Im Sommer 2014 war ich mit Freunden auf einer Städtereise in Wien – einer meiner liebsten Städte in Europa – und wir besuchten das Internationale Zentrum Wien, einen gigantischen Bürokomplex mit dem Spitznamen „UNO-City“. Und da mich seit meinem Physikstudium die Themen Atomenergie und Kernwaffen interessieren, waren Besuche bei den Kontrollorganisationen IAEO und CTBTO in Wien Pflichtstationen für mich. Doch wie es der Zufall so wollte, schlug dort vor allem mein Herz als Astrophysiker und Raumfahrt-Fan höher: Am Rande eines Foyers, versteckt zwischen dem Friedensnobelpreis von 2005 und einer Büste von Juri Gagarin, stand etwas, das mir die Schuhe auszog: ein Stück des Mondes! Mitten in Wien stand ich vor der Gesteinsprobe Nr. 15459, einer Leihgabe der US-Regierung an die Vereinten Nationen. Ein 160 Gramm schweres Stück einer anderen Welt – ich war verzaubert. Als ich im folgenden Jahr meine Freundin bei einem Forschungsaufenthalt in den USA besuchte, sind wir mit dem Fahrrad durch Minneapolis gekurvt, haben den Kulturschock genossen und waren zusammen im Wissenschaftsmuseum von Minnesota. Dort waren auch Exponate aus der Raumfahrt zu sehen und wieder wurde ich gewissermaßen vom Mond erschlagen: In einer unscheinbaren Vitrine lag ein Paar Handschuhe. Ich musste die Beschreibung dreimal lesen, ehe ich es wahrhaben konnte: Genau dieses Paar Handschuhe hatte Neil Armstrong auf dem Mond getragen. Trotz aller Bücher, Interviews und Filme haben mich diese beiden Objekte vor meinen eigenen Augen erst richtig begreifen lassen: Der Mond ist ein echtes Ding, draußen im All, und Menschen waren dort. Irre! Und wir können jetzt auf ihren Spuren wandeln und dem Mond – diesem kuriosen Ding – näherkommen. Da wir per Buch-Raumschiff unterwegs sind, können wir die anstrengenden Aspekte der Reise einfach überspringen und zur Krönung sogar einen Mondspaziergang machen.
Besuch bei unserem Begleiter
Während wir uns langsam dem Mond nähern, gibt es auf den ersten, zweiten und auch auf den dritten Blick nur einen Hingucker: Krater.
Wir sehen Krater über Krater, Krater in anderen Kratern, Krater auf dem Rand von Kratern, Krater auf Bergen und Berge in Kratern. Unter den Mitreisenden geht bald der Running Gag um: „Siehst Du den Krater dort?“ – „Ich seh’ den Mond vor lauter Kratern nicht!“ Sogar manche der Maria, die wir von der Erde aus nur als dunkle Flecken kannten, zeigen plötzlich ausgefranste, kreisförmige Umrisse. Je weiter wir uns nähern, desto besser sehen wir nun auch die Unterschiede: Es gibt die hellen Hochländer – teils hügelig, stark zerklüftet und offenbar über und über von Kratern bedeckt. Diese Hochländer dominieren vor allem im Süden der Mondvorderseite. Die Maria hingegen sind dunkel, wirken sehr flach und im Vergleich kaum verkratert. Auch scheinen sie tiefer zu liegen und eher glatt und zusammenhängend zu sein.
Nun nehmen wir die größeren Krater noch einmal unter die Lupe und sehen, dass oft ein kleiner Berg genau in ihrer Mitte steht. Besonders Tycho, der große, helle Krater im Süden der Mondvorderseite, zieht uns mit diesem Anblick in seinen Bann. Tycho hat einen Durchmesser von 86 Kilometern. Seine Wände fallen in terrassenartigen Stufen um fast fünf Kilometer zum glatten Kraterboden ab, der einen Durchmesser von rund 50 Kilometern, hat; glatt, mit Ausnahme des zentralen Bergs. Dieser Zentralberg erhebt sich auf einer Grundfläche von nur etwa 75 Quadratkilometern ganze zwei Kilometer in die Höhe. Mitten auf dem Gipfelplateau liegt ein einsamer Felsbrocken. Um die Größenverhältnisse besser einordnen zu können, bietet unser fiktives Raumschiff den passenden Knopf auf der Steuerkonsole: „Für Größenvergleich mit Deutschland: Scheibe einschlagen“, steht auf einem Glasplättchen über dem roten Knopf.
Trotz Warnung im Handbuch vor leichtfertigem Gebrauch siegt die Neugier – zack, ist das Glas zerbrochen und der Größenvergleich angefordert. „Das Ausmaß des Kraters Tycho entspricht der vierfachen Fläche des Saarlands“, referiert eine Stimme aus dem Computer. „Auf dem Kraterboden hätte die Stadt Berlin samt Autobahnring Platz. Der Zentralberg hat etwa die Grundfläche des Stadtgebiets von Bremen und ist so hoch wie die Chiemgauer Alpen.“ Wir staunen nicht schlecht, wie gründlich die Ausführungen sind. Da schiebt der Computer nach: „Ach ja: Der isolierte Felsbrocken auf dem Gipfelplateau ist so groß wie der Berliner Reichstag.“
Nach so vielen Krater-Fakten haben wir uns eine Stärkung verdient und schweben in die Kantine. Dort erzählt uns eine Mitreisende begeistert, was sie Mysteriöses in den flachen Maria entdeckt hat: lange, gewundene Rillen, die aussehen wie Flussläufe. Wir nehmen uns vor, der Sache auf den Grund zu gehen und schweben in die Koje. Morgen steht etwas an, worauf wir uns schon lange freuen: die Rückseite des Mondes! Nach einer geruhsamen Nacht schweben wir eilig zum Beobachtungsdeck. Doch schon beim ersten Blick auf den Mond erschrecken wir und glauben, jemand hätte sich einen Scherz erlaubt. Was wir sehen, erinnert kaum an den Mond des vorherigen Tages: eine helle Kraterlandschaft, ja, aber keinerlei dunkle Maria! „Sehr witzig! Das sind ein bisschen viele Krater, nicht wahr?“, rufen einige Mitreisende. „Ein bisschen viele?!“, fragen wir aufgebracht, „Ich seh’ den Mond vor lauter Kratern nicht!" Nach unserem unfreiwilligen Scherz besprechen wir in Ruhe die Beobachtungen. Auf den zweiten Blick sind doch noch zwei Maria aufgetaucht: Im oberen linken Viertel der Mondrückseite liegt ein einsamer dunkler Fleck, kaum halb so groß wie das Mare Crisium. Unser Atlas nennt ihn das Mare Moscoviense, benannt nach der Stadt Moskau. Doch besonders der zweite Kandidat ist bei genauerem Hinsehen ein echter Blickfang. Das Mare Orientale liegt auf der Mondrückseite ganz rechts, an der Grenze zur Vorderseite. Die dunkle Maria-Fläche ist ebenfalls ziemlich klein, aber sie ist von mehreren konzentrischen Gebirgsringen umgeben. Darüber hinaus gibt es praktisch keine größeren Landschaftsmerkmale. Egal, ob wir sie von nah oder fern betrachten: Die Rückseite unseres kosmischen Begleiters ist eine wahre Mondlandschaft.
Immerhin sehen einige Krater ganz spannend aus. Wenn das Licht richtig steht, zeigen sie gigantische Strahlensysteme mit hellen Linien, die sich weit über die Mondoberfläche ziehen. Besonders der Krater Jackson scheint mit fast 10002500 Kilometer großen Krater Antoniadi– auch der niedrigste Punkt des Mondes liegt. An dessen Kraterboden gibt es einen Krater-im-Krater mit125