Bernhard Neff

Legen 5 Soldaten in 2 Stunden 300 quadratmeter Stolperdraht …

Die lustigsten Matheaufgaben von 1890 bis heute

Etiam si omnes, ego non

Den Unangepassten und Freigeistern in Vergangenheit und Gegenwart – nicht nur in der Schule

Inhalt

Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? – Eine Art Vorwort

Ein kurzer Ritt durch die Geschichte – Zeit- oder sagen wir BESSER regimetypische Aufgaben

Gähnende Langeweile im Kaiserreich und in Weimar

Jetzt wird’s perfide – die pervertierte Textaufgabe im Nationalsozialismus

Wider den imperialistischen Westen – die ideologisch motivierte Scheinanwendung in der DDR

Deutsche Schüler gähnen wieder – öde Textaufgaben in der Bundesrepublik

Und täglich grüßt der Rechenschieber – ein Aufgabentyp, unterschiedliche politische Systeme

Ganz schnell, ganz viel – exponentielles Wachstum

Je mehr, desto weniger und umgekehrt – indirekte Proportionalitäten

Das Auf und Ab des Lebens – Parabeln

Boom. Boom. Boom – Militaria

Wer hat den größeren … Ernteertrag? – Der Vergleich mit dem potenziellen Feind

Witz komm raus, du bist umzingelt! – Kapitänsaufgaben

Politically incorrect – Schwarz-weiß-gelbe Aufgaben

Wenn in einem Raum drei sind und vier rausgehen, muss einer wieder rein, damit keiner drin ist – Mengenlehre

Wahrscheinlich wahnsinnig – Stochastik

Game of maths – besonders aufregende Aufgaben

Schwer, schwerer … Mathe – die ganz üblen Aufgaben

Früh übt sich – »Grundwissen« für Grundschüler

Wer nicht fragt, bleibt dumm – Nicht-Aufgaben

Liste der zu erwerbenden Kompetenzen

Dank

WER, WIE, WAS? WIESO, WESHALB, WARUM? – EINE ART VORWORT

Eine kurzweilige Sammlung von Matheaufgaben? Textaufgaben gar?

Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Mathe? Und … äh … kurzweilig?

Liebe Leserin, lieber Leser, sich seiner Unkenntnisse in Mathematik zu rühmen, gehört ja heutzutage fast schon zum guten Ton. Dass man zu dumm oder zu faul für eine Gedichtinterpretation war – das würde sich vermutlich keiner so leicht zu sagen trauen. Aber Mathe? »Nie verstanden!« Mit diesem Ausruf finden Sie Gleichgesinnte auf jeder Party.

Keine Sorge – ich will Sie mit diesem Buch nicht von Ihrem Mathehass kurieren, will Sie nicht eines Besseren belehren, obwohl das natürlich das Nächstliegende wäre, schließlich bin ich selbst seit knapp 20 Jahren Mathematiklehrer für Gymnasien. Doch in diesem Buch geht es um etwas ganz anderes, nämlich darum, die Absurdität und den innewohnenden Irr- und Wahnsinn so mancher mathematischen Schulbuchaufgabe schonungslos offenzulegen.

Keine Sorge, rechnen müssen Sie dabei nichts!

Aber ich verspreche Ihnen: Es wird kurzweilig werden.

Die Aufgaben stammen aus alten und weniger alten deutschen Mathematik-Schulbüchern aus den Epochen des Kaiserreichs (1871–1918), der Weimarer Republik (1918–1933), der NS-Zeit (1933–1945), der DDR (1949–1990) und der alten sowie der neuen Bundesrepublik. Sie sind das Ergebnis von Zufallsfunden und gezielter Recherche in etwa 250 Unterrichtswerken.

Die Initialzündung war – wie könnte es anders sein – der Fund einer ungewollt irrwitzigen Aufgabe in einem eingesetzten Mathematik-Schulbuch während meiner Lehrertätigkeit am Hessenkolleg Wiesbaden vor etwa 10 Jahren.

Es war also quasi mein Schlüsselerlebnis, als ich damals von der »Bevölkerung des afrikanischen Landes Kuwait« lesen musste und mich fragte, ob sich wohl die Kontinentaldrift in den Jahren nach Erscheinen der Aufgabe extrem beschleunigt habe. Die Bemerkung eines Erdkunde-Kollegen, dies sei womöglich ein Druckfehler, konnte mich nicht mehr beruhigen. Und so wurde ich Jäger und Sammler von irrwitzigen Aufgaben. Fündig wurde ich vor allem in den Schulbüchern aus der Zeit des Nationalsozialismus und aus der DDR-Zeit. Denn vor allem diese offenbaren die Dummheit und Verbohrtheit autoritärer Systeme und Ideologien – mal unmittelbar, mal erst auf den zweiten Blick. Wichtig ist mir noch folgende Erklärung: Zwar sind DDR-Schulbücher ein Füllhorn für Realsatire, aber selbstverständlich stellt es keine Abwertung der Bildung und Lebensleistung der Menschen dar, die in der DDR aufgewachsen sind, wenn man das SED-Regime und den real existierenden Sozialismus anständig durch den Kakao zieht.

Sortiert habe ich mein Material zum Teil chronologisch, mal nach Themenbereichen. Das ist ja das Schöne: Jenseits der Schule darf man auch mal so vorgehen, wie man es einfach nur unterhaltsam findet …

Dennoch will ich mich in einer Sache nicht allzu weit vom Schulalltag lösen, denn wenn man schon liest, soll man doch bitte schön was dabei lernen oder wie der moderne Lehrplan, das Kerncurriculum, es heute formulieren würde: Kompetenzen erwerben! Wobei es hier nicht um so verschwurbelte Kompetenzen wie die Analysekompetenz, Selbstregulationskompetenz oder Wahrnehmungskompetenz gehen wird, sondern um Kompetenzen, die im Leben wirklich von Bedeutung sind, zum Beispiel die Schwanz-, die Trinker- oder die Hinrichtungskompetenz, um nur eine kleine Auswahl anzuführen. Eine alphabetisch geordnete Liste aller Kompetenzen finden Sie am Ende des Buches. Jaja, non scholae, sed vitae discimus … Sie können kein Latein? Kein Grund zu verzweifeln – verbessern Sie einfach Ihre Google-Kompetenz!

An dieser Stelle sei außerdem noch ein Sicherheitshinweis erlaubt: Die eine oder andere Pointe in diesem Buch ist möglicherweise dazu geeignet, den typischen Vertreter (m/w/d) des deutschen Moralismus mit grenzenloser Empörungsbereitschaft in Wallung zu bringen. Sollte es Ihnen so ergehen, so unterbrechen Sie die Lektüre für einen Augenblick und wenden Sie zunächst eine der zahlreichen Ihnen zu Gebote stehenden Entspannungsübungen an. Lassen Sie beispielsweise Aromaöl in einer Duftlampe verdampfen oder besuchen Sie eine Infrarotkabine mit Farblichttherapie. Sie können Ihrer deutschen Grundsätzlichkeit und Rechthaberei aber auch mit Qigong, Tai Chi oder Wing Chun beikommen. Versuchen Sie sich dann erneut an der Lektüre. Tief einatmen. Und wieder ausatmen. Und einatmen. Und ausatmen. Sie schaffen das schon! Es warten schmackhafte Lesefrüchte auf Sie.

Die historische Forschung hat um die Mathematikbücher der Vergangenheit übrigens bislang einen großen Bogen gemacht.1 Schließlich ging es in den Lehrwerken doch scheinbar nur um sachliches und ideologiefreies Rechnen. Oder etwa nicht?

Nun, es gibt wohl kaum einen Wissensbestand, der nicht einem Zeitgeist verpflichtet ist. Was also verraten uns Matheaufgaben über den vorherrschenden Zeitgeist? Mathematische Sachaufgaben sind Abbildungen der jeweiligen Lebenswirklichkeit. Sie werden die Ideologie, die an ihnen klebt wie Hundesch*, nicht los – so neutral und zeitlos sie sich auch geben. Sie eignen sich damit ganz vorzüglich als Quelle für das jeweils herrschende Gedankengut einer Zeit. Aber Achtung: Wir lernen anhand der Mathe-Schulbücher, was die jeweiligen Regimes beziehungsweise die maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen den Heranwachsenden vermitteln wollten, nicht aber, was bei den Schülern »ankam«!

Allerdings wird das propagandistische Potenzial von mathematischen Sachaufgaben im Deutschen Kaiserreich noch nicht erkannt bzw. genutzt. Mathematikbücher für die Schule sind vor 1918 zumeist reine Aufgabensammlungen, wie zum Beispiel der Klassiker jener Zeit: der Bardey, benannt nach dem Mathematiker und Lehrer Ernst August Bardey, dessen Aufgaben zum Teil heute noch aufgelegt werden. Dennoch finden sich auch schon zu dieser Zeit kleine, aber feine Aufgäbchen, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

In der Weimarer Republik wurden die alten Schulbücher einfach weiter benutzt beziehungsweise in Neuauflagen nur leicht verändert. Von den veränderten politischen Rahmenbedingungen ist nur wenig zu spüren. Dies änderte sich Mitte der 1930er-Jahre, als die ersten neu gedruckten Schulbücher im Geiste des Nationalsozialismus erschienen. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Die häufig anzutreffende Auffassung, alle Lehrer wären mit Stichtag 30. Januar 1933 Nazis gewesen, ist irrig. Die meisten Lehrer im NS sind vor 1933 ausgebildet worden, und keinesfalls alle kritischen Lehrer sind von den Nazis aus dem Schuldienst entlassen worden. Die Schule formte also nicht zwangsläufig stramme Nationalsozialisten. Gleichwohl gab es die erklärte Absicht des Regimes, dies zu tun. So wurde bereits 1934 das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gegründet mit der Absicht, die föderale Bildungslandschaft in Deutschland zu zerstören. Die entsprechenden Vorgaben und Lehrpläne aus Berlin wurden in den Ländern allerdings mit unterschiedlicher Geschwindigkeit umgesetzt. Die heute vielfach kritisierte Abschottung des Klassenzimmers vor der Öffentlichkeit war in Zeiten der Diktatur bisweilen ein Segen, der Spielraum der Lehrkräfte größer, als gemeinhin angenommen.

Während die nach 1933 neu erscheinenden Mathe-Schulbücher für die Volksschulen und die Mittelschulen menschenverachtende Aufgaben zum Thema Juden und Euthanasie enthalten – wobei die Textaufgaben nicht offen zum Massenmord aufrufen, sondern vielmehr das antisemitische Ressentiment und der rechtsextreme Populismus dominieren -, lassen sich dergleichen Aufgaben in den Lehrwerken der Gymnasien kaum nachweisen. Über die Gründe darf spekuliert werden.

Aber es bleibt natürlich die Frage: Darf man über verquere, ideologische und unterschwellig rassistische Textaufgaben aus der Nazi-Zeit lachen? Die Antwort des aufgeklärten Zeitgenossen ist einfach: Ja! Denn wir lachen ja nicht über die Opfer des menschenverachtenden NS-Systems, sondern über die Borniertheit und Dummheit der Urheber jener Aufgaben.

Nach der Kriegsniederlage, der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und der doppelten Staatsgründung auf deutschem Boden im Jahre 1949 erweisen sich die Schulbuchmacher der DDR als gelehrige Schüler der Schulbuchmacher vor 1945.

Die Mathematikbücher der DDR zeichnen sich zwar zum Teil durch anspruchsvolle und moderne methodische bzw. didaktische Vorgehensweisen aus. Dessen ungeachtet steht die mathematische Sachaufgabe aber im Dienste des Sozialismus. Es gilt, »durch einen niveauvollen Unterricht die spezifischen Möglichkeiten des Faches Mathematik für die kommunistische Erziehung der Jugend […] auszuschöpfen.«2

Die Textaufgaben der alten und neuen Bundesrepublik haben ein ganz anderes Problem. Strikt anwendungsorientiert sollen sie sein. »Alltagsnähe« ist das Schlagwort der Zeit, welche die Aufgaben angeblich interessanter für Schülerinnen und Schüler machen soll.

Wer’s glaubt, wird selig.