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Über den Autor

Craig Groeschel ist ein bekannter Redner, Autor und Pastor einer großen Gemeinde in Edmonton, Oklahoma, die viele Zweiggemeinden in verschiedenen Staaten der USA hat. In Deutschland wurde er bekannt durch seine Mitwirkung bei zwei Leiterschaftskongressen von Willow Creek Deutschland. Er ist mit Amy verheiratet, hat sechs Kinder und ein Enkelkind.

INHALT

Ein Brief an die Leserinnen und Leser

Einleitung

Wenn Sie gern vertrauen möchten, aber das Leben Sie nicht lässt

Teil 1

Versteckspiel

Wo bist du, Gott?

Warum kümmerst du dich nicht?

Warum tust du nichts?

Das ist so ungerecht!

Glaubenskrise

Teil 2

Verloren und gefunden

Zuhören

Aufschreiben

Warten

Durch Glauben

„Geprüfter Glaube“

Teil 3

Hoffnung und Herrlichkeit

Erinnern

Akzeptieren

Vertrauen

Hoffen

Glauben

Wenn man zweifelt und glaubt

Fragen zur persönlichen Reflexion und für Gesprächskreise

Ein Brief an die Leserinnen
und Leser

Adrianne Manning ist für mich wie ein Familienmitglied. Sie ist die kontaktfreudigste, geselligste, quirligste und lustigste Person, die ich kenne. Seit vielen Jahren arbeitet sie jetzt schon in meinem Büro, und ich liebe sie und ihre Familie heiß und innig.

Vor ein paar Jahren kam sie eines Tages strahlend in mein Büro, und weil sie irgendwie hüpfte und tanzte und dabei gleichzeitig versuchte, etwas zu sagen, war sie fast nicht zu verstehen. Sie war schwanger. Ihr Mann Danny und sie erwarteten ein Baby – eine Gebetserhörung.

Wir fielen uns in die Arme.

Wir weinten.

Und dann umarmten wir uns wieder.

Und als sie das Baby später verlor, taten wir das Gleiche. Nur, dass unsere Gefühle dabei völlig anders und noch viel heftiger waren.

Wir umarmten uns.

Wir weinten.

Und dann umarmten wir uns wieder.

Als Pastor erlebe ich viele Verluste mit. Das ist nie leicht, vor allem wenn es jemanden betrifft, der mir besonders nahesteht. Und in Andriannes Fall taten wir das, was wohl jeder in einer solchen Situation tut. Wir fragten Gott: „Warum? Warum hast du das zugelassen?“

Und ab diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, dieses Buch zu schreiben. Ich schrieb und schrieb und schrieb, erzählte aber niemandem davon, weder meinem Verleger noch meinen Mitarbeitern noch meinen Freunden. Ich schrieb einfach. Und bei jedem Wort dachte ich an Adrianne. Aber nicht nur an Adrianne, sondern an jeden Menschen in meinem Umfeld, der gerade die Hölle auf Erden durchmachte und nicht wusste, warum.

Wenn Sie bereits andere Bücher von mir gelesen haben, dann fällt Ihnen wahrscheinlich jetzt auf, dass dieses einen etwas anderen Grundton hat. Normalerweise arbeite ich bei dem, was ich schreibe, viel mit Humor, weil das Leben an sich schon ernst genug ist. Ich glaube, Gott mag es, wenn wir lachen. Doch hier werden Sie feststellen, dass ich in diesem Buch so gut wie gar keinen Humor einsetze. Das liegt ehrlich gesagt daran, dass meine Stimmung beim Schreiben so anders war als bei den anderen Büchern. Ich möchte hier auf Probleme eingehen, mit denen jeder von uns zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben zu ringen hat, und mich mit einigen Fragen beschäftigen, die wir uns nicht so gerne stellen.

Nachdem ich den ersten Entwurf fertig hatte, gab ich ihn Adrianne zum Lesen mit dem Hinweis, dass ich das Manuskript für sie geschrieben hätte. Sie nahm es mit nach Hause und las das ganze Ding in einem Zug durch. Als sie am nächsten Tag ins Büro kam, sagte sie nichts, sondern …

Wir umarmten uns.

Wir weinten.

Und dann umarmten wir uns wieder.

Es dauerte lange, bis wir über den Verlust ihres Babys sprachen, und noch länger, bis ich jemandem von diesem Manuskript erzählte. Jahrelang schlummerte es auf meinem Computer in einem versteckten Ordner und war von mir weitgehend vergessen. Und dann, viele Jahre später – als wir erfuhren, dass es um die Gesundheit unserer Tochter sehr schlecht stand –, beschloss ich, das Manuskript erneut hervorzuholen und hineinzuschauen, dieses Mal allerdings für mich selbst. Seltsamerweise half das, was ich für Adrianne geschrieben hatte, auch mir und meiner Seele, ruhiger zu werden.

Nachdem ich darüber gebetet hatte, beschloss ich, das Manuskript meinem Verleger zu zeigen. Die Lektoren spürten meine intensiven Gefühle hinter den Worten und waren der Meinung, dass das, was ich da geschrieben hatte, vielleicht auch anderen helfen könnte.

Also stürzte ich mich wieder in die Arbeit an dem Manuskript und erweiterte und aktualisierte es. Das Ergebnis ist das nun vorliegende Buch.

Ich möchte vorweg allerdings eines klarstellen: Dieses Buch ist nicht für jeden. Wenn Sie gerade ein geistliches Hoch erleben, weil Sie so leben, wie Sie es sich erträumt haben, dann hören Sie an dieser Stelle lieber auf zu lesen und loben und preisen Sie Gott für seine Güte. Ich freue mich mit Ihnen, aber ehrlich gesagt sind Sie dann momentan nicht die Zielgruppe für dieses Buch. Es ist nämlich für Menschen gedacht, die leiden. Es ist für Menschen geschrieben, die Zweifel haben, für Menschen, die Angst haben, dass ihr Glaube vielleicht nicht trägt, für Menschen, deren Welt sich verfinstert hat.

Wenn Ihnen das Leben also zunehmend zusetzt, wenn Ihr Glaube in der Zerreißprobe steht, dann ist dieses Buch etwas für Sie.

Ich wünsche mir, dass Sie beim Lesen den Mut haben, mit mir zusammen in den Schmerz dieser Welt hineinzugehen, und dass Sie verstehen, warum dieses Buch in einem ernsteren, eher nachdenklichen Ton geschrieben ist. Ich hoffe, dass Sie es gemeinsam mit mir wagen, mit einigen der Fragen zu ringen, die sich Christen oft nicht zu stellen trauen. Und ich hoffe, Sie entdecken die Tiefe und den Reichtum der Gnade Gottes, der sich besonders in den Tälern des Lebens zeigt.

Dieses Buch ist zwar in erster Linie für meine gute Freundin Adrianne gedacht, aber es ist auch für jeden, der leidet und nicht weiß, warum.

EINLEITUNG

Wenn Sie gern vertrauen möchten, aber das Leben Sie nicht lässt

„Ich möchte ja glauben, dass Gott sich für mich interessiert und sich um mich kümmert“, sagte sie mir und wischte sich die dunklen, geröteten Augen. Im kalten Neonlicht des Krankenhauskorridors hatte Marci kaum noch Ähnlichkeit mit dem lebhaften Teenager, den ich damals in der Jugendgruppe meiner Gemeinde hatte aufwachsen sehen. Damals war Marci kontaktfreudig, offen und lebendig gewesen und für jeden Spaß zu haben, auch dann noch, als es ihr mit dem Glauben immer ernster wurde. Sie war immer als eine der Ersten da und gehörte zu den Letzten, die nach Hause gingen. Kaum jemand in der Gemeindejugend liebte den Lobpreis und Gespräche über Gott und den Glauben so sehr wie Marci.

Mit Anfang zwanzig lernte sie dann Mark kennen, einen großartigen Christen mit ganz viel Ausstrahlung. Sie verliebten sich Hals über Kopf ineinander und heirateten genau ein Jahr später. Aufgrund seiner dynamischen Persönlichkeit bekam Mark recht schnell einen guten Vertriebsjob, und es dauerte nicht lange, da verdiente er mehr als die meisten anderen Vertriebsleute in seinem Alter. Mark und Marci kauften ihr Traumhaus, arbeiteten beide in der Gemeinde mit und waren sicher, dass das Leben nicht mehr besser werden konnte.

Aber dann wurde es doch noch besser.

Nachdem sie es nur zwei Monate lang versucht hatten, war Marci mit ihrem ersten Kind schwanger, und als die süße kleine Chloé dann geboren war, besuchten meine Frau Amy und ich Marci und Mark im Krankenhaus, um Gott für all seinen Segen zu danken. Es war einfach herrlich, mit ihnen zusammen zu feiern, und wir dankten Gott für die Familie, die da in seiner Gegenwart heranwuchs.

Damals konnte noch keiner von uns die bereits vorhandenen Risse im Fundament ihres Lebens erkennen. Mit der Zeit war Mark dann für seinen Job immer häufiger unterwegs, aber Marci fiel trotzdem aus allen Wolken, als er eines Tages nach Hause kam und ihr mitteilte, dass er sie verlassen werde – wegen einer ihrer besten Freundinnen. Völlig am Boden zerstört musste Marci nun an zwei Fronten kämpfen. An der einen musste sie mit Marks Untreue fertig werden, und an der anderen versuchte sie, als alleinerziehende Mutter für sich und Chloé ein neues Leben aufzubauen.

Dabei war es ihr nur ein schwacher Trost, dass es wahrscheinlich nicht mehr schlimmer kommen konnte.

Doch das konnte es.

Chloé, die mittlerweile in der fünften Klasse war, nahm plötzlich rapide ab und war ständig müde. Als dann auch noch Schwindel und Kopfschmerzen dazukamen, ergaben Untersuchungen das Unfassbare: Chloé hatte Krebs. Innerhalb weniger Monate wurde aus der gesunden, überall beliebten Chloé eine blasse, bettlägerige Patientin, die an der Sauerstoffzufuhr hing. Der Krebs wütete erbarmungslos ich ihrem ohnehin schon geschwächten Körper, und die Chemo schlug nicht an. Die Ärzte entschieden daraufhin, ihr die noch verbleibende kurze Zeit so angenehm und schmerzfrei wie möglich zu machen.

Als ich dann mit Marci auf dem trostlosen Krankenhauskorridor stand, war von der vor Energie sprühenden jungen Frau, die ich einmal gekannt hatte, nichts mehr übrig, sondern ich hatte eine völlig erschöpfte und besiegte Frau vor mir.

Sie griff verzweifelt nach allem, was auch nur entfernt Ähnlichkeit mit dem unverwüstlichen Glauben hatte, der ihr früher einfach so zugeflogen war. Doch ihr unerschütterliches Vertrauen in Gott war inzwischen nur noch eine ferne Erinnerung. Und als sie jetzt tief Luft holte, ein Schluchzen unterdrückte und mich mit völlig verlorenem Blick ansah, musste ich meine ganze Beherrschung zusammenraffen, damit ich um ihretwillen stark bleiben konnte.

Sie seufzte und sagte: „Ich möchte wirklich glauben, dass Gott jetzt bei mir ist. Ich möchte doch erfahren, dass er gut ist und sich kümmert. Ich möchte es so sehr, aber …“ Ihre Stimme erstarb und jetzt waren die Tränen nicht mehr aufzuhalten.

„… aber wenn ich sehe, wie meine Kleine da drinnen immer weniger wird und solche Schmerzen hat, wie soll ich mich denn da einem Gott anvertrauen, der so etwas zulässt? Und das auch noch zusätzlich zu all dem, was wir schon durchgemacht haben. Ich möchte ja vertrauen, aber ich weiß einfach nicht mehr, wie.“

Ÿ

Dieser eine kleine Satz „Ich möchte ja vertrauen“ blieb bei mir haften. Wohin ich auch schaue, sehe ich Menschen, die genau wissen und nachfühlen können, wie sich Marci dort auf dem kahlen, sterilen Krankenhausgang gefühlt hat. Es gibt so viele Menschen, die an Gottes Gegenwart und Güte glauben möchten, aber einfach zu viele unbeantwortete Fragen haben. Etwas in ihnen sehnt sich danach, Gott zu vertrauen – möchte ihn kennen, seine Gegenwart spüren, sich in seinen Frieden versenken, glauben, dass er für sie da ist und ihnen hilft, ihre Lasten zu tragen. Sie möchten beten und erfahren, dass er sie hört. Sie wünschen sich Trost und möchten wissen, dass er bei ihnen ist, dass er sie nicht nur beschützen kann, sondern es auch tut. Ganz tief in ihrem Inneren hoffen sie, dass Gott mehr ist als eine erfundene kosmische Figur, der gutgläubige Menschen aus Naivität ihr Vertrauen schenken. Sie möchten, dass er mehr zu bieten hat als runderneuerte Floskeln, mit denen Politiker, Aktivisten und Jesus Freaks um sich werfen.

Ich glaube, es gibt viele Menschen wie Marci, Menschen, die einmal geglaubt haben, dass Gott ein aktives Interesse an ihrem Leben hat, die sich dessen aber mittlerweile nicht mehr so sicher sind. Vielleicht gibt es ihn, vielleicht ist er auch allmächtig, aber liegt ihm wirklich etwas an uns Menschen und speziell an mir? Für solche Menschen – ich selbst habe auch einmal zu ihnen gehört (mehr dazu später) – fühlt es sich jedenfalls nicht so an. Vielleicht gehören Sie ja auch dazu. Fragen Sie sich manchmal:

„Wo war Gott, als ich missbraucht wurde? Hat es ihn überhaupt interessiert, und wenn ja, warum hat er dann nicht eingegriffen?“

„Warum bekommen wir kein Baby? Es gibt so viele unerwünschte Schwangerschaften, und allem Anschein nach gibt es viele Menschen, die Kinder haben, sich aber nicht um sie kümmern. Wir sind Christen, gehören zu einer Gemeinde und engagieren uns dort. Wir sind gute Menschen. Seit Jahren beten wir nun schon um ein Kind. Warum schenkt Gott uns keins?“

„Was ist nur aus meiner Ehe geworden? Ich habe mir mehr als alles andere gewünscht, dass sie harmonisch ist und hält, und wie haben wir uns damals geliebt … Ich habe wirklich getan, was ich konnte. Ich habe Gott vertraut, habe jeden Tag gebetet, aber trotzdem ist meine Ehe ein einziger Scherbenhaufen. Warum lässt Gott das zu?“

„Warum ist mein Kind mit einer Behinderung geboren worden?“

„Warum habe ich meinen Job verloren?“

„Warum ist so ziemlich jeder, den ich kenne, verheiratet und ich bin immer noch allein?“

„Wieso komme ich im Leben einfach nicht voran?“

„Warum ist der Krebs zurückgekehrt?“

„Warum wollen meine Kinder nichts mit Gott und Gemeinde zu tun haben?“

Möchten Sie gerne sicher sein, dass Gott da ist, wenn Sie ihn am dringendsten brauchen, haben aber – aus welchem Grund auch immer – Zweifel daran?

Da sind Sie nicht allein. Die gesamte Bibel hindurch ist immer wieder von Menschen die Rede, die zweifeln, dass Gott bei ihnen ist und etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Auch Jesus hatte es ganz unmittelbar mit Zweiflern zu tun. Einer von ihnen gehörte sogar zu seinen Jüngern, der ur-„ungläubige Thomas“.

Ich möchte aber in diesem Zusammenhang besonders auf einen Wortwechsel eingehen, den Jesus mit einem konkreten Zweifler hatte. Genau wie Marci war es ein Elternteil, der es nicht mehr ertragen konnte, sein Kind derart leiden zu sehen.

„Wie lange leidet er schon darunter?“, fragte Jesus den Vater.

Der antwortete: „Von Kindheit an. Schon oft hat ihn der böse Geist in ein Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns, wenn du kannst.“

„Wenn ich kann?“, fragte Jesus zurück. „Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.“

Verzweifelt rief der Mann: „Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!“

Markus 9,21–24

Können Sie sich den Schmerz dieses Vaters vorstellen? Immer wieder muss er hilflos dabeistehen und zusehen, wie sein Sohn von Krämpfen geschüttelt mit dem bösen Geist ringt, der ihn seit Jahren beherrscht und tyrannisiert. Dieser liebende Vater hat sicher alles getan, um das Leid seines Sohnes zu lindern. Doch was er auch versucht hat, sein Sohn leidet immer noch Qualen.

Als Vater von sechs Kindern möchte ich mir gar nicht vorstellen, wie es wohl gewesen sein muss, wenn ein mächtiger böser Geist den Sohn dieses Mannes wie eine Stoffpuppe ins Wasser oder ins Feuer schleuderte. Hätte der Vater seinen Sohn nicht geschützt, hätte der böse Geist den Jungen wahrscheinlich längst umgebracht.

Kein Wunder, dass es dem belasteten und zutiefst verzweifelten Vater schwerfällt zu glauben. Nachdem er alles nur Denkbare versucht hat, was ihm eingefallen ist, sagt er zu Jesus genau das, was ich in dieser Situation wahrscheinlich auch gesagt hätte: „Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns“ (V.22, Hervorhebungen des Autors).

Manche Christen mögen ihn vielleicht für seine Frage kritisieren. Aber dieser Vater ist einfach am Ende. Nachdem er alles versucht hat, ist er wahrscheinlich einfach resigniert und nimmt Verzweiflung und Verlust als sein Schicksal hin.

Er hat niemanden mehr, an den er sich noch wenden kann.

Es gibt nichts mehr, was er noch tun kann.

Er hat keine Hoffnung mehr.

Seine Welt ist stockfinster.

Aber dann macht Jesus die Dinge klar, und zwar indem er zunächst die Hoffnungslosigkeit des Vaters noch einmal in Form einer Frage betont. „Wenn ich kann?“, und dann sagt er, als wolle er den Mann herausfordern: „Alles ist möglich, wenn du mir vertraust“ (V.23, Hervorhebungen des Autors).

Man stelle sich das einmal vor!

Wieso sagt Jesus nicht: „Also, ich kann dir tatsächlich helfen“? Oder: „Ich bin der Messias, der Sohn Gottes, und mein Vater im Himmel wird deinen Sohn heilen“? Denn beides stimmte. Stattdessen spielt Jesus den Ball zurück an den Vater. Er bestätigt zwar, dass es eine gute Idee ist, sich an den einzig wahren Gott zu wenden, wenn man Hilfe braucht, aber Jesus sagt hier, dass der Schlüssel das Vertrauen ist, der Glaube, dass „bei Gott alles möglich ist“ (Matthäus 19,26).

Die Antwort des Vaters auf diesen Hinweis ist allerdings noch verblüffender: „Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!“ (Markus 9,24).

Ihnen ist schon klar, was er da sagt, oder?

Er sagt: „Ich möchte ja glauben.“

„Herr, ich möchte glauben, aber ich kann nicht. Ich habe zu kämpfen. Ich habe wirklich zu kämpfen. Hilf mir bitte, meinen Unglauben und meine Zweifel zu überwinden.“

Dieser Mann, dessen Sohn von einer Macht gequält wird, die den Körper seines Sohnes beherrscht und schon seit Jahren versucht, ihm auf jede nur erdenkliche Art zu schaden, sagt: „Ich wünschte, ich könnte glauben, aber ich weiß nicht mehr, wie. Ich erlebe eine solche Finsternis und Verzweiflung, dass ich mir nicht mehr vorstellen kann, wie noch einmal irgendetwas besser werden soll. Aber ich wünsche es mir trotzdem. Ich wünschte, ich könnte es mir vorstellen und glauben. Herr, bitte hilf mir, wieder zu glauben. Bitte gib mir wieder Hoffnung.“

Unmittelbar nach diesem Wortwechsel mit dem Vater befiehlt Jesus dem Geist, den Körper des Jungen zu verlassen, woraufhin der Junge, als der Geist ausfährt, wieder krampft und scheinbar tot ist.

„Aber Jesus nahm seine Hand und half ihm aufzustehen“ (V.27). Mich persönlich berührt an dieser Geschichte besonders Folgendes: Der Junge ist nicht der Einzige, der geheilt wird, als Jesus den bösen Geist austreibt. Auch sein Vater wird heil, weil Jesus mit dieser Tat die Hoffnungslosigkeit austreibt, die ihn schon fast besiegt hatte. Aus der aufrichtigen, ernsthaften Bitte des Mannes hört Jesus die widerstreitenden Botschaften aus seinem von Kampf gezeichneten Inneren heraus.

Und so ein Gebet würdigt Gott bis heute – wenn wir es denn zulassen.

Wie sieht es bei Ihnen aus? Würden Sie gerne von Ihren inneren Zweifeln geheilt werden? Würden Sie nicht gerne wieder eine tiefe, dauerhafte Gewissheit in Bezug auf die Eigenschaften, die Güte, die Macht und die Gegenwart Gottes haben? Falls das denn überhaupt möglich ist. Kann Gott denn überhaupt mit dem Licht seiner Hoffnung in Ihr dunkles, verzweifeltes Herz hineinleuchten? Kann Gott denn wirklich die Saat des Glaubens in die trockene Erde, das öde Brachland Ihres Inneren, pflanzen?

Möchten Sie gerne glauben?

Ÿ

Es wird nicht einfach sein, die alte Haut der Zweifel und des Unglaubens abzustreifen, besonders wenn der Ausgang Ihrer Situation nicht Ihren Hoffnungen und Erwartungen entspricht. Obwohl die Ärzte Marcis Familie mitgeteilt hatten, dass mit dem Schlimmsten zu rechnen sei, glaubten viele immer noch, dass Gott ein Wunder an ihr tun würde. Also beteten wir. Und wir beteten und beteten und beteten. Wir nutzten die sozialen Netzwerke und sahen, dass wohl Tausende von Menschen – und zwar auf der ganzen Welt – für die Heilung der kleinen Chloé beteten.

Leider tat Gott nicht das, was wir so sehr gehofft hatten.

Drei Tage vor ihrem elften Geburtstag starb Chloé.

Und in diesem Moment zerbracht das letzte bisschen, was von Marcis angeknackstem Glauben noch übrig war, in tausend Stücke. Sie schrie, sie schluchzte und sie weinte: „Warum, Gott? Warum? Warum meine Tochter? Chloé hat doch nichts getan. Wieso hast du nicht mein Leben genommen statt ihres! Wie soll ich denn einem Gott vertrauen, der mir so etwas antut? Wie kann ich an einen Gott glauben, der so etwas zulässt?“

Ich tat nicht einmal so, als hätte ich Antworten auf diese Fragen, bot ihr keine oberflächlichen, seelsorgerlichen Patentrezepte an, sondern ich tat das, was ich tun konnte: Ich betete mit Marci und für sie. Ich schloss mich den vielen Menschen an, die versuchten, sie zu trösten, mit ihr zu trauern und ihr eine Stütze zu sein.

Auch ich erlebe – genau wie Sie – mein Leid, meine Verluste und ab und zu auch meine Zweifel. Aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass Gott in den Prüfungen und schweren Zeiten unseres Lebens bei uns ist. Und ich möchte dazu beitragen, dem Glauben von Menschen wieder aufzuhelfen, deren Vertrauen in Gott durch die Abrissbirne unerträglicher Umstände zerstört worden ist.

Das ist nicht einfach, und ich habe auch nicht auf alles eine Antwort, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich all diese Fragen auch selbst schon gestellt habe. Ich habe etwas entdeckt und ich bete, dass es auch für Sie wahr wird: Sie können zweifeln, infrage stellen und sogar mit dem Glauben zu kämpfen haben. Aber statt zu merken, wie die Fragen Sie immer weiter vom Herzen Gottes entfernen, werden Sie etwas anderes feststellen, und zwar etwas viel Besseres: Ehrliche Fragen, aufrichtige Zweifel und tiefe Verletzungen können Sie näher zu Gott bringen, sodass Sie ihm näher sind als je zuvor.

Ÿ

Und wir sind nicht nur mit all den unbeantworteten Fragen überfordert, sondern darüber hinaus auch tagtäglich mit Ängsten konfrontiert. Wenn Sie die Einzelheiten von Mandys körperlichen Beschwerden kennen würden, könnten Sie sicher verstehen, warum wir viele Male am Tag dafür beten, dass die Ursache nichts Lebensbedrohliches ist.

Sie können also sicher sein, dass ich mir vorstellen kann, mit welchen Herausforderungen Sie womöglich gerade leben müssen, wenn ich hier mit ähnlichem Leidensdruck und ähnlicher Hoffnung schreibe. Momentan herrschen Leid und Schmerz, aber auch Hoffnung für die Zukunft. Doch manchmal brüllt der Schmerz ohrenbetäubend laut in unser Leben, während die Hoffnung nur noch flüstert. Und manchmal lässt einen all das daran zweifeln, ob Gott unseren Schmerz sieht, darauf reagiert und sich kümmert.

Wenn Sie sich gerade mit einer solchen Situation abquälen, können Sie sich sicher auch in einen Zweifler aus der Bibel hineinversetzen, einen oft übersehenen kleinen Propheten mit dem schwer auszusprechenden Namen Habakuk.

Habakuks Name steht für die gleiche Art von Paradox wie das eben beschriebene, für die gleichen Gefühle des Hin- und Hergerissenseins, die wir schon in dem Bericht von der Begegnung zwischen Jesus mit dem Vater des besessenen Jungen beobachtet haben und die auch meine Freundin Marci beim Verlust von Chloé empfand.

Der Name Habakuk bedeutet sowohl „ringen“ als auch „umarmen“. Es ist wie eine Umarmung, die gleichzeitig klammert und wegstößt. Es ist der Schmerz über das, was man sieht und fühlt, verbunden mit der Hoffnung, dass Gott immer noch da und bei einem ist. Habakuk steht für den Wunsch zu glauben, während er gleichzeitig auch davor zurückschreckt.

Wenn Sie gerade schwere Zeiten durchmachen, dann hoffe ich, dass Sie bereit sind zu kämpfen. Es gibt so viele Menschen, die einen Gott suchen, mit dem das Leben geordnet, einfach und problemlos ist, und die kluge und eingängige Antworten wollen. Aber das Leben ist nun einmal nicht geordnet, es ist alles andere als einfach, und es ist nie problemlos. Deshalb glaube ich, dass es nicht nur unklug, sondern sogar gefährlich ist, Gott in die „Leicht-zu-erklären“-Schublade zu stecken. Um Gott wirklich kennenzulernen, muss man sich durch Schmerz, ehrliche Zweifel und sogar durch ein Leben mit unbeantworteten Fragen kämpfen.

Ich werde Ihnen also zwar nicht versprechen, dass Gott Ihr Co-Pilot ist oder dass es in der Bibel steht und damit basta, aber ich verspreche Ihnen Folgendes: Wenn Sie mit Gott ringen, ihn suchen, sich an ihn klammern, dann wird er Ihnen in Ihrem Schmerz begegnen.