Neuroathletiktraining –
Grundlagen und Praxis des neurozentrierten Trainings
Ulla Schmid-Fetzer
Neuroathletiktraining –Grundlagen und Praxis des neurozentrierten Trainings
Ulla Schmid-Fetzer
4
Impressum
Autoren
Ulla Schmid-Fetzer
usf@neuro-athletic.com
Hinweis
Die medizinische Entwicklung schreitet permanent fort. Neue Erkenntnisse, was Medikation und Behandlung angeht, sind die Folge. Autor und Verlag haben alle Texte mit großer Sorgfalt erarbeitet, um alle Angaben dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung anzupassen. Dennoch ist der Leser aufgefordert, Dosierungen und Kontraindikationen aller verwendeten Präparate und medizinischen Behandlungungsverfahren anhand etwaiger Beipackzettel und Bedienungsanleitungen eigenverantwortlich zu prüfen, um eventuelle Abweichungen festzustellen.
ISBN
ISBN 978-3-7905-1055-3
Urheber- und Nutzungsrechte
© 2018 by Richard Pflaum Verlag GmbH & Co. KG, Lazarettstraße 4, 80636 München
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Druck
Sommer media GmbH & Co. KG, Feuchtwangen
Bibliografische Information
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5
2.1 Einflussebenen der Leistungsfähigkeit 38
2.1.1 Einflussebene Rezeptoren 39
2.1.2 Einflussebene periphere Nerven 39
2.1.3 Einflussebene Rückenmark 41
1.1 Die Hauptaufgabe des Gehirns 26
1.2 Der Gefahrenfilter 28
1.3 Integration des Inputs 31
1.4 Feeding Pattern – Aktivierungsmuster des Gehirns 31
1.5 Neuronale Aktivität 33
1.6 Neuroplastizität – Anpassung an neuronale Reize 33
Inhalt
Inhalt
Relevante Grundlagen aus den Neurowissenschaften
Ab Seite 25
1
Danksagung 16
Preface Dr. Eric Cobb 17
Vorwort Dr. Andreas Schlumberger19
Einleitung21
Neuroanatomie – Die Kommunikations-wege zwischen Gehirn und Körper
Ab Seite 37
2
Inhalt
6
2.1.4 Einflussebene Kleinhirn 44
2.1.5 Einflussebene Stammhirn 45
2.1.6 Einflussebene Thalamus 47
2.1.7 Einflussebene Kortex 47
2.2 Bewegungsentwurf und Ausführung von willkürlicher Bewegung 49
3.1 Sehen findet im Gehirn statt 52
3.2 Wechselwirkungen mit anderen Systemen 53
3.3 Foveales Sichtfeld und periphere Wahrnehmung 54
3.4 Binokulares Sehen 55
3.5 Die extraokulären Augenmuskeln 56
3.6 Willkürliche und reflexive Augenbewegungen 58
3.7 Weitere visuelle Fertigkeiten 58
3.8 Top-down- und Bottom-up-Athlet 59
3.9 Zusammenfassung 60
Das visuelle System
Ab Seite 51
3
Inhalt
7
4.1 Aufbau des vestibulären Systems 64
4.2 Aufgabe der Bogengänge 65
4.3 Funktionelle Paarung der Bogengänge 66
4.4 Vestibuläre Reflexe 68
4.5 Der Einfluss des vestibulären Systems auf die Motorik 70
4.6 Weitere Wechselwirkungen: Hören und das interozeptive System 70
4.7 Zusammenfassung 71
5.1 Strukturen des propriozeptiven Systems 74
5.2 Propriozeption lebt im Gehirn 75
5.3 Propriozeptiver Input als Grundlage von Gehirnaktivität 76
5.4 Einfluss auf und Wechselwirkungen mit anderen Systemen 77
5.5 Vorhersagbarkeit innerhalb der eigenen Bewegung 78
Das vestibuläre System
Ab Seite 63
4
Das propriozeptive System
Ab Seite 73
5
Inhalt
8
7.1 Der Gang 89
7.2 Neutraler Stand 89
7.3 Skala zur Erfassung subjektiver Empfindungen 91
7.4 Romberg-Test (erschwerte Variante) 92
7.5 Koordinationstests 93
7.5.1 Koordinationstest 1: Schneller Wechsel von Pronation und Supination Hand 94
7.5.2 Koordinationstest 2: Schneller Wechsel von Pronation und Supination Schulter 95
7.5.3 Koordinationstest 3: „Fußtapping“ 95
7.5.4 Überprüfung des peripheren Sichtfeldes 96
5.6 Propriozeptive Präzision 79
5.7 Zusammenfassung 80
Einleitung in den PraxisteilAb Seite 83
6
Assessments und Re-AssessmentsAb Seite 87
7
Inhalt
9
7.6 Beweglichkeitstests 97
7.6.1 Toe-Touch (Rumpfbeuge) 97
7.6.2 Schulterrotation 98
7.7 Krafttests 99
7.7.1 Muskeltest „Bauchmuskulatur“ 100
7.7.2 Muskeltest „Breiter Rückenmuskel“ 101
7.7.3 Muskeltest „Kopfwender“ 102
7.8 „Startle“ erkennen 103
8.1 Regeneration des visuellen Systems 108
8.1.1 Augenmassage 108
8.1.2 Palming (Umschließen der Augen mit den Handflächen) 109
8.2 Periphere Wahrnehmung 110
8.3 Akkommodation 115
8.4 Binokulares Sehen 116
8.4.1 Grundvariante Brock-String 116
8.4.2 Binokulare Pursuits (Augenfolgebewegungen) 121
8.4.3 Binokulare Blick-Stabilisation 122
8.4.4 Binokulare Blickwechselsprünge/Sakkaden 122
8.5 Augenliegestütze 125
8.5.1 Korrekturübungen für typische Fehler der Augenliegestütze 127
Praxisteil visuelles System
Ab Seite 107
8
Inhalt
10
9.1 Vestibulookulärer Reflex (VOR) 130
9.2 VOR-C mit Visionstick 134
9.3 Isometrische Nackenarbeit 137
9.3.1 Grundvariante isometrische Nackenarbeit in neutraler Kopfstellung 137
9.3.2 Isometrische Nackenarbeit mit eingerollter oberer Halswirbelsäule 139
9.4 Nacken-Repositionierung mit Laser und Chart 139
9.5 Achter-Gang 141
10.1 Füße 150
10.1.1 Outside Toe-pull 150
10.1.2 Middle Toe-pull 151
10.1.3 Inside Toe-pull 153
10.1.4 Lateral Ankle Tilt 154
10.1.5 Sprunggelenkskreis 156
10.1.6 Ball of Foot Circle 157
Praxisteil propriozeptives SystemAb Seite 147
10
Praxisteil vestibuläres System
Ab Seite 129
9
Inhalt
11
10.2 Kniegelenk 159
10.3 Hüftgelenk 160
10.3.1 Test der aufzuarbeitenden Position 160
10.3.2 Hüftgelenkskreise 161
10.3.3 Hüftgelenkskreise in der geschlossenen Kette 163
10.4 Brustwirbelsäule 164
10.4.1 Beugung und Streckung der Brustwirbelsäule 164
10.4.2 Kreisen der Brustwirbelsäule 166
10.5 Halswirbelsäule 168
10.5.1 Rotation und Seitneigung 168
10.5.2 „Das Chicken“ 169
10.5.3 Mobilisation der oberen Halswirbelsäule 170
10.6 Hände 171
10.6.1 Handgelenks-Acht 171
Verbesserung der neuromechanischen BedingungenAb Seite 175
11
11.1 Untere Extremitäten 177
11.1.1 Piriformis Dehnung 177
11.1.2 Dehnung des Tibialisnervs 178
11.1.3 Dehnung des Peroneusnervs 180
11.2 Obere Extremitäten 182
11.2.1 Dehnung des Ulnarnervs 182
11.2.2 Dehnung des Mediannervs 183
Inhalt
12
Kompass-SchritteAb Seite 199
13
12.1 Mechanische Komponenten der Stabilität 186
12.1.1 Beckenaufrichten im Gang 186
12.1.2 Beckenaufrichten gegen Widerstand 188
12.1.3 Kopfrollrichtung 190
12.1.4 Training „lange Wirbelsäule“ über externe Ziele 191
12.1.5 Zungenposition 192
12.2 Nutzen von „neuronalen“ Stabilitätshelfern 193
12.2.1 Aktivierung der unteren Hügel durch Lokalisation akustischer Signalquellen 194
12.2.2 Aktivierung der oberen Hügel durch periphere Wahrnehmung 195
12.2.3 Aktivierung der Hirnnerven III und IV 195
13.1 Grundvariante Kompass-Schritte 200
13.2 Stabilisation der Kompass-Schritte 203
13.3 Integration der Systeme in die Kompass-Schritte 206
Stabilität
Ab Seite 185
12
Inhalt
13
Trainingsempfehlungen
Ab Seite 223
15
Balance-Kompass
Ab Seite 209
14
14.1 Kopfbewegungen im Einbeinstand 210
14.2 Augenbewegungen im Einbeinstand 212
14.3 Grundvariante Balance-Kompass 213
14.4 Balance-Kompass Variante: Ausführung mit der Hand 215
14.5 Unterstützende Übungen zur Verbesserung der Balance 217
14.5.1 Gezielte Gelenkskontrolle 217
14.5.2 Aktivierung der Hirnnerven 217
15.1 Grundanpassung 224
15.2 Sportspezifische Integration 225
15.2.1 Beispiel 1: Vorbereitende Übungen im Aufwärmen 225
15.2.2 Beispiel 2: Sportartspezifische Anwendung im Techniktraining 226
15.3 Hohe Belastungs- und Wettkampfphasen 227
15.4 Allgemeine Tipps zur Integration ins Training 227
Inhalt
14
Die Autorin 240
Gast-Autoren 241
Models 242
Weiterführende Literatur 243
Neuroanatomie und neuronale Grundlagen 243
Training und Sportwissenschaften 245
Visuelles, vestibuläres und propriozeptives System 247
Anhang
Ab Seite 239
17
Gastkapitel Steffen Tepel: Anwendung der Neuroathletik im Wintersport
Ab Seite 231
16
Für Kai
Danksagung
16
Danksagung
Wir bedanken uns an dieser Stelle bei allen, die es ermöglicht haben, dass wir dieses Buch zu Papier bringen konnten:
Martin Weddemann, ohne deine Vision und deine Tatkraft wäre NAT weder entstan-den, noch hätte es laufen gelernt. Danke!
Ein Riesendank geht an Dr. Eric Cobb, Kathy Mauck und Matt Bush, sowie das ge-samte Z-Health Team. Thank you for guiding and educating us for so many years.
Vielen Dank an unsere wundervollen Models Rebekka und Gina.
Und natürlich bedanken wir uns bei allen Athleten, Trainern und Verbänden, die über die Jahre mit uns gearbeitet haben!
Preface Dr. Eric Cobb
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Preface Dr. Eric Cobb
If you are an athlete, or are involved in the training or support of athletes, please know this: We are living in an incredibly exciting time!
With the advent and continued growth of emergent technologies combined with the real-world “laboratories” of elite sport we are moving into a new era of training to ma-ximize athletic performance. The Neuro Athletic Training paradigm is the leading edge of this revolution.
Why is that?
While the real answer can be quite complex, the simple answer is that the Neuro Ath-letic Training approach is distinct in its practical attention to the overall controlling factors of MOVEMENT.
While many people tend to think of sport performance in terms of basic athletic attri-butes like strength, speed and endurance, the truth is that these are only a part of the story.
One of my favorite quotes is that from the well-known sports scientist, Dr. Mel Siff. He states,
“Athletic performance may be described in terms of a complex interaction of many mo-vements, so that the fundamental phenomenon underlying all sports tasks is movement. Sport then becomes a problem-solving activity in which movements are used to produce the necessary solutions.”
If you take the time to really think about this statement, it is both simple and pro-found. Regardless of what you want to achieve, movement is the fundamental key to solving your problems. And, in the Neuro Athletic Training approach, we would say that BETTER movement than you are currently performing is the end goal of trai-ning. If this is true, we are then faced with two demanding questions:
“How do I assess and improve movement?”
From the Neuro Athletic Training perspective, that all begins with understanding movement at a deep, neurological level.
Many years ago, one of my favorite professors frequently said to us as aspiring young physicians, “Everything we do is applied anatomy.” While I was too young and inex-perienced at the time to fully appreciate his comment, I have thought of it often over the intervening years, and I think it was an ALMOST perfect statement.
Instead, I think he should have said, “Everything we do is applied neuroanatomy.”
While this may sound like an unimportant differentiation, it is actually representative of a global shift in perspective that is needed to revolutionize sports preparation and performance. My professor’s statement was deeply rooted in a biomechanical model
Preface Dr. Eric Cobb
18
of movement, injury, rehabilitation and performance training. And, while this con-cept is still valuable, it is also limited.
A modern viewpoint of sports development must take into account higher order sys-tems of the human body that control everything we do. In other words, we must un-derstand the nervous system, in all of its intricacies and complexities, in a practical way and use this information to alter movement to create better performance.
In the real world, this means that the time has come for sports performance coaches to become experts in movement neurology and for individual athletes to understand how to train themselves more efficiently through applied information.
In the chapters that follow, you will be introduced through foundational neuroana-tomy and neurophysiology to concepts that may both surprise and delight you.
You will learn how visual and vestibular dysfunctions play a very real and powerful role in both pain and performance issues.
You will gain insight into how quickly you can create observable change in the body through understanding the nervous system, as well as how to use this power-ful concept in your training.
You will explore the emerging field of neuroplasticity and understand the vital role it plays in creating better athletes.
Ultimately, this book will forever change how you think about the complex interwo-ven connections of the body required to perform at a higher level, and give you a path to train them.
I wish you much success on the journey.
Dr. Eric CobbFounder, Z-Health Performance
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Vorwort Dr. Andreas Schlumberger
Vorwort Dr. Andreas Schlumberger
Erfolgreiches Handeln ist in allen Sportarten an effizientes Bewegen gebunden. Effizi-entes Bewegen bedeutet damit, dass der Sportler das Bewegungsziel oder den Bewe-gungsvollzug mit möglichst geringem Energieaufwand erreicht. Die Realisierung effi-zienter Bewegung ist uns allen bekannt, wenn man die „lockere Sprintlaufbewegung“ eines Top-Athleten mit dem „verkrampften und von Überspannung geprägten“ Lauf-stil eines Athleten mit geringerem Leistungsniveau vergleicht.
Effizientes Bewegen bedeutet aus neuromuskulärer Sicht, eine optimale intermusku-läre Koordination zu besitzen, d. h. das Timing (An- und Ausschalten von Muskeln innerhalb von Synergisten- und Antagonistenketten) und das Ausmaß der Aktivie-rung müssen situationsadäquat gelöst werden. Training zur Verbesserung der sportli-chen Leistung muss damit in allererster Linie ein Training zur Verbesserung der (in-termuskulären) Koordination einer oder mehrerer Zielbewegungsmuster sein.
Häufig beschränkt sich jedoch heutzutage das Training auf die „leicht zu trainieren-den“ konditionellen Faktoren, wie z. B. Kraft oder Ausdauer. Dieser Zugang hat seinen Ursprung im Wesentlichen darin, dass er von außen relativ leicht messbar und damit quantifizierbar ist (z. B. Lasten im Krafttraining, Zeiten oder Herzfrequenzen im Aus-dauertraining). Häufig sind diese Zugänge dann noch mit einer stark trainingsum-fangsbetonten Strategie verbunden. Während dieser Zugang aus trainingswissen-schaftlicher Sicht seine absolute Berechtigung hat, wird dabei doch häufig der Aspekt des effizienten Bewegens und der damit verbundenen Aspekte der Bewegungssteue-rung vernachlässigt.
In jüngerer Vergangenheit wurde mit dem Neuro-Athletiktraining ein neuer trai-ningsmethodischer Zugang entwickelt, der die Verbesserung der Bewegungsleistung und damit -koordination als Hauptziel beinhaltet. Dieser ist eng mit Lars Lienhard und seinem Team verbunden. Dabei geht es allerdings nicht nur darum, die Bewe-gungsleistung als eine reine Output-Strategie des zentralen Nervensystems zu begrei-fen. Vielmehr spielen die Inputvorgänge als wesentlicher Bestandteil des motorischen Lernens bzw. der Bewegungsoptimierung eine wesentliche Rolle. Damit erweitern die Autoren das trainingsmethodische Spektrum für Athleten enorm und geben dem Training mit Athleten eine neue Perspektive.
Diese erlaubt eine bisher nicht da gewesene Differenzierung der Trainingsmethodik, nicht nur für das Entwicklungstraining von Hochleistungsathleten, sondern auch für das rehabilitative Training. Gerade in letzterem, und das zeigen mittlerweile eine Rei-he wissenschaftlicher Arbeiten, ist die zielgerichtete Verbesserung der Bewegung, in diesem Falle auch der Grundbewegungsmuster von Athleten und Patienten, mit Hilfe neurozentrierter Strategien ein wichtiger Bestandteil für optimale Trainingseffekte.
20
Vorwort Dr. Andreas Schlumberger
Entsprechend dieses Paradigmenshifts vom rein biomechanischen bzw. konditionel-lem Zugang zum Training mit einem „Neuro-Fokus“, wünsche ich dem vorliegenden Buch den angemessenen Erfolg und vor allem den Startpunkt für eine breit angelegte Diskussion über die Optimierung von Trainingsstrategien in der Fachszene.
Dr. Andreas Schlumberger
Einleitung
21
Einleitung
Bücher und Konzepte über das Training von Athleten überschwemmen mittlerweile den Markt. In vielen Trainingsbüchern wechseln zwar die Methoden und Konzepte ein wenig, in einem Punkt jedoch sind sie sich alle sehr ähnlich: Sie sind meist output-zentriert. Das heißt, sie fokussieren ein Endresultat, z. B. die Geschwindigkeit, Kraft, etc. einer Bewegung, den Output. Das vorliegende Buch legt seinen Fokus hingegen auf die neuronalen Prozesse, die im Hintergrund ablaufen und somit das Endresultat der Bewegung bedingen.
Wir leben in einer Zeit, in der die Hirnforschung mehr und mehr Wissen und Ver-ständnis für die in Gehirn und Nervensystem ablaufenden Prozesse erzeugt und der immense Einfluss des zentralen Nervensystems in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Hierdurch kommt es in vielen Bereichen und Themenfeldern (Psychologie, Medizin, Lernforschung, etc.) zu einem Paradigmenwechsel – man könnte fast sagen zu einer Neuro-Revolution. Diese hat nun seit einigen Jahren auch im Sport Einzug gehalten. Das Gehirn und sein Einfluss auf die Bewegungssteuerung finden immer mehr Beachtung in Wissenschaft und Training. Dies reicht von Verletzungsprophyla-xe und Rehabilitation bis hin zu Leistungsoptimierung im Spitzensport. Es geht hier-bei also um einen Wechsel von einem biomechanisch geprägten Ansatz hin zu einer neurozentrierten Herangehensweise an Bewegung. Die neuronalen Gesetze der Be-wegungssteuerung müssen und werden zukünftig deutlich mehr Beachtung im Trai-ningsprozess erhaltenen, als dies derzeit noch der Fall ist. Das Gehirn kontrolliert al-les. Hat man das einmal wirklich verstanden, so eröffnen sich viele neue Perspektiven und Möglichkeiten im Training. Hier gilt unser Dank und tiefster Respekt der un-glaublichen Arbeit von Dr. Eric Cobb. Er hat es geschafft, die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften und Gehirnforschung in ein System zu bringen, das welt-weit seinesgleichen sucht. Sein Z-Health System bildet die Grundlage unserer Arbeit und somit sicherlich unter anderem die Basis für die Inhalte dieses Buches.
Die Besten der Besten in ihren Sportarten sind nahezu immer die effizientesten Bewe-ger und haben die beste Bewegungsqualität. Sind sie einfach wirklich nur talentierter, oder haben sie gelernt, sich derart zu bewegen? Welche Komponenten sind es denn eigentlich, die unsere Bewegung steuern? Dieses Buch soll ein verbessertes Verständ-nis für diese Strukturen und Systeme schaffen und weiterhin zeigen, wie man im Trai-ning gezielt Einfluss auf die bewegungssteuernden Systeme nehmen kann, um die Be-wegungsqualität zu verbessern. Es erklärt die Basisaufgaben des Gehirns, sowie seine Funktionsweise und zeigt deren Bedeutung für den Sport auf. Das Verständnis für die Bedeutung der neuronalen Strukturen und ihr gezieltes Adressieren in der Praxis ist über jahrelange Erfahrung im Spitzensport gewachsen.
Der Praxisteil dieses Buches liefert effiziente Methoden aus unserer neurozentrierten Trainingsarbeit und zeigt, wie diese in die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Sportarten implementiert werden können. Er dient als Einstieg in das neuro-zentrier-te Training und kann ohne große Vorkenntnisse angewendet werden. Die Ansätze,
Einleitung
22
die in diesem Buch vorgestellt werden, wurden jahrelang erfolgreich im Spitzensport ein- und umgesetzt. Focus on Performance, die Firma von Martin Weddemann und Lars Lienhard, leistete hier Pionierarbeit in Europa. Ihre Vision, den Spitzensport zu verändern, wurde eine Erfolgsgeschichte. Im Laufe der Zeit wurde aus einer Tätig-keitsbeschreibung ein neuer Begriff für diese neurozentrierte Herangehensweise ans athletische Training. So entstand der Name „Neuroathletiktraining“.
Neuroathletik begleitete die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien und die Olympi-schen Spiele in Rio und arbeitete mit Elite-Athleten aus vielen verschiedenen Sport-arten, angefangen von Olympischen Medaillen-Gewinnern aus dem Wintersport und der Leichtathletik bis hin zu professionellen Tänzern und Fußballnationalspielern.
Viel Spaß und Erfolg im Training wünschen
Ulla Schmid-Fetzer und Lars Lienhard
Einleitung
23
1.1 Die Hauptaufgabe des Gehirns26
1.2 Der Gefahrenfilter28
1.3 Integration des Inputs31
1.4 Feeding Pattern – Aktivierungsmuster des Gehirns31
1.5 Neuronale Aktivität33
1.6 Neuroplastizität – Anpassung an neuronale Reize33
Relevante Grundlagen aus den Neurowissenschaften
1
Kapitel 1
1
26
Das zentrale Nervensystem kontrolliert alles – auch Bewegung. Daher müssen wir uns als Trainer mit dessen Arbeitsweise sowie mit den fundamentalen neuronalen Gesetzen auseinandersetzen, um die Hintergründe der Leistungsfähigkeit unserer Athleten besser verstehen und ihre sportliche Entwicklung optimal lenken zu kön-nen. Wann wird vom Gehirn eine optimale Leistung zugelassen? Wann wird sie ein-geschränkt und warum? Das sind die Fragen, die wir in diesem Kapitel beantworten möchten. Beurteilen wir unser Training nur nach mechanischen oder physiologi-schen Gesetzen, so ist es schwer, seine Auswirkungen umfassend einzuordnen und zu verstehen. Das Training muss die neuronalen Gesetze beachten.
Daher betrachten wir in diesem Kapitel die Hauptfunktion des Gehirns, die Grundar-beitsweise des Nervensystems sowie die Bedingungen und Gesetze, auf deren Basis Gehirn und Nervensystem operieren. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich hierbei um neuronale Gesetze handelt, deren Missachtung immer Konsequenzen auf das Training haben wird! Die in diesem Kapitel vorgestellten Grundlagen aus den Neuro-wissenschaften1 bilden die Basis für das Verständnis eines neurozentrierten Trainings, wie wir es später im Praxisteil ausführlicher vorstellen.
Die Hauptaufgabe des Gehirns
Die Hauptaufgabe unseres Nervensystems und Gehirns ist es, das Überleben zu si-chern. Das heißt, nahezu alles im zentralen Nervensystem ist darauf ausgelegt, im Hier und Jetzt sicher zu sein. Wenn eine Situation nicht vorhersehbar ist, so ist sie be-reits potentiell unsicher. Daher trifft das Gehirn permanent Vorhersagen über die möglichen Konsequenzen einer Handlung.
Das Nervensystem ist so verschaltet, dass es auf Gefahr immer adäquat antworten kann. Es ist darauf ausgelegt, potentielle Bedrohungen zu erkennen und Handlungen bzw. Bewegungen einzuleiten, um diesen adäquat zu begegnen. Im Ursprung diente Bewegung dazu, Gefahren aus dem Weg zu gehen und körperliche Bedrohungszu-stände, wie Hunger, Durst, usw., zu beheben.
Alle lebenserhaltenden Funktionen sind zu unserem Schutz so organisiert, dass sie autonom ablaufen können, was eindrücklich veranschaulicht, nach welchen Gesetz-mäßigkeiten das zentrale Nervensystem strukturiert ist. Auch die reflexiven Verschal-tungen dienen der Gewährleistung von Sicherheit (z. B. Schutzreflexe und reflexive Stabilisierung des Körpers).
Das Erbringen von sportlichen Höchstleistungen steht eher hinten in der Prioritä-tenliste des Gehirns. Später werden wir noch zeigen, dass selbst innerhalb einer will-
1 Hintergrundinformationen sowie weiterführende Literatur finden sich in Kapitel 17.
Kapitel 1
27
1
kürlichen Bewegung der größte Teil der Funktion des Nervensystems darauf ausge-richtet ist, für Sicherheit zu sorgen. Dem Gehirn ist primär nicht daran gelegen, viel Gewicht zu bewegen, in erster Linie möchte es während der Übung sicher bleiben. Das müssen wir als Trainer und Athlet immer bedenken.
Betrachtet man die Arbeitsweise des Nervensystems, so zeigt sich, dass es eigentlich nur drei Dinge tut: Es empfängt Input, analysiert und interpretiert diesen und reagiert mit einem Output. In unserem Fall ist der Output, den wir betrachten, Bewegung.
Abb. 1: Die Arbeitsweise des Nervensystems: Input, Interpretation, Output.
Hierzu liefern Sensoren/Rezeptoren permanent Informationen über den Zustand der Umgebung (Exterozeption) und des Körpers (Interozeption und Propriozeption). Dieser Input in das Nervensystem wird zum Gehirn geleitet, wo die Daten analysiert, integriert und (auf Basis gespeicherter Muster) interpretiert werden. Aufgrund dieser Analyse und Interpretation des Inputs wird nun entschieden, in welcher Form welche nächste Handlung durch Bewegung erfolgen soll. Diese Entscheidungen passieren in den meisten Fällen unbewusst, sie erfolgen auf subkortikaler Ebene. Oft wird die Ent-scheidung, ein Gewicht zu heben, oder eben diesen Versuch zu unterlassen, bereits beim Kontakt der Hände mit der Hantelstange gefällt.
Wurde der Input ausgewertet und eine Entscheidung getroffen, erstellt das Gehirn ei-nen Bewegungsentwurf über die durchzuführende Handlung und schickt ihn an die
Sinnesorgane und Rezeptoren
Sensorischer Input
Motorischer Output
ausführendes System/Organ
Peripheres Nervensystem (PNS)
Zentrales Nervensystem (ZNS)
Integration
Kapitel 1
1
28
ausführenden Organe (Muskeln). Die resultierende Bewegung ist dann der Output. Ein Sprintschritt, ein Absprung, ein Wurf oder ein Schuss sind also Beispiele für einen Output. Aber auch eine Empfindung, wie etwa Schmerz, ist ein Output – das Endpro-dukt aus Input und dessen Interpretation.
Sind wir als Trainer nun daran interessiert, den Output langfristig zu verbessern, dür-fen wir die Gesetzmäßigkeiten seiner Entstehung nicht vernachlässigen. Das obige Diagramm verdeutlicht, dass der Weg dahin vor allem über eine Optimierung des In-puts und seiner Integration laufen muss. Dieser Ansatz, der die neuronalen Prozesse in den Mittelpunkt stellt, wird als neurozentrierter Ansatz bezeichnet.
Der Gefahrenfilter
Das Gehirn scannt zu jeder Millisekunde Umgebung und Körper. Es nutzt hierzu das oben erwähnte Prinzip der Mustererkennung, um auf Basis dieser Informationen eine Vorhersage über die zu erwartenden Konsequenzen zu treffen. Die Frage, die das Ge-hirn immer stellt, wenn es diese eingehenden Informationen analysiert und interpre-tiert, ist folgende: „Wie gefährlich ist das, was ich hier jetzt gerade mache?“ Erscheint die Situation nicht eindeutig sicher, dann ergreift das Gehirn entsprechende Schutz-maßnahmen, um gegebenenfalls Strukturen des Körpers zu schützen (Bänder, Seh-nen, Muskeln, Gelenke, Herz, Kreislauf, etc.). Diese Prozesse laufen überwiegend im „alten Gehirn“ ab. Dieses besteht unter anderem aus Stammhirn, Kleinhirn und lim-bischem System (s. Kapitel 2).
Es gibt viele verschiedene Formen von Schutzmaßnahmen: Einschränkungen der Kraft und Bewegungsweite, muskuläre Spannungen, Schmerz, etc.
Das Zuordnen, bzw. das Identifizieren von diesen „Symptomen“ als ein Output, ist eine wichtige Erkenntnis, um die Auswirkungen unseres Trainings besser einordnen zu können. Anstatt das Symptom vorschnell als Ursache auszurufen, müssen wir als Trainer lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Was innerhalb des Input- und Inter-pretationsvorgangs in der Situation des Trainings führte dazu, dass dieses Output-Er-eignis eingetreten ist?
Das Gehirn fragt wirklich IMMER – und natürlich insbesondere dann, wenn wir ex-tremen Belastungen ausgesetzt sind, wie im Sport: „Ist das, was ich hier gerade mache, sicher?“ Das alte Gehirn, in dem diese Auswertung überwiegend stattfindet, weiß nicht, in welchem Kontext es sich befindet. Es bekommt nur Informationen und schickt diese durch einen „Gefahrenfilter“, um die Situation zu bewerten. Performan-ce ist keine Priorität für das Gehirn. Bestenfalls „erlaubt“ das Gehirn Höchstleistun-gen, weil sie ihm sicher erscheinen.
Die schnellste und einfachste Art, einen Athleten besser zu machen, ist daher, seine Schutzmuster durch Verbesserung des Inputs und seiner Interpretation aufzulösen. Dazu müssen wir herausfinden, durch welches System oder welche Systeme hier kei-
Kapitel 1
29
1
ne optimale Vorhersehbarkeit der Situation möglich ist. Diese müssen aufgearbeitet und in ihrer Funktion integriert werden.
Viele Faktoren haben Einfluss auf die Beurteilung der Situation. Das sind zum einen die Input-Systeme (visuell, vestibulär, propriozeptiv), zum anderen die allgemeine Le-bensführung (Stress, Arbeitsbelastung, Beziehungen, Schlaf, Ernährung) aber auch die soziokulturellen oder individuellen Prägungen der Beurteilungen von Situatio-nen. Ist die Summe aller Belastungen innerhalb einer Situation zu groß, dann kommt es zu einer Schutzfunktion. Das Fass läuft über.
Das heißt für uns als Trainer, dass das Nervensystem eines Athleten, das gestern noch den neuronalen Anforderungen einer Übung gewachsen war, heute eventuell auf die gleiche Übung mit einer Schutzfunktion reagiert. Neuronale Antworten (s. Assess-ments in Kapitel 7) müssen also stets neu überprüft werden. Wir dürfen als Trainer nicht davon ausgehen, dass das, was „einmal sicher war“, auch „für immer sicher ist“. Es zählt grundsätzlich die Beurteilung im JETZT – und die hat viele Input-Faktoren.
Kommt das Fass zum Überlaufen, kann das System mit vielen verschiedenen Antwor-ten (Output) auf diese Situation reagieren. Mögliche Erscheinungsformen sind zum Beispiel: Koordinationsprobleme, instabile Bewegungen, Muskelverhärtungen, Bewe-gungseinschränkungen, immunologische Veränderungen, Angsterscheinungen, De-pressionen, etc. Jedes Warnsignal ist auch immer eine Handlungsaufforderung und als solche muss auf sie reagiert werden!
Abb. 2: Der Gefahrenfilter
Sensorischer Input
geplante Handlung in vollem Umfang ausführen
sicher
nicht sicher
„Wie sicher ist das, was ich hier tue?“
Vorangegangene Erfahrungen/Erlebnisse
Schutzmaßnahmen
Schmerz
Bewegungseinschränkungen
Stellreflexe („startle“)
Immunologische Reaktionen
Aktivierung des Sympathischen Nervensystems
Endokrine Veränderungen
1