Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel «Siege. Trump Under Fire» bei Henry Holt and Company, New York.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2019
Copyright der deutschen Erstausgabe
© 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Siege. Trump Under Fire
Copyright © 2019 by Michael Wolff
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Covergestaltung Anzinger und Rasp, München, nach der Originalausgabe bei Henry Holt and Company
Coverabbildung Drew Angerer/Getty Images
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.
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ISBN 978-3-644-00302-6
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-00302-6
Dem Andenken an meinen Vater
Lewis A. Wolff
Kurz nach Donald Trumps Amtseinführung als 45. Präsident der Vereinigten Staaten erhielt ich als Beobachter Zutritt zum West Wing des Weißen Hauses. Als Augenzeuge schilderte ich in Feuer und Zorn das organisatorische Chaos und die ständigen Dramen – mehr Psychodramen als politische Dramen – von Trumps ersten sieben Monaten im Amt. Das Buch handelt von einem unbeständigen und unsicheren Präsidenten, der sowohl die Welt als auch seine Mitarbeiter nahezu täglich seinen Zorn spüren ließ. Diese erste Phase des sonderbarsten Weißen Hauses in der Geschichte Amerikas endete im August 2017 mit dem Abgang des Chefstrategen Stephen K. Bannon und der Ernennung des pensionierten Generals John Kelly zum Stabschef.
Das vorliegende Buch beginnt im Februar 2018 mit dem Beginn von Trumps zweitem Jahr im Amt; die Lage hat sich tiefgreifend geändert. Den launischen Wutausbrüchen des Präsidenten sind inzwischen durch zunehmend organisierte und systematische institutionelle Verfahrensweisen gewisse Grenzen gesetzt. Das Räderwerk der Justiz wendet sich unerbittlich gegen ihn. In mancher Hinsicht hat seine eigene Regierung, ja sein eigenes Weißes Haus sich gegen ihn gewandt. Praktisch jedes Machtzentrum links von der äußersten Rechten hält ihn inzwischen für ungeeignet. Selbst in seiner Basis finden ihn manche unzuverlässig, hoffnungslos abgelenkt und seinem Amt nicht gewachsen. Nie zuvor wurde ein Präsident derart von allen Seiten angegriffen und hatte dem so wenig zu seiner Verteidigung entgegenzusetzen.
Seine Feinde umzingeln ihn, fest entschlossen, ihn zu Fall zu bringen.
Meine Katastrophen-Faszination von Trump – die Gewissheit, dass er sich am Ende selbst zerstören wird – teile ich vermutlich mit allen, die ihm seit seiner Wahl zum Präsidenten begegnet sind. In seiner Nähe zu arbeiten bedeutet, sich mit einem Verhalten konfrontiert zu sehen, wie es sich überspannter und verstörender nicht denken lässt. Womit ich kaum übertreibe. Trump ist nicht nur nicht wie andere Präsidenten, er ist auch nicht wie irgendein anderer Mensch, der uns jemals über den Weg gelaufen ist. Weshalb jeder, der ihn besser kennt, nach Erklärungen für sein Verhalten und seine befremdlichen Eigenarten sucht. Aber auch dies schlägt ihm zum Nachteil aus: Alle aus seinem engeren Kreis, mögen sie auch noch so sehr durch Vertraulichkeitszusagen oder Verschwiegenheitsklauseln oder gar Freundschaft gebunden sein, können nicht aufhören, über ihre Erfahrungen mit ihm zu reden. In diesem Sinne ist er exponierter als jeder andere Präsident der Geschichte.
Viele im Weißen Haus, die mich beim Schreiben von Feuer und Zorn unterstützt haben, sind zwar nicht mehr im Amt, aber ebenfalls nach wie vor mit der Trump-Saga befasst. Ich bin dankbar, diesem bedeutenden Netzwerk anzugehören. Viele von Trumps Spezis aus der Zeit vor seiner Präsidentschaft hören weiter auf ihn und unterstützen ihn; andererseits kommt ihre Besorgnis und Ungläubigkeit zum Ausdruck, wenn sie einander und auch anderen gegenüber von seinen Launen und spontanen Eingebungen berichten. Generell habe ich bemerkt: Je näher Leute ihm stehen, desto besorgter äußern sie sich gelegentlich über seinen Geisteszustand. Alle spekulieren, wie das enden soll – schlecht für ihn, meinen fast alle. Tatsächlich dürfte Trump ein viel besseres Thema für Schriftsteller sein, die sich für menschliche Fähigkeiten und Defekte interessieren, als für die Mehrzahl der Reporter und Autoren, die regelmäßig aus Washington berichten und sich in erster Linie mit dem Streben nach Macht und Erfolg befassen.
Unter Beschuss soll vor allem eine lesbare und anschauliche Erzählung sein, dann aber auch so etwas wie eine Live-Geschichte dieser außerordentlichen Zeiten, denn sollten wir sie erst im Nachhinein verstehen, ist es vielleicht zu spät. Und schließlich geht es mir um ein Porträt Donald Trumps als eines extremen, geradezu unwirklichen und gewiss zur Vorsicht mahnenden amerikanischen Charakters. Um dies zu erreichen und um die richtige Perspektive und die unabdingbaren Quellen für die größeren Zusammenhänge zu finden, habe ich allen, die darum gebeten haben, Anonymität zugesichert. In Fällen, in denen man mir – nachdem ich versprochen hatte, die Quellen nicht zu nennen – von nicht öffentlich bekannt gewordenen Vorfällen oder privaten Gesprächen oder Bemerkungen berichtet hat, habe ich alle Anstrengungen unternommen, diese durch andere Quellen oder Dokumente zu überprüfen. In einigen Fällen war ich selbst bei den hier beschriebenen Vorfällen oder Gesprächen zugegen. Was die Mueller-Ermittlungen betrifft, so berichte ich auf der Basis interner Dokumente, die ich vom Büro des Sonderermittlers nahestehenden Quellen zur Verfügung bekommen habe.
Der Umgang mit Informanten in Trumps Weißem Haus bringt seine ganz eigenen Probleme mit sich. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dort zu arbeiten, ist die Bereitschaft, die Wahrheit zu zerreden oder für unwahr zu erklären oder notfalls gleich unverblümt zu lügen. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass einige von denen, die das Vertrauen der Öffentlichkeit untergraben haben, sich eben darum veranlasst sehen, unter vier Augen die Wahrheit zu sagen. Das ist ihr Pakt mit dem Teufel. Doch den Berichterstatter bringen Gespräche mit solch janusköpfigen Quellen in die Klemme, muss man sich doch darauf verlassen, dass notorische Lügner auch einmal die Wahrheit sagen – um sie später womöglich wieder zu bestreiten. Tatsächlich werden die außerordentlichen Ereignisse im Weißen Haus von Trumps Sprechern oder Sprecherinnen und natürlich vom Präsidenten selbst ständig in Abrede gestellt. Und dennoch hat sich fast jeder haarsträubende Bericht aus dem Innern dieser Regierung – bei ständigem Höherlegen der Messlatte – am Ende bestätigt.
In einer Atmosphäre, die Übertreibungen fördert und häufig sogar verlangt, nimmt schon der Ton selbst eine Schlüsselrolle ein, wenn es um Genauigkeit geht. Zum Beispiel, und ganz entscheidend, wird der Präsident von vielen, die in engem Kontakt zu ihm stehen, immer wieder mit drastischen Worten als mental instabil beschrieben. «Ich habe nie einen Verrückteren kennengelernt als Donald Trump», erklärte wörtlich ein Angehöriger seines Stabs, der unzählige Stunden mit dem Präsidenten verbracht hat. Ähnliches habe ich von einem Dutzend anderen seiner engeren Mitarbeiter vernommen. Wie überträgt man dies in eine zuverlässige Einschätzung dieses einzigartigen Weißen Hauses? Meine Vorgehensweise: zeigen, was ist, die größeren Zusammenhänge schildern, das selbst Erlebte mitteilen und den Lesern so plastisch darstellen, dass sie selbst beurteilen können, wo Donald Trump auf einer schwindelerregenden Skala menschlichen Verhaltens anzusiedeln ist. Es ist dieser Zustand, eher eine Gemütsverfassung als eine politische Haltung, die im Zentrum dieses Buches steht.
Der Präsident machte seine bekannte angewiderte Miene und dann eine Handbewegung, als wollte er eine Fliege verscheuchen.
«Schluss damit», sagte er. «Warum erzählen Sie mir das?»
Ende Februar 2018, gut ein Jahr nach Trumps Amtsantritt, versuchte sein persönlicher Anwalt John Dowd ihm zu erklären, dass die Staatsanwaltschaft wahrscheinlich die Herausgabe einiger Geschäftsunterlagen der Trump Organization verlangen werde.
Trump schien weniger auf die möglichen Konsequenzen einer so tiefgreifenden Untersuchung seiner Angelegenheiten zu reagieren, als vielmehr überhaupt davon erfahren zu müssen. Seine Verärgerung löste eine kleine Tirade aus. Er schimpfte nicht über Leute, die ihm ans Leder wollten – und davon gab es reichlich –, sondern dass niemand ihm zu Hilfe eilte. Das Problem waren seine eigenen Leute. Vor allem seine Anwälte.
Trump erwartete von seinen Anwälten, dass sie Dinge «regelten». «Bringen Sie mir keine Probleme, bringen Sie mir Lösungen», war einer seiner häufig benutzten Sprüche als Firmenchef. Er beurteilte seine Anwälte nach ihrem Trickreichtum und lastete es ihnen an, wenn sie ein Problem nicht aus der Welt schaffen konnten. An seinen Problemen waren sie dann schuld. «Lassen Sie das verschwinden», wies er sie häufig an. Oft gleich dreimal hintereinander: «Lassen Sie das verschwinden, lassen Sie das verschwinden, lassen Sie das verschwinden.»
Don McGahn, Rechtsberater des Weißen Hauses – der also das Weiße Haus vertrat und nicht, wie Trump nie richtig verstanden hat, den Präsidenten –, zeigte wenig Geschick darin, Probleme verschwinden zu lassen, und wurde zum ständigen Ziel von Trumps Wutausbrüchen und Beschimpfungen. Seine juristische Interpretation der Zulässigkeit des Wirkens der Exekutive lief allzu oft den Wünschen seines Chefs zuwider.
Auf der anderen Seite hatten Dowd und seine Kollegen Ty Cobb und Jay Sekulow – das Trio von Anwälten, die den Präsidenten durch seine privaten juristischen Probleme navigieren sollten – großes Geschick darin entwickelt, der schlechten Laune ihres Mandanten, die oft von finsteren, kaum beherrschten persönlichen Angriffen begleitet wurde, aus dem Weg zu gehen. Allen dreien war klar, dass man Donald Trump nach dem Mund reden musste, wenn man als sein Anwalt Erfolg haben wollte.
Trump hegte eine Idealvorstellung von einem Anwalt, die mit juristischen Gepflogenheiten nicht viel zu tun hatte. Regelmäßig zitierte er Roy Cohn, seinen alten New Yorker Freund, Anwalt und Durchboxtrainer, und Robert Kennedy, den Bruder von John F. Kennedy. «Er nervte mich ständig mit Roy Cohn und Bobby Kennedy», sagte Steve Bannon, der Politstratege, der mehr als jeder andere für Trumps Wahlsieg verantwortlich war. «Roy Cohn und Bobby Kennedy», sagte Trump. «Wo sind meine Roy Cohn und Bobby Kennedy?» Cohn hatte zu seinem eigenen Nutzen und Ruhm den Mythos konstruiert, auf den Trump immer wieder zurückkam: Mit genug Kohle und Einfluss könne man der Justiz immer entwischen. Bobby Kennedy, Justizminister und Mann fürs Grobe seines Bruders, beschützte John F. Kennedy und arbeitete hinter den Kulissen zum Besten der Familie.
Das war Trumps ständiges Thema: das System austricksen. «Ich bin der, der mit allem durchkommt», prahlte er gern vor seinen New Yorker Freunden.
Dabei wollte er von Einzelheiten nichts wissen. Seine Anwälte sollten ihm nur versichern, dass er auf der Siegerstraße war. «Wir schaffen das aus dem Weg, ja? Das will ich wissen. Das ist alles, was ich wissen will. Wenn das nicht klappt, habt ihr Mist gebaut», schrie er eines Nachmittags die Mitarbeiter seiner Rechtsabteilung an.
Eine besondere Herausforderung war von Anfang an, Staranwälte zu finden, die sich einer Aufgabe stellten, um die sich in der Vergangenheit alle gerissen hätten: den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu vertreten. Ein prominenter Washingtoner Wirtschaftsanwalt übergab Trump eine Liste mit zwanzig Punkten, die unverzüglich angegangen werden müssten, wenn er sich der Sache annehmen solle. Trump weigerte sich, auch nur über einen davon nachzudenken. Mehr als ein Dutzend große Kanzleien hatten bereits abgelehnt. Am Ende blieb Trump eine zusammengewürfelte Truppe von Einzelkämpfern, die nicht über die Durchschlagskraft der Großen verfügten. Jetzt, dreizehn Monate nach seiner Amtseinführung, stand er vor privaten Schwierigkeiten mit der Justiz, die mindestens so groß waren wie seinerzeit die von Richard Nixon und Bill Clinton, und das mit Winkeladvokaten, die kaum für Schwierigeres geeignet schienen. Trump war sich dieser offenen Flanke wohl nicht bewusst. Er verschloss die Augen noch fester vor dem ihm drohenden juristischen Ungemach und erklärte forsch: «Wenn ich gute Anwälte hätte, würde ich schuldig wirken.»
Dowd, 77 Jahre alt, hatte lange Jahre erfolgreich für die Regierung und in Washingtoner Kanzleien gearbeitet. Aber das war Vergangenheit. Jetzt arbeitete er allein, und von Ruhestand wollte er nichts wissen. Er begriff, wie wichtig es war, jedenfalls für seine Position in Trumps Juristenstab, die Bedürfnisse seines Mandanten zu verstehen. Er sah sich gezwungen, Trumps Bewertung der Ermittlungen zu den Kontakten seines Wahlkampfteams mit russischen Staatsinteressen zuzustimmen: Die würden ihm nichts anhaben. Weshalb Dowd und Trumps andere Rechtsberater ihm empfahlen, mit Mueller zu kooperieren.
«Ich bin nicht in der Schusslinie, nicht wahr?», fragte Trump ständig nach.
Das war keine rhetorische Frage. Er bestand auf einer Antwort, und zwar auf einer bejahenden: «Mr. President, Sie sind nicht in der Schusslinie.» Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Trump den FBI-Direktor James Comey zu exakt dieser Zusicherung gedrängt. Und er hatte, typisch für sein Verhalten, Comey im Mai 2017 nicht zuletzt deswegen gefeuert, weil ihm dessen Beteuerungen nicht begeistert genug erschienen und er Comey daher in Verdacht hatte, er agiere gegen ihn.
Ob die Ermittler den Präsidenten wirklich im Visier hatten – und man musste schon sehr vernagelt sein, um ihn nicht im Zentrum von Muellers Ermittlungen zu sehen –, diese Frage schien sich in einer Parallelwelt zu stellen, neben Trumps Bedürfnis, zugesichert zu bekommen, dass er nicht in der Schusslinie war.
«An Trump habe ich das gelernt», sagte Ty Cobb zu Steve Bannon, «selbst wenn etwas schlecht lief, war es großartig.»
Trump bildete sich ein – und mit geradezu übernatürlichem Selbstvertrauen ließ er sich durch nichts davon abbringen –, in Kürze werde er einen Brief des Sonderermittlers erhalten, in dem dieser ihn vollumfänglich entlasten und sich bei ihm entschuldigen werde.
«Wo», fragte er immer wieder nach, «wo bleibt denn der verdammte Brief?»
Die von Sonderermittler Robert Mueller ins Leben gerufene Grand Jury trat immer donnerstags und freitags im Federal District Court zusammen, im fünften Stock eines unscheinbaren Gebäudes in der Constitution Avenue 333 in Washington. Der kahle Raum glich eher einem Klassenzimmer als einem Gerichtssaal. Die Anklagevertreter saßen auf einem Podium, vor ihnen an einem Pult die Zeugen. Unter Muellers Geschworenen waren mehr Frauen als Männer, mehr Weiße als Schwarze, mehr Ältere als Jüngere; was sie vor allem auszeichnete, war ihre angespannte Konzentration. Sie folgten dem Verfahren mit «ängstlicher Aufmerksamkeit, als wüssten sie bereits alles», erzählte ein Zeuge.
Bei einer Befragung durch die Grand Jury fällt man in eine von drei Kategorien. Entweder ist man «Tatsachenzeuge», was bedeutet, dass der Ankläger glaubt, man sei im Besitz von Informationen über eine anstehende Ermittlung. Oder man ist «Subjekt», jemand, der persönlich mit dem verhandelten Verbrechen zu tun hat. Oder, am beunruhigendsten, man ist ein «Ziel», was bedeutet, der Ankläger erwartet von den Geschworenen, dass sie den Betreffenden anklagen. Oft wurden Zeugen zu Subjekten, und oft wurden Subjekte zu Zielen.
Anfang 2018, während Mueller und seine Geschworenen in geradezu historischer Verschwiegenheit ihres Amtes walteten, konnte niemand im Weißen Haus sicher sein, wer auf welcher Seite stand. Oder wer was zu wem sagte. Ob Mitarbeiter oder ranghöhere Berater des Präsidenten – jeder konnte jederzeit mit dem Sonderermittler reden. Die Verschwiegenheit der Ermittlung erstreckte sich bis in den West Wing. Niemand wusste und niemand sagte, wer gerade auspackte.
Nahezu alle höheren Mitarbeiter – die Schar von Beratern mit direktem Zugang zum Präsidenten – hatten sich einen Anwalt genommen. Schon seit den ersten Tagen des Präsidenten im Weißen Haus hatten Trumps Rechtsstreitigkeiten in der Vergangenheit und sein offensichtliches Desinteresse an juristischen Belangen einen Schatten auf alle geworfen, die für ihn arbeiteten. Höhere Mitarbeiter suchten bereits nach Anwälten, als sie noch lernten, sich im Labyrinth des West Wing zu orientieren.
Im Februar 2017, wenige Wochen nach der Amtseinführung und nicht lange nachdem das FBI erstmals Fragen über den Nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn aufgeworfen hatte, tauchte Stabschef Reince Priebus in Steve Bannons Büro auf und sagte: «Ich werde Ihnen einen großen Gefallen tun. Geben Sie mir Ihre Kreditkarte. Fragen Sie nicht, warum, tun Sie es einfach. Sie werden mir bis an Ihr Lebensende dankbar sein.»
Bannon nahm seine American-Express-Karte aus der Brieftasche und gab sie Priebus. Der kam kurz darauf wieder und gab sie ihm zurück mit den Worten: «Jetzt sind Sie juristisch abgesichert.»
Im Lauf des Jahres verbrachte Bannon – ein Tatsachenzeuge – etliche hundert Stunden mit seinen Anwälten, die ihn auf seine Aussage vor dem Sonderermittler und vor dem Kongress vorbereiteten. Seine Anwälte wiederum führten immer längere Gespräche mit Muellers Team und den Beratern des Kongressausschusses. Ende des Jahres beliefen sich Bannons Anwaltskosten auf zwei Millionen Dollar.
Jeder Anwalt rät seinen Mandanten als Erstes ganz unmissverständlich: Sprechen Sie mit niemandem, dann muss auch niemand aussagen, was Sie gesagt haben. Binnen kurzem ließen höhere Mitarbeiter in Trumps Weißem Haus es sich immer mehr angelegen sein, so wenig wie möglich zu wissen. Die Welt war auf den Kopf gestellt: Wo man sich früher darum gerissen hatte, «mit im Raum» zu sein, ging man Besprechungen jetzt möglichst aus dem Weg. Man wollte nicht Zeuge von Gesprächen werden; man vermied es, wenn man klug war, gesehen zu werden. Verlässliche Freunde gab es nicht. Unmöglich zu wissen, auf welcher Seite ein Kollege bei den Ermittlungen stand; weshalb man nie wissen konnte, wie wahrscheinlich es war, dass jemand – man selbst vielleicht –, um durch Zusammenarbeit mit dem Sonderermittler die eigene Haut zu retten, gezwungen sein könnte, über jemand anderen auszusagen, also «umzukippen», wie sich das nannte.
Das Weiße Haus, so dämmerte es fast allen, die dort arbeiteten – bald ein weiterer Grund, nicht dort zu arbeiten –, war zum Schauplatz einer laufenden strafrechtlichen Ermittlung geworden, in deren Fänge potenziell jeder geraten konnte, der sich dort blickenließ.
Oberste Hüterin der Geheimnisse des Wahlkampfs, der Übergangszeit und der ersten zwölf Monate im Weißen Haus war Hope Hicks, die Kommunikationschefin des Weißen Hauses. Sie hatte fast alles mitbekommen. Sie sah, was der Präsident sah; sie wusste, was der Präsident wusste – ein Mann, der es einfach nicht fertigbrachte, den Mund zu halten.
Am 27. Februar 2018 wurde sie bei ihrer Aussage vor dem House Intelligence Committee – vor dem Sonderermittler war sie bereits erschienen – gefragt, ob sie jemals für den Präsidenten gelogen habe. Ein geschickterer Kommunikationsprofi hätte hier vielleicht noch den Kopf aus der Schlinge ziehen können, doch Hicks, die, abgesehen von ihrer Tätigkeit als Donald Trumps Sprecherin, nur wenig Erfahrung hatte – was oft genug bedeutete, mit seiner Geringschätzung für empirische Tatsachen umzugehen –, fand sich plötzlich wie in einem unerwarteten moralischen Vakuum, als sie versuchte, den Stellenwert der Lügen ihres Chefs öffentlich zu analysieren. Sie gestand einige «Notlügen» ein, also wohl Lügen etwas unterhalb krasser Lügen. Dieses vorschnelle Eingeständnis reichte ihren Anwälten, sich mitten während der Anhörung fast zwanzig Minuten lang mit ihr zurückzuziehen; sie fürchteten, was sie sonst noch einräumen und wohin eine Erörterung der ständigen Verdrehungen des Präsidenten noch führen könnte.
Nicht lange nach ihrer Aussage wurde ein anderer Zeuge von Muellers Geschworenen gefragt, wie weit Hicks mit ihren Lügen für den Präsidenten gehen würde. Der Zeuge antwortete: «Ich denke, wenn es darum geht, als ‹Jasager› für den Präsidenten aufzutreten, ist sie dabei – aber sie wird sich nicht für ihn opfern.» Diese Bemerkung konnte man als zweideutiges Kompliment auffassen, aber auch als Einschätzung darüber, wie es um die Loyalität in Trumps Weißem Haus bestellt war – vermutlich nicht so gut.
Man könnte sagen, fast niemand in der Trump-Regierung war nach herkömmlichen Maßstäben für die Arbeit dort geeignet. Aber mit Ausnahme des Präsidenten selbst verkörperte wohl niemand diese schlecht vorbereitete und schlecht informierte Präsidentschaft mehr als Hicks. Sie besaß weder nennenswerte Erfahrung in Politik oder Medienarbeit, noch hatte jahrelange Tätigkeit unter Hochdruck ihr ein dickes Fell verliehen. Immer in kurzen Röcken, wie Trump es gernhatte, geriet sie unweigerlich ins Scheinwerferlicht. Trump bewunderte sie, nicht weil sie die politischen Fähigkeiten besaß, ihn zu schützen, sondern für ihre fügsame Pflichttreue. Ihr Job war es, ihn zu umsorgen.
«Wenn Sie mit ihm sprechen, beginnen Sie mit positivem Feedback», lautete Hicks’ Rat. Sie verstand Trumps Bedürfnis nach unablässiger Bestätigung und sein fast vollständiges Unvermögen, über irgendetwas anderes als sich selbst zu reden. Ihre Aufmerksamkeit für Trump und ihr gefügiges Wesen hatten sie mit neunundzwanzig Jahren an die Spitze der Kommunikationsabteilung des Weißen Hauses gebracht. Darüber hinaus fungierte sie praktisch als seine Stabschefin. Trump wollte keine Profis in seiner Mannschaft, er wollte Leute, die ihm um den Bart gingen.
Hicks – «Hopey» für Trump – war sowohl Türsteherin als auch Kuscheltuch des Präsidenten. Und häufig Gegenstand seiner lüsternen Interessen: Geschäftliches, auch im Weißen Haus, regelte Trump lieber auf persönlicher Ebene. «Wer fickt Hope?», verlangte er zu wissen. Das Thema interessierte auch seinen Sohn, Don Jr., der oft den Wunsch äußerte, «Hope zu ficken». Ivanka, die Tochter des Präsidenten, und Jared Kushner, ihr Mann, beide als ranghohe Berater im Weißen Haus tätig, blickten behutsamer auf Hicks und versuchten sogar gelegentlich, sie auf heiratswürdige Männer hinzuweisen.
Doch Hicks, die das Insulare der Trumpwelt erkannte, blieb konsequent in dieser Blase und entschied sich für deren schlimmste Finger: Während des Wahlkampfs war dies Wahlkampfmanager Corey Lewandowski und dann im Weißen Haus der Präsidentenberater Rob Porter. Die Beziehung zwischen Hicks und Porter entspann sich im Herbst 2017, und wer von der Affäre wusste, durfte als Insider der Trumpwelt gelten, wobei freilich sehr darauf geachtet wurde, die Sache vor dem übergriffigen Präsidenten geheim zu halten. Oder gerade nicht: Andere, die davon ausgingen, dass Porters Verhältnis mit Hicks dem Präsidenten ganz und gar nicht recht sei, waren weniger verschwiegen.
In der feindseligen Stimmung, die in Trumps Weißem Haus um sich griff, hätte Rob Porter es zur bei allen unbeliebtesten Person bringen können, abgesehen vielleicht vom Präsidenten selbst. Mit seinem kantigen Kinn und Fünfziger-Jahre-Look wie eine Reklamefigur für Pomade, wirkte er geradezu wie eine Witzfigur von Tücke und Verrat: Wenn er einem nicht in den Rücken fiel, musste man annehmen, dass man bei ihm nichts galt. Ein Schleimer wie aus einer Sitcom – «Eddie Haskell», spöttelte Bannon in Anspielung auf die doppelzüngige und arschkriecherische Kultfigur aus der alten Fernsehserie Erwachsen müsste man sein –, katzbuckelte er vor Stabschef John Kelly, während er ihn gleichzeitig beim Präsidenten madigmachte. Porters Einschätzung seiner eigenen großen Verantwortung im Weißen Haus, dazu die Aussicht auf die ihm von Trump versprochenen noch höheren Posten, beides erweckte in ihm den Eindruck, als läge sowohl die Regierung als auch die ganze Nation direkt auf seinen Schultern.
Porter, noch keine vierzig, hatte bereits zwei verbitterte Exfrauen; mindestens eine von ihnen hatte er geschlagen, und beide hatte er, wie die ganze Stadt wusste, betrogen. Zu seiner Zeit als Mitarbeiter im Senat hatte Porter, noch verheiratet, eine Affäre mit einer Praktikantin, die ihn den Job kostete. Im Sommer 2017 war seine Freundin Samantha Dravis bei ihm eingezogen, während er gleichzeitig hinter ihrem Rücken mit Hicks anbandelte. «Ich habe dich betrogen, weil du nicht attraktiv genug bist», erklärte er Dravis später.
Durch einen womöglich strafrechtlich relevanten Verstoß gegen das Protokoll hatte Porter Zugang zu seiner noch nicht ausgewerteten FBI-Unbedenklichkeitsüberprüfung erlangt und darin die Aussagen seiner Exfrauen gelesen. Seine zweite Exfrau hatte außerdem in einem Blog von vermeintlichen Misshandlungen berichtet: Auch wenn sein Name dabei nicht fiel, wies alles auf ihn hin. Beunruhigt über die schädlichen Auswirkungen, die die Aussagen seiner Exfrauen auf das Ergebnis seiner Sicherheitsüberprüfung haben könnten, spannte er Dravis ein, die ihm helfen sollte, die Beziehungen zwischen ihm und den beiden Frauen zu verbessern.
Lewandowski, Hicks’ Exfreund, bekam Wind von der Hicks-Porter-Affäre und nahm sich vor, die Sache ans Licht zu bringen; angeblich setzte er Paparazzi auf Hicks an. Während Porters eheliches Fehlverhalten dank der FBI-Untersuchung allmählich herauskam, vereitelte Lewandowskis Feldzug gegen Hicks viele andere Bemühungen, Porters Verfehlungen zu vertuschen.
Im Herbst 2017 kamen Dravis die von Lewandowski gestreuten Gerüchte über das Verhältnis zwischen Hicks und Porter zu Ohren. Dravis hatte Hicks’ Telefonnummer unter einem Männernamen in Porters Kontaktliste entdeckt und stellte ihn zur Rede, worauf er sie prompt hinauswarf. Sie zog wieder bei ihren Eltern ein und begann ihren eigenen Rachefeldzug, indem sie offen über Porters Probleme mit seiner Sicherheitsfreigabe sprach, auch zu Leuten im Büro des Rechtsberaters des Weißen Hauses, wo sie behauptete, er genieße Schutz auf höchster Ebene. Sodann leakte sie mit Lewandowskis Hilfe die Einzelheiten der Hicks-Porter-Affäre an die Daily Mail, die am 1. Februar darüber berichtete.
Doch Dravis musste ebenso wie Porters Exfrauen empört feststellen, dass er in dem Artikel der Daily Mail gut weggekommen war – als Teil eines glamourösen Power-Pärchens! Porter verspottete Dravis am Telefon: «Du hast dir eingebildet, du könntest mir was anhaben!» Jetzt packten Dravis und seine Exfrauen aus und erzählten, wie er sie misshandelt hatte. Seine erste Frau sagte, er habe sie mit Füßen und Fäusten traktiert, und legte ein Foto von ihrem blauen Auge vor. Seine zweite Frau teilte den Medien mit, sie wolle ein Kontaktverbot gegen ihn erwirken.
Das Weiße Haus, oder zumindest Kelly – und wahrscheinlich auch Hicks –, hatte von vielen dieser Behauptungen gewusst und sie bis dahin mit Erfolg vertuscht. («Normalerweise hat man im Weißen Haus genug fähige Leute, um die prügelnden Ehemänner auszusortieren, aber in Trumps Weißem Haus konnte man nicht so wählerisch sein», sagte ein republikanischer Bekannter Porters.) Der Skandal, der um Porter und seine beunruhigende Vorgeschichte ausbrach, ärgerte nicht nur Trump – «Er stinkt nach schlechter Presse» –, sondern schwächte auch Kellys Position. Am 7. Februar, nach Interviews seiner beiden Exfrauen bei CNN, kündigte Porter.
Plötzlich sah die öffentlichkeitsscheue Hicks – Donald Trump legte großen Wert auf Mitarbeiter, die ihn nicht in den Schatten stellten – ihr Liebesleben in den Fokus intensiver Recherchen der internationalen Presse gerückt. Ihre Affäre mit dem diskreditierten Porter lenkte die Aufmerksamkeit nicht nur auf ihre seltsame Beziehung zum Präsidenten und seiner Familie, sondern auch auf das planlose Management, die gestörten zwischenmenschlichen Verhältnisse und den umfassenden Mangel an politischem Geschick im Hause Trump.
Kurioserweise zählte die Affäre noch zu Hicks’ kleinsten Problemen. Ja, die dunkle Wolke des Porter-Skandals bot ihr womöglich eine bessere Chance, die Regierung zu verlassen, als jene andere Wolke, die fast alle im West Wing für die dunkelste hielten.
Am 27. Februar berichtete Jonathan Swan, Reporter für den Washingtoner Insider-Newsletter Axios und von Leakern im Weißen Haus gern als Sprachrohr benutzt, John Raffel werde das Weiße Haus verlassen. Raffel war im April 2017 für viele überraschend am Kommunikationsteam des Weißen Hauses vorbei als exklusiver Sprecher für Jared Kushner, den Schwiegersohn des Präsidenten, und seine Frau Ivanka ins Weiße Haus gekommen. Raffel, wie Kushner Mitglied der Demokratischen Partei, hatte zuvor für Hiltzik Strategies gearbeitet, die New Yorker PR-Agentur, die Ivankas Modelabel vertrat.
Hope Hicks, die ebenfalls für Hiltzik gearbeitet hatte – die Agentur war vielleicht am besten bekannt durch ihre langjährige Verbindung zum Filmproduzenten Harvey Weinstein, der im Herbst 2017 durch einen epochemachenden Missbrauchs- und Vertuschungsskandal zu Fall gekommen war –, hatte ursprünglich dieselbe Rolle wie Raffel, nur auf höherer Ebene: Sie war die persönliche Sprecherin des Präsidenten. Im September war Hicks zur Kommunikationschefin des Weißen Hauses befördert worden, mit Raffel als ihrem Stellvertreter.
Der Ärger hatte sich im Sommer zuvor angekündigt. Hicks und Raffel befanden sich im Juli 2017 an Bord der Air Force One, als die Nachricht kam, Donald Trump junior habe sich während des Wahlkampfs im Trump Tower mit russischen Mittelsmännern getroffen, die ihm Schmutz über Hillary Clinton angeboten hätten. Auf dem Rückflug vom G20-Gipfel in Deutschland halfen Hicks und Raffel dem Präsidenten bei der Formulierung einer im Wesentlichen falschen Darstellung jenes Treffens im Trump Tower und wurden so zu Mittätern der Vertuschung.
Raffel war zwar nur etwas länger als neun Monate im Weißen Haus gewesen, aber dem Axios-Artikel zufolge hatte man seinen Rauswurf schon seit mehreren Monaten erwogen. Was nicht stimmte. Sein Abgang kam aus heiterem Himmel.
Tags darauf, und ebenso unerwartet, kündigte auch Hope Hicks – die Person im Weißen Haus, die dem Präsidenten am nächsten stand.
Plötzlich war ausgerechnet diejenige, die vermutlich mehr als jeder andere über die Vorgänge in Trumps Wahlkampf und danach im Weißen Haus wusste, nicht mehr da. Große Sorge bereitete im Weißen Haus die berechtigte Annahme, Hicks und Raffel, beide beteiligt an den Bemühungen des Präsidenten, die Einzelheiten des Treffens zwischen seinem Sohn und seinem Schwiegersohn und den Russen zu vertuschen, könnten zu Subjekten oder Zielen von Muellers Ermittlungen werden – oder, noch schlimmer, hätten bereits einen Deal ausgehandelt.
Der Präsident, der Hicks öffentlich mit Lob überschüttete, versuchte nicht, sie zum Bleiben zu bewegen. In den folgenden Wochen jammerte er über ihre Abwesenheit – «Wo ist meine Hopey?» –, tatsächlich aber wollte er sie, sobald er erfuhr, dass sie auspacken könnte, loswerden und machte sich daran, ihre Stellung und Bedeutung im Wahlkampf und im Weißen Haus herunterzuspielen.
Hier jedoch ergab sich aus Trumps Sicht ein Hoffnungsschimmer, was Hicks betraf: So wesentlich sie für seine Präsidentschaft war, hatte sie im Grunde nur die Aufgabe gehabt, ihm zu Gefallen zu sein. Als große Strategin und Strippenzieherin sah sie wohl kaum jemand. Trumps Team bestand ausschließlich aus Kleindarstellern.
John Dowd mochte gezögert haben, seinem Mandanten schlechte Neuigkeiten zu überbringen, wusste aber um die Gefahr, die von einem gründlichen Strafverfolger mit praktisch unbegrenzten Mitteln ausgehen konnte. Je mehr ein FBI-Team sichtet, aufdeckt und untersucht, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl vorsätzliche als auch leichtfertige Gesetzesübertretungen ans Licht kommen. Je umfassender die Suche, desto sicherer wird etwas gefunden. Und der Fall Donald Trump – mit seiner Vorgeschichte von Bankrotten, finanziellen Taschenspielereien, dubiosen Verbindungen und anderem, woraus er immer wieder ungestraft davongekommen war – bot den Strafverfolgern eine reichhaltige Auswahl.
Donald Trump seinerseits schien zu glauben, mit seinem Geschick und Gespür sei er dem Justizministerium der Vereinigten Staaten und dessen Akribie und Ressourcen mindestens ebenbürtig. Er glaubte sogar, die Gründlichkeit der Ermittler könnte ihm zum Vorteil gereichen. «Langweilig. Verwirrend für jeden», tat er die von Dowd und anderen vorgelegten Berichte über die Untersuchung ab. «Dem kann doch keiner folgen. Völlig reizlos.»
Einer der vielen eigenartigen Aspekte von Trumps Präsidentschaft bestand darin, dass er seinen Präsidentenjob, sowohl was die Verantwortung als auch was die Wirkung in der Öffentlichkeit betraf, kaum anders betrachtete als sein früheres Leben als Geschäftsmann. In seiner langen Karriere hatte er zahllose Ermittlungen gegen sich durchgestanden. Fast fünfundvierzig Jahre lang hatte er alle möglichen Prozesse geführt. Er war ein Kämpfer, der sich mit Dreistigkeit und Aggressivität aus Schwierigkeiten befreit hatte, die einen schwächeren, nicht so gerissenen Mann ruiniert hätten. Seine maßgebliche Geschäftsstrategie lautete: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Immer und immer wieder verwundet, verblutete er nie.
«Man muss das Spiel machen», erklärte er in einem seiner häufigen Monologe über seine eigene Überlegenheit und die Dummheit aller anderen. «Ich bin gut in dem Spiel. Vielleicht bin ich der Beste. Wirklich, ich könnte der Beste sein. Ich denke, ich bin der Beste. Ich bin sehr gut. Echt cool. Die meisten Leute haben Angst, es könnte zum Schlimmsten kommen. Aber das tut es nicht oder nur wenn man dumm ist. Und ich bin nicht dumm.»
In den Wochen nach seinem ersten Jahrestag im Amt – Mueller ermittelte seit acht Monaten – sah Trump die Arbeit des Sonderermittlers weiterhin als eine Art Kräftemessen. Dass es sich um einen Zermürbungskrieg handelte, ein ständiges Nagen an der Kraft und Glaubwürdigkeit der Zielperson durch nie erlahmende Kontrolle und zunehmenden Druck, kam ihm nicht in den Sinn. Er sah nur eine Situation, der er entgegenzutreten hatte, eine unberechtigte Regierungsaktion, die seinen Attacken schutzlos ausgeliefert war. Er war zuversichtlich, diese «Hexenjagd» – in seinen Tweets oft mit Großbuchstaben geschrieben – wenigstens zu einem subjektiven Unentschieden zerreden zu können.
Verärgert wehrte er Versuche ab, ihn zu überreden, von seinem Kurs abzugehen und das Spiel auf die übliche Washingtoner Art zu spielen – gute Anwälte auffahren, verhandeln, die Verluste möglichst klein halten. Wenn dies schon viele in seiner unmittelbaren Umgebung befremdlich fanden, so beunruhigte sie es noch mehr, dass gleichzeitig mit Trumps Empörung und Eingeschnapptheit auch sein Glaube an seine Unschuld wuchs.
Ende Februar klagten Muellers Geschworene eine Gruppe russischer Staatsangehöriger wegen illegaler Aktivitäten in Zusammenhang mit Versuchen der russischen Regierung an, die Wahl in den USA zu beeinflussen; darüber hinaus war Mueller weiter in den engeren Kreis um Trump vorgedrungen. Zu denen, die angeklagt wurden oder sich eines Verbrechens schuldig bekannt hatten, zählten sein ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort, sein ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn, der strebsame Nachwuchsberater George Papadopoulos und Manaforts Geschäftspartner und Wahlkampfmitarbeiter Rick Gates. Man könnte diese Serie juristischer Schritte auf klassische Weise als den Versuch eines systematischen Vorrückens auf die Festung Trump interpretieren. Aus der Sicht von Trumps Lager war es wohl eher ein Kesseltreiben gegen die Opportunisten und Hofschranzen, die Trump seit eh und je im Gefolge hatte.
Die Zweifel an der Nützlichkeit von Trumps Mitläufern waren das A und O ihrer Nützlichkeit: Man konnte sie jederzeit ignorieren oder verleugnen, und genau dies geschah dann auch prompt beim kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten. Die von Mueller geschnappten Trump-Leute wurden allesamt zu Möchtegernen und Nebenfiguren abgestempelt. Der Präsident hatte sie nie gesehen, konnte sich nicht an sie erinnern oder kannte sie nur flüchtig. «Ich kenne Mr. Manafort – ich habe schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen, aber ich kenne ihn», wimmelte Trump alle Fragen ab.
Eine Verschwörung zu beweisen ist schwierig, weil man dazu erst einmal den Vorsatz beweisen muss. Viele in Trumps engerem Kreis glaubten, er und die Trump Organization und infolgedessen auch seine Wahlkampfleute operierten auf eine so diffuse, planlose, gangsterkomödienhafte Art, dass sich ein vorsätzliches Handeln nur sehr schwierig beweisen lassen könnte. Außerdem waren Trumps Mitläufer offenkundig so unterbelichtet, dass man Dummheit als durchaus plausibles Argument gegen Vorsatz sehen konnte.
Viele in Trumps engerem Kreis waren sich mit ihrem Boss einig: Sie glaubten, egal was für idiotische Schritte von idiotischen Trump-Helfern unternommen worden waren, die Russland-Ermittlung war zu absurd und bedeutungslos, um am Ende haftenzubleiben. Andererseits waren viele, wenn nicht alle, insgeheim der Überzeugung, dass eine eingehende – oder auch nur eine oberflächliche – Untersuchung von Trumps Finanzgebaren in der Vergangenheit jede Menge klarer Rechtsverstöße und Korruptionsfälle zutage fördern würde.
Es war demnach keine große Überraschung, dass Trump seit dem Beginn von Muellers Ermittlungen versucht hatte, den Sonderermittler von den Finanzen der Trump-Familie fernzuhalten, indem er Mueller unverhohlen mit Konsequenzen drohte, falls er sich damit befasse. Trump blieb bei der Annahme, der Sonderermittler habe Angst vor ihm und wisse, wo und wie seine, Trumps, Nachsicht ein Ende haben werde. Trump war zuversichtlich, dem Mueller-Team seine Grenzen aufzeigen zu können, sei es durch listige Hinweise, sei es durch plumpe Drohungen.
«Die wissen, dass sie mich nicht kriegen», sagte er zu einem seiner abendlichen Telefonpartner, «weil ich nie was damit zu tun hatte. Ich bin nicht in der Schusslinie. Da ist nichts. Ich bin nicht in der Schusslinie. Haben sie mir selbst gesagt, ich bin nicht in der Schusslinie. Und sie wissen, was passiert, wenn sie mich ins Visier nehmen. Jeder versteht jeden.»
Bücher und Zeitungsartikel über Trumps fünfundvierzig Jahre im Wirtschaftsleben waren voll von seinen zwielichtigen Geschäften, und sein Auftauchen im Weißen Haus rückte sie dann erst recht ins Scheinwerferlicht und förderte gar noch pikantere Dinge zutage. Immobilien waren die weltweit beliebteste Geldwaschanlage, und Trumps zweitklassige Immobilienfirma – von Trump unermüdlich als Unternehmen mit höchster Bonität angepriesen – war ganz ausdrücklich auf Leute ausgerichtet, die Geld zu waschen hatten. Mehr noch, Trumps eigene Geldsorgen und seine verzweifelten Bemühungen, Lebensstil, Prestige und Marktfähigkeit als Milliardär aufrechtzuerhalten, zwangen ihn ständig zu wenig subtilen Machenschaften. Ironischerweise hatte Jared Kushner als Jurastudent, bevor er Ivanka kennenlernte, in einem Aufsatz mögliche Betrugsvorwürfe gegen die Trump Organization erörtert; es ging dabei um ein bestimmtes, von ihm analysiertes Immobiliengeschäft – was seinen Bekannten aus jener Zeit jetzt Anlass zu einiger Belustigung bot. Wie die Staatsanwälte herausgefunden zu haben schienen, versteckte sich Trump praktisch in aller Öffentlichkeit.
Im November 2004 zum Beispiel erbot sich der Banker Jeffrey Epstein, der später in einen Skandal um minderjährige Prostituierte verwickelt wurde, aus einer Konkursmasse ein Haus in Palm Beach, Florida, für 36 Millionen Dollar zu kaufen, ein Anwesen, das seit über zwei Jahren zum Verkauf stand. Epstein und Trump waren über zehn Jahre lang eng befreundet gewesen – sozusagen Waffenbrüder –, wobei Trump sich häufig an Epstein gewandt hatte, damit ihm der aus seinen chaotischen finanziellen Angelegenheiten heraushalf. Zu Beginn der Kaufverhandlungen in Palm Beach zeigte Epstein ihm das Haus und bat um Rat zu baulichen Verbesserungen wie der Versetzung des Pools. Doch während er dabei war, den Kauf unter Dach und Fach zu bringen, fand Epstein heraus, dass Trump, der zu der Zeit in ernsten finanziellen Nöten steckte, 41 Millionen für das Anwesen geboten und es Epstein vor der Nase weggeschnappt hatte – und zwar mit Hilfe einer Firma, die sich Trump Properties LLC nannte und vollständig von der Deutschen Bank finanziert wurde, die bereits eine beträchtliche Menge gefährdeter Kredite an die Trump Organization und an Trump persönlich in ihren Büchern hatte.
Trump, wusste Epstein, hatte seinen Namen schon öfter für Immobiliengeschäfte hergegeben; gegen ein üppiges Honorar diente er Immobilienhändlern als Strohmann, wenn die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse im Dunkeln bleiben sollten. (Also eine Variante von Trumps Geschäftsmodell, für Geschäftsimmobilien, die jemand anderem gehörten, seinen Namen herzugeben.) Überzeugt davon, dass Trump bloß als Strohmann für die wahren Eigentümer diente, drohte Epstein ihm wütend, die Sache, über die in den Zeitungen Floridas ausführlich berichtet wurde, auffliegen zu lassen. Der Streit wurde noch heftiger, als Trump das Haus bald nach dem Erwerb für 125 Millionen Dollar zum Verkauf anbot.
Epstein kannte einige von Trumps Geheimnissen, aber umgekehrt war es nicht anders. Trump sah Epstein häufig in dessen damaligem Haus in Palm Beach und wusste, dass Epstein fast täglich, und das schon seit vielen Jahren, Besuch von Mädchen bekam, die er für gewisse entspannende Massagen bezahlte – Mädchen, die er in Restaurants, Stripclubs und auch in Trumps Mar-a-Lago anzuheuern pflegte. Als nach dem Hauskauf die Feindschaft zwischen den zwei Freunden eskalierte, fand Epstein sich plötzlich im Fadenkreuz der Polizei von Palm Beach. Und während Epstein sich mit der Justiz herumschlug, wurde das Haus nach nur minimalen Umbauten für 96 Millionen Dollar an Dmitri Rybolowlew verkauft, einen Oligarchen, der zu Putins engstem Kreis von regierungstreuen russischen Unternehmern gehörte und tatsächlich nie in dieses Haus eingezogen ist. Auf wundersame Weise hatte Trump 55 Millionen Dollar eingestrichen, ohne selbst auch nur einen Cent hinzulegen. Oder aber, eher wahrscheinlich, Trump kassierte lediglich ein Honorar dafür, dass der wahre Eigentümer sich hinter ihm verstecken konnte – ein Schatteneigentümer, dem Rybolowlew aus Gründen, die nichts mit dem Haus zu tun hatten, Geld zugeschanzt haben könnte. Oder, auch das ist denkbar, der wahre Eigentümer und der wahre Käufer waren ein und dieselbe Person. Rybolowlew könnte das Haus selbst bezahlt haben und damit die zusätzlichen 55 Millionen für den zweiten Erwerb des Hauses gewaschen haben.
So ging es zu in Donald Trumps Immobilienwelt.
Jared Kushner, offenbar ein Meister der Selbstbeherrschung, hatte enormes Geschick darin entwickelt, den Frust über seinen Schwiegervater in Schach zu halten. Er verzog keine Miene – und wirkte manchmal geradezu wie erstarrt –, wenn Trump aus der Haut fuhr, Wutausbrüchen freien Lauf ließ oder hirnrissige politische oder taktische Schritte vorschlug. Kushner, ein Höfling an einem verrückten Hof, gebot über eine unheimliche Gelassenheit. Dabei machte er sich große Sorgen. Es schien erstaunlich und lachhaft zugleich, dass diese vorgeschützte Sachlichkeit – «Sie sind nicht in der Schusslinie, Mr. President» – seinem Schwiegervater tatsächlich solchen Trost bieten konnte.
Kushner sah die Pfeile, die von allen Seiten auf Trump gerichtet waren und von denen jeder einzelne ihn tödlich verwunden konnte: Behinderung der Justiz; illegale Absprachen; eine genauere Untersuchung seiner jahrzehntelangen dubiosen Finanzgeschäfte; die ständig lauernden Frauengeschichten; die mögliche Schlappe bei den Zwischenwahlen und das dann drohende Amtsenthebungsverfahren; der Wankelmut der Republikaner, die sich jederzeit gegen Trump wenden konnten; und die ranghöheren Mitarbeiter, die aus der Regierungsmannschaft entfernt worden waren (Kushner selbst hatte auf den Rauswurf der meisten von ihnen gedrängt), von denen jeder einzelne gegen Trump aussagen konnte. Allein im März wurden Gary Cohn, der Chefwirtschaftsberater des Präsidenten, Rex Tillerson, der Außenminister, und Andrew McCabe, der stellvertretende FBI-Direktor, aus ihren Ämtern entfernt – drei Männer, die für den Präsidenten nichts als Verachtung empfanden.
Doch der Präsident war nicht in der Stimmung, auf Kushners Rat zu hören. So richtig hatte er seinem Schwiegersohn nie getraut – wie Trump auch sonst niemandem traute, vielleicht mit Ausnahme seiner Tochter Ivanka, Kushners Frau –, und plötzlich stand Kushner eindeutig auf der falschen Seite der von Trump gezogenen roten Linie der Loyalität.
Als Mitglied der Familie hätte Kushner bei all diesen Hofintrigen, die mit solcher Bösartigkeit ausgefochten wurden, dass sie in früheren Zeiten zu Mordkomplotten geführt haben könnten, wie ein Triumphator über seine frühen Rivalen im Weißen Haus ausgesehen. Doch Trump wurde grundsätzlich aller seiner Mitarbeiter überdrüssig, so wie sie seiner überdrüssig wurden, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil er fast immer zu dem Schluss kam, dass sie auf seine Kosten Vorteile erzielten. Er war überzeugt davon, dass jeder Mensch von Gier getrieben wurde, dass sie also früher oder später versuchen würden, an sich zu reißen, was rechtmäßig ihm zustand. Es sah zunehmend danach aus, dass auch Kushner bloß einer von denen war, die Donald Trump ausnutzen wollten.
Vor kurzem hatte Trump erfahren, dass Apollo Global Management, ein von Leon Black geführter New Yorker Investmentfonds, der familieneigenen Immobilienfirma Kushner Companies, die von Kushner geführt wurde, während sein Vater Charlie im Gefängnis saß, eine Finanzspritze in Höhe von 184 Millionen Dollar gegeben hatte.
Dies war in vieler Hinsicht beunruhigend und machte einen angeschlagenen Kushner noch angreifbarer durch Fragen nach den Konflikten zwischen seinen Geschäften und seiner Position im Weißen Haus. In der Übergangsphase hatte Kushner dem Apollo-Mitgründer Marc Rowan die Leitung des Office of Management and Budget der für korrekte Haushaltsführung zuständigen Bundesbehörde OMB angeboten. Rowan nahm den Job zunächst an und lehnte erst ab, als Apollo-Chef Leon Black ihm vor Augen führte, was dann über die Kapitalanlagen Rowans und der Firma offengelegt werden müsste.