valley, wie der Wagen zu Musks Haus geliefert wurde. „Es gibt 62 McLarens auf der Welt, und einer davon wird mir gehören“, sagte der 28-Jährige, der ein übergroßes senfgelbes Sakko trug und damit reichlich dämlich aussah (aber es waren ja die 90er). „Es ist gerade einmal drei Jahre her, dass ich beim CVJM duschte und auf dem Boden meines Büros schlief. Und jetzt habe ich offensichtlich ein eine Million Dollar teures Auto und ein paar andere Annehmlichkeiten.“ Das plötzlich reich gewordene Wunderkind kicherte vergnügt, während Justine sich das Auto ansah. Im Auto, seine Freundin neben sich, sagte er: „Ich würde sagen, die wirkliche Belohnung ist das Gefühl der Befriedigung, die Firma, die ich verkauft habe, selbst aufgebaut zu haben.“ Und dann lehnte sich Justine an ihn, legte die Arme um seinen Hals und sagte: „Ja, ja, ja, aber das Auto ist cool.“ Musk nickte und fügte mit einem verschmitzten Grinsen hinzu: „Aber das Auto macht auf jeden Fall Spaß.“
Musks nächste Firma brachte sogar noch mehr ein. Er wollte eine ausgewachsene Online-Bank schaffen und wurde Mitgründer von X.com, in das er zwölf Millionen Dollar eigenes Kapital investierte. Zuerst beschränkte die Firma ihren Ehrgeiz darauf, Zahlungen per E-Mail zu ermöglichen, aber auf diesem Gebiet war die Firma nicht allein. Im Jahr 2000, nachdem X.com sich einen Bieterkrieg mit dem Rivalen Confinity geliefert hatte, um Marktanteile auf der Online-Auktionsseite eBay zu gewinnen, beschlossen die beiden Start-ups, zu fusionieren und Marktführer für E-mail-basierte Bezahlsysteme zu werden. Die entstandene Firma war PayPal.
Musks Amtszeit als CEO der fusionierten Firma war kurz. Nach zehn Monaten im Job verreiste er für zwei Wochen, um potenzielle Investoren zu treffen und mit Justine, die er im Januar 2000 geheiratet hatte, Urlaub in Sydney zu machen. Während er weg war, initiierten die Gründer von Confinity, Peter Thiel und Max Levchin, einen Coup und überzeugten den Vorstand, Musk von der Position zu entfernen. Offiziell wurde eine Meinungsverschiedenheit darüber, welche Software als Plattform verwendet werden sollte, als Grund vorgeschoben, aber persönliche Differenzen hatten auch eine Rolle gespielt. Es konnte schwierig sein, mit Musk zusammenzuarbeiten, sagte Levchin. „Sein Ego hat schon mal gelegentlich Überlebensgröße.“ Thiel, der gegangen war, als X.com und Confinity fusioniert waren, kam zurück und übernahm die Rolle des CEO.
Musk blieb allerdings PayPals größter Anteilseigner und hielt 11,7 Prozent des Unternehmens. Als PayPal letztlich 2002 für 1,5 Milliarden Dollar an eBay verkauft wurde, verdiente er 180 Millionen Dollar. Damit hatte er das Startkapital für SpaceX und investierte außerdem in eine unbekannte Elektroauto-Firma namens Tesla Motors.
„Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter.“
Selbst als er noch nicht CEO von Tesla war, war er als Anteilseigner sehr aktiv. Er hatte Anteil daran, andere Investoren anzulocken, beeinflusste das Produktdesign und sah mit Entsetzen, wie die Firma in den frühen Jahren mit explodierenden Kosten und Qualitätsproblemen zu kämpfen hatte. Im August 2007 überbrachte Musk in seiner Rolle als Verwaltungsratsvorsitzender von Tesla dem CEO und Gründer Martin Eberhard die Nachricht, dass er abgelöst wurde. Im Dezember verließ Eberhard die Firma endgültig. Musk übernahm letztlich selbst die Führungsposition, aber erst nachdem er niemand anderen für die Stelle gefunden hatte. Bis Ende 2007 hatte Musk mit mindestens 20 Kandidaten für die Stelle Bewerbungsgespräche geführt. Er wollte einen CEO, der Tesla zum nächsten großen Autohersteller machen sollte, aber es war schwer, jemanden zu finden, der sich mit Start-ups auskannte und wusste, wie man Hunderttausende Autos baut.
Widerstrebend und nach zwei Übergangs-CEOs übernahm Musk im Oktober 2008 und führte den dreifachen Titel des CEO, Chairman und Product Architect (diesen ellenlangen Titel behielt er bis 2014, als er einfach „CEO“ wurde). Keine dieser Positionen wäre 2008 allzu attraktiv erschienen. Direkt nach Übernahme der Führungsposition musste er sich mit der globalen Finanzkrise auseinandersetzen und versuchte gleichzeitig, SpaceX am Leben zu erhalten, dessen erste drei Startversuche gescheitert waren.
Justine und er hatten bis zu diesem Zeitpunkt fünf Söhne – einmal Zwillinge und einmal Drillinge –, aber auch Eheprobleme. Musk reichte die Scheidung ein und begann innerhalb weniger Wochen eine Beziehung mit der jungen britischen Schauspielerin Talulah Riley. Er war von ihr bezaubert und machte ihr relativ schnell einen Heiratsantrag, den sie annahm. (Sie heirateten 2010.)1 Damals lebte Musk in Los Angeles und hatte sich sehr verändert.
Musk sah nicht mehr wie der typische Software-Designer ohne Modegeschmack aus, sondern wie jemand, der für die Titelseiten landesweit verkaufter Zeitschriften und Late-Night-Talkshows geeignet war. Schon bald hatte er dieses Ziel erreicht. Im Dezember 2008 war er Gegenstand eines schmeichelhaften Porträts in GQ mit dem Titel „The Believer“ (Der Gläubige). Das dazugehörige Bild zeigte Musks Kopf über den Wolken – nicht in ihnen –, wie er ins All hinausblickte. Im April 2009 war Musk Gast in der Late Show with David Letterman, um über das Concept Car Model S zu sprechen. Im selben Jahr war er Gegenstand eines Artikels im New Yorker, wofür man ihn mit seinen fünf Söhnen vor einem Tonmodell des Autos fotografiert hatte.
Und weitere Porträts in Zeitschriften folgten – Wired (2010), Forbes (2012), Esquire (2012), Fortune (2013) –, zudem war Musk eine zentrale Figur in der Dokumentation aus dem Jahr 2011, Revenge of the Electric Car, die das Unternehmen Tesla zeigte, wie es mit der Finanzkrise kämpfte, den Roadster vermarktete und das Model S enthüllte. Hinter den glamourösen Titelstorys und den Fernsehauftritten stand jedoch eine Durchsetzungsfähigkeit, die die Worte und Bilder nicht ganz einfangen konnten. Um seine Firma so weit zu bringen, hatte Musk Geld zusammengekratzt, sich durchgebissen und alles gegeben.