7spirituelle Übungen
für Körper und Seele
Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Görden
Published by Arrangement with Hay House Inc., Carlsbad, CA
Die Originalausgabe ist erstmals 2015 bei Hay House Inc. erschienen.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: Life Loves You
1. eBook-Ausgabe 2019
Überarbeitete Neuausgabe 2019
© 2015 by Louise Hay and Robert Holden
© der deutschen Ausgabe 2019
Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, München
© Coverillustration Hay House, Inc.
Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Danai Afrati
Konvertierung: Bookwire
ePub-ISBN: 978-3-95550-320-8
Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.
Alle Rechte vorbehalten.
www.scorpio-verlag.de
Liebe dich selbst
von ganzem Herzen,
und die ganze Welt wird dir
diese Liebe widerspiegeln.
EINLEITUNG
1. KAPITEL: Der Blick in den Spiegel
Übung 1: Lass dich vom Leben lieben
2. KAPITEL: Ja zum Leben sagen
Übung 2: 10 Punkte
3. KAPITEL: Folge deiner Freude
Übung 3: Meine Affirmations-Tafel
4. KAPITEL: Vergeben und loslassen
Übung 4: Die Skala der Vergebung
5. KAPITEL: Jetzt dankbar sein
Übung 5: Tägliche Dankbarkeit
6. KAPITEL: Öffne dich für Geschenke
Übung 6: Ein Geschenke-Tagebuch
7. KAPITEL: Die Zukunft heilen
Übung 7: Die Welt segnen
NACHWORT
DANKSAGUNG
FUSSNOTEN
Zum ersten Mal begegnete ich Louise Hay hinter der Bühne der »I Can Do It!«-Konferenz in Las Vegas. Reid Tracy, der Verlagsleiter von Hay House, stellte uns einander vor. »Willkommen in der Hay-House-Familie«, sagte Louise und umarmte mich herzlich.
Louise sollte in zehn Minuten auf die Bühne, um das Publikum zu begrüßen und mich als ersten Redner anzusagen. »Darf ich dich schminken?«, fragte sie mich. Normalerweise trage ich kein Make-up, aber dieses Angebot konnte ich einfach nicht ablehnen. Louise arbeitete mit einem Sortiment von Pinseln, Pudern und Cremes und etwas Glänzendem für meine Lippen. Wir hatten dabei großen Spaß. Alle hinter der Bühne amüsierten sich. Als sie meinem Make-up den letzten Schliff gegeben hatte, schaute sie mir in die Augen und sagte: »Das Leben liebt dich.«
Das Leben liebt dich gehört zu Louises beliebtesten Affirmationen. Ich denke, es ist ihre Kernbotschaft, der zentrale Gedanke, der ihr Leben und ihre Arbeit repräsentiert. Sie liebt es, Menschen zu sagen: »Das Leben liebt dich.« Jedes Mal, wenn ich sie diese Worte sagen hörte, war ich wie elektrisiert. Ich fand, Das Leben liebt dich sei ein gutes Thema für ein Louise-Hay-Buch und sprach mit ihr darüber. Als ich es Reid Tracy gegenüber erwähnte, sagte er: »Lassen Sie mich wissen, wenn Sie bereit sind, ihr beim Schreiben dieses Buches zu helfen.« Ehrlich gesagt, dachte ich nicht, dass er das ernst meinte, und damals war ich ohnehin mit eigenen Buchprojekten ausgelastet.
Ein paar Jahre vergingen. Ich schrieb drei neue Bücher für Hay House: Be Happy, für das Louise das Vorwort verfasste, Loveability und Holy Shift!. Die Idee für ein Buch zum Thema Das Leben liebt dich kam mir immer wieder einmal in den Sinn, doch ich unternahm nichts in diese Richtung. Am Tag nachdem ich Holy Shift! abgeschlossen hatte, wollte ich eigentlich Golf spielen gehen. Doch schon am Mittag hatte ich das Exposé für Das Leben liebt dich! fertig, ein Buch, das Louise Hay und Robert Holden gemeinsam schreiben würden. Ich konnte gar nicht anders, als an jenem Morgen dieses Exposé zu verfassen. Die Worte flossen nur so aus mir heraus, ohne dass ich nachdenken musste.
Ich zeigte das Exposé meiner Frau Hollie. »Woher kommt das?«, fragte sie. Ich sagte, ich sei genauso überrascht wie sie. »Schicke es sofort an Hay House«, sagte sie. Ich mailte den Text am 7. Oktober an meine Lektorin Patty Gift. Noch am gleichen Tag antwortete Patty mir, dass sie und Reid Tracy von dem Exposé begeistert seien und dass Reid es Louise zu lesen geben würde. Louise hat am 8. Oktober Geburtstag. Am 9. Oktober schickte sie mir eine freudige E-Mail voller Emojis: Ballons, Kuchen, Herzen und Geschenke. Sie schrieb: »Ich bin so aufgeregt! Seit wann planst du dieses Buch schon, mein lieber Robert? Ich fühle mich geehrt, an diesem besonderen Projekt mitwirken zu dürfen. Das Leben wird uns dabei in jeder Hinsicht helfen. Das ist ein glücklicher Geburtstag für mich! Liebe Grüße sendet dir Lulu.«
Unser Buch Das Leben liebt dich! ist das Ergebnis eines Dialogs zwischen Louise und mir. Zwischen Thanksgiving Day und Ostern habe ich Louise dreimal in San Diego besucht. Insgesamt verbrachten wir neun Tage zusammen. Ich habe alle unsere Gespräche aufgenommen. Außerdem sprachen wir regelmäßig über Skype miteinander. Im Lauf der Jahre haben Louise und ich uns auf über 20 »I Can Do It!«-Konferenzen in Europa, Australien, Kanada und den USA getroffen. Ich habe Louise für den Hay House World Summit interviewt, und sie war bei einigen meiner Vorträge und Seminare zu Gast. Wie du sehen wirst, enthält dieses Buch auch Erfahrungen und Gespräche aus diesen gemeinsamen Veranstaltungen.
Das Leben liebt dich! ist eine Reise ins Herz deines wahren Seins. Wir erforschen in diesem Buch unsere Beziehung zur Welt. Wir stellen tief greifende Fragen bezüglich der Natur unserer Realität. In den letzten Jahren hat die Wissenschaft gelernt, die Welt auf neue Weise zu betrachten. Zum Beispiel wissen wir heute, dass Atome keine voneinander getrennten winzigen Objekte sind, sondern Ausdrucksformen der universellen Energie. Ein Universum aus voneinander getrennt existierenden Dingen gab es nie. Alles ist Teil von allem. Jeder Mensch ist Teil eines größeren Einsseins. Wir stehen in Beziehung zu den Sternen, zueinander und zur gesamten Schöpfung.
Die Wissenschaft ist endlich dabei zu entdecken, dass die Welt nicht einfach ein physischer Ort ist. Sie ist auch ein Geisteszustand. »Das Universum ähnelt mehr einem großen Gedanken als einer großen Maschine«, schrieb der englische Physiker Sir James Jeans. Die Erforschung des der Schöpfung innewohnenden Bewusstseins ist die neue Herausforderung für die Wissenschaft. Louise und ich glauben, dass nicht das Atom Fundament der Schöpfung ist, sondern die Liebe. Diese Liebe ist keine sentimentale Angelegenheit. Sie ist nicht einfach eine Emotion. Sie ist das schöpferische Prinzip hinter dem Tanz des Lebens. Sie ist universal. Sie ist intelligent. Sie ist gutwillig. Wir alle sind Ausdrucksformen dieser Liebe. Sie ist unsere wahre Natur.
Das Leben liebt dich! ist zugleich eine Suche und eine Übungspraxis. Louise ist spirituelle Pragmatikerin, und ich interessiere mich für Philosophie nur, wenn sie sich im Alltag anwenden lässt. Daher lautet der Untertitel unseres Buches 7 spirituelle Übungen für Körper und Seele. Es gibt sieben Kapitel, und jedes endet mit einer spirituellen Übung, die dir hilft, die Theorie in praktische Erfahrung umzusetzen. Zu den sieben Hauptübungen gibt es eine Reihe von ergänzenden Übungen. Wenn du möchtest, kannst du die Übungen in diesem Buch auch mit einem Partner oder in einer Gruppe durchführen. Hauptsache, du machst sie und liest dir nicht nur die Anleitungen durch. Liebe ist schließlich nicht bloß eine Idee.
Im 1. Kapitel, Der Blick in den Spiegel, erforschen wir das Spiegel-Prinzip. Dieses Prinzip erkennt an, dass sich in der Art und Weise, wie wir die Welt erfahren, unsere Beziehung zu uns selbst widerspiegelt. Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern wie wir sind. Daher spiegelt uns die Welt die grundlegende Wahrheit über uns selbst wider, die lautet: Ich bin liebenswert. Und sie spiegelt auch unsere grundlegende Angst wider: Ich bin nicht liebenswert. Die Welt kann ein dunkler und einsamer Ort sein, wenn wir uns von unserem Herzen entfremdet haben und uns selbst nicht lieben. Doch schon ein aufrichtiger Akt der Selbstliebe kann uns helfen, die Sanftheit der Schöpfung zu erfahren und die Welt in neuem Licht zu sehen. Das 1. Kapitel endet mit der spirituellen Übung Lass dich vom Leben lieben und einem Liebesgebet.
Im 2. Kapitel, Ja zum Leben sagen, sprechen Louise und ich über unsere Schulzeit und darüber, welche Weltsicht uns in der Kindheit vermittelt wurde. Ich berichte von einer Vorlesung während meines Studiums, die mein Leben für immer veränderte. Der Titel dieser Vorlesung lautete: »Glauben Sie tatsächlich, dass eine Reifenpanne bei Ihnen Kopfschmerzen auslösen kann?« Wir laden dich ein, dich für die Erkenntnis zu öffnen, dass das Leben dich niemals verurteilt, kritisiert oder verachtet. Wir leiden an der eigenen Psyche. Andere Menschen können uns Schmerz zufügen, aber das Leben selbst ist nicht gegen uns. Warum sollte es auch? Das Leben unterstützt uns immer. Wir sind Ausdrucksformen der Schöpfung, und das Leben möchte, dass wir das unkonditionierte, freie Selbst zum Ausdruck bringen, das unser wahres Sein ist. Die spirituelle Übung für dieses Kapitel heißt 10 Punkte.
Im 3. Kapitel, Folge deiner Freude, wird erklärt, wie man lernt, auf seine innere Führung zu hören. Louise sagt: »Es geht nicht darum, unseren eigenen Weg um jeden Preis durchzusetzen, sondern darum uns nicht selbst im Weg zu stehen.« Louise nennt es ihre innere Stimme, und ich spreche von meinem inneren Ja. Das Leben versucht immer, uns zu führen, zu unterstützen und zu inspirieren. Manchmal sind wir so sehr in unserer persönlichen Geschichte und unserem Schmerz gefangen, dass wir das nicht erkennen. Die spirituelle Übung in diesem Kapitel besteht darin, eine Affirmations-Tafel anzufertigen. Das hilft dir dabei, deiner Freude zu folgen und ein Leben zu führen, das du liebst.
Das 4. Kapitel, Vergeben und loslassen, ist das Herzstück unserer Entdeckungsreise. Hier erforschen wir, was unserer Selbstliebe im Weg steht – zum Beispiel das Gefühl, wir hätten unsere Unschuld verloren, oder anerzogene Minderwertigkeitskomplexe. Wir untersuchen die »Schuld-Geschichte«, die uns das Super-Ego erzählt. Laut dieser Geschichte wurden wir früher einmal vom Leben geliebt, heute jedoch nicht mehr. Wir sprechen über die Arbeit mit dem inneren Kind und erobern unsere ursprüngliche Unbescholtenheit zurück. Die spirituelle Übung hierzu heißt Die Skala der Vergebung. Sie ist eine der wirkungsvollsten Vergebungsübungen, die wir kennen.
Im 5. Kapitel, Jetzt dankbar sein, befassen Louise und ich uns mit dem Prinzip des Grundvertrauens, das Psychologen als elementar für die kindliche Entwicklung und das Erwachsenenleben betrachten. Es handelt sich dabei um ein inneres Wissen, dass wir Teil der Schöpfung sind und von einem liebevollen, wohlwollenden größeren Ganzen unterstützt und getragen werden. Wenn wir über Grundvertrauen verfügen, erkennen wir, dass das Leben uns nicht zustößt, sondern für uns geschieht. Mit Grundvertrauen sehen wir, dass wir für unser Leben die besten Karten haben. Jede Erfahrung – gut oder schlecht, glücklich oder traurig, bitter oder süß – gibt uns Gelegenheit, uns vom Leben mit Liebe beschenken zu lassen. Die spirituelle Übung zu diesem Kapitel, Tägliche Dankbarkeit, kombiniert Dankbarkeit mit Spiegelarbeit.
Das 6. Kapitel, Öffne dich für Geschenke, befasst sich mit der buddhistischen Theorie des wohlwollenden Universums. Louise berichtet von ihrer Erfahrung, ein Porträt des sogenannten segnenden Buddha zu malen. Sie brauchte dafür fünf Jahre. Die Arbeit an dem Bild war für sie eine tief greifende Meditation, die ihr half, mehr von der liebenden Güte zu spüren, die fester Bestandteil der Schöpfung ist. »Das Leben versucht ständig, uns zu lieben, aber das sehen wir nur, wenn wir offen und empfänglich sind«, sagt Louise. Die spirituelle Übung in diesem Kapitel ist das Geschenke-Tagebuch. Dieses Tagebuch wird dir deutlich machen, wie sehr das Leben dich bereits jetzt liebt.
Im 7. Kapitel, Die Zukunft heilen, gelangen wir zu der Frage: Ist das Universum freundlich? Albert Einstein soll diese Frage als die wichtigste überhaupt bezeichnet haben. Louise und ich glauben, dass die Frage Wie freundlich bin ich? genauso wichtig ist. Auf der tiefsten Ebene besteht unsere Lebensbestimmung darin, der Welt ein liebevoller Spiegel zu sein. Unser Ziel ist nicht, uns einfach nur vom Leben lieben zu lassen, sondern diese Liebe zu erwidern. Wir sind hier, um die Welt zu lieben. Würde jeder Mensch das ein bisschen mehr tun, wäre die Welt kein so angsterfüllter Ort. Die spirituelle Übung für das 7. Kapitel heißt: Die Welt segnen.
Für Louise und mich ist es eine Freude, dass du unser Buch in den Händen hältst. Wir sind dankbar dafür, dass wir es gemeinsam schreiben durften. Wir hoffen und beten, dass unsere Arbeit dich dazu inspiriert, dich vom Leben lieben zu lassen und dieser Welt Liebe zu schenken.
Das Leben liebt dich!
Louise Hay und Robert Holden, 2015
Am 30. August 2017 verstarb Louise L. Hay im Alter von 90 Jahren. Die wohl bekannteste Lebenshilfeautorin der Welt ging auf die andere Seite wie sie die letzten Jahrzehnte gelebt hatte: friedvoll und umgeben von lieben Menschen.
Wir danken dir von Herzen für all das, was du uns als Werkzeuge für unsere Bewusstseinsentwicklung hinterlassen hast. Deine liebevollen Gedanken zu Selbstliebe, Akzeptanz, Vergebung und Versöhnung und deine heilsamen Affirmationen sind heute wertvoller denn je. Deine wundervolle Seele ist uns allen noch immer Wegweiser und Licht.
Scorpio Verlag 2019
Die Liebe ist ein Spiegel.
Wenn ihr den Mut habt, ihr ins Gesicht zu sehen,
spiegelt sich in ihr euer wahres Wesen.
Es ist Thanksgiving Day – Erntedankfest.
Louise und ich genießen ein festliches Mittagessen mit Verwandten und Freunden. Wir sitzen nebeneinander am Ende eines großen ovalen Esstischs, der mit zwei riesigen Truthähnen, Platten voller Biogemüse, glutenfreiem Brot, einem Cabernet Franc und einem Kürbiskuchen mit Mandelkruste beladen ist. Heather Dane hat das Essen liebevoll zubereitet. Sie besteht aber darauf, dass ihr Mann Joel auch tatkräftig dazu beigetragen hat, vielleicht als »Meister des Abschmeckens«. Wir unterhalten uns angeregt, sind alle in inspirierter Stimmung. »Das Leben liebt euch«, sagt Louise, als wir die Gläser heben, um uns zuzuprosten.
Am Nachmittag zaubert Heather ständig neue Köstlichkeiten aus ihrer magischen Küche herbei. Der ovale Esstisch wird immer wieder abgeräumt und neu bestückt. Ich stelle mir vor, dass er das Festessen genauso genießt wie wir. Einer aus unserer Gruppe, Elliott, verlässt den Tisch und geht zu dem großen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Elliott steht einen Moment vor dem Spiegel. Dann beugt er sich vor und küsst ihn. Louise und ich bemerken es und lächeln uns an.
Nach einer kleinen Weile geht Elliott erneut vom Tisch zum Spiegel, küsst den Spiegel und kommt an den Tisch zurück. Elliott ist sehr glücklich. Von diesem Moment an stattet Elliott dem Spiegel regelmäßige Besuche ab. Ihm ist nicht bewusst, dass wir alle ihn inzwischen beobachten, fasziniert und entzückt. Elliott ist nur 18 Monate alt. Was er tut, ist ganz natürlich und spielerisch. Kinder küssen Spiegel.
Als Elliott merkt, dass er ein Publikum hat, winkt er seinen Vater Greg herbei. Greg zögert, vom Tisch aufzustehen, aber Elliott lässt nicht locker, wobei er eine Mischung aus Worten und Zeichensprache benutzt. Greg kann dem Betteln seines Sohnes nicht widerstehen. Und so sitzt jetzt Greg neben ihm vor dem Spiegel. Elliott küsst den Spiegel und wartet dann darauf, dass Greg es ihm nachmacht. Es kostet Greg sichtlich Überwindung, aber dann beugt er sich vor und drückt einen Kuss auf den Spiegel. Elliot klatscht in die Hände und quietscht vor Freude.
»Louise, erinnerst du dich, dass du als kleines Mädchen dein Spiegelbild geküsst hast?«, frage ich.
»Nein, aber bestimmt habe ich es getan«, antwortet sie.
Dann fragt Louise mich, ob ich mich erinnere, als kleiner Junge den Spiegel geküsst zu haben.
»Nein, ich erinnere mich nicht«, sage ich.
»Wir waren alle einmal wie Elliott«, sagt Louise.
»Da hast du sicher recht.«
»Ja, und wir können alle wieder so werden«, sagt sie.
»Und wie schaffen wir das?«, frage ich.
»Durch Spiegelarbeit«, sagt Louise, als wäre die Antwort offensichtlich.
»Warum Spiegelarbeit?«
»Spiegelarbeit hilft uns, uns selbst wieder lieben zu lernen«, erklärt sie.
»So wie am Anfang, als wir Kinder waren?«
»Ja. Und wenn wir uns selbst lieben«, fügt sie hinzu, »erkennen wir, dass das Leben uns auch liebt.«
In London herrscht schönes Frühlingswetter, und mein Sohn Christopher und ich sind allein zu Hause. Meine Frau Hollie ist mit unserer Tochter Bo ins Pottery Café in der Nähe der Kew Gardens gegangen, wo die beiden etwas »Mädchenzeit« verbringen. Bo ist gerade vier Jahre alt geworden. Sie verleiht ihrer Kreativität auf schöne Weise und mit viel Freude Ausdruck. Sie werden bald nach Hause kommen, und ich freue mich schon darauf, Bos neuestes Kunstwerk zu sehen. Da ich meine Tochter kenne, weiß ich, dass es ein Regenbogenteller, eine wacklige Tasse mit Herzen darauf oder ein rosa bemalter Salzstreuer in Form eines Kaninchenbabys sein wird – Dinge, die gut zur Teeparty des verrückten Hutmachers in Alice im Wunderland passen würden.
Christopher ist jetzt fast sechs Monate alt. Ich habe das Gefühl, ihn schon mein ganzes Leben zu kennen. Manchmal, wenn sich unsere Blicke treffen, verschwinden die Rollen, die wir spielen. Ich höre auf, Vater zu sein, und er hört auf, Baby zu sein. Dann sind wir wie zwei Seelenfreunde, die zusammen eine schöne Zeit verbringen. Diese Erfahrung habe ich auch mit Bo schon oft gemacht. Ich kann mir mein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Ich glaube, es war einfach vorherbestimmt, dass sie zu uns kam. Louise ist der Ansicht, dass wir uns eine Familie aussuchen, die uns das gibt und lehrt, was wir für unsere Lebensreise am meisten benötigen. In ihrem Buch Gesundheit für Körper und Seele2 schreibt sie:
Ich glaube, dass wir uns alle auf einer endlosen Reise durch die Ewigkeit befinden. Wir kommen auf diesen Planeten, um bestimmte Lektionen zu lernen, die für unsere geistige Entwicklung notwendig sind. Wir wählen unser Geschlecht, unsere Hautfarbe, unser Land. Und dann schauen wir uns nach dem Elternpaar um, das unsere Denkmuster perfekt »widerspiegelt«.
Hollie und Bo rufen an, um zu sagen, dass sie auf dem Weg nach Hause sind und Geschenke für Christopher und mich mitbringen. Als ich das Telefon weglege, sehe ich, dass Christopher lächelt. Er lächelt oft. Das trifft auf die meisten Babys zu. Es liegt in ihrer Natur. Doch wenn Christopher in Lächel-Laune ist, kann er gar nicht aufhören. Er lächelt alles an, sogar leblose Gegenstände wie eine leere Blumenvase, den Staubsauger oder einen Schraubenzieher. Ich nehme ihn auf den Arm und trage ihn zu dem Spiegel über unserem Kamin.
»Lieber Christopher, es ist mir ein Vergnügen, dir Christopher vorzustellen«, sage ich und zeige auf sein Spiegelbild. Christopher hört auf zu lächeln. Das überrascht mich. Ich hatte erwartet, er würde strahlend lächeln, wenn er sich im Spiegel sieht. Schließlich lächelt er doch sonst alles an. Ich stelle ihm ein zweites Mal sein Spiegelbild vor, und wieder lächelt er nicht. Sein Gesicht ist ausdruckslos, als würde er gar nichts im Spiegel erblicken, noch nicht einmal eine leere Blumenvase.
Warum hat Christopher sein Spiegelbild nicht angelächelt? Nun, ich stellte ein paar Nachforschungen über die Psychologie der kindlichen Entwicklung an und fand heraus, dass Säuglinge sich nicht im Spiegel anlächeln. Sie erkennen sich selbst nicht. Warum ist das so? Ich frage Louise danach. »Babys identifizieren sich noch nicht mit ihrem Körper«, sagt sie auf die sachliche Art, die so charakteristisch für sie ist.
Babys sind wie Seelenvögel, die über ihrem Körper schweben und noch nicht in ihm gelandet sind. Wenn sie in den Spiegel schauen, zeigen sie nicht auf den Körper und denken: Das bin ich oder das ist mein Körper. Babys sind reines Bewusstsein. Sie empfinden sich noch nicht als Ich. Sie haben kein Selbstbild. Sie haben noch keine Persönlichkeit oder Maske entwickelt. Neurosen sind ihnen unbekannt. Sie sind noch erfüllt vom ursprünglichen Segen des Geistes. Sie identifizieren sich nur mit ihrem ursprünglichen Gesicht, wie es die Buddhisten nennen, dem Gesicht der Seele.
Erst im Alter von 15 bis 18 Monaten erkennen Kinder ihr Spiegelbild. Das ist das Spiegelstadium oder stade du miroir, wie es der Psychoanalytiker Jacques Lacan nannte. Kein Wunder, dass Elliott bei unserem Thanksgiving-Essen solchen Spaß vor dem Spiegel hatte! Als Christopher ins gleiche Alter kam, fing er wie Elliott an, den Spiegel zu küssen. Er küsste auch den großen runden Wasserhahn in unserem Badezimmer, funkelnde Löffel, Stahlpfannen, gläserne Türgriffe und alles, in dem er sein Spiegelbild sehen konnte.
Ab einem Alter von drei Jahren schließen Kinder Freundschaft mit dem Spiegel. Kinder lieben, was sie im Spiegel sehen. In dieser Zeit lernen sie: Ich habe einen Körper. Doch sie tragen diesen Körper noch mit großer Leichtigkeit. Ihr Körper ist nicht, was sie sind, sondern eine notwendige Form für die Erfahrung des Menschseins. Sie schneiden vor dem Spiegel Grimassen, probieren Posen aus, spielen das Guck-Guck-Spiel und erfinden alberne Tänze. Christopher und Bo haben großen Spaß an dem Bild, das sie von sich im Spiegel sehen. Oft spielen sie mit ihrem Spiegelbild, so wie Peter Pan mit seinem Schatten spielt.
Damit zu experimentieren, ein Ich zu sein, macht anfangs Spaß, doch das ändert sich mit der Zeit. Wenn wir die Identität eines von allen anderen getrennten Selbst – eines Egos – entwickeln, verändert sich unsere Psychologie. Wir fangen an, uns vor dem Spiegel gehemmt zu fühlen. Wir werden kamerascheu. Entweder gieren wir nach Aufmerksamkeit oder wir vermeiden sie ängstlich. Aus der Liebe kommend, machen wir einen Umweg in die Angst. Wir beginnen, uns selbst zu beurteilen, und sehen unser ursprüngliches Gesicht nicht mehr. Das Selbstbild, das wir jetzt im Spiegel sehen, ist aus Kritik und Werturteilen geformt. Es ist nicht unser wahres Selbst.
Der Seelenvogel, unser wahres Wesen, singt noch immer, aber es fällt uns schwer, ihn zu hören, weil er von den rauen Schreien eines Selbstbildes oder Egos übertönt wird, das sich isoliert und ängstlich fühlt. Die Schönheit, die wir einst im Spiegel sahen, ist immer noch da, jedoch wird sie durch unsere Selbstzweifel und unsere Selbstkritik verzerrt. Sobald wir aufhören, uns selbst zu kritisieren und zu verurteilen, können wir sie wieder sehen, aber unsere Selbstverurteilung ist nun zu einer Gewohnheit geworden, mit der wir uns identifizieren. Wir haben uns eingeredet, dass Sehen Urteilen bedeutet, aber das genaue Gegenteil trifft zu. Wirklich sehen können wir nur, wenn wir aufhören zu urteilen.
»Mit neun Jahren unternahm ich meinen ersten Selbstmordversuch«, erzählt mir Louise.
»Und was geschah?«, frage ich.
»Nun, offensichtlich hat es nicht funktioniert«, sagt sie.
»Hätte es funktioniert, so hätte die Welt nie etwas von Louise Hay erfahren«.
»Das ist wahr.« Louise lächelt.
»Also, was geschah?«
»Man hatte mir gesagt, ich solle bestimmte Beeren nicht essen, die oben auf dem Hügel wuchsen. Es hieß: Sie sind giftig, und wer davon isst, muss sterben. Eines Tages, als sich mein Leben unerträglich schlecht anfühlte, aß ich diese Beeren und legte mich hin, um zu sterben.«
Louise und ich sitzen in San Diego vor einem großen Wandspiegel in ihrem Arbeitszimmer. Wir tauschen Kindheitserinnerungen aus. Louise hat vorgeschlagen, das vor einem Spiegel zu tun. Während sie erzählt, schaut sie ihr Spiegelbild an, hält ständig mit ihm Augenkontakt. Ich bin erstaunt, wie viel Aufrichtigkeit und Verletzlichkeit sie sich zugesteht. Sie erzählt mit leiser, freundlicher Stimme aus ihrer Kindheit. Man hört immer noch etwas Traurigkeit heraus. Sie spricht voller Mitgefühl über ihr neunjähriges Selbst.
»Warum wolltest du dich denn damals umbringen?«, frage ich.
»Ich fühlte mich nicht liebenswert«, antwortet sie.
»Gab es denn davor eine Zeit, in der du dich liebenswert fühltest?«
»Ja, ganz am Anfang. Doch nach der Scheidung meiner Eltern wurde es wirklich schlimm. Meine Mutter heiratete einen Mann, der mich schlug und sexuell missbrauchte. Es gab viel Gewalt bei uns zu Hause.«
»Es tut mir leid, das zu hören, Lulu.«
»Die Botschaft in der Familie lautete: Ich bin nicht liebenswert.«
Als Teenager wurde Louise von einem Nachbarn vergewaltigt. Der Mann wurde zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Mit 15 Jahren ging Louise von zu Hause weg. »Alles, was ich wollte, war, dass die Leute nett zu mir sind«, sagt sie, »aber ich wusste nicht, wie man nett zu sich selbst ist.« So kam sie vom Regen in die Traufe. »Ich hungerte nach Liebe und war ein Magnet für Missbrauch«, erzählt sie mir. Sie ging mit jedem ins Bett, der nett zu ihr war. Schon bald wurde sie schwanger. »Ich konnte nicht für ein Kind sorgen, weil ich nicht für mich sorgen konnte«, sagt sie.
Als es Zeit für meine Kindheitsgeschichte ist, fragt mich Louise: »Was hast du dir als Kind am meisten gewünscht?« Ich betrachte intensiv mein Spiegelbild. Erst will mir nichts einfallen, doch rasch kehren die Erinnerungen zurück. »Ich wollte gesehen werden«, erzähle ich. Sie fragt, was ich damit meine. »Ich wünschte mir jemanden, der mir sagt, wer ich bin und wozu ich hier bin und dass alles gut werden wird«, sage ich. Als Kind war ich von Staunen erfüllt, und die großen Fragen faszinierten mich: Wer bin ich? Was ist real? Warum lebe ich?
Als ich klein war, zogen wir ständig um. Mama wollte möglichst weit weg von ihren Eltern leben. Papa wechselte häufig den Job. Irgendwie endeten wir dann doch wieder in Winchester, nicht weit von der Familie meiner Mutter entfernt. Wir mieteten ein kleines Haus namens Honeysuckle Cottage, und ich habe viele glückliche Erinnerungen aus jener Zeit. Später, als ich neun Jahre alt war, zogen wir in ein Dorf namens Littleton. Dort wohnten wir in einem Haus, das Shadows (Schatten) hieß. Ich weiß noch, dass ich es seltsam fand, ein Haus so zu nennen.
»Haben dich deine Eltern geliebt?«, fragt Louise.
»Ja, ganz bestimmt, aber es war kompliziert.«
»Warum?«
»Meine Mutter litt immer wieder an Depressionen. Eine Depression befiel sie ganz plötzlich, ohne Vorankündigung, und konnte Wochen dauern. Dann lag sie einfach nur im Bett, und wir beteten, dass die Medikamente wirkten. Wegen der Depression gab es auch mehrere Klinikaufenthalte, aber dort versuchte sie jedes Mal, sich umzubringen.«
»Und dein Vater?«, fragte Louise.
»Mein Vater hatte seine eigenen Dämonen«, erzähle ich ihr.
Als ich 15 Jahre alt war, entdeckten wir, dass mein Vater ein Alkoholproblem hatte. Er versprach, damit aufzuhören. Er hörte viele Male auf. Schließlich zog er von zu Hause aus, und seine letzten zehn Lebensjahre verbrachte er als Obdachloser. Es war ein Albtraum, Eltern zu haben, die so sehr litten. Die Holden-Familie liebte einander, so gut es ging, aber niemand von uns fühlte sich selbst liebenswert. Niemand von uns konnte mit Überzeugung sagen: »Ich bin liebenswert.«
Die Wahrheit deines Seins ist,
dass du liebenswert bist.
Was die Natur des Menschen angeht, vertreten Louise und ich die gleiche Philosophie. Wir wissen beide, dass die grundlegende Wahrheit eines jeden Menschen, du eingeschlossen, lautet: Ich bin liebenswert. Liebe ist viel mehr als ein Gefühl, eine Emotion. Liebe ist dein wahres Wesen. Sie ist deine spirituelle DNA. Sie ist das Lied des Herzens. Sie ist das Bewusstsein der Seele. Wenn wir Glück haben, wird uns in der Kindheit von unseren Eltern, von Schule, Kirche, Freunden und Verwandten diese grundlegende Wahrheit gespiegelt – ich bin liebenswert.
Spiegelung ist ein wesentlicher Bestandteil der Kindheit. Der höchste Zweck dieser Spiegelung unseres Wesens durch Eltern und andere Bezugspersonen besteht darin, uns in der grundlegenden Wahrheit zu bestärken, dass wir liebenswert sind. Durch diese bejahende Spiegelung erfahren wir unsere ewige Natur als liebenswerte Wesen. Wir entwickeln Selbstvertrauen und werden zu reifen Erwachsenen, die liebevoll in dieser Welt präsent sind.
Die grundlegende Wahrheit Ich bin liebenswert hat ein Gegenteil, die grundlegende Angst Ich bin nicht liebenswert. Die Angst, nicht liebenswert zu sein, wird verstärkt durch eine ungesunde Spiegelung in der Kindheit. Bei unserem Gespräch vor dem Spiegel erzählt Louise: »Ich wurde von zwei Menschen erzogen, die glaubten, nicht liebenswert zu sein. Sie konnten mir nicht vermitteln, dass ich liebenswert bin, weil sie das selbst nie erfahren hatten.« Eltern müssen ihr eigenes wahres Wesen kennen, sonst können sie ihren Kindern nicht dabei helfen, sich selbst zu lieben.
Die grundlegende Angst, nicht liebenswert zu sein, ist unwahr. Sie ist einfach nur eine Geschichte. Sie fühlt sich nur deshalb wahr an, weil wir uns mit ihr identifizieren. Das hält uns davon ab, uns an uns selbst zu freuen. Wir distanzieren uns von uns selbst. Wir vergessen den Seelenvogel, der unsere wahre Natur ist. Und die Welt wird zum Symbol für unsere Angst. Wir fürchten uns davor, in den Spiegel zu schauen. »An Spiegeln gehe ich möglichst schnell vorbei«, sagte der Schauspieler Bill Nighy. Die Angst, nicht liebenswert zu sein, vergiftet unsere Psyche. Wir fangen an, uns ständig zu bewerten und zu verurteilen: Etwas stimmt nicht mit mir. Ich bin schlecht. Ich bin ein Nichts.
Diese tief sitzende Angst und die Angewohnheit, uns selbst zu kritisieren und zu verurteilen, lassen in uns etwas entstehen, das ich das Märchen von der Unzulänglichkeit nenne. Das äußert sich in Selbstgesprächen wie diesen:
Ich bin nicht gut genug.
Ich bin nicht klug genug.
Ich bin nicht erfolgreich genug.
Ich bin nicht schön genug.
Ich bin nicht stark genug.
Ich bin nicht interessant genug.
Ich bin nicht kreativ genug.
Ich bin nicht reich genug.
Ich bin nicht dünn genug.
Ich bin nicht bedeutend genug.
Louise sagt dazu: »Diese Angst, nicht gut genug zu sein, macht praktisch allen Menschen zu schaffen, mit denen ich bisher gearbeitet habe.«
dass wir liebenswert sind