»Commodities tend to zig when the equity markets zag.«
Jim Rogers
Für das erste Halbjahr 2008, das sich später als das annus horribilis der Finanzindustrie erweisen wird, sieht die Bilanz an den Rohstoffmärkten hervorragend aus: Ein deutlich zweistelliger Wertzuwachs steht einem deutlich zweistelligen Abschlag an den internationalen Aktienmärkten gegenüber. Der Ölpreis handelt Anfang Juli 2008 bei über 145 US-Dollar pro Fass, Kupfer bei über 8.100 US-Dollar pro Tonne, und Gold hatte nach einer fulminanten Rallye bereits im März 2008 zum ersten Mal die Marke von 1.000 US-Dollar je Feinunze erreicht.
Innerhalb der sogenannten Alternative Investments haben Rohstoffe als Assetklasse in den letzten Jahren immer mehr Anhänger gefunden. Ein geringer bis negativer Gleichlauf der Renditen (Korrelation) mit traditionellen Assetklassen wie Aktien und Anleihen in Kombination mit einer attraktiven erwarteten Rendite machen Rohstoffe als Investment interessant. Eine Vorreiterrolle auf der institutionellen Seite spielten die großen US-Stiftungsvermögen wie Yale und Harvard. David Swensen, seit 1985 Chief Investment Officer der Yale University, allokierte mehr als 50 Prozent der Anlagegelder der Yale University – in der Summe über 20 Milliarden US-Dollar – in Alternative Investments wie Hedge-Fonds, Rohstoffe, Immobilien und Wälder. »Von Yale lernen, heißt, siegen lernen«, titelte die Financial Times Deutschland im März 2008, als Swensen ein weiteres Jahr mit Traumrenditen verkünden kann.
Im zweiten Halbjahr 2008 folgt dann aber der jähe Absturz: Breite Rohstoffmarktindizes verlieren rund die Hälfte ihres Wertes und fallen damit deutlich stärker als die ebenfalls stark negativ tendierenden Aktienmärkte. Bear Stearns und Lehman Brothers lassen grüßen – die Welt steht am Rande einer globalen Finanzkrise. Bereits Ende September müssen sowohl Yale als auch Harvard Verluste von über 30 Prozent ihres Stiftungskapitals bekannt geben. Wie bereits Roger Lowenstein in seinem Buch über den Kollaps von LTCM in 1998 feststellte (When Genius Failed – The Rise and Fall of Long-Term Capital Management), tendieren während einer Krise die Korrelationen aller Wertpapiere gegen eins, und alternative Investments, außer Gold, bieten keinen Diversifikationsvorteil mehr. Mit der Finanzkrise – nach einer exorbitanten Rallye der vergangenen Jahre – durchschreiten die Rohstoffmärkte ein Tal der Tränen. Allein der Ölpreis verliert von seinem Hoch im Sommer bei knapp über 145 US-Dollar pro Fass beinahe 80 Prozent an Wert.
Zweifellos bewirken die Panik vor einem Zusammenbruch des Weltfinanzsystems und der hiermit verbundene Rückzug von Anlagekapital eine Übertreibung der Abwärtsbewegung. 2009 und 2010 melden sich die Rohstoffmärkte jedoch mit Stärke zurück: Rohöl über 80 US-Dollar pro Fass, Kupfer über 7.500 US-Dollar pro Tonne, Gold über 1.200 US-Dollar je Feinunze und hohe Preisniveaus von Kaffee, Kakao und Zucker – eine Krise sieht anders aus. Das Preisniveau vieler Rohstoffe ist im Rekordtempo auf den durch die Finanzkrise unterbrochenen Wachstumspfad zurückgekehrt. Denn die ressourcenintensiv wachsenden Emerging Markets in Asien, vor allem China, führen weiter das weltweite Wachstum an.
Die 40 Kapitel dieses Buches zeigen zum einen, dass die Spekulation mit Rohstoffen beileibe keine Erfindung des neuen Jahrtausends darstellt. Vielmehr waren Rohstoffe unter Investment-Gesichtspunkten in den 1980er und 1990er Jahren lediglich vom Radarschirm der meisten Investoren verschwunden, während die 1970er Jahre ebenfalls einige Rohstoffpreise haussieren sahen. Zum anderen belegen viele der hier geschilderten Episoden – vom niederländischen Tulpenwahn im 17. Jahrhundert bis zum Untergang von Amaranth im 21. Jahrhundert –, wie dramatisch sich temporäre Ungleichgewichte auf der Angebots- oder der Nachfrageseite auf einzelne Rohstoffmärkte auswirken können. Nicht zu unterschätzen sind hierbei die realwirtschaftlichen Folgen, denn anders als bei Aktien, Anleihen oder Währungen handelt es sich bei Rohstoffen um reale Güter.
Und so schließt sich der Kreis zwischen dem Schriftsteller Robert Jordan und der Investment-Legende Benjamin Graham: Das Rad der Zeit dreht sich weiter, und Geschehnisse an den Rohstoffmärkten wiederholen sich in abgewandelter Form. Jeder Markt wird dabei in seinen Extremphasen von Gier und von Angst bestimmt; und das kurze Gedächtnis der Kapitalmärkte ist dabei bereits sprichwörtlich.
Die in diesem Buch zusammengestellten Episoden vermitteln einen Einblick in das Geschehen an den Rohstoffmärkten. Mit vielen extremen Preisbewegungen an einzelnen Märkten sind Schicksale und Spekulationen verbunden. Geschwindigkeit und Ausmaß von Veränderungen überrollen dabei auch erfahrene Marktteilnehmer. Der mehrere Hundert Jahre zurückreichende Blick zeigt durchaus Parallelen auf zwischen Geschehnissen der Vergangenheit und solchen der jüngsten Zeit oder unserer aktuellen Gegenwart. Die lange Historie der Rohstoffmärkte birgt ein großes Potenzial interessanter Geschichten; einige wurden hier ausgewählt, um die Faszination für eine Assetklasse zu wecken, neben der die Aktien- und Anleihenmärkte noch in den Kinderschuhen stecken.
Dr. Torsten Dennin, 1976 in Leverkusen geboren, hat an der Universität zu Köln und an der Pennsylvania State University, USA, Volkswirtschaftslehre studiert und an der Schumpeter School of Business and Economics zum Thema Rohstoffmärkte promoviert. An der International Faculty of Finance, London, gewann er einen Einblick ins Commodity Futures and Options Trading. Von 2003 bis 2010 war Dr. Dennin bei der Deutschen Bank AG in Frankfurt am Main als Portfoliomanager tätig und analysierte die internationalen Rohstoffmärkte sowie Aktien des Basic Resources Sektors. Hierbei verantwortete er die Anlageentscheidungen von zwei Rohstoff-Fonds sowie mehrerer diskretionärer Rohstoffstrategien und beeinflusste maßgeblich die Anlagestrategie innerhalb der Assetklasse Rohstoffe des Private Wealth Managements der Deutschen Bank AG. Mitte 2010 ergriff Dr. Dennin die Chance, den Rohstoffbereich der Altira Group in Frankfurt am Main mit aufzubauen. Hier ist er verantwortlich für die Analyse der internationalen Rohstoffmärkte sowie für Unternehmen der Sektoren Metals & Mining und Oil & Gas. Er ist Manager des VCH Commodity Alpha und Co-Manager des VCH Expert Natural Resources Fonds. Neben zahlreichen Fachvorträgen und -artikeln ist Dr. Dennin häufig als Experte zum Thema Rohstoffmärkte in den Medien präsent.
Der Autor freut sich über weitere Anregungen zum Thema Rohstoffmärkte und kann über XING oder über Facebook kontaktiert werden.
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Mike Dash: Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte, Claasen Verlag, München 1999
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John Needham, »Samurai Trader!«, www.financialsense.com, 20.01.2008
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Richard J. Teweles/Frank J. Jones: The Futures Game – who wins? Who loses? And why?, McGraw-Hill, New York 1987
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»B. P. Hutchinson Dead – Once Leading Grain Speculator in This Country«, The New York Times, 17.3.1899
Eingangszitat aus: Charles Geisst: Wheels of fortune – The history of speculation to respectability, John Wiley & Sons, Hoboken 2002. Hutchinsons Sohn Charlie lobt in seiner Antrittsrede als Präsident der Chicago Board of Trade (CBOT) die philanthropische Funktion der Börse für die Landwirte.
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In den Niederlanden greift im 17. Jahrhundert der Tulpenwahn um sich: Die Blumen avancieren zum Statussymbol der prosperierenden Oberschicht, und der Terminhandel mit Tulpenzwiebeln macht aus Familienvätern ruchlose Zocker, die Haus und Hof riskieren. Tulpenzwiebeln werden mit Gold aufgewogen, bis die Blase 1637 platzt.
»Like the Great Tulip Mania in Holland in the 1600’s
and the dot.com mania of early 2000, markets
have repeatedly disconnected from reality.«
Tony Crescenzi, Pimco
Die Niederlande stehen zu Beginn des 17. Jahrhunderts an der Schwelle eines Goldenen Zeitalters, einer rund einhundert Jahre andauernden wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit. Die dort herrschende Religionsfreiheit zieht die unterschiedlichsten, andernorts aufgrund ihres Glaubens verfolgten Menschen an. In dieser Epoche steigt die kleine, gerade gegründete Republik der Sieben Vereinigten Niederlande zur Weltmacht und einer der führenden Handelsnationen auf, während die Entwicklung im übrigen Europa stagniert. Nicht zuletzt profitieren die junge Seemacht und ihre Kaufleute vom Niedergang der Hanse. Es werden Kolonien und Handelsposten auf der ganzen Welt errichtet: Neu-Amsterdam (das heutige New York), Niederländisch-Indien (Indonesien) und Kolonien in Südamerika und der Karibik wie Aruba und die Niederländischen Antillen. 1602 schließen sich niederländische Kaufmannskompanien zur Niederländischen Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie; VOC) zusammen, die vom niederländischen Staat mit Hoheitsrechten und Handelsmonopolen ausgestattet wird. Die VOC ist der erste multinationale Konzern und eine der größten Handelsunternehmungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Kaufleute aus Haarlem und Amsterdam erleben einen nie gekannten wirtschaftlichen Aufschwung.
Die neureiche Klasse der Kaufleute eifert dem Fürstenstand durch große Anwesen mit riesigen Gärten nach, es entstehen Herrschaftssitze und Gartenlandschaften. Die Tulpe, die sich von allen anderen Blumen im Gartenbau des 17. Jahrhunderts unterscheidet, avanciert schnell zum Luxusgut und Statussymbol des neuen Geldadels. In der Oberschicht tragen Damen Tulpen zu gesellschaftlichen Anlässen als Schmuck im Haar oder an den Kleidern. Die exotischen Blumen gelangen aus Armenien und der Türkei im 16. Jahrhundert über Konstantinopel, Wien und Frankfurt am Main ins holländische Leiden und wecken im rasanten wirtschaftlichen Aufschwung schnell Begehrlichkeiten. Das Angebot an Tulpenzwiebeln wächst jedoch nur langsam, obwohl das Angebot nicht künstlich knapp gehalten wird: Nur zwei bis drei Zwiebeln entspringen jährlich einer Mutterzwiebel, die selbst nach wenigen Jahren eingeht. Dann dauert es wiederum Jahre, um aus den neuen Zwiebeln Blumen zu ziehen. So wächst das Angebot langsamer als die Nachfrage, die Preise steigen. Die hohe Nachfrage nach Tulpen und Tulpenzwiebeln eröffnet Zwischenhändlern eine lukrative Nische. Tulpen werden nun nicht mehr pfundweise von Gärtnern an die wohlhabende Kundschaft verkauft, sondern auf Auktionen. Statt an organisierten Börsen findet der Handel in Kneipen und Wirtshäusern statt. Später finden sich Gruppen zu sogenannten Kollegien zusammen und veranstalten Auktionen nach festen Regeln. Zunächst werden die Tulpenzwiebeln nur während der Pflanzzeit gehandelt. Da sich die Nachfrage jedoch über das ganze Jahr erstreckt, verkauft man auch solche Zwiebeln, die sich noch in der Erde befinden: Es werden nicht mehr die Blumen selbst gehandelt, sondern die Rechte an Tulpenzwiebeln (Terminhandel). Spätestens zu diesem Zeitpunkt in den 1630er Jahren ist der Tulpenhandel zum reinen Spekulationsgeschäft geworden, denn niemand weiß, wie die Blumen wirklich aussehen werden. Rund 400 Maler werden mit der Anfertigung von Bildern beauftragt, die potenzielle Käufer überzeugen sollen.
Züchter befriedigen die anspruchsvolle Kundschaft mit immer neuen und prächtigeren Kreationen, die sich durch besonders gleichmäßige Blütenblätter und auffällige Farbmuster auszeichnen. Schließlich macht das Auftreten des Mosaikvirus, ein durch Blattläuse übertragener Befall der Pflanze, aus seltenen Exemplaren kostbare Raritäten: Die bis dahin einfarbige Pflanze überrascht im Frühjahr mit zweifarbigen, geflammten Blütenblättern. In der Hochzeit wechseln die Terminkontrakte manchmal bis zu zehnmal am Tag den Besitzer. Die Preise explodieren und steigen von 1634 bis 1637 auf über das Fünfzigfache an: Für Tulpenzwiebeln wird in Einzelfällen bis zu 10.000 Gulden bezahlt, etwa das Zwanzigfache des Jahresgehaltes eines Handwerkers. Im Januar 1637 verdoppeln sich die Preise binnen kurzer Zeit – was dazu führt, dass in Amsterdam ein komplettes Haus für drei Tulpenzwiebeln verkauft wird. Den Höhepunkt erreicht die Spekulationsblase am 5. Februar 1637: In Alkmaar treffen sich Händler aus der gesamten Region, 99 Posten Tulpenzwiebeln erzielen rund 90.000 Gulden, was heute dem Gegenwert einer knappen Million Euro entspricht. Der Exzess trägt bereits den Keim des Untergangs in sich und bereits zwei Tage zuvor hat der Crash in Haarlem seinen Anfang genommen: Bei einer einfachen Wirtshausversteigerung findet sich zum ersten Mal kein Käufer. Das spricht sich schnell herum, und plötzlich wollen alle Marktteilnehmer verkaufen, keiner kaufen; der gesamte Tulpenmarkt in den Niederlanden bricht zusammen.
Tulpen avancieren schnell zum Statussymbol des neuen Geldadels. Die Preise explodieren und steigen zwischen 1634 und 1637 auf über das Fünfzigfache an.
Am 7. Februar 1637 stoppt der Handel ganz; die Preise sind um 95 Prozent gefallen. Die Anzahl der offenen Kaufverträge übersteigt das real existierende Angebot um ein Vielfaches. Käufer und Verkäufer stehen sich gegenüber und erhoffen sich von der holländischen Regierung eine Lösung. Der Terminhandel wird verboten; Käufer und Verkäufer sind gezwungen, sich untereinander zu einigen.
1637 platzt die Blase: Binnen kurzer Zeit fallen die Preise um 95 Prozent und der Handel kommt zum Erliegen.
Große Teile der niederländischen Bevölkerung waren vom Tulpenfieber infiziert worden; von Adligen über Kaufleute und Bauern bis zu Gelegenheitsarbeitern und Tagelöhnern stiegen viele ohne Kenntnis des Marktes in das Geschäft mit der exklusiven Zwiebel ein und verwetteten Haus und Hof, um ihr Startkapital im Tulpenhandel zu erhöhen. Die florierende Wirtschaft kann jedoch die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Spekulationsblase dämpfen.
Der Tulpenwahn gilt als erster dokumentierter Börsencrash der Geschichte und die Systematik des Ablaufs lässt sich zum Beispiel auf die Dotcom-Blase 1998 bis 2001 übertragen. In den Jahrzehnten nach dem Tulpenwahn entwickelt sich die Tulpe von einer Blume der Oberschicht zu einer weit verbreiteten Zierpflanze, was sie auch heute noch ist, über 350 Jahre nach der Tulpenmanie. Und noch immer stammen fast 80 Prozent der weltweiten Tulpenproduktion aus den Niederlanden.
Am Dojima Reismarkt, Osaka/Japan, werden im 18. Jahrhundert Terminkontrakte auf Reis eingeführt. Der japanische Reishändler Homma Munehisa verdient sich durch seine Marktkenntnis den Beinamen »Gott der Märkte« und wird zum reichsten Mann Japans.
»After 60 years of working day and night I have gradually acquired
a deep understanding of the movements of the rice market.«
Homma Munehisa, 1755
Osaka ist im 18. Jahrhundert das Zentrum des japanischen Reishandels. Während der Edo-Periode, der längsten ununterbrochenen Friedensperiode des Landes, erstarken der Binnenhandel und die Landwirtschaft. In dieser Zeit, zum Ende des 17. Jahrhunderts, entsteht in Osaka der Dojima Reismarkt (cho-ai-mai).