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Originalausgabe, 1. Auflage 2019
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Korrektorat: Anja Hilgarth
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
ISBN Print 978-3-95972-224-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-417-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi 978-3-96092-418-0
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Einleitung
Klimanotstand im Willy-Brandt-Haus
Übergang in eine neue Ära
Spaziergang durch die sozialdemokratische Republik Deutschland
Kapitel 1
Physiognomie einer Partei
Partei mit Personalproblem
Vom Elend der Sozialdemokratie
Der Urkonflikt der Genossen
Wie viel Widersprüchlichkeit verträgt eine Partei?
Partei des sozialen Aufstiegs
Missgunst frisst Solidarität
Kapitel 2
Die große Willkommenslüge
»Die Welt zu Gast bei Freunden«
SPD in der Merkel-Falle
Spaltpilz Linksliberalismus
Das schmutzige Familiengeheimnis der Willkommenskultur
Kapitel 3
Die liberale Verwahrlosung
Abschied von der Erdenschwere
Rüpelrepublik Deutschland
Aktivismus als Gesellschaftsspiel
»Sonnenscheinliberalismus«
In Parolengewittern
Kapitel 4
Das Märchen von der sozialen Gerechtigkeit
Die kapitalistische Revolution der Linken
Der neoliberale Infekt der SPD
Rechte Themen links aneignen
Kapitel 5
Da geht noch was!
Verändern und weitermachen wie bisher
Bürgerversicherung: Schluss mit dem Gesundheitskapitalismus
Bedingungsloses Grundeinkommen: Wege aus der Angstkultur
Gemeinwohl-Ökonomie: Raus aus dem Kapitalismus, rein in die Marktwirtschaft
Ausblick
Sozialdemokratie für Mutige
Gelingt der SPD ein Neustart?
Lernen vom Nachbarland Dänemark
Sozialdemokratie ist nichts für Angsthasen
Danksagung
Literaturverzeichnis
»Ob einer sich zur Sozialdemokratie bekennt oder nicht, spielt schon längst keine Rolle mehr, weil es Nicht-Sozialdemokraten bei uns gar nicht geben kann, die Gesellschaft ist per se strukturell sozialdemokratisch, und wer es nicht ist, der ist entweder im Irrenhaus oder im Ausland. Es gibt keine ernsthafte Alternative dazu.«1
Peter Sloterdijk, 2013
Am Sonntag, den 2. Juni 2019, war es um 9.53 Uhr so weit: Die Bundesvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gab in einer E-Mail an die Parteimitglieder ihren Rücktritt bekannt – Andrea Nahles zog sich zurück aus der Parteiführung, der Leitung der Bundestagsfraktion sowie als Parlamentsabgeordnete. Ein vollständiger Abschied aus der Politik mit Paukenschlag.
Damit endete ein weiterer Akt in einem Trauerspiel um die älteste deutsche politische Partei, ziemlich genau 156 Jahre nach ihrer Gründung als Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein in Leipzig. Die zwischenzeitlich stolze linke Volkspartei der Nachkriegsrepublik erlebt eine Talfahrt in der Gunst der Wähler gleichsam zur Splittergruppierung. Einstweiliger Tiefststand in einer bundesweiten Abstimmung war das Wahlergebnis der Europawahl mit 15,8 Prozent der Stimmen. Davor markierten die 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 unter Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz das bislang schlechteste Ergebnis seit 1949.
Seit zehn Jahren erreicht die Sozialdemokratie bundesweit keine 30 Prozent der Stimmen mehr. Enttäuschte SPD-Wähler laufen zu den Grünen über, zur Linkspartei, zur AfD oder sie enthalten sich der Stimme. Die Gründe für diesen Liebesentzug liegen gewiss auch in dem desolaten Eindruck, den das Binnenklima der SPD der Öffentlichkeit vermittelt. Eine Atmosphäre der Ränkespiele, des Misstrauens und der Heckenschützenattentate. Zum zweiten Mal wurde binnen kürzester Zeit der Parteichef zu Fall gebracht. Mit Andrea Nahles hat die SPD ihren 15. Vorsitzenden seit 1990 verheizt. Ein Spitzenfunktionär beschrieb die Stimmung im Willy-Brandt-Haus nach dem Nahles-Rücktritt mit den Worten: »Die Genossen haben gemeuchelt und die Mörder sind noch auf freiem Fuß.« So etwas macht eine Partei, deren Wesenskern die Solidarität sein soll, zur Lachnummer.
In der Berliner Parteizentrale sortieren sich die Genossen neu; kommissarisch hat ein Dreigestirn aus Malu Dreyer und Manuela Schwesig, Ministerpräsidentinnen in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, sowie Thorsten Schäfer-Gümbel, Landeschef auf Abruf in Hessen, arbeitsteilig den Bundesvorsitz übernommen.
Möglicherweise steckt in diesem Hang zur Selbstzerfleischung noch ein tieferes Moment einer Selbstverachtung, die einem Minderwertigkeitsgefühl entspringt. Die SPD ist nicht nur die Partei der sozialen Gerechtigkeit, sondern daraus resultierend die Partei des sozialen Aufstiegs. Die Wunde der Benachteiligung traditionell deklassierter Gesellschaftsschichten verheilt nur durch den Marsch in höher gelegene soziale Schichten. Daher der sozialdemokratische Ruf nach gesellschaftlicher Durchlässigkeit. Einen klassischen Aufstieg hat Andrea Nahles hingelegt. Ihr Vater war Maurer. Seine Tochter wurde Parteichefin. Das ist Sozialdemokratie. Naturgemäß sind solche sozialen Klettertouren mit Ängsten verbunden, dem Empfinden von Unzulänglichkeit. Dies mag ein Grund sein, weshalb in der SPD die Moll-Töne überwiegen.
Über die Kulturlandschaften der Freudlosigkeit hat der Wiener Philosoph Robert Pfaller festgestellt: »Trübsinnige Leidenschaften machen ihre Träger immer äußerst unglücklich; aber zugleich lassen diese sie sich niemals wegnehmen, sondern beharren auf ihnen, als wären sie ihr kostbarster Besitz.« Auch der Neid, dieser treue Sozius des Aufstiegs, sei ein Unglück, in dem »ein Stück Glück« wohnt, »weshalb dieses Unglück nicht aufgegeben, sondern wie ein wertvoller Schatz verteidigt wird«, und »bestimmte Unterdrückte« kämpfen sogar »für ihre eigene Unterdrückung, als wäre sie ein Glück«.2
Was liegt also näher als die Vermutung, die selbstzerstörerischen Reflexe, die wir in der SPD beobachten wie in keiner zweiten Partei, seien Bestandteil eines misanthropen sozialdemokratischen Gen-Codes? Die Schandmäuler der ZDF-»heute Show« lästern bereits über die »Suizidaldemokraten«.3 Was, wenn hier eine über eineinhalb Jahrhunderte hinweg mikro-evolutionär verfeinerte Anleitung zum Unglücklichsein in der Partei-DNA rumort, kombiniert mit einer diskreten Sehnsucht nach Selbstauslöschung? Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt?
Dennoch sind die verrohten Umgangsformen in der Partei nicht die alleinige Ursache der Misere. Deshalb wollen wir nach den weiteren Gründen für den Niedergang der SPD fragen. Das Dilemma der Sozialdemokraten ist ein Spiegelbild einer Orientierungslosigkeit, unter der unser Land insgesamt leidet. Der Absturz der einstigen Volkspartei ist selbstgemacht insofern als die SPD auf die dramatischen Veränderungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten keine überzeugenden Antworten gefunden hat. Trotzdem nimmt die Sozialdemokratie in unserer politischen Kultur eine Schlüsselposition ein. In keiner anderen Partei laufen die Problemlinien der deutschen Politik so gebündelt zusammen. In keiner anderen Partei werden aber auch die kulturellen Verwerfungen in diesem Lande so unverhüllt sichtbar.
Und in keiner anderen Partei haben sich mit solcher Fallhöhe die Führungskader vom Lebensgefühl der eigenen Basismitglieder und Wähler entfremdet. Neulich ereignete sich in einem Supermarkt eine Szene, die die Situation präzise illustriert. In einer Edeka-Niederlassung im oberfränkischen Lichtenfels zeigte eine junge Mutter an der Fleischtheke auf die Verkäuferin und sagte zu ihrem Kind: »Wenn du weiterhin nichts für die Schule lernst, dann stehst du auch mal dort hinten!«4 Der Filialleiter postete diesen Vorgang bei Facebook und wurde dort von den Nutzern gefeiert. Was vielfach als Arroganz der Mutter gescholten wurde, ist aber eher ein unverstellter Ausdruck eines real existierenden Kastenwesens hierzulande, eines Neufeudalismus linksdurchtönter Besitzbürger.
Die Anekdote bringt auf pointierte Weise eine kulturelle Entwicklung der Sozialdemokratie zum Vorschein. Die traditionellen Wähler der SPD standen bis vor einiger Zeit hinter dem Fleischtresen und verkauften die Wurst. Inzwischen macht die Partei aber eine Politik für die Kundschaft aus Mittel- und Oberschicht vor der Verkaufstheke, gut verdienend, oft akademisch gebildet und politisch korrekt gesinnt. Es ist eine Klientel von sich aufgeklärt wähnenden Wohlstandsspießern, zu deren Folklore es gehört, sich nach einem neuen 1968 zu sehnen, »Ausdruck eines Wunschdenkens, einer Hoffnung, dass sich endlich etwas tut«.5 Das Gutmenschentum dieses privilegierten Milieus beschränkt sich indes auf Empathie für Benachteiligte wie Frauen, Homosexuelle oder Ausländer, für einheimische Unterprivilegierte hat es eher Verachtung übrig. Den gebildeten Schichten sind Kleinbürger und Proletarier mit unspektakulärer Lebensführung tendenziell verdächtig, engstirnig, rassistisch, ja barbarisch zu sein. Es sind, um im Bild zu bleiben, die Traditionalisten hinterm Fleischtresen, die von alters her die SPD getragen haben und die sich nun von ihr abwenden, weil sozialdemokratische Politik heute an ein liberales Kulturbürgertum adressiert ist, dessen pseudoaufklärerische Luxusprobleme hinter der Theke niemanden interessieren.
Wie sehr diese liberale Grundhaltung die Gesellschaft bis in die kleinsten Verästelungen durchdrungen hat, zeigt ein weiteres Detail. Der Spiegel berichtete jüngst über einen neu eingerichteten Studiengang für Geheimdienst-Mitarbeiter an zwei Hochschulen in Berlin und München. Mit der Ausbildung zum »Master in Intelligence and Security Studies« wollen Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst qualifizierten Nachwuchs heranziehen. In den USA und Großbritannien sei dies schon seit Langem üblich. In Deutschland jedoch hätten die Nachrichtendienste einen schlechten Leumund, wegen der Gestapo im Nazi-Deutschland und der Stasi in der DDR. Um dies zu ändern, sei ein Hauptziel des deutschen Studiengangs, »kritische Geister hervorzubringen«, so der Ausbildungsleiter Jan-Hendrik Dietrich, Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. »Wir wollen nicht zeigen, wie man besser spionieren kann. Es soll reflektierter zugehen.«6 Fehlt hier das Wörtchen »nur«? Sollte es heißen: »Wir wollen nicht nur zeigen, wie man besser spionieren kann«? Vermutlich nicht. Und das passt in die politische Landschaft. Anstatt dass der deutsche Agentennachwuchs von Gastdozenten aus Israel in das Betriebssystem des Mossad, des schlagkräftigsten Geheimdienstes der Welt, eingewiesen wird, wird diese Ausbildung auf die Flughöhe einer sozialdemokratischen Gesamtschule abgesenkt, in der Mathematik oder historische Kenntnisse zugunsten von Gesinnungsschulung vernachlässigt werden. Herauskommen werden in der Regel übrigens keine eigenständigen kritischen Geister, wie wir nach vier Jahrzehnten Schulreformen feststellen, sondern feinnervige Systemopportunisten, die ihr Mäntelchen nach den liberalen Fallwinden auszurichten gelernt haben.
Kurzum, die SPD ist seit fünfzig Jahren, seit Willy Brandt 1969 Kanzler wurde, in diesem Lande kulturell so tiefenwirksam, dass sie sich als Partei gewissermaßen überflüssig gemacht hat. Das Deutschland im Jahre 2019 ist eine sozialdemokratische Republik, die von einer christdemokratischen Kanzlerin seit bald eineinhalb Jahrzehnten regiert wird. Die ZDF-»heute Show« hat nicht ohne Grund gemutmaßt, dass Angela Merkel bei der jüngsten Europawahl wie selbstverständlich SPD gewählt hat.7 Während Linkspartei und Grüne historisch wie programmatisch als abweichlerische Splittergruppierungen gelten können, die sich von der sozialdemokratischen Zentralsonne emanzipieren, nähert sich die Merkel-CDU der SPD als eine Art Schwesterpartei an.
Auf unserem Rundgang wenden wir uns im ersten Kapitel der Mutterpartei unserer linksliberalen Komfortzone zu und versuchen, die Physiognomie der SPD zu umreißen. Die Atmosphäre unter der ehemaligen Vorsitzenden Andrea Nahles haben die Genossen mit den Worten kommentiert: »Die SPD hat ein Personalproblem.« Das Elend der Sozialdemokratie liegt aber woanders. Der Soziologe Ralf Dahrendorf beschrieb schon in den achtziger Jahren die Ausgelaugtheit der Sozialdemokratie, weil sie sich an ihrem Urkonflikt zerreibt: Es ist das Spannungsverhältnis zwischen den Utopisten und den Pragmatikern in der Partei, den Linken und den Rechten, das die Polarität der SPD bis heute kennzeichnet. Wir stellen dann die Frage, ob diese Widersprüchlichkeit nicht zugleich Teil des Erfolgsrezepts war, wie es die Beispiele Willy Brandt und Gerhard Schröder zeigen, und ob eine Volkspartei, die weite Teile der Gesellschaft ansprechen will, ohne solche Paradoxien auskommt. Zu diesen gelebten Unvereinbarkeiten gehört auch der ratlose Umgang der Partei des sozialen Aufstiegs mit Menschen, die den sozialen Aufstieg tatsächlich schaffen. Aufsteigenwollen und Aufgestiegensein werden in der SPD als entgegengesetzte Seinskategorien behandelt. Entsprechend frisst in der Partei die Missgunst häufig genug die Solidarität. Genossen demontieren Genossen, es wird untereinander mehr intrigiert und gestritten als mit dem politischen Gegner. Die Sabotage der Kanzlerkandidatur des Martin Schulz 2017 durch die eigenen Leute ist ein beredtes Beispiel.
Im zweiten Kapitel betrachten wir den Mehltau, die politische Windstille, in der sich die SPD mit ihrer Koalitionsschwester CDU eingerichtet hat, und den Kulturkampf, den die Willkommenskultur seit 2015 entfacht hat. Eine Auseinandersetzung zwischen einer kosmopolitischen Mittel- und Oberschicht, die Nutznießer der neoliberalen Globalisierung ist, und jenen, die ihr wachsendes Unbehagen ob der Kollateralphänomene von Masseneinwanderung in Europa weder ignorieren wollen noch können. Die SPD hat sich auf die Seite der Kosmopoliten geschlagen, die sich jedoch lieber Richtung Grüne orientieren. Die Einwanderungsskeptiker, von denen viele bislang sozialdemokratisch wählten, hat die Partei vernachlässigt.
Das dritte Kapitel widmet sich der liberalen Verwahrlosung, eine kulturelle Entwicklung, die mit einer komplexen Phänomenologie auf das deutsche Urtrauma der Nachkriegszeit reagiert: den Hitler-Komplex. Auschwitz ist zur bundesdeutschen Staatsreligion geworden, die Schuldgefühle halten die Gesellschaft im Zangengriff, die Deutschen als einstige Weltmeister des Unheils versuchen sich heute als Weltmeister humanistischer Tugenden. Der Phänotypus der Politischen Korrektheit ist eine genuin sozialdemokratische Figur, sozialpsychologisch verhalten sich die Deutschen, wie wir es aus der Traumaforschung kennen: Es sind Menschen, die ihre innere Unfreiheit verdrängen.
Ähnlich zerrissen gehen wir mit der sozialen Gerechtigkeit um, um die wir uns im vierten Kapitel kümmern. Die Kehrtwende der SPD unter Gerhard Schröder zum Neoliberalismus hat der Partei den Identitätsverlust beschert. Von der Agenda 2010 hat sich die Sozialdemokratie bis heute nicht erholt. Wir schauen uns an, wie es zu diesem Verrat am Markenkern kommen konnte und welche Vorstellungen in der Partei kursieren, um dieser Falle zu entrinnen. Der junge Genosse und Vordenker Nils Heisterhagen plädiert für einen »linken Realismus«, der auf den Spagat hinausläuft, dass die SPD sich rechte Themen auf linke Weise aneignet. Nur so könne die Partei wieder mehrheitsfähig werden.
Das fünfte Kapitel untersucht, wie schwer es den politischen Eliten fällt, über das Tagesgeschäft hinauszuschauen und zukunftstragende Visionen zu entwickeln. Unangepasstes Querdenken wird zwar allenthalben gern beschworen, aber selten praktiziert. Und wenn sich jemand mit ungewöhnlichen Vorschlägen in die Öffentlichkeit wagt, muss er fürchten, als Querulant diskreditiert zu werden. Unter solchen Bedingungen gedeihen stromlinienförmige Mitläufer. Von den zahlreichen Konzepten über Möglichkeiten, unser Leben intelligenter, nachhaltiger und gerechter zu gestalten, beleuchten wir in aller Kürze drei Projekte, welche die SPD wieder zur gesellschaftlichen Avantgarde werden lassen könnten: Gemeinwohl-Ökonomie, Bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgerversicherung.
Zum Schluss unseres Ausflugs in die seltsame Welt der Sozialdemokratie stellt sich die Frage: Was bedeutet eigentlich das Ende der SPD als linke Volkspartei?
Wir wollen diese Frage hier vorziehen: Seit zwanzig Jahren wurde diese Partei heruntergewirtschaftet. Die letzten beiden Vorsitzenden haben eine beeindruckende Abräumleistung vollführt, als würden sie eine Handlungsanweisung zum Ruinieren der Partei abarbeiten. An ihrer Seite stand eine Führungsclique in den obersten Gremien und hat ihre Parteichefs einschlägig gesteuert. Eine Erneuerung der Partei, die als Begriff längst zur Phrase verkommen ist, setzt das Ausmisten in der Parteizentrale voraus, das Führungspersonal muss ausgewechselt werden.
Selbstverständlich gibt es in der SPD hervorragende Leute, die eine neue Sozialdemokratie schaffen können. Allerdings sind sie der Öffentlichkeit unbekannt. Ändern können das nur die betreffenden Leute selber. Indem sie auf die Bühne drängen und sich von dem machtpolitischen Regelwerk des Partei-Establishments nicht aufhalten lassen. Dazu benötigen sie soziale Intelligenz, Gerechtigkeitsgespür und Alphatier-Qualitäten, den Willen zur Macht.
Dieses Land braucht eine neue, eine starke SPD. Das sagen sogar ihre politischen Gegner.
1 Zitiert in: Focus Online im Januar 2013, https://www.focus.de/finanzen/
news/tid-29319/political-correctness-klappe-zu_aid_911015.html. Das Zitat wurde von Peter Sloterdijk nochmals autorisiert in einem Telefonat mit dem Autor am 4. Mai 2019.
2 Robert Pfaller: Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie, Fischer, Frankfurt/Main 2012, S. 113.
3 ZDF-heute Show am 31. Mai 2019.
4 Focus Online vom 31. Mai 2019, https://www.focus.de/familie/familie_ausbildung/lichtenfels-mutter-beleidigt-verkaeuferin_id_10778350.html.
5 Der Spiegel Nr. 23 vom 1. Juni 2019, S. 14.
6 Der Spiegel Nr. 23 vom 1. Juni 2019, S. 56/57.
7 ZDF-»heute Show« am 31. Mai 2019.