Foster, Becca Blind Date - Tödliche Verführung

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Aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

 

© Becca Foster 2017
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Blind Date«, published by arrangement with
St. Martin’s Press. All rights reserved.
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2020
Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press
durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,
30161 Hannover, vermittelt.
Redaktion: Anita Hirtreiter

 

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Prolog

»Ich vermisse dich, Ray.«

Ich betrachte sie ganz genau und sehe, wie ihre Lippen diese rührenden Worte an ihren Ehemann formen, als sie einen bunten Blumenstrauß vor seinen Grabstein legt. Sie kniet neben einer Wasserpfütze und lässt die Finger über den Marmor gleiten. Ihr brünettes Haar ist mit einer schwarzen Haarspange ordentlich im Nacken zusammengebunden. Ich frage mich, ob sie das wohl selbst getan hat. Vielleicht hat ihr die Frisur ja auch ihre Freundin gemacht, die links neben ihr steht und sie voller Anteilnahme ansieht.

Mein Herz gerät kurz aus dem Takt.

Doch das liegt nicht daran, dass ich mit dem Mädchen mitfühle. Im Gegenteil: Ich freue mich. Sie ist anders als alles, was ich bisher gesehen habe, anders als alles, womit ich Erfahrungen habe.

Ich beobachte sie schon seit einer Weile. All die anderen – ihre Situation war anders. Aber die hier … sie ist willensstark. Das erkenne ich an der Art, wie sie die Hände zu Fäusten ballt, um zu verhindern, dass sie zusammenbricht. Sie ist niemand, der auf die Knie fällt und schreit. Sie ist stärker als das. Es steht ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, in der Art, wie sie die Zähne zusammenbeißt, um nicht zu weinen.

Nein. Sie ist nicht wie die willensschwachen Frauen, mit denen ich in der Vergangenheit gespielt habe.

Ich spüre es in meiner Brust – sie ist die Eine. Sie will ich haben, die Trophäe, auf die ich aus bin. Mit ihr darf ich nichts überstürzen. Nein, ich muss die Sache langsam angehen; mich erst vorarbeiten, bevor ich angreife. Ich muss sie erforschen und alles richtig machen. Sie wird sicher nicht einfach, doch es wird das Ganze wert sein. Sie wird diejenige sein, an die ich mich für immer erinnere; das spüre ich tief in meinem Innersten.

Ja. Sie ist das, wofür ich so hart trainiert habe.

Ich muss meine Taktik anpassen. Ich kann das nicht genauso machen, wie ich es bei all den anderen Frauen getan habe. Diese hier ist etwas Besonderes und verdient damit auch eine besondere Behandlung. Sie wird alles bekommen, was sich so lange in mir aufgestaut hat. Diesmal werde ich es anders angehen und dieses Mädchen zu meiner Trophäe machen. Ich werde in ihr Leben wirbeln wie ein Hurrikan, nur dass sie mich nicht sehen wird. Aber sie wird mich spüren.

Ich werde zurückkommen.

Sie wird gar nicht wissen, wie ihr geschieht.

Hartley Watson.

Ich komme, um dich zu holen.

1 – »Komm schon, Hart …

Hartley

»Komm schon, Hart, es ist jetzt vier Jahre her. Du kannst dich nicht ewig zurückziehen und musst auch mal wieder aus deinem Schneckenhaus herauskommen.«

Ich werfe einen Blick zu Taylor, meiner besten Freundin, die eine richtige Nervensäge sein kann, und ziehe eine Grimasse. »Du hast ja recht, aber glaubst du nicht, dass es ein bisschen übertrieben ist, gleich auf ein Blind Date zu gehen? Ich habe von so was gelesen – das nimmt nie ein gutes Ende.«

Taylor zieht die Augenbrauen hoch. Sie ist groß, schlank und hat blonde Haare und sieht selbst mit sarkastischer Miene atemberaubend aus. Natürlich hat sie keinerlei Probleme, Männer kennenzulernen – die Typen stehen bei ihr Schlange. »Woher willst du das wissen? Du hattest ja noch nie eines. Du warst zehn Jahre lang mit Raymond zusammen. Wann hast du überhaupt das letzte Mal neue Leute kennengelernt?«

Der Name meines Ehemannes sorgt dafür, dass meine Brust eng wird, auch wenn es nicht mehr so schlimm ist, wie es einmal war. Während der ersten paar Jahre, nachdem ich ihn bei einem Autounfall verloren habe, habe ich ständig einen stechenden Schmerz verspürt. Ich glaube nicht, dass es auch nur einen Tag gab, der verging, ohne dass dieser quälende Stich mich durchfahren hat. Mit der Zeit ist allerdings bloß ein dumpfer Schmerz zurückgeblieben – an manchen Tagen schlimm, an anderen kaum spürbar, aber stets vorhanden. Eine ständige Erinnerung daran, dass er verschwunden ist und ich immer noch hier bin, ohne ihn.

Zumindest laufen mir beim Aufwachen nicht mehr jeden Morgen Tränen über die Wangen. Das war ein großer Schritt. Da habe ich mich zum ersten Mal gefühlt, als würden die Wunden verheilen. Das war vor sechs Monaten.

»Ich will keine neuen Leute kennenlernen.« Ich zucke mit den Achseln. »Oder zumindest will ich es nicht erzwingen. Es wirkt falsch …«

Taylor lässt die Augenbrauen hochgezogen, doch nun verschränkt sie auch noch die Arme vor der Brust, sodass die purpurfarbene Bluse, die sie trägt, Falten wirft. »Hör mal, Süße, ich weiß, dass du nicht bereit sein beziehungsweise nicht mal darüber nachdenken willst, aber es kann schließlich nicht schaden, auf ein Date zu gehen. Du musst den Kerl ja nicht gleich heiraten. Du trinkst etwas, und wenn du ihn nicht magst, gehst du wieder und brauchst ihn nie wiederzusehen.«

Ich mustere sie einen Moment. Taylor ist stur. Sie lässt nicht locker, wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat. Sie sieht mir fest in den Augen, ohne auch nur einen flüchtigen Moment zur Seite zu blicken. Sie wird nicht nachgeben, das weiß ich genau. Wenn Taylor in einer ihrer lebensverändernden Stimmungen ist, kann niemand sich gegen sie wehren. Niemand.

»Du wirst das nicht auf sich beruhen lassen, oder?«, murmele ich, als ich den Blick abwende und die Augen zusammenkneife, um einen Faden in die Nadel einzufädeln, damit ich einen Knopf an meine grüne Lieblingsbluse nähen kann, die ich wahrscheinlich bereits viel zu lange trage, aber einfach nicht ausmustern kann. Sie ist bequem, so unglaublich bequem. Und sie war das Kleidungsstück, das ich kurz vor Raymonds Tod getragen habe. Das letzte Kleidungsstück, das er berührt hat. Das letzte, worin er mich gesehen hat.

Taylor brummt und zieht so meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Hart, du bist jung, und du könntest dort draußen sein und all die Liebe bekommen, die du verdienst hast. Könntest du das für mich tun? Bitte? Geh auf ein paar Dates, und wenn du sie hasst, schwöre ich, dass ich das Thema nie wieder ansprechen werde. Ich werde dich in Ruhe lassen, damit du Knöpfe annähen und dich weitere vier Jahre in diesem Apartment verkriechen und darin versauern kannst.«

Ich werfe ihr einen bösen Blick zu, doch sie blinzelt bloß unschuldig.

Verdammt. Sie ist gut. Sie weiß genau, wie sie es anstellen muss, um mir ins Gewissen zu reden und das zu bekommen, was sie will. Wir kennen uns einfach bereits zu lange – das ist ja das Problem. Sie könnte genauso gut meine Schwester sein. Streng genommen ist sie ein Teil von mir. Und sie kann in mir lesen wie in einem verdammten Buch.

»Eines«, sage ich und senke erneut den Blick, um die Nadel erst durch den Knopf und dann durch den Stoff meiner Bluse zu stechen. »Ein Date, und das war’s.«

»Fünf.«

Ich schnaube. »Eines.«

»Vier Dates. Komm schon, Hartley.«

Sie presst in einer flehenden Geste die Handflächen zusammen und klimpert mit diesen langen Wimpern, während sie mich ansieht wie ein verzweifeltes Kätzchen.

Ich kneife die Augen zusammen. »Zwei.«

»Drei, und dann ist es gut.«

Ich seufze. »Ich verstehe nicht, wieso ich mit drei Männern ausgehen soll. Kann ich nicht einfach auf ein Date gehen und es hinter mich bringen? Ich bin nicht daran interessiert, jemanden zu finden. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt ein Date haben will. Ehrlich.«

Sie lächelt bereits viel zu breit, weil sie weiß, dass sie gewonnen hat. Sie weiß es, und sie ist deswegen ganz aus dem Häuschen. »Das weißt du nicht, bevor du es versucht hast. Und hey, vielleicht entsteht dabei ja auch einfach nur eine Freundschaft. Wäre das denn nicht nett?«

Wieder kneife ich die Augen zusammen. »Aber ich hab doch schon eine Freundin – dich.«

Sie strahlt mich an. »Sicher, aber einen Mann als Freund hast du ja noch nicht. Der könnte dich vielleicht zum Lachen bringen. Dafür sorgen, dass du dich wieder gut fühlst.«

»Das alles tust du auch«, murmele ich, weil ich mir die Nadel zwischen die Zähne geschoben habe, um den Knopf zurechtzurücken. Ich weiß, was sie meint, doch das werde ich nicht zugeben. Diese Genugtuung soll sie nicht haben.

»Hör auf, mit mir zu diskutieren, und tu einfach, was man dir sagt.«

Ich kichere, und die Nadel fällt mir aus dem Mund. Ich weiß, was Taylor tut, und wahrscheinlich ist es Zeit, nachzugeben und mich tatsächlich wieder in die Welt hinauszuwagen. Aber allein die Vorstellung, mich hübsch anzuziehen und auf ein Date zu gehen, sorgt dafür, dass ich mich winden will. Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass ich nicht will. Ich meine, sicher, eines Tages möchte ich wieder eine Beziehung haben. Ich nehme an, letztendlich habe ich Angst davor, mich jemandem wieder … auf diese Weise zu öffnen.

Ray und ich hatten nie wirklich Dates. Wir haben uns Anfang zwanzig über gemeinsame Freunde kennengelernt und sind irgendwie ins Gespräch gekommen – er hat mich zum Lachen gebracht, das werde ich nie vergessen. Während unseres ersten Gesprächs habe ich gelacht, bis mir der Bauch wehtat. Eins führte zum anderen, und ehe ich wusste, wie mir geschah, waren wir zusammen. Sicher, danach sind wir ausgegangen, doch es gab nie diesen peinlichen Moment des ersten Dates, wo die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass man mindestens eine Stunde mit einem Fremden festhängt.

Dann muss man sich ja auch noch darüber Gedanken machen, worüber man sprechen will. Ich stöhne innerlich, weil ich mir wirklich nicht sicher bin, ob ich dafür gemacht bin. Ich war noch nie gut darin, neue Leute kennenzulernen, ganz zu schweigen von Small Talk, aber Taylor hat recht, es ist vier Jahre her, und ich habe mich verkrochen. Das kann ich nicht ewig tun. Also vielleicht ist es zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, ein paar Dates durchzustehen. Ich will nicht für immer allein bleiben – will ich wirklich nicht –, doch ich werde nicht leugnen, dass die Vorstellung, mich erneut in die beängstigende Welt des Datings zu begeben, mir ein wenig Angst macht.

»Schön«, kapituliere ich seufzend. »Drei, aber mehr nicht. Wenn es mit keinem von den dreien funktioniert – und das ist sehr wahrscheinlich –, dann lässt du mich in Ruhe und erwähnst mir gegenüber nie wieder den männlichen Teil der Bevölkerung.«

Sie klatscht in die Hände. »Abgemacht. Aber du musst es wirklich versuchen. Ich will nicht, dass mir zu Ohren kommt, du hättest dich absichtlich vollkommen danebenbenommen und alles in den Sand gesetzt, bevor die Männer auch nur ein Wort sagen konnten.«

Ich schnaube. »Du hast mir gerade meinen Plan versaut. Ich hatte vor, meine hässlichste Jeans zu tragen und beim Essen zu sabbern.«

Sie boxt mich in den Arm, und ich grinse zu ihr auf.

»Sei nicht so frech, Hartley. Vertrau mir, das wird dir guttun.«

Ich brumme. Es wird definitiv irgendetwas für mich sein, aber ob »gut« wirklich das Wort ist, das ich verwenden würde, muss sich erst noch herausstellen. »Ich trau mich ja kaum zu fragen, aber wo genau willst du diese drei geeigneten Singles denn auftreiben?«

Sie grinst schelmisch und reibt sich die Hände. Ich will ihre Antwort gar nicht hören, nicht, wenn ihre Miene mir jetzt schon verrät, dass sie nichts Gutes im Schilde führt. »Ich habe sie bereits gefunden.«

Sie … Moment … was? Wie zur Hölle kann sie drei Männer gefunden haben, und das in so kurzer Zeit?

»Taylor!«

Sie hebt schützend die Hände, als ich den ersten Gegenstand nach ihr werfe, der mir in die Hände fällt, was zufällig eine Rolle Garn ist. Das Wurfgeschoss prallt von ihrer Schulter ab und kullert über den Boden, wobei der Faden sich abrollt. Super. Es wird ewig dauern, das wieder aufzurollen.

»Komm schon, du dachtest doch nicht, dass ich dich zu so etwas überreden würde, ohne bereits alles vorbereitet zu haben, oder?«

Ich mustere sie schlecht gelaunt. Genau das hatte ich gedacht. Ich dachte, mir blieben wenigstens ein paar Wochen Zeit oder sie würde etwas anderes finden, was ihre Konzentration erfordert, und die ganze Sache einfach vergessen. Außerdem: Wie hat sie neben ihrer Arbeit und ihrer generellen Tendenz, mein gesamtes Leben zu kontrollieren, bloß die Zeit gefunden, drei Männer für mich aufzutreiben?

Sie verdreht die Augen. »Spar dir den mürrischen Blick, Hart. Du musst anfangen, dein wunderschönes Lächeln zu trainieren, um diese umwerfenden Kandidaten zu umgarnen.«

Ich schenke ihr ebenfalls ein Augenrollen. »Wo hast du drei Männer gefunden?«

»Tatsächlich habe ich fünf gefunden, aber ich denke, ich kann sie auf drei eingrenzen. Und es gibt da diese Single-Website, die tatsächlich Blind Date heißt. Wirklich supercool. Du gibst all deine Daten ein – deine Interessen und wie dein Traummann sein sollte –, und dann werden dir Vorschläge geschickt. Du bittest sie um ein Date, und sie stimmen zu oder nicht. Wenn sie Ja sagen, macht ihr etwas aus und trefft euch. Es ist irgendwie mysteriös, findest du nicht auch?«

»Mysteriös« würde ich es nicht unbedingt nennen, weil mir aus dem Stand mindestens zehn Arten einfallen, wie das schieflaufen kann. Also ehrlich, das ist doch, als hätte jemand extra eine Website angelegt, auf der alle Irren der Welt erst lügen und dann auf Dates auftauchen können. Ich habe keine Ahnung, wieso der Erfinder dachte, das wäre eine Erfolg versprechende Idee. Aber anscheinend ist die Website erfolgreich, da Taylor nicht nur einen, nicht zwei, sondern gleich fünf Männer für mich gefunden hat. Gott sei Dank habe ich bloß drei Dates zugestimmt. »Wenn ich als Sexsklavin verkauft werde, ist das allein deine Schuld«, sage ich und wedele warnend mit dem Finger vor ihr herum.

Sie lacht. »Jetzt sei doch nicht so dramatisch! Dafür hast du eine viel zu große Klappe. Bevor sie dich als Sklavin nutzen, hacken sie dich lieber in tausend Stücke – weil du sie innerhalb eines Tages in den Wahnsinn treiben wirst.«

Ich zeige ihr den Stinkefinger, was sie nur mit einem Augenzwinkern kommentiert.

»Das erste Date ist übrigens heute Abend. Ich habe auch bereits ein Kleid für dich.«

Ich reiße die Augen auf. Sie macht Witze, oder? Heute Abend? Mein Herz verkrampft sich auf seltsame Weise – bin ich etwa nervös? Es ist Ewigkeiten her, dass ich mich das letzte Mal so seltsam beklommen gefühlt habe. Bin ich wirklich schon bereit? Ich nehme an, ich habe keine andere Wahl. »Taylor, ehrlich …«

»Gern geschehen.«

Ich ziehe einen Schmollmund. »Ich werde mich dafür rächen. Und meine Rache wird süß sein.«

»Ja, ja.« Sie wedelt wegwerfend mit der Hand. »Du solltest diesen Knopf besser fertig annähen, weil wir noch Schuhe für dich finden müssen – oh, und den richtigen Schmuck.«

Ich hatte seit über zehn Jahren kein Date. Ich bin fast vierunddreißig Jahre alt. Das ist eine große Lücke. Seit ich vierundzwanzig war, hat sich eine Menge verändert. Bin ich überhaupt das, wonach Männer heutzutage suchen? Was ist die Norm für eine Frau? Sollte ich blonder sein? Dünner? Ich wüsste nicht mal, worüber ich reden soll. Wird es peinlich? Was, wenn ich die Person hasse und nicht entkommen kann? Das ist nicht der traditionelle Weg, jemanden kennenzulernen, und das macht mich nervös.

Reiß dich zusammen, Hartley. Irgendwann muss es passieren.

»Was ist, wenn ich den Kerl nicht mag? Also ich meine, so richtig nicht mag?«, frage ich.

Taylor nickt, als hätte sie sich mit diesem Szenario bereits auseinandergesetzt. »Dann schickst du mir einfach eine Nachricht, und ich werde dich anrufen und so tun, als wäre ich deine schwangere Schwester, bei der gerade die Wehen eingesetzt haben.«

»Wahnsinnig originell.« Ich verdrehe die Augen.

Sie zuckt mit den Achseln. »Aber es wird funktionieren. Und jetzt lass uns etwas finden, was wir mit deinen Haaren anstellen können.«

Wieder ziehe ich einen Schmollmund. »Muss ich das wirklich tun?«

Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Wenn du jemals wieder in Ruhe gelassen werden willst, dann ja.«

Ich knirsche mit den Zähnen. »Und das ist die einzige Möglichkeit?«

»Du könntest immer noch losziehen und deinen tollen Nachbarn ansprechen.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Ace?«

»Mmmmhmmm. Ihm würde ich nur zu gerne aus dem Gebäude folgen.«

Ich lache. »Ace kannst du vergessen. Er sagt nicht mal Hallo, wenn ich ihm zuwinke. Er ist so … brutal. Ernsthaft.«

Wieder zuckt sie mit den Schultern. »Er ist Polizist. Cops benehmen sich so.«

Ich verziehe ungläubig das Gesicht. Ich finde nicht, dass diese Erklärung ihm das Recht gibt, herumzulaufen, als wäre er etwas Besseres. Auf seine Manieren sollte man immer achten, egal, welchen Beruf man auch ausübt. »Um genau zu sein, ist er Detective, und Manieren zu zeigen ist ja eigentlich nicht so anstrengend. Er muss doch sicher im täglichen Leben auch mit Menschen umgehen. Ich meine, wie schwer ist es schon, einfach mal Hallo zu sagen?«

»Es kann doch sein, dass er dich gar nicht gehört hat«, wirf Taylor ein.

»Oh, er hört mich durchaus. Einmal habe ich direkt vor seinem Gesicht gewinkt, aber er hat mich bloß angestarrt.«

Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Tja, stille Wasser sind tief. Du könntest das ganze Dating überspringen und dich einfach auf ihn stürzen, um mal so richtig Spaß zu haben. Vielleicht ist das ja alles, was du brauchst.«

Ich schnaube. »Nein, vielen Dank auch. Ich würde lieber sonst was tun, als Ace um irgendetwas zu bitten.«

Sie lacht. »Er ist wirklich heiß. Das musst sogar du zugeben.«

Ace Henderson – Detective, Vollpfosten und launischer Mistkerl – wohnt direkt neben mir. Er fällt in diese groß/dunkel/gut aussehend/grüblerisch-Kategorie. Ja, Ace Henderson sieht toll aus. Jede Frau, die Augen im Gesicht hat, würde das zugeben.

Doch er ist auch ein Arsch.

»Ich habe nie behauptet, dass er nicht nett anzuschauen ist, aber nein. Lass uns bei den Blind Dates bleiben.«

Taylor klatscht erneut in die Hände. »Ich bin ja so aufgeregt.«

Gott, steh mir bei!

 

Das ist eine schlechte Idee.

Eine wirklich schlechte Idee.

Ich sollte einfach umdrehen und nach Hause gehen, jetzt sofort, bevor dieser zufällig ausgewählte Fremde ankommt. Vielleicht kann ich Bauchweh vortäuschen, um Taylor milde zu stimmen. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Das könnte auf so viele Arten schieflaufen. Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, einen anderen Mann zu treffen, selbst wenn es nur rein freundschaftlich ist. Nervös zappelnd stehe ich vor dem Bar-Restaurant. Ich versuche, mich klein zu machen, aber wahrscheinlich falle ich auf wie ein bunter Hund.

Der Wind streicht über meine Wangen und beruhigt mich ein wenig. Ich konzentriere mich auf die Pärchen, die an den großen Tischen vor der Bar sitzen, geschützt unter großen schwarzen Sonnenschirmen, und entspanne mich. Es wird schon werden. Es wird sicher toll.

Mein Handy brummt in meiner Tasche und lenkt mich von dem Chaos in meinem Kopf ab. Mit unsicheren Fingern ziehe ich das Gerät heraus und entdecke eine Nachricht von Taylor auf dem Display.

 

T: Denk nicht mal darüber nach, einfach abzuhauen, und nein, deine Ausreden werden nicht funktionieren. Das ist gut für dich.

 

Verdammt soll sie sein.

Sie kann Gedanken lesen.

 

H: Ich hasse dich. Wenn dieser Kerl ein Reinfall wird, wirst du dafür büßen.

T: Hab dich lieb!

 

Kopfschüttelnd stecke ich mein Handy wieder weg. Genau in diesem Moment sagt eine ruhige Stimme: »Hartley?«

Es ist eine schöne Stimme. Männlich, tief und glatt. Ich atme tief durch und fühle mich ein wenig besser. Ich dramatisiere, das weiß ich. Ich muss mich zusammenreißen und mich entspannen. Wenn ich so verkrampft bleibe, kann ich mich nicht amüsieren. Also drehe ich mich um und sehe den Mann hinter mir an.

Es kostet mich all meine Kraft, nicht laut zu keuchen.

Ein paar Sekunden lang starre ich nur. Ich bin niemand, der schnell ein Urteil fällt. Ich bewerte Leute nicht nach ihrem Aussehen und bin auf keinen Fall oberflächlich … aber dieser Mann ist gute fünfzehn Jahre älter als ich. Taylor hat mir die wichtigsten Infos weitergegeben – hat mir erklärt, dass Greg bloß fünf Jahre älter wäre als ich –, also weiß ich sofort, dass er gelogen hat.

Ich glaube, das ist es, was mich am meisten schockiert. Nicht, dass er nicht mein Typ ist, sondern dass er gelogen hat. Welche anderen Lügen hat er noch erzählt?

Das sorgt nicht dafür, dass ich mich sicher fühle. Absolut nicht.

Vor mir steht ein Mann, der mindestens Ende vierzig ist. Er hat Geheimratsecken, und auch sonst spricht nicht viel für ihn. Er hat blaue Augen, buschige Augenbrauen und ist ein wenig übergewichtig, was sich sowohl an seiner Figur als auch an seinem runden Gesicht bemerkbar macht. Er trägt eine saubere schwarze Stoffhose und ein graues Anzughemd. Zumindest ist er gut angezogen.

»Ähm«, presse ich schließlich hervor, in dem Versuch, mir nicht anmerken zu lassen, wie schockiert ich bin, und meine Manieren nicht zu vergessen. »Ja.«

»Ich bin Greg.«

Greg.

Sei nicht oberflächlich, Hartley. Das ist ein schöner Name. Zumindest hat er in diesem Punkt nicht gelogen. Wahrscheinlich ist er ein wirklich netter Mann, selbst wenn seine glatte, männliche, sexy Stimme nicht zu ihm passt. Überhaupt nicht. Wie kann so was passieren? Wie kann seine Stimme Sexgott schreien und damit so vollkommen danebenliegen? Himmel. Was tue ich hier? Ich benehme mich schrecklich. Ich habe mich noch nicht mal mit dem Mann unterhalten.

Vielleicht könnte er ja ein guter Freund für mich werden.

Genau. Ein guter Freund. So. Jetzt fühle ich mich besser.

Irgendwie.

»Hi, Greg«, sage ich und stoße die Luft aus, die ich angehalten habe.

Weil es anfing, wehzutun.

Er lächelt verlegen und zeigt dabei gerade weiße Zähne. Er scheint ein netter Kerl zu sein, also entspanne ich mich ein wenig. Wahrscheinlich ist er genauso nervös wie ich, daher sollte ich nachsichtig sein. »Hör mal, ehe wir reingehen, es tut mir leid, dass ich nicht wirklich der Beschreibung entspreche, die ich in meinem Profil angegeben habe. Es ist heutzutage nur wirklich schwer, ein Date zu bekommen, weil die Leute einen beurteilen, bevor man sie überhaupt getroffen hat. Ich weiß, dass ich nicht ganz ehrlich war.«

Ich gehöre zu den Leuten, von denen er spricht.

Oberflächliches Miststück.

Ich sollte mir wirklich eine Gardinenpredigt halten. Ich wollte nicht mal auf ein Date gehen, aber jetzt, wo ich hier bin, urteile ich über diesen Mann, weil er mich auf dem falschen Fuß erwischt hat. Ich habe ihn bisher kaum zu Wort kommen lassen und ihn trotzdem bereits abgetan. Das ist unfair.

Ich lächele, obwohl ich mich immer noch nicht ganz wohlfühle. Allerdings wäre es ganz schön unfair, nicht wenigstens etwas mit ihm zu trinken. Es wird nicht lange dauern, ist höflich – und anständig. »Willst du reingehen und etwas trinken?«

Seine Schultern sacken ein wenig nach unten. »Natürlich. Nach dir.«

Ich drehe mich um und betrete die Bar. Greg folgt mir. Für meinen Geschmack rückt er mir dabei ein wenig zu sehr auf den Pelz, doch ich sage nichts. Ich setze mich einfach auf einen Barhocker, und er lässt sich direkt neben mir nieder. Als ich ihn nun mustere – zum ersten Mal richtig ansehe –, kann ich erkennen, dass er in seinen jüngeren Jahren wahrscheinlich ein durchaus gut aussehender Mann war. Vielleicht war er sogar attraktiv genug, um mit seiner Stimme Schritt zu halten. Aber das Alter hat ihn offensichtlich eingeholt. Es sieht aus, als hätte er viel Zeit in der Sonne verbracht, was die Hautalterung vorangetrieben hat.

Ich denke allerdings nach wie vor, dass er bereits auf die fünfzig zugeht. Unglücklicherweise weiß ich jetzt schon, dass das nicht funktioniert – egal, als wie nett er sich auch entpuppen wird. Ich glaube wirklich nicht, dass ich über den Altersunterschied hinwegsehen kann. Freundschaft ist okay. Ja. Freundschaft. Gott, ich werde Taylor umbringen. Sie umbringen und ihre Leiche dann in einem flachen Grab verscharren. Ohne jede Klasse.

Aber wenn ich mich wirklich zurück in die Dating-Welt begeben will, muss ich solche Situationen ebenfalls trainieren. Außerdem würde ich auch nicht wollen, dass jemand mich unhöflich behandelt, nur weil ich nicht sein Typ bin. Ein Date ist schon nervenaufreibend genug. Eine Zurückweisung ist noch schlimmer. So grausam bin ich nicht. Ich kann mich unterhalten. Ich kann freundlich sein. Und zumindest komme ich so mal aus dem Haus, habe ich recht?

»Also, wie kommt’s, dass ein so schönes Mädchen wie du sich auf einem Dating-Portal anmeldet?«, fragt mich Greg.

»Ich habe vor vier Jahren meinen Ehemann verloren … und ich nehme an, ich wollte einfach mal wieder etwas wagen.«

Eins muss man Greg lassen: Er zuckt nicht zusammen, verfällt nicht in Panik und weicht auch nicht zurück, als er hört, dass ich verheiratet war und mein Mann gestorben ist. Seitdem ich Raymond verloren habe, haben nicht viele Männer versucht, mit mir zu reden … doch die wenigen, die es getan haben, schienen sofort das Interesse zu verlieren, als ich erwähnt habe, dass ich Witwe bin. Ich verstehe nicht, woran es liegt, aber es ist, als würde in ihrem Kopf ein Schalter umgelegt, sodass sie sich sofort zurückziehen. Gregs Augen sind sanft, als er sagt: »Tut mir leid, das zu hören. Das muss wirklich schwer gewesen sein.«

Siehst du? Er ist ein netter Kerl.

Ich lächele und entspanne mich ein wenig, versuche, tief durchzuatmen und mich wohlzufühlen. Und mir wird klar, dass ich nervös bin, obwohl ich Greg in keiner Weise anziehend finde. »Danke. Was ist mit dir, Greg? Was führt dich in die Dating-Welt?«

Er zuckt mit den Achseln und sieht mich direkt an. »Ich will einfach jemanden kennenlernen, mit dem ich alt werden kann. Ich will nicht den Rest meines Lebens allein bleiben. Ich hätte gerne eine Familie. Bisher ist mir nicht die Richtige über den Weg gelaufen, also dachte ich, ich wage den Schritt und schaue mal, welche Frauen es da draußen so gibt.«

Oh. Er ist nett und scheint klug zu sein. Ich weiß nicht, wieso er lügen muss, um ein Date zu finden. Ich bin mir sicher, dort draußen gibt es jede Menge netter Frauen in seiner Altersklasse, die gerne mit jemandem wie ihm ausgehen würden.

»Da hast du dir ein gutes Ziel gesetzt.«

Irgendwie fühle ich mich immer noch nicht ganz wohl. Falls Greg etwas bemerkt, lässt er sich überhaupt nichts anmerken. Er wirkt gelassen, er lächelt freundlich und nippt an seinem Drink, als wäre er vollkommen entspannt.

»Ja, das denke ich auch«, fährt er fort. »Ich war schon auf ein paar Dates, aber alle Frauen in meiner Altersklasse entsprechen einfach nicht meinen Standards. Daher fällt es mir wirklich schwer, jemanden zu finden, mit dem ich eine Verbindung aufbauen kann, verstehst du?«

Schweigen.

Absolute Stille.

Ich blinzele.

Hat er gerade sagt, gewisse Frauen würden nicht seinen Standards entsprechen?

»Nicht, dass ich wählerisch wäre«, sagt er eilig, weil er offensichtlich meinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkt hat. »Aber ich habe einen bestimmten Typ. Es ist schwer, wenn man genau weiß, was man will, aber alles ein wenig anpassen muss, um es zu bekommen. Ich will nicht schmierig wirken. Aber wir haben doch alle ein recht konkretes Bild im Kopf, oder?«

Ich blinzele wieder.

Er macht Witze, oder?

Nein. Ich muss da etwas falsch verstehen. Sicherlich hat er diese Worte nicht gerade ausgesprochen und sie ernst gemeint. Ich muss ihn missverstanden haben. Denn wenn nicht, ergibt das alles plötzlich Sinn. Die Lügen im Profil. Wie wohl er sich trotz seines Alters in meiner Nähe fühlt. Nein. Ich muss mich irren.

»Und wie sieht dieses Bild aus?«, frage ich, und ich fürchte, man hört mir mein Entsetzen an.

Er wirkt verlegen. »Ich bevorzuge Frauen, die jünger sind als ich. Sie müssen hübsch sein, schlank, witzig, mit festem Job. Das Übliche eben, wonach ein Mann Ausschau hält. Du findest doch nicht, dass ich deswegen oberflächlich bin, oder?«

Doch.

Doch, das finde ich sehr wohl. Ich bin entsetzt. Wenn er einfach gesagt hätte, er wolle eine erfolgreiche Frau … kein Problem. Oder eine witzige Frau … vollkommen okay. Aber eine junge, hübsche, schlanke Frau … nicht okay. Niemals okay. Das ist ziemlich oberflächlich, und ich mag keine oberflächlichen Männer. Und ich dachte, ich wäre oberflächlich, als ich ihn vorhin zum ersten Mal gesehen habe. Aber im Vergleich zu ihm war ich harmlos.

Mühsam schlucke ich die Beleidigung hinunter, die mir bereits auf der Zunge liegt, und sage mit gepresster Stimme: »Aber es gibt doch bestimmt auch jede Menge toller Frauen in deiner Altersklasse, oder?«

Sein Blick schießt zur Seite, dann sieht er mich wieder an. »Sicher. Aber wie ich schon sagte, ich mag lieber die jüngeren. Mindestens zehn Jahre jünger als ich. Ich glaube nicht, dass mich das zu einem schlechten Menschen macht. Bitte verurteile mich nicht dafür. Ich dachte nur, wenn wir bloß eine Chance bekommen, könnte ich ebenso gut versuchen, genau das zu bekommen, was ich will. Ich meine, natürlich will ich niemandes Gefühle verletzen, aber ich muss ja ehrlich zu mir selbst sein und habe eben gewisse Vorstellungen von meiner Traumfrau.«

Das. Hat. Er. Nicht. Gesagt.

Ich starre ihn mit leerem Blick an. Ich kann seine Worte nicht verarbeiten. Kann ich wirklich nicht. Ich verstehe, dass man einen gewissen Typ hat; ich verstehe auch, dass man sich mit niemandem einlässt, auf den man nicht steht, nur weil man die Person nicht verletzen will – wie jetzt gerade, zum Beispiel. Aber dieser Mann ist … er benimmt sich einfach … wie ein Arschloch.

»Bitte halte mich nicht für furchtbar«, sagt er und hebt die Hände. »Himmel, das passiert mir immer. Ich trete ins Fettnäpfchen. Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich finde einfach, man hat nur ein Leben, also sollte man nach dem streben, was man will, und sich nicht mit weniger zufriedengeben. Ich fühle mich von Frauen in meinem Alter einfach nicht angezogen. Ich finde sie unattraktiv. Es wäre nicht fair von mir, ihnen etwas vorzumachen, obwohl ich doch weiß, dass sie nicht das sind, was ich will. Niemand sollte mit jemandem ausgehen, den er nicht attraktiv findet.«

Oh mein Gott. Er macht es sogar noch schlimmer!

Dieser Kerl hält sich für unwiderstehlich.

»Und deine Traumfrau muss nicht nur jung sein, sondern auch noch attraktiv. Findest du nicht, dass du damit etwas … außerhalb deiner Liga spielst?«

»Du hast mich falsch verstanden«, sagt er, doch ich weiß, dass das nicht stimmt.

Nun weiß ich, warum er solo und auf einem Dating-Portal unterwegs ist. Er ist wählerisch. Und nicht nur das, er findet auch noch, es stände ihm zu, wählerisch zu sein. Hey, versteht mich nicht falsch. Ich bin mir sicher, dort draußen gibt es gute Männer, die nicht so toll aussehen, sich aber davon nicht verrückt machen lassen und tun, was richtig ist. Dieser Mann sieht nicht toll aus, aber er ist trotzdem der Meinung, er hätte das Recht, Frauen, die genauso alt sind wie er und nicht so heiß sind, wie er sie haben will – oder so jung, wie er sie haben will –, das Gefühl zu geben, dass sie weniger wert sind.

»Nein«, sage ich und greife nach meiner Handtasche. »Ich glaube, ich habe dich sehr gut verstanden. Tut mir leid, ich glaube sowieso, dass du zu alt für mich bist.«

Ihm fällt die Kinnlade nach unten. »Du hast mir nicht mal eine Chance gegeben.«

Ich schenke ihm einen harten Blick und stelle sicher, den Blickkontakt zu halten, als ich in leisem Ton schnippisch sage: »Du hältst dich für besser als Frauen deines eigenen Alters, und deine Gründe dafür lauten, dass du jüngere Frauen vorziehst. Und nicht nur das, sie müssen auch noch äußerlich perfekt sein. Warum? Was lässt dich glauben, dass du freie Auswahl hast? Lass mich dir einen Rat geben … wenn du nicht gerade aussiehst wie Brad Pitt, kannst du nicht so wählerisch sein. Das ist oberflächlich und kein schöner Zug von dir, und wenn du ein richtiges Date willst, solltest du vielleicht versuchen, deine lächerlichen Standards anzupassen und dich zu benehmen wie ein anständiger Mensch.«

Er öffnet den Mund und schließt ihn dann wieder.

Ich lasse ihm gar keine Chance, noch etwas zu sagen. Stattdessen drehe ich mich um und gehe, ohne anzubieten, meinen Drink zu bezahlen. Dieser Idiot kann mich ruhig einladen.

Eilig verlasse ich das Restaurant und trete auf den Gehweg, winke ein Taxi heran und ziehe mein Handy heraus, kaum dass ich dem Fahrer meine Adresse genannt habe. Und dann schreibe ich Taylor eine Nachricht.

 

H: Wir müssen uns mal dringend unterhalten. Dieser Mann war grauenhaft!

T: Oje. So schlimm? Sah er zumindest gut aus?

H: Wenn du alt und Geheimratsecken attraktiv findest … dann ja.

T: OMG. In seinem Profil stand, er wäre jung, mit dunklem Haar. Ich schwöre es!

H: Wir werden noch darüber reden. Zu allem Überfluss war er auch noch ein oberflächlicher Vollpfosten.

T: Tut mir leid. Ich verspreche, der Nächste wird besser.

 

Ich stopfe mein Handy zurück in die Tasche und koche den gesamten Weg nach Hause innerlich vor Wut. Als das Taxi vor meinem Gebäude vorfährt, zahle ich und steige aus, dann gehe ich durch die Tür zum Aufzug, der mich in den ersten Stock bringen wird, wo mein Apartment liegt. Es ist nur eine Etage, und wahrscheinlich könnte ich die Treppe benutzen, aber der Lift wartet immer schon, und ich bin kein großer Fan von Treppen. Gerade als ich den Lift betreten habe und die Türen Anstalten machen, sich zu schließen, schiebt sich eine breite Hand in den Spalt und stoppt sie.

Und Detective Ace Henderson gesellt sich zu mir.

2 – Wenn ich ehrlich …

Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, ist Ace wahrscheinlich einer der attraktivsten Männer, die zu sehen ich je das Vergnügen hatte. Nicht, dass ich ihn oft sehen würde. Meist geht er gerade, wenn ich nach Hause komme, oder andersherum. Ich bin ihm ein paarmal im Waschraum begegnet, aber da liest er immer und scheint nicht an einem Gespräch interessiert. Ein paarmal hat er seine Abfalltüte vor dem Müllschacht stehen gelassen, was mich total genervt hat, doch davon abgesehen tritt er nicht allzu oft in Erscheinung. Er scheint nicht sonderlich sozial zu sein.

Allerdings ist mir aufgefallen, dass er fast jedes Mal, wenn ich ihn tatsächlich sehe, einen Anzug trägt – und dabei trotzdem irgendwie unordentlich wirkt. Seine Haare sind immer ein wenig durcheinander, als wäre er sich gerade mit den Fingern hindurchgefahren, und er hat einen dunklen Bartschatten am Kinn.

Und ich will gar nicht erst von diesen Augen anfangen.

Braun, wie flüssige Schokolade. Umrahmt von den längsten, dichtesten Wimpern, die ich je bei einem Mann gesehen habe. Sie sind perfekt in seinem Gesicht platziert, umgeben von unglaublich männlichen Zügen; und dann ist da dieser massive Körper, der scheinbar nur aus gebräunter Haut und beeindruckenden Muskeln zu bestehen scheint. Er ist der erste Mann, der nach Ray auf meinem Radar aufgetaucht ist – auch wenn ich es einfach nur genieße, ihn anzusehen. Beim ersten Aufwallen von Lust habe ich Gewissensbisse bekommen, und es hat eine Weile gedauert, bis dieses Gefühl nachgelassen hat.

Ich schlucke schwer.

Ich habe mir noch nie den Lift mit ihm geteilt. Ich lebe nun seit über einem Jahr hier, und nicht ein einziges Mal sind wir zusammen nach oben oder unten gefahren. Mein Blick huscht zu dem Mann, als er mit dem Daumen auf den Türen-schließen-Knopf drückt. Jetzt sind wir ganz allein. Es herrscht dieses unangenehme Schweigen, bei dem man einfach nicht weiß, ob man etwas sagen soll, um das Eis zu brechen, oder einfach vorgeben, die andere Person stände nicht mit einem im Aufzug.

»Guten Abend, Herr Nachbar.«

Oh. Mein. Gott.

Habe ich das gerade gesagt?

Ich habe das gerade gesagt.

Ich hätte mir genauso gut ein Schild an die Stirn kleben können. Ein großes Loser-Schild.

Ace’ Blick schießt zu mir. Oh, diese Augen! So unglaublich und atemberaubend. Die Art von Augen, die einem die Knie weich werden lassen und dafür sorgen, dass einem das Höschen ganz feucht wird. Sein Blick ist intensiv und sagt mehr, als er selbst es je tun wird. Ace starrt mich ein paar Sekunden lang an, ohne auch nur ein Wort zu sagen, dann gleitet sein Blick zurück zur Tür.

Also, das ist echt unhöflich.

»Ich habe Hallo gesagt«, murmele ich. »Sie könnten zumindest etwas erwidern.«

Wieder sieht er mich an. Aus solcher Nähe betrachtet ist er wirklich massiv. Ich schwöre, wenn ich neben seinem über eins achtzig großen Körper stehe, fühle ich mich wie ein Zwerg. Zugegeben, ich bin nicht gerade hochgewachsen und eher schmal gebaut, aber dieser Mann sorgt dafür, dass ich mich noch kleiner fühle, als ich sowieso schon bin. Er wirkt einschüchternd, fast ein wenig bedrohlich. Diese prallen Muskeln, die selbst unter dem gut sitzenden grauen Anzug so deutlich zu erkennen sind, machen das auch nicht viel besser. Sein dunkles Haar ist wie üblich verwuschelt, steht in alle Richtungen ab – als wäre er heute Morgen aufgewacht, hätte sich angezogen und das Haus verlassen, ohne es auch bloß mit den Fingern zu kämmen.

Wieso bin ich mir seiner Gegenwart gerade so bewusst? Ich meine, sicher, ich habe ihn immer mal wieder angesehen und sein Aussehen bemerkt, aber jetzt nehme ich es gerade richtig wahr. Das sorgt dafür, dass ich mich ein wenig unwohl fühle, und ich spüre diesen vertrauten Stich aus Schuldgefühlen – obwohl ich natürlich weiß, dass es keinen Grund dafür gibt. Es ist nichts Falsches daran, andere Männer zu bemerken oder sogar mit ihnen auszugehen. Das weiß ich.

Wirklich.

»Kenne ich Sie?«

Seine Stimme ist der feuchte Traum jeder Frau: ein wenig heiser, männlich und tief. Ich konzentriere mich nur für eine Sekunde darauf, dann wird mir bewusst, was er gesagt hat. Kenne ich Sie? Meint er das wirklich ernst? Es gibt bloß noch eine andere Wohnung in unserem Stockwerk, die von Lena, einer kleinen älteren Dame, bewohnt wird. Wie zur Hölle kann er nicht wissen, wer ich bin? Ich begegne ihm fast jeden Tag. Ich habe ihn schon öfter gegrüßt. Das kann er einfach nicht ernst meinen.

»Ich wohne direkt neben Ihnen.«

Er mustert mich. »Ich habe Sie nie bemerkt.«

Er sagt das nicht auf eine freundliche Oh, tut mir leid, das wusste ich nicht-Art. Nein. Er sagt es auf eine Oh, Sie sind einfach unscheinbar-Art. Ich habe ihn unzählige Male gegrüßt und einmal sogar direkt vor seinem blöden, schönen Gesicht gewinkt. Und das weiß er. Da bin ich mir sicher. Niemand ist so dämlich. Also hat er beschlossen, unhöflich zu sein, und das ohne guten Grund. Ich richte mich höher auf, und Wut steigt in mir auf. Ich habe für heute Abend wirklich genug vom männlichen Teil der Bevölkerung. Erst Greg und sein oberflächlicher Charakter und jetzt Ace.

Nein.

Einfach nein.

»Ich weiß ja nicht, wer für Ihre Erziehung verantwortlich ist, mein Guter«, blaffe ich, »aber Sie sind so was von unhöflich.«

Genau in dem Moment, als der Lift bimmelt und die Türen sich öffnen, zieht er die Augenbrauen hoch. Ich stürme zuerst nach draußen, angewidert von der Unverfrorenheit dieses Kerls. Ich biege nach links ab, gehe die vier Schritte zu meiner Tür und ziehe meinen Schlüsselbund heraus. Dann sehe ich zu Ace, der nur wenige Meter entfernt vor seiner Tür steht und mich beobachtet.

»Richtig. Genau hier lebe ich. Ich bin die Frau, die Sie immer grüßt und von Ihnen auf unhöflichste Art ignoriert wird – und dann beleidigt. Und nein«, murmele ich, als ich den Schlüssel ins Schloss ramme, »ich werde Ihnen niemals mit Milch aushelfen.«

Ich stürme in die Wohnung, dann strecke ich den Kopf noch mal auf den Flur. »Oder mit Zucker!«

Damit knalle ich die Tür hinter mir zu. Als Erstes rufe ich Taylor an. Ich koche vor Wut, und sie soll genau erfahren, was ich gerade denke.

»Immer noch verstimmt?«, fragt sie, als sie abhebt.

»Ich mache auf keinen Fall ein weiteres Date aus, Taylor, das kann ich dir sagen. Ich dachte, das solltest du wissen.«

»Ach, komm schon. Es tut mir leid. Ich wusste doch nicht, dass er ein Lügner ist. Es ist eine Blind-Date-Website, also kann ich nur nach den Basics gehen: Alter, Größe, Haarfarbe, solche Dingen eben. Es soll schließlich eine Überraschung sein, also gibt es keine Fotos. Deswegen ist es ja so mysteriös … und spannend. Ich nehme an, manche Leute lügen einfach und machen falsche Angaben. Aber …«

»Genau. Da draußen gibt es wahrscheinlich noch tausend andere Lügner. Nein. Nicht noch mal.«

»Du hast mir drei versprochen. Bitte, Hart.«

Ich schnaube und schließe die Augen, um mich zu beruhigen. Männer. Vielleicht bin ich ohne sie besser dran.

»Ich glaube nicht, dass ich noch so einen Kerl ertragen kann«, murmele ich, als ich mir die Schläfen reibe.

»Nun, lass uns einfach hoffen, dass die nächsten keine Lügner sind. Ich bin mir sicher, das wird schon. Im schlimmsten Fall läuft es nicht gut, und du musst dich mit ein paar lausigen Dates rumschlagen. Aber zumindest kommst du mal wieder vor die Tür.«

Ich atme tief durch. Ich habe ihr drei Dates versprochen, also wird sie auch drei Dates bekommen.

»Gut, aber ehrlich, meine Geduld ist langsam am Ende.«

Sie kichert. »Atme tief durch. So schlimm ist es gar nicht. Außerdem: Hast du jetzt nicht tolle Geschichten zu erzählen?«

Ich knurre.

Sie lacht.

»Gute Nacht, Taylor. Ich hab dich lieb, auch wenn ich dich gerade im Moment hasse.«

»Ich hab dich auch lieb!«

Dieser Abend stinkt zum Himmel.

3 – »Ich kann nicht …

»Ich kann nicht glauben, dass ich das noch mal tue«, murmele ich leise vor mich hin, als ich über den Gehweg zu einer anderen Bar gehe, wo ich mich mit noch einem Mann treffen werde.

Ich schwöre, wenn der hier auch schrecklich ist, wird Taylor sich niemals wieder in mein Liebesleben einmischen. Dann wird es kein drittes Date geben. Ein Mädchen kann nur ein gewisses Maß an Idiotie ertragen. Mehr als zwei unheimliche Kerle tue ich mir nicht an. Also sollte dieses Date besser mal verdammt gut werden, sonst war’s das.

Ich stoppe vor der Eingangstür zur Bar, wo ich mich mit dem Typen treffen soll, und warte. Ich sehe mich um, lasse meinen Blick über die Gruppen von Leuten in meiner Nähe gleiten. Es ist ein netter Laden, mit moderner Einrichtung und mehreren Außentischen unter großen Sonnenschirmen. Ich streiche mit der Hand über das schwarze Kleid, das ich trage. Es hat einen V-Ausschnitt, mit einem engen Oberteil, aber einem weit fallenden Rock. Sexy, aber nicht zu einladend. Ich habe mir die Haare mit ein paar goldenen Klammern hochgesteckt und ein wenig Make-up aufgelegt.

Ich habe das Gefühl, dass ich eventuell ein wenig overdressed bin, denn die meisten anderen Frauen um mich herum tragen Jeans und hübsche Oberteile. Das sorgt nur dafür, dass ich noch nervöser werde … und deswegen achte ich nicht groß auf das Räuspern hinter mir. Erst als mir jemand auf die Schulter tippt, wirbele ich herum.

Ich finde mich einem extrem gut aussehenden Mann gegenüber, der eine Rose in der Hand hält. Das ist das Erste, was ich bemerke. Er ist groß, aber schlank, hat sandblondes Haar, das ihm bis auf die Stirn fällt, und blaue Augen. Gekleidet ist er ganz leger in Jeans und grauem T-Shirt, was aber gut aussieht. Sein Blick huscht über meinen Körper, dann blitzt ein ehrliches Lächeln auf, das sein gesamtes Gesicht zum Leuchten bringt. Er ist wirklich attraktiv, daran besteht mal kein Zweifel.

»Bist du Hartley?«

»Ja.« Ich lächele.

Sein Lächeln wird breiter, bis er förmlich strahlt. Er hat Grübchen. Wie süß. Er streckt mir die Hand entgegen. Als ich sie ergreife, umschließen seine warmen, weichen Finger meine. »Ich bin Richard. Es ist schön, dich kennenzulernen. Du siehst toll aus.«

Meine Nervosität lässt nach. Okay, der hier scheint nett zu sein. Und er sieht auch gut aus. Das sind zwei Häkchen auf meiner Checkliste. Vielleicht schaffen wir es ja sogar, ein annehmbares Gespräch zu führen, sodass ich nicht länger das Bedürfnis verspüre, Taylor zu ermorden. Meine Schultern sinken nach unten, und ich schenke ihm mein schönstes Lächeln. »Danke. Wollen wir reingehen?«

»Ja, gerne«, antwortet er.