Heilen mit der Kraft des Ayurveda
Heilen mit der Kraft des Ayurveda
Über 100 alte Rituale für das moderne Leben
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Wichtiger Hinweis
Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und die Autorin haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
1. Auflage 2020
© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 bei The Experiment, LLC unter dem Titel The Ayurveda Self-Care Handbook. © 2019 by Sarah Kucera. All Rights Reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Marion Zerbst
Redaktion: Silke Panten
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: Sarah Smith
Layout: Ortrud Müller, Die Buchmacher – Atelier für Buchgestaltung, Köln
Satz: Ortrud Müller, Die Buchmacher – Atelier für Buchgestaltung, Köln
Bildnachweis: Suzanne Corum-Rich: 295
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7423-1142-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0798-6
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0799-3
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
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Dieses Buch widme ich all meinen Patienten und Schülern.
Egal ob ihr im Lauf der Jahre viele Kurse oder Termine bei mir hattet oder nur einen einzigen – ihr habt stets darauf vertraut, dass ich euch in die richtige Richtung führe.
Und so wie ich eure Lehrerin war, habe ich auch von euch eine Menge gelernt.
Ich bin euch so dankbar.
Vorwort von Dr. Suhas Kshirsagar
Einführung Das Wesen der Medizin
Teil 1 Konsequent, zyklisch, sinnerfüllt
Kapitel 1 Ayurveda – Der Inbegriff der Natur
Kapitel 2 Finden Sie heraus, was Sie ändern können – Ihr jetziger Zustand als Messlatte für eine optimale Gesundheit
Kapitel 3 Es ist alles eine Frage der Zeit – Die ayurvedische und die zirkadiane Uhr
Teil 2 Rituale, die jeder Mensch praktizieren kann
Kapitel 4 Ihr Tagesablauf verrät Ihnen, wer Sie sind – Warum Rituale für unser Wohlbefinden so wichtig sind
Kapitel 5 Tagesrituale – Praktiken für einen bewussten Start in den Tag und ruhige, reibungslose Übergänge
Kapitel 6 Abendrituale – Praktiken für einen entspannten Tagesausklang
Kapitel 7 Jahreszeitliche Rituale – Verändern Sie Ihr Leben im Gleichklang mit der Natur
Teil 3 Wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche Rituale
Kapitel 8 Ihr Prana-Budget – Nutzen Sie Ihre Energie für das, was Ihnen am wichtigsten ist
Kapitel 9 So bleiben Sie auf dem richtigen Kurs – Häufige Hindernisse und Tipps zu ihrer Überwindung
Teil 4 Rituale für mehr Wohlbefinden
Kapitel 10 Warum wir krank werden – Erkrankungen aus ayurvedischer Sicht
Kapitel 11 Selbstheilungsrituale – So kommen Sie wieder ins Gleichgewicht, wenn es Ihnen nicht gut geht
Nachwort Der letzte Zyklus
Anhang Tagebuchführen als Ritual
Glossar der Heilpflanzen
Glossar ayurvedischer Fachbegriffe
Dank
Über die Autorin
Bezugs- und Informationsquellen
Das Buch Heilen mit der Kraft des Ayurveda ist der optimale Wegweiser für Menschen, die mehr Kontrolle über ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden erlangen möchten. Die neuesten medizinischen Erkenntnisse weisen alle in die gleiche Richtung: Pflanzliche Ernährung, genügend Schlaf, Bewegung, Meditation und wirksames Stressmanagement sind der beste Weg zu einem gesunden Alltagsleben. Für Menschen, die solche Lebensstiländerungen in ihren Alltag integrieren möchten, gibt es keinen besseren Wegweiser als die ayurvedische Medizin. Und nicht nur das: Ayurveda ist auch die Kunst und Wissenschaft eines langen Lebens.
Wir stehen in der Medizin zurzeit an einem Scheideweg, an dem wir uns wieder auf die wahre Bedeutung des Wortes »Prävention« besinnen müssen. Prävention bedeutet, aktiv etwas für die eigene Gesundheit zu tun und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Genau auf die Mondphasen und den Wechsel der Jahreszeiten, auf traditionelle Festlichkeiten und das Gemeinschaftsleben abgestimmte Selbstfürsorgerituale spielten in allen alten Kulturen eine wichtige Rolle. Auf seine Gesundheit zu achten, war ein Lebensstil, und das Wohlergehen der Gesellschaft basierte auf nachhaltigem Leben.
Die moderne Wissenschaft der Chronobiologie unterstreicht die Bedeutung dieser uralten Weisheit und zeigt eindeutig, dass der Ablauf der Zeit in unseren Genen verankert ist. Die Wahl des richtigen Zeitpunkts für Essen, Schlaf und körperliche Aktivität spielt eine sehr wichtige Rolle dabei, wie wir die Welt um uns herum »verdauen« (und damit ist nicht nur die Nahrung gemeint); und dieser Verarbeitungsprozess wirkt sich wiederum auf unsere körperliche, emotionale und spirituelle Gesundheit aus. Diese aus der westlichen Welt kommenden neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind hochinteressant, bestätigen aber gleichzeitig auch die Gültigkeit uralter ayurvedischer Prinzipien, die ich im Rahmen meiner Forschungsarbeit und in meinen Büchern untersucht habe und bei denen es darum geht, dass wir unsere Tage und Nächte im Kreislauf der Jahreszeiten und Lebensalter nach bestimmten festen Mustern gestalten sollten.
Das Buch, das Sie in den Händen halten, wird Ihnen eine große Hilfe dabei sein, in unserer modernen Zeit liebevoller und verantwortungsbewusster mit sich selbst umzugehen. Sarah Kucera ist eine gute Freundin und Kollegin von mir, die bei der Weitergabe dieses Gedankenguts an ihre Klienten und Studenten Pionierarbeit leistet. Als Chiropraktikerin kombiniert sie diese physische Wissenschaft mit ihrer stark von Intuition geprägten yogischen und ayurvedischen Sichtweise, bei der es darum geht, die Ungleichgewichte, aus denen Krankheiten entstehen, zu erkennen und zu korrigieren und Menschen dabei zu helfen, die Verantwortung für ihre eigene Gesundheit zu übernehmen. Ayurveda und Yoga sind zwei verwandte Wissenschaftszweige, mit deren Hilfe man ein krankheitsfreies, spirituelles Leben führen kann. Die Rezepte dieser beiden uralten Wissenschaften unterscheiden sich allerdings von dem, was die meisten Menschen in unserer heutigen westlichen Welt kennen. Zu den Heilmitteln dieses Gesundheitssystems gehören ganz einfache Formen der Selbstfürsorge, beispielsweise tägliche Ölmassagen, morgendliche Spaziergänge, Kräutertees, Gewürze und heilsame Nahrungsmittel, die nicht nur der Entstehung krankheitsverursachender Ungleichgewichte vorbeugen, sondern auch die allgemeine Qualität und Quantität unseres Lebens verbessern.
Obwohl das Konzept der Selbstfürsorge sich inzwischen immer größerer Beliebtheit erfreut, war es in der westlichen Welt noch bis vor Kurzem kaum bekannt. Da Wirtschaft und Industrie in unserem Leben einen immer höheren Stellenwert einnehmen, sind wir darauf konditioniert, immer mehr zu wollen, zu erstreben und zu erkämpfen und ununterbrochen hart zu arbeiten. Viele berufstätige Menschen – vor allem aus der Generation Y – wagen es heute kaum noch, Urlaub zu nehmen oder sich krankzumelden; sie haben das Gefühl, rund um die Uhr im Büro sein zu müssen. Die meisten meiner Patienten leiden unter solchen Problemen; ihr Leben ist ein ständiger Kampf gegen Enttäuschung, Burn-out und Depressionen, die ihr Berufsund Privatleben beeinträchtigen. Das erzeugt natürlich auch einen enormen Druck auf ihre Familien und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen; ihre Work-Life-Balance gerät dauerhaft aus dem Gleichgewicht, und sie kümmern sich nicht mehr um ihr eigenes Wohlbefinden. Aber wir können unsere Mitmenschen nur dann lieben, wenn wir dieses Gefühl zunächst einmal uns selbst entgegenbringen.
Jeder Mensch hat von Natur aus den Wunsch, glücklich zu sein – der Sinn unseres Lebens besteht schlicht und einfach darin, mehr Glück zu erleben. Doch die meisten Menschen suchen ihr Glück in der Außenwelt. Erst ab einem bestimmten Zeitpunkt unserer Entwicklung lernen wir, dass Glück nichts ist, was man erwerben kann, sondern ein Seinszustand. Was wir im Alltag erleben, können wir uns nicht aussuchen: Manchmal hängt man im Stau fest, manchmal steht man staunend vor einem Regenbogen. Aber das Leben von einer positiveren Seite zu betrachten, statt sich von negativen Ereignissen herunterziehen zu lassen – so eine innere Einstellung zu entwickeln, das haben Sie selbst in der Hand. Nur dadurch können Sie die Voraussetzungen für einen wirklich sattvischen (ausgeglichenen und freudigen) Seinszustand schaffen: einen Zustand, der auf Selbstliebe als Quelle des Glücks beruht.
Selbstliebe bedeutet, dem eigenen Glück und Wohlbefinden einen hohen Stellenwert einzuräumen. Es ist eine Haltung der Akzeptanz oder bedingungslosen Unterstützung und Fürsorge sich selbst gegenüber. Sie erfordert Engagement für das eigene Ich und die Bereitschaft, seine persönlichen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen, sich wertfreies Denken zu erlauben und sich selbst im Großen und Ganzen als guten, wertvollen Menschen zu betrachten, der Gesundheit und Glück verdient hat. Aber all das muss tief aus unserem eigenen Inneren kommen und nicht von außen.
Wie Sarah in diesem von Herzen kommenden Buch ausführlich und unmissverständlich erklärt, besteht der einfachste Weg zur Erreichung dieses Ziels aus ayurvedischer Sicht in der täglichen und jahreszeitlichen Ausrichtung unseres Lebens an der Natur. Die natürlichen Biorhythmen wirken sich ständig auf unseren Geist und Körper aus; daher können wir Ungleichgewichten vorbeugen, indem wir in unserem Leben bewusst an bestimmten festen Abläufen festhalten. Wenn es Ihnen gelingt, Ihr Alltagsleben auf diese Weise ins Gleichgewicht zu bringen, wird bald auch eine harmonische Ausgewogenheit in Ihre Gedanken einkehren, Sie werden sich angewöhnen, auf Ihren Körper zu hören – und das kann Ihr Leben verändern.
Der wahre Grund für diese Selbstfürsorge und Selbstliebe ist gar nicht so selbstsüchtig, wie er auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag: Wir versuchen ins Gleichgewicht zu kommen, um mehr innere und äußere Harmonie zu erlangen. Wenn wir körperlich, geistig und emotional gesund sind, überträgt sich dieses Wohlbefinden auch auf alle anderen Menschen in unserem Umfeld. Wenn wir lernen, uns selbst zu akzeptieren und zu verzeihen und uns Mitgefühl entgegenzubringen, werden wir auch einfühlsamer und toleranter gegenüber unseren Mitmenschen. Durch unseren Umgang mit uns selbst senden wir eine klare Botschaft an unsere Freunde und Angehörigen, ja sogar an alle Menschen und signalisieren ihnen, wie wir von anderen behandelt werden möchten. Wenn wir unser eigenes Ich immer wieder hintanstellen, dürfen wir uns nicht darüber wundern, wenn andere Menschen das Gleiche tun. Trotzdem reagieren wir tief verletzt, wenn unsere Mitmenschen uns geringschätzig und respektlos behandeln; wir nehmen das persönlich – und sind dabei in Wirklichkeit doch nur Opfer eines Systems, das wir durch unser eigenes unbewusstes Verhalten geschaffen haben und aufrechterhalten.
Sarah gelingt es in diesem Buch ganz hervorragend, verschiedene Formen von Selbstliebe zu beschreiben und zu zeigen, wie man sein Wohlbefinden verbessern kann. Auf ihrem persönlichen Erfahrungsschatz aufbauend, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, andere Menschen davon zu überzeugen, dass Selbstliebe und Selbstfürsorge eine unabdingbare Voraussetzung für Glück und einen optimalen Gesundheitszustand sind. Egal ob Sie nur eines der hier beschriebenen Rituale übernehmen oder Ihr ganzes Leben neu gestalten möchten: Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie ein ausgewogeneres, bewussteres Leben führen und stärker mit sich und der Natur im Einklang stehen können! Aus Sarahs Empfehlungen können Sie lernen, sich selbst in einem neuen, strahlenden Licht zu sehen, sich zu lieben und gut für sich zu sorgen.
Dr. med. Suhas Kshirsagar, Bachelor of Ayurvedic Medicine and Surgery (BAMS), ist ein weltbekannter ayurvedischer Arzt und medizinischer Lehrer aus Indien. Er leitet die Ayurvedic Healing and Integrative Wellness Clinic in Nordkalifornien und ist Autor der Bücher The Hot Belly Diet und Leben nach der inneren Uhr mit modernem Ayurveda.
Immer wenn ich mich nicht so wohlfühle, wie ich eigentlich sollte, denke ich an die Zeit zurück, als ich am gesündesten und glücklichsten war – eine Übung, die wir alle hin und wieder machen sollten. Mir fällt dabei immer sofort meine Kindheit ein – genauer gesagt die Zeit, als ich ungefähr neun Jahre alt war. Ich bin in einer Kleinstadt in Iowa aufgewachsen und ernährte mich von Hausmannskost mit den kräftigen Aromen des Gartens meiner Mutter oder des Bauernhofs meiner Großeltern. Ich konnte angstfrei draußen spielen, im Sommer radeln und im Winter Schlitten fahren. Mein Alltagsleben und das meiner älteren Schwester lief nach einem festen Schema ab, das zweifellos vom Wunsch meiner Mutter geprägt war, gesunde, glückliche Kinder großzuziehen. Schließlich war sie selbst so erzogen worden. Als eines von fünf Kindern, die in einem kleinen Bauernhaus aufwuchsen, hatte sie von klein auf einen festen Zeitplan mit täglichen Pflichten gehabt, bei ihrer Mutter andererseits aber auch viel Liebe und Geborgenheit gefunden. Ihr Tagesablauf war genauso vorhersehbar gewesen wie meiner. Wenn ich heute daran zurückdenke, erinnere ich mich nicht nur daran, wie die Tage dieses neun Jahre alten Mädchens begannen und endeten, sondern auch an das Gefühl der Sicherheit, das diese immer gleichen Abläufe mir vermittelten.
Vielleicht beruht meine heutige Begeisterung für Gewohnheiten und Rituale (eine Leidenschaft, auf der ich unter anderem meine Karriere als Ayurveda-Therapeutin aufgebaut habe) unbewusst auf dieser Erinnerung an die Sicherheit und Geborgenheit, die ich damals als Kind erlebt habe, als ich noch nicht wusste, welche Verantwortung das Erwachsensein mit sich bringen würde. Auch als ich älter wurde und abseits der Farm und ländlichen Ernährung meiner Kindheit mein eigenes Leben zu führen begann, fühlte ich mich meinem wahren Ich stets am nächsten, wenn ich mich in meiner Lebensführung von der Natur und den Ritualen eines naturverbundenen Lebens leiten ließ. Die Natur geht stets planmäßig und systematisch vor. Sie gibt uns alle wichtigen Hinweise, die wir für unsere Gesundheit und unser inneres Gleichgewicht brauchen: wann wir aufstehen und schlafen gehen, wann wir essen und uns bewegen sollen. Die täglichen Aktivitäten, Mahlzeiten und häuslichen Dekorationen, die sich am Wechsel der Jahreszeiten orientierten, erhielten meine Familie gesund und schufen eine Atmosphäre der Wärme und Geborgenheit in unserem Zuhause. Im Gegensatz zu meiner heutigen Erledigungsliste waren sie nicht starr und monoton, sondern voller Leben.
Da wir Menschen fühlende Wesen sind, sollten wir instinktiv im Einklang mit der Natur leben, doch leider hat unsere moderne Lebensweise uns sehr weit von diesem Ziel entfernt. Mit Anfang 20 wollte ich unbedingt etwas erreichen. Ich suchte nach Möglichkeiten, mein Leben so bequem wie möglich zu gestalten, musste unbedingt immer die neuesten Geräte und Technologien haben, und oft war meine Arbeit mir wichtiger, als mich um mein Wohlergehen zu kümmern. Erst als ich mehr über Ayurveda erfuhr, wurde mir klar, wie weit ich mich von meiner Kleinstadtjugend und meinem damaligen Leben im Einklang mit der Natur entfernt hatte. Ich hörte nicht mehr auf meine Intuition.
Seit über 5000 Jahren lehrt das Gesundheitssystem des Ayurveda, dass Mensch und Natur ein Kontinuum bilden und dass wir diese enge Verbindung zur Natur in unserer Ernährung und Tagesgestaltung berücksichtigen sollten. Dazu gehört auch, unsere in ständigem Wandel begriffene natürliche Umgebung mit allen Sinnen in uns aufzunehmen. Die Natur bewegt sich in Zyklen, und wenn unser Leben synchron mit diesen natürlichen Zyklen abläuft, fühlen wir uns wohl. Wenn das Leben mit seinen ständigen Ablenkungen durch moderne Technologien, Arbeit, Stress usw. uns aus dem Gleichgewicht bringt, suchen wir verzweifelt nach Wegen, um wieder in den richtigen Rhythmus zu kommen.
Doch zu unserem Glück haben unsere frühesten Vorfahren sich in enger Verbundenheit mit der Natur entwickelt, statt ständig auf irgendwelche elektronischen Geräte zu starren. Sie beobachteten die Veränderungen der Natur im Verlauf des Tages und der Jahreszeiten – die Zyklen, an denen unser inneres und äußeres Umfeld sich orientiert – und begannen zu begreifen, dass wir krank werden, wenn wir gegen die Natur oder gegen unsere eigene innere Weisheit leben. Wenn wir auf Schlaf verzichten, obwohl wir müde sind, werden wir anfälliger für Grippe und Erkältungen, weil Schlafmangel unsere Abwehrkräfte schwächt; und wenn wir uns von stark verarbeiteten, künstlichen oder außerhalb der Saison angebauten Lebensmitteln ernähren, neigen wir zu Verdauungsproblemen. Als ayurvedischen Ärzten diese Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten auffiel, entwickelten sie Empfehlungen für eine mit den täglichen und jahreszeitlichen Zyklen im Einklang stehende Lebensweise. Dazu gehören auch bestimmte Ess- und Schlafgewohnheiten, die bis zur Generation unserer Großeltern das Fundament unseres täglichen Lebens gebildet haben.
Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen habe ich die Lehren des Ayurveda und die darauf beruhenden Selbstfürsorgepraktiken nicht in einer Zeit entdeckt, als mein Leben aus dem Takt geraten war. Vielmehr faszinierten mich diese Lehren als mögliches Bindeglied zu meiner Ausbildung als Chiropraktikerin und Yogalehrerin. Denn Ayurveda und Yoga stehen in enger Wechselbeziehung zueinander: Als Studium des Körpers ergänzt der Ayurveda das Studium des Geistes, das wir beim Yoga praktizieren. Für mich lag eine besondere Schönheit in dem Gedanken, dass unsere Küche zu unserer Apotheke werden kann und dass Lebensmittel Eigenschaften besitzen, die über ihre bloßen Nahrungsbausteine wie Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß hinausgehen. Mir gefiel der Gedanke, dass wir mit unserer Ernährung nicht nur medizinische Wirkungen erzielen, sondern sie sogar an unsere individuelle Konstitution anpassen können. Dank dieser Konzepte konnte ich bei meinen Patienten auch Erkrankungen in den Griff bekommen, die über die Beschwerden des Bewegungsapparates hinausgingen, welche ich in meiner chiropraktischen Praxis am häufigsten behandelte. Und nicht zuletzt konnte ich dadurch auch etwas für meine eigene Gesundheit tun.
Als ich anfing, Patienten nach ayurvedischen Prinzipien zu behandeln, sprach ich mit ihnen am liebsten über Ernährung und Pflanzenheilkunde; und das waren auch die Themen, die meine Patienten am meisten interessierten. Obwohl ein regelmäßiger Tagesablauf während meiner Kindheit und in meinem damaligen Leben eine so wichtige Rolle für meine Gesundheit spielte, richtete ich mein Hauptaugenmerk nicht auf das Wie der Tagesgestaltung meiner Patienten, sondern nur auf das Was. Anscheinend fühlen viele Menschen sich zu alternativen Behandlungsmethoden wie Ayurveda, chinesischer Medizin, Homöopathie oder Naturheilkunde hingezogen, weil diese nicht mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, sondern mit Heilkräutern und Nahrungsergänzungsmitteln arbeiten. Dennoch begann ich mich zu fragen, ob hinter der Naturmedizin nicht noch mehr steckte. Mir wurde immer klarer, dass das Wirksamste am Ayurveda nicht die Ernährung nach den Doshas oder die adaptogenen Heilpflanzen sind, sondern die bereits seit Jahrtausenden praktizierte Einhaltung täglicher und jahreszeitlicher Selbstfürsorgerituale. Mir kam der Gedanke, dass die ayurvedische Medizin nicht einfach nur deshalb eine »Naturheilkunde« ist, weil sie nicht mit pharmazeutischen Medikamenten arbeitet, sondern weil sie aus der Natur selbst besteht.
Damals stand ich am Rande eines Burn-outs. Ich hielt mich nicht an die ayurvedischen Lebensgestaltungsprinzipien und füllte meine ganze Freizeit mit Arbeit aus, um den Anforderungen meines kleinen Unternehmens nachzukommen. Außerdem bestand meine berufliche Tätigkeit in medizinischen Dienstleistungen, und wie so viele Menschen in »Helferberufen« neigte ich dazu, immer nur zu geben, statt dabei auch auf mich selbst zu achten. Irgendwann verausgabte ich mich so sehr, dass mir nur noch wenig Freizeit blieb und ich nicht einmal mehr Zeit für die einfachsten Rituale fand, von denen ich wusste, dass sie meinem Alltag ein festes Fundament verleihen würden. Die einzige Konstante in meinem Leben war ein Gefühl geistiger und körperlicher Unruhe, ein ständiges Gehetztsein. Obwohl ich ein ordnungsliebender Mensch bin, der mit ganz wenigen Dingen auskommt, lagen in meiner Wohnung tage- oder gar wochenlang Stapel sauberer Wäsche auf dem Boden, weil mir die Kraft dazu fehlte, sie wegzuräumen. Normalerweise lerne ich gerne etwas dazu, schaue mir Dokumentarfilme an oder höre Pod-casts, doch wenn ich damals abends nach Hause kam, reichte meine Zeit und Energie dafür nicht mehr aus. Dann konnte ich nur noch fernsehen, um ein bisschen abzuschalten. Normalerweise koche ich mir mein Essen gern selbst, doch damals holte ich mir mehrmals pro Woche Gerichte zum Mitnehmen aus einem Imbissrestaurant, weil es mir einfach zu viel war, Lebensmittel zu kaufen und zuzubereiten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, gar nicht mehr ich selbst zu sein.
Da ich überzeugt davon war, dass es auch anders gehen musste, beschloss ich, mithilfe der Natur – meiner lebenslangen Verbündeten – etwas an dieser Situation zu ändern. Ich begann Morgen- und Abendrituale in mein Leben einzubauen, die meinen Bedürfnissen und Lebensumständen entsprachen. Durch Meditation und regelmäßige über den Tag verteilte Pausen vertiefte ich mich in mein eigenes Inneres und machte eine Bestandsaufnahme meines geistigen, körperlichen und emotionalen Befindens. Ich akklimatisierte mich an meine äußere Umgebung, indem ich mehr Zeit im Freien verbrachte, obwohl die Temperaturen in meiner Heimatstadt Kansas City (Missouri) je nach Jahreszeit zwischen extremer Sommerhitze und extremer Winterkälte schwankten. Ich pflegte eine enge Beziehung zur Natur und ihren Kreisläufen, indem ich jeden Morgen einen Spaziergang an der frischen Luft machte und mir fest vornahm, jeden Tag um dieselbe Zeit schlafen zu gehen und zu essen. Mir wurde klar, dass meine selbstständige Arbeit, die mich dem Burn-out nahe brachte, gleichzeitig auch den Vorteil hatte, dass ich mir meine Zeit frei einteilen konnte – niemand außer mir selbst hielt mich davon ab, mein Mittagessen jeden Tag um dieselbe Zeit einzunehmen. Diese ayurvedischen Praktiken und die gesunde Lebensweise, zu der ich in meiner Kindheit erzogen worden war, gaben meinem Leben wieder eine feste Struktur.
Plötzlich begann ich mich wieder wie das neunjährige Kind von damals zu fühlen – nur in einem erwachsenen Körper. Natürlich spielte ich jetzt nicht mehr Fangen draußen auf den Feldern und ich half meiner Mutter auch nicht mehr beim Putzen von Gartengemüse fürs Abendessen, und doch ging es mir gesundheitlich immer besser. Dieses körperliche und seelische Wohlbefinden war eine Folge meines neuen Lebens, das von Ritualen, festen Tagesabläufen und einem tiefen Einklang mit der Natur geprägt war.
Auch in der Behandlung meiner Patienten begann ich besonderes Schwergewicht auf die regelmäßige Lebensführung zu legen, die im Ayurveda eine so wichtige Rolle spielt. Wenn meine Patienten dann zur Nachuntersuchung zu mir kamen, wirkten sie fröhlicher und glücklicher und berichteten, dass ihr Schlaf und ihre Verdauung sich verbessert hatten; außerdem fühlten sie sich jetzt auch energiegeladener. Mit dieser neuen Behandlungsphilosophie linderte ich nicht nur die Symptome meiner Patienten, sondern schuf gleichzeitig auch ein solides Fundament für einen besseren Gesundheitszustand.
Mit diesem Buch möchte ich Ihnen einen neuen Weg zu einem gesunden Leben zeigen, das man durch einfache Rituale und sinnvolle Lebensstiländerungen erreichen kann – und dadurch, dass man sich die Natur zur Verbündeten macht. Als Ihre Begleiterin auf diesem Weg werde ich auf uralte und moderne Heilmittel, auf meinen persönlichen Erfahrungsschatz und die Erfahrungen meiner Patienten zurückgreifen, die durch eine regelmäßige Lebensführung Verdauungsbeschwerden, Hautprobleme, Schlafstörungen und Müdigkeit überwunden und ihren Hormonhaushalt wieder in Ordnung gebracht haben. In diesem Buch finden Sie die wichtigsten Grundprinzipien des Ayurveda, einschließlich der fünf Elemente und der drei Konstitutionen (Doshas) mitsamt deren Eigenschaften. Außerdem erfahren Sie, wie die Natur und die 24 Stunden des Tages aus ayurvedischer und chronobiologischer Sicht die Abläufe in unserem Körper beeinflussen. Ich werde auf die Bedeutung von täglichen und jahreszeitlichen Ritualen und Praktiken eingehen, die der Ayurveda zur Erhaltung unserer Gesundheit empfiehlt, und Ihnen außerdem erklären, welche Auswirkungen Ihre persönlichen Stärken und Schwächen auf Ihren Erfolg bei der Umstellung Ihrer Lebensweise haben können. Ich gebe Ihnen Tipps, wie Sie eventuelle Hindernisse in Ihrem Leben überwinden können, und für Lebensphasen, in denen es Ihnen nicht gut geht, finden Sie Vorschläge für verschiedene Selbstfürsorgerituale und -praktiken, mit deren Hilfe Sie aus eigener Kraft wieder gesund werden können.
Wenn Sie sich mit dem stark von Intuition geprägten System des Ayurveda beschäftigen, werden Sie sich selbst besser kennenlernen und feststellen, dass die ayurvedische Medizin wie ein langjähriger Freund ist, der Sie ganz einfach »versteht«. In der yogischen und ayurvedischen Philosophie gibt es ein Konzept namens Svadhyaya, was so viel wie »Selbststudium« bedeutet. Da wir nur dann richtig gesund sein können, wenn wir uns selbst gut kennen, finden Sie in diesem Buch immer wieder Denkanstöße zur Selbsterkenntnis und Anregungen zum Tagebuchführen, die es Ihnen erleichtern werden, an Ihren Ritualen festzuhalten. Diese Übungen sollen Ihnen helfen, sich Ihrer persönlichen Gewohnheiten, Verhaltensmuster und Denkprozesse bewusster zu werden und mithilfe dieser Erkenntnisse bessere Entscheidungen für Ihr Wohlbefinden zu treffen.
Rituale können unserem Leben Form geben, indem sie Raum für mehr Selbstfürsorge schaffen, die wir brauchen, um unsere Gesundheitsziele zu erreichen. Ich hoffe, dieses Buch wird Sie dazu inspirieren, bei Sonnenaufgang aufzustehen, öfters draußen spazieren zu gehen und sich bei Ihrer Ernährung am Angebot der Jahreszeiten zu orientieren. Es soll Ihnen die Infrastruktur für ein energiegeladenes Leben liefern, das Sie mit Beschäftigungen ausfüllen, die Sie begeistern, und das Sie mit Menschen verbringen, die Ihnen am Herzen liegen. Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, sich zur besten Version Ihrer selbst – Ihres ganz besonderen, von der Natur ersonnenes Ichs – entwickeln zu können, um nicht nur ein gutes Leben zu führen und sich wohlzufühlen, sondern um gleichzeitig auch innerlich zu wachsen und zu gedeihen und die Erkenntnisse, die Sie auf diesem Weg sammeln, mit anderen Menschen zu teilen.
Der Inbegriff der Natur
Ayurveda leitet sich von den Sanskrit-Worten Ayur (»Leben«) und Veda (»Wissen« oder »Wissenschaft«) her. Dabei handelt es sich um ein indisches Heilsystem, das die Natur als Medizin nutzt, und zwar nicht nur im kurativen, sondern auch im präventiven Sinn. In der ayurvedischen Medizin schafft man mithilfe von Lebensmitteln, Gewürzen, Heilpflanzen, Körperarbeit und Lebensstiländerungen die Voraussetzungen für einen optimalen Gesundheitszustand. Der Ayurveda ist ein sehr umfassendes System, das Ihnen auf der Basis Ihrer persönlichen Lebensgeschichte einen individuellen Weg zur Heilung aufzeigen möchte. Vielleicht das Schönste an dieser Lehre ist ihre Fähigkeit, Sie so zu verstehen, wie Sie sind, statt sich an einem hypothetischen Patienten aus einem medizinischen Lehrbuch zu orientieren. Die ayurvedische Lehre berücksichtigt Ihre persönlichen Eigenheiten und behandelt Sie als Individuum. Sie bietet Ihnen Erklärungen für bestimmte Besonderheiten Ihres Körpers und Ihrer Seele, die Ihnen schon immer bewusst waren, die Sie bisher aber vielleicht nicht richtig artikulieren, akzeptieren oder sich zunutze machen konnten.
Diese ganz besondere Fähigkeit des Ayurveda, zu wissen und zu interpretieren, was in Ihnen vorgeht, ist kein magisches oder gar übersinnliches Phänomen. Um nach ayurvedischen Prinzipien zu leben, muss man sich nicht zu einer bestimmten Religion bekennen. Man braucht dazu keine mystischen Zeremonien und muss nicht einmal Yoga praktizieren. Ayurveda ist eine Wissenschaft, die aus der Natur entspringt – sowohl aus der Beobachtung unserer äußeren Umwelt als auch aus dem Verständnis, dass wir untrennbar mit dieser uns umgebenden Natur verbunden sind. Die Theorie von der Kontinuität zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos ist ein Grundprinzip des Ayurveda. Einfach ausgedrückt, besagt diese Theorie, dass wir Menschen (der Mikrokosmos) ein Spiegelbild des Universums (Makrokosmos) sind; daher existiert alles, was außerhalb von uns liegt, gleichzeitig auch in uns. Das bedeutet, dass jede Veränderung in der Natur sich auf uns auswirkt und dass wir wiederum mit unserem Handeln die Natur sehr stark beeinflussen können.
Angesichts der Unermesslichkeit unseres Universums ist diese Kontinuitätstheorie zunächst vielleicht schwer verständlich oder sogar ein bisschen beängstigend. Der Gedanke, dass Ihre Handlungen sich nur auf Sie selbst auswirken, ist eigentlich ziemlich naheliegend; die Erkenntnis dagegen, dass Sie damit auch das Leben anderer Menschen oder gar unseren ganzen Planeten beeinflussen, kann schon erschreckend sein. Doch wenn wir die Natur in kleinere Komponenten unterteilen, wird das alles gleich viel verständlicher. Wenn wir die Elemente der Natur akzeptieren und uns darüber klar werden, was für eine Rolle sie spielen, können wir einen Teil unseres Bedürfnisses danach, kontrollieren zu können, wie wir uns fühlen, loslassen. Dann reagieren wir auf unsere Umgebung, statt uns dagegen zu wehren.
Wenn man im Einklang mit der Natur zu leben versucht, tritt man nicht einfach nur mit einer großen Entität in Verbindung, sondern mit etwas, das aus mehreren kleineren Teilen besteht. Nach der ayurvedischen Lehre besteht die Natur aus fünf verschiedenen Elementen oder Bhutas: Äther (oder Raum), Luft, Feuer, Wasser und Erde. Diese Elemente sind in allem (auch in uns selbst) enthalten, und wir brauchen sie zum Überleben. Wir benötigen Raum, um uns darin auszubreiten, Luft zum Atmen, die Sonne zur Umwandlung oder zum Wachstum, Wasser für unsere Flüssigkeitsversorgung und die Erde, die uns Nahrung bietet. Der Gedanke, dass alles auf der Welt aus denselben fünf Elementen besteht, könnte die Vorstellung nahelegen, dass alle Menschen genauso aussehen, denken und handeln wie ihre Mitmenschen, doch in Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall. Die Elemente drücken sich in jedem von uns anders und in unterschiedlichem Maß aus. Das macht jedes Lebewesen und jedes Ding auf dieser Erde zu etwas Einzigartigem. Am Wetter kann man das besonders leicht erkennen: Es gibt sonnige Tage mit mehr Feuer, windige Tage mit mehr Luft und regnerische oder feuchte Tage, die vom Element Wasser geprägt sind.
Das gleiche Prinzip zeigt sich auch in unserer Nahrung: Wurzelgemüse, das im Boden wächst, ist stärker vom Erdelement geprägt, während man in scharfen Lebensmitteln wie Chili das Feuer spürt. Auch an uns selbst und bei anderen Menschen können wir dieses Gesetz der Elemente beobachten. Vielleicht sind Ihnen schon einmal Menschen begegnet, die sehr »hitzköpfig« sind; andere dagegen sind eher »erdverbunden«, und wieder andere haben »nah am Wasser gebaut«. Manche Leute ändern ihre Meinung so schnell, wie sich der Wind drehen kann, andere erinnern eher an einen Fels in der Brandung und rühren sich nicht so leicht vom Fleck. Wenn das Erdelement im Körper eines Menschen besonders stark ausgeprägt ist, ist er normalerweise größer oder hat stärkere Muskeln oder Knochen, während vom Element Luft geprägte Menschen zarter gebaut sind und feinere Gesichtszüge haben. Achten Sie einmal darauf: Die fünf Elemente sind tatsächlich allgegenwärtig.
Nun da Sie das Konzept der Elemente kennengelernt haben, wollen wir uns mit einem weiteren Prinzip beschäftigen, das die ayurvedische Lehre für uns besonders leicht nachvollziehbar macht: den Gunas – Eigenschaften oder Qualitäten, die den fünf Elementen zugeordnet sind und Gegensatzpaare bilden. Es gibt insgesamt zehn Gegensatzpaare, die jeweils einen Pol eines Kontinuums darstellen: trocken/ölig, leicht/schwer, beweglich/stabil, rau/ glatt, kalt/heiß, klar/trüb, hart/weich, flüssig/fest, scharf/stumpf, fein/derb. Jedes Element besitzt eine Kombination verschiedener Eigenschaften – zum Beispiel: Luft ist trocken, leicht und beweglich; Erde ist ölig, schwer und stabil (siehe hierzu auch Tabelle 1 auf Seite 30).
Da die Elemente überall und in jedem Lebewesen vorhanden sind, kann man mit diesen Begriffen alles beschreiben – von Lebensmitteln über unsere Erlebnisse und Erfahrungen bis hin zu Krankheitssymptomen. Haben Sie heute ein leichtes oder schweres Mittagessen zu sich genommen? Ist Ihnen bei der Arbeit ein rauer Wind um die Ohren geweht oder lief alles glatt? Nehmen Sie das Leben leicht oder schwer? Ist Ihre Haut genauso trocken wie Ihr Humor? Sind Sie scharfsinnig oder haben Sie eine scharfe Zunge? Wir verwenden diese Eigenschaftswörter in unserem täglichen Leben so vielseitig und machen uns doch nur selten bewusst, dass es nicht einfach nur Begriffe sind, sondern Lebensprinzipien.
Bei den Gunas handelt es sich um ein sehr einfaches, grundlegendes Konzept. Wenn Sie sich bewusst machen, an welchem Punkt dieser verschiedenen Kontinuen Sie sich befinden und aus welchen dieser Eigenschaften Ungleichgewichte entstehen, die sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben ziehen, halten Sie den Schlüssel zu Ihrer Heilung in der Hand. Denn wie Sie später noch erfahren werden, können Eigenschaften sich auch akkumulieren, und wenn man zu viel von einer bestimmten Qualität in sich trägt, fühlt man sich nicht wohl. Auch wenn es sich fast schon zu leicht oder einfach anhört, um wahr zu sein: Es wird Ihnen besser gehen, wenn Sie auch die entgegengesetzte Eigenschaft in Ihr Lebens aufnehmen.
Die Natur, die Elemente und deren Eigenschaften bilden zusammen die ayurvedischen Konstitutionen oder Doshas. Diese Doshas zeigen uns auf einen Blick, auf welche Weise die Natur in uns vertreten ist. Gleichzeitig können wir daraus ablesen, wie unser Körper funktioniert und warum jeder Mensch besondere Stärken, Schwächen und Bedürfnisse hat. Es gibt drei verschiedene Doshas – Vata, Pitta und Kapha –, und jedes besteht aus zwei der fünf Elemente. Doch genau wie alle fünf Elemente in uns vorhanden sind, tragen wir auch alle drei Doshas in uns. Jedem Dosha sind bestimmte Gewebe, Organe und Körperfunktionen zugeordnet; ebenso wie wir ohne Luft oder Wasser nicht überlebensfähig wären, können wir auch nicht existieren, ohne dass alle drei Konstitutionen in uns vertreten sind.
Ihr individueller Konstitutionstyp erklärt alles an Ihnen – vom Knochenbau bis hin zur Augenfarbe und Haarstruktur. Er verrät, wie Ihre körperlichen Merkmale und persönlichen Interessen miteinander zusammenhängen, wie Sie auf Stress reagieren oder für welche Krankheiten Sie besonders anfällig sind. An späterer Stelle in diesem Buch werden Sie noch mehr über die drei Doshas erfahren. Dann können Sie sich überlegen, welche Aspekte dieser Doshas Sie bei sich selbst wiedererkennen und welche Sie ganz besonders ansprechen. Aber denken Sie dabei stets daran, dass Sie alle drei Doshas in sich tragen.
Das Dosha Vata besteht aus Äther und Luft und besitzt die Eigenschaften leicht, fein, trocken, rau, hart, klar, kalt und beweglich. Diesem Dosha sind Nervensystem, Gehör, Ausscheidung und sämtliche Bewegungen im Körper zugeordnet – auch die Bewegungen Ihrer Gelenke und die Zirkulation von Blut und Lymphe (einer Flüssigkeit, die zu Ihrem Immunsystem gehört und weiße Blutkörperchen und Lymphozyten enthält). Im Hinblick auf unser physisches Erscheinungsbild zeigt Vata sich in Form von kräftigem oder lockigem Haar, kleiner Körpergröße oder zierlichem Körperbau, schlanken oder sehnigen Muskeln und feinen Gesichtszügen (beispielsweise schmalen Lippen und kleinen Augen oder Zähnen). Menschen mit starkem Vata-Anteil frieren leicht und leiden häufig unter Trockenheit (beispielsweise trockener Haut oder trockenen Augen). In psychischer Hinsicht führt die Kombination aus Äther und Luft zu Kreativität und Spontaneität, doch diese Mischung kann auch Emotionen wie Angst, Unentschlossenheit oder Sorgen verstärken. Vata-Typen tendieren zu künstlerischen, kreativen Berufen oder Tätigkeiten, in denen man sich eher mehr bewegt, statt lange zu sitzen. Sie sind oft sehr reiselustig und gesellig, fehlen auf keiner Party und lieben Veränderungen.
Das Dosha Pitta besteht aus Feuer und Wasser und besitzt die Eigenschaften leicht, scharf, heiß, flüssig und trocken oder ölig. Es ist für unsere Fähigkeit zuständig, Dinge zu verwandeln, und ihm sind unsere Hormone und Enzyme, Verdauung, Blut, Haut und Augen zugeordnet. Solche Menschen sind durchschnittlich groß und haben scharfe Gesichtszüge: beispielsweise eine markante Kieferpartie, eine spitze Nase oder durchdringende blaue oder grüne Augen. Ihr Haar ist normalerweise fein oder dünn, häufig blond oder rot oder wird frühzeitig grau. Pitta-Typen sind Denker, Problemlöser und Führungspersönlichkeiten, die sich Ziele setzen. Menschen, bei denen dieses Dosha vorherrscht, wollen immer Spitzenleistungen erbringen und haben einen so starken Konkurrenzgeist, dass sie ihre Mitmenschen um jeden Preis übertrumpfen möchten. Doch diese innere Anspannung kann auch dazu führen, dass sie schneller frustriert sind und wütend werden oder gereizt reagieren als andere Dosha-Typen. Aufgrund ihrer Leistungsorientiertheit streben sie einflussreiche Berufe oder gesellschaftliche Positionen an, die eine höhere Qualifikation erfordern. Daher herrscht dieses Dosha vor allem bei Ärzten, Anwälten, Politikern und Unternehmenschefs vor.
Das Dosha Kapha besteht aus Wasser und Erde. Diese beiden Elemente verleihen ihm genau die richtigen Eigenschaften für Schutz und Wachstum innerhalb des Körpers. Es besitzt die Qualitäten schwer, fest, stabil, stumpf, derb, glatt, weich, trüb und warm oder kühl. Im Körper sind ihm Atemwege, Herz, Gehirn, Immunsystem, Schleimhäute, Knorpel und Gelenkflüssigkeit zugeordnet. Die stützenden Eigenschaften führen dazu, dass Kapha-Typen normalerweise einen kräftigen Körperbau, starke Knochen und kräftige Muskeln haben. Gleichzeitig verleihen diese Qualitäten ihnen dichtes, glänzendes Haar, eine milchweiße Haut, große, mitfühlende Augen und volle Lippen. Kapha-Typen mögen Stabilität lieber als Veränderungen. Sie gehen Auseinandersetzungen aus dem Weg und sind die geborenen Friedensstifter: Alle Menschen um sie herum sollen glücklich sein. Diese Beständigkeit ist zwar durchaus etwas Wünschenswertes, kann aber auch zu einer gewissen Schwerfälligkeit und zu Depressionen, Trägheit und einem Gefühl der Stagnation führen. Als beständige Menschen gehen Kapha-Typen häufig pflegenden oder helfenden Tätigkeiten nach. Viele Menschen, in deren Konstitution Kapha vorherrscht, sind Kranken- oder Altenpfleger, Lehrer oder Sozialarbeiter.
Obwohl bei allen Menschen sämtliche Doshas vertreten sind und Sie jede dieser drei Konstitutionen bis zu einem gewissen Grad auch in sich selbst wiederfinden werden, herrschen normalerweise bei jedem Menschen ein bis zwei Doshas vor. Das ist Ihre angeborene Konstitution (Prakriti), die laut ayurvedischer Lehre schon bei der Empfängnis festgelegt wird. Ort, Zeit und Umstände Ihrer Empfängnis und der damalige Gesundheitszustand Ihrer Eltern haben entscheidend zu dieser angeborenen Konstitution beigetragen.
Ihr Dosha oder Ihre Konstitution verändert sich niemals. Die besonderen Neigungen und Schwächen, die Sie als Kind hatten, sind Ihnen bis heute erhalten geblieben. Aber manches ist doch einem gewissen Wandel unterworfen: zum Beispiel ob Sie Ihr wahres Ich in ausgewogener Weise zum Ausdruck bringen, sich von den Wellen des Lebens tragen lassen und kleinere Veränderungen meistern. In diesem Sinn bedeutet »Ausgewogenheit« übrigens nicht, dass bei Ihnen alle drei Doshas in gleichem Maß vertreten sind, sondern es hat vielmehr etwas damit zu tun, wie Sie mit Ihrer persönlichen Dosha-Konstellation umgehen. Wenn Sie also nach »vollkommener Gesundheit« im ayurvedischen Sinn streben, geht es dabei in Wirklichkeit darum, das Verhältnis der Doshas, die Ihre Konstitution bestimmen, intakt zu halten, so wie es Ihrer persönlichen Natur entspricht.
Es ist von unschätzbarem Wert, das eigene Dosha oder die eigene Konstitution zu kennen. Doch am wichtigsten ist es, sich darüber im Klaren zu sein, wie ein bestimmtes Dosha sich entweder positiv auf Ihr Leben und Ihre Gesundheit auswirken oder sich im Übermaß ansammeln und Sie blockieren kann. Im Internet und in Büchern gibt es jede Menge Dosha-Selbst-tests, mit deren Hilfe man seine Konstitution herausfinden kann. Ich habe in diesem Buch bewusst auf solche Tests verzichtet. Denn nur allzu leicht füllt man so einen Fragebogen aus, der vielleicht nicht einmal zuverlässig ist, hält das Ergebnis dann für seine Identität und lässt sich dadurch in seinen Möglichkeiten einschränken. Sie sollten Ihr wachsendes Wissen über Ihr eigenes Befinden nicht dazu nutzen, sich in eine bestimmte Kategorie oder Schublade einzuordnen, sondern um sich von Augenblick zu Augenblick ein bisschen besser zu verstehen: Dazu gehört Ihre Physiologie genauso wie die Gründe, warum Sie manches besonders gut können, und die Art, wie Sie in Ihrem täglichen Leben Entscheidungen treffen. Sobald die Zeit dafür reif ist, können Sie sich dann mit einem ayurvedischen Arzt oder Therapeuten zusammensetzen, der Ihnen helfen wird, Ihre Konstitution genauer zu bestimmen.
Tabelle 1: Übersicht über die drei Doshas
Dosha |
Elemente |
Eigenschaften |
den Dohas zugeordnete Körperfunktionen + Gewebe |
Eigenschaften in einer gesunden Konstitution |
Anzeichen eines Ungleichgewichts |
Vata |
Äther + Luft |
leicht, beweglich, klar, fein, trocken, rau, hart, kalt |
alle Bewegungen, Kreislauf, Gelenke, Nervensystem, Gehör, Sprache, Ausscheidung, Dickdarm |
Kreativität, Spontaneität, Geselligkeit, Ideenreichtum |
Ängste, Sorgen, innere Anspannung, Schlafstörungen, trockene Haut, Verstopfung, kalte Hände und Füße, Unruhe, Nervenschmerzen, Gewichtszunahme an Hüften und Oberschenkeln, Erschöpfung, Abmagerung, Konzentrationsstörungen |
Pitta |
Feuer + Wasser |
leicht, scharf, ölig oder trocken, heiß, flüssig |
Blut, Augen, Haut, Hormone, Enzyme, Verdauung, emotionales Herz, Dünndarm, Leber |
selbstbewusst, angeborene Führungsqualitäten, scharfer Verstand |
Wut, Frustration, Werturteile, Übersäuerung, Gewichtszunahme am Bauch, Durchfall oder weicher Stuhl, Blut im Stuhl, Burn-out, Bluthochdruck, Hautausschläge oder entzündliche Hauterkrankungen |
Kapha |
Wasser + Erde |
schwer, stabil, fest, ölig, glatt, weich, stumpf, trüb, derb, warm oder kühl |
Lunge, Gehirn, Fettgewebe, Gelenkflüssigkeit, Knorpel, Schleimhäute, Immunsystem, Lymphe, Herz, Magen |
mitfühlend, fürsorglich, hilfsbereit, stabil |
Depression, Gewichtszunahme an Rumpf oder Brustkorb, Schwellungen, Flüssigkeitsansammlungen, träge Verdauung, Schleim im Stuhl, produktiver Husten, hoher Cholesterinspiegel, erhöhter Blutzucker, fettige Haut |
Es ist wichtig, unserer Konstitution entsprechend zu leben, uns von Lebensmitteln zu ernähren, die wir lieben, und etwas für unsere Stärken und Talente zu tun, doch wenn wir damit zu weit gehen oder die Eigenschaften unserer Konstitution nicht durch entgegengesetzte Qualitäten ausbalancieren, kann ein Ungleichgewicht entstehen. Zu solchen Unausgewogenheiten kommt es durch einen (entweder langsamen und allmählichen oder plötzlichen, abrupten) Zustrom einer Eigenschaft, eines Elements oder Doshas. Diesen Zustand bezeichnet man als Vikriti. Er kann zum Beispiel dadurch entstehen, dass ein bestimmtes Dosha unterdrückt oder erschöpft wird, doch meistens führt man ihn auf eine übermäßige Ansammlung (Akkumulation) oder Zunahme zurück. Wenn Sie zum Beispiel an einem besonders kalten Wintertag draußen im Garten einen Rohkostsalat essen und mit einem eisgekühlten Getränk nachspülen, werden Sie sich aufgrund dieser übermäßigen Kälte wahrscheinlich sehr bald unwohl fühlen. Vielleicht können Sie dieses Gefühl durch Gedankenkraft überwinden, oder Ihnen ist wieder wohler zumute, nachdem Sie sich in Ihre beheizte Wohnung zurückgezogen haben, doch wenn Sie dieses Verhalten stunden- oder gar tagelang fortsetzen, nimmt das Gefühl