Nr. 7

 

Eine kosmische Bestimmung

 

Evolux und sein dunkles Geheimnis – ein Verschwörer wird gejagt

 

Marc A. Herren

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Der schwarze Mann

2. Flucht

3. In Beliosa

4. Rückkehr in den Orakelberg

5. Forschung am Chaos

6. Eine Falle für Heltamar

7. Das Fragment und die Theorie

8. Eine Falle schnappt zu

9. Eine halbe Stunde zuvor: Zurück ins Archiv

10. Das Reprotron

11. Metamorphose

12. Chaos im Kern

13. Verraten und verkauft

14. Zum Wahnsinnigwerden

15. Die Maskenträgerin

16. Zuvor: Verhängnisvolles Wissen

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Das Jahr 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Seit über 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Sie haben unzählige Planeten besiedelt und sind faszinierenden Fremdvölkern begegnet. Terranische Raumschiffe erforschen das Universum – manche werden zu Legenden, insbesondere die gigantische, hantelförmige SOL.

Perry Rhodan hat die Menschheit von Beginn an bei ihren Vorstößen ins All geleitet. Als er in der Milchstraße eine kosmische Katastrophe abwenden will, wird er unfreiwillig in die ferne Galaxis Tare-Scharm versetzt.

Dort stößt er auf Nachkommen der SOL-Besatzung und macht sich auf die Suche nach dem Mittelteil des Raumschiffs. Rhodan entdeckt, dass die Besatzung in einer Proto-Chaotischen Zelle gefangen ist.

Der erste Versuch, diesen Ort aufzuspüren, scheitert. Aber von unerwarteter Seite naht Hilfe, und Perry Rhodan erhält eine neue Chance. Er wird mit einer äonenalten Verschwörung konfrontiert – seine Mission gewinnt EINE KOSMISCHE BESTIMMUNG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner jagt einen Verschwörer.

Mahlia Meyun – Die Heilerin durchlebt eine Metamorphose.

Alaska Saedelaere – Der Mann mit der Maske steht vor einem Opfergang.

Colwin Heltamar – Der Yakonto denunziert die Menschen als Verräter.

1.

Der schwarze Mann

 

Plötzliche Kälte breitete sich in Mahlia Meyun aus.

In der Tür stand ein groß gewachsener Mann, der Perry Rhodan um mindestens eine Handspanne überragte. Er steckte in einer ölig-schwarzen Rüstung, die von feinen Nebelschwaden umwabert wurde. Am linken Handgelenk prangte ein golden leuchtendes Armband.

Eine Kunststoffmaske bedeckte sein Gesicht vom Kinn bis zum grauen Haaransatz. Die Maske schien nicht so recht zu der imposanten Rüstung zu passen, wirkte wie ein behelfsmäßiger Fremdkörper. Drei Schlitze waren über den Augen und dem Mund eingelassen. Aus ihnen trat ein irrlichterndes Leuchten, das den wachsamen Blick des Manns umspielte und die Lippen nur schemenhaft erkennen ließ.

Mahlia stockte der Atem. Von dem Fremden ging etwas Unerklärliches aus. Ein schwarzer Prophet, der Vergangenheit und Zukunft kannte.

»Alaska?« Verblüffung lag in Rhodans Stimme. Eine leichte Beunruhigung, aber auch ... Freude?

»Wie lange ist es her, Perry? Sieben, acht Jahrzehnte?« Der Mann hob einen fingerlangen, silbernen Gegenstand und presste den Daumen darauf. Sofort lösten sich die Halsringe und Ketten von den drei Gefangenen und polterten zu Boden.

Mahlia massierte sich den schmerzenden Hals. Endlich frei!

Rhodan ging auf den Mann zu, als wolle er ihn spontan umarmen. Der Schwarzgekleidete zuckte fast unmerklich zusammen, woraufhin Rhodan abrupt stehen blieb und ihm stattdessen die Hand zum Gruß entgegenstreckte. Nach kurzem Zögern ergriff der Fremde die Hand und drückte sie.

Acht Jahrzehnte haben sie einander nicht gesehen?, fragte sich Mahlia. Was waren sie zuvor? Freunde? Ehemalige Feinde? Sind sie gar miteinander verwandt? So unterschiedlich sie aussahen, ging von ihnen doch etwas aus, was sie verband. Acht Jahrzehnte ... Der Faktor Zeit. War dieser Alaska ebenfalls unsterblich?

»Wie kommst du nach Evolux?«

»Ich bin bereits einige Jahre auf der Weißen Welt«, antwortete der Fremde. Seine Sprechweise war eigentümlich stockend, als würde er nur alle paar Jahre in zusammenhängenden Sätzen sprechen. »Die LEUCHTKRAFT brauchte umfangreiche Reparaturen. Seither bin ich hier als Statthalter der Ordnung tätig.«

»Du bist der Statthalter?«, fragte Pravo Ylapp mit hörbarer Aufregung und einer Spur Bewunderung. Im Gegensatz zu Mahlia schien ihm der Fremde keine urtümliche Angst einzujagen. »Du hast kürzlich die SOL-Zelle Zwei ziehen lassen, als wir aus dem Tal aufbrechen wollten!«

»Ja, das stimmt. Mehr konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht für euch tun. Als offizieller Bote der Kosmokraten auf Evolux bekleide ich eine heikle Rolle, die ich unbedingt weiterspielen muss.«

»Diese LEUCHTKRAFT ist dein Raumschiff? Ist es ebenfalls eine Kugel, so wie unsere SOL-Zelle?«

Pravo und sein unstillbarer Hunger nach Wissen, dachte Mahlia. Sogar jetzt, unter diesen Umständen.

»Die LEUCHTKRAFT ist ein Schiff der Kosmokraten, das ich befehlige«, sagte der Fremde. »Es handelt sich um eine Kobaltblaue Walze.«

»Wie weit bist du über die Proto-Chaotische Zelle informiert?«, wollte Rhodan wissen.

Er reagierte auf die überraschende Wendung der Ereignisse offenbar ähnlich unbeeindruckt wie auf den Todesfall eines Mitstreiters: analytisch und kühl.

Unmenschlich.

»Mir sind eure Erlebnisse auf Skamant-Efthon und im Susmalsystem bekannt«, antwortete der Maskenträger knapp. »Aber wir haben im Moment nicht die Zeit, um alles aufzuarbeiten. Wir müssen so schnell wie möglich aus diesem Bereich entkommen, bevor meine Manipulation der Gefängnissysteme auffällt und Sicherheitsleute hergeschickt werden. Folgt mir!«

Er drehte sich um. Rhodan und Ylapp machten Anstalten, hinterherzugehen.

»Moment!«, stieß Mahlia aus. »Wer ist das, und in welcher Beziehung steht ihr zueinander, Perry?«

Rhodan blieb abrupt stehen, der Blick aus seinen graublauen Augen heftete sich auf sie. Tadelnd? »Dies ist Alaska Saedelaere. Wir sind ... wir haben einiges miteinander erlebt.«

»Er ist auch ein Zellaktivatorträger?«

Bevor Rhodan antworten konnte, machte Saedelaere eine verärgerte Handbewegung. »Zumindest war ich es. Und das muss fürs Erste genügen. Komm mit mir, wenn du nicht allein zurückgelassen werden willst.«

Er stapfte aus der Zelle, Rhodan folgte ihm, ohne sie erneut anzusehen.

Ylapp streckte ihr zögernd eine Hand entgegen. »Komm, Mahlia. Ich bin für dich da.«

»Es sieht eher so aus, als wärst du für die beiden da«, flüsterte sie wütend.

»Sie ... Sie interessieren mich«, gab er entschuldigend zurück. »Aber ich will nichts mehr, als dir eine Stütze zu sein nach deinem Verlust.«

»Ich brauche keine Stütze«, erwiderte sie so leise, dass es garantiert nur Ylapp hören konnte. »Ich brauche jemanden, der Rhodan zur Rechenschaft zieht! Verstehst du?«

»Wo bleibt ihr?«, rief Saedelaere von draußen.

Mahlia ergriff Ylapps Arm, sah ihm stumm in die Augen.

Der ehemalige Bescheidene Diener Senns nickte. »Ja, ich verstehe.«

Zusammen verließen sie die Gefängniszelle. Alaska Saedelaere tippte mit dem rechten Zeigefinger auf der Innenseite des linken Unterarms herum, woraufhin die Zellentür zufuhr und sich ein seidenes Glänzen darüberlegte.

Ylapp runzelte die Stirn. »Ich dachte, hier funktioniert alles mechanisch. Wurde nicht zuvor ein Schlüssel benutzt?«

»Nur eine akustische Illusion«, erläuterte der Maskenträger. »Ihr solltet den Eindruck eines archaischen Kerkers erhalten. Auch die Ketten und Halsringe waren positronisch gesichert, ohne dass ihr es gemerkt habt. Psychologische Kriegsführung.« Von seinem Unterarm kam ein Fiepen. »Gleich wird eine Sathoxpatrouille hier vorbeikommen. Folgt mir!«

Mahlia sah sich argwöhnisch um. Der Zellentrakt war in ein diffuses, rötliches Licht getaucht. Der Gang war an die fünf Meter breit und mindestens fünfundzwanzig Meter lang. Auf jeder Seite gab es rund ein Dutzend Zellentüren. Vor den meisten davon zeigte das seidene Glänzen an, dass sie verschlossen und geschützt waren. Harrten dahinter weitere Gefangene aus?

Der Flur führte zu einem wuchtig aussehenden Schott. Wenn es sich öffnete und Sathox auftauchten, saßen sie erneut in der Falle. Als hätten ihre Gedanken etwas ausgelöst, flammte plötzlich die Deckenbeleuchtung auf, und über dem Schott wechselten fünf rote Leuchtpunkte die Farbe, wurden einer nach dem anderen grün.

Saedelaere eilte an das Ende des Gangs, wo er hastig eine Zellentür öffnete. »Kommt!«

Zusammen mit Rhodan und Ylapp rannte Mahlia auf die Zelle zu und hinein. Saedelaere schloss die Tür und tippte erneut auf den linken Unterarm. Mahlia sah nun, dass dort ein Sensorband in das lederartige Material eingelassen war. Darüber gab der Maskenträger offenbar Befehle ein. Sie fragte sich, mit welchen Machtbefugnissen jemand ausgestattet war, der sich als Statthalter und Bote der Kosmokraten ausgab – und weshalb sie herumschlichen wie Diebe. Irgendwas stimmte nicht.

»Kannst du als Statthalter nicht einfach befehlen, uns alle freizulassen?«, flüsterte Ylapp, der wohl ähnliche Überlegungen angestellt hatte. In seiner Stimme lag aber kein Misstrauen, eher Ehrfurcht und Bewunderung.

»Das könnte ich. Aber damit würde ich euch wahrscheinlich einen schlechten Dienst erweisen«, gab Saedelaere ebenso leise zurück. Dann legte er einen Zeigefinger vor den Mundschlitz seiner Maske.

Mahlia hielt den Atem an, lauschte angestrengt. Draußen erklang ein undeutliches Schaben, als riebe Metall auf Metall. Darauf folgte dumpfes Stampfen von mindestens einem Dutzend Füßen in klobigen Stiefeln.

Sathox!

Vor Mahlias innerem Auge erschien das Abbild der riesigen, fast quadratischen Wesen. Lederartige, schwarze Haut, wuchtige Köpfe mit Papageienschnäbeln, kleine gelbe, seelenlose Augen. Unerbittliche Kampfmaschinen in Körperpanzerungen und ausgestattet mit klobigen Strahlwaffen. Nichts, womit sie einfach so fertigwerden würden.

Die Schritte entfernten sich. Gingen die Wärter nun nachsehen, ob die Gefangenen noch in ihrer Zelle waren? Was würde geschehen, wenn die Sathox erkannten, dass sie geflohen waren?

Mahlia stieß die angehaltene Luft aus, atmete so leise wie möglich wieder ein. Dabei bemerkte sie einen eigenartigen Geruch nach Menthol und Schwefelwasser.

Sie stand nah bei Saedelaere – viel zu nah – und hatte eine der Nebelschwaden eingeatmet, die von seinem Anzug ausgingen.

Unwillkürlich machte sie einen Schritt von ihm weg. Sie wusste nicht, wie sie diesen Mann einordnen sollte. Rhodan, der den Tod von Elpin Vonnedal offenbar in der Zwischenzeit bereits vergessen oder verdrängt hatte, wirkte im Vergleich zu dem Schwarzgekleideten relativ menschlich. Als Rhodan den Fremden zuvor vorgestellt hatte, hatte Rhodan eindeutig sagen wollen, dass sie Freunde waren, sich aber im letzten Moment umentschieden. War Saedelaere sogar einem Perry Rhodan zu unheimlich? Zu entrückt, als würde der Maskenträger in anderen, vielleicht sogar kosmischen Sphären wandeln?

Was bedeutete das für Saedelaeres Menschlichkeit? Ging er noch unbeeindruckter über Leichen als Rhodan?

Mahlias schlechtes Gewissen meldete sich. Ihre falschen Entscheidungen hatten im Kolonnen-Fort Menschenleben gekostet. Aber waren die schrecklichen Gedanken, die sie seither plagten, nicht der Beweis für ihre eigene Menschlichkeit? Dass sie innerlich daran fast zerbrach, während ein Rhodan und wahrscheinlich auch ein Saedelaere kurz nach einem solchen Ereignis wieder zur Tagesordnung übergingen?

Gedämpfte Rufe von draußen stoppten sie abrupt in ihren Gedanken. Gleich darauf erklang ein dunkles Wummern, ein Zweiklang, der nichts Gutes bedeuten konnte.

»Sie haben Sektionsalarm ausgelöst«, kam es unter der Maske hervor. Saedelaere tippte mehrmals auf das Sensorband, ein handgroßes Hologramm erschien darüber. »Und nun überprüfen sie die anderen Zellen.«

Rhodan sah sich in der Zelle um. »Du hast uns nicht zufällig hierhergeführt.«

Eine Feststellung, keine Frage. Mahlia folgte Rhodans Blick, vermochte aber nicht festzustellen, worauf er sich bezog.

Saedelaere ließ das Hologramm verschwinden, ging auf die hintere Zellenwand zu, gab dann erneut einen Befehl ein. »Aus dieser Zelle gab es unlängst einen Befreiungsversuch«, sagte er. »Der entstandene Schaden wurde nur notdürftig mit einer formenergetischen Abschirmung versehen.«

Mahlia blinzelte.

Als ließe jemand Wasser über ein Aquarell laufen, begann die metallgraue Wand zu verschwimmen. Dahinter kam ein dunkles Loch zum Vorschein. Offensichtlich hatte dort vor nicht allzu langer Zeit eine starke Hitzeentwicklung stattgefunden. Es stank nach verschmortem Kunststoff. Energieleitungen ragten wie verrußte, abgetrennte Finger aus dem glasig erstarrten Wandmaterial. Der Durchlass führte auf einen schmalen Sims und dann schräg nach unten ins Dunkel.

Saedelaere nestelte eine Art Schnur aus einer Tasche seines Gürtels, zog sie auseinander. Vor Mahlias staunenden Augen wurde sie nicht nur länger und länger, sie teilte sich auch in vier Stränge, deren Durchmesser zunahm, bis jede Leine etwa daumendick war. Dann ergriff er eine Strebe am Lochrand und zog prüfend daran, schlang je ein Ende der Leinen darum und knotete sie mit geübten Handgriffen fest. Die losen Enden warf er in die Tiefe.

»Ich hatte gehofft, dass wir über diese Ebene fliehen könnten«, raunte er. »Nun wird es etwas umständlicher. Perry, du gehst voran, danach folgen Pravo Ylapp und Mahlia Meyun. Ich werde die formenergetische Abschirmung wieder aufbauen und nachkommen.«

Mahlias Unbehagen nahm zu. Rhodan hatte ihre beiden Namen nicht erwähnt, trotzdem kannte der Maskenträger sie. Und die Art, wie er Mahlia Meyun ausgesprochen hatte, erzeugte bei ihr eine Gänsehaut. Als wäre da etwas zwischen ihnen, eine Verbindung, eine Saite, die er in ihr zum Schwingen brachte.

»Wie weit geht die Reise?«, fragte Rhodan.

»Wenn du das Ende des Nanomaterialseils erreicht hast, wirst du dich in einem stillgelegten Positronikraum wiederfinden. Warte dort auf uns. Berühre nicht die Wände, sie sind mit einem Abwehrfeld gesichert.« Er räusperte sich. »Und vermeidet es auch, die Energieleitungen zu berühren. Sie sollten zwar alle abgeschaltet sein, aber eine Garantie gibt es nicht, und mir fehlt die Zeit, sie alle zu überprüfen.«

»Ich verstehe«, gab Rhodan knapp zurück. Er schlang eins der Seile um sich, ergriff es mit den Händen ober- und unterhalb seines Körpers und stieg mit sorgfältigen, kontrollierten Schritten in die Tiefe.

Als hätte er es schon Tausende Male getan.

Was können diese verdammten Aktivatorträger eigentlich nicht?, fragte sich Mahlia, während Ylapp es Rhodan gleichtat und dem Terraner mit deutlich unsichereren Bewegungen nachkletterte.

»Jetzt du. Schnell!«

Sie wollte schon aufbegehren, als direkt vor der Zellentür gedämpfte Stimmen ertönten. Die Sathox waren da.

Sie nahm den vorletzten Nanomaterialstrick und wollte ihn nervös zweimal um ihren Körper wickeln. Sicher war sicher.

»Das geht so nicht!«, beschied Saedelaere. Er zog ihr das Seil weg, packte sie unterhalb der linken Schulter grob am Arm und schob sie in den dunklen Schlund hinein.

Sie stieß einen erstickten Laut aus, aber Saedelaeres Griff war unerbittlich. Er drückte sie auf den Sims hinter dem Loch, drängte sich nach ihr selbst in den Hohlraum herein.

Die dünnen Sohlen ihrer Gefängnisschuhe schlitterten über die glasige Oberfläche des zerschmolzenen Materials. Sie hörte, wie die Zellentür geöffnet wurde.

Alaska Saedelaeres Hand schoss zu seinem linken Unterarm, an dem Mahlia Meyun zappelnd hing. Seine Fingerspitzen tanzten über die leuchtenden Symbole der Sensorleiste. Gleich darauf verschwand der letzte Rest von Licht.

 

*

 

Mahlia baumelte in tiefster Schwärze in Saedelaeres Griff. Schmerzwellen rollten durch ihre Schulter. Wenn sie sich nur um eine Winzigkeit drehte, würde ihr Arm aus dem Gelenk gekugelt. Angsterfüllt suchte sie mit den Füßen Halt, spürte eine schmale Kante, rutschte ab.

Verzweifelt tastete sie mit dem freien Arm nach irgendetwas, an dem sie sich festhalten konnte. Ihre Finger trafen auf etwas Hartes, Kühles. Sie griff danach und ließ gleich wieder los.

Eine Energieleitung!, dachte sie panisch. Sie würde sterben. Mahlia Meyun wollte schreien, den Horror und alle aufgestauten Gefühle einfach herauslassen.

Da ging ein Ruck durch ihren Oberarm. Alaska Saedelaere zog sie näher zu sich. Der Menthol-Schwefelgeruch seines Anzugs drang scharf in ihre Nase. Wie eine Ertrinkende schlang sie den Arm um seinen Körper.

Gleichsam von Zauberhand breitete sich eine unerklärliche Ruhe in Mahlia aus. Anstelle der Panik arbeitete ihr Hirn wieder normal, produzierte klare Gedankengänge. Gab es tatsächlich eine Verbindung zwischen ihnen? Ging sie von Saedelaere aus, oder war sein Anzug dafür verantwortlich?

Der Maskenträger hangelte sich an dem Seil langsam in die Tiefe. Mahlia klammerte sich an ihm fest und unterstützte das Unterfangen, indem sie mit den Füßen einen Teil ihres Gewichts abfing. Die Hauptarbeit indes musste Saedelaere leisten.

Seltsamerweise störte sie das in diesem Augenblick überhaupt nicht. Die eigentümliche Abgeklärtheit betäubte ihre Emotionen, schärfte ihre Sinne und Gedanken. Sie hatte den Eindruck, sie könne jede einzelne von Saedelaeres Bewegungen mitverfolgen. Die Sohlen seiner Stiefel fanden sogar auf dem glatten Untergrund perfekten Halt, als wären sie mit einer Klebefolie überzogen. Scheinbar mühelos ließ er sich am Strick hinunter, obwohl an seiner rechten Hand das Gewicht von zwei Menschen hing.

Durch den dünnen Stoff der Gefängniskleidung, die man ihnen nach ihrer Verhaftung aufgezwungen hatte, spürte sie die Eiseskälte, die von Saedelaeres Rüstung ausging.

Minutenlang ging es so weiter. Mahlia atmete die eigenartigen Ausdünstungen des Anzugs tief ein, forschte nach dieser Saite in ihr, die mit jedem Atemzug heller und klarer klang.

Was war das nur? Waren die Nebelschwaden mit Botenstoffen versetzt, die auf ihr Denken und Fühlen einwirkten? Aber weshalb sollte ein Schutzanzug so etwas tun? Kam die Verbindung doch von Saedelaere selbst? War es seine Aura als unsterbliches Wesen? Ein Hauch von Unendlichkeit? Ein kosmisches Bewusstsein, das Momentanem weniger Bedeutung beimaß und nach dem großen Ganzen strebte?

Seltsamerweise wirkten diese Eindrücke weder fremd noch unwirklich oder surreal. Ganz im Gegenteil ...

Unvermittelt schälten sich Saedelaeres Umrisse aus der Finsternis. Mahlia blickte nach unten und sah eine kreisrunde Öffnung, in die alle vier Seile hinabhingen.

Alaska Saedelaere stellte sie am Rand der Öffnung ab, entließ sie aus seinem Griff. Mahlia Meyun spürte, wie das Blut wieder gleichmäßig durch die Schulter zirkulierte. Die Betäubung fiel von ihr ab, und der Schmerz kehrte wild pochend zurück. Leicht schwankend, blieb sie stehen. Nicht die Schulter machte ihr zu schaffen, sondern die körperliche Trennung vom Mann mit der Maske und dessen Anzug.

»Geht es?«, kam es von dem Schwarzgekleideten, der sich nach wie vor nur mit einer Hand am Seil festhielt.

Sie nickte.

»Mahlia?«, flüsterte es von unten herauf.

Pravo Ylapp.

Sie holte Luft, ergriff die Leine und ließ sich daran hinabgleiten. Sie konnte sich an dem Seilmaterial erstaunlich einfach festhalten. Und wenn es durch ihre Hände glitt, wurden diese durch die Reibung nicht heiß, wie sie es erwartet hatte. Ein solcher Strick hätte ihnen im Tal gute Dienste geleistet.

Damals, als ihr Leben noch einfach und übersichtlich gewesen war.

Damals, als die Unendlichkeit noch nicht nach ihr gerufen hatte.

2.

Flucht

 

Mahlia Meyun gelangte in eine große, hell erleuchtete Kammer und setzte auf dem Boden auf. Perry Rhodan und Pravo Ylapp standen vor ihr. Der Raum war angefüllt mit blinkenden Maschinentürmen: Positroniken.

»Geht es dir gut?«, fragte Ylapp. »Du wirkst so ...« Er brach ab, fand offenbar nicht das passende Wort.

»Es geht«, sagte sie knapp. Dann trat Mahlia zur Seite, machte Platz für Alaska Saedelaere, der einen Atemzug später neben ihr landete.

Er zupfte zweimal an seiner Kletterleine, die daraufhin wieder mit den anderen drei Stricken verschmolz, dünn wie eine Schnur wurde und von oben in seine Hand regnete. Als er alles in seiner Gürteltasche verstaut hatte, erinnerte nichts an dem Knäuel mehr daran, dass es kurze Zeit zuvor das Gewicht von vier Menschen getragen hatte.

»Was nun?«, fragte Rhodan.

»Wir verschnaufen kurz, entwickeln einen Plan«, gab Saedelaere zurück. »Die Sathox dürften unsere Spur vorerst verloren haben. Aber der ausgelöste Alarm ist ein Problem.«