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Yavi Hameister | Dr. Simone Koch

Happy
HASHIMOTO

Yavi Hameister | Dr. Simone Koch

Happy
HASHIMOTO

Ein praktischer Leitfaden für ein Leben mit der Krankheit

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@mvg-verlag.de

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Originalausgabe

4. Auflage 2021

© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Stephanie Kaiser-Dauer

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: shutterstock.com/antart

Satz: abavo GmbH, Tatjana Pfluger

Druck: CPI books GmbH, Leck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7474-0123-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-479-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-480-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort

1. Die bekannteste Autoimmunerkrankung – eine Einführung

Was ist los mit mir?

Die Diagnose – schwarz auf weiß

Eine Irrfahrt

Hoffnung und Hilfe

Autoimmunerkrankungen – die Grundlagen

Unser Immunsystem – Generalisten, Spezialisten und Ordnungswächter

Auswirkungen von Autoimmunerkrankungen auf den gesamten Körper

Ursachen von Autoimmunerkrankungen

Hashimoto im Speziellen und Diagnostik

Wer attackiert hier wen?

Hashimotothyreoiditis – eine Erkrankung mit vielen Beteiligten

Hormone der Schilddrüse und Schilddrüsen-hormonachse und ihre Transporter

Eine Erkrankung, 1000 Symptome: Die Schilddrüse als Masterorgan mit verschiedenen Hormonachsen

Gemeinsam gegen Hashimoto: Unsere Therapie

Erschreckende Wendung

2. Und täglich grüßt dein Hashimoto – sag Adieu!

Die vier Phasen

Happy und Hashimoto sind kein Widerspruch

Veränderungen beginnen im Kopf

Nicht ohne meine Medizin

Behandlungsoptionen der Hashimotothyreoiditis – eine Übersicht

Hormonelle Behandlung der Schilddrüsenunterfunktion

TSH: nicht mehr da

Ausprägungen und Behandlungen der autoimmunen Reaktion

Mögliche Tests zur Ermittlung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Entzündungen als Trigger der Autoimmunreaktion

Behandlung durch direkte Immunmodulation

Behandlung hormoneller Dysbalancen im Alltag

3. Mindset und psychologische Strategien

Du bist, was du denkst

Das Glas ist halb voll, nicht halb leer

Tipps für dein tägliches Wohlbefinden

4. Dickmacher Hashimoto?

Der Stoffwechsel in der Hypothyreose

Regulierende Maßnahmen

Du bist nicht allein

So nimmst du gesund und langfristig ab

Heißhunger während einer Diät

Intermittierendes Fasten

Remission – aber das Gewicht bleibt

5. Kinderwunsch

Von unfruchtbar zu Zweifachmama

Der Zusammenhang zwischen Hashimoto und unerfülltem Kinderwunsch

6. Bewegung und sportlicher Lifestyle

Sport – wie, wie viel und was?

Sport und Autoimmunerkrankungen

7. Unzertrennlich: Hashimoto und der Darm

8. Ernährung

Wie ernähre ich mich also heute?

Meine Ernährungsroutine

Gluten: Wo ist es drin und wie können wir es vermeiden?

Und was ist mit Hafer?

Süßstoffe: Welche ja, welche nein?

Kohlenhydrate clever einplanen

Vegane Ernährung?

9. Nahrungsergänzungsmittel

Meine täglichen Booster

Prima Proteinpulver

10. Einkaufsliste: Do’s und Don’ts der Hashi-Küche

Was nicht fehlen darf

11. Tipps für die tägliche Küche und für unterwegs

Simones Tipps

Yavis Tipps

12. Wie erkläre ich anderen, was mit mir los ist?

13. Zusammenfassung und abschließende Worte

Danksagung

Quellen

Für unsere Jungs

Vorwort

Yavi Hameister

Lass mich raten: »Happy Hashimoto« auf dem Cover zu lesen, hat dich ein bisschen provoziert und vielleicht auch neugierig gemacht, denn der Titel ist ja schon irgendwie dreist und nice zugleich. »Happy Hashimoto« mag vielleicht widersprüchlich oder gar unlogisch klingen und dich verärgern. Oder der Titel kitzelt und reizt, denn er erinnert dich an einen Wunsch, den jemand in Ironie verpackt hat, um nicht enttäuscht zu werden, wenn der Wunsch nicht in Erfüllung geht. Für uns enthält der Titel von allem ein bisschen: »Happy mit Hashimoto« war mal eine widersprüchliche Aussage, dann ein sehnsüchtiger Wunsch, heute ist es wunderbare Realität, Paradigma, Therapiemethode und persönliches Leitmotiv – und es ist die Essenz dieses Buchs. Ein Buch, das zum Ziel hat, neben gesund, vor allem happy zu machen – trotz, mit oder sogar dank Hashimoto. Wir haben durch unsere eigenen Erfahrungen mit der Krankheit und durch unsere Arbeit festgestellt, dass glücklich zu sein vielleicht sogar der größte Wunsch ist, den Hashimoto-Betroffene haben, da Hashimoto fast immer mit Dunkelheit, Traurigkeit, Verzweiflung, Resignation und manchmal sogar schweren Depressionen einhergeht. Doch wir sagen, dass dieser Wunsch wahr und außerdem zu deiner größten Chance auf ein beschwerdefreies Leben werden kann – ein bisschen durch die Informationen auf diesen Seiten und vor allem dank deiner Bereitschaft für Veränderungen, Selbstverantwortung und Lebensfreude.

Okay - aber wer sind »WIR« eigentlich, und wieso glauben wir zu wissen, was du denkst und brauchst?

Ich bin Yavi, eine zweifache Jungsmama aus Köln und von Beruf Autorin, Bloggerin/Social Media Content Creator, Nutrition-und Fitnesscoach sowie prä- und postnatale Trainerin. Vor zwei Jahren wurde bei mir Hashimoto diagnostiziert, und ich erlebte eine bedrückende Welt aus physischer Schwere, Tristesse, Verzweiflung, die mich zuweilen ans Bett fesselte und arbeits- und sozialunfähig und außerdem wahnsinnig ratlos machte. In diesem Buch berichte ich von meinen Erfahrungen, Herausforderungen, Therapieschritten, mentalen wie psychischen Strategien, maßgeblichen Veränderungen und letztlich Erfolgen – denn innerhalb eines Jahres war ich in Remission, also symptomfrei!

Ohne meine Ärztin, Dr. Simone Koch, wäre dieser rapide Wandel nicht möglich gewesen, und ich bin unglaublich dankbar, dass ich sie als Co-Autorin für dieses Buch gewinnen konnte. Denn ich bin der Überzeugung, dass ihre funktionell-medizinische Herangehensweise, ihre greifbaren Erklärungen von häufig undurchschaubaren Kausalitäten, die Hashimoto zu dieser schwer zu therapierenden Krankheit machen, sowie ihre weitsichtigen Lösungsansätze lebensverändernd sein können.

Simone hat ihre Weiterbildungsjahre nach dem Medizinstudium in der Gynäkologie und Geburtshilfe absolviert, aufgrund ihrer eigenen Krankheitsgeschichte dann jedoch entschieden, einen anderen Weg zu gehen und sich mit einer Praxis niederzulassen, die auf einen ganzheitlichen Behandlungsansatz bei Autoimmunerkrankungen spezialisiert ist. Sie ist außerdem ebenfalls Mama von zwei Jungs, mit denen sie in Berlin lebt. Wir teilen die Begeisterung für Ernährungsthemen und Bewegung.

Was uns beide verbindet, ist nicht nur Hashimoto – denn auch Simone ist ein »Hashi« in Remission –, sondern die Begeisterung für Ernährung und Sport sowie die Art, wie wir uns, unseren Körper und die Welt betrachten. Kurz: Wie wir unser Leben leben. Wir sagen: Unser Körper mag krank sein, doch unser Geist ist es nicht – also benutzen wir unseren Geist, um unseren Körper bei seiner Genesung zu unterstützen. »Train your mind and the body will follow« – was als psychologischer Leitspruch im Sport gilt, gilt auch für uns. Und was braucht der Geist, um voll einsatzfähig zu sein? Happiness! Ist man mental stark, positiv und in seiner Mitte, findet man die Kraft, Hashimoto zu überwinden und beschwerdefrei zu leben. Wusstest du, dass »Freude« in der Traditionellen Chinesischen Medizin eine der fünf prägenden und gesundheitsbeeinflussenden Emotionen ist, die bei Abstinenz krank und bei positiver Erscheinung gesund machen kann?

Mit guter Laune, Lebensfreude und Räucherstäbchen ist es unserer Meinung nach nicht getan, und du bist höchstwahrscheinlich nicht gesund, wenn du zwei Wochen ununterbrochen tanzt, lachst und hoch spirituell lebst. Hashimoto ist eine ernstzunehmende Autoimmunerkrankung, die eine schulmedizinische Betreuung benötigt. Doch sie ist auch eine Erkrankung, die sich durch Lebensstil, Ernährung und Gedanken steuern lässt. Und das ist unsere Chance! Wir haben selbst in der Hand, wie es unserer Schilddrüse geht – und damit Körper und Geist!

Wir möchten dir zeigen, wie du dieses »In-der-Hand-haben« einsetzt. Wie du zu den richtigen Hilfsmitteln greifst und wovon du lieber die Finger lässt. Du allein entscheidest, was du einsetzt, denn das Wichtigste ist deine Intuition. Sie soll dich unbedingt weiter begleiten auf deinem Weg aus den Beschwerden, die so individuell sind wie jede Hashimoto-Therapie. Was wir tun können, ist, dich zu inspirieren – mit unseren Gedanken und Methoden, mit denen nicht nur Simone in ihrer Praxis große Erfolge feiern konnte, sondern auch ich als Patientin.

Was diesen kleinen Hashimoto-Ratgeber von anderen unterscheidet, ist, dass dir damit ein authentischer Erlebnisbericht und eine medizinisch-fundierte Analyse von einer der renommiertesten Expertinnen auf dem Gebiet der Autoimmunerkrankungen in einem vorliegt und wir beides mit praktischen, erprobten und einfachen Alltags- und Ernährungstipps ergänzen. Du brauchst weder ein Wörterbuch noch besonders viel Ahnung von Hashimoto, Kochtalent oder ein dickes Konto zu haben. Wir erklären dir, was mit dir los ist, und sagen dir, wohin es für dich gehen kann, und versprechen, dass es für jeden umsetzbar ist. Wer etwas anderes behauptet, sucht Ausreden, um nicht aus seiner Komfortzone herauskommen zu müssen. Denn um ein bisschen Eigeninitiative, Disziplin und Fleiß wirst du nicht herumkommen.

Ein weiterer Aspekt, der diesen Ratgeber zu einem Rundum-sorglos-Paket werden lässt, ist unsere Nähe zu unseren Lesern – noch bevor sie das Buch überhaupt in den Händen hielten. Denn sowohl Simone als auch ich sind auf Social Media aktiv und haben während des Schreibprozesses unzählige Fragen, Sorgen, Wissenslücken und Zweifel von Hashimoto-betroffenen Followern gesammelt und in diesen Ratgeber einfließen lassen. Unser Anspruch war, genau dort anzusetzen und aufzuklären, wo die Fragezeichen sitzen. Ganz egal, wie speziell die Fragen auch waren – wir haben sie auf den nächsten Seiten beantwortet.

Und doch war es uns unmöglich, auf jeden medizinischen, biologischen, psychologischen, sport- und ernährungswissenschaftlichen Bereich, der mit Hashimoto in Berührung kommt, in aller Ausführlichkeit einzugehen. Es gibt einfach zu viele interne und externe Einflussfaktoren, die über unser Leben mit Hashimoto entscheiden und eigene Bücher füllen könnten – der Darm, die Nebenniere oder die Macht von Spiritualität oder der Antioxidantien. Wir haben uns entschieden, die allerwichtigsten Komponenten zwar aufzuführen, uns jedoch auf die praktische Anwendung von ganzheitlichen Therapieansätzen zu konzentrieren, einen sinnvollen Leitfaden zu erstellen und damit das weiterzugeben, was bei uns funktioniert hat und uns häufig vergessen lässt, dass wir die am weitesten verbreitete Autoimmunerkrankung haben. Wir sind nicht frei, weil Hashimoto nicht heilbar ist. Was aber entscheidend ist: Hashimoto muss auch nicht »frei« sein, denn wir können der Krankheit zumindest Riegel vorschieben und haben es selbst in der Hand, ob wir sie wieder öffnen.

Schätzungen zufolge sind es allein in Deutschland 8 Millionen Menschen, die unter Hashimoto leiden. Es können also gar nicht genug Ratgeber geschrieben werden, um diesen Menschen zu helfen, ihre Lebensqualität zurückzugewinnen, sich von den Fesseln ihrer Hormone zu befreien, ganz in ihre Power zu kommen und einfach glücklich zu werden.

Yavi Hameister

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Die bekannteste Autoimmunerkrankung – eine Einführung

 

Was ist los mit mir?

Yavi Hameister

Die Tage waren dunkel. Es lag jedoch nicht nur am Winter, der es im Übrigen noch nie in die Top-3 meiner Lieblingsjahreszeiten geschafft hatte. Nein, es war anders als sonst in den Zeiten meiner harmlosen Winterdepressionen, ICH war völlig anders und erkannte mich nicht wieder. Während ich in meinen ersten 30 Lebensjahren ein unermüdliches Powerpaket war und schon morgens putzmunter aus dem Bett sprang, hatte ich plötzlich Mühe, Körper und Gedanken zu bewegen. Die Glieder schwer, die Augenlider drückend, die Stimmung im Keller und mein Energielevel auch. Ich erinnere mich noch gut an den Morgen im November 2017, an dem ich meinen zweijährigen Sohn aus seinem Bettchen im Nebenzimmer nach mir rufen hörte und einige Minuten lang nicht in der Lage war, zu ihm zu gehen. Mein Bett hielt mich fest umklammert und alles, was ich wollte, war für immer darin liegenbleiben zu können.

Undenkbar. Denn nicht nur mein Zweijähriger brauchte mich, auch mein Kleinster, der sich mit seinen gerade mal zwei Monaten dicht an meinen Körper schmiegte und jede Stunde nach meiner Brust verlangte. Ich konnte gar nicht sagen, ob er oder das Leben mich leer sog. Zu diesem Zeitpunkt fragte ich mich täglich, wie ich die banalsten Dinge des Alltags erledigen und vor allem: wie ich mich um meine kleinen Jungs kümmern sollte.

Ich versuchte das lähmende, drückende und beängstigende Gefühl zu verdrängen, indem ich meinen Fokus auf meine ewig lange To-Do-Liste lenkte und beschloss, zu funktionieren, bis die restlichen Funktionen meines Körpers wiederkehren würden und sich alles einfach besser anfühlte. Diese stupide Fließband-Strategie hatte schon in meiner Vergangenheit mehrfach Wirkung gezeigt, und ich war mir sicher, meine Probleme würden verschwinden, sobald ich mein ganz großes Projekt abgeschlossen hätte. Ich arbeitete zu dieser Zeit seit einigen Monaten an meinem ersten Buch, und nun stand ich kurz vor der Abgabe des Manuskripts beim Verlag. Es war eine aufregende, belastende Zeit. Drei Wochen nach der Geburt meines Sohnes waren wir in eine andere Stadt gezogen, ich war mit meinen Kindern meist allein, und beide klebten wie Magneten an meinem Körper – was ich gut verstehen, nur nicht gut ertragen konnte. Der Druck von allen Seiten war immens, und der Stresspegel wuchs zusammen mit den Verpflichtungen über meinen Kopf. Er brummte und schmerzte und war voller Zweifel, Ängste und Fragezeichen. Denn zwischen all dem starren Funktionieren klopfte immer wieder die Frage an meine Schädeldecke, ob ich wohl eine postnatale Depression hätte oder wieder kurz vor einem Burnout stünde.

Ich hatte schon mal einen Burnout gehabt, mit 25. Und musste nun feststellen, dass die Symptome in den Anfängen sehr ähnlich gewesen waren. Antriebslosigkeit bis hin zur absoluten Unfähigkeit, selbst Kleinigkeiten zu erledigen, begleitet von schmerzenden Wassereinlagerungen, einer unendlichen Müdigkeit, Trostlosigkeit, heftigen Stimmungsschwankungen, dunklen Gedanken und infolgedessen einem Rückzug ins Schlafzimmer, einer sozialen Isolation und der Unklarheit darüber, ob und wie es weitergehen könnte. Ich lernte also schon in meinen Zwanzigern, wie sich Depressionen anfühlen, wie schnell und sorglos Antidepressiva verschrieben werden und wie immens ihre Wirkung auf unsere Psyche ist – ich hatte die Pillen nach zwei Monaten abgesetzt, weil ich vor meinen eigenen suizidalen Gedanken erschrak. Mit Therapien und vielen eigenen mentalen Strategien gelang es mir, die Depressionen zu besiegen, und ich versprach mir: Das würde mir nie wieder passieren, dafür würde ich mit der Macht meiner Gedanken und Taten sorgen.

Und doch sah ich mich in diesem Winter erneut vor dieser grässlichen Gefängnistür meines eigenen Gehirns stehen und hoffte inständig, sie würde sich nicht wieder öffnen.

Mit einem professionellen Pokerface erfüllte ich all meine Rollen – als Zweifachmama, Ehefrau, Fitness Coach, Ernährungsberaterin, Bloggerin und Buchautorin –, ignorierte meine »Depressionen«, so gut ich konnte, und malte mir ein wunderbares Ende aus, bei dem der Spuk im Moment der Fertigstellung meines Buchs vorbei wäre. Als ich mein Manuskript endlich abgab, rechnete ich täglich recht naiv damit, dass sich die körperlichen und psychischen Symptome in Luft auflösen würden. Meine Kinder waren schließlich nicht mehr so anhänglich, der Winter war dieses Mal nicht besonders winterlich, und darüber hinaus gab es keine anderen nennenswerten Stressfaktoren mehr. Doch dieses Fremdkörpergefühl, die schlechte Laune, die Reizbarkeit, der schlechte Schlaf, das Herzrasen, die Schweißausbrüche, diese verdammte, unerträgliche Fatigue blieben, und aus Verzweiflung beschloss ich, zum Arzt zu gehen, um mich auf körperliche Ursachen untersuchen zu lassen.

Die Diagnose – schwarz auf weiß

Yavi Hameister

Noch im November suchte ich ungeduldig meinen neuen Hausarzt auf und bat ihn direkt, unbedingt auch meine Schilddrüsenwerte zu checken, da ich seit meiner ersten Schwangerschaft unter einer mit L-Thyroxin behandelten Unterfunktion litt und sich diese mit der zweiten Schwangerschaft erhöht hatte. Normalerweise werden die Schilddrüsenwerte routinemäßig bei der gynäkologischen Nachsorge untersucht, wenn bei der Mutter eine Schilddrüsenauffälligkeit in der Schwangerschaft bestanden hatte, doch bedingt durch meinen Umzug und damit verbunden dem Arztwechsel hatte diese Untersuchung nicht stattgefunden.

Der Arzt war sehr aufmerksam, aufgeschlossen und schien mich ernst zu nehmen, wodurch er gleich mein Vertrauen gewann. Eine schöne Überraschung und eine sehr gute Grundlage für unsere Arzt-Patientin-Beziehung – und ein kleiner Hoffnungsschimmer an meinem pechschwarzen Horizont.

Nach einigen Tagen rief die Praxis an und bat mich, zum Ultraschall der Schilddrüse zu kommen, da einige Werte auffällig gewesen seien. Ich war im ersten Moment tatsächlich erleichtert, denn wenn es einen medizinischen Grund für all die Symptome gab, dann hatte ich mir das alles nicht eingebildet, und eine Depression war es auch nicht.

Erwartungsvoll lag ich auf der Liege und schaute auf den Monitor. Der Arzt beschrieb mir das kleine Organ, das ich noch nie zuvor gesehen hatte, im Detail, ließ sich bei seiner Erkundungstour reichlich Zeit und sagte schließlich: »Sie haben Hashimoto, das wissen Sie, oder? Das kann man anhand des löchrigen Musters auf Ihrer Schilddrüse gut erkennen.«

Mein erster Gedanke galt einer alten Freundin, die mir vor Jahren von der Krankheit mit dem exotischen Namen erzählt hatte, und ich war augenblicklich ganz entspannt. Ach, Hashi-Dingsbums. Muss harmlos sein. Soweit ich mich erinnern kann, kämpft sie mit ein paar überschüssigen Kilos und ist manchmal etwas müde, nimmt aber täglich eine Tablette, und damit hat sich’s.

»Nee, nicht gewusst«, sagte ich meinem Arzt und fragte ihn klipp und klar: »Und was jetzt?«

Er schien ebenfalls ganz unbeeindruckt und erklärte mir, dass ich mich aktuell in einer Überfunktion befände und deshalb die Schilddrüsenhormone, die ich seit der ersten Schwangerschaft einnehme, reduzieren müsse. Das würde reichen, und ich solle mir keine Sorgen machen, denn »viele haben Hashimoto und kommen gut damit klar«.

Alles klar. Ganz befreit ging ich nach Hause und freute mich auf die bevorstehende Zeit, die sicherlich von einem neuen Lebensgefühl geprägt sein würde. Ich freute mich vor allem darauf, morgens nicht mehr so müde aufzuwachen, wie ich abends einschlief, und darauf, mich insgesamt fitter, positiver und einfach wieder »wie früher« zu fühlen. Ich nahm nun 50 statt 75 mcg L-Thyroxin ein und wartete. Und wartete.

Vergebens. Es änderte sich nichts. Ich war verzweifelt, verärgert und ratlos.

Nach einigen Wochen ging ich zum Kontrolltermin und erfuhr, dass ich nun wieder in einer Unterfunktion sei. Also wieder mehr L-Thyroxin einnehmen. »Ganz normal, diese Schwankungen«, sagte mein Arzt, »wir müssen Sie nur gut einstellen, und bald geht es Ihnen wieder besser.«

Eine Irrfahrt

Yavi Hameister

Die Wochen vergingen, die Symptome blieben. Meine depressiven Verstimmungen versuchte ich mit aufgesetzter guter Laune, etwas Yoga und einem Dankbarkeitstagebuch zu regulieren, da ich gelesen hatte, man könne sein Gehirn überlisten – es erkenne nämlich nicht, ob ein Lächeln gefaked oder echt sei. Wenn also die Yoga-Lehrerin sagte: »Öffnen Sie Ihr Herz und strahlen Sie« oder »Schenken Sie sich ein Lächeln«, tat ich all das, und irgendwie fühlte ich mich dann immer etwas glücklicher. Kurzzeitig. Was sich nicht überspielen ließ, waren meine wie ausgelöschte Libido, Konzentrations- und Denkprobleme, Vergesslichkeit, Muskelschwäche und -schmerzen, schlechte Haut und Nägel, immenser Haarausfall und eine quälende Unruhe, die sich immer wieder in Wutausbrüchen und anderen emotionalen Extremen entlud. Ich nahm auch zu – wobei mich das nicht wunderte, denn ich hatte einen unkontrollierbaren Heißhunger und stopfte insbesondere in Stresssituationen, von denen es in diesem besagten Winter ungewöhnlich viele gab, bevorzugt Süßes in mich hinein. Diese Dysbalance in allen Lebenslagen erhöhte die innere Unruhe und Unzufriedenheit, und je mehr ich meinen negativen Emotionen nachgab, desto stärker wurden auch die körperlichen Schmerzen. Hatte ich zum Beispiel wenig geschlafen, fühlte ich mich am Morgen gestresster und erschöpfter und verschlang infolgedessen zu viel Schokolade, Kuchen, Eiscreme und Kaffee, weshalb mich mein Körper mit Kopfschmerzen, Glieder- und Muskelschmerzen und insbesondere abends mit unerträglichen Hitzewallungen und Schweißausbrüchen bestrafte, die – ihr könnt es euch denken – wieder zu Ein- und Durchschlafproblemen führten. Ein Baby, das nachts selten länger als 45 Minuten am Stück schlief, machte es natürlich nicht besser. Ich war gefangen in einem Teufelskreis, aus dem ich nicht ausbrechen konnte, weil ich keine Ausgangstür und für die Suche danach keine Kraft fand. Und zum ersten Mal seit langer Zeit dachte ich, ich würde den Kampf verlieren und mich dem Schicksal zum Opfer werfen.

Doch da war irgendwo tief in mir dieser kleine, aber zappelige Kampfgeist. Und dieser zeigte mit seinem Fingerchen immerzu auf meine beiden Kinder, und wenn mich die Verzweiflung packte, waren sie mein größter Ansporn, nicht feige aufzugeben, sondern weiter nach Lösungen zu suchen. Also versuchte ich, zumindest kleine Schritte nach vorne zu machen: Ich schlief häufiger auch tagsüber für ein bis zwei Stunden und ging abends früh ins Bett, bewegte mich mit meinen Kindern viel an der frischen Luft, hörte ganz intuitiv, ja, fast aus einem Gefühl des Ekels auf, Fleisch zu essen, trank literweise Wasser und ein teures grünes Superfood-Pulver – in der Hoffnung, mit einem entsprechenden Lifestyle mein Wohlbefinden zu steigern. Ich hatte mich zwar schon viele Jahre gesund ernährt und sportlich betätigt, doch Stress, emotionaler wie auch körperlicher Natur, war mein täglicher Begleiter, und ich fragte mich nun instinktiv, ob er die Hashimoto-Symptome verstärkte. Auf die Idee, zu recherchieren und Behandlungsmöglichkeiten zu finden, kam ich seltsamerweise nicht. Stattdessen dachte ich: Meine Freundin nimmt doch auch nur eine Tablette täglich und kommt super klar – vielleicht muss ich einfach noch ein bisschen warten, bis die Tabletten wirken?!

Nach einigen Wochen fühlte ich mich besser und hatte endlich wieder wirklich gute Tage, doch sie gingen unter in dem riesigen Meer aus negativen Gefühlen, die ich teilweise nicht greifen und beeinflussen und schon gar nicht verdrängen konnte. So kannte ich mich nicht, und ich wünschte mir die Yavi zurück, auf die ich mich immer verlassen konnte. Die, die stets mehr lachte als weinte, auch, wenn es mal nicht so rund lief. Die Yavi, die motiviert und voller (Lebens-) Energie war und Frieden verspürte, auch, wenn sie mal kämpfte. Die Yavi, die sich über den großen Erfolg ihres ersten Buches freuen konnte, und nicht die, die sich vor lauter Müdigkeit und Antriebslosigkeit von der Sonne abwandte. Doch diese Yavi war einfach nicht mehr da und kam auch nicht wieder, obwohl sie brav und pünktlich ihr L-Thyroxin schluckte.

Ich sprach schließlich öffentlich auf meinem Instagram-Profil von meiner Diagnose und meinen Symptomen. Das Feedback war überraschend und überwältigend – so viele Gleichgesinnte! Eine Followerin machte mich schließlich auf eine Berliner Ärztin aufmerksam, die auf dem Gebiet der Autoimmunerkrankungen eine Koryphäe sei: Dr. Simone Koch. Innerhalb weniger Tage hatte ich die meisten ihrer Texte im Internet gelesen und erschrak, wie wenig ich eigentlich von Hashimoto wusste – und vor allem: vom Zusammenhang zwischen Ernährung und Lebensstil und der Ausprägung der Entzündung und ihrer Symptome. Ich musste diese Frau treffen! Und so fragte ich sofort einen Beratungstermin an.

Hoffnung und Hilfe

Yavi Hameister

Ich hatte Glück, und Dr. Simone Koch stimmte einem Besuch zu, den ich mit einem beruflichen Trip in die Hauptstadt verband. Mittlerweile war es Mai, und sechs Monate waren seit der Diagnose vergangen. Der Winter war außergewöhnlich lang gewesen.

Das Gespräch verlief ganz anders als bei jedem anderen Arzt, den ich bislang aufgesucht hatte. Simone nahm sich sehr viel Zeit, fragte nach meiner Kindheit, Vorerkrankungen, meinem Zyklus, meiner Ernährung, meinem Lebensstil und vielen anderen Themen, und während ich erzählte, tippte sie wild auf ihrer Tastatur herum und war hoch konzentriert und zugänglich zugleich, so dass ich ihr währenddessen all meine Fragen stellen und ausführliche, verständliche Antworten erwarten konnte.

Ich fühlte mich verstanden, und ich fühlte mich inspiriert, denn Simone erzählte mir, dass sie selbst seit 20 Jahren Hashimoto habe und mittlerweile symptom- und medikamentenfrei lebe. Möglich sei dies aber nur gewesen, weil sie ihren Lebens- und Ernährungsstil komplett an die Krankheit angepasst habe, und sie würde mir nun helfen, mich ebenfalls von den Symptomen der Autoimmunerkrankung zu befreien.

Ich klebte an ihren Lippen, denn die Symptome loszuwerden war angesichts dessen, dass Hashimoto unheilbar ist, mein größter Wunsch. Eineinhalb Stunden voller Anamnesefragen, Informationen, Aha-Momenten, Blutabnahmen und Stuhlprobenbehälter »to go« später hüpfte ich fröhlich und überfordert zugleich aus ihrer Praxis, rief aufgeregt meinen Mann an und sagte: »Es wird hart, aber ich glaube, es wird bald alles besser!«

Autoimmunerkrankungen – die Grundlagen

Dr. Simone Koch

Waren es vor der Erfindung der Antibiotika vor allem Infektionskrankheiten, die die Menschheit quälten und oft ein verfrühtes Ende des Lebens herbeiführten, so sind die Autoimmunerkrankungen die Epidemie der heutigen Zeit. Noch in den 1970er Jahren waren autoimmune Erkrankungen oft vorübergehende Phasen in den frühen Lebensjahren eines Menschen, welche sich mit der Zeit »verwuchsen«. Sowohl Erkrankungen des atopischen Formenkreises – also Erkrankungen, zu denen bestimmte Menschen eine genetische Veranlagung haben – wie Neurodermitis, Asthma und Heuschnupfen mit den dazu gehörigen Allergien als auch viele der schweren Autoimmunerkrankungen traten vorwiegend im Kindesalter auf. Heute kommt es hingegen vermehrt auch im höheren Alter zur Entwicklung einer Autoimmunerkrankung, und die Rate an Allergien ist bei 60-Jährigen höher als bei Kindern und Jugendlichen. Auch wenn von den Betroffenen vermutete Sensitivitäten und Intoleranzen gegenüber Nahrungsmitteln zu einem gewissen Anteil durchaus ein Trendphänomen sind, so zeigen die Menge an Lebensmitteln für Allergiker, der Zwang zur konkreten Auszeichnung von potenziell allergieauslösenden Stoffen in Restaurantmahlzeiten sowie die Veräppelung in Comics bei Facebook doch, dass es quasi unmöglich geworden ist, einen Kuchen für einen Kindergeburtstag zu backen, den alle anwesenden Kinder essen können, denn Allergien sind ein Problem in der heutigen Wohlstandsgesellschaft geworden. Aber nicht nur harmlosere Autoimmunerkrankungen und Allergien sind stark zunehmend, auch die Zahl der neu von schwerwiegenden Autoimmunerkrankungen Betroffenen nimmt in den westlichen Ländern Jahr für Jahr stark zu. Zwar wurden Krankheiten wie Zöliakie – eine autoimmune Erkrankung, die zur Zerstörung der Darmschleimhaut führt – schon im alten Ägypten auf den Wänden von Tempeln beschrieben, sie traten aber selten auf. Inzwischen betreffen Autoimmunerkrankungen einen großen Prozentsatz der Bevölkerung. Für die Hashimotothyreoiditis (kurz »Hashimoto«) wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass etwa 7–10 % der deutschen Bevölkerung betroffen sind, weshalb man durchaus von einer Volkskrankheit sprechen kann.

Ohne unser Immunsystem wären wir den Bakterien und Mikroorganismen, die auf unserer Haut und in unserem Körper leben, hilflos ausgeliefert und würden von ihnen innerhalb kürzester Zeit getötet und dann gefressen werden. Menschen mit gravierenden Defekten des Immunsystems leben in der ständigen Gefahr tödlicher Infektionen und können überhaupt nur in einer künstlich geschaffenen, absolut keimarmen Umgebung überleben. Das Erkennen von feindlichen Zellen und Angreifern ist also für das Überleben unseres Körpers absolut notwendig. Gleichzeitig müssen die zum Teil sehr effektiven Killer aus dem Immunsystem jedoch lernen, wer Feind und wer Freund ist, um die körpereigenen Zellen in Ruhe zu lassen. Dieses sensible Gleichgewicht ist bei Autoimmunerkrankungen gestört, und die Abwehrzellen des Immunsystems verhalten sich wie völlig übermüdete und schwer gestresste Soldaten, die nicht mehr unterscheiden können, wer in welche Kategorie gehört. Verschiedene Mechanismen können zudem dazu beitragen, dass die Verteidiger unserer Körperintegrität in die Irre geführt werden und versehentlich körpereigene Zellen angreifen.

Unser Immunsystem – Generalisten, Spezialisten und Ordnungswächter

Dr. Simone Koch

Als ein hoch kompliziertes und effektives System verfügt unser Immunsystem über eine ganze Reihe von Zellen, die unser Überleben gewährleisten. Hier gibt es Generalisten, welche zu jedem Zeitpunkt ihre Wachrunden laufen und im Zweifelsfall Alarm schlagen. Diese haben keine wirklich effektiven Waffen und Möglichkeiten zur Abwehr von Feinden, zum Teil können sie tatsächlich nur um Hilfe rufen. Dafür sind sie aber immer da und bereit und günstig in der Unterhaltung.

Darüber hinaus gibt es die Spezialeinheiten, welche nur dann gerufen werden, wenn die Generalisten mit dem Angreifer nicht zurechtkommen. Diese müssen besser ausgebildet werden und sind damit »teurer«, was im Falle unseres Körpers bedeutet, dass für ihren Einsatz erheblich mehr Energie und Nährstoffe gebraucht werden als bei den Generalisten. Dafür verursachen sie allerdings auch weniger Kollateralschäden, da sie sehr viel spezifischer gegen Eindringlinge vorgehen.

Da diese Spezialeinheiten für den Kampf und die bedingungslose Zerstörung ausgebildet werden, gibt es noch die Strategen und Ordnungswächter, welche koordinieren, wann, wen und ob sie überhaupt angreifen sollen.

Dieses System ist aufgrund seiner Komplexität anfällig für Fehler. Schon kleine Veränderungen können dazu führen, dass plötzlich nicht mehr der fremde Angreifer, sondern aus Versehen der harmlose Nahrungsbestandteil oder die körpereigene Zelle angegriffen wird. Da die Truppen des Immunsystems wie oben erwähnt teuer im Unterhalt sind, verbraucht unser Körper zudem unverhältnismäßig viel Energie, wenn diese sich im Daueralarm befinden. Diese Energie und Nährstoffe stehen dann an anderer Stelle nicht mehr zur Verfügung, was von den Betroffenen durch quälende Müdigkeit, Erschöpfung und Kraftlosigkeit oft schmerzhaft wahrgenommen wird.

Auswirkungen von Autoimmunerkrankungen auf den gesamten Körper

Dr. Simone Koch

Auch wenn viele Autoimmunerkrankungen nur ein bestimmtes Organ angreifen wie etwa die Schilddrüse oder die Nebenniere, handelt es sich um systemische Erkrankungen, die den ganzen Körper betreffen und mit einem chronisch entzündlichen Geschehen einhergehen. Daher betreffen auch die Auswirkungen in vielen Fällen den ganzen Körper und können zu Symptomen weit weg vom betroffenen Organ führen. Die wahrscheinlich häufigsten Symptome von Autoimmunerkrankungen, die bei fast allen Formen zu finden sind, sind Müdigkeit und Erschöpfung. Da unser Immunsystem ein extremer Energieräuber ist, führt seine chronische Überaktivierung dazu, dass anderen Systemen phasenweise oder dauerhaft nicht ausreichend Energie zu Verfügung steht. Hierdurch kann es im schlimmsten Fall zu einem kompletten Dichtmachen aller Systeme kommen, was Naheohnmachten, schwere Schwächeanfälle oder bei chronischen Aktivierungen Bettlägerigkeit zu Folge haben kann. Der chronische Stress, den die Erkrankung selbst verursacht, führt zudem zu einer ständigen Überaktivierung der Nebenniere, was in der Folge zu funktionellen Problemen an der Nebennierenachse mit Stressintoleranz und Stimmungsschwankungen und später zu erheblichen Störungen der Steroidhormone, zu denen auch die Geschlechtshormone gehören, führen kann.

Darüber hinaus greifen viele Antikörper weniger organspezifisch an, als man früher angenommen hat. So gehen hohe Antikörperspiegel bei der Hashimotothyreoiditis oft mit einem Angriff auf die Sehnen und entsprechenden Schmerzsymptomatiken oder aufs Gehirn einher. Nehmen wir nochmal die Zöliakie als Beispiel: Bei dieser durch Weizen ausgelösten autoimmunen Erkrankung werden bis zu zehn verschiedene Antikörper gebildet. Davon greift allerdings nur eine Sorte den Darm an, und in der normalen Labordiagnostik werden auch nur diese Antikörper gegen die Zotten des Darms bestimmt. Ebenso häufig werden jedoch Antikörper gegen die Haut oder gegen das Gehirn gebildet. Daher gehen Zöliakien nur zu ca. 50 % mit Symptomen des Darms einher, können aber erhebliche psychiatrische Symptome bis hin zu schwersten Depressionen mit suizidalen Tendenzen verursachen.

Eine Autoimmunerkrankung sollte daher immer als Ganzkörpererkrankung verstanden und behandelt werden und nicht nur als Erkrankung eines einzelnen Organs, dessen Funktion man dann zu ersetzen versucht. Aus diesem Grund macht es meist keinen Sinn, ein autoimmunerkranktes Organ einfach zu entfernen. Die autoimmune Reaktion läuft weiter und verursacht weiterhin Symptome. In vielen Fällen sucht sich das Immunsystem sogar ein weiteres Organ, das es nun angreift und zerstört. Im schlimmsten Fall handelt es sich dann um eine lebensbedrohende Autoimmunerkrankung.

Ursachen von Autoimmunerkrankungen

Dr. Simone Koch

Autoimmunerkrankungen haben eine familiäre Häufung. Es liegt ihnen eine genetische Prädisposition