Bruno Moebius
© KarinaVerlag, Wien
www.karinaverlag.at
Text: Bruno Moebius
Cover und Layout: Bruno Moebius
Lektorat: Karina Moebius
© 2019, Karina Verlag, Vienna, Austria,
ISBN: 978-3-96443-998-7
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages, Herausgebers und des Autors unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Endlich!
Die Menschenmenge um den Stand des Anke-Hallstein-Verlags hat sich verlaufen. Meine rechte Hand ist völlig verkrampft vom vielen Schreiben und der Hintern tut weh vom Sitzen auf dem Barhocker. Den hat mir Anke organisiert, damit ich es an dem Stehtischchen bequemer habe.
Geplant war nur eine halbe Stunde, doch daraus sind zwei ganze geworden, weil der Strom der Menschen nicht abgerissen ist, die ihr – mein – Buch von mir signiert haben wollten.
Es ist echt der blanke Wahnsinn!
Ich habe keine Ahnung, was so vielen Lesern an meiner kleinen Geschichte gefällt.
Aber es ist einfach geil, dass sie sie gut finden.
Anke würde es nie zugeben, aber sie hat auch gezittert, ob überhaupt jemand zu meiner – unserer – Buchpräsentation kommen wird.
Dabei ist der Vorverkauf so genial gelaufen, hat sie gesagt – und dann noch: »Es gibt zwei Möglichkeiten. Das Buch wird ein Bestseller – oder ein totaler Flop.«
Na ja, Flop ist es keiner geworden, glaube ich.
Da kommen noch zwei Mädchen mit meinem Buch auf mich zu.
»Für Jasmin«, sagt die eine, als ich das Buch aufklappe und eben nach ihrem Namen fragen will. »Ich heiße auch Jasmin. Wie Sie.«
Und sie wird dabei rot.
Ich schreibe.
Für Jasmin von Jasmin …
»Darf ich etwas fragen?«, sagt sie.
»Ja, klar.« Ich klappe das Buch zu.
»Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?«
Das habe ich in den letzten Stunden gefühlte hundert Mal gehört.
»Du hast es gerade erst gekauft, oder?«
Sie nickt.
»Lies einfach mal die erste Seite«, sage ich zum gefühlt hundertsten Mal.
Aber diesmal ist es doch anders.
Sie heißt Jasmin.
Wie ich.
Und ich lächle sie an.
1
Ich schreibe ein Buch.
Zack!
Ich kann das.
Sagt zumindest Bettina, die wo meine beste Freundin ist. Und die muss es wissen. Schließlich hat sie schon zwei oder drei Bücher gelesen.
»Wenn du so eine von deinen Geschichten erzählst, ist das viel lustiger«, hat sie nicht erst einmal gesagt. »Da ist man live dabei. Und du redest nicht so hochgeschraubt wie die in den Büchern. Mehr so wie in den Serien, die ich mir reinziehe.«
Zum Glück gibt es Bildschirmtastaturen. Da muss man die Buchstaben nicht selber malen. Damit hätte ich echt ein Problem, aber wenn ich sehe, was draufsteht, kann ich auch drauftippen.
»Und was soll ich schreiben?«, habe ich sie gefragt.
»Na, deine Geschichten. Was du immer so erzählst.«
»Aber das fällt mir gerade in dem Moment ein. Eine Minute vorher weiß ich noch gar nicht, was ich gleich erzählen werde.«
»Na, das ist doch ganz einfach! Setz dich hin und eine Minute später fällt dir eine Geschichte ein.«
Wie sich das anhört …
Echt einfach.
Ich setze mich also hin, werfe mein Tablet an und starte WhatsApp.
Wenn Bettina recht hätte, müsste mir jetzt gleich etwas einfallen, aber mein Hirn ist leer.
›hi Jas wie weit bist du mit dem Buch‹
Das ist Bettina.
›ich fange gerade an‹, schreibe ich zurück.
›dann texte nicht whatsappen‹
›ja eh mir ist gerade was eingefallen‹
›na also dann los um was gez denn‹
›nein ich meine mir ist eingefallen dass ich doch kein buch in whatsapp schreiben kann‹
Pause.
›wieso nicht‹
›na wem soll ich es schicken ich muss ja irgendwann mal auf den geknickten pfeil klicken‹
Wieder Pause.
›na schick es mir‹
›und dann was machst dann damit‹
Lange Pause.
›muss kochen viel spaß noch‹
Danke für das Gespräch.
Was soll ich jetzt machen?
Pling.
Eine E-Mail.
Ich klicke auf den Briefumschlag und die Mail-App öffnet sich.
Spam, klar.
Aber es ist ein ur langer Text.
Ich lese gar nicht, was da steht, aber es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Sagt man doch so, oder?
Ich kann doch so eine Geschichte als E-Mail schreiben und dann an mich selber schicken. Und wenn ich alle die Dinger sammle, wird das Buch immer dicker.
Bis es dann einmal fertig ist.
Ich bin voll aufgeregt.
Ja, so kann das klappen!
Aber jetzt muss ich fix zu meinem Termin ins Nagelstudio. Das Buch kann warten.
Ich klicke schnell mal auf ›Neue Nachricht‹ und tippe ›Mein Buch‹, dann mit dem Zeigefinger mit dem abgegangenen Nagel auf ›Senden‹ – fertig.
Und jetzt ab zu Schaklin.
So kann’s nicht weitergehen.
Diese Nägel halte ich nicht länger aus!
2
»Wie? Du schreibst ein Buch?« Schaklin kann es nicht fassen, das sehe ich ganz genau.
»Ja. Und? Ist doch nichts dabei.« Es kommt mir ganz locker über die Lippen.
»Über was schreibst du da?« Sie drückt das Teil auf meinen Fingernagel, aber ein wenig schief, weil sie nicht hinschaut, sondern mir ins Gesicht starrt.
»Pass auf!« Ein schiefer Fingernagel ist nicht besser als ein abgebrochener, oder?
»Ja, ja. Ist ja nichts passiert.« Sie rückt das Teil zurecht und drückt fest drauf. »Also, erzähl schon!«
»Das ist noch geheim«, sage ich. Klingt viel besser als ›keine Ahnung, aber mir wird schon etwas einfallen‹.
»Echt …« Sie schaut jetzt beinahe ehrfürchtig drein. »Und dein Job im Supermarkt … hast du den geschmissen?«
Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht! Wenn ich mit dem Buch massig Kohle mache, können mich die am Arsch lecken.
»Nein, wo denkst du hin! Erst muss das Buch fertig sein. Wovon sollte ich bis dahin leben?«
»Ja, klar. Ich dachte nur …«
Sie poliert am Nagel herum.
»So. Fertig!«
»Super. Du bist die Beste, kein Scheiß.«
»Dann kommst du auch noch zu mir, wenn du berühmt bist, hoffe ich.«
»Schaklin, du weißt doch – ich bin eine treue Seele.«
Diesmal druckt sie mir doch glatt eine Quittung aus …
»Für die Steuer. Auf so was musst du jetzt achten.«
»Ja, klar. Danke«, sage ich.
Null Peilung, was sie meint.
Egal. Ich nehme die Quittung und vertschüsse mich.
3
Wenn ich einmal berühmt bin …
Logo.
Man wird berühmt, wenn man ein Buch schreibt.
Wozu sonst sollte man ein Buch schreiben?
Wenn ich meine Geschichten in der Clique erzähle, lachen alle, aber berühmt bin ich noch immer nicht. Dazu brauche ich ein Buch.
Der Anfang ist ja schon mal gemacht: Mein E-Mail an mich ist angekommen. ›Mein Buch‹ steht drin und ich starre ganz stolz eine Weile lang auf die Buchstaben. So sieht das also aus, wenn ich schreibe …
Und dann habe ich einen Genieblitz.
Ich gehe zu ›Weiterleiten‹ und schreibe einfach unter dem Titel weiter, schicke das Ganze wieder an meine eigene Adresse und wenn ich so weitermache, habe ich irgendwann das ganze Buch beisammen. Echt genial, Jasmin!
Jetzt muss mir nur noch einfallen, was ich schreiben soll …
»Ich habe jetzt mit dem Buch begonnen«, sage ich, als Bettina ihr »Jas, ich hab grad keine Zeit« aus dem Handy kommt.
»Echt? Das musst du mir erzählen, wenn ich Zeit habe.«
»Ja, eben. Was musst du denn jetzt so furchtbar dringend …?«
»Spaghetti! Wenn ich sie nicht sofort abseihe, werden sie matschig. Bis dann, Süße!«
Piep.
›Bettina, die wo meine beste Freundin ist, kocht jedes Mal Spaghetti, wenn ich sie anrufe.‹
Ganz wie von selbst ist der Satz auf dem Display meines Tablets erschienen. Ist das nicht fantastisch?
Ich habe keine Sekunde nachgedacht; meine Finger haben sich bewegt und jetzt steht dieser Satz unter ›Mein Buch‹.
So einfach ist das also!
Bettina hat es ja nicht leicht. Zwei Gören und keinen Vater. Also, schon, aber der ist vor zwei Jahren abgehauen. Da war die Große zwei und die Kleine erst ein paar Monate alt.
Aber dass sie nicht mal eine Minute für mich hat, wenn ich sie doch so dringend brauche …
Mein Text ist plötzlich um ein paar Zeilen angewachsen.
Na, morgen haben wir wieder gemeinsam Schicht von zwei bis acht. Da können wir bestimmt ein paar Minuten tratschen. Ist ja nicht so, dass ununterbrochen jemand an die Kassen kommt. Und zwischendurch, wenn wir die Regale auffüllen, Mann, was haben wir da schon gelacht!
Obwohl – damals, als in ihrer Kasse ein Hunderter gefehlt hat, da haben wir nicht gelacht. Wenn mal zu viel drin ist, kassiert das die Firma. Wenn etwas fehlt, dürfen wir in die eigene Tasche greifen. Und das war echt hart für Bettina. Ich habe ihr am nächsten Tag fünf Zehner in die Börse geschmuggelt. Ich habe ja keine Gören, nur mich …
Sie hat nie etwas gesagt, aber ich glaube, sie weiß es. Sie kann sich nicht bedanken, denn dann müsste sie sich schämen. Glaubt sie halt. Da bin ich sicher. Und ich will gar nicht, dass sie sich bedankt. Sie ist doch meine beste Freundin.
Und schon wieder ist mein Text länger geworden.
Ich schicke ihn jetzt lieber sofort an mich. Morgen werde ich nachsehen, ob ich nicht vielleicht doch geträumt habe …
4
»Der Typ von neulich … ich habe dir doch von ihm erzählt …« Bettina stellt zwei Ketschapflaschen ins Regal und greift sich zwei weitere von der Palette.
»Der so nach Rasierwasser stinkt? Meinste den?« Ich stelle die Majonäse daneben. Wenn die nicht rot und gelb wären, könnte man sie echt verwechseln.
»Auf drei Meter gegen den Wind!« Bettina verzieht das Gesicht. Ich kichere.
»Und was ist mit dem?«
Sie neigt sich zu mir und flüstert:
»Er schleicht gerade zwischen den Regalen herum. Er umkreist uns.«
»Meinst du? Er sucht bestimmt nur irgendetwas. Frag ihn doch einfach, ob du ihm behilflich sein kannst.«
»Warum sollte ich? Ich will ja nichts von ihm.«
»Ach ja …«
Mein Grinsen ist bestimmt nicht zu übersehen.
»Ich meine, er will etwas von mir. Also … ich … wenn er Hilfe braucht, soll er fragen.«
»Ja, dass er etwas von dir will, ist mir schon aufgefallen. Er schleicht ja schon lange genug hier herum.«
Ich packe den Rest der Majonäseflaschen ins Regal und helfe Bettina mit dem Ketschap. Sie hat anscheinend vergessen, warum wir hier stehen.
»Kasseeee!« Der Ruf ist nicht zu überhören. Der Stimme nach ist das die Dicke, die eben ihren Einkaufswagen vorbeigeschoben hat.
Stammkundin. Sie schreit jedes Mal.
»Kommeeee!«
Ich wende mich zum Gehen.
»Du kannst mich doch jetzt nicht alleine lassen!«
Bettina schaut echt verzweifelt drein.
Ich ignoriere es und eile zur Kasse.
Es ist die Dicke. Sie räumt gerade die letzten von gefühlt fünfzehn Mikrowellen-Menüs aufs Förderband. Klar. Irgendwoher müssen die Pfunde ja kommen.
»Na, das wurde auch Zeit«, mault sie.
»Stimmt. Sie sehen aus, als würden sie gleich verhungern«, hätte ich gern gesagt, aber ich halte den Mund. Sie ist garantiert humorlos.
Also ziehe ich die Ware über den Scanner und schubse in den Wagen, was sie nicht schnell genug selbst schafft. Soll sie sehen, wer hier langsam ist.
Bettina kommt im Laufschritt zu ihrer Kasse, obwohl kein Kunde zu sehen ist.
»Karte«, murmelt die Dicke. Ich tippe auf die Taste und sie schiebt ihre Karte ins Terminal.
Bettina fuchtelt mit den Händen. Ich soll mir Zeit lassen.
Zufällig vertippt sich die Dicke und ich mache extra langsam, um noch einmal freizuschalten.
»Ach ja, diese Pins. Echt mühsam …«