Cover

Der kleine Fürst Classic
– 9 –

Verkaufe: Schloß und Prinzessin!

…denn Stephanie will bleiben

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-009-5

Weitere Titel im Angebot:

»Tante Sofia, hier ist Stephanie!«

»Kind!« rief Baronin Sofia von Kant erstaunt. »Wir haben ja so lange nichts von dir gehört! Es ist hoffentlich nichts passiert?«

»Noch nicht, aber es wird bald etwas passieren. Ich muß das Schloß verkaufen. Und bevor ihr es aus der Zeitung erfahrt oder von anderer Seite, wollte ich es euch lieber selbst sagen.«

Die Baronin mußte sich setzen. »Schloß Arnsburg muß verkauft werden?« fragte sie entgeistert. »Aber wieso denn, Steffi?«

Die junge Frau am anderen Ende der Leitung seufzte. Prinzessin Stephanie zu Hohenfels war die Tochter einer ihrer Cousinen. Früher hatten sie einander regelmäßig gesehen, doch dann war Julia, Stephanies Mutter, einige Monate zuvor sehr krank geworden und schließlich gestorben, nur drei Jahre nach ihrem Mann. Stephanie und Sofia hatten einander seit Julias Beerdigung zwar gelegentlich gesprochen, aber nicht mehr gesehen.

»Die Schulden, Tante Sofia. Sie waren viel höher, als ich dachte. Ich kämpfe seit Mamas Tod gegen einen Berg von Schulden, aber ich schaffe es einfach nicht, ihn abzutragen. Sie hat mir verheimlicht, wie es um unsere Finanzen steht. Du weißt ja, wie sie war, sie hat sich nie in die Karten blicken lassen.«

»Das ist allerdings richtig«, bestätigte Sofia. »Aber ihr habt doch Grundbesitz, Steffi, und auch sonst muß Vermögen dasein.«

»Das dachte ich auch. Aber wie es aussieht, hat allein das Schloß jedes Jahr Unsummen verschlungen. Wir haben ja nur einen kleinen Teil davon bewohnt, trotzdem müssen ständig die Handwerker anrücken. Das Dach, die Außenmauern, die Kellergewölbe – irgendwo ist immer eine undichte Stelle, Wasser läuft über die Wände, Schimmel breitet sich aus oder was weiß ich. Jetzt brauchte ich auch noch zwei neue Fenster, und so geht es immer weiter, immer weiter. Ich will mein Leben nicht damit verbringen, mich für ein altes Gemäuer zu schinden, auch wenn mein Herz daran hängt. Und bevor mir hier alles über dem Kopf zusammenbricht, verkaufe ich es lieber.«

»Könntest du nicht einen Teil des Schlosses der Öffentlichkeit zugänglich machen? Das brächte wenigstens ein bißchen Geld«, schlug Sofia vor. Sie fühlte sich hilflos.

Stephanie lachte freudlos. »Dazu müßte es erst einmal präsentabel sein, Tante Sofia. Was glaubst du, in welchem Zustand der unbewohnte Teil ist? Keine Bank würde mir das Geld leihen, um es so herrichten zu lassen, daß sich jemand überhaupt dafür interessieren würde, es zu besichtigen.«

»Ich hatte keine Ahnung, daß es so schlimm ist«, gestand die Baronin. »Als ich deine Mutter das letzte Mal vor ihrem Tod besuchte, ist mir jedenfalls nichts aufgefallen.«

»Die Räume, in denen wir gewohnt haben, waren ja auch einigermaßen in Ordnung«, erklärte Stephanie. »Erst nach Mamas Tod habe ich gesehen, daß auch da die Wände schon feucht waren. Sie hat einfach Teppiche darüber gehängt, weißt du? Ich habe Monate gebraucht, bis ich das ganze Ausmaß der Schwierigkeiten, in denen wir offenbar schon länger steckten, erkannt habe.«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Steffi«, gestand Sofia. »Es tut mir entsetzlich leid. Zuerst einmal deinetwegen natürlich, aber auch, weil ich wundervolle Erinnerungen an Schloß Arnsburg habe. Die Vorstellung, daß in Zukunft Fremde dort wohnen werden…«

»Nicht nur«, entgegnete Stephanie. »Ich werde versuchen, einen Käufer zu finden, der mir ein Wohnrecht einräumt – entsprechend weniger Geld kann ich natürlich verlangen.«

»Ob dir das gelingt?«

»Wahrscheinlich wird es schwer, aber versuchen will ich es auf jeden Fall. Ich hänge an dem alten Kasten, auch wenn er mir die Haare vom Kopf frißt. Und wenn ich meine Räume hier behalten könnte, dann würde ich von dem Verkaufserlös einiges investieren.«

»Kind, ich wünsche dir bei deinem Vorhaben alles Glück der Welt«, sagte Sofia. »Fritz wird auch bestürzt sein, wenn er es erfährt. Es könnte sein, daß er einen Besuch bei dir vorschlägt, damit wir uns von Arnsburg verabschieden können. Es ist ja kaum eine Stunde mit dem Auto von hier aus. Eine Schande, daß wir so nahe beieinander wohnen und uns trotzdem so selten sehen, Steffi.«

»Kommt lieber nicht«, erwiderte Stephanie. »Es ist nicht sehr gemütlich bei mir zurzeit – ich bekomme die Räume gar nicht mehr richtig warm. Du weißt, daß ich euch immer gerne sehe, Tante Sofia, aber in diesem Fall…«

»Dann komm du doch für ein paar Wochen zu uns«, schlug Sofia vor. »Ich meine, falls dir die Decke auf den Kopf fällt und du das Gefühl hast, daß dir die Probleme zu viel werden, setz dich ins Auto und komm nach Sternberg. Alle würden sich freuen, dich zu sehen.«

Stephanie versprach, sich diesen Vorschlag durch den Kopf gehen zu lassen, und so verabschiedeten sie sich voneinander. Die Baronin machte sich umgehend auf die Suche nach ihrem Mann, um ihm zu erzählen, was sie soeben erfahren hatte.

*

Prinz Christian von Sternberg kam an diesem Tag früher aus der Schule als vorgesehen: Die letzte Stunde war wegen Krankheit des Mathematiklehrers ausgefallen. Christian hatte nichts dagegen, er war nicht besonders gut vorbereitet gewesen.

Der Bus, mit dem er neuerdings fuhr, war soeben abgefahren, bis der nächste kommen würde, hatte Christian noch Zeit. Er schlenderte also durch den Ort, sah sich neugierig hier und dort um und entdeckte schließlich einen Straßenmaler, der gegen vergleichsweise geringes Entgelt Porträts von Passanten malte. Neugierig blieb er stehen und sah dem Mann dabei zu, wie er ein kleines Mädchen auf dem Schoß seiner Mutter malte. Es war eigentlich nicht die Saison für Straßenmaler, denn noch immer war es sehr kalt, aber der Mann arbeitete unverdrossen, und auch der Mutter mit ihrem Kind schien die Kälte nichts auszumachen. Christian genügte ein Blick auf das schon fast fertige Porträt, um festzustellen, daß der Mann sein Handwerk beherrschte.

Auch die Mutter war überglücklich, als sie die fertige Zeichnung sah. Sie bezahlte dem Maler mehr, als er verlangt hatte, dann ging sie, mit dem Kind auf dem Arm, mit strahlendem Lächeln davon.

»Sie auch?« fragte der Maler, weil Christian noch immer da stand.

Er nickte stumm und nahm auf dem Hocker Platz, auf dem zuvor die Frau gesessen hatte. »Wie lange dauert es denn?« fragte er.

»Haben Sie es eilig? Dann verschieben wir es lieber«, erklärte der Maler. »Entweder, ich mache es richtig oder gar nicht.«

»Schon gut, machen Sie es richtig«, bat Christian.

Während der Maler arbeitete, hatte er Muße, den Mann in aller Ruhe zu betrachten. Er war noch jung, bestimmt nicht älter als fünfundzwanzig. Die blonden Haare trug er beinahe schulterlang. Sein Gesicht war von der Kälte gerötet, die blauen Augen hatten einen offenen, geraden Blick. Es war ein gutes Gesicht, dachte Christian, der Mann gefiel ihm. »Leben Sie von diesen Porträts?« fragte er.

Der Maler schien ihn nicht gehört zu haben. Ganz vertieft war er in die Aufgabe, Christians Gesicht auf das Zeichenblatt zu bringen, das vor ihm auf der Staffelei stand.

Christian fröstelte, aber er stellte keine weitere Frage. Als der Maler ihm das fertige Porträt überreichte, konnte er nur staunen: Wie fein die Striche gesetzt waren, wie genau der Mann ihn getroffen hatte! Unter die Zeichnung hatte er geschrieben: ›Prinz Christian von Sternberg‹, mit dem Datum dahinter. Die Signatur lautete ›Jakob Balder‹.

»Sie haben gewußt, wer ich bin«, stellte Christian fest.

»Der kleine Fürst«, erwiderte der Maler. »Natürlich habe ich das gewußt. Jeder weiß das. Allerdings weiß ich nicht, warum Sie eigentlich ›der kleine Fürst‹ genannt werden.«

»Mein Vater war der große Fürst«, erklärte Christian. »Er war über einsneunzig groß. Und es war ja klar, daß ich eines Tages sein Nachfolger werde, wenn ich volljährig bin. Bis es so weit ist, bleibe ich wohl ›der kleine Fürst‹.«

»Dabei sind Sie gar nicht klein.«

Christian lächelte. Er saß noch immer auf dem Hocker, mit seinem Porträt in der Hand. »Nein, bin ich nicht, aber es klingt nett.«

»Ist wohl auch nett gemeint.«

»Ja, das glaube ich auch. Sie heißen Jakob Balder?«

Der Maler nickte.

»Malen Sie auch in Öl?«

»Sicher, ich bin Kunststudent, wir müssen jede Technik beherrschen. Dies hier sind nur Fingerübungen. Außerdem brauche ich Geld, meine Eltern können mich nicht unterstützen, deshalb verdiene ich mir gerne was dazu.«

»Kann ich Ihre Adresse haben? Oder eine Telefonnummer? Vielleicht… vielleicht braucht noch jemand so ein Porträt von Ihnen.«

»Ich bin über jeden Auftrag froh«, erklärte Jakob Balder mit breitem Lächeln.

Christian bezahlte ihn und entschuldigte sich dafür, daß er ihm nicht mehr geben konnte. »Ich habe nie viel Geld bei mir, meine Tante und mein Onkel finden, daß wir frühzeitig lernen sollen, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen. Deshalb kriegen wir, meine Cousine, mein Cousin und ich, nicht mehr Taschengeld als alle anderen.«

»Vernünftig«, fand Jakob Balder. Er räusperte sich. »Ich bin zum ersten Mal hier in der Gegend, aber ich habe gehört, daß Ihre Eltern vor einigen Monaten tödlich verunglückt sind. Das tut mir sehr leid.«

Christian biß sich auf die Lippen. Es waren Situationen wie diese, die ihn noch immer aus der Fassung brachten. Normalerweise kam er ganz gut zurecht, aber wenn jemand ihn direkt und unvermutet ansprach auf das, was geschehen war, so wie jetzt Jakob Balder, dann kamen ihm unwillkürlich die Tränen.

»Ich hätte es vielleicht nicht erwähnen sollen«, fuhr der Maler mit ruhiger Stimme fort. »Aber vielleicht ist es doch schön für Sie zu wissen, daß hier mit sehr viel Wärme und Zuneigung von Ihren Eltern gesprochen wird und daß die Bevölkerung regen Anteil an Ihrem Schicksal nimmt. Mehr wollte ich eigentlich gar nicht zum Ausdruck bringen.«

»Danke«, sagte Christian, der sich wieder gefaßt hatte.

»Ihre Pflegeeltern – das sind Ihre leiblichen Verwandten, oder?«

Christian nickte, die ruhige Sachlichkeit des jungen Malers half ihm, seine Tränen endgültig zurückzudrängen. »Ja, meine Tante Sofia und meine Mutter waren Schwestern. Ich hatte großes Glück, daß ich … nach dem Unglück auf Schloß Sternberg bleiben konnte und nicht umziehen mußte.«

»Davon habe ich auch gehört, daß die Familie Ihrer Tante schon vor vielen Jahren nach Sternberg gezogen ist. Sie sind also mit Ihrer Cousine und ihrem Cousin zusammen aufgewachsen.«

»Ich sollte kein verwöhntes Einzelkind werden«, erklärte Christian.

Jakob Balder lächelte. »Ich würde mal sagen, das ist gelungen.«

Christian stutzte, dann lächelte er auch. »Danke. Ich gehe dann mal. Auf Wiedersehen, Herr Balder.« Er hatte es plötzlich sehr eilig und rannte los, als ginge es um sein Leben.

Den nächsten Bus hatte er allerdings auch verpaßt, aber es machte ihm nichts aus, daß er warten mußte. Je länger er sein Porträt betrachtete, desto klarere Gestalt nahm ein Plan in seinem Kopf an, der bis vor wenigen Minuten nicht mehr als eine flüchtige Idee gewesen war.

*

»Sie ist offenbar in Geldnot, aber sie wird sich natürlich von mir nicht helfen lassen«, erklärte Graf Jonathan von Althaus seiner jüngeren Schwester Amelie, mit der er zusammen zu Mittag aß. »Ich wüßte auch gar nicht, wie ich ihr Hilfe anbieten sollte, ohne sie zu beleidigen oder ihr zu nahe zu treten.«

»Weil sie immer noch nicht weiß, daß du sie liebst«, stellte Amelie fest.

»Nein, das weiß sie nicht«, gab er zu. »Ich kann ihr das nicht sagen, Amelie, weil ich spüre, daß es etwas gibt, das uns trennt. Manchmal denke ich, sie erwidert meine Gefühle – aber das sind immer nur kurze Augenblicke, dann ist es wieder so, als fiele ein Vorhang. Sie entzieht sich mir.«