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Nr. 12

 

Der Würfel fällt

 

Die SOL kämpft gegen kosmische Mächte – über Evolux entscheidet sich das Schicksal einer Galaxis

 

Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Chronik der SOL

1. Perry Rhodan

2. Mahlia Meyun

3. Perry Rhodan

4. Mahlia Meyun

5. Perry Rhodan

6. Mahlia Meyun

7. Perry Rhodan

8. Perry Rhodan

9. Mahlia Meyun

10. Perry Rhodan

11. Mahlia Meyun

12. Perry Rhodan

13. Mahlia Meyun

14. Mahlia Meyun

15. Perry Rhodan

16. Perry Rhodan

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Seit über 3000 Jahren erforschen terranische Raumschiffe das Universum. Manche werden zu Legenden – insbesondere die gigantische, hantelförmige SOL, die seit langer Zeit verschollen ist.

Perry Rhodan, der die Menschheit von Beginn an bei ihren Vorstößen ins All geleitet hat, wird in die ferne Galaxis Tare-Scharm entführt. Dort stößt er auf Nachkommen der SOL-Besatzung und erfährt, dass die SOL in einer mysteriösen Chaoszone gefangen ist. Er kann das Schiff samt Mannschaft retten.

Doch dabei erwacht eine äonenalte Gefahr von Neuem. Ein Handlanger der Chaosmächte will überall in Tare-Scharm Regionen des Chaos erschaffen. Dies und die rabiate Gegenwehr der Ordnungsmächte hätte den Tod von Milliarden Intelligenzwesen zur Folge.

Perry Rhodan erkennt, dass das Zentrum der Bedrohung im Acht-Sonnen-Kubus von Evolux zu finden ist. Die einzige Chance einer ganzen Galaxis ist, dass DER WÜRFEL FÄLLT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner plant den Untergang einer Welt.

Mahlia Meyun – Die Heilerin deckt ein Komplott auf.

Pravo Ylapp – Der Neu-Solaner hat große Ambitionen.

Curcaryen Varantir – Der Algorrian wird mundtot gemacht.

Chronik der SOL

2. November 1552

Neue Galaktische Zeitrechnung

 

Während all der Jahre, in denen ich die SOL als Kommandantin führen durfte, hat mich stets fasziniert, hinter die Oberfläche der Dinge zu blicken. Wie oft ist es passiert, dass wir Sonnensysteme bereist haben oder in kosmische Phänomene hineingezogen wurden, deren wahre Natur sich erst viel später offenbart hat? Wie viele Weggefährten haben sich später als Gegner entpuppt, wie viele Feinde sind Verbündete geworden?

Schon meine eigenen ersten Schritte sind ein wunderbares Beispiel für dieses kosmische Ränkespiel. Seit dem August 1290 Neuer Galaktischer Zeitrechnung befehlige ich dieses wundervolle Raumschiff. Damals haben wir es aus den Händen der Kosmokratenhelfer zurückerobert, die es gestohlen hatten, und wir haben die SOL in den Dienst von THOREGON gestellt. Wir wollten einer großen Sache dienen und die Milchstraße aus den Fängen der Hohen Mächte befreien.

Doch am Ende war die Superintelligenz THOREGON nichts als eine Betrügerin, die selbst nach der Macht strebte. Das war die erste große Täuschung, die wir aufgedeckt haben, seit ich an Bord gegangen bin.

Mehr als zweieinhalb Jahrhunderte sind mittlerweile verstrichen. Dank diverser unfreiwilliger Zeitreisen kommandiere ich die SOL immer noch. Und nach wie vor versucht das Universum, uns zum Besten zu halten.

Wir stehen derzeit im Susmalsystem in der Galaxis Tare-Scharm. Alles wirkt friedlich. Das Kosmokratenschiff mit dem unschuldigen Namen NEUBEGINN ist abgezogen. Dieses 1126 Kilometer durchmessende Monstrum wollte das komplette System auflösen, in seine subatomaren Bestandteile zerlegen und in einen amateriellen Raum verwandeln. Denn die Kosmokratendiener glaubten, nur so verhindern zu können, dass sich das ganze Susmalsystem in eine Proto-Chaotische Zelle mit entarteten Naturgesetzen verwandelte.

Wir haben sie Lügen gestraft. Wir haben die Entartung verhindert und das Chaos besiegt. Wir haben die geplanten, die angeblich unvermeidbaren Zerstörungen der Kosmokraten überflüssig gemacht. Ganz nebenher haben die Ksuni, die eigentlichen Bewohner dieses Systems, ihren inneren Zwist beigelegt. Erstmals seit diese Zivilisation ins Raumfahrtzeitalter eingetreten ist, gibt es für die Ksuni eine Chance auf nachhaltigen Frieden.

Nichts, rein gar nichts deutet also noch auf Probleme hin oder auf eine Gefahr.

Und das ist sie, die Lüge, die dieses System erzählt. Unwissentlich haben wir bei unserem Besuch etwas freigesetzt, das nun die ganze Galaxis Tare-Scharm bedroht.

1.

Perry Rhodan

 

Perry Rhodan stand an die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Nach außen mochte die Haltung lässig wirken; in Wirklichkeit war sie einfach seiner Übermüdung geschuldet. Der Zellaktivatorchip in seiner linken Schulter pochte und pumpte belebende Impulse durch seinen Körper. Aber die Stütze war eine angenehme Ergänzung.

Natürlich hätte ein Prallfeld ihn ebenso halten können wie die Terkonit-Innenwandung des Beiboothangars. Insofern war das Ganze nur ein angenehmer Selbstbetrug, was Rhodan auch vollkommen klar war.

Dennoch genoss er den Moment. Nach dem höllischen Flug ins Susmalsystem, auf dem sie beinahe verdurstet wären, dem Kampf gegen die zerstörerischen Pararealitäten und der Beinahe-Vernichtung des ganzen Systems inklusive der SOL durch die NEUBEGINN hatte er sich diesen Augenblick der Ruhe verdient.

Lange anhalten würde er ohnehin nicht.

Ein semipermeables Energiefeld trennte das Hangarinnere vom Weltraum draußen. Es verhinderte, dass die Bordatmosphäre ausströmte, würde dem einschleusenden Raumschiff aber keinen Widerstand entgegensetzen.

Durch die unsichtbare Barriere konnte Rhodan ungehindert das Susmalsystem und die Sterne der Galaxis Tare-Scharm betrachten. Gerade eine Stunde war es her, dass der Himmel voller Feuerblumen geglüht hatte: explodierende Raumschiffe der Ksuni, der vorherrschenden Spezies des Systems.

Ein runder Schatten schob sich vor das Licht der Sterne. Als er sich dem offenen Tor näherte, erstrahlte er in goldenem Glanz. Das Beiboot, auf das Rhodan gewartet hatte, flog ein: die Korvette, die er einen Monat zuvor Curcaryen Varantir überlassen hatte, als dieser der SOL im Streit den Rücken gekehrt hatte.

Damals hatte Rhodan geglaubt, dieses Raumboot und erst recht den Algorrian niemals wiederzusehen. Doch die Dinge hatten sich anders entwickelt. Die Korvette schob sich durch das Kraftfeld, fuhr die Landestützen aus und setzte mit einem lauten Geräusch im Hangar auf.

Die untere Polkuppe öffnete sich, und Curcaryen Varantir sank im Antigravstrahl herab. Perry Rhodan sah die charakteristische Silhouette im Gegenlicht der Schleuse: der wuchtige Leib eines Zentauren, aber mit vier statt zwei Armen, die aus dem Oberkörper wuchsen. Der Kopf erinnerte an eine Raubkatze. Allerdings wuchsen zwei lange Barten aus den Mundwinkeln, die der Algorrian als fünftes Gliedmaßenpaar einsetzen konnte, wenn vier Beine und vier Arme nicht ausreichten.

In dem Moment, als Varantirs Beine den Boden berührten, erreichte auch sein typischer Duft Rhodans Nase. Der war nicht minder markant als das Aussehen seines Gasts. Rhodan machte ein paar flache Atemzüge, bis er sich einigermaßen an den Brodem aus Schweiß und Moschus gewöhnt hatte.

»Willkommen ...«

Varantir ließ ihn natürlich nicht ausreden. »Was machst du denn hier? Hast du nichts in der Zentrale zu tun?«

»Aktuell nicht«, antwortete Rhodan. »Wir brauchen Wissen, um die nächsten Schritte zu planen. Du hast dieses Wissen. Also dachte ich, ich komme dir entgegen.«

»Und danach soll ich meine Zeit damit verschwenden, das Ganze bei der unvermeidlichen Besprechung zu wiederholen, die ihr Terraner in Krisenzeiten ja immer abhaltet, statt zu handeln?«

Rhodan lächelte resigniert – das Gespräch verlief genau, wie er erwartet hatte. Varantir war selbst dann ein unangenehmer Zeitgenosse, wenn der Algorrian bester Stimmung war. Erträgliche Laune hatte er ohnehin nur, wenn seine Partnerin Le Anyante bei ihm war. Die allerdings war zurzeit tot. Sie würde irgendwann wiedergeboren werden; bis dahin jedoch musste das Universum Curcaryen Varantir ungezügelt ertragen.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte Rhodan trocken. »Wollen wir dann los?«

Varantir brummte etwas Unverständliches. Rhodan reagierte nicht, sondern ging voraus und blickte nicht zurück, bis der Algorrian ihn im leichten Trab eingeholt hatte.

»Ich sehe, ihr habt den verlorenen Mittelteil eures Schiffs aufgespürt«, knurrte Varantir. »Großartig, was ihr damit angerichtet habt. Hat es sich gelohnt, Terraner?«

»Hast du gewusst, was passieren würde?«, fragte Rhodan zurück. »Dass wir etwas aus der Proto-Chaotischen Zelle befreien würden, das nun den Normalraum in Tare-Scharm zerstört? Wenn ja, hättest du uns warnen können.«

»Ich habe euch gewarnt«, erwiderte Varantir scharf. »Mehr Warnung als der Kodex der Ordnung ist doch überhaupt nicht möglich. Niemand soll Entwicklungen des Chaos für seine eigenen Zwecke einsetzen. Aber ihr habt das getan. Alles Weitere habt ihr euch selbst zuzuschreiben.«

Rhodan ächzte. Der Algorrian machte es sich ausgesprochen einfach. Doch es war besser, den ohnehin unvermeidlichen Streit sofort hinter sich zu bringen. Dann war später in der Besprechung ein konzentrierteres Arbeiten möglich.

»Du selbst hast auf den Kodex der Ordnung gepfiffen, als du dich an Masling Dryw rächen wolltest, zumindest was Alltagstechnik wie Gleiter und Waffen angeht«, argumentierte er.

»Der Kodex bezieht sich nicht auf solche Lappalien!«

Rhodan ließ sich nicht beirren. »Und als du das Kolonnen-Dock hier im System gegen unbefugten Zutritt sichern wolltest, hast du die Fraktale Aufriss-Glocke und den Dunkelschirm dafür eingesetzt, beides Schutzschirmentwicklungen der Chaotarchen.«

»Da ging es nicht darum, die Chaostechnik zu nutzen, sondern ihre Nutzung zu verhindern.«

»Kann man so sehen«, sagte Rhodan. »Man kann es jedoch auch so sehen, dass dir der Kodex ziemlich egal ist, sobald du keine Zuschauer hast.«

Der Algorrian schnaubte. »Aber ich gefährde keine ganze Galaxis, wenn man mir nicht auf die Finger schaut. Ihr Menschen seid einfach unglaublich!«

Rhodan setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. »Wenn unsere Unzulänglichkeiten so auf der Hand liegen, warum bist du dann nicht bei uns geblieben und hast aufgepasst? Dann hätten wir die Chaoskeime vielleicht nicht unwissentlich freigesetzt, und die Kosmokraten hätten ihre neue Wunderwaffe nicht von der Leine gelassen.«

Varantir wechselte das Thema. »Woher hast du gewusst, dass ich im Susmalsystem bin?«

»Habe ich nicht«, gestand Rhodan. »Ich habe geraten.«

Der Algorrian blieb abrupt stehen. »Du hast mich persönlich angefunkt!«

»Ja«, sagte Rhodan. »Und hättest du nicht geantwortet, würde mich die Besatzung der SOL wohl für etwas wunderlich halten. Aber ich konnte mir schlicht nicht vorstellen, dass du dich heraushältst, wenn Chaos und Ordnung direkt aufeinanderprallen.«

Danach gestattete sich Rhodan ein echtes Lächeln. »Außerdem, mal ehrlich: Wenn du dein Raumschiff schon so tarnst, dass es als Ortungsspiegelung einer anderen Korvette erscheint, dann achte künftig auf die Details. Bis auf die NEUBEGINN hat der ganze Weltraum inklusive aller Raumfahrzeuge im System gezittert, als die chaotische Entartung sich breitgemacht hat. Und nur die eine kleine Ortungsspiegelung nicht? Ein höchst unwahrscheinlicher Zufall – oder doch eher ein Raumboot mit einem weit überlegenen Antrieb, der die chaotischen Verhältnisse kompensieren kann? Einem Antrieb, wie ein Algorrian ihn einbauen würde?«

Er stellte sich nun direkt vor Varantir und sah zu dem Algorrian hoch. »Was uns zu einer völlig anderen Frage bringt: Mit deinen technischen Möglichkeiten könntest inzwischen überall in Tare-Scharm sein. Was machst du also ausgerechnet hier? Warum bist du zurückgekehrt?«

»Ich sage das ungern, aber du hast recht.« Varantirs Gesichtstentakel zitterten leicht. »Ich kann tatsächlich kaum tatenlos zuschauen, wie ihr eine ganze Galaxis ins Chaos stürzt.«

»Beleidigung zur Kenntnis genommen«, sagte Perry Rhodan. »Und jetzt bitte die ganze Wahrheit.«

Doch Curcaryen Varantir kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Sie hatten ihr Ziel erreicht.

 

*

 

Perry Rhodan hatte einen Konferenzraum gewählt, den vor vielen Jahren Blo Rakane gern verwendet hatte. Wo ein Haluter sich wohlfühlte, fand auch ein Algorrian problemlos Platz. Und tatsächlich steuerte Curcaryen Varantir sofort die elefantengroße Aussparung ohne Sitzmöbel am Konferenztisch an.

Die anderen Besprechungsteilnehmer waren bereits eingetroffen: Fee Kellind, die Kommandantin der SOL; Rhodans Sohn Mike, besser bekannt als Roi Danton, der eigentliche Missionsleiter; Tess Qumisha und Benjameen da Jacinta, die als Hyperphysiker viel dazu beigetragen hatten, die Geschehnisse der vergangenen Stunden zu überstehen und aufzuklären. Vervollständigt wurde die Runde durch Pravo Ylapp.

An den meisten ging Varantir einfach grußlos vorüber. Als er den ehemaligen Mönch sah, der sich ihm erfolglos als Lehrling angedient hatte, schnaubte der Algorrian verächtlich. »Was macht der hier?«

»Pravo hat eine wichtige Rolle bei der Rettung des Systems gespielt«, antwortete Rhodan. »Er hatte mehrmals mentalen Kontakt zu unserem Gegner.«

»Diese wirre Theorie müsst ihr mir ohnehin noch erläutern«, sagte Varantir.

Rhodan zuckte mit den Schultern. »Warum nicht da anfangen? Wir ...«

Roi Danton unterbrach ihn. »Bevor wir beginnen – sollte nicht auch Mahlia hier sein? Sie weiß am besten über die medizinische Seite der Eoract-Vorgänge Bescheid.«

»Ich habe sie eingeladen«, sagte Rhodan. »Sie wollte nicht.«

»Eoract-Vorgänge?«, erkundigte sich Varantir.

Rhodan fasste knapp zusammen, was sie in den zurückliegenden Wochen herausgefunden hatten: dass ein Yakontowissenschaftler namens Eoract vor zwölf Millionen Jahren einen Geheimbund gegründet hatte, um die Proto-Chaotische Zelle im Herzen von Evolux gegen den Willen der Kosmokraten zu erhalten. Dass dieser Eoract sein Bewusstsein später unwiderruflich mit dem chaotischen Raum vereint und sich dadurch eine Art Unsterblichkeit verschafft hatte, zugleich aber auch ein Gefängnis, das er nie wieder verlassen konnte. Dass Eoract nun versuchte, diesen chaotischen Raum auszudehnen, um sein selbst geschaffenes Verlies zu erweitern. Und dass die hierzu geschaffenen neuen Chaoszonen deshalb gewissermaßen lebten, beseelt waren, sich zu verteidigen wussten und nicht einfach von einem GESETZ-Geber der Kosmokraten wieder in normale Verhältnisse gezwungen werden konnten.

Tess Qumisha beschrieb die hyperphysikalische Seite des Phänomens: den Chaoskeim, der den Rumpf der SOL befallen und das Kombinationsraumschiff beinahe zerstört hatte. Die Reise nach Susmal war als einzige mögliche Rettung erschienen, da das hiesige Kolonnen-Dock eine Transmitterverbindung in die Proto-Chaotische Zelle im Zentrum von Evolux unterhielt.

Dadurch gab es ohnehin chaotische Einflüsse im Susmalsystem, und sie waren stark genug gewesen, dass der Keim sich von der SOL gelöst hatte und in das chaotisierte Medium der Verbotenen Zone übergewechselt war. So weit war alles nach Plan gelaufen.

Unerwarteterweise hatte dies aber die Wucherung einer neuen Proto-Chaotischen Zelle angestoßen. Zudem war es zu einem Partikelaustausch zwischen der alten Zelle im Kern von Evolux und der neuen im Susmalsystem gekommen.

»Wir ahnen, dass die Partikel aus Evolux geholfen haben, die Chaotisierung im Susmalsystem massiv zu beschleunigen«, schloss Benjameen da Jacinta den Bericht. »Wir wissen allerdings nicht, was es mit der Gegenbewegung auf sich hat.«

»Wie auch?«, fragte Varantir amüsiert. »Das ist viel zu anspruchsvoll für euch.«

»Kannst du es uns dann bitte erklären?«, fragte Rhodan gereizt.

Varantir legte den Kopf schief und ließ einmal mehr die Barten zittern. »Nicht so, dass ihr es versteht. Aber vielleicht so, dass ihr glaubt, ihr hättet es verstanden.«

»Soll mir reichen«, meinte Rhodan lakonisch.

Der Algorrian dachte kurz nach. »Ihr habt hier etwas Besonderes geschaffen. Der Keim, den ihr mitgeschleppt habt, hat sich mit dem lokalen Raum im Susmalsystem zu neuartigen chaotischen Partikeln vereint, die vom Moralischen Code des Universums nicht erkannt und korrigiert werden. Die Instanz, die Verstöße gegen die Naturgesetze korrigiert, bleibt somit wirkungslos, und das Chaos kann sich ungehindert weiter ausbreiten.«

»So weit waren wir selbst schon«, warf Pravo Ylapp ein. Er klang säuerlich; der Stachel der Zurückweisung saß offensichtlich noch immer tief.

Varantir ignorierte ihn. »Diese Partikel sind für Eoract unendlich wertvoll. Sie sind der entscheidende Faktor für seinen großen Plan, den ihr in eurer Einfalt erst ermöglicht habt. Die Chaospartikel sind durch den inzwischen desaktivierten Situationstransmitter zurück nach Evolux geflossen. Dort wurden sie mittlerweile wahrscheinlich ins Unendliche vervielfacht und fließen nun durch die vielen anderen alten Kolonnen-Docks und -Forts über ähnliche Transmitterverbindungen in andere Sonnensysteme, um sie ebenfalls in Proto-Chaotische Zellen zu verwandeln.«

»Was war denn daran so schwer zu verstehen?«, fragte Ylapp.

Erneut reagierte Varantir nicht. »All diese Systeme werden euretwegen dem Chaos zum Opfer fallen«, klagte er stattdessen.

»Opfer ja, aber nicht Opfer des Chaos«, korrigierte Danton. »Die Entartung des Raums ist gefährlich, aber sie schreitet vergleichsweise langsam voran. Sie lässt den Betroffenen die Chance zur Flucht. Wer hier aber schnell und effizient tötet, das sind die Kosmokraten mit der NEUBEGINN.«

»Diese Sicht kann man vertreten«, gab Varantir mit offensichtlichem Widerwillen zu. »Es stimmt: Ich hätte nicht gedacht, dass die Ordnungsmächte jemals so schnell in Aktion treten. Euer Vorgehen auf Evolux muss mächtiges Aufsehen erregt haben.«

»Wir sollen schuld daran sein, dass die Kosmokraten ganze Sonnensysteme vernichten?« Rhodan fragte sich allmählich, welchen Missstand in Tare-Scharm der Algorrian eigentlich nicht auf die Terraner schob.

Varantirs Behauptung stimmte nur insoweit, als sich die Kosmokraten normalerweise Jahrhunderte, teils Jahrzehntausende Zeit ließen, bis sie auf unliebsame Entwicklungen reagierten. Dass sie nun binnen Tagen tätig wurden, war gleichermaßen ungewöhnlich wie fatal. Aber hatte das tatsächlich mit der Befreiung der SOL aus dem Kern von Evolux zu tun?

»Lasst uns erst die Probleme lösen«, sagte Rhodan verärgert, »bevor wir über die Schuldfrage diskutieren. Um wie viele Systeme geht es überhaupt, und was können wir tun, um sie zu retten? Schon bei unserem vorigen Besuch im Susmalsystem hast du erwähnt, dass es noch viele andere Kolonnen-Docks und -Forts in Tare-Scharm gibt. Wie viele? Und sind sie alle betroffen?«

»Bis zum Beweis des Gegenteils müssen wir davon ausgehen«, antwortete Varantir. »Mir persönlich und den Helfern der Kosmokraten insgesamt sind einhundertachtzig Sonnensysteme bekannt, in denen ähnliche Hinterlassenschaften wie hier überdauert haben.«

»Wie viele davon sind bewohnt?«, fragte Rhodan.

»Alle«, sagte Varantir lapidar. »Warum sollten die Chaotarchen sich für unbewohnte Systeme interessieren?«

Rhodan spürte, wie sich in seinem Nacken eine Gänsehaut bildete. Hundertachtzig bewohnte Sonnensysteme. Das bedeutete: Hunderte Milliarden, wenn nicht gar Billionen intelligenter Lebensformen waren bedroht. »Werden die Kosmokraten überall so vorgehen, wie sie es hier geplant hatten? Die kompletten Systeme mit allen Himmelskörpern und Bewohnern in ihre subatomaren Bestandteile zerlegen?«

»Davon ist auszugehen«, bejahte Varantir. »Es gibt zwar noch nicht besonders viele Initiatoren wie die NEUBEGINN. Der Schiffstyp wurde erst vor Kurzem entwickelt. Aber selbst fünf Einheiten reichen, um die Chaoskeimzellen recht schnell vollständig auszumerzen. Allerdings ist das nur eine Seite des Problems. Denn in Tare-Scharm verbergen sich bestimmt noch Kolonnen-Forts oder vergleichbare Relikte der Chaotarchen, die den Kosmokraten nicht bekannt sind. Auch von dort aus wird das Chaos in der Galaxis Einzug halten. Das mag länger dauern, aber am Ende wird es mehr Todesopfer fordern als die schnelle Korrekturmaßnahme der Kosmokraten. Und wir haben keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun, weil wir die Position dieser Chaotarchenrelikte nicht kennen.«

Rhodan ballte die Hand zur Faust, als er hörte, wie Varantir die Auslöschung von einhundertachtzig bewohnten Sonnensystemen technokratisch mitleidslos als »schnelle Korrekturmaßnahme« bezeichnete.