Von jetzt ab will ich es so halten: Die Titel meiner Lieblingsbücher stehen kursiv genauso wie Zitate daraus, alle anderen Titel, auch die von Opern, Filmen oder Gemälden, in doppelten »französischen Klammern«.
Majakowski, Norderney, nachgedichtet von Hugo Huppert, Frankfurt (Suhrkamp) 1980; WW I 1, 95.
Dreißig Jahre lang trugen die Bücher des Deutschen Taschenbuch Verlages (dtv) das Gesicht der von Piatti gestalteten Umschläge – dem jeweiligen Buchcharakter ideal anverwandelt. Mit dem monomanen Tomi Ungerer für Diogenes und Willy Fleckhaus, der das kantige Profil der Suhrkamp-Kultur zeichnete, bildete er das Dreigestirn der genialen Buchgestalter zu Zeiten der Bundesrepublik, als Bücher zur unverwechselbaren ›Marke‹ wurden.
Dazu fällt mir, um nun nicht in Trauerstimmung zu verfallen, eine Geschichte ein. In der kleinen Stadt, in der ich wohne, eröffnete ein junger Mann einen Gemüseladen und nannte das Geschäft »Van-See« nach dem großen Zentralgewässer seines Heimatlandes Armenien. Als ich den stolzen Besitzer fragte, ob wohl die ansässigen Kleinstädter mit dem Namen seines Geschäfts etwas verbinden könnten, erwiderte er prompt: »Wieso, jeder hier kennt den Wann-See!«
Den Teil der Leserschaft, den ich gerade entsetzlich langweile, möchte ich mit der Nachricht elektrisieren, dass aus ebendiesem Hartford die »Gilmore girls« stammen, die besten Botschafterinnen amerikanischen Esprits bei uns seit langem.
Ein toller Spaß, in dem der naive Alphonse in der Sierra Morena mit den Machenschaften der im Untergrund agierenden Familie der Gomélez aneinandergerät und ganz schön gruselige Abenteuer erlebt. Zwischendurch gibt auch der Ewige Jude Anekdoten aus seinem bewegten Leben zum besten. Echtes Lesefutter von einem Autor, der im Namen der Aufklärung das ganze Arsenal des Schauer- und des Abenteuerromans für uns auffährt.
Cervantes, Don Quixote von La Mancha, übersetzt von Ludwig Tieck, Neuausgabe Zürich (Diogenes) 1987; 520.
Leider verwirren die russischen Romane durch die Vielfalt der Namen. Zunächst die Koseformen der Vornamen: Ein Alexander/Alexej ist auch ein Sascha oder Aljoscha, eine Natalja gleichzeitig eine Natascha, Tatjana heißt auch Tanja. Dann der Vatername. Er steht an zweiter Stelle hinter dem Vornamen. Häufig werden die Figuren nur mit Vor- und Vaternamen bezeichnet. Der Vorname von Nastasjas Vater ist also Filipp.
Dostojewskij, Der Idiot, übersetzt von Arthur Luther, München (Winkler) 1973; 20; 16; 226; 31f.; 463; 143f.; 776.
Mehr dazu im Kapitel 5 über den Ursprung der Gnosis und in Kapitel 8 über Dostojewskij als Gnostiker. Zum Wesen der Gnosis gehört allemal das Verbrechen, das ja in fast allen Religionen seinen Platz hat. Nicht nur Abraham opfert Isaak, auch Gottvater seinen eigenen Sohn …
Melville, Moby Dick oder Der Wal, übersetzt von Richard Mummendey, München (Winkler) 1964; 11; 25; 30; 53; 105; 118; 119; 147; 166-168; 213f.; 667; 681
Das ist ein persischer Christ.
London, Feuer auf See, übersetzt von Erwin Magnus, in: Südseegeschichten, Berlin (Universitas) 1926; 214ff.
London, Der Ruf der Wildnis, übersetzt von Lisa H. Löns, Berlin (Universitas) 1907; 9.
Goethe hatte auf die erstmalige Synthese einer organischen Substanz durch Friedrich Wöhler – ihm gelang es in seiner Retorte, den Harnstoff herzustellen – noch reagieren können, indem er im Zweiten Teil des Faust den Famulus Wagner den Homunculus (das ›Menschlein‹) in einer Phiole erschaffen ließ. Der begrüßt Mephisto als seinen wahren Schöpfer mit den Worten: Du aber, Schalk, Herr Vetter, bist du hier / Im rechten Augenblick? Ich danke dir. Hellsichtig hat Goethe, der Liebhaber des ›Bedeutenden‹, das zukünftige Feld der neuen Wissenschaft abgesteckt.
Das Ganze einfühlsam beschrieben in Eckart Kleßmanns Pückler und Machbuba.
Diese Information verdanke ich dem ebenso aufschlussreichen wie erschütternden Buch Der Brand von Jörg Friedrich; vielleicht sollte man zum Kassenfüller doch wieder Kassenknüller sagen.
Rowohlts Rotations-Romane erschienen zuerst im Format und in der Ausstattung einer Tageszeitung. Der Fan erinnert sich, das Motto der Krimi-Reihe lautete A faint cold fear thrills through my veins und stammt von Shakespeare, Romeo and Juliet, Act IV, Scene 3.
Es ist mehr Stil als Haltung, was Lernet-Holenia auszeichnet. Den Großen Krieg hatte er – neben der Standarte – auch noch als passenden Aufhänger für die erotisch-sportiven Abenteuer eines jungen Herrn in Polen genommen; die unfreiwillige Teilnahme des österreichischen Leutnants der Reserve Wallmoden am Überfall auf Polen im September neununddreißig kulminiert immerhin schon im unheimlichen Bild der nächtlich wandernden Krebse, das Mars im Widder zu einem so beunruhigenden Buch machte, dass es, bereits gedruckt, noch vor Auslieferung verboten und selbst zum Kriegsopfer wurde: Eine wohlgezielte Phosphorbombe vernichtete die gesamte Auflage, sodass es nur zufällig (in den Korrekturfahnen) erhalten blieb. Nach dermaßenem Kriegsunglück wurde Lernet-Holenia endgültig zum Pazifisten. Wie sagt ein lateinisches Sprichwort? Habént sua fáta libélli – Büchlein haben so ihre Schicksale.
Mark Twain, Das Interview, übersetzt von B. Neuwald-Morton, Augsburg (Weltbild) o.J.; WW I, 34.
Verne, Zwanzigtausend Meilen unter den Meeren, nach der Übersetzung von Joachim Fischer, Frankfurt (Bärmeier&Nikel) 1966; 103.
Höhepunkt des Buches, wie der vielseitige Kammerdiener Passepartout die Ärmste vom Scheiterhaufen ihres Gatten rettet. Witwenverbrennungen kommen in Indien bis heute vor.
Adagia, eine Erklärung von Sprichwörtern, und Lob der Torheit sind Werke von ihm, die man mit Lust und Gewinn zur Hand nehmen kann. Da die Torheit griechisch ›moria‹ heißt, hat er letzteres seinem Freund More gewidmet – so neckte man sich damals. Als Bewegung hat der Humanismus die allergrößte Bedeutung, stellt er doch die Abkehr vom mittelalterlichen Prinzip dar, Gott ins Zentrum allen Denkens zu stellen. Dorthin gehört seitdem: der Mensch. Erasmus sei Dank!
Die Namengebung Swifts erreicht Thomas Mann’sche Dimensionen, was die einfallslose Drastik angeht. La puta ist spanisch, in jedem Wörterbuch nachzuschlagen.
Auch ein grandioser Tarkowskij-Film: »Stalker«!
Was für ein Rezept: Wenn das Portemonnaie leer ist, eine Idee aus dem Ärmel ziehen. Großmeister dieser Kunst war der bedeutende Physiker und Theoretiker Henry A. Rowland, ein Verächter materiellen Wohlstands. Als aber die Ärzte bei ihm Diabetes – damals noch nicht behandelbar – diagnostizierten, erfand er flugs etwas Sinnvolles (den Typentelegraphen) und schaffte es so noch, seine frisch angetraute Gattin als steinreiche Witwe zurückzulassen! Das sind wahre Helden des Geistes, die im entscheidenden Moment sich auch auf die widrigsten Bedingungen einzustellen in der Lage sind.
Mark Twain, Fenimore Coopers Verstöße gegen die Literatur, übersetzt von B. Neuwald-Morton, Augsburg (Weltbild) o.J.; WW I, 130; 128.
Lewis & Clark, war da nicht noch was? Richtig! Al Lewis und Willy Clark, auch bekannt als The Sunshine Boys. In der Komödie von Neil Simon sind sie nicht nur die Nachfahren des Entdeckerpaares, sondern auch die Enkel von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Wie diese zerstrittenen Lebensgefährten auch im Unruhestand nicht ohneeinander sein können, mimen auf der Leinwand unvergleichlich Walter Matthau und George Burns. Mit diesen Zweien ging allerdings auch eine Ära der Komik zu Ende, der wir nur hinterhertrauern können. Burns, der im Arztsketch den Patienten gibt, starb vor nicht so langer Zeit in seinem hundertersten Lebensjahr.
›Die vom Weg Abgekommene‹ Violetta Valéry; ihr Vorbild in der Wirklichkeit hieß Marie Duplessis.
Das wird der Liebhaber sakraler Kunst kaum glauben wollen, ist die Lilie doch Zeichen der Reinheit und darf auf keiner ›Verkündigung‹ fehlen, wenn der Erzengel Gabriel – derselbe, der Mohammed den Koran diktierte – Maria ihre alsbaldige Empfängnis des Erlösers mitteilt. Wie so oft heben sich auch hier die absoluten Gegensätze auf. Im Italien der Renaissance war dieses Fruchtbarkeitsthema besonders beliebt, vielleicht am schönsten dargestellt von Leonardo da Vinci, heute in den Uffizien in Florenz zu besichtigen – wenn man eine Eintrittskarte vorbestellt hat! – mit einem dynamisch heranrauschenden Engel. Die weiße Lilie gehört natürlich auch ins Wappen der Bourbonenkönige.
In Krummhübel, in der Sommerfrische, sitzt Fontane in der Pension an seinen Versen, am Nebentisch liest man in der Hauszeitschrift den neuesten Romanvorabdruck. Ob es wohl seine »L’Adultera« ist? Er spitzt ein Ohr, das ist genau sein Publikum, ein Anwalt mit Frau, sie ist begeistert, will das Werk noch ein drittes Mal lesen. Aber die Enttäuschung folgt auf dem Fuß, statt seiner subtilen Ehebruchsgeschichte bevorzugt die Bürgersgattin »Ein armes Mädchen« der Wilhelmine Heimburg, der Nachfolgerin der Marlitt. Gut, wenn man einen Busen zum Ausweinen hat: Ich glaube nicht, daß jemals ein Ehepaar irgendwo gesessen und über irgend was, das ich geschrieben, auch nur annähernd mit solcher Begeisterung gesprochen hat, klagt Fontane postalisch seiner Emilie in Berlin. Des Widerspruchs der treuen Ehefrau konnte er sicher sein. Wenigstens ein Trost.
Puschkin, Die Hauptmannstochter, übersetzt von Arthur Luther, Frankfurt (Insel) 1973; WW IV, 326.
Nabokov, Nikolaj Gogol, übersetzt von Jochen Neuberger, Reinbek (Rowohlt) 1990; WW XVI, 16f.
Gogol, Taras Bulba, übersetzt von Josef Hahn, in: Sämtliche Erzählungen, München (Winkler) 1961; 303.
Nach Frankreich zogen zwei Grenadier, / Die waren in Rußland gefangen. / Und als sie kamen ins deutsche Quartier, / Sie ließen die Köpfe hangen. // Da hörten sie beide die traurige Mär: / Daß Frankreich verloren gegangen, / Besiegt und zerschlagen das große Heer – / Und der Kaiser, der Kaiser gefangen. // Da weinten zusammen die Grenadier / Wohl ob der kläglichen Kunde. / Der eine sprach: »Wie weh wird mir, / Wie brennt meine alte Wunde.« // Der andre sprach: »Das Lied ist aus, / Auch ich möcht mit dir sterben, / Doch hab ich Weib und Kind zu Haus, / Die ohne mich verderben.« // »Was schert mich Weib, was schert mich Kind, / Ich trage weit beßres Verlangen; / Laß sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind – / Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! // Gewähr mir Bruder eine Bitt: / Wenn ich jetzt sterben werde, / So nimm meine Leiche nach Frankreich mit, / Begrab mich in Frankreichs Erde. // Das Ehrenkreuz am roten Band / Sollst du aufs Herz mir legen; / Die Flinte gib mir in die Hand, / Und gürt mir um den Degen. // So will ich liegen und horchen still, / Wie eine Schildwach, im Grabe, / Bis einst ich höre Kanonengebrüll, / Und wiehernder Rosse Getrabe. // Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab, / Viel Schwerter klirren und blitzen; / Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab – / Den Kaiser, den Kaiser zu schützen.« Unvergleichlich hat Heine in Die Grenadiere den Geist der alten Garden eingefangen, die bei Waterloo zum letzten Sturm antraten. Robert Schumann hat die ebenso unvergleichliche Vertonung besorgt – die Ballade schlechthin.
Oder willst Du, wie der Dieb des Himmelsfeuers, dem Stoß widerstehen? Und mit ihm, dem Unversöhnten, seinen Geier und seinen Felsen teilen? Byron hat in seiner Ode an Napoleon Bonaparte dessen weiteres ›romantisches‹ Schicksal vorausgefühlt.
Ich musste es nachschlagen: Es handelt sich um den zum Ende des Siebzehnten Jahrhunderts auf der Insel Mauritius ausgestorbenen Dodo, einen wahrlich seltsamen Vogel. Der originelle Grabbe verlangt für seine Menagerie davon ein Exemplar – kein Wunder, dass Napoleon oder die hundert Tage zu seinen Lebzeiten unaufgeführt, weil unaufführbar, blieb.
Und mit einiger künstlerischer Freiheit: Weder gibt es eine Kartause in Parma noch das furchteinflößende Staatsgefängnis mit dem riesigen Turm, den man über die ganze Poebene sehen kann. Aber der große Individualist Stendhal amalgamiert Phantasie und Wirklichkeit zu seinem Italien, so schön und welthaltig wie das wirkliche.
Der herkunftslose Filibuster kommt durch dieselbe Schlamperei des Zufalls zu seinem Namen wie später der kleine Vito Andolini aus dem sizilianischen Corleone, der bei der Einwanderung in die USA den Namen seines Geburtsorts verpasst bekommt und den Mario Puzo in Der Pate sowie Robert De Niro/Marlon Brando als Obermafioso Don Corleone, »The Godfather«, im Film zum Verbrecherhelden der Zeitgeschichte machten.
So beginnt und endet auch Richard Wagners »Ring des Nibelungen«, also eine Art Welterlösungstonart.
Die beste Napoleon-Biographie stammt vom Niederländer Jacques Presser, dessen kritische Haltung sich schon im Untertitel Das Leben und die Legende zu erkennen gibt.
Für diese gemeinsame Übung saßen sie auf Chorstühlen, die statt Sitzflächen nur kleine Knäufe, schmaler als Fahrradsättel, boten. Wer einschlief, plumpste auf den Boden – zum Gaudium der Mitbrüder. Heute leben noch drei Mönche in der Klause, von denen wir hoffen, dass sie einfühlsamer miteinander umgehen.
Als Rienzi, der letzte der Tribunen Romanheld Bulwer-Lyttons und Opernheld Richard Wagners.
Was im Zeichen des Klimawandels sicher so nicht bleiben wird. Darum schaffe sich jeder beizeiten Maßstäbe und jammere nicht, wenn das freie Reisen zu Vergnügungszwecken weltweit eingeschränkt werden wird.
Wie so häufig nicht der beste von diesen, erhielt Moravia den Literaturnobelpreis für kalkuliert skandalöse Episoden aus dem Leben der ›einfachen Leute‹ in Die Römerin oder La noia – Die Langeweile. Den harten und grausamen Alltag auf Sardinien beschrieb die eingeborene Grazia Deledda in Schilf im Wind, die dafür ebenfalls mit dem Preis geehrt wurde; allerdings handelt es sich nicht um tourismusfördernden Lesespaß unter azurblauem Himmel, sondern um die dürre Geschichte von ein paar alten Schwestern, bei denen die Zeit stehengeblieben ist.
Erfolgreiche Musiker leb(t)en meist ausschweifender als ihre schreibenden Künstler-Vettern. Um so dringender ihre Ehrenrettung, wie auch im Fall Puccini. Wer der Ansicht war, dass er ein treuer Ehemann und sorgender Vater gewesen ist, brauchte nur in Luccas ehrwürdiger via Fillungo das Traditionscaffè »di Simo« aufzusuchen und sich in die dort ausliegende Liste einzutragen. Schlechte Nachrichten für Puccini: Liste und Lokal sind seit neuestem geschlossen.
Bevor der Verlag mit Protestschreiben von Romanisten bombardiert wird, hier das Original zur Ehrenrettung des Dichters: L’Arrivismo // Un giorno ’na Lumaca forastiera / che venne a Roma in mezza a la verdura / trovò un Grillo e je disse: – So’ sicura / che faccio una bellissima cariera, / ché qui qualunque fregno se presenta / diventa granne subbito, diventa …
Schild ist im Niederdeutschen gleich Bild, schildern bedeutet also zunächst ›malen‹.
Viele aus der Antike überlieferte Werke tragen so unspezifische Überschriften – meist aber gar keine, die uns bekannt geworden wären –, dass spätere Generationen sich bemüßigt fühlten, griffigere Titel zu erfinden.
Das muss nichts Schlimmes sein.
Auch Wells selbst gehört in diesen Abschnitt des Kapitels, hat er doch eine Weltgeschichte in drei dicken Bänden geschrieben, die seit langem nur noch in einer Kurzform greifbar ist. Interessant und unterhaltsam ist seine Sicht auf die Entwicklung unseres Globus – selbstverständlich ist das British Empire in seiner Darstellung der Anfang vom Ende.
Die Anekdote ist so prägnant wie – erfunden. Ich erzähle sie trotzdem. Man soll sich nicht jedes Vergnügen versagen. Der kühne Federico da Montefeltro aus dem unbedeutenden Urbino ist ein Beispiel für den damals vielgefragten Typ des Condottiere: ein gebildeter und politisch versierter Mann, dessen militärische Stärke man sich mieten konnte, wenn der Preis stimmte. Er stammt aus der Zeit, als der deutsche Kaiser mit dem Papst um die italienische Vormacht rang: kaiserliche Ghibellinen (Waiblinger) gegen Guelfen (papsttreue Welfen). Es konnte nur einen Sieger geben zu einer Zeit, als die Kirche alle Macht auf Erden hatte.
Ahnfrau der psychoanalytischen Biographie ist die splendide Prinzessin von Griechenland Marie Bonaparte – Freudpatientin, -schülerin und -retterin – mit ihrer bahnbrechenden dreibändigen Studie über Edgar Allan Poe, bis heute Kronjuwel des Genres. An Poe gibt es, angefangen mit seinen tatsächlich sehr merkwürdigen Beziehungen zu Frauen, jede Menge zu studieren, was ihn zum idealen Patienten gemacht hätte.
Ein Déjà-vu: Altdorfer konnte, im Gegensatz zu uns, das in Pompeji gefundene Mosaik noch nicht kennen, das dieselbe Szene sozusagen in Nahaufnahme zeigt: Alexander mit dem übergroßen Auge auf seinem Schlachtross, dem Bukephalos; beim Anblick des heranpreschenden Helden ist der Schrecken ins Gesicht des sich bis zu diesem ›Augenblick‹ für unbesieglich haltenden Perserkönigs geschrieben.
Durch Eugène Fromentin; Näheres in Kapitel 4.
Original ist beispielsweise ein Bild, an dem vom Künstler während des Schaffensprozesses Änderungen der Komposition vorgenommen wurden (›pentimenti‹, die Sprache der Wissenschaft ist italienisch), nachgemalt eins, das keine Vorzeichnung oder Veränderungen während des Malvorgangs erkennen lässt, also nötig hatte, usw.
Leider heißen alle Bücher, die ich hier nicht namentlich erwähne, Rembrandt, sind also an ihren Titeln nicht zu unterscheiden.
Ausnahmen sind seine Gruppenporträts: die »Nachtwache«, das ist die nicht ganz naturgetreue Darstellung einer Schützengilde, die beiden »Anatomien« (zu sehen sind Männerclubs zur Erforschung des menschlichen Körperbaus, die von einem Professor in die Besonderheiten der vor ihnen liegenden Leiche eines Hingerichteten eingewiesen werden) sowie die »Staalmeesters«, das ist der versammelte Vorstand der Tuchmacherzunft – allesamt ›Spezialaufträge‹ für den großen Menschenkenner Rembrandt.
Eigentlich, so erzählt Hitchcock seinem neugierigen Interviewer François Truffaut, ist der MacGuffin ein Hilfsmittel, um in den Adirondaks Löwen zu fangen – wo es sie seit schätzungsweise einer Million Jahren nicht mehr gibt.
Dessen Aktivitäten werden mehr und mehr zum Paradigma, wie ›Wissenschaft‹ eben auch funktioniert. Nach den vielen Abschreibungen von Rembrandtgemälden fangen die Fachleute jetzt an, ihre eigenen früheren Urteile ›wissenschaftlich‹ zu untersuchen – und zu revidieren – unter dem Motto: Irren ist menschlich.
Eine eindrucksvolle, in ihrer milde altersweisen Heiterkeit ehrfurchtgebietende Erscheinung. Er verstarb als letzter der sechs in ›biblischem‹ Alter.
Rabelais, Gargantua und Pantagruel, übersetzt von Walter Widmer und Horst P. Horst, München (Winkler) 1968; I, 347.
Villon, Eine verliebte Ballade für ein Mädchen namens Yssabeau (Ich bin so wild …), nachgedichtet von Paul Zech, in: Die lasterhaften Balladen des François Villon, München (dtv) 1962; 98.
Formell regiert noch sein Vater, Kaiser Karl V.; erst zwei Jahre nach Erscheinen des Buches übernimmt Philipp, der sich bald den Escorial bauen wird, die Regentschaft und bekommt die üblichen Probleme mit seinem missratenen Spross Don Carlos.
Sterne, Tristram Shandy, übersetzt von Michael Walter, Zürich (Haffmans) 1983; I, 9f.; 19.
Der abschließende Satz 7 seines ohnehin lakonisch kurzen Tractatus logico-philosophicus – Logisch-philosophische Untersuchungen, den er in seinem Tagebuch so vorbereitet hatte: Was man sich nicht denken kann, darüber kann man auch nicht reden. Schon Hamlet war mit den Worten abgetreten: Der Rest ist Schweigen.
Gracián Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit, übersetzt von Arthur Schopenhauer, Frankfurt (Insel) 1986; 126.
Dessen Sohn Horace erfand für seinen Wohnsitz Strawberry Hill die Neogotik und nebenbei den Schauerroman, wobei Die Burg von Otranto zwar mysteriös, aber eigentlich nicht wirklich schauerlich ist.
Man hat sie gerade als eine ebenfalls ungebildete Frau Plühr identifiziert; wieder ein Triumph der Germanistik! Thomas Manns Humor arbeitet sich stets an wehrlosen Opfern ab, nie hat er einen satirischen Blick auf Großwild gerichtet – demütig huldigt er Wilhelm II. und Goethe in Königliche Hoheit und Lotte in Weimar.
»Mark Twain!« ist der Ausruf des Mannes am Lot, dass noch zwei Faden Wasser unter dem Kiel des Mississippidampfers sind. So schnell läuft man also noch nicht auf Grund.
Hrabal, Ich habe den englischen König bedient, übersetzt von Karl-Heinz Jähn, Frankfurt (Suhrkamp) 1994; 7.
Dieses Wort, von einem unserer Altbundeskanzler auf sich selbst gemünzt, gibt der Erleichterung darüber Ausdruck, dass er sich während der Herrschaft des Nationalsozialismus aufgrund seiner Jugend noch nicht in Schuld verstricken konnte.
Lukian, Gegen den ungebildeten Büchernarren, nach der Übersetzung von Peter von Möllendorff, Düsseldorf/Zürich (Artemis) 2006; 210.
Er hätte mehr Raum verdient für seine Gedichtsammlungen Phantasus und Blechschmiede oder als Überwinder eines ›Bühnennaturalismus‹ im Papa Hamlet, zusammen mit Johannes Schlaf – aber vergessener als Arno Holz könnte man heutzutage nicht sein. Nur in gelber Reclam-Uniform ist etwas von ihm beschaffbar. Ein Jammer!
–3 Michelet, Geschichte der französischen Revolution, übersetzt von Richard Kühn, Frankfurt (Eichborn) 1988; V, 195f.
Beim Blick in das Gesicht dieses Ehrgeizlings auf der alten Photographie mit dem vorgereckten Kinn und Zügen voller Niedertracht wird Dir schlagartig klar, wie die Zerstörung des ›alten‹ Paris und die Zerstörung Frankreichs durch Napoleon III. Hand in Hand gingen.
Mein Großvater, der mit einer Jüdin verheiratet war, benötigte zur Weiterführung seines Geschäfts – er war Kunsthändler mit eigenem Verlag – nicht nur einen ›arischen‹ Geschäftsführer, sondern selbst auch eine Abstammung, die reinblütiger als die des ›Führers‹ zu sein hatte – Hitler tat sich bekanntlich mit dem Nachweis von ›Ariern‹ in seiner Verwandtschaft nicht leicht. Ohne Mitgliedschaft in der »Reichskulturkammer« gab es keine Papierzuteilung, ohne Papier keine Kunstdrucke wie das vielgeliebte »Muttis Herzblättchen«. In Berlin befand sich die »Reichsstelle für Sippenforschung«, die dem Innenministerium unterstand. Im Überschwang, hervorgerufen durch mehrere diskret überreichte Briefumschläge mit Valuta-Füllung, wurde dort für meine Familie ein Stammbaum synthetisiert, der bis zu jener legendären Barbara Blomberg zurückreichte, mit der Karl V. ebendiesen Don Juan gezeugt hat.
Also: »Hundert in Frankreich, in der Türkei einundneunzig, aber in Spanien schon tausendunddrei!« Und in Deutschland, man höre und staune, immerhin zweihunderteinunddreißig!
Wir befinden uns im galanten Zeitalter, in dem Kunstmaler gleichzeitig als Kuppler tätig sein konnten.
Drei weiße Lilien führten die Bourbonen im Wappen.
Balzac, Eine dunkle Affäre (Wer heute Berichte aus dieser Zeit liest …), übersetzt von Eva Rechel, Zürich (Manesse) 1968; 22f. Natürlich findet sich die Stelle auch in: Die Menschliche Komödie, herausgegeben von Ernst Sander, München (Goldmann) 1971; IX, 292; diesmal hat Felix Paul Greve übersetzt.
Früher Fall von ›kollektivem Vergessen‹ also. Daraus ergab sich indes wieder Romanstoff von Dumas bis Balzac – von dem auch diese Einschätzung stammt.
Was ist bei Balzac der Unterschied zwischen Provinzleben und Landleben? Wer in der Provinz lebt, will nach Paris und kann es nicht, wer auf dem Land lebt, kann nach Paris und will es nicht.
Gozlan, Balzac in Pantoffeln, übersetzt von Ursula Seyffarth und Fritz Knöller, München (Heimeran) 1967; 54–56.
Casanova bevorzugte Schwitzen, ein naturheilkundlicher Ansatz. Zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts fand dann Paul Ehrlich das Salvarsan, das erste Medikament, das der Krankheit und nicht dem Kranken den Garaus machte. Dafür gab es einen Nobelpreis.
Maupassant, Bel-Ami, übersetzt von Ernst Sander, Stuttgart (Reclam) 1986; 3; 405
Die Stelle ist übersetzt von Renate Schein in: Manet (Ausstellungskatalog), Berlin (Frölich&Kaufmann) 1984, 280.
Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, übersetzt von Eva Rechel-Mertens, Frankfurt (Suhrkamp) 21976; I, 9; 63f.
Im Film »Die schöne Querulantin« von Jacques Rivette virtuos verkörpert von Michel Piccoli.
Natürlich ›England first‹, beherrschten die Briten doch auch die Handelswege des Opiums aus Afghanistan und Indochina.
Baudelaire, Die Blumen des Bösen (Die Katze), übersetzt von Friedhelm Kemp, München (Hanser) 1975; WW III, 119.
Stéphane Mallarmé, Der Azur, übersetzt von Karl Fischer, München (Hanser) 1992; 33.
Auch der Filmfreund kennt diese Verse. Doch wo hat er sie gehört? Paralysierte so der großmächtige Fantômas seine Gegner? Brachte Jean Gabin mit ihnen Simone Signoret auf die Palme? Bettete Django seine Opfer zur letzten Ruhe, diese Zeilen rezitierend? Nein, im Streifen »Der längste Tag« trägt der Nachrichtensprecher von BBC Europe sie vor, um die französische Résistance auf die bevorstehende Invasion der Alliierten in der Normandie vorzubereiten. Weltgeschichte im Tonfall melodischer Herbstdepression. Bravo!
Valéry, Die junge Parze, übersetzt von Paul Celan, Frankfurt (Suhrkamp) 1992; WW I, 77.
Die beiden einander würdigen Brüder, deren Mutter mit Rilke befreundet war, starben erst vor einer Weile, nach erfülltem, fast hundertjährigem Leben.
Bedenkenswert ist, wie Frankreich erst mit den Hugenotten, später mit dem königstreuen Adel auch zwei Generationen von Kulturträgern, Dichtern, Denkern ins Ausland jagte, und doch der Quell der Inspiration nicht zum Versiegen kam; wer heute über das Benehmen russischer Rubelmilliardäre an der Côte d’Azur lächelt, erinnere sich bitte, wie reich das Kulturleben der Sowjetunion gewesen ist, nachdem auch dort mit Adel und Junkertum wesentliche Bildungsschichten ausgerottet worden waren. Der menschliche Geist, scheint es, verweigert sich jedem Versuch der Zurückzüchtung, Einengung, Verwaltung. Das sollten wir auch für die Zukunft bei allen Arten von Manipulationen des Geistes im Auge behalten.
Am Schluss erhebt sich Cornelius in einem wasserstoffgefüllten gelenkten Ballon – Jules Verne wird grünlich um die Nase vor Neid, wir denken aber auch an LZ 129 und die Tragödie von Lakehurst – und entschwindet in die Unsterblichkeit. Sein Autor tat es ihm alsbald nach.
Dumas, Das große Wörterbuch der Kochkunst, übersetzt von Veronika Baiculescu, Wien (Mandelbaum) 2006; 238f.
Nachtigall, ick hör Dir … Wenn eine Schauspielerin Faust-in heißt, dann hat das ganz bestimmt etwas zu bedeuten. Wieder einmal zeigt sich hier das Phänomen, dass Namen sprechen.
La Bohème klingt nicht nur nach böhmischen Dörfern, gemeint ist die vermeintliche Freiheit und Ungebundenheit des Zigeunerlebens, das Murger in dieser Weltgegend lokalisieren zu können meinte.
Dieser Alleswisser hat – neben kleinen Romanen über Störtebecker oder die Borgias – eine Literaturgeschichte im Stenostil geschrieben. Wer darin vorkam, hatte es geschafft – oder ist trotzdem inzwischen komplett vergessen.
Jarry, Ubu. Stücke und Schriften, übersetzt von Hans Schwarzinger, Frankfurt (Zweitausendeins) 1987; 9.
Die Kollegen kannten ihn wohl: In André Gides Falschmünzern tritt er leibhaftig auf!
Die Idee hat was. Und gute Ideen kommen wieder: Der Schrei der Eule heißt der Roman von Patricia Highsmith, in dem ein Blick in ein fremdes Leben ausreicht, damit alle sterben müssen, die Robert Foresters Weg kreuzen. Er macht einen Krimi daraus.
France, Die rote Lilie, übersetzt von Caroline Vollmann, Zürich (Manesse) 2003; 482.
Titel seines jüngsten Erfolges: »Das Reck«! Sein Motto: »Die Wirklichkeit ist mir im Weg.« Bernards Replik: »Wie schade.«
Dieses Bild, das schönste von allen, befindet sich in Kassel, im Schloss Wilhelmshöhe – das auch sehenswert ist durch den monumentalen und urwüchsigen Schlosspark.
Freud hatte erkannt, dass der Monotheismus eine ägyptische Erfindung gewesen sein muss, und zwar präzise jenes Pharaos Amenophis IV., der die alten einer Unzahl Göttern gewidmeten Kultstätten entweihen und in der Wüste die neue Hauptstadt Achet-Aton oder Amarna errichten ließ, wo er mit seiner schönen Frau Nofretete den einzigen Sonnengott Aton anbetete. Obwohl schon sein Sohn Tutenchamun wieder zu den alten Riten zurückgekehrt und das Andenken an Amenophis, der sich selbst Echnaton genannt hatte, vernichtet worden war, liegt hier die Wiege aller Verehrung eines einzigen Gottes. Die ganze Geschichte beschreibt der Ägyptologe Jan Assmann in Moses der Ägypter sehr schön als ›Gedächtnisspur‹, die bis zu uns führt.
Viele besonders vornehme Städte der Apenninhalbinsel werden sich rühmen, von Trojanern gegründet zu sein, beispielsweise Padua von Antenor, der schon in der Ilias namhaft gemacht wird.
Die hellenistischen Bronze-Originale aus Rhodos sind nicht erhalten. Und jeder neue Fund kann die Welt der Archäologie umkrempeln.
Ärgerlich für Odysseus: Der Wohnsitz des Polyphem am Fuße des Vulkans Ätna ist nur einen Katzensprung von der Straße von Messina entfernt; für diese Distanz brauchte der Irrfahrer Jahre. Dafür konnte er aber als einer der ersten die Schönheiten der »Zyklopenküste« genießen; hier liegt Taormina, legendärer Rückzugsort von Giganten der Feder wie Oscar Wilde, Tennessee Williams oder auch Winston Churchill – noch ein Nobelpreisträger für seine Weltgeschichte.
Das Vokabular der Antike hat sich bis heute in jede ›Szene‹ hinein erhalten. Auch der Beruf des Schauspielers stammt aus dieser Zeit; Aischylos hatte noch selbst die führende Rolle übernommen, schon Sophokles arbeitete mit Profis, von deren Extravaganzen – speziell der Darsteller der Frauenrollen (als Gegenspieler des Protagonisten häufig die ›Antagonisten‹) – sich eine Menge Anekdoten erhalten haben.
Du glaubst mir nicht? Dann hör mal: Wotan ist der Chef eines Clans obdachloser, bettelarmer, dafür aber präpotenter Germanengötter. In Verkennung der prekären Situation hat er auf Drängen seiner Frau Fricka, der Hüterin von Heim und Ehe, für die ganze Familie eine Villa errichten lassen mit dem hochtrabenden Namen »Walhall« (Wagners eigene Bleibe hieß dagegen ganz bescheiden »Wahnfried«) von der Baufirma der Riesen Fafner & Fasolt – schlüsselfertig. Die Finanzierung ist, wie schon zu Wagners Zeiten üblich, höchst wackelig, als Kaufpreis ist Wotans Schwägerin Freia vorgesehen, eine reizvolle Wellnessexpertin mit eigener Obstplantage. Aber Wotan spielt falsch; heimlich hat er seinen alten Kumpan Loge, den umtriebigen Feuerkopf, losgeschickt, den Riesen irgendeinen wertlosen Plunder als Bezahlung anzudrehen. Dabei hat Loge entdeckt, dass der Zwerg Alberich, von den Rheintöchtern als Freier abgewiesen, aus Rachsucht deren Gold geklaut und sich unter Verfluchung aller schönen und guten zwischenmenschlichen Gefühle einen höchst machtvollen Ring geschmiedet hat, der seinem Willen alles untertan macht. Massenweise Schätze hat er so aufgehäuft. Loge verführt die Riesen, diesen Nibelungenhort als Bezahlung anzunehmen – nur wegnehmen muss man ihn dem als Bergbaudirektor tätigen Alberich noch. Zu diesem Behuf fahren Wotan und Loge (und zwar durch die Schwefelkluft – nicht durch den Rhein!) nach Nibelheim hinunter, nehmen den leichtgläubigen Nibelungen fest und ihm anschließend alles ab, nur um es umgehend an die Riesen weiterzureichen; die sind von Loge bereits für das Thema Macht und Kaufkraft sensibilisiert und geben Freia – von der die Götter mittlerweile gespürt haben, dass sie ihnen unentbehrlich ist durch ihre täglichen, verjüngend wirkenden Apfellieferungen – erst frei, nachdem Wotan auch Alberichs Ring rausgerückt hat, den er so gerne für sich behalten hätte. Aber Erda, die weise Erdmutter, rückt ihm gerade noch rechtzeitig den Kopf zurecht. Der arme Fasolt erfährt die Macht des Ringes umgehend am eigenen Leib, denn sein Bruder schlägt ihn darum gesundheitsschädigend mehrmals auf den Kopf und zieht mit dem Schatz übern Harz. Die Götter dagegen ziehen, bereits mit einem mulmigen Vorgefühl, in Walhall ein, die Rheintöchter gehen vorerst leer aus und Loge fragt sich, warum er bei solch einer Fülle von Straftaten mitgewirkt hat. Vorhang, aus – aber nur bis morgen, wenn die Walküre Brünnhilde ihren großen Auftritt hat.
Aischylos, Proteus, übersetzt von Franz Stoeßl, in: Die Tragödien, Zürich (Artemis) 1952; 390.
Der wackere Nürnberger Schuhmachermeister Hans Sachs kennt schon seinen (gerade erstmals ins Deutsche übersetzten) Plutarch und entnimmt ihm Stoffe für seine Tragödien, etwa Die Königin Kleopatra, er kann aber auch in Fastnachtsspielen munter reimen: »Wo will da hin Euer Genad?« / »Da will ich hin in ein Wildbad, / ob mir drin möchte geholfen werden.« / »Was habt Ihr am Leib für Beschwerden? / Habt Ihr etwan ein offnen Schaden?« / »Nein ich zwar, von den Gottes Gnaden!« So die Konversation des regenerationsbedürftigen Abtes mit dem Edelmann in Das Wildbad nach einer Novelle aus dem Decamerone.
Der Stararchitekt dieser Zeit, Andrea Palladio, schuf in Vicenza (zwischen Verona und Padua gelegen) mit dem »Teatro Olimpico« das Schmuckkästchen von Theater, das zum Vorbild aller solcher Bauten bis jetzt wurde. Noch heute stehen dort die Renaissancekulissen für den König Oedipus. Da kann man Theater spielen!
In der dortigen Franziskanerkirche, nach der Piero auch seinen Künstlernamen erhielt; eigentlich hieß er Pietro di Benedetto.
Als Goethe Sizilien besuchte und hier seine ›Urpflanze‹ fand, schwärmte er dazu, hier ist der Schlüssel zu allem. Syrakus ist heute eine mäßig quirlige Provinzstadt; mit seinen zwei Häfen war es eine der belebtesten und wehrtüchtigsten Metropolen der Antike. Ein Besuch lohnt sich unbedingt, nicht nur, weil man das ›Ohr des Dionysios‹, eine besonders furchterregende Grotte innerhalb des Staatsgefängnisses, heute noch besuchen kann. Das direkt daneben liegende herrliche Theater zeigt eindrucksvoll die übliche Verquickung von Kultur und Grausamkeit in der Antike.
Punier: nur ein anderer Name für die Bewohner Karthagos.
Die kahlen Hänge des Libanongebirges gemahnen noch heute an den antiken Schiffsbau, als das Herkunftsgebiet der seefahrenden Phönizier und der stolzen Zeder – des schönsten aller Bäume – im wahrsten Wortsinn ›verwüstet‹ wurde. Auch Umweltzerstörung ist ein Erbe der Antike.
Erstaunlicherweise war der ›Dialog‹ nie die Domäne der Bühne. Das erregte Hin und Her der Rede, die ›Stichomythie‹, war zwar unvermeidliches Beiwerk jeden antiken Theaterstücks, im Zentrum standen aber immerschon die Glanzleistungen der ›Monologe‹, bis zum Sein oder Nichtsein des lebensmüden Dänenprinzen Hamlet. Der Dialog gehörte die längste Zeit ganz dem Roman; erst seit neuerem wurden die Verhältnisse wieder geradegerückt, mit dem ›inneren Monolog‹ der Prosa und dem zwanglosen Gespräch im Konversationsstück.
Hesiod, Theogonie, übersetzt von Walter Marg, in: Sämtliche Gedichte, Zürich (Artemis) 1970; 33.
Die ›Grotten des Catull‹, eine riesige Villenanlage, die in eindrucksvoller Weise in den See hinausragt, sicher einer der schönsten Plätze der Welt, hat er aber nicht bewohnt. Das überstieg selbst die Vermögensverhältnisse eines Modepoeten. Die imposanten Ruinen, wenige Schritte abseits der Touristenströme, sollte man gesehen haben!
Lucilius, Satiren, übersetzt von Werner Krenkel, Berlin (Akademie) 1970; I, 131.
Dúlce et décorúm est pro pátriá morí – Süß und ehrenvoll ist das Sterben für’s Vaterland: Für solchen Schmus darf der beherzt am Schreibpult skandierende und mit einem Griffel als Waffe hantierende Lyriker nur in schlechten Zeiten auf Lob hoffen; solange Kritik noch erlaubt ist, kriegt er dafür nicht mehr als ’ne Kopfnuss.
Martial, Epigramme, übersetzt von Paul Barié und Winfried Schindler, Düsseldorf/Zürich (Artemis&Winkler) 1999; 511.
Auch Kant hat das noch so verstanden, als er, in der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, Philosophie definierte als System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe. Seitdem hat das Fach den universalen Anspruch und viel von seinem Charme verloren.
Djedefhor, Lebensregel, übersetzt von Hellmut Brunner, in: Altägyptische Weisheit, Zürich/München (Artemis) 1988; 102.
Parmenides, Die Fragmente, übersetzt von Ernst Heitsch, München/Zürich (Artemis) 1991, 9.
Heraklit, Fragmente, übersetzt von Bruno Snell, München/Zürich (Artemis) 1989; 9.
Seit das Genre endlich wissenschaftlich erforscht ist, gelten weder Heraklit noch Pascal weiter als Aphoristiker, da ihre Wahrsprüche (wörtl.: ›Abgrenzungen‹) nur eine Blütenlese bzw. Extrakte ungeschriebener Großwerke darstellen. Es gilt aber weiter, was Elias Canetti gesagt hat: Die großen Aphoristiker lesen sich so, als ob sie einander gut gekannt hätten!
Dass der Kynismus der Vorläufer unseres Zynismus, keinesfalls aber sein Gegenteil ist, wurde zuerst von Heinrich Niehues-Pröbsting in seinem Buch Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus dargelegt.
Diese Schriften kamen ›meta‹, nämlich: ›nach‹ denen zur Physik oder ›Belebten Welt‹.
Ein Name ist zu merken: die Su(i)da, das erste Konversationslexikon.
In seinem Werk über Abstieg und Fall des römischen Reichs hat Edward Gibbon diese Anekdote wiedergegeben mit der Quellenangabe des islamischen Geschichtsschreibers Abulpharagius und der Änderung, mit den Manuskripten hätte man sechs Monate lang die Öfen Alexandriens geheizt; sogleich übt der große englische Historiker des Achtzehnten Jahrhunderts aber an der Quelle und dem Inhalt Kritik und legt dar, dass wahrscheinlich in Alexandria nicht mehr viel zu zerstören übrig war. Vielleicht war auch gar nicht Heizperiode. Die Bibliothek führte nur noch ein Schattendasein. Das wird so gewesen sein. Mich interessiert mehr das Symbolische an der Geschichte, das der islamische Referent offenbar erkannt hat und in den Vordergrund stellen wollte: Auch wenn kaum etwas Brennbares zur Verfügung stand, Ziel Omars war es, der kulturellen Kontinuität der Antike ein Ende zu bereiten und eine eigene, andersartige dagegenzustellen. Anekdote bedeutet in meinem Verständnis nicht historische Wahrheit, wohl aber Gestaltung einer typischen Situation. Mohammed selbst hatte alle Religionen unter Schutz gestellt, die eine schriftlich fixierte Tradition vorweisen konnten. Wer eine Bibel oder ähnliches zur Hand hatte, wurde weder bekehrt noch seines Glaubens wegen massakriert.
Großvater des wirrsinnigen Ludwig II., der sich zum einen um Richard Wagner verdient gemacht hat, andererseits aber auch ein wahrlich manieristisches Micky-Maus-Schloss namens Neuschwanstein baute, das Geschmacklosigkeitsfanatikern aus aller Welt als in Stein gehauenes Mittelalter gilt.
Der größte Meister dieser Kunst hieß Polyklet. Er lebte und arbeitete in Argos, einem kleinen Kaff am Nordostrand der Peloponnes. Aber gerade hier formulierte er ein für allemal die Gesetze der Klassik als Meister der plastischen Gestaltung des Menschen. In seinem Buch Kanon oder Richtschnur (das genau wie alle seine Bronzeskulpturen verlorengegangen ist, erhalten haben sich nur römische Kopien bzw. lateinische Zitate) machte er deutlich, dass der Mensch, und nur der Mensch, Maß aller Kunst sein muss. Aufgabe des Künstlers hingegen ist, ihm göttliches Leben einzuhauchen. Polyklet erlöste das Standbild aus seiner Starre, typisch für seine Skulpturen ist die locker fließende Bewegung, die Spannung und Entspannung in ein Gleichgewicht bringt. An diesem Ideal und an Polyklets Proportionslehre hat sich bis heute kein Falsch gezeigt. Platon nennt ihn den perfekten Künstler und Michelangelos David wäre ohne Polyklets Vorbild nur ein Strichmännchen geworden.
Chamfort, Ein Wald voller Diebe, übersetzt von Fritz Schalk, Nördlingen (Greno) 1989; 272.
Als besondere Zierde werden beim Denker körperliche Gebrechen angesehen: Johnson etwa ist seit frühester Kindheit fast blind durch die Einwirkung der Skrofeln. Hier nun präsentiert uns Boswell, der auch noch mit seiner Reiselust und dem dadurch ermöglichten Besuch bei Goethe vorbildlich wurde, seine köstlichste Pointe, denn diese Skrofeln, die seit undenklichen Zeiten von den (wundertätigen) Königen durch Handauflegen geheilt wurden, gerieten auch in die Therapie der gerade zuständigen Queen Anne. Und siehe da, am künftigen Aufklärer versagte die Kunst der Königin! Das war zwar ein schöner Beleg für seine Resistenz und Renitenz gegen irdische Autorität, leider aber auch der Grund, warum Johnson zeit seines Lebens auf starke Sehhilfen angewiesen blieb.
Goldsmith, Johnson hat zwar etwas Grobes; der Nachweis dieser Stelle ist mir nicht möglich, vielleicht habe ich sie ja erfunden. Aber: se non è vero, è ben trovato!
»Così fan tutte« heißt Mozarts ganz ähnlich angelegte Feuerprobe der Herzen. Die Musik ist eigentlich zu schön geraten für eine so desperat herbe Handlung, denn Standhaftigkeit der Liebe kann man schlichtweg nicht beweisen – vortäuschen aber mit Leichtigkeit.
Sage niemand, Händel ginge uns nichts mehr an. Jede Fussballübertragung der höchsten, der »Champions-« Liga wird eingeleitet von seiner Krönungshymne »Zadok the Priest«.
Erich Fried übersetzt weiter: … dann, das ist die Frage: / Was ist das Edlere, im Geist zu dulden / Schleuder und Pfeil des rasenden Geschicks, – / Oder sich waffnen, einem Meer von Plagen / Trotzen und so sie enden? Sterben, schlafen, / Nicht mehr; wir sagen Schlaf, um so zu enden / Das Herzweh und des Lebens tausend Stöße, / Die Fleisches Erbteil sind. Eine Vollendung, / Aufs innigste zu wünschen. Sterben, schlafen / Schlafen, vielleicht auch träumen: Ah, da hakt sichs! –
Alle Zitate folgen den Übersetzungen von August Wilhelm Schlegel und dann Ludwig Tieck, der sich dabei von seiner Tochter Dorothea und dem Grafen Baudissin helfen ließ; sie entstanden später als die von Christoph Martin Wieland. Erich Fried hat für unsere Zeit eine umfassende Neuübersetzung vorgelegt, härter und straffer als die Vorgänger, aber wenn man einen Shakespeare-Ton im Ohr hat, dann ist es der von Schlegel/Tieck getroffene.
O, wird da mancher denken, ein Sonett / auf eine kleine, schlanke Zigarette? / Auf Mimi, Lilly oder Juliette / täts niemand wundern, daß man Verse dreht. // Und dennoch – ihr gebührt es mehr, denn seht: / Nichts gleißt verheißend auf der Etikette, / das ihre Seele nicht gehalten hätte. / Und ihre Glut ist innig, echt und stet. // Sie ist die Trösterin, wenn du betrübt / und deiner langen Weile süß Betören / sie ist das Opfer, das sich selbstlos gibt, // das Spiel, das man Verlegenheiten unterschiebt / und will ganz bis zum Ende dir gehören / gleich einem Mädchen, das dich ehrlich liebt.
Noch in meiner Jugend wurde das Herren-Finale von Wimbledon am Samstag ausgetragen, aus religiösen Gründen. Heute erinnert daran immer noch, dass der erste Sonntag des vierzehntägigen Tennisturniers spielfrei bleibt – wenn es bis dahin nicht zu viel geregnet hat!
Oder: Der steinerne Gast, wie das Stück mit vollem Namen heißt.
Im besetzten Warschau spielt eine Schauspieltruppe Hitler und seine Terrorschranzen überzeugender, als es die Originale sein könnten: So versucht Ernst Lubitsch in »Sein oder Nichtsein« dem Schrecken mit der Kraft des Lachens beizukommen. Extempores sind dabei erlaubt, wenn sie Heiterkeit im Publikum verursachen – daher das Motto.
Hübsches Stück Musik, selbst schon gehört!
Prometheus und EpimetheusPrometheus der Dulder