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FÜR MAX

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LISA SOPHIE LAURENT

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Deutsche Erstausgabe

Erschienen bei FISCHER E-Books

© 2019 Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

Layout: Christiane Hahn, Frankfurt am Main

Illustrationen zu den Gastbeiträgen: Christiane Hahn

Alle anderen Illustrationen: Izabella Markiewicz

Covergestaltung: BUCH & DESIGN Vanessa Weuffel

Coverillustrationen: Izabella Markiewicz

Coverfoto: © Stefan Gelberg

ISBN: 978-3-7336-5210-4

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

INHALT

ANMODERATION

STRESS & LEISTUNGSDRUCK

Der gestrandete Wal

Das ist dann wohl Burnout – und was jetzt?

Übung: Warum bin ich gestresst?

Übung: Bunte Stresslandschaft

Übung: Stresscluster

WER BIN ICH & WAS WILL ICH?

Wie finde ich heraus, was ich will?

Blick nach vorne

Übung: Was soll sich ändern?

So sähe meine perfekte Zukunft aus

Übung: Tagträumen

Community-Time: Träume

Ziele erreichen durch Vision-Boards

Was sind meine Werte?

Übung: Welche Werte sind mir wichtig?

Welche Themen sind mir besonders wichtig?

Übung: Welche Themen bewegen mich?

Community-Time: Diese Themen sind euch besonders wichtig

Was sind meine Stärken?

Übung: Stärken erkennen

Was inspiriert mich?

Übung: Inspirationsquellen

SELFCARE

Was ist Selfcare?

Manchmal braucht es mehr als Basic-Selfcare

10 Dinge für ein niedriges Energielevel

10 Dinge für ein hohes Energielevel

Community-Time: Selfcare

Ernährung

Sport

Die Anti-Bucket-List

Community-Time: Anti-Bucket-List

Warum ich meine Social-Media-Seiten gelöscht habe

#Bodygoals & #Relationshipgoals

#Friendshipgoals

Übung: Freund*innen für jeden Anlass

Wie man sich von Freund*innen trennt

Übung: Verlorene Freundschaften

Neue Freund*innen finden

Gastbeitrag von Jana Kaspar / JANAKlar: Selfcare

MENTAL HEALTH

Soziale Angst

Wie ich heute trotz Sozialer Angst auf Bühnen stehen kann

Sieben Dates mit mir selbst

Hochsensibilität

Gastbeitrag von Maria Popov: How to – Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen

ZEITMANAGEMENT

Wie ich meinen Alltag organisiere

Alltagsroutinen

Morgenroutine

Abendroutine

Habit-Tracker für gute Angewohnheiten

10 Tipps gegen unnötigen Stress

10 Dinge, die ich übers Lernen gelernt habe

Übung: Erstellung eines Lernplans

12 Dinge, die ich in 12 Semestern Uni gelernt habe

ABMODERATION

DANKSAGUNG

HILFSSEITEN

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ANMODERATION

HALLO LEUTE!

Zwei Worte, mit denen dieses Buch zwangsläufig beginnen muss, schließlich bin ich YouTuberin, und wenn ich das alles schon ohne Ghostwriter*in schreibe, dann muss ich doch wenigstens irgendeinem Klischee treu bleiben.

Das hier ist ein Buch über Alltagsstress, Leistungsdruck und über einen Kopf, der manchmal einfach nicht die Klappe halten will. Bevor ich aber mehr darüber erzähle, möchte ich mich gern kurz vorstellen: Hi, ich bin Lisa! Ich bin YouTuberin, Journalistin und Moderatorin. Vielleicht seid ihr schon einmal über meine Social-Media-Kanäle gestolpert oder habt das Talk-Format mit dem wohl schönsten Namen der Welt, »Auf Klo«, abonniert, das ich für »funk« von ARD & ZDF moderiere. Ich studiere Politikwissenschaften und Psychologie und sollte damit eigentlich schon längst fertig sein. Weil ich aber unbedingt dieses Buch hier schreiben wollte, muss mein Abschluss noch ein paar Monate warten. Beim Thema Abschluss wird mein Kopf übrigens direkt ein bisschen unruhig, räuspert sich kurz und spult dann die altbekannte Leier ab: »Du studierst schon seit 12 Semestern, Lisa. ZWÖLF! Das ist das Doppelte der Regelstudienzeit. Ja, okay, du arbeitest schon seit dem dritten Semester Vollzeit. Trotzdem enttäuschst du deine Familie, das sieht mies im Lebenslauf aus und was sollen denn bitteschön die Leute denken?« Vielleicht habt ihr gerade beim Lesen genickt, weil euch solche Sätze bekannt vorkommen.

Wir leben in einer Zeit, die superhektisch und stressig ist. Alle stellen Erwartungen an uns: Wir sollen supergute Noten schreiben, damit wir einen Studien- oder Ausbildungsplatz bekommen. Mindestens 37 Praktika absolvieren, damit unser Lebenslauf für die Bewerbung auch voll genug ist. Sofort einen Job finden, bei dem dann die Grenzen zur Freizeit so doll verschwimmen, dass wir auch um 21 Uhr noch Mails und Anrufe beantworten dürfen. Ehrenamtlich arbeiten und uns politisch engagieren, weil der Planet vor die Hunde geht und wir dagegen echt was machen müssen. Regelmäßig Sport treiben, einen tollen Freundeskreis haben, eine vorzeigbare Beziehung führen und das alles möglichst auch noch täglich auf Instagram dokumentieren. #Relationshipgoals, #Friendshipgoals, #Bodygoals. Okay, ich hab da vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein bisschen übertrieben, aber die meisten jungen Menschen stehen heutzutage tatsächlich unter enorm großem Druck. Kein Wunder, dass wir da manchmal nicht so ganz wissen, wo uns eigentlich gerade der Kopf steht.

Mein eigener Kopf hatte es in den letzten Jahren auch echt nicht leicht mit mir. Ich habe ihm (und damit natürlich mir selbst) immer und immer wieder eingetrichtert, dass ich all den Ansprüchen unbedingt gerecht werden muss. Deswegen hab ich mir eine Aufgabe nach der anderen aufgehalst, und als mein Kopf dann irgendwann voll war und zu protestieren begann, hab ich nur »Ach, halt die Klappe« gesagt und ihm keine Pause gegönnt. Schließlich stand immer noch ein weiterer Punkt auf der To-do-Liste, alle anderen waren gefühlt viel fleißiger als ich und ehrlich gesagt, machte mir die Zukunft eine Heidenangst. Dieser Sorgen-Cocktail war nicht gerade die beste Motivation, aber das Ganze ging mehrere Jahre lang gut. Jedenfalls bis zu dem Punkt, an dem der Tag einfach nicht mehr genug Stunden für all die Aufgaben hatte. Mein Kopf versuchte immer wieder, mir das mitzuteilen. Ich konnte nicht mehr richtig schlafen, weil er abends nicht zur Ruhe kam. Ich erwischte mich oft dabei, wie ich minutenlang gegen die Wand starrte, weil die Gedanken und Ideen zwar in meinem Kopf Macarena tanzten, ich mich gleichzeitig aber komplett leer fühlte. Obwohl diese Warnsignale immer lauter wurden, schenkte ich ihnen keine Beachtung. Es musste schließlich immer weitergehen, und die Zeit, zu reflektieren, nahm ich mir nicht. Das konnte ich mir einfach nicht erlauben, denn dadurch hätte ich ja weniger Zeit gehabt, um zu arbeiten! Hallo, Teufelskreis. Weil die einzige Reaktion, die mein Kopf von mir bekam, also ein sich ständig wiederholendes »Halt die Klappe!« war, wusste er irgendwann einfach nicht mehr weiter und beschloss, dass es an der Zeit war, die Reißleine zu ziehen. Das Ergebnis: Die nächsten Wochen verbrachte ich in »Gestrandeter Wal«-Position auf dem Sofa und abgesehen von Ein- und Ausatmen bekam nicht mehr so richtig viel gebacken.

Erst als dieser Punkt erreicht war, verstand ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich würde wohl oder übel lernen müssen, in Zukunft mit meinem Kopf statt gegen ihn zu arbeiten. Doch wie genau sollte ich das denn bitteschön anstellen? »Wie dein Kopf und du ein gutes Team werdet« hatte bei mir leider weder in der Schule noch in der Uni auf dem Lehrplan gestanden. Wenn überhaupt, war es da um körperliche Gesundheit gegangen. Im Sportunterricht wurde mir erklärt, dass Geräteturnen gut für den Muskelaufbau sei, und ich konnte mich ganz dunkel an eine Biostunde erinnern, in der wir uns die Ernährungspyramide angeschaut hatten. Der Teil war also auch nicht sonderlich prickelnd gewesen, aber wenigstens wurde überhaupt darüber gesprochen. Die mentale Gesundheit, der Umgang mit Stress und Leistungsdruck waren hingegen nie Thema. Klar, es gab eine Schulpsychologin, und irgendwo auf dem riesigen Campus meiner Uni befand sich bestimmt auch eine Beratungsstelle für solche Fälle. Beides wirkte für mich aber irgendwie nicht so recht greifbar. Auch wenn es toll war, dass diese Angebote existierten, kannte ich niemanden, der sie nutzte, und ich hatte auch immer das Gefühl, dass meine Lage dafür nicht mies genug war. Inzwischen weiß ich, dass es kein »So schlecht geht es mir«-Barometer gibt, auf dem man eine bestimmte Zahl erreichen muss, um sich Hilfe holen zu dürfen. Ich würde also jedem empfehlen, jegliche Unterstützung anzunehmen, die sich bietet.

Weil eine Schulpsychologin oder ein Berater von der Uni gleichzeitig aber nicht rund um die Uhr an unserer Seite stehen kann, finde ich es genauso wichtig zu lernen, wie wir uns selbst aus diesem ganzen Mist herausziehen können. Wie erkenne ich Stress im Alltag? Was kann ich tun, um ihn in den Griff zu bekommen? Wie kann ich besser mit der Zeit umgehen, die mir zur Verfügung steht, und wann ist es auch mal die richtige Entscheidung, nein zu sagen? Aus den Nachrichten, die ich auf Instagram und YouTube bekomme, weiß ich, dass meine Schule und meine Uni in Bezug auf ihre Stressmanagement-Bildungslücke keine Einzelfälle waren. Denn auch wenn nicht jeder gleich einen walförmigen Totalzusammenbruch erleidet, schreiben mir viele meiner Zuschauer*innen, dass der Leistungsdruck ihnen zu viel wird und sie einfach nicht mehr weiterwissen. Dass sie völlig erschöpft sind, teilweise mit Depressionen zu kämpfen haben und genau dasselbe Gefühl haben, das auch mich damals regelmäßig mit voller Wucht aus der Bahn geworfen hat: »Egal, wie viel ich schaffe, es ist niemals genug.«

Was ich aber am schlimmsten finde, ist, dass so viele Leute glauben, sie seien die Einzigen, denen es so geht, und dass sie schwächer und dümmer seien als alle anderen. Denn denen bereitet das alles ja anscheinend überhaupt keine Probleme. Auch ich hatte regelmäßig das Gefühl, dass nur ich mühevoll Stein für Stein aus meinem Weg schieben musste, während alle anderen barfuß und fröhlich vor sich hin pfeifend über die komplett hindernisfreien Blumenwiesen hüpften. Falls ihr dieses Gefühl auch schon einmal hattet, dann kann ich euch versichern, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Wir alle haben unser individuelles Päckchen zu tragen. Klar, das ist manchmal größer und manchmal kleiner, aber komplett ohne Rucksack reist niemand von uns durchs Leben. Wow, ein Satz so voller Poesie, dass man ihn direkt mit einem Sonnenuntergang im Hintergrund auf Facebook posten möchte. Doch er stimmt, und genau deswegen ist es auch so wichtig, dass wir auf unserem Weg dann und wann mal stehen bleiben, unsere Rucksäcke auf den Boden stellen und uns gegenseitig ihren Inhalt zeigen. »Na, was sagste dazu? Hast du den miesen Brocken hier auch schon mal mit dir rumgeschleppt? Ja? Und wie bist du ihn wieder losgeworden?«

Es ist wichtig, dass wir über Stress, Leistungsdruck und mentale Gesundheit sprechen. Genau deswegen möchte ich auch in diesem Buch hier mit euch teilen, wie mein Kopf und ich uns in den letzten Jahren wieder zusammengerauft haben. Wir alle haben eine unterschiedliche Ausgangssituation, und deswegen möchte ich mir natürlich nicht anmaßen zu sagen, dass die Übungen, Methoden und Checklisten, die mir wieder auf die Beine geholfen haben, eine Universallösung für all eure Sorgen und Probleme darstellen. Es kann sein, dass sie das für euch sind, aber es ist auch völlig okay, wenn ihr nur mit einem Teil davon etwas anfangen könnt. Das heißt nicht, dass ihr faule und unstrukturierte Kartoffeln seid, sondern es zeigt lediglich, dass wir verschieden sind und alle Köpfe eben ein bisschen anders ticken.

Als ich mich zum ersten Mal mit Zeitmanagement, Selfcare und mentaler Gesundheit auseinandergesetzt habe, musste ich eine ganze Weile recherchieren, bis ich die Dinge gefunden habe, die mir persönlich sinnvoll und hilfreich erschienen. Die habe ich mir dann herausgepickt, sie ausprobiert und die Ergebnisse dessen, was für mich tatsächlich funktioniert hat, sind hier in diesem Buch gelandet. Zwingt euch bitte nicht dazu, das Buch von Anfang bis Ende durchzuarbeiten und jede Übung mitzumachen, obwohl sie euch nicht anspricht. Das würde keinen Sinn ergeben und vor allem auch keinen Spaß machen. Manchmal ist es einfach nur der kleine motivierende Tritt in den Hintern, der uns fehlt, um uns mal näher mit uns, unseren Gedanken, Sorgen und all dem Alltagsstress auseinanderzusetzen. Wenn mein Buch diese Rolle erfüllen kann, dann bin ich schon voll und ganz zufrieden.

Vielleicht ist das jetzt der Moment, in dem ich euch warnen sollte, dass ich eine olle Listen-Tante bin. Das bedeutet, dass ich mich mit allem wohlfühle, was man aufschreiben, ankreuzen und durchstreichen kann. Jetzt, wo das raus ist, muss ich hier wohl meines Amtes walten, und es ist an der Zeit für eine Klischee-YouTuber*innen-Floskel: »Okay, Leute, dann quatsche ich nicht weiter drum herum, los geht’s!«

PS: Ich habe mich bewusst für den englischen Begriff »Selfcare« entschieden, um zu zeigen, dass er mehr ist, als nur ein fancy Instagram-Hashtag. Außerdem konnte ich keine Übersetzung finden, die mir wirklich gut gefallen hat, daher bleibe ich im Buch dabei.

PPS: Da ich nicht nur eine Listen-, sondern auch eine Öko-Tante bin, möchte ich natürlich noch dazusagen, dass der Punkt mit dem Planeten in der Aufzählung oben tatsächlich sehr wichtig ist. Darum geht’s in diesem Buch zwar nicht, aber falls ihr Interesse an den Themen Nachhaltigkeit, Zero Waste und Fair Fashion habt, dann findet ihr mehr Infos dazu auf meinen Social-Media-Kanälen. Service-Announcement Ende!

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YouTube: Lisa Sophie Laurent
Instagram: @LisaSophieLaurent

Ich würde mich sehr über euer Feedback zu diesem Buch freuen. Schreibt mir also gern, wenn ihr es gelesen habt, und erzählt mir, ob es euch weitergeholfen hat! Auch falls ihr noch mehr Tipps zu den Themen beisteuern könnt, freue ich mich, von euch zu hören :)

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STRESS & LEISTUNGSDRUCK

DER GESTRANDETE WAL

Beginnen wir mal damit, dass ich euch erzähle, wie es denn dazu kam, dass ich in den dunklen Stressstrudel des Grauens gezogen wurde, der mich dann letztendlich als gestrandeten Wal aufs Sofa gespült hat. Okay, vielleicht merkt man ganz minimal, dass ich als Kind Piratin werden wollte. Ein bisschen Drama muss aber einfach mal sein, denn an dem Abend, an dem mein Gehirn die Reißleine gezogen hat, hatte ich mich tatsächlich gefühlt wie im falschen Film. Dieser Abend ist jetzt drei Jahre her. Ich war damals 21 Jahre alt und saß zusammen mit meinem Unifreund Max bei unserem Lieblingsitaliener. Während ich meine Pizza in Stücke schnitt, hörte ich Max dabei zu, wie er die Gliederung des Politikreferats vorlas, das wir an dem Abend zusammen vorbereiten wollten. Es ging darin um die Nutzung von Soft Power im Rahmen der zwischenstaatlichen Rivalität dreier Länder im asiatisch-pazifischen Raum – oder so ähnlich. Es war jedenfalls ein richtig unkompliziertes und gut greifbares Thema. (Hört man Ironie eigentlich aus gedrucktem Text heraus? Ich bin ein Millennial! Wo sind meine Emojis, wenn ich sie mal brauche?) Vor uns lag ein riesiger Stapel englischsprachiger Fachliteratur, dessen Inhalt wir gemeinsam durcharbeiten und ihn danach in einen halbwegs spannenden viertelstündigen Vortrag quetschen mussten. Ich seufzte und hob mein erstes Pizzastück an, in der Hoffnung, dass die Kohlenhydrate mir ein wenig Trost spenden würden, als mein Handy aufleuchtete. Es zeigte mir eine neue Mail an, und wie immer war das der Weckruf für das hyperaktive Eichhörnchen in mir. Mein Kopf begann, wie wild mit Fragen um sich zu werfen. Was mochte wohl in dieser Mail stehen? Irgendetwas Wichtiges? Irgendwas, das ich vergessen hatte? Eine coole Möglichkeit oder doch nur eine nervige Aufgabe, die mir jemand aufhalsen wollte? Ehe ich michs versah, stürzte ich mich auch schon darauf und begann, hektisch durch den Text zu scrollen – ohne mit der Wimper zu zucken oder mich selbst vielleicht mal höflich daran zu erinnern, dass ich ja eigentlich gerade dabei war, zwei andere Dinge zu tun: Max zuhören und dabei etwas essen. Das wäre eigentlich auch schon die maximale Menge an Multitasking gewesen, die ich in dieser Situation hätte verarbeiten können. Doch dazu später mehr. Die Mail kam von der Leiterin eines großen Projekts, an dem ich gerade arbeitete und dessen Deadline eigentlich noch einen Monat vor mir lag. Jedenfalls war das der ursprüngliche Plan gewesen, denn mein Abgabedatum war nun, wie sie mir mitteilte, ganze zwei Wochen vorgezogen worden. Wäre das Pizzastück davor nicht mitten auf dem Weg zu meinem Mund in der Luft stehen geblieben, dann hätte ich mich jetzt mit ziemlicher Sicherheit daran verschluckt. Die Nachricht brachte mich völlig aus dem Konzept. In Gedanken ging ich meinen Plan für die nächsten zwei Wochen durch. Ich arbeitete neben der Uni als Moderatorin für ein Online-Format eines großen Fernsehsenders, und die nächsten fünf Tage waren für den Dreh und Schnitt einer Reportage vorgesehen. Unser Plan war dabei so eng getaktet, dass eigentlich nichts schiefgehen durfte, und wenn doch, dann würden wir bis spät abends Überstunden machen müssen. Am letzten Drehtag sollte ich zudem noch für ein anderes Projekt vor der Kamera stehen und direkt danach würde ich von meiner Heimatstadt Köln aus mit dem Zug nach Berlin fahren. Die Zeit in der Bahn wollte ich dabei natürlich nicht ungenutzt lassen, und so hatte ich sie für die Vorbereitung des zweitägigen Medienpädagogik-Workshops eingeplant, den ich dort an einer Schule geben würde. An den beiden Abenden in Berlin wollte ich mich dann meiner Hälfte des riesigen Referats-Texthaufens widmen, bevor es am nächsten Tag weiter nach Kampala, der Hauptstadt von Uganda ging. In der zweiten Woche würde ich dort dann die Projekte einer Hilfsorganisation besuchen und ihre Arbeit dokumentieren. Mir war jetzt schon klar, dass das wahnsinnig anstrengend werden würde, denn ich wusste nicht genau, was mich vor Ort erwartete. Im Jahr zuvor war ich bereits für ein ähnliches Projekt in Kenia gewesen, und so stellte ich mich schon mal auf Moskitos, tropisches Klima und viele Toilettenpausen in freier Natur ein. Was das anging, war ich eigentlich ziemlich schmerzfrei, aber es war definitiv ein stressigeres Umfeld als meine gewohnten vier Wände daheim. Die Abende in Uganda waren übrigens auch bereits verplant. Für das Gestalten der Powerpoint-Präsentation für das Referat, für ganz dringende Steuersachen, die ich noch abgeben musste, und vor allem für den Schnitt des Videomaterials, das ich vor Ort aufnehmen würde. Egal, wie ich es drehte und wendete: Für die fünfzig Seiten Text, die ich nun auch noch für das vorgezogene Projekt schreiben sollte, war in diesem ohnehin schon bis zum Rand vollgequetschten Zeitplan einfach kein Platz mehr. Es dauerte einen Moment, bis diese Erkenntnis so richtig zu mir durchdrang. In den Monaten davor hatte ich es mit Müh und Not geschafft, alles so hinzubiegen, dass es am Ende gerade noch passte, doch jetzt erschien mir das absolut unmöglich. Ich atmete scharf ein, und dann hörte ich urplötzlich und völlig unerwartet ein hysterisches Lachen. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass ich es war, die diese Töne von sich gab, denn dieser Frequenzbereich war mir bei mir selbst definitiv neu. Max, der ein solches Geräusch ebenfalls zum ersten Mal von mir hörte, ließ seine Notizen sinken und sah mich verwundert an. »Alles okay bei dir, Lisa?«, fragte er, doch ich konnte ihm nicht antworten, weil das Lachen jetzt einfach nicht mehr aufhören wollte. Ich hatte Mühe, zwischendurch nach Luft zu schnappen, und sah dabei anscheinend so verzweifelt aus, dass Max direkt verstand, dass hier gerade etwas ganz und gar nicht okay war. Er reagierte instinktiv richtig und schlug mir vor, dass ich vielleicht mal kurz aufs Klo gehen sollte.

Er würde hier bleiben und auf meine Sachen aufpassen. Da in meinem Kopf langsam aber sicher die Erkenntnis eintrudelte, dass dieses Lachen gleich zu einer ausgewachsenen Panikattacke mutieren würde, nickte ich nur und lief los. Erst, als ich die Klotür hinter mir geschlossen hatte, ließ ich die Panik so richtig zu. Ich lachte, bis mir die Tränen kamen, und atmete so lange hektisch ein und aus, bis die Welle irgendwann vorbei war. Ich wartete noch einen Moment, und als ich mir sicher war, dass kein Lacher mehr nachkommen würde, trat ich nach draußen in den Waschraum. Dort schaltete ich das kalte Wasser an und ließ es über meine Handgelenke laufen. Das fühlte sich beruhigend an und hatte mich auch bei früheren Panikattacken schon erfolgreich zurück in die Realität befördert. Die letzte war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits einige Jahre her, und ich hatte nicht erwartet, jemals wieder eine Panikattacke zu bekommen. Eigentlich hatte ich das alles doch schon längst in den Griff bekommen. Was war also plötzlich los mit mir? Früher hatte ich mit Sozialer Angst zu kämpfen gehabt. Da wäre es wahrscheinlich die Situation im Restaurant gewesen, die mich überfordert und zu einer Panikattacke geführt hätte. Große Menschenmengen und ein lautes Umfeld waren früher ein beliebter Auslöser bei mir gewesen. Aber das ist ein anderes Thema. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, schaut doch in mein erstes Buch »Wie ich aufhörte, perfekt sein zu wollen«. Ich verstand es einfach nicht. Bevor ich die Mail gelesen hatte, war doch eigentlich alles gut gewesen. Ja, es waren viele Leute da, die Musik war etwas lauter und ich hätte lieber gemütlich auf Max’ Sofa gesessen, aber das wars auch schon. Ich wischte mit meinem Finger unter meinen Augen entlang, um die Mascarareste zu entfernen, die die Lachtränen dort verteilt hatten, atmete noch einmal tief durch und ging dann zurück an den Tisch. Während ich mich dort mit zitternder Hand wieder der Pizza zuwandte, um meinen Blutzuckerspiegel wieder auf ein normales Level zu bringen, erzählte ich Max, was gerade passiert war. Er kannte die Geschichte meiner Sozialen Angst und meiner Panikattacken und wusste, dass die beiden mir meine Teenagerzeit ganz schön zur Hölle gemacht hatten. Dennoch hatte er mich noch nie so erlebt, und er sah mich, nachdem ich ihm alle Details meiner aktuellen, verzwickten Lage erklärt hatte, ernst an. »Alles klar, Lisa«, sagte er. »Wir machen das so: Du sagst alle Termine ab, bei denen das irgendwie möglich ist, und ziehst diese Text-Deadline durch. Ich übernehme die Vorbereitung für das Referat allein, wenn du mir dafür versprichst, dass es nie wieder so weit kommen wird.« Der Blätterstapel vor Max blickte mir vorwurfsvoll entgegen. Mir war klar, was für einen Haufen Arbeit ich ihm damit aufhalste und was für ein großer Freundschaftsbeweis es von Max war, mir das anzubieten. Ich war hin- und hergerissen, und das schlechte Gewissen nagte an mir, aber da ich einfach keine andere Möglichkeit sah, stimmte ich zu. Ich gab Max das Versprechen, meinen Zeitplan und damit auch mein Leben an sich in den Griff zu bekommen, und verstand, dass das nicht nur ein dahingesagter Satz war. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wusste ich eigentlich schon länger, dass es so nicht weitergehen konnte. Aber eingestanden hatte ich mir das noch nie. Ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen. Sie sollten sehen, dass ich selbstständig war und das alles hinbekam. Ich war die Erste in meiner Familie, die studierte, und weil ich wusste, dass meine Eltern sich darüber einerseits freuten und es ihnen andererseits Sorgen bereitete, weil sie sich nicht mit dem Unisystem auskannten, wollte ich sie mit guten Noten gleichzeitig beruhigen und stolz machen. Ich finanzierte mir mein Studium und mein Zimmer im Studentenwohnheim selbst. Ein Stipendium half mir für die ersten vier Semester, und danach arbeitete ich, um die Kosten tragen zu können. Mir war es sehr wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen und meiner Familie nicht auf der Tasche zu liegen. Deshalb spielte mein Job eine so große Rolle in meinem Leben. Außerdem hatte ich das Gefühl, schon während des Studiums arbeiten zu müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Dass ich von lauter Menschen umgeben war, denen es genauso ging, machte das nicht gerade besser. Mein Freundeskreis an der Uni bestand hauptsächlich aus Leuten, die später ebenfalls in der Medienbranche arbeiten wollten oder das bereits taten. Mein Stipendium hatte einen Journalismus-Schwerpunkt, und ich begegnete dort lauter Leuten, die beeindruckende Praktika absolviert und in wahnsinnig coolen Redaktionen gearbeitet hatten. Und dann waren da natürlich auch noch die anderen YouTuber*innen, mit denen ich befreundet war oder mit denen ich mich zumindest regelmäßig auf Veranstaltungen unterhielt. Sie alle stellten neben ihren wöchentlichen oder teils sogar täglichen Videos noch haufenweise andere coole Projekte auf die Beine, und ich hatte das Gefühl, in all diesen Bereichen mithalten zu müssen, wenn ich nicht unter die Räder geraten wollte. Also verbrachte ich die Zeit, die nicht für die Uni draufging, damit, zur Arbeit zu gehen, die mit meinem Stipendium verbundenen Seminare zu besuchen, Praktika in verschiedenen Redaktionen und Städten zu machen, parallel dazu irgendwie für meine Prüfungen zu lernen und natürlich Woche für Woche ein bis zwei Videos für meinen YouTube-Kanal zu drehen. Das alles machte mir für sich genommen sehr viel Spaß. Ich lernte gern Neues dazu, egal ob in der Uni oder in den Journalismus-Seminaren. Ich mochte es, in verschiedene Redaktionen schnuppern und mich ausprobieren zu dürfen. Mein Job war spannend und abwechslungsreich, und YouTube war immer schon mein liebstes Hobby gewesen, bei dem ich mich frei und kreativ austoben konnte. Genau deswegen verstand ich zunächst nicht, warum all das auf einmal Stress in mir auslöste. Dazu hatte ich doch eigentlich kein Recht, oder? Schließlich war ich in der unfassbar privilegierten Lage, mein Geld mit Dingen zu verdienen, die mich glücklich machten, statt wie früher bei Wind und Wetter Zeitungen austragen zu müssen. Ich kam mir undankbar vor, wann immer ich mich überfordert fühlte, und sah innerlich meine Kommiliton*innen vor mir, die für einen niedrigen Stundenlohn irgendwo an der Kasse saßen, kellnerten oder Regale einräumten. Die konnten über mich und meine »Probleme« doch nur den Kopf schütteln. Nein, ich hatte wirklich keinen Grund, mich zu beschweren, also würde ich mich zusammenreißen und weiterarbeiten. Lange Zeit funktionierte diese Taktik, und da auf stressige Phasen auch immer wieder Wochen folgten, in denen ich mich entspannt mit Freunden treffen und einfach das Leben als Studentin genießen konnte, schob ich die Sorgen einfach zur Seite. Jetzt allerdings war ich an dem Punkt angelangt, an dem ich die Augen nicht mehr davor verschließen konnte, dass ich mit diesem Verhalten nicht nur mich selbst, sondern auch die Menschen in meinem Umfeld belastete. Und insbesondere Letzteres wollte ich auf keinen Fall! Ich verabschiedete mich also schweren Herzens von Max und schrieb in den nächsten zwei Wochen den Text fertig. Ich drehte meine Reportage, hielt meinen Workshop in Berlin und flog nach Uganda. Die Tage rauschten nur so an mir vorbei, und irgendwann war dann endlich der Punkt gekommen, an dem mein Koffer und ich über die Türschwelle meiner Wohnung traten. Ich war wieder zu Hause, hatte all meine Aufgaben erledigt, und eigentlich wäre das der perfekte Moment gewesen, um erleichtert aufzuatmen. Doch stattdessen passierte einfach … nichts. Ich fühlte nichts, da war keine Erleichterung, keine Entspannung und auch kein Glücksgefühl. Da war einfach nur Leere.

Die Wochen, die darauf folgten, waren sehr verwirrend für mich. Ich hatte es, als ich am nächsten Morgen aufgewacht war, nicht bis zu meinem Schreibtisch und den dort auf mich wartenden Aufgaben geschafft, sondern war stattdessen auf dem Sofa gelandet. Hier lag ich nun wie ein gestrandeter Wal und wartete darauf, dass meine Motivation auftauchte, um mich wieder zurück ins Meer zu schubsen. Doch genau wie am Abend davor passierte rein gar nichts. Der Tag verging, ohne dass ich mich großartig rührte, und am Abend schleppte ich mich wieder zurück in mein Bett.

Und so ging es weiter, Tag für Tag, Woche für Woche. Sosehr ich es auch versuchte, ich konnte nicht viel mehr tun, als herumzuliegen und darauf zu warten, dass mein Kopf bereit war, wieder mit mir zu arbeiten. Ich hatte mich noch nie zuvor so hilflos und ausgeliefert gefühlt, und für jemanden wie mich, die sonst ständig von einem Ort zum anderen hetzte, nie stillsaß und für die es immer noch irgendetwas zu tun gab, war das ein nervenaufreibender und belastender Zustand. Die Stille in meinem Kopf zerriss mir förmlich das Trommelfell, und ich fühlte mich, als hätte jemand mein gesamtes System heruntergefahren, ohne Aussicht auf einen Neustart. Nach dem Drama im Restaurant war mir zwar klar gewesen, dass ich dringend mal eine Pause machen musste, und ich hatte geplant, mir nach meiner Rückkehr aus Uganda zwei, drei entspanntere Tage zu gönnen. Dabei war eine derartige Reaktion meines Körpers allerdings nicht vorgesehen gewesen.

Wie viel länger sollte das denn bitteschön noch so weitergehen? Vorsichtig sah ich zu meinem Laptop hinüber, der auf dem Schreibtisch lag und vorwurfsvoll zurückzustarren schien. So, als würde er sagen, »Ey, Lisa, hier stapeln sich bergeweise Mails und deine To-do-Liste wird immer länger! Willst du vielleicht endlich mal deinen Hintern hochkriegen und was daran ändern, du faule Kuh?« – »Es tut mir ja leid«, gab ich resigniert zurück. »Aber ich befürchte, das dauert noch eine Weile.« Mein Kopf war nämlich gerade damit beschäftigt, die Punkte auf der Raufasertapete neben mir zu zählen. Zum fünften Mal hintereinander, wohlgemerkt. Die Sonne schien in mein Zimmer, und ich fragte mich, ob ich es nachher wohl schaffen würde, eine kleine Runde um den Block zu laufen. Was zu essen sollte ich mir langsam auch mal wieder holen, denn es waren nur noch zwei Tomaten und ein kleiner Rest Erdbeermarmelade im Kühlschrank, und das war nun wirklich kein sonderlich attraktives Mittagsmenü. Bevor ich jedoch näher hätte darüber nachdenken können, erinnerte mein Kopf mich nachdrücklich an die Raufasertapete. Ich seufzte. Zweihundertvierunddreißig, zweihundertfünfunddreißig, zweihundertsechsunddreißig …

»Burnout?« Verwirrt sah ich meine Hausärztin an und versuchte dabei meinen Kopf davon abzuhalten, sich von dem Ölgemälde an der Wand hinter ihr ablenken zu lassen. Ein abgetrennter Puppenkopf war darauf zu sehen, den jemand dekorativ in einer Schüssel Obst platziert hatte. Mein Kopf wollte ganz dringend darüber nachdenken, was sich der Künstler dabei wohl gedacht haben mochte, aber ich zwang mich dazu, mich auf den wirklich wichtigen Punkt zu konzentrieren: »Burnout ist doch was für 40-jährige Anzugträger, nicht für eine 21-jährige Halb-Studentin-halb-Journalistin!« Meine Hausärztin lächelte nur. Dasselbe geduldige Lächeln, das sie mir auch immer schenkte, wenn ich sie mit leidendem Blick fragte, ob ich wirklich nur eine Erkältung hatte. Dann erklärte sie mir, dass ein Burnout keine Frage des Alters sei, sondern durchaus auch bei jüngeren Menschen auftreten könne. Für eine sichere Diagnose müsste ich zu einem Facharzt gehen, davon würde sie mir aber momentan noch abraten. »Lassen Sie Ihrem Kopf erst mal ein bisschen Zeit, Frau Laurent«, sagte sie augenzwinkernd. »Vielleicht beruhigt er sich ja von selbst wieder, und Sie können sich das ganze Gerenne sparen. Reduzieren Sie einfach ein bisschen den Stress in Ihrem Alltag, dann passt das schon.« Mich überkam das unangenehme Gefühl, hier gerade wieder einmal getreu meinem optischen Lieblingsklischee als dummes kleines Blondchen abgestempelt und nicht ernst genommen worden zu sein. Ein Teil von mir wollte brüllen: »Hey, gute Frau, mir geht’s echt richtig scheiße! Wie wär’s denn vielleicht mal mit ein paar konkreteren Tipps, häh?« Doch ich merkte, dass mir zum Herumpöbeln gerade einfach die Energie fehlte. Ich nickte dem abgetrennten Puppenkopf also höflich zum Abschied zu und wanderte dann schicksalsergeben zurück zu meinem Sofa.