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Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Der Abdruck des Gedichts «Pink or blue» erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin Hollie McNish. Übersetzung: Ann-Marlene Henning

 

Redaktion Regina Carstensen

Illustrationen im Innenteil Louis Harrison

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Alexey Kuzma/stocksy.com

Typografie der Zwischentitel Daniel Sauthoff

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-00383-5

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-00383-5

Fußnoten

PMS = Prämenstruelles Syndrom: komplexe körperliche und emotionale Beschwerden, die vier bis vierzehn Tage vor dem Eintreten der Regelblutung in jedem Monatszyklus einer Frau auftreten können und mit Beginn der Regel aufhören.

Aus dem Duden: «Vorstellung, nach der ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei und die [daher für gerechtfertigt gehaltene] Diskriminierung, Unterdrückung, Zurücksetzung, Benachteiligung von Menschen, besonders der Frauen, aufgrund ihres Geschlechts.»

Wie sind die denn drauf, diese Jugendlichen?

Gleich sollte es so weit sein. Ich würde die jungen Schauspieler kennenlernen, die die Filmfiguren aus dem Drehbuch zu Get Lucky mit Leben füllen sollten. Bisher geisterten sie nur in meiner Vorstellung herum. Ja, für das Drehbuch der frechen Sommerkomödie wurde eigens eine Sexologin engagiert – vor fast drei Jahren war ich für diese Aufgabe angeheuert worden.

Das letzte Casting hatte stattgefunden, und es stand nun endlich fest, wer welche Rolle übernehmen sollte. Lange war an den verschiedenen Persönlichkeiten im Film gebastelt worden, die Charaktere sollten spannend sein. Auch irgendwie anders. Vielfältig.

Ich schlenderte den kurzen Weg von meiner Wohnung zu meiner sexualtherapeutischen Praxis, um die Darsteller das erste Mal zu treffen, die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel. Von weitem sah ich sie schon vor meiner Praxis stehen, eine Gruppe leicht aufgeregter und vor allem gut aufgelegter Jugendlicher.

Die «Dänin Ineke» reichte mir die Hand, und «ein Junge aus dem Dorf, Lukes», umarmte mich, als ob wir seit Jahren Weihnachten zusammen feierten. Klar, diese Filmfiguren existieren im wahren Leben nicht, aber die richtigen Namen der jungen Schauspieler, die sie mir gerade präsentierten, konnte ich mir beim besten Willen bei der Menge kaum merken. Wer war eigentlich überhaupt für die Rolle der Emma ausgesucht worden? Jedenfalls nicht die junge Frau, die sich mir als Emma vorstellte, da sie, wie sie sagte, im Film die Julia sein würde. Verwirrung pur!

Es zeigte sich: Die Film-Emma, die zwölfjährige Schwester der Film-Julia, musste erst noch gefunden werden. Emma, die freche präpubertäre Göre, die für ein paar Wochen mit älteren Jugendlichen, darunter ihre Schwester Julia, an die Ostsee fährt. Ohne Erwachsene. Doch Ellen, die vierunddreißigjährige Sexologin und Film-Tante von Julia und Emma, lebt dort im Feriengebiet. In einem schönen Reetdachhaus, in dem sie auch ihre sexualtherapeutische Praxis betreibt. Ellen ist zwar eine Erwachsene, benimmt sich aber nicht immer, wie man es sich als Eltern erhoffen würde, die ihre Kinder zu ihr in die Ferien schicken. In Ellen steckt einiges (viel!) mehr.

Für Interessierte: Eine Sexologin oder Sexualtherapeutin ist so etwas wie eine Psychologin, die aber sexuelle Themen behandelt. Psychologen schauen dir in den Kopf, Sexologen in die Hose.

Ich schloss meine Praxis auf, alle stürmten rein und an mir vorbei. Draußen war es schlagartig still, dafür brummte es umso mehr in meinen Räumen. Die jungen Schauspieler warfen ihre Taschen auf den Boden und entschwanden in die kleine Küche, wo etwas zum Essen bereitstand. Die meisten kannten sich nicht, außer sie hatten beim Casting gemeinsam eine Szene angespielt. Alle waren neugierig auf die anderen, der Welt gegenüber offen. Was würde heute passieren? Worüber würden wir sprechen? Es war ein wenig heikel, einen Film über die Sexualität von Jugendlichen zu machen, und zwar mit Jugendlichen, die zum Teil so alt oder nur wenig älter als die Personen waren, die sie darstellen sollten.

Ich wollte mich mit ihnen über verschiedene Sex- und Gefühlsszenen unterhalten, die spezielle Aufmerksamkeit und Mut erforderten. Der wilde Haufen in meiner Praxis kannte natürlich das Drehbuch auswendig, in dem Szenen vorkamen, in denen einige sich küssen würden oder masturbierten, wohingegen andere ihr sexuelles Debüt oder ihr erstes Waxing erlebten. Autsch! Fast alle sollten in irgendeiner Form Leidenschaft vor der Kamera darstellen, und sogar orgastische Höhepunkte sollten gespielt werden. Keiner würde sie aber während der Arbeit vor der Kamera in Wahrheit haben. Was sich außerhalb des Drehs entwickeln würde, war Privatsache.

Ich freute mich auf die Gespräche, da ich selbst als Jugendliche eine schüchterne Spätstarterin gewesen war, die Partys und Knutschrunden nicht kannte, weil man mich nie eingeladen hatte. Mich fasziniert seitdem diese Zeitspanne, die Pubertät, im Leben eines Menschen. Hatte mir die Verzögerung etwa geschadet? Nö, ich holte dann einiges nach.

 

Was genau wir an diesem sonnigen Sommertag in meiner Praxis besprachen, geht niemanden etwas an. In einer Praxis herrscht Schweigepflicht, darauf muss sich jede(r) verlassen können. Ansonsten aber werdet ihr in diesem Buch von all dem lesen, was ich als Sexologin für wichtig halte, wenn es um euer Sex- und Liebesleben geht. Wer also herkömmlichen Biologieunterricht erwartet, wird umdenken müssen, es geht um mehr. Nämlich darum, was Sexualität alles noch sein kann – was über Kondome und Reproduktionsorgane hinausgeht. Immer wieder wird es um das Schöne gehen, um den Spaß und den Genuss.

 

So viel sei noch verraten: Der tolle Sonntag in meiner Praxis mit den Jugendlichen verging wie im Fluge – Sinn und Zweck erfüllt. Danach saß ich zu Hause auf meinem Balkon und dachte daran, wie ich selbst bald zum Drehort an die Ostsee fahren würde, im Gepäck diverse Bikinis und inspirierende Bücher zur Sexualität.

Ich, eine Sexologin

Ich bin Ann-Marlene Henning, ich bin Sexologin. Aber das weißt du ja schon. Täglich spreche ich mit Menschen über ihre Sexualität und kläre sie auf. Probleme verschwinden dann, und der Sex macht endlich wieder Spaß. Vorher haben viele Klienten von mir nicht den Sex, den sie eigentlich wollen, sondern machen mit, was andere möchten. Dabei hat jeder Mensch ein Recht darauf, die eigene freie und selbstbestimmte Sexualität zu leben. Deine sexuelle Zufriedenheit, die sich dadurch verbessern kann, wirkt sich sogar auf deine Gesundheit aus. Wusstest du das? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich deswegen auch bemüht, sexuelle Gesundheit zu definieren. Ich habe ihre Definition etwas umgeschrieben, damit sie sich besser liest. Sie besteht aus vier Teilen:

Erstens: Deine sexuelle Gesundheit ist mit deiner allgemeinen Gesundheit, deinem Wohlbefinden und deiner Lebensqualität verbunden.

Drittens: Jede(r) sollte angenehme und sichere sexuelle Erlebnisse machen können, ohne Zwang, Diskriminierung oder Gewalt. Dafür ist ein positiver und respektvoller Zugang zur Sexualität und zu sexuellen Beziehungen nötig.

Viertens: Sexuelle Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden.

Mir ist diese vierteilige Definition wichtig, weil sie kaum jemand kennt. Fast überall auf der Welt werden sexuelle Rechte missachtet, obwohl sie für jeden Menschen gelten. Hast du dir jemals Gedanken über sexuelle Rechte oder sexuelle Gesundheit gemacht? Um dies zu beantworten, müssen viele erst einmal in sich gehen. Was sind sexuelle Rechte eigentlich genau? Was bedeutet es, sexuell selbstbestimmt und frei zu sein? Im Lauf dieses Buchs werde ich versuchen, dir einige Inspirationen zu geben, damit du für dich dazu mögliche Antworten findest. Vielleicht veränderst du mit deiner Toleranz, deinem Verständnis und deiner Offenheit dann auch etwas in deiner Clique, in deinen Beziehungen – oder gibst sogar Anstöße für die Welt. Das wäre schon mal ein Ansatz. Also, es gibt viel zu tun, und du bist dabei, wenn du dir Gedanken machst, wie deine Sexualität sein soll, während du andere und ihre Ansichten respektierst.

Lies doch noch einmal die WHO-Definition durch, zeige sie einem Freund oder Freundin, denkt gemeinsam darüber nach, was sie bedeutet. Viele von uns sind weit davon entfernt, andere Menschen so sein zu lassen, wie sie sind oder sein möchten. Und davon, selbst frei zu sein. Ein Grund dafür ist, dass Sexualität noch immer

Blöde Fragerei – was wollt ihr wissen?

Also, wie geht es jetzt weiter? Sicher werde ich einige deiner Fragen beantworten. Wer sexuelle Fragen hat, sollte fundierte Antworten bekommen. Das gilt für jeden, nicht nur für Teenager. Aber zu welchen Themen?

Als ich von meinem Sohn James, der heute sechsundzwanzig ist, erfahren wollte, was er als Jugendlicher hätte wissen wollen – ich hatte keine Ahnung gehabt, denn auch die Söhne und Töchter von Sexologen sprechen nicht unbedingt mit ihren Eltern über Sex –, sagte er: «Ich tue mich komischerweise schwer damit, mich zu erinnern, was ich mit vierzehn hatte wissen wollen. Ich hab mit meiner Freundin alles direkt gemacht oder mit ihr oder anderen darüber geredet, irgendwie.» Ich ließ meinen Sohn aber nicht vom Haken und bat ihn, noch einmal darüber nachzudenken.

Weiterhin habe ich viele wunderbare Fragen von Jugendlichen gesammelt, die mir auf Fortbildungen, Aufklärungstouren oder Lesungen gestellt wurden. Sie sind überall im Buch verteilt.

Natürlich schamhaft – Grenzen gibt’s überall

«Sind Sie rasiert, Frau Henning? Hatten Sie schon mal Sex mit einer Frau?» Sollte ich diese Fragen beantworten, die mir wirklich mal gestellt wurden? Nein. Weil sie sehr persönlich sind und dies niemanden etwas angeht. Niemanden, den ich nicht gut kenne. Hat das etwas mit Scham zu tun? Ja, auch. Ich möchte meine intimen Grenzen wahren, die allerdings bei jedem Menschen anders sein können.

Aber was ist eigentlich Scham? Wenn ich bedenke, wie viel Unheil Scham beim Sex angerichtet hat, gerate ich ins Grübeln. Wie ich das meine? Überleg mal, was Scham bedeutet: Du schämst dich, wenn andere etwas von dir mitbekommen, von dem du nicht wolltest, dass sie es erfahren. Dieses Schamgefühl, wenn andere zu viel oder Peinliches über dich wissen, ist ein Signal deines Gehirns für dich, von nun an «verschlossener» zu agieren. Du möchtest nämlich nicht, dass deine Clique dich eventuell für so

Eine Geschichte über Bindungstiere

Jeder Mensch wünscht sich Bindung, wünscht sich Zusammenhalt. Zu einer Gemeinschaft, einer Gruppe zu gehören oder von einem geliebten Menschen angenommen zu werden bedeutet Sicherheit. Warum? Das hat damit zu tun, dass die anderen Menschen genauso empfinden und denken wie du. Es bedeutet, dass man sich gegenseitig einschätzen, sich vertrauen und auf den anderen verlassen kann. In dem Moment, wo jemand ausschert oder spinnt, ist unter Umständen die ganze Gruppe gefährdet. Aus diesem Grund hat das Gehirn die Fähigkeit entwickelt, dich sofort spüren zu lassen, wenn du grenzwertig bist. Ein Schamgefühl steigt in dir auf, damit du schnell reagierst und dich wieder in den Griff bekommst. Es ist ein uraltes Muster, das fest in dir installiert ist, es ist deine Hardware, die aus Zeiten stammt, in denen der Mensch in kleinen Gruppen lebte, als Jäger und Sammler. Wer Teil einer Gruppe war, hatte größere Überlebenschancen.

Deine Scham hat also eine wichtige Funktion. Sie erinnert dich

In der Sexualität kann das unangenehme Folgen haben. Bindungswünsche hin oder her, manchmal ist es besser, eine eigene Meinung und klare Grenzen zu haben und diese auch zu kommunizieren. Du solltest also deine Grenzen kennenlernen und dich dabei nicht schämen, diese aufzuzeigen, wenn sie dir wichtig sind.

Jeder macht Fehler und startet neue Versuche. Das ist völlig normal. Erstaunlich ist dabei diese Erkenntnis: Wer sich traut, Fehler zu begehen, schämt sich weniger! Das fand Brené Brown, eine US-amerikanische Sozialforscherin, heraus. Sie untersuchte in den letzten zwanzig Jahren menschliches Verhalten in Verbindung mit Scham, Mut, Verletzlichkeit und Empathie. 2012 hielt sie dazu auf einer TED-Konferenz (TED ist die Abkürzung für Technology, Entertainment, Design) einen Vortrag. (Du findest ihn auf YouTube unter «Die Macht der Verletzlichkeit»; fast vierzig Millionen Menschen haben den Beitrag bislang angeklickt.)

Scham ist für Brené Brown die Angst, nicht dazuzugehören. Gibt es etwas an mir, das mich schlecht dastehen lassen würde, wenn andere Menschen es wüssten? Menschen fragen sich das täglich. Scham ist universal, jede(r) hat sie. Sie wird begleitet von dem fiesen Gedanken: Ich bin nicht gut genug. Scham bedeutet, sich schlecht zu fühlen und sich deswegen – um nicht aufzufallen – zurückzuhalten. Wie aber fand Brown das heraus? Sie entdeckte unter den Teilnehmern ihrer Studie zwei Gruppen von Menschen, die ersten hatten ein gutes Selbstwert- und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu anderen, die zweiten hatten lebenslang für ihr Selbstwertgefühl kämpfen müssen, um sich gut genug zu fühlen.

Verletzbar zu sein bedeutet, Dinge zu wagen, bei denen keine Erfolgsgarantie mitgeliefert wird. Wer mag das schon? Das Ergebnis ist unvorhersehbar und kann nicht kontrolliert werden. Für Brené Brown – und ich sehe das nicht anders – ist Verletzlichkeit der Geburtsort für Zugehörigkeit, Freude, Kreativität und Liebe. Es ist verbunden mit einem Leben aus vollem Herzen. Das lasse ich jetzt mal so stehen. Zack! Wer sich weniger schämt, wird sichtbar. Wenn du dich zeigst, wie du bist, können dich andere sehen, mit all deinen Ecken und Kanten. Und du vielleicht sie. So entsteht Nähe.

So was von intim

Eine der jungen Frauen, die bei Get Lucky mitspielten, sagte einmal zu mir: «Wir wissen schon so viel über Sex, aber wenn man darüber spricht, tauchen trotzdem noch Fragen auf – da will man dann doch mehr wissen.» Dieselbe junge Frau erzählte mir später, wie in der Schule beim Sexualunterricht mit erhobenem Zeigefinger gewarnt wurde: «Werdet nicht schwanger!» Oder: «Steckt euch nicht mit einer Sex-Krankheit an!» Das sei echt für Anfänger gewesen. Dann kam eine neue Lehrerin und berichtete auf einmal von Männern, die über die Prostata einen Orgasmus kriegen konnten. Das war einigen Schülerinnen und Schülern wiederum zu viel,

Wie? Du willst die eingangs an mich gestellten Fragen nun doch beantwortet wissen, nach dem Motto «Wer sich zeigt, schafft Nähe»? Also gut, versuchen wir es mal so:

Sind Sie rasiert, Frau Henning?

Das Thema Rasieren kommt in diesem Buch vor. Es gibt ein paar Kleinigkeiten dazu zu lesen – ich werde hier nicht persönlich.

Wann hatten Sie zum ersten Mal Sex?

Mit sechzehn, fast siebzehn, als zweitletzte Schülerin in meiner Klasse.

Wie oft im Monat haben Sie Sex?

Untersuchungen offenbaren, dass die Deutschen 2,6-mal pro Woche Sex haben sollen. Ich bin aber Dänin. Nun gut. Ich denke aber, dass 2,6-mal Sex pro Woche viel ist, es sei denn, jemand ist frisch verliebt. Viel wichtiger ist, ob deine Lust zu der deiner Partnerinnen oder deinen Partnern passt. Oft möchte eine Person mehr Sex als eine andere – und nein, es sind nicht immer nur die Männer. Wusstest du, dass frisch verliebte Siebzigjährige mehr Sex haben als Singles um die dreißig? Über meine Sexfrequenz werde ich hier nicht schreiben. Privat. Ha!

Mit zwölf habe ich zufällig entdeckt, dass ich mich selbst anfassen kann. Internet und Co. gab es nicht, dann wäre ich wohl früher darauf gekommen. Herrlich!

Sind Sie sexsüchtig?

Nein. Doch was heißt das überhaupt? Darüber kannst du später mehr lesen.

Wie stehen Sie zu Fetischen?

Für mich ist ein Fetisch keine Krankheit, wie es lange Zeit behauptet wurde und zum Teil noch wird. Es bedeutet, auf etwas zu stehen, das besonders erregend wirkt – oft bestimmte Körperteile, Gegenstände oder Arten von Sex. Ein Fetisch kann zu einem Problem werden, wenn niemand da ist, der auf die gleiche Art von Sex steht. Hier kann das Internet eine große Hilfe sein, also beim Finden einer solchen Partnerin oder eines solchen Partners, wo die Vorlieben kompatibel sind ;-).

Haben Sie einen Fetisch? Wenn ja, welchen?

Ich habe keinen Fetisch.

Nein. Es gab da mal einen missglückten Dreier …

Haben Sie schon mal als Prostituierte gearbeitet?

Nein.

Haben Sie einen Mann? Wenn ja, wie steht er zu Ihrem Beruf?

Ja, und er hat mich als Sexologin kennengelernt, ist es gewohnt, dass ich sexuelle Fragen stelle. Er ist er geradezu tiefenentspannt. Gut so.

Wie kommt man zu Ihrem Beruf?

Ein Erststudium in etwa Psychologie, Sozialwissenschaften, Medizin oder Ähnliches ist nötig. Danach: Einzigartig in Deutschland sind die Masterstudiengänge in Sexologie an der Hochschule Merseburg. Yup!

 

Eine letzte Frage noch, die mir immer wieder gestellt wird:

Klappt das mit dem Sex nicht ohnehin von allein?

Bei manchen ja, bei anderen weniger.

 

Bist du nun bereit, etwas dazuzulernen, egal wie deine Ausgangssituation ist?

Sex verändert alles

Diese ganzen Fragen zur Sexualität! Ich musste schmunzeln, als ich sie wieder las. Ob ich rasiert bin? Oder ob ich einen Fetisch habe? Ganz schön neugierig, diese Teenies. Und nein – in welcher Schule ich war, als mir diese Fragen gestellt wurden, das behalte ich für mich. Aber was so alles auf einem Filmset los sein kann, darüber möchte ich dir etwas verraten. Witzig zum Beispiel, was alles auf einmal zweideutig wird, wenn sexuelle Themen in der Luft hängen. Viele Menschen sind dann nämlich befangen. Indem aber Witze darüber gemacht werden, verändert sich die innere Anspannung. Das Unausgesprochene ist raus. Wie weggelacht.

Eindeutig zweideutig

Der Fahrer parkte den Kleinbus am Filmset, und ich fand mich zu den ersten zarten Strahlen der frühen Morgensonne mitten im

Ich bestellte mir einen Kaffee beim Caterer, der mich fragte, ob er noch etwas für mich tun könne. Ja, sagte ich und orderte ein Spiegelei – kein sunny side up, sondern over easy, also von beiden Seiten gebraten, damit das Ei nicht so glibberig daherkommt. Ich mag kein glibberiges Zeugs. Der Caterer reichte mir ein perfekt gebratenes, knuspriges Frühstücksspiegelei. Als ich mich bedankte, zwinkerte er und sagte: «Gewusst wie! Alles eine Frage der Technik.» Ja, wie beim Sex auch. Wir verstanden uns.

Aus dem Wagen, in dem die Maskenbildnerin zugange war, hörte ich: «Oh, trockene Lippen, ich tue Glitsch darauf!» Die Stylistin hatte ebenfalls so einiges drauf, das mit einem gewissen Unterton gesprochen wurde: «Steck ihn nicht ganz rein.» Oder: «Haben wir einen dickeren, das Loch ist zu groß?» Gut auch: «Zieh mal über, das ist sicherer!» Oder: «Fummel nicht dran rum.»

Bei meiner Anprobe für den letzten Take, bei dem ich mit Ellen, der Sexologin, tanzen sollte, ging immer wieder der Knopf meiner Hose auf. Da sagte die Stylistin, nachdem sie ihren fünften Versuch gestartet hatte, den Hosenschlitz zu schließen: «Manno, das ist immer noch zu eng, böses Loch!» Meine Antwort: «Wusstest du, dass ich zweideutige Sätze sammele?» Ups!

Es gab auch völlig unbeabsichtigte sexy Untertöne, zum Beispiel von den Aufnahmeleitern: «Der Orgasmus kommt erst nach dem Mittagessen.» Oder: «Kann ich die Klitoris haben? Die ist gleich dran.» Und: «Er kann bis morgen stehen.» Auch bei der Cappuccino-Maschine ging es zweideutig zu: «Da drücken, dann kommt’s!» Der Dauerbrenner beim Lunch war: «Na, Schnitte – belegt?»

Es war Sommer, der Himmel weit, die Wiesen grün. Gedreht wurde gerade das Ankommen der Jugendlichen bei Ellen, der Sexologin. Ich saß im Garten des reetbedeckten Hauses auf einem von der Sonne ausgebleichten Polstersofa und schrieb, während mein Ingwertee kalt wurde. Leckere Schokolade gab es auch. Die urlaubsgestylten Jugendlichen marschierten fröhlich plaudernd den staubigen Kiesweg zum Haus der Sexologin, Koffer und schwere Taschen hinter sich herziehend, bereit für einen Urlaub ohne Eltern. Das unauffällige Kamerateam folgte ihnen. Und wie beim Sex war es heiß, sehr heiß, der Schweiß lief allen Beteiligten herunter – schon früh am Morgen. Das störte aber niemanden. Der leichte Sommerwind und das Gefühl von Freiheit streichelten unsere Gesichter, die verankerten Segelboote in der nahen Bucht schaukelten im glitzernden Licht vor sich hin, ein perfekter Hintergrund für den Dreh. Kein Segler war schon wach – oder genoss etwa jemand gerade unter Deck schönen, verschlafenen Morgensex? Noch vorm Kaffee. In meiner Phantasie allemal. Wie geil.

Anatomie und so? Nö! Doch!

Simon Blake, einst Vorsitzender von Brook, Englands größter Organisation für Sexualaufklärung für Jugendliche, brachte es vor einigen Jahren auf den Punkt: «Too little, too late and too biological.» Auch in Deutschland ist der Sexualunterricht «zu wenig, zu spät und zu biologisch». Dabei zeigen Studien, dass gut aufgeklärte Jugendliche seltener ungewollt schwanger werden, weniger Überschreitung ihrer Grenzen erleben und ein späteres erstes Mal haben. Das hört sich doch gut an. Und wie machen wir jetzt weiter? Wissen über Körper und Co. gehört zum Pflichtprogramm. Los geht’s!

Zu spät bin ich jetzt ebenfalls, denn du bist längst pubertär. Zu wenige Informationen werde ich dir aber sicher nicht geben, doch biologisch muss auch ich werden. Ich mache es allerdings anders, als es Biologielehrer wahrscheinlich tun würden, denn ich bin im Gegenteil zu ihnen besser darin ausgebildet, sexuelles Wissen zu vermitteln – und werde dabei keineswegs verlegen. Ich bin mir sicher, dass der Inhalt dann nicht mehr losgelöst von dir rüberkommt und du das Wissen für dich nutzen kannst. Um einen guten sexuellen Weg einzuschlagen, ist es notwendig, Ängste, Sorgen und falsches Wissen, was den Körper betrifft, loszuwerden. Klare und vor allem realistische Vorstellungen heben deinen sexuellen Selbstwert. Und hast du die Kapitel gelesen, bist du womöglich informierter als deine Eltern. Wirklich! Eine Mutter schrieb mir dazu einmal eine E-Mail, ihr Zwölfjähriger hätte zu ihr gesagt: «Mama, kennst du die Sendung Make Love, wo sie Erwachsene aufklären? Die ist gut, da könnt ihr, du und Papa, noch was lernen!» Make Love ist übrigens eine Fernsehsendung, in der ich mit Menschen völlig spontan über Sexualität spreche.

Genitale Ungerechtigkeit

Die lustigen und nicht so lustigen Namen für die Genitalien werde ich hier nicht aufzählen, sondern vielmehr den auffälligen Unterschied erwähnen, den es zwischen der Benennung von männlichen und weiblichen Genitalien gibt. Denn der macht was mit uns – auch mit dir. Wie sieht das in Worten aus?

Für kleine Mädchen gibt es Bezeichnungen wie «private parts» oder «da unten». Ein ganz bestimmter Ausdruck hat mich besonders geärgert, mittlerweile habe ich ihn schon einige Male

Vagina und Vulva wurden über Jahrhunderte als etwas Mangelhaftes, als sexuell inadäquat, als viel zu verletzlich beschrieben. Oder noch merkwürdiger: als gefährlich. Googele mal Bilder zur Vagina dentata – der beißenden, der bezahnten Vagina. Das ist nichts für zarte Gemüter. Am schlimmsten ist aber (jedenfalls für mich), wie die Vagina in westlichen Medien vorherrschend als riechend und ekelhaft «verkauft» wird. Produkte zur Bekämpfung von nicht vorhandenem Geruch und von natürlich gesundem Ausfluss sind weit verbreitet.

Nomen est omen

Viele nennen die Vulva – das äußere Genital der Frau – Scheide. Das ist falsch. Andere meinen damit die Vagina, aber auch das ist unpassend. Die Vagina ist im Ruhezustand kein offener Schlauch, keine leere Höhle, die darauf wartet, dass etwas in sie eindringt. Was dann? Ihr Gewebe schmiegt sich weich und geschlossen aneinander und schwillt bei Erregung an, genau wie bei

Fun Fact: Es gibt einen neuen Namen für das gesamte weibliche Genital: Vulva + Vagina = Vulvina (Quelle: Ella Berlin). Wie findest du das? Fällt dir ein besserer Name ein? Ein ganz eigener?

In einer Studie zeigte sich: Die Hälfte aller befragten Frauen und viele Männer lernten als Kind überhaupt keine genitalen Namen. Nur sechs von hundert Frauen kannten die richtige Bezeichnung für ihr Genital. Himmel und Zwirn, es geht um den eigenen Körper! Immerhin wusste jeder zweite Mann die korrekten Bezeichnungen für das männliche Pendant. Und jede dritte Frau.

Warum ist das Vokabular so wichtig? Sprache spiegelt unsere kulturellen Werte und Einstellungen wider, über Sprache wird auch mit darüber entschieden, wie wir empfinden. Das Verstehen, Kennen und Benennen der sexuellen Anatomie prägt dein genitales Selbstbild, also wie du über deine Genitalien fühlst und denkst. Das wiederum beeinflusst deine erlebte Sexualität.

Wenn du gerade denkst: Puh, hier geht es aber viel um die Frau, dann schau dir kurz die gleich erwähnten Zahlen an. Vielleicht bist du genauso überrascht, wie ich es war, als ich sie zum ersten Mal las. Sie stammen aus einer Studie, bei der fast 10000 Frauen aus dreizehn Ländern teilnahmen. Dabei wurde Folgendes zum weiblichen Genital enthüllt:

Stell dir nun vor, du bist ein Junge und zweifelst an der Größe deines Penis. Ja, das kann schon mal sein. Versuche dir nun einzureden, dass er schmutzig und muffig ist, dass es nicht gut ist, ihn anzufassen. Aus diesem Grund würde er zu dem Teil deines Körpers, über den du am wenigsten Bescheid weißt. Ginge das? Eher nicht, denn du könntest nicht mal pinkeln! Frauen können es jedoch komplett vermeiden, ihre Vulva anzufassen. Sie ignorieren einfach ihr «Unten». Jungs sind dann damit konfrontiert, wenn ihre Freundinnen keinen Oralsex mögen. Im besten Fall machen sie mit, wenn sie gerade geduscht haben.