Nr. 9
Ins Herz der Finsternis
Vorstoß zur Proto-Chaotischen Zelle – Zeit und Raum verlieren ihre Bedeutung
Ben Calvin Hary
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Kataklysmus
1. Drei Stunden zuvor
2. SOL-Zelle 1
3. SOL-Zelle 1
4. SOL-Zelle 1
5. SOL-Zelle 2
6. SOL-Zelle 2
7. Minuten zuvor - SOL-Zelle 1
8. SOL-Zelle 1
9. SOL-Zelle 1
10. SOL-Zelle 1
11. SOL-Zelle 1
12. Zentrale der SOL-Zelle 1
13. Eine Stunde später
14. Zentrale der SOL-Zelle 1
15. SOL-Zelle 1
16. Zentrale der SOL
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Auf der Erde schreibt man das Jahr 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Seit über 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Sie haben unzählige Planeten besiedelt und sind faszinierenden Fremdvölkern begegnet. Terranische Raumschiffe erforschen das Universum, manche werden zu Legenden – insbesondere die gigantische, hantelförmige SOL.
Perry Rhodan hat die Menschheit von Beginn an bei ihren Vorstößen ins All geleitet. Als er in der Milchstraße eine kosmische Katastrophe abwenden will, wird er unfreiwillig in die ferne Galaxis Tare-Scharm versetzt.
Dort stößt er auf Nachkommen der SOL-Besatzung, lernt mehr über die riesige Welt Evolux und macht sich auf die Suche nach dem Mittelteil des Raumschiffs. Rhodan entdeckt, dass die Besatzung in einer Proto-Chaotischen Zelle gefangen ist.
Die Enthüllung, wo sich diese bizarre Raum-Zeit-Region verbirgt, ist ein Schock für alle. Um seinen Sohn und dessen Gefährten von dort zu retten, verbündet sich Perry Rhodan mit einer dubiosen Verschwörergruppe. Er wagt den Vorstoß INS HERZ DER FINSTERNIS ...
Perry Rhodan – Der Terraner stößt in verbotene Tiefen vor.
Mahlia Meyun – Die Heilerin verteidigt ihre hohe Position.
Colwin Heltamar – Der Yakonto ist ein zwielichtiger Verbündeter.
Hiram Kylder – Seine Zweidimensionalität wird dem Schurken zum Verhängnis.
Kataklysmus
Der Weltuntergang begann mit einem Blitz.
Aus dem Schoß des Kratergebirges am Horizont erhob sich eine zweite Sonne. Bald überragte sie die Gipfel, füllte das Bild der Normaloptik und überstrahlte die Landschaft. Kleinere Entladungen schlugen in die Fraktale Aufriss-Glocke ein, die das Althanos-Segment umgab.
Mahlia Meyun schirmte den Blick ab, obwohl das Außenbeobachtungsholo nur einen Bruchteil der Helligkeit in die Zentrale übertrug. Tränen brannten in ihren Augen.
»Dieser Wahnsinnige!«, rief sie. Vielmehr: Wollte sie rufen, doch ihre Stimme versagte.
Die Ortungsanlagen der SOL-Zelle 1 spielten verrückt. Sämtliche Messwerte schnellten in die Höhe: Energieentfaltung, Temperatur, Lichtmenge. Die Positronik gab Alarm.
Die Druckwelle der Explosion traf die SZ-1 frontal. Der Gigantraumer bockte. Seine Außenhülle hallte wie unter einem mächtigen Gongschlag. Die Mitglieder der Zentralebesatzung schrien auf.
»Ruhe bewahren!«, brüllte Mahlia, um ihre eigene Angst zu verbergen. Sie fühlte sich durchgeschüttelt, suchte nach Halt. Die Antriebsaggregate stemmten sich gegen die entfesselten Gewalten. Allmählich glichen sie die atmosphärischen Turbulenzen aus, bis der stählerne Koloss wieder schwerelos und ortsfest über dem Geschehen schwebte – unbeeindruckt von der Katastrophe.
Mahlia tastete nach ihrem Puls, zählte die Herzschläge. Um sich zu beruhigen, verfiel sie in die Routine der Heilerin.
Der Glutball verblasste. Dort, wo sein Mittelpunkt gewesen war, blieb ein kreisrunder Lavasee zurück. An dessen Rändern glühte der Atombrand – als unlöschbares Feuer, das sich wie ein Geschwür ausbreiten, weder vor Segmentgrenzen noch vor Schirmanlagen haltmachen und alles verzehren würde.
Nur langsam setzte das Verstehen ein. In Mahlias Entsetzen mischte sich Wut. Trotz der Brücken, die sie hinter sich abgebrochen hatte: Das da unten, diese zum Sterben verurteilte Kugel, war ihre Heimat.
Evolux. Die Weiße Welt.
Bald würde nicht mehr davon übrig sein als ein Ball leuchtender Schlacke. Eine Miniatursonne inmitten eines Würfels aus acht größeren Sonnen.
Er hatte es getan. Hatte das Verderben entfesselt und Milliarden Intelligenzwesen zum Tode verurteilt – alles nur, um ein einzelnes Leben zu retten.
Und ich muss tatenlos zusehen! Mit geballten Händen starrte Mahlia Meyun ins Holo. Doch sie wusste, wer die Arkonbombe gezündet hatte. Und sie würde den Schuldigen zur Strecke bringen.
Perry Rhodan.
Zerstörer der Welten.
1.
Drei Stunden zuvor
Nach der Schlacht
Rußdurchsetzte Luft strömte in Perry Rhodans Lungen, während er durch die verwüstete Steuerzentrale des Althanos-Komplexes ging. Der Kampf war vorüber. Die Bedrohung bestand weiter.
Vor Sekunden hatte er noch geglaubt, die Situation sei unter Kontrolle. Dann waren die automatischen Löschvorrichtungen ausgefallen, und verborgene Brandherde hatten das Trümmerfeld in ein Inferno verwandelt.
Hustend krümmte er sich. Die Flammen fraßen den Sauerstoff aus der Umgebung.
Die Positronik seiner Schutzmontur reagierte. Rhodans Helm faltete sich aus dem Futteral im Nacken, umschloss seinen Kopf. Frischluft aus den Vorräten des Anzugs drang dem Terraner in die Nase, verdrängte das Aroma schmelzenden Metalls.
»Heltamar«, keuchte Rhodan. Ihm war schleierhaft, was der Yakonto trieb. Warum ließ er sich so viel Zeit? Erkannte er die Gefahr nicht, in der sie schwebten? Jeden Moment mochten die Stahlträger unter der Hitze nachgeben, konnte die Decke sie unter sich begraben.
Rhodans Blick irrte durch den Saal. Ohne die unterstützenden Einblendungen im Helmvisier wäre er so gut wie blind gewesen. Wegen des Rauchs betrug die Sichtweite weniger als einen Meter. Funken sprühten aus zerfetzten Konsolen. Das Blinken zahlloser Kontrollholos verfing sich im Qualm, erzeugte gemeinsam mit den Flammen ein verwirrendes Schattenspiel.
»Heltamar, antworte! Wir müssen hier raus!«, rief Rhodan. Schweiß rann ihm über die Stirn. Er stützte sich auf eine zersplitterte Arbeitsfläche. Der Yakonto war nirgends zu sehen.
»Nicht, bevor ich gefunden habe, was ich suche«, kam endlich Colwin Heltamars Antwort aus dem Helmfunk, seelenruhig, untermalt von Rascheln und Poltern.
Rhodan zwang sich zur Ruhe. Noch immer befanden sie sich im Zentralgebäude des Althanos-Komplexes. All seine Instinkte drängten ihn, das Gebäude zu verlassen, doch Heltamar hatte darauf bestanden, zu bleiben. Was auch immer er aus den Trümmern zu bergen versuchte, musste wichtig sein. Sicher ging er das Risiko nicht ohne Grund ein.
»Wenn du mich einweihst, kann ich dir helfen«, bot Rhodan an. »Zu zweit finden wir es schneller.«
Heltamar grummelte.
Rhodan tastete sich durch den Rauch. Trümmer und Sitzmöbel lagen kreuz und quer auf dem Boden. Mit dem Fuß stieß er gegen etwas Weiches – den reglosen Körper eines Sathox.
Rhodan untersuchte den offenkundig Toten. Er lag auf dem Bauch, die Strahlenwaffe unter sich begraben. Brandblasen verunstalteten die Haut, die gelben Knopfaugen starrten ins Nichts.
Ein bitterer Geschmack entstand auf Rhodans Zunge. Dieses Wesen hatte sich geopfert, um entgegen seiner Überzeugung die Proto-Chaotische Zelle im Innern von Evolux zu schützen – Seite an Seite mit Heltamar, den viele auf der Weißen Welt als Verräter erachteten.
»Du musst dich nicht schuldig fühlen«, nuschelte Heltamar, dessen Umriss sich soeben aus dem Dunst schälte. Er trug die Einsatzkombination, die ihm in Beliosa auf Alaska Saedelaeres Befehl hin ausgehändigt worden war. Sein grünes Gesicht schimmerte durch die Schwaden. »Diese Sathox hätten ohnehin gegeneinander gekämpft, Rhodan. Wenn nicht hier, dann in einem anderen Segment. Die Enthüllungen durch den Geist des Archivs waren ein Schock für nahezu alle Bewohner.«
»Ich hoffe, dass es das alles wert war.« Rhodan trat von dem Leichnam zurück.
Heltamar nickte. Eine Armlänge vor Rhodan blieb er stehen. Zwischen seinen Lippen ragte ein länglicher Gegenstand hervor: eine Glaspfeife ähnlich jener, die er bei der ersten Begegnung mit Rhodan dabeigehabt hatte. Dampf stieg aus dem Kolben auf.
»Die Proto-Chaotische Zelle können wir mithilfe deines Raumschiffs erreichen.« Er tippte an den Gegenstand zwischen seinen Lippen. »Ich habe gefunden, wonach ich gesucht habe.«
Es kam nicht oft vor, dass Rhodan die Worte fehlten. Der Yakonto hatte sie inmitten dieses Infernos aufgehalten – für sein Rauchzeug?
Dass Heltamar wie selbstverständlich davon ausging, Rhodan würde den Yakonto an Bord der SZ-2 bringen, anstatt ihn der Regierung von Evolux auszuliefern, wirkte dagegen fast nebensächlich.
Rhodan hatte keine Chance, seinen Unmut zu bekunden.
Als wäre er sich der Gefahr eben erst bewusst geworden, winkte Heltamar ihn zu sich und deutete zum Ausgang. »Worauf warten wir? Nichts wie raus!«
*
Der Korridor, den Perry Rhodan und Colwin Heltamar durcheilten, mündete etwa zweihundert Meter voraus in einen Antigravschacht. Die Schaltzentrale des Althanos-Komplexes lag im unterplanetaren Teil des Gebäudes. Um an die Oberfläche zu gelangen, mussten sie diesen Weg nehmen.
Der Bürgerkrieg hatte Spuren hinterlassen. Alle paar Schritte stieg Rhodan über Sathoxleichen hinweg. Die Notbeleuchtung tränkte die Wände in düsteres Rot. Roboter brausten vorüber, räumten herabgestürzte Decken- und Wandteile beiseite, reinigten Blut vom Boden und verfrachteten die Toten auf Bahren.
Fernes Waffenfeuer verriet, dass noch immer Rückzugsgefechte stattfanden. Rhodan erwog einzugreifen.
Heltamar winkte ab. »Bis wir den Kampfort erreichen, haben meine Cyborgs das Problem längst gelöst.«
Sie erreichten den Schacht. Rhodan verließ sich nicht darauf, dass der Antigravprojektor die Kämpfe unbeschadet überstanden hatte. Stattdessen kletterte er an einer Reihe von Haltestreben empor, die das Schachtinnere säumten.
Am oberen Ende angelangt, reichte er Heltamar den Arm, als der hinter ihm in der Schachtöffnung erschien. Kurz beschlug Rhodans Helmvisier von Schweiß und heißem Atem, bevor die Anzugklimatisierung die Oberhand gewann.
»Hilf mir, dich zu verstehen«, sagte er. »Jahrhundertelang haben deine Leute verhindert, dass die Besatzung der SOL zusammenfindet. Und plötzlich willst du uns dorthin führen, wo der Mittelteil gefangen ist?«
»Nicht gefangen, sondern verunglückt.« Heltamar ergriff die dargebotene Hand. Er lächelte. »Das Geheimnis um die Proto-Chaotische Zelle im Kern von Evolux ist gelüftet. Also kannst du nun genauso gut versuchen, dein Raumschiffsegment daraus zu bergen. Das deckt sich sogar mit meinen Absichten.«
Den Rest des Wegs legten sie schweigend zurück.
Kurze Zeit später traten sie ins Freie. Rhodan öffnete den Helm und holte tief Luft. Es roch nach Schwefel.
Vor dem Hauptgebäude breitete sich der Althanos-Komplex in seiner ganzen maschinellen Hässlichkeit aus. Die meisten Industrieanlagen schwelten oder lagen in Trümmern. Überall brüllte Sirenenlärm.
Am Himmel war Bewegung. Unter dunkelroten Wolken zogen Gleiter über den Komplex hinweg und versprühten Löschschaum, um die Flammen zu ersticken.
Weit weg, über den Berggipfel am Rand des Althanos-Segments und mit den oberen Polen im Wolkenmeer versunken, schwebten zwei goldfarbene Kugeln, Raumfahrzeuge terranischer Bauart: die SZ-1 und die SZ-2, zwei Drittel des Hantelschiffs SOL.
Die Fraktale Aufriss-Glocke hing einschüchternd über allem: eine halb durchsichtige Energiekuppel, die das Althanos-Segment vollständig umschloss. Ein Netz aus Strukturrissen, die sich ständig verlagerten, bildete ein geometrisch perfektes Wabenmuster an ihrer Oberfläche. Die »Maschen« leuchteten, ein weithin sichtbares Zeichen für Heltamars Verrat. Der Yakonto hatte Technik der Chaotarchen auf einer Hilfswelt ihrer erbitterten Gegner eingesetzt, der Kosmokraten. Bei einem Einsatz, für den er, Rhodan, die Verantwortung trug.
Sie bahnten sich einen Weg durch die Trümmerlandschaft und ließen sich auf einem umgestürzten Pfeiler nieder. Rhodan formulierte eine Textbotschaft an die SOL-Zelle 2, in der er um einen Shift bat.
Während er die Nachricht in sein Multifunktionsarmband tippte, warf er dem Yakonto einen Blick zu. Was mache ich jetzt mit dir?
Heltamars Hilfsangebot stellte ihn vor ein Dilemma. Der Einsatz von Chaostechnologie auf der Werftwelt der Kosmokraten galt als todeswürdiges Verbrechen. Der Yakonto hatte damit gegen den »Kodex der Ordnung« verstoßen. Ziehen lassen konnte ihn Rhodan also nicht.
Andererseits – die Unterstützer der Kosmokraten hätten die Proto-Chaotische Zelle im Herzen des Planeten erbarmungslos vernichtet, mitsamt dem SOL-Mittelteil und der Besatzung darin. Ohne Heltamar wäre Michael also tot. Bin ich Heltamar nicht sogar Dankbarkeit schuldig?
Sofort schämte sich Rhodan für den Gedanken. Immerhin kam das Überleben seines Sohns zum Preis eines Bürgerkriegs, der in kurzer Zeit viele Opfer gefordert hatte. Wenn er dieses Leid billigend in Kauf nahm, stellte er sich auf eine Stufe mit Heltamar.
Rhodan fällte eine Entscheidung. Er hielt sich das Armbandgerät dicht vors Gesicht und verbarg die Holoanzeige vor dem Blick seines Begleiters. Dann fügte er seiner Botschaft einen weiteren Befehl hinzu: »Heltamar ist festzunehmen, falls es sich als nötig erweist.«
Als er gerade im Begriff war, die Nachricht abzuschicken, sagte der Yakonto: »Interessiert es dich, welche Rolle ich bei der Festsetzung der beiden SOL-Zellen spielte?«
Verblüfft sah ihn Rhodan an. Sein Finger verharrte über der »Senden«-Schaltfläche. »Keine«, erwiderte er nach einem Moment des Nachdenkens. »Du warst damals noch nicht mal geboren.«
»Eine nahe liegende Vermutung«, räumte Heltamar ein, »aber falsch. Ich verrate dir die Wahrheit. Falls du von meiner Verhaftung absiehst.«
Rhodan ließ sich die Überraschung nicht anmerken. Wie Heltamar den Inhalt der zweiten Botschaft erraten hatte, war ihm schleierhaft.
Er hielt das Handgelenk nun so, dass der Yakonto die getippten Befehle auf der Holoanzeige doch sah. Sie waren in Interkosmo verfasst. Rhodan vermutete, dass Heltamar die terranische Verkehrssprache zumindest im Ansatz beherrschte. »Eine einzige Fingerbewegung, und die Besatzung der SOL-Zelle Zwei ist informiert. Was sollte mich davon abhalten, dich den planetaren Behörden zu übergeben?«
»Weil du mir Asyl auf der SOL gewähren wirst.«
»Ist das so?« Rhodan hob die Brauen.
Heltamar nahm sich Zeit für seine Antwort. Er löschte umständlich die Pfeife und steckte sie in eine Brusttasche seiner Montur. »Wir arbeiten entweder mit- oder gegeneinander. Du hast die Wahl.«
Rhodans Neugier überwog. Er löschte die Schlusszeile mit dem Verhaftungsbefehl und schickte nur die Hauptnachricht ab. Die Selbstsicherheit seines Begleiters mochte gespielt sein. Aber falls Heltamar bluffte, konnte Rhodan die Festsetzung des Yakonto auch später noch veranlassen.
Minuten verstrichen. Nach wie vor schwebte die SZ-2 mit dem Wabennetz der Aufriss-Glocke im Hintergrund einige Kilometer vor dem Schwesterschiff SZ-1. Schließlich löste sich ein winziger Punkt aus dem Schatten des Raumers, beschrieb eine weite Kurve und näherte sich Rhodans Position. Es war der angeforderte Shift.
Der Flugpanzer setzte ein Dutzend Meter von Rhodan und dem Yakonto entfernt auf einem Areal auf, das von Trümmern verschont geblieben war. Durch die Frontscheibe des Shifts erkannte Rhodan, dass die Sitze im Innern der Pilotenkanzel leer waren. Das Fahrzeug hatte die Strecke mit positronischer Steuerung zurückgelegt.
Sie stiegen ein. Rhodan setzte sich auf den Pilotensitz, während Heltamar es sich neben ihm bequem machte.
Rhodan startete und lenkte den Shift in gemächlichem Tempo zur SZ-2 zurück. Er benötigte Zeit, um abzuwägen. Würden die Solaner Heltamars Anwesenheit an Bord akzeptieren, wenn Rhodan dessen Bitte stattgab? Immerhin sahen sie in Heltamar den Verantwortlichen für ihr Exil und das Schicksal ihrer Vorfahren.
»Dein Einsatz von Chaotarchentechnik war ein Verstoß gegen die Gesetze von Evolux. Dafür kann ich dich nicht zur Verantwortung ziehen«, stellte er fest. »Für deine Rolle bei der Festsetzung der SOL-Zellen hingegen schon. Außerdem für die Ereignisse, die zum Tod von Elpin Vonnedal führten. Ich kann dich vor deinen Verfolgern auf Evolux schützen. Aber für die Verbrechen, die du gegen die Mannschaft der SOL begangen hast, wirst du geradestehen müssen.«
Heltamar legte den Kopf schräg, als überlege er. »Ich hoffe, dass mildernde Umstände berücksichtigt werden, ehrenwerter Rhodan.«
»Welche sollten das sein?«
Das Raumschiff wuchs von einer scheinbar fußballgroßen Kugel zu einem Gebirge aus goldenem Metall an, bis es die Sicht aus der Frontscheibe vollständig füllte.
»Wenn ich ohnehin an Bord bleibe, kann ich auch helfen, den Mittelteil der SOL zu bergen«, sagte Heltamar gönnerhaft. »Niemand weiß mehr über die Proto-Chaotische Zelle als ich. Du würdest vieles vereinfachen, wenn du mich sogar zu deinem Stellvertreter ernennst.«
»Überspann den Bogen nicht!«
Rhodan verlangsamte den Flugpanzer und bereitete den Landeanflug vor. Er steuerte auf den äquatorialen Ringwulst und ein darin offen stehendes Schott zu. Im Innern des Hangars eilte eine Handvoll Besatzungsmitglieder umher, die in der Weite der Halle nur ameisengroß wirkten.
Der Shift glitt durch die Schleuse und setzte in der Lücke zwischen zwei baugleichen Flugpanzern auf. Rhodan desaktivierte das Triebwerk und stieg aus.
Er winkte zwei Männern, die in der Nähe an den Landestützen einer Space-Jet arbeiteten. Eigentlich war das die Arbeit von Wartungsrobotern, doch die ehemaligen Dorfbewohner waren es gewohnt, selbst Hand anzulegen – auch wenn die Hypnoschulung sie dazu nur rudimentär befähigte. Werkzeuge lagen ausgebreitet zu ihren Füßen.
Lässig erwiderten die Techniker den Gruß.
Kaum erschien der Yakonto hinter Rhodan im Ausstieg des Shifts, wandelte sich ihr Gebaren jedoch. Der jüngere, ein rothaariger Mann namens Brosam oder Brotam – Rhodan konnte sich den Namen nicht merken – starrte feindselig. Der andere verschwand mit dem Kopf in einer Wartungsklappe im Unterboden des Diskusboots.
Rhodan führte Heltamar zu den Solanern und wandte sich an den Rothaarigen.
Da die Besatzung der SOL-Zelle 2 nur aus extrem wenigen Personen bestand, musste jeder mehrere Aufgaben übernehmen. Brosam oder Brotam hatte sich, wenn er nicht gerade an den Beibooten bastelte, als Quartiermeister hervorgetan.
In dieser Funktion sprach ihn Rhodan an. »Ich weiß, dass Heltamars Hiersein euch nicht glücklich macht. Er bleibt jedoch eine Weile an Bord, bis mehrere heikle Fragen entschieden sind. Bitte sei so nett und weise ihm eine Unterkunft zu.«
»Für ... wie lange?«
Rhodan zwang sich zu einem Lächeln. Selbstverständlich würde er sich für seine Entscheidung vor den Solaner-Nachfahren erklären. Aber nicht vor jedem einzeln.
»Einstweilen«, antwortete er unverbindlich. »Danke für deine Hilfe.«
»Wie du meinst.«
Heltamar lachte. »Danke für deine Gastfreundschaft, Perry Rhodan. Zum Zeichen meines guten Willens habe ich nun ein Gastgeschenk für dich.«
Er fasste in die Brusttasche, die seine Pfeife barg. Als er den Arm ausstreckte, lag zwischen seinen Fingerspitzen ein graues Plättchen, kaum größer als Rhodans Fingernagel.
»Was ist das?« Vorsichtig nahm Rhodan den Gegenstand entgegen, misstrauisch beäugt von dem rothaarigen Solaner.
Dessen Kollege gab weiterhin vor, ganz in seine Arbeit versunken zu sein, und drückte den Oberkörper auf Zehenspitzen tiefer in die Wartungsöffnung hinauf.
»Dachtest du wirklich, ich würde für das hier unser Leben in dieser Flammenhölle riskieren?« Heltamar tippte gegen die Glaspfeife.
Rhodan fühlte sich ertappt. Das war exakt, was er gedacht hatte.
Colwin Heltamar wandte sich um und ließ sich von dem Quartiermeister aus dem Hangar geleiten.
Der verbliebene Solaner zog prompt den Kopf aus der Wartungsöffnung und schloss sie. Er beeilte sich, das Werkzeug zusammenzuraffen und es in seinem Overall zu verstauen. Dabei mied er es, Rhodan anzublicken.
Der Terraner sah ihm zu. Plötzlich fühlte er sich verloren. Er kannte nicht einmal den Namen dieses Manns! Überhaupt hatte er nur vier dieser vormaligen Talbewohner bislang wirklich kennengelernt. Zwei davon, Elpin Vonnedal und Ianik Meygon, waren tot. Mahlia Meyun und Pravo Ylapp hielten sich auf der SZ-1 auf. Er war also allein unter Fremden.
Wie weit würde diese Besatzung ihm folgen, wenn es darauf ankam?
Nachdenklich wog er das kleine Objekt, das Heltamar ihm ausgehändigt hatte. Es war ein Speicherkristall. Die Informationen darauf, vermutete Rhodan, würden ihm den Weg ins Innere von Evolux weisen. Vorausgesetzt, der Yakonto plante keine Hinterlist, aber daran glaubte Rhodan nicht. Sie hatten gemeinsame Interessen.
Er schloss die Faust um den Datenträger. Ausgerechnet Heltamar ist diejenige Person an Bord, die ich am besten einschätzen kann. Es kam ihm wie Hohn vor.
Fluchend verließ Perry Rhodan den Hangar und machte sich auf den Weg in die Zentrale.
2.